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»Es stürmen im Nu der Zeit –
Bald, so bald anders her die Lüfte!«
Pindar.
Auf der Hersabrunner Chaussee saust eine Equipage leicht und elegant dem Stifte entgegen. Ein schnittiger Viererzug schäumt in's Gebiß, die Hufe knattern auf der leicht gefrorenen Erde, und auf den Wagen prangt das reichsfreiherrlich von Nennderscheidt'sche Wappen. –
Die Silberbeschläge der Geschirre blitzen und glimmern, reich und kostbar sind sie, und die Livrée der Dienerschaft imponirt mehr, wie die Gala der Großherzoglichen Lakaien. Es liegt ein festliches Gepräge, ein gewisser feierlicher Glanz über dem Ganzen.
Die Rosse tragen keinen Rosmarinstrauß im Stirnband, aber sie schütteln die Mähnen so stolz und ungestüm, als ob sie es ahnten, daß ihr junger Herr auf die Brautschau fährt, daß sie mit ihm hinausstürmen, ein gefährlich Spiel zu wagen, ein Hazard, welches wohl um höheren Preis würfelt, als wie all die tollen Wettrennen und Wagstücklein, bei welchen Junker Nennderscheidt auf die Cœur-Dame gesetzt! –
Hazard! ... das Wort klingt und summt vor den Ohren Olivier's, welcher schweigsam, mit gesenktem Haupte, neben seinem Freund Goseck in den schwellenden Polstern liegt. Die Unterhaltung ist eingeschlafen, beide Herren starren gedankenversunken in den Kiefernwald, welcher mit kahlen Stämmen, wie in tollem Tanze vorbei wirbelt; Goseck raucht eine Cigarette, sein bartloses Gesicht sieht so glatt und zufrieden aus, wie bei Einem, der endlich das Ziel erreicht, welches er sich gesteckt hat. Seine Gedanken scheinen die angenehmsten, es spielt sogar ein Lächeln um die schmalen Lippen, welches aber dem Antlitz einen eigenthümlichen Ausdruck verleiht, und sein Auge glimmert wie bei einer Katze, die endlich nach langem Schleichen, Ducken und Ueberlisten, die Maus in den Krallen hält. Olivier ist ganz gegen seine Gewohnheit ernst. Es ist ihm plötzlich die Erinnerung an jenem Nachmittag gekommen, wo er diesen Weg zum ersten Mal gefahren. Fides saß an seiner Seite, stolz, streng und dennoch lieblich erglühend wie die Statue einer Heiligen, über welche die Sonne, durch das Kirchenfenster fallend, rosige Lichter gießt. Eine seltene bewundernswerthe Frau, die man verehren muß, aber die man nicht liebt. Wahrlich nicht liebt? ... Nennderscheidt strich langsam über die Stirn, als wolle er diesen Gedanken fortwischen, er hob das Haupt und blickte um sich. – Wie kahl und winterlich! damals strotzte noch das Laub in prahlerischstem Farbenschmuck an den Zweigen, jetzt starren sie kahl und fröstelnd in die Nebelluft, und die Blätter tanzen um die Wagenräder wie kleine raschelnde Gespenster, welche ihm den Weg sperren und ihm zuflüstern »Hazard ... es ist Hazard!« – – –
Seltsam, wie der Wind mit kaltem Athem daherstreift und die Lindenzweige über Olivier's Haupt erbeben, wie die Tannen am Wegsaum rauschen und fernher vom Dörfchen schwermüthige Glockentöne hallen, da däucht es dem Freiherrn, als erklänge abermals die klare, melodische Stimme neben ihm wie in angstvollem Warnen: »Die Parthie, welche Sie beginnen, hat kein Ende, und die Karte, welche Sie ziehen, gleichviel ob sie Glück oder Unglück bringt, ist mit tausend Ketten an Ihr Schicksal geschmiedet! Werden Sie Geduld haben, ein ganzes Leben lang auszuhalten, selbst wenn Sie auf Cœur-Dame verspielen?«
– – Wie der Nebel hernieder träuft! ... es blitzen lauter helle Tropfen auf Olivier's Mantel, gleich wie Thränen ... und ihm däucht es, als fiele eine jede kühl und schwer auf sein Herz.
Fester zieht er den Mantel um sich und überfliegt mit schnellem Blick das Gehöft zur Seite des Wagens, ob denn gar nichts Spaßhaftes zu erblicken sei; er möchte gern so recht laut und übermüthig lachen, schon den Blättern und dem Winde zum Trotz, welche so langweilige, thörichte Melodien singen!
Nichts ist zu sehen. Ein blasses, zerlumptes Kind drückt sich frierend gegen eine Stallthüre und starrt die Märchenpracht der vorbeirollenden Equipage mit großen, dunklen Augen an, – Nennderscheidt greift hastig in die Tasche, ruft die Kleine und wirft eine Hand voll Silbermünzen auf die Chaussee. Er hatte gehofft, sich über die gierige Hast des Herzustürmens amüsiren zu können, umsonst, kein Füßchen regte sich, die beiden Hände bleiben unverändert in die Schürze eingewickelt, und die Augen starren ihn an wie zuvor, – groß glänzend, beinahe stolz. Dann entschwindet das Gehöft seinen Blicken, der Wagen ist scharf um die Gartenmauer gebogen.
Nein, das war gar nicht drollig gewesen! Goseck lacht leise auf. »Abgeblitzt, alter Junge, die Einfalt vom Lande beißt wohl auf einen Apfel, nicht aber auf klingenden Köder an!«
»Angenehmes Omen! ich schlage vor, wir drehen die Fuhre um und verzichten auf weitere Eroberungen!« –
Ein scharfer Blitz streifte das ärgerliche Gesicht des Sprechers. Goseck lehnte sich noch weiter zurück und warf den Rest der Cigarette über den Wagenschlag.
»Du wirfst die Flinte in's Korn? ... vortrefflich. Bis jetzt war ich Elephant und Du Freier; wie wäre es, wenn wir den Spieß umdrehten und aus freier Hand die Rollen tauschten?«
»Was heißt das?«
»Du verzichtest auf Eroberungen, und ich führe Gräfin Herff heim.«
Olivier's Haupt zuckte empor. »Was sollte das für einen Sinn haben?«
»Sinn!« abermals lachte Graf Goseck kurz und hart auf. »Je sinnloser ein Streich, desto origineller und amüsanter! Ehrlich gesagt, Nennderscheidt, habe ich Dich im Stillen bereits unglaublich um den brillanten Rath, welchen ich Dir gab, beneidet und hatte eigentlich gehofft, Du hättest die Geschichte am andern Morgen mit dem Champagnerrausch verschlafen! Ich malte mir hinterher noch die Einzelheiten der Ueberraschung aus, die Effecte, welche ich erzielen würde, und wie ich mir gar dachte« – –
»Effecte? Du? – will man Dich etwa auch verheirathen?«
»Nein, in dieser Beziehung bist Du der allein Bevorzugte, welcher überhaupt mit weit eclatanteren Stichwörtern wie ich, das Lustspiel in Scene sehen kann! Und dennoch rebellirst Du und willst auf Eroberungen verzichten! Just so, als hieltest Du das große Loos in der Hand und drehtest Dir gelassen einen Fidibus daraus!«
Nennderscheidt lachte. »Seit wann muß ich denn mit jeder Aeußerung so vorsichtig sein, als würde sie zu Protokoll genommen! Eroberungen machen und sich verloben, ist doch bei meiner Situation ein riesiger Unterschied! Ich will ja nicht um das Herz der Gräfin Herff, sondern lediglich um ihre Hand werben, und beabsichtige niemals, sie zu meiner Herzenskönigin zu machen; nur meine Frau, das ist die Devise der Flagge, unter welcher ›Luischen‹ als Freifrau von Nennderscheidt kämpfen wird!«
» Kämpfen wird! Du sprichst ein großes Wort gelassen aus!« Gosecks Stimme klang laut durch den Wind, welcher grell wie ein Schmerzensschrei um die alte Wetterfahne des Vorwerks von Hersabrunn pfiff. »Ich glaube, Fürstin Claudia wird die Kleine nicht grade mit Süßigkeiten überfüttern, aber die Alte! die Körberitzen! – siehst Du, Nennderscheidt, die als ›Schwiegertante‹ in der Residenz auszuführen, das denke ich mir eben über alle Beschreibung famos.« –
»Nicht wahr? brillante Idee?« und der tolle Junker hatte jegliche Scrupel vergessen und war wieder ganz mit Leib und Seele bei der Sache. »Und weißt Du, was ich thun werde? Ich stelle meine Frau an meiner rechten Seite kalt und mache zur Linken der Schwiegermutter die Cour, rasend ... glühend ... kein Secundaner soll jemals so geschwärmt haben! Gieb mal acht, was das für einen capitalen Scherz geben wird!«
Olivier riß hastig den Wagenschlag auf und sprang fiebernd vor Ungeduld zur Erde; die Equipage hielt mit dampfenden Rossen vor dem Portal des Stiftes. –
Eine große, ungeheure Aufregung. Von allen Seiten trippelte, schlürfte und schritt es herzu, Thüren klappten, Fenster greinten in den Riegeln, Alles knixte, fragte, forschte und begrüßte in freudigstem und buntestem Durcheinander.
Selbst die Oberin, welcher die irrige Meldung von der Ankunft einer Hofequipage gemacht worden war, kam eilig die Bodenstiege herab und löste noch im Herbeieilen die große, blendend weiße Leinenschürze, welche sie zum Schuh um das dunkle Kleid geschlagen hatte. Auf den Speichern wurde Getreide geschüttet, und die praktische, gewissenhafte Frau stand dabei, um die Arbeit persönlich zu überwachen.
Sie reichte Nennderscheidt lachend die kleine, rundliche Hand und lud die Herren vor allen Dingen ein, näher zu treten, denn die Damen waren vollständig consternirt über diesen überraschenden Besuch und vergaßen im Schauen und Anstaunen vollständig, daß es recht kalt und zugig auf dem Hausflur war.
Mit suchenden Blicken hatte sich Olivier umgeschaut, weder Frau von Körberitz noch Nichte waren zu entdecken.
Graf Goseck wechselte einige verbindliche Worte mit der Oberin, versprach sofort den »Ueberfall in Hersabrunn« mit Commentar zu versehen, und gab dem Bedienten, welcher mit entblößtem Haupte respektvoll wartend an der Thüre stand, kurzen Befehl.
Nennderscheidt war jedoch von einer Schaar alter Fräuleins umringt, welchen er beim ersten Besuch eifrig den Hof gemacht und welche sein Angedenken voll wahrhaft schwärmerischen Entzückens im Herzen bewahrt hatten. Er war auch sofort wieder im rechten Fahrwasser, begeisterte sich für den Mops der Einen, den Strickbeutel der Andern, verabredete hier ein Parthiechen Whist und nahm dort »mit Wonne« die Einladung zu einem Täßchen Kaffee an, drückte die Hände, machte schwärmerische Augen und flüsterte schließlich einer sechzigjährigen Naiven zu, daß im Wagen draußen ein bescheidenes kleines Packetchen sehnsüchtig darauf warte, den Damen zu beweisen, mit welch »süßen« Gedanken er ihrer gedacht habe!
Das Fräulein mit dem grauen Babykopf klatschte hell aufjubelnd in die Hände und hüpfte graziös davon, die Schätze auszugraben; ein paar Genossinnen folgten, die Oberin aber hob mit einem eigenartigen Lächeln den Finger und drohte dem schönen Mann. »Sie Spötter! der mir meine alte Heerde ganz rebellisch macht!« – sagte sie leise, öffnete eine Thüre und bat in der ihr eigenen ruhigen und würdevollen Weise die Herren, näher zu treten.
Nur kurze Zeit dauerte die geheimnißvolle Unterredung, hie und da unterbrochen durch ein schnelles Aufklappen der Thüre »der Kaffee ist fertig!« oder »ich habe Whistkarten bereit, Herr Baron!« – oder »Möppelchen hat Sehnsucht nach dem lieben Onkel!« – Manchmal auch ein entzückter Dankesruf für das »traumhaft schöne Confect und den Kuchen!« –
Endlich erschien die Oberin mit ihren Gästen wieder auf der Schwelle. Sie sah ernst und doch erregt aus, scheuchte den Schwarm der Verehrerinnen mit dem Befehl, »einen gemeinsamen Kaffeetisch zu bereiten,« in den Himmelsrichtungen der Windrose davon, und trat mit den beiden Herren in den Garten.
»Ich bitte die Herren, nicht allzusehr über die Eigenthümlichkeiten der alten Frau von Körberitz zu erstaunen,« klang es wie entschuldigend von ihren Lippen; sie blieb einen Augenblick stehen, schlang ein dunkles Wolltuch um die Schultern und knüpfte den Spitzenschleier fester um das volle, rosige Gesicht, »sie ist eben ein Original, und da all meine Bemühungen, sie in weniger absonderliche Bahnen zu dirigiren, lange Jahre schon vergeblich waren, so lasse ich sie nun ruhig gewähren und denke, es hat eben ein Jeder seine eigene Façon, um selig zu werden!«
»Eine hier entschieden recht oft nothwendige Toleranz, gnädigste Frau! – Und trotz der rauhen Witterung hält sich die alte Dame noch in dem Garten auf?«
»Hören und staunen Sie! – Die Zimmereinrichtung in Hersabrunn ist Sache der einzelnen Stiftsdamen, welche zumeist eigene Möbel mitbringen und verpflichtet sind, dieselben in Stand zu halten. Frau von Körberitz nun hat gar närrischen alten Kram herbeigeschleppt, mit welchem sie sich ihr Nestchen mehr wie wunderlich auspolsterte. Ein altes, steiflehniges Sopha, dessen Ehrenplätze wahre Strafcommandos sind, ist nun mit der Zeit dergestalt verbraucht, daß seine Polsterung überall zu Tage tritt.« –
»Aha – wie bei einem Stierfechtergaul, dem die Eingeweide heraus hängen! – brillante Idee, das muß ich sehen!«
»Ihr Vergleich ist grausig, aber thatsächlich treffend!« lächelte die Matrone in ihrer milden Art und fuhr mit einem Anflug von Humor, welcher sie vorzüglich kleidete, fort. »Die Körberitz selber hütet sich schon längs, das Marterinstrument zu benutzen, aber um es ausbessern zu lassen oder ein neues zu kaufen. Dazu ist sie viel, viel zu geizig, und darum ist sie auf einen ebenso pfiffigen, wie spaßhaften Gedanken gekommen! In der alten Remise steht nämlich unsere Stiftschaise, ein uraltmodischer, aber sehr bequemer Kasten, in dessen Polsterecken die Frau Rittmeisterin nun jeden Tag, den Gott werden läßt, ihr Mittagsschläfchen hält! da sitzt sie weich und warm und träumt in dem seligen Bewußtsein, Kapitalien an dem Tapezierer erspart zu haben!«
Nennderscheidt's Augen leuchteten vor Vergnügen, und seine elegante Gestalt bog sich vor Lachen; vergessen waren alle Scrupel, welche er sich auf der Fahrt gemacht, vergessen das angstvolle Mahnwort, welches Wind und Laub ihm zugerufen, vergessen und versunken das blasse Nebelbild, welches sich an seine Seite gedrängt und ihm in's Ohr geraunt hatte: »Die Ehe ist ein Hazard, und Sie sind ein leidenschaftlicher, ungeduldiger und waghalsiger Spieler« ... Er war wieder ganz der Alte, ganz der tolle Junker, der lachend sein Lebensglück auf eine einzige Karte setzt! – Er wurde nicht müde, sich die Wunderlichkeiten der zukünftigen »Schwiegertante« erzählen zu lassen, und je ernster und erstaunter das Gesicht und je prüfender der Blick der Oberin wurde, desto übermüthiger blitzte das Auge des seltsamen Freiers, und desto hastiger schritt er aus, die alte Stiftschaise zu erreichen.
Goseck schritt schweigsam und lächelnd zur Seite, mit kritischem Blick das Gartenterrain der alten Fräuleins musternd.
So recht uraltmodisch sah es ringsum aus. Wenn auch der Frost die Beete und Rabatten mit schwarzem Schleier überhaucht und ihre Blüthenpracht geknickt hatte, so war dennoch genug davon übrig geblieben, um ein Bild der sommerlichen Anlagen zu entwerfen. Blumen, von welchen die moderne Residenz kaum noch eine Ahnung hatte, wurden hier voll liebender Sorgfalt gehegt und gepflegt.
»Lawendel, Myrth' und Thymian,
die blühen in dem Garten.«
klang es unwillkürlich durch die Gedanken des eleganten Cavaliers, welcher es gewohnt war, auf feinem Glitzersand, zwischen sprühenden Fontainen und exotischen Gewächsen zu lustwandeln. Hier wucherten auf regelmäßigen Feldern Kohlköpfe, Rüben, Sellerie und Suppengrün, Zwiebeln und Bohnen, Kraut und Erbsen, und als Einfassung auf schmalen Längsrabatten statiöse Salatköpfe, zwischen welchen in buntem Gemisch die Blumen emporsproßten. Gelbe Flatterröschen, bunte Wicke, Nelken, Spicke, Salbei und Balsaminen, Diptam, Flockus und Geisblatt, Goldknöpfchen, Melisse und duftige Muskatblüthe, Hepatica und Koriander, unterbrochen von Himbeersträuchern und Stachelbeerstöcken garnirt mit Buchsbaum oder praktischen Erdbeerpflanzen. – Hier fühlte Goseck in Gedanken die Sonne herniederglühen, zum Schmoren heiß und nachhaltig; kein Lüftchen rührt sich, schwüle Duftwogen lagern über den Beeten, und die Bienen summen und surren ... Schmetter linge hängen an den Rosen und klappen wollüstig die bunten Flügel auf und zu, – und in den Zweigen der Obstbäume raschelts ... mit dumpfem Fall schlägt eine wurmgestochene Frucht aus der Ueberfülle zu Boden.
Auf dem Kies aber schlürft es behaglich auf und nieder, Stricknadeln klappern, und runzliche Hände streichen hie und da ein Pflänzchen, an dessen Anblick sich liebe – süße ... längst vergilbte Erinnerungen knüpfen!
Goseck überkam es beinahe wie ein Gefühl von Rührung, es däuchte ihm, als stände er auf einem Fleckchen Erde, an welchem die Zeit spurlos vorüberschwebt. – Plötzlich blieb er stehen und schaute die Oberin frappirt an. »Was bedeutet denn das?! werden jetzt noch Betten gesonnt?«
Vor ihnen lag ein kleines Blumenrondel, welches hoch mit Bettkissen belegt war.
Wieder lächelte die ehrwürdige Führerin der Herren, gleicherzeit jedoch mit etwas ungeduldiger Hast näher eilend, um die Betten zu betasten. »Natürlich wieder vollständig vom Thau durchnäßt! O es ist gar nicht mehr fertig zu werden, mit der alten Frau; wie ein kleines Kind müßte sie beaufsichtigt werden!«
»Die ergebene Körberitz?! ...«
»Ja, die ergebene Körberitz! da hat sie heute Nacht wieder gemerkt, daß es friert, steht heimlich auf und schleppt ihr Bett auf die Blumen, ihre Lieblinge, die sie zeitweise aus lauter Zärtlichkeit schon mit ihrem Ungarwein begossen hat.«
Nennderscheidt jubelte laut auf vor Lachen.
»Na zum Kuckuck noch eins ... da hat sie wohl auch die Nacht schon in der Chaise campirt!?«
»Nein, das glaube ich nicht, dazu ist sie zu furchtsam. Aber ich fürchte, sie wird das arme kleine Ding, die Marie-Luise einfach aus den Federn gejagt und auf ihr Sopha verwiesen haben, denn rücksichtslos ist sie bis zum Exceß, und quält das bedauernswerthe Kind mit all ihren Verrücktheiten auf unerhörte Weise. Leider erfahre ich meist zu spät und nur zufällig davon, denn Marie-Luise klagt nie und erduldet Alles mit einer wahren Engelsgeduld. Sie ist überhaupt ein ganz eigenthümlicher Charakter, treu und lauter wie Gold, das einzige Wesen im Stift, welches mir nahe getreten ist, wie ein Kind seiner Mutter.« Die Oberin legte die Hand auf Nennderscheidt's Arm und fuhr mit leise bebender Stimme fort: »Und obwohl ich sie schmerzlich hier vermissen werde, danke ich es doch meinen Herrgott auf den Knieen, daß er das Schicksal des lieben Mädchens auf so wundersam überraschende Weise zum Guten lenkt! Glauben Sie mir, Baron, Gräfin Herff verdient es, von ganzem Herzen glücklich zu werden, und hätten Sie nicht die Absicht, sie glücklich zu machen, so würden Sie die Verlassene nicht zum Weibe begehren!«
Olivier senkte einen Moment die Wimpern tief über die Augen, Goseck aber wandte sich hastig zur Seite und klemmte sein Monocle ein: »Selbstverständlich, meine gnädigste Frau! Aller Beschreibung nach scheint Gräfin Herff eine sehr anspruchslose und schlicht erzogene Dame zu sein, welche die neuen Verhältnisse, Pracht, Eleganz und Reichthum entzücken und beglücken werden, wie das Kind aus dem Märchenbuch, welches urplötzlich in ein Feenreich versetzt wird!«
Der Graf verstummte; man hatte eine Wegbiegung überschritten und stand vor einem schmalen Terrain, auf welchem abermals Gemüse angepflanzt waren. Die Matrone blieb jählings stehen und hielt Nennderscheidt einen Augenblick zurück. – »Da ist Marie-Luise, haben Sie je etwas so Rührendes gesehen, etwas so Bescheidenes und Demüthiges als diese kleine Gräfin!«
Beide Herren starrten auf das Bild, welches sich ihren Blicken bot. Auf der hartgefrorenen Erde kniete eine weibliche Gestalt, in einer unförmigen alten Plüschjacke, mit einem leichten Wolltuch über dem Kopf, welche mit rothgefrorenen Händen die letzten Carotten aus der Erde zog und in einem Korb sammelte, aus welchem bereits verschiedene grüne Stauden emporragten.
»Luischen!« Die Gerufene hob ruhig das Haupt, »liebes Tantchen?« – dann aber zuckte sie zusammen, – glühendes Roth flammte über das zarte Gesicht, und mit unbeholfener Hast sprang sie empor und drückte beide Hände gegen die Wangen, als schaue sie voll Entsetzen ein Gespenst. Starr, regungslos haftete ihr Blick auf Olivier's Antlitz.
»Was thust Du denn da? ... komm' schnell einmal hierher!«
Das Köpfchen sank auf die Brust, langsam schritt sie näher. »Die Dörte hat sich die Hand verbrüht, und da erbot ich mich, ihr die Gemüse, welche sie zu dem Abendbrod gebraucht, aus dem Garten zu holen!« Sie sprach leise, aber nicht ängstlich, auch schaute sie abermals empor und streifte Goseck mit einem flüchtigen Blick. »Schwarze Augen ... schwarzes Haar ... brr ... ich habe die Pique-Dame gezogen!« lachte Olivier in das Ohr des Freundes.
»Das hat Zeit, mein Herzchen, die Herren hier wünschen Tante Körberitz zu sprechen, und hast Du wohl die Güte, unsere lieben Gäste zu begleiten; Herrn Baron von Nennderscheidt kennst Du, – dessen Freund, Graf Goseck!« –
Marie-Luise neigte den Kopf sehr gemessen und ernst, es lag etwas in ihrem ganzen Wesen, was ungemein an die Art und Weise der Oberin erinnerte.
Nennderscheidt bot seiner zukünftigen Gemahlin die Hand und schien sich für die Jacke derselben mehr zu interessiren, wie für die dunkeln Augen, welche mit leuchtendem Blick abermals die seinen trafen. »Sie haben mich hoffentlich noch nicht vergessen, Gräfin?« sagte er lächelnd »Es sind allerdings zwei volle Jahre seit unserer ersten Begegnung verstrichen, aber sie haben das Bild, welches ich von Ihnen in Gedanken bewahrte, nicht verwischen können!« und er wollte in gewohnter Ritterlichkeit ihre Finger an die Lippen ziehen.
Sie zog dieselben schnell zurück. – »Hände, welche im Garten gearbeitet haben, beanspruchen keine Handküsse!« wehrte sie sehr verlegen ab, senkte abermals die Blicke und fuhr leiser fort – »Vergessen aber habe ich Sie nicht, – es kommt so selten Jemand nach Hersabrunn!«
Goseck hatte scharf und prüfend das schmale Gesichtchen gemustert, er schien sich ein anderes Bild von der zukünftigen Baronin von Nennderscheidt gemacht zu haben; seine Antwort klang zerstreut, als er an der Seite der Oberin langsam vorausschritt.
»Wie geht es dem armen Händchen, welches ich Barbar damals so grausam verbrannte?« fuhr Olivier heiter fort – »sind die Wunden vernarbt!?«
Sie klopfte die Erdspuren von ihren Kleidern ab. »Ich habe mich gefreut, so lange ich die rothen Flecken auf der Haut noch sehen konnte, weil sie mich immer an die herrlichen Tage erinnerten, aber lange hielten sie nicht, – meine Hände sind unempfindlich geworden – Kälte und Hitze schaden mir nichts!«
»War ein famoser Spaß damals, nicht wahr? Ich habe mich ja göttlich amüsirt und viel von Hersabrunn erzählt! Es war doch die erste Gesellschaft, welche Sie erlebten?«
Nennderscheidt's Stimme klang, als spräche er zu einem Kind, von Courmachen war gar keine Rede.
»Ja, die erste, das haben Sie und alle Andern mir wohl auch angemerkt. Tante Oberin hat mir seit jener Zeit ein wenig Manieren beigebracht, und ich habe mir viele Mühe gegeben, von ihr zu lernen, denn ich dachte, Sie würden das nächste Jahr wieder mit kommen, und dann wollte ich den Kaffee besser serviren!« –
Es lag eine entzückende Einfachheit und Anmuth in den schlichten Worten, und Goseck wandte unter einem Vorwand das Haupt und schaute die Sprecherin abermals an.
»Ei, wozu denn besser serviren! Sie sollen doch keine Kellnerinnenkünste produciren! War ja gerade urfamos, daß Sie es nicht konnten, das knüpfte ja den ersten Faden zu unserer Freundschaft!« – und Nennderscheidt brach kurz ab und schaute mit lustblitzenden Augen, laut auflachend, in das Scheunenthor, welches vor ihnen auftauchend, den Anblick auf die alte Stiftschaise gewährte. »Bless me! da ist ja die Arche Noah! ... Goseck! Donnerwetter ja, was meinst Du, wenn wir die in der Residenz hätten, das gäbe ja einen Hauptspaß! – Sagen Sie mal, gnädigste Frau, ist dieser brillante Omnibus verkäuflich? Ich zahle Ihnen, was Sie wollen – ich wiege ihn mit Gold auf – ich muß ihn haben!«
Die Oberin schien sich über den Enthusiasmus zu amüsiren. »Ah ... ich verstehe, die Herren wollen gewiß den Carnevalszug um ein ›historisches‹ Stück bereichern! Nun, ich werde bei der Verwaltungs-Commission gern anfragen, ob und zu welchem Preis der Wagen verkäuflich ist! – Aber ... eine Bedingung, Herr von Nennderscheidt ... keine Hersabrunner Originale aus den Fenstern schauen lassen!«
»Wahrlich nicht? ... Du forderst viel, o Vaterland!« und in heiterster Stimmung legte Olivier die Hand seiner Gönnerin auf seinen Arm und stürmte dem Ziel entgegen. »Avanti, gnädigste Frau, helfen Sie mir die Festung erobern!«
Goseck blieb zurück und trat wie selbstverständlich an die Seite Marie-Luisens.
– – – – –
Frau von Körberitz war aus dem besten Nachmittagsschläfchen gestört worden und in Folge dessen etwas ungnädiger Laune. Als sie aber schließlich in ihrer spaßhaften Toilette sichtbar wurde, als Olivier sie ganz außer sich vor Vergnügen mit kühnem Schwung zur Erde hob, ihre Hände abwechselnd küßte und sogar den Pompadour an einen Knopf seines Ueberziehers baumelte, da ging es wie Sonnenschein über das verschrumpfte Gesicht, und die Frau Rittmeister empfing den zukünftigen Neffen mit offenen Armen.
Marie-Luise war sichtlich ungern in Goseck's Begleitung den drei anderen Herrschaften vorausgegangen, und dieweil der tolle Junker seinen Heirathsantrag voll sprudelnder Heiterkeit, untermischt von unzähligen Scherzen, bei Frau von Körberitz anbrachte, versuchte es der Graf, die junge Dame in zarter Weise auf die Absichten des Freundes vorzubereiten.
Ein Erzittern ging bei dem ersten Verstehen über ihre schlanke Gestalt, athemlos, wie gelähmt blieb sie stehen und starrte ihn mit weitgeöffneten Augen an.
»Und falls die Wahl meines Freundes auf diese holde, kleine Hand gefallen wäre, Gräfin, falls er gekommen wäre, um seinen Schicksalsspruch aus Ihrem Munde zu hören« ...
»Ich ... ich?« ... und Marie-Luise hatte wie schwindelnd die Hände gegen die Schläfen gepreßt, hatte sie mit einem leisen Jubelschrei gefaltet zum Himmel gehoben – »O Herr mein Gott, ich!«
Goseck starrte einen Augenblick frappirt in das liebliche Gesicht, welches heiß erglühend, eine Anmuth und Holdseligkeit ausdrückte, wie er sie zuvor noch nie in gleicher Lauterkeit erblickt hatte. Dazu klang ihre Stimme an sein Ohr wie ein fremder, nie gekannter Klang heiliger Liebesglocken, durchzittert von süßem Schreck, von unaussprechlichem Jubel, von tiefer und frommster Dankbarkeit. So muß der Schiffer, welcher zeitlebens zwischen Klippen, Untiefen und trügerischem Wellenglanz hindurchgesteuert, welchem falsche Nixenlieder und verborgene Netze das Leben verächtlich gemacht, dem zaubermächtigen Klange lauschen, der aus Vinetas versunkener Pracht feierlich empor tönt. Ein Klang der Verheißung, daß tief zwischen Strudel, Riffen und tollem Nixenreigen dennoch die weiße Perle der Unschuld schläft.
»Mein Freund Nennderscheidt ist eine vortreffliche und vielbegehrte Parthie,« fuhr Goseck langsam fort, »Sie sind über seine Verhältnisse unterrichtet?«
Groß und verständnißlos blickten ihn Marie-Luise's dunkle Augen an, ihre Lippen bewegten sich wie in erstaunter Frage.
»Hat man Ihnen noch nie von Nennderscheidt erzählt?«
Sie schüttelte das Köpfchen.
»Seltsam – Und Sie sahen ihn nur ein einziges Mal hier bei dem Jahresfest?«
Wieder keine Antwort außer einem schnellen Nicken, aber ihr Blick leuchtete auf wie verklärt, und die gefalteten Hände schienen sich noch krampfhafter in einander zu schlingen.
»Also prima vista haben Sie sich in ihn verliebt?«
Sie zuckte zusammen bei seiner lachenden Stimme. Wie die Rose, welche sich erschließen will, unter dem rüden Betasten einer Menschenhand schaudert, so erbebte die Mädchenseele bei dem Gifthauch profaner Geschäftigkeit, mit welcher ihr süßes und wonnigstes Geheimniß besprochen wurde.
Ein Schatten flog über die reine Stirn, Verwirrung, Scheu und verletztes Zartgefühl mischten sich in dem Ausdruck ihrer Züge, dann schlug sie beide Hände vor das Antlitz und stürmte ohne Antwort ihm voran in das Haus.
War das Comödie oder Wahrheit? Der Pessimist Goseck blickte starr vor sich nieder auf die braunen Halme, an welchen der Reif glitzerte, auf die erfrorenen Astern und Georginensträuche, welche sich im Wind bewegten, als wollten sie ihm geheimnißvoll zunicken. Ein herbes Lächeln zuckte um seine Lippen. »Die Unschuld vom Lande, welcher der stattliche Cavalier Nennderscheidt imponirt hat! Bah, sie sehnt sich, hier heraus zu kommen, à tout prix zu heirathen; die Residenz lockt sie ebenso sehr wie jegliche andere Evastochter, welcher süße Märchen von Leben und Genuß in's Ohr geflüstert sind. Und was thuen alte Jungfern lieber, als von den Triumphen ihrer Jugend zu erzählen! Nennderscheidt ist der Erste und Einzige, welcher kommt und anfragt, darum fliegt sie ihm jubelnd in die Arme. Selbstverständlich aus keinem anderen Grund! Goseck kennt ja die Weiber, ob zwischen den Rosen des Parquets oder den Kohlköpfen von Hersabrunn, es ist überall doch nur die Schlange, welche mit tausendfarbener Haut heimlich hindurch schillert.«
Und doch schüttelten die welken Blumen ernsthaft die Köpfe zu diesen Gedanken, und die starren Gräser knisterten unter der Sohle, und vor seinen Ohren klang immer noch ihre Stimme wie Glockenläuten.
– – – – –
Nennderscheidt hatte seine junge Braut auf die Stirn geküßt und mit schnellem Blick ihr glühendes Gesichtchen und die schlanke Gestalt gestreift. Er war beinah enttäuscht, wie sie sich während der zwei Jahre verschönt hatte; wäre sie noch das eckige, magere und blasse Backfischchen, würde seine Wahl entschieden mehr frappiren. Je nun, das ließ sich nun nicht mehr ändern, und schließlich ... er küßte doch lieber eine schöne Stirn, wie eine häßliche, wenn es selbst nur die seiner Frau war. Gesprochen hatte er nur ein paar lustige Worte, daß es ein sehr flottes Leben in der Residenz geben solle, daß seine kleine Frau fleißig tanzen und – daß er niemals eifersüchtig sein werde, was natürlich auf Gegenseitigkeit beruhen müsse, und schließlich, daß er überzeugt sei, »wir vertragen uns brillant!«
Marie-Luise wagte kaum zu athmen, geschweige empor zu blicken, aber Goseck sah, daß die Hände in den dunklen Kleiderfalten wie im Fieber zitterten, daß der rosige Mund zuckte und lächelte, als ob tausend glückliche Worte gewaltsam hinter ihm verschlossen würden. Geantwortet hatte sie keine Silbe, und Nennderscheidt war sofort wieder anderweit beschäftigt, neckte sich in zärtlichster Weise mit der »ergebenen Körberitz,« machte den alten Damen gleich »im Dutzend« die Cour, setzte sich vor das uralte, heisere Spinett und spielte die übermüthigsten Offenbach-Melodien und entdeckte laut aufjauchzend die spaßhaftesten alten Raritäten, ja er war derart animirt, daß er den Löwenorden in die Westentasche steckte und von dem Bande einem besonders fetten Mops eine Schleife an den Schwanz band!
Nie hatte man so viel gelacht in Hersabrunn, wie an diesem Nachmittag, nur die Oberin ward stiller und stiller und die Wangen der Braut etwas bleicher.
Als schließlich der Wagen der Herren bestellt wurde, und Nennderscheidt die »ergebene Körberitz« mit dunkel gerötheter Stirn stürmisch bat »An Alexis will ich dich senden« zum dritten Mal zu wiederholen, und er dann neben dem Spinett stand, um der unglaublichen Gesangesleistung wie rasend zu applaudiren, da legte sich plötzlich eine Hand auf seinen Arm, und Marie-Luise blickte schüchtern zu ihm empor und flehte mit leiser Stimme, »ich habe eine Bitte an Sie – hören Sie mich nur einen Augenblick!«
Er nickte ihr freundlich zu, küßte galant die Fingerspitzen der jungen Dame und führte sie nach der Fensternische. »Ist ja ganz charmant, daß meine kleine Braut einen Wunsch äußert, welcher selbstredend im Voraus als erfüllt zu betrachten ist, aber ... à propos ... Du nanntest mich ja soeben noch ›Sie,‹ ma petite! das lasse ich mir um die Welt nicht mehr gefallen! ›Olivier‹ fix, fertig, abgemacht!« und er lachte abermals und zeigte ihr neckend den breiten, brillantblitzenden Verlobungsring am Finger, »also Du befiehlst, holde Herrin?!«
Sie blickte ihm voll in das Auge, und abermals ergossen sich heiße Blutwellen über ihr Antlitz, ein süßes, unaussprechlich anmuthiges Lächeln verklärte ihr Gesichtchen. »Ich danke Dir für Deine Güte, Olivier« sagte sie schlicht, und dann sanken die dunklen Wimpern wieder schüchtern nieder, und leiser fuhr sie fort: »Ich bin ein thöricht Mädchen und weiß nicht, wie es bei Dir in der bunten Welt draußen Mode ist; hierher ist selten ein Sonnenstrahl bräutlichen oder ehelichen Glückes gefallen, und blieb mir also nichts Anderes übrig, als mir selber meine Ansichten, Ideale und Zukunftspläne in dieser engen Welt zurecht zu legen. Du wirst vielleicht darüber lachen, denn von Gelehrtheit ist nichts darin zu finden, und was ich denke und thue, ist nur der Widerhall meines Herzens. So habe ich denn immer gedacht, wie könntest du jemals einen Mann heirathen den du nicht ganz genau kennst, dessen Herz und Seele nicht ganz klar und offen vor dir liegen wie sein Antlitz, dessen Gedanken nicht deine Gedanken sind, dessen Streben, Hoffen und Wünschen dir nicht zueigen geworden wie ihm selbst! Ich habe geglaubt, um ein wirklich und wohlverständigt Paar zu werden, so, wie es dem lieben Gott ein Wohlgefallen ist, dazu bedürfe es vieler Jahre herzlichen Gedanken-Austausches, dazu müsse man sehr lange verlobt sein. Du verlangst nun, Olivier, daß unsere Hochzeit schleunigst, in allernächster Zeit stattfindet, und doch haben wir uns nur so flüchtig kennen gelernt. Glaubst Du denn, daß wir uns wahrlich so lieb haben, daß wir einander schon so wohl verstehen, um mit gutem Gewissen diesen ernsten Schritt wagen zu dürfen?«
Wieder blickte sie empor, feierlich ernst, und dennoch so klar und unschuldig wie ein Kind, wenn es die Hände zum Gebet faltet. Nennderscheidt schüttelte fast heftig den Kopf, es war ihm, als ob durch den Windstoß, welcher jählings an dem Fenster rüttelte, eine Stimme rief: »Hazard! Hazard!«
»Meine liebe Marie-Luise ... ich begreife ja Deine Ansicht vollkommen, aber ... mon Dieu, heut zu Tage noch jahrelang verlobt zu sein, ist direct lächerlich; kein Mensch macht mehr solch ein Federlesens um die Geschichte, man hat ja in der Ehe noch so riesig lange Zeit, sich kennen zu lernen, und wie gesagt, mir liegt die Beschleunigung der Hochzeit sehr am Herzen; ist ja auch für Dich tausend Mal amüsanter, die Saison gleich mitzumachen!« _
Sie schüttelte milde lächelnd das Köpfchen. »Du denkst soviel an mein Vergnügen, Du Guter, und ahnst so gar nicht, wie glücklich ich selbst sein würde, wenn Du mit mir hier in Hersabrunn bliebest. Aber was die Hochzeit anbetrifft, so mißverstehst Du mich. Ich füge mich vollständig Deinem Willen und möchte Dir nur eine Bitte aussprechen, durch deren Erfüllung Du ja all meinen Wünschen gerecht werden kannst!«
Er sah sie fragend an, unwillkürlich legte er die Hand auf ihr Köpfchen: »Nun?« ...
»Laß uns während der kurzen Zeit unseres Brautstandes recht fleißig correspondiren! Ich weiß, daß man einen Menschen nie besser kennen lernt, als aus Briefen; ach und welch namenloses Entzücken, welch ewiger, unvergänglicher Schatz sind so ein paar Zeilen von lieber Hand! Ich möchte mein Glück gern verbrieft und besiegelt haben, Olivier, denn ich bin mein Leben lang stiefmütterlich von ihm behandelt worden, und würde vielleicht glauben, es sei nur ein Traum, wenn Du mich nicht täglich an die beseligende Wahrheit mahnen wolltest!«
Wohl nie im Leben hatte Marie-Luise so lange und viel gesprochen, und wie erschrocken über ihre Kühnheit, neigte sie plötzlich das Haupt wieder tief zur Brust; Graf Goseck stand mit gekreuzten Armen dicht neben ihr und starrte sie mit den kühlen, scharfen Grauaugen an wie ein Träumender.
In Nennderscheidt's Antlitz malte sich tiefste Betroffenheit; wie Hülfe suchend, irrte sein Blick zu dem Freunde herüber, und gleichsam, als habe er die stumme Frage verstanden, bewegte Goseck hastig zustimmend den Kopf.
»Gewiß, ma petite ... Alles, was Du verlangst,« athmet Olivier tief auf, »ich fürchte nur, meine Briefe werden Deinen Ansprüchen absolut nicht genügen, denn, weiß der liebe Gott, mit Feder und Tinte stand ich seit jeher auf gespanntem Fuße. Rasend langstylig ... versichere Dich« ...
Ein paar alte Fräuleins drängten eifersüchtig näher und hatten tausend Wünsche an den »chér baron«; Marie-Luise blickte noch einmal flehend zu ihm empor und trat stumm und bescheiden zur Seite.
»Natürlich Luischen, ich schreibe jeden Tag einen ellenlangen Brief!« flüsterte ihr der Freiherr lachend zu, zwirbelte übermüthig den blonden Schnurrbart und wandte sich zu der verschrumpftesten und häßlichsten seiner antiken Anbeterinnen, um sie mit Stentorstimme und ausgebreiteten Armen anzusingen:
»O sieh' mich nicht so lächelnd an,
Du Röslein schlank, du junges Reh.«
Ein gellendes Durcheinander; eifersüchtige Opposition, Jubel, Schmeicheleien und schwärmerische Citate! Wie einst der Rattenfänger durch das Stadtthor von Hameln auszog, so schritt der tolle Junker zu seiner Equipage. Die grauköpfigen Kinder Hersabrunns umschwärmten, drängten und umflatterten ihn, an jedem Arm hingen mehrere schwatzende, lachende, kokettirende oder raisonnirende Stiftsdamen, und die ergebene Körberitz zitterte vor Wuth und fuhr hie und da mit den langen Nägeln dazwischen ...
Lächelnd folgte Marie-Luise, und da Goseck an ihre Seite trat, um sich zu verabschieden, da leuchteten ihre dunklen Augen glückselig zu ihm empor, und zum ersten Mal sprach sie wieder ein Wort zu ihm, den sie den ganzen Nachmittag über scheu gemieden hatte. »Wie lieb sie ihn Alle haben! und wie schwer für mich, bei so viel Glück nicht stolz zu werden!«
Noch nie im Leben war der Diplomat und Höfling Goseck um eine Antwort verlegen gewesen; jetzt war ihm die Kehle wie zugeschnürt, er neigte das Haupt tief und ehrerbietig wie vor einem Heiligenbild, – und schwieg.