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XIII.

Herr von Tempelburg hatte anfänglich nur eine kürzere Hochzeitsreise an die Riviera geplant und gehofft, mit Beginn der heißeren Jahreszeit zurückkehren zu können, um einen längeren Aufenthalt auf dem Lande zu nehmen. So war es mit Severa verabredet, und so war sie es als Braut zufrieden gewesen.

Nun aber, als die junge Frau den glatten Boden betreten hatte, auf welchem sich die Saison eleganter Modebäder abspielt, war es über sie gekommen wie ein Rausch leidenschaftlicher Genußfreude, welche durchaus kein Ziel und Ende finden will.

Der Kammerherr amüsierte sich über das unverhohlene Entzücken seiner jungen Frau, – er war viel zu willensschwach, um energisch auf der Heimreise zu bestehen, viel zu verliebt, um den Bitten und Wünschen Severas die eigenen entgegenzustellen.

Außerdem feierte seine Eitelkeit die höchsten Triumphe, und welch ein Opfer wäre ihm zu groß gewesen, um es nicht auf den Altar seiner Eigenliebe zu legen!

Severas Schönheit und Eleganz erregten Aufsehen, man drängte sich um die Gefeierte und beneidete den Mann, welchem so viel Reiz und Zauber zu eigen gehörte.

Dabei brauchte Tempelburg nicht eifersüchtig zu sein, denn wunderbarerweise lag in den schwarzen Augen seiner Gattin, trotz alles Blitzens und Sprühens, etwas unsagbar Kaltes, welches alles abzuweisen schien, was auf verbotene Pfade locken wollte.

Sie freute sich aller Huldigungen, ja sie heischte und begehrte diese voll nervöser Unruhe. Und wenn die Schar der Anbeter sie umringte, wenn ihre Hände kaum die Blumen fassen konnten, welche man ihr huldigend zu Füßen legte, war es dennoch, als irre ihr Blick wie in unbefriedigtem Suchen umher, ob nicht da oder dort noch ein »Uneroberter« sein könne, welcher ihr den schuldigen Tribut nicht zahlte!

Nein, eifersüchtig brauchte Tempelburg nicht zu sein, im Gegenteil, oft stahl sich ein heimlicher Seufzer über seine Lippen, daß seine junge Gattin durchaus nicht die glühende, leidenschaftliche war, welche er in ihr zu besitzen geglaubt.

Ein Zug kaltherziger Berechnung schlich sich durch all ihr Tun und Lassen, und wenn der Kammerherr auch nicht geistvoll genug und zu wenig Menschenkenner war, um ihren Charakter richtig zu beurteilen, so empfand er ihr kühles Wesen, welches kaum eine Zärtlichkeit, geschweige ein Flammen und Überschäumen kannte, dennoch wie einen Mangel. Mehr und mehr warb er um ihre Gunst, er tat, was sie verlangte, er gab, was sie forderte, und das war nicht wenig.

Wie ein krankhaftes Verlangen, zu kaufen, zu besitzen, war es über Severa gekommen!

Nichts war zu teuer, nichts zu kostbar, wenn es galt, ihrer Schönheit zu dienen!

Ihr Verlangen nach Glanz und Pracht war unersättlich.

Wenn auch keinerlei Konkurrenz zu fürchten war, verschwendete sie Unsummen, um immer noch schöner, noch eleganter zu erscheinen.

Aber nur für sich und ihre Person kannte sie kein Versagen, – so rücksichtslos, wie sie das Geld hinwarf, wenn es galt, sich selber einen Wunsch zu befriedigen – und fast alles Schöne, was sie sah, wünschte sie sich – so engherzig und geizig war sie anderen gegenüber.

Für Wohltätigkeit fehlte ihr jeder Sinn und jedes Pflichtgefühl, – der Gedanke, auch anderen eine Freude zu bereiten, kam ihr nie.

Und tat es der Kammerherr und gab in seiner generösen Weise, wenn eine Sammelliste kam oder sonst seine Hilfe angerufen wurde, so schob die energische Hand seiner Gattin die hohe Banknote zurück, und ihre Stimme klang ärgerlich und gereizt: »Der vierte Teil davon genügt!«

Zuerst hatte Tempelburg versucht, sich an ihr gutes Herz, an ihr Ehrgefühl – an ihr Mitleid zu wenden, stets umsonst – und später, als seine Ausgaben sich ins Außerordentliche steigerten, war er selber froh, wenn nicht auch noch auf andere Weise die Dukaten durch die Finger rollten.

Als die vornehme Gesellschaft Nizza verließ hoffte der Kammerherr ebenfalls nach der Heimat zurückreisen zu können, um in der soliden Stille seiner Güter die erschöpften Finanzen regulieren zu können, denn bisher hatte er stets sehr gewissenhaft gewirtschaftet und Soll und Haben immer wieder in vernünftiger Weise ausgeglichen.

Zum erstenmal im Leben schien ihm dies unmöglich gemacht zu werden, denn Severa war entsetzt, außer sich bei dem Gedanken, sich schon jetzt in der Einöde und Langweile eines deutschen Landsitzes begraben zu sollen!

Lord und Lady Stanhope und Fürst Dimitri Waguroff und so viele andere nette Menschen reisten nach Interlaken, um sich in dem elegantesten Hotel noch ein paar Wochen zu amüsieren, es wäre ja zu blamabel, sich zurückzuziehen, wo Severa bereits ein Wiedersehen verabredet hatte!

Der Kammerherr wollte bedenklich den Kopf schütteln, da umschlangen ihn zwei weiche Arme und die dunkeln Augen leuchteten nah, ganz nah den seinen und sahen in diesem Moment gar nicht so kühl aus wie sonst –

»Otto ... mir zuliebe ...«

»Es wird rasend teuer, Herzenskind!«

»Wir sparen ja alles wieder in Laubsdorf!«

»Bedenke nur, Severa – wieviel Geld wir bisher schon brauchten!«

»Otto! – Ist das ein Vorwurf für mich? Nennst du das Liebe, wenn du mir jeden Heller nachrechnest?«

Er schrak nervös zusammen, – diesen schmerzlichen, klagenden Ausdruck in ihrer Stimme kannte er gar nicht!

Ihre Arme lösen sich von seinem Nacken ... und der heiße Blick wird kühl ...

Nur das nicht!

Fester umschließt er sie. »Alles, was du willst! Bestimme nur!«

Und sie lächelt und bestimmt, – viel, sehr viel, Tempelburg telegraphiert zum erstenmal im Leben an seinen Bankier und läßt sich Geld anweisen – –.

Severa liegt in ihrem Salon auf dem Divan und schaut hie und da über den französischen Roman hinweg nach der Kammerzofe, welche beschäftigt ist, die vielen Koffer ihrer schönen Gebieterin zu packen.

Sie weiß kaum noch, wo sie all die Herrlichkeiten unterbringen soll, – die glänzenden Seidenfalten, Spitzen, Krepp und Chiffon quellen in duftigen Wogen über jedes Fach heraus.

Es klopft.

Ein Kellner bringt die Post.

Ah – ein Brief aus der Heimat, von der Mutter. Die pflegen in der Regel sehr langweilig zu sein. Severa unterdrückt ein Gähnen und reißt nachlässig den Umschlag ab.

Dieses gräßliche Briefpapier!

Wie unfein dieses Format, wie dünn, schlecht und billig diese Pfennigbogen!

Sie schämt sich vor der Jungfer, daß sie solche unschicken Briefe überhaupt empfängt!

Wie ist's möglich, daß sie deren selbst einmal geschrieben!

Sie schaudert bei diesem Gedanken.

Ah – wieder eng, sehr eng, vier Seiten von Mutters steifen, altmodischen Schriftzügen bedeckt, – gewiß interessante Mitteilungen über die süße Ethel, wie sie Kaffee kocht und den Tisch deckt ... lächerlich!

Und hier ... ein kleiner, echt schülerhaft gekniffener Zettel von Ludolf ... ein Stück blau liniiertes Papier, aus irgend einem Schulbuch gerissen!

Was will denn der Junge?

Hoffentlich keine Anliegen oder Wünsche!

Sie liest beinahe widerwillig:

»Liebe Severa! Maxel hat mich eben gebeten, Dich doch heimlich nochmal an das geliehene Geld zu erinnern, – weißt Du, es ist höchste Zeit, – die Geige ist sonst futsch! Also spute Dich und schick's retour, Mutter erfährt es nicht, – postlagernd: M. H. 1000, ich hole es ab. – Der Doktor sagt, es stehe sehr schlecht um den armen Maxel, – ja, wenn er nach Davos könne! – Aber die Freude über die Geige wird ihm auch gut tun, wenngleich er ja nicht mehr spielen kann, – 's ist nur sein höchster und einzigster Wunsch! Also los! – schick's! Bist ja nun eine so sehr reiche Frau! Dein Ludolf.«

Ein Ausdruck ärgerlicher Gereiztheit liegt auf Severas schönem Antlitz.

Hat sich denn nur alles gegen sie verschworen! – Ihr Mann hat um Geld depeschiert, weil er keines mehr hat, und doch gebraucht sie gerade jetzt so sehr nötig recht reiche Mittel, denn wenn sie in Interlaken die bekannten Freunde von hier wieder antrifft, kann sie unmöglich in denselben Fähnchen erscheinen wie hier!

Das wäre ja mehr wie langweilig und höchst ärmlich!

Lady Maud hat nach Paris geschrieben und die weitgehendsten Bestellungen für Interlaken gemacht, infolgedessen hat sich Severa an Gerson in Berlin gewandt und ihre Aufträge erteilt, nun wird man ja sehen, wer siegen wird, – hie Paris! hie Berlin!

Der Kammerherr ahnt noch nichts von dieser kleinen Rechnung, die er zu begleichen bekommt, aber da sie umgehend bezahlt werden muß, ist es unmöglich, daß Severa schon jetzt wieder Geld von ihm fordert, – das sieht selbst sie ein!

Noch ein paar hundert Mark hat sie freilich »für kleine Ausgaben« in der Börse, sie könnte Maxel davon die geliehene Summe zurückerstatten, du liebe Zeit! welch eine Bagatelle sind die paar Mark, welche er ihr damals vorstreckte!

Aber! – Kleine Ausgaben!

Gerade jetzt hat sie deren en masse!

Sie sah in dem Wiener Modebasar eine so originelle Boa aus gebrannten Seidenblättern und bronzierten Spitzen – so ganz geschaffen, um bei kühlerem Wetter in Interlaken umgelegt zu werden ... und dann der eine Hut in der so fabelhaft schicken und eigenartigen Bersaglierifasson – – die Modistin sagte, nur eine solche Schönheit wie Frau von Tempelburg dürfte wagen, etwas derart Extravagantes zu tragen – diesen Hut muß sie unter allen Umständen noch mitnehmen, koste er was er wolle!

Also wird sich der törichte Maxel noch eine kleine Weile gedulden müssen!

Es ist ja lächerlich!

Was will der Kranke mit der Geige!

Ludolf schreibt doch selbst, daß er nicht spielen kann, wozu liegt das Gerümpel also da herum?

Fort mit dem Brief!

Die Entfernung zwischen der Heimat und Italien ist ja so weit, – jene Zeilen haben sich verspätet, sind Severa auf Umwegen nach Interlaken nachgeschickt ... in ein paar Wochen verfügt sie ja wohl über das nötige Geld, um dem Quälgeist die paar Kröten zurückzuzahlen!

Und was schreibt nun die Mutter?

Ach, wie mörderlich langweilig ist solche Korrespondenz!

Severa zögert, die Zeilen zu lesen, – es ist ja so viel interessanter zu überlegen, welche Toilette sie zum Gabelfrühstück wählen soll ... Da streift ihr Blick das Geschriebene und haftet plötzlich auf einem Namen – ... Manfred ...

Manfred!

Das schöne Weib zuckt aus seiner nachlässigen Stellung empor!

Manfred!

Was hat die Mutter von ihm zu schreiben?

Was erfuhr sie von ihm, der sich mit gebrochenem Herzen, sterbend an seiner unglücklichen Liebe nun grollend in die tiefste Einsamkeit zurückzog, um alles zu vergessen, was ihn an vergangenes Glück erinnert?

Manfred!

Wunderlich!

Warum durchschauert es sie bei dem Klang dieses Namens, bei dem Andenken an den einst so leidenschaftlich Geliebten, wie ein banges, unruhvolles Sehnen?

Ein schnelles, häßliches Lächeln fliegt um ihre roten Lippen.

Sie liest eben einen französischen Roman, – der ist wie geschrieben für sie und Manfred. – Da entsagt auch ein junges Weib – freilich notgezwungen – dem Geliebten, um den gleichgültigen, reichen Mann, welcher ihr die Ehre genommen, zu freien. – Aus Rache! Vergelten will sie ihm, was er ihr getan.

Warum aber müssen Haß und Rache in dem eigenen Roman mitspielen?

Solche Affekte sind im täglichen Leben nicht nötig.

Ein kleiner Flirt genügt.

Es ist ja so modern, den einen zu lieben und den anderen zu freien ... es läßt sich ja beides so gut vereinigen!

Also Manfred!

Hat er wieder von sich hören lassen? Verließ er seinen Schmollwinkel und ist er vielleicht vernünftig geworden und denkt so modern und skrupellos über das Lieben und Liebenlassen wie so viele seiner flotten Kollegen?

Bei seiner so unnatürlich tugendhaften Veranlagung wäre dies freilich überraschend, und doch!

Was macht die weltenbezwingende Liebe nicht aus einem Menschen?

Alles, was sie will, – diesen zum Engel, – jenen zum Teufel.

Manfred hatte sich seine Ideale aus dem Himmel geholt, so lange wie das Glück ihm die Leiter hielt, ideale Höhen mühelos zu ersteigen.

Nun entfloh das Glück, – die Himmelsleiter zerschmetterte und sank in die Tiefe ... wer weiß, ob der Schwärmer Manfred nicht nüchtern und klug geworben ist und fortan in der Hölle sucht, was ihm das Paradies versagte?

Wenn man in der großen Welt, in den internationalen Bädern, wo die Giftkräutlein wuchern, und die laxe Moral der Lebewelt Gesetz wurde – wenn man da gelebt und mit glückshungrigen Augen um sich geschaut hat, lernt man eine wunderliche Lebensweisheit kennen – – –

Manfred!

Was schreibt die Mutter von ihm?

Ihre Gedanken schweifen immer wieder weit ab, – jetzt muß sie sie bannen!

Und sie liest.

Groß und erstaunt werden ihre Augen.

Er ist gestern bei den Ihren gewesen, – sehr heiter und guter Dinge – ganz wie sonst auch!

Seltsam! – Ist dies Tatsache oder nur ein kluges Spiel?

Fraglos nur ein feiner Schachzug!

Er will nun wieder die Beziehungen in anscheinend ganz harmloser Weise aufnehmen, um alsdann einen guten Grund zu haben, auch in Severas Haus verkehren zu können!

Ein Vetter kann dies in intimerer Weise wie andere, – das Seitenpförtlein, durch welches der Hausfreund schlüpft, steht ihm offen.

Weiter!

»Er ist mit Ethel und der Erzieherin zusammengetroffen und die jungen Leute haben sofort gute Freundschaft geschlossen. Die verwandtschaftlichen Beziehungen sind auf das beste hergestellt!«

Severa lacht leise auf.

Vortrefflich! – Alles entwickelt sich so günstig und korrekt wie in der modernen Komödie! Wäre Manfred noch der verbitterte Tugendheld, welcher in der »Treulosigkeit« der vernünftigen Geliebten ein Verbrechen sieht, so würde er alles, was zu ihr gehört, ebenfalls in Acht und Bann erklären und sich stolz und empfindlich von einem Kind abwenden, welches seine verlorene Braut fortan »Mutter« nennt!

Statt dessen aber freundet er sich in harmlosester Weise mit Ethel an, sucht Gründe, Vorwände und verwandtschaftliche Beziehungen, um in Villa Freya ein Heimrecht zu erwerben!

Severas Augen blitzen.

Sie genießt in diesem Augenblick einen berauschenden Triumph, die Überzeugung, daß ein Mann, welcher einmal ihre Lippen küßte, ihr anhängen muß für alle Ewigkeit, daß er ihr folgen muß, gleichviel wohin sie ihn führt, in den Himmel oder in die Hölle!

So guter Laune wie heute hat man Frau von Tempelburg selten zuvor gesehen!

Das Marmorbild scheint sich zu beleben, es fließt wahres, heißes Blut durch die Adern!

Der Kammerherr ist entzückt und mehr denn je ihr Sklave – und die Schar ihrer Verehrer und Bewunderer begeistert sich noch glühender wie zuvor, und wem heute die roten Lippen zulächeln, der träumt ein schwüles Märchen von verbotenen Küssen. Am lebhaftesten davon träumt jedoch Severa selbst.

Seit sie die Kunde von Manfred erhielt, ist's wie ein Schleier von ihren Augen gefallen. Sie blickt in ihr eigenes Herz.

Darin wuchert viel giftiges Unkraut – das erkennt sie nicht, – sie sieht nur, daß brennend rote Blüten ein Bild umranken, welches wundersamerweise tiefer und klarer auf dem Herzensgrund eingegraben ist, als sie jemals ahnte!

Manfred!

Liebt sie ihn denn wahrlich? trotz allem und allem – – noch immer?

Ja, sie liebt ihn!

Nicht mehr mit der reinen, süßen Innigkeit eines lauteren Mädchenherzens, für welches die erste Liebe ein Heiligtum ist, – sondern mit der heißen, begehrlichen Leidenschaft des erfahrenen Weibes, welches nichts aufgeben und lassen will, was beglückt –!

»Wir wollen höchstens vier Wochen anstatt der zuvor geplanten zwei Monate in Interlaken bleiben, lieber Otto!« erklärt sie ihrem Gatten mit wundersam träumerischem Blick, »und dann wollen wir heim! Ich sehne mich doch sehr danach, die Heimat wieder zu sehen!«

Der Kammerherr traut seinen Ohren nicht. Er wird dunkelrot vor Entzücken.

»Ja, unsere Heimat! Du mußt Laubsdorf kennen lernen! – Dort, in der rosendurchdufteten Einsamkeit, wollen wir erst in Wahrheit unseren Honigmond verleben!«

Er zieht sie fester an die Brust, – sein Blick sucht den ihren.

Aber sie blickt an ihm vorüber in die mondhelle Nacht hinaus.

»Ja, eine rosendurchduftete Einsamkeit!« sagt sie schwärmerisch, wie in wohligem Aufseufzen. – »Wir werden fernab von aller Welt – ganz allein sein! Nur ein paar der nächsten Verwandten laden wir ein ...«

»Verwandte?«

»Gewiß, die Mutter und Brüder – ihnen wird eine Erholungszeit in den Ferien so gut tun – oder willst du sie nicht?«

»Aber selbstverständlich, mein Liebling – ich will alles, was du willst!«

»Gut! Ich nehme dich beim Wort! Du weißt, mein sehnlichster Geburtstagswunsch ist es, ein sehr gutes Porträt von dir zu erhalten – –«

»Mein Porträt? Daheim hängt ja das vorzügliche von Kröcher!«

»Vorzüglich nennst du ein Bild, auf dem du wie ein Großvater aussiehst? Ich finde es empörend, geradezu deiner unwürdig! Ich wollte dich ehemals nicht eitel machen, fürchtete, du hieltest meine Ausstellungen daran für plumpe Schmeichelei – aber – jetzt, – als deine Frau, habe ich ein Recht, meinen Liebsten jung und schön und ähnlich zu verlangen ...«

»Aber Severa! stop! – Du schmeichelst auch jetzt!«

Der Kammerherr lacht glückselig, seine sonst so müden Augen leuchten förmlich.

»Also ein schönes Bild willst du haben! Aber wer soll solch ein Kunststück fertigbringen?!«

»Manfred! Mein Vetter Hoff, welcher mich als Studienkopf malte! Erstens können wir ihn als Verwandten nicht umgehen, und zweitens klingt es gut, wenn dieser doch jetzt recht bekannte Künstler auch dich an meine Seite malt!«

»Gut, gut, – einverstanden – also Vetter Manfred malt mich ... und in vier Wochen reisen wir heim ... endlich heim!«

»Ja – dem Glück entgegen – in die rosendurchduftete Einsamkeit!« nickt Severa ... und ihre weißen Zähne leuchten durch die schmachtend geöffneten Lippen.

Am anderen Tage traf die Rechnung von Gerson ein, – die junge Frau präsentierte sie voll scherzender, graziöser Heiterkeit, und obwohl sie alle bisherigen Rechnungen übertraf, denn die Toiletten waren Kunstwerke raffiniertesten Geschmacks – zuckte Herr von Tempelburg dennoch mit keiner Wimper, sondern ließ den Betrag durch seinen Bankier anweisen.

Seine gute Laune hatte nicht gelitten, sie war strahlender wie je zuvor.

* * *

Es war ein heißer Junitag.

Trotz der herabgelassenen Gardinen war es in den kleinen, niedrigen Zimmern der Rätin erstickend schwül, und wollte man die Fenster öffnen, drang nur die Sonnenglut desto intensiver herein.

Um Maxel stand es sehr schlecht.

Er konnte das Bett nicht mehr verlassen und lag mit dem wachsfarbenen Gesicht und tief umschatteten Augen regungslos in den Kissen.

Der Arzt drückte der unglücklichen Mutter aufseufzend die Hand.

»Seien Sie stark, liebe Rätin, – Hilfe ist dem armen, armen Jungen nicht mehr zu bringen, – Gott der Herr schenke ihm ein leichtes Ende! Weinen Sie nicht! Gönnen Sie Ihrem Liebling die Seligkeit, welche seiner wartet. – Hier auf Erden gibt es kein Glück und keinen Frieden, – wohl dem, welchem ein langes Leben voll Kampf und Leid erspart bleibt!«

»Nein – kein Glück! Die, welche es suchen, finden es nicht, und denen, welche es fanden, wird es zerstört!«

Wie ein Aufschluchzen rangen sich die Worte von ihren blassen Lippen und die zusammengekrampften Hände der einsamen Frau zitterten.

Nein, sie hielt ihren Liebling nicht durch verzweifeltes Bitten und Flehen auf dieser Jammerwelt zurück, sie wußte und glaubte es, daß sterben unser Gewinn ist!

Nur das Scheiden ist so schwer, so bitterschwer – und nur die wahre, echte Christenliebe ist stark genug, es ohne Klage zu ertragen.

Ethel und Miß Maud wußten, wie nahe der Todesengel an das Bett des Kranken getreten war, seiner zu harren.

Beide kamen täglich, die unglückliche Mutter durch linde Trostesworte in diesen schweren Stunden zu stärken.

Wie ein Engel des Friedens waltete Ethel an dem Krankenbett.

Ganz selbstverständlich schien es, daß sie sorgte und pflegte, daß sie stundenlang am Lager des so schwer Leidenden saß, damit die Rätin ruhen und für die Nacht Kräfte sammeln konnte.

Manfred trat oft leise in das Zimmer und drückte ihr mit leuchtendem Blick die Hand.

Wie ein Traum schien ihm dieses sanfte, fromme Kind, welches sein volles Glück und Genügen in opferfreudiger Nächstenliebe fand.

Er bemühte sich voll Entzücken, ihr nachzueifern, er nahm der erschöpften Mutter Nachtwachen ab und litt es nicht, daß Ethel einen Wärter aus der Residenz schickte.

Und bei all diesem ernsten Tun empfand er eine seltsame Veränderung in seinem Innern.

Die Wunde, welche in seinem Herzen so qualvoll gebrannt, schmerzte nicht mehr.

Es war, als habe sich eine linde Hand leise und weich darauf gelegt, sie zu heilen.

Der Gott, welcher die Trübsale schickt, hat auch Macht, sie zu enden, und denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen, auch die, welche anfänglich so hart und schwer scheinen, welche wir so gar nicht als Liebe begreifen und als Segen verstehen können!

Nun aber lernte er bereits verstehen.

Ganz unwillkürlich drängte sich ihm der Vergleich zwischen Ethel und Severa auf.

Wie grundverschieden waren sie, und wie ganz das Gegenteil war die verlorene Braut von dem, was Manfred als höchste Tugend und Schönheit des Weibes schätzte und liebte!

Alles, was ihn an der kleinen Samariterin auf das innigste entzückte, war Severa fremd und bis in die Seele zuwider.

Ihr stolzer, hoffärtiger Sinn, welcher nur nach Genuß, Pracht und Glanz lechzt, würde nie und nimmer Freude und Befriedigung in einer Selbstverleugnung finden, welche Ethel so rührend übt! – Und wie tief unglücklich ihn solch ein genußsüchtiges und oberflächliches Weib wie Severa gemacht haben würde, das sah er täglich mehr ein und lernte es, Gott für ein »Nehmen« zu danken, welches im Grunde nur das reichste »Geben« für ihn gewesen.

Die Lindenblüten dufteten, Bienen summten vor den offenen Fenstern des Krankenzimmers und auf leisen Sohlen trat Ethel über die Schwelle, winkte Ludolf heimlich zu und wechselte unbemerkt mit ihm den Platz an Maxels Bett.

Der lag mit geschlossenen Augen und sein röchelnder Atem ging schwer.

Ein paar Augenblicke blieb es still, dann bewegte der Kranke unruhig die abgezehrte Hand.

»Severa hat mein Geld noch immer nicht zurückgeschickt, Ludolf?« flüsterte er mühsam, »und du hattest ihr doch geschrieben, wie sehr ich mir die Geige wünsche! Ach, wie kann Severa so grausam sein! Morgen wird sie verkauft ... schon morgen, dann ist alle Hoffnung dahin!«

»Bst! schlaf jetzt, Maxel!« flüsterte Ethel weich und legte ihre kühle Hand auf seine Stirn, – wie Entsetzen lag es bei seinen Worten auf ihrem Gesicht, phantasierte er?

»Schlaf nur ... es wird schon alles kommen!« fuhr sie leise fort, und der Kranke stöhnte leise auf, über seine Wangen rannen Tränen.

»Ich glaube es nicht mehr ... Severa hat immer nur an sich gedacht!«

Ein paar tiefe, qualvolle Atemzüge.

Die wenigen Worte hatten ihn ermattet, er schloß die Augen und sank wieder in den halb bewußtlosen Zustand zurück.

Ethel aber erhob sich und eilte lautlos in das Nebenzimmer.

Dort standen Ludolf und Manfred am Fenster.

»Ludolf!« sagte Ethel sehr ernst, »was ist das für Geld, welches Mama nicht an Maxel zurückschickt, und von welch einer Geige spricht er?«

Der Gymnasiast sah etwas betroffen aus, dann zog er die Stirn zornig in Falten und stieß kurz hervor: »Hat Maxel davon gesprochen? Ja, ganz recht ist's, daß er's tut! Severa verdient wahrhaftig keine Rücksicht mehr!« – Und mit Trotz und Erbitterung erzählte er, wie die Schwester dem armen Kranken sein sauer verdientes Geld für ihren Kleiderplunder abgeborgt habe und es nun immer noch nicht zurückschicke, obwohl er ihr geschrieben, daß die Geige morgen verkauft werden solle, und daß der Bruder todkrank sei!

Mit leichenblassem Gesicht starrte Manfred den Sprecher an.

»Junge – das ist unmöglich ... sie hat deinen Brief noch nicht erhalten!«

Ludolf zuckte verächtlich die Schultern. »Pah! Seit fünf Wochen schreibe ich schon darum! Nein, ich kenne Severa, – nicht einen Pfennig rückt sie heraus und wenn Maxel zehnmal darüber stirbt!«

Wie ein Zittern flog es durch Ethels Glieder.

»Ludolf ... lauf ... lauf, so schnell du kannst, und hole die Geige – ich kaufe sie um jeden Preis, hörst du, ich kaufe sie! Mag sie kosten was sie wolle!«

»Ja ... wo ist aber Geld?« fragte der Schüler unsicher. »Ohne Bezahlung bekomme ich sie nicht!«

Schon hatte Manfred sein Portefeuille aufgeschlagen. Gott sei Lob und Dank, daß er gerade heute eine so hohe Einnahme gehabt.

Er warf einen schnellen Blick auf die Banknoten.

»Es wird reichen! Komm, Ludolf, führe mich sofort hin, es ist keine Zeit zu verlieren!«

»Aber Sie kaufen das Instrument für mich, Vetter Manfred!« flehte Ethel und faßte wie beschwörend seine Hand.

Ein warmer Druck.

»Ich kaufe sie für uns, liebe Ethel!« sagte er mit bebender Stimme, – im nächsten Moment schloß sich die Tür hinter ihm und Ludolf.

* * *

Es war dämmrig geworden.

Der Kranke hatte starke Fleischbrühe und eine lindernde Medizin genossen, das hatte die fliehenden Lebensgeister noch einmal angeregt und mit großen, weitoffenen Augen lag er in den Kissen, wie in seliger Verklärung Ethels Worten lauschend, welche den Kranken auf die Freude vorbereiten sollten, denn selbst die konnte ein zu starker Hauch für das erlöschende Lebensflämmchen sein.

»Vorhin ist ein Brief von Severa gekommen, mit viel Geld darin!« lächelte Ethel, »und denk' dir, Maxel, sie schrieb dazu, wir sollten dir gleich eine Geige kaufen ... du wüßtest schon welche!«

Ein leiser, unartikulierter Laut von den wachsfarbenen Lippen.

»Gleich ... gleich ...«

»Ja, gewiß! Ludolf holt sie schon! Und denk' dir, noch viel Geld schickt Severa mit, dafür sollst du dir alle Noten kaufen, welche du so gern möchtest! Nicht wahr, deine Schwester ist doch sehr lieb und gut!«

»O Severa!« hauchte der Sterbende ... »ja, sie ist sehr gut ... wann ... wann kommt ...«

»Horch! – Hörst du sie schon?«

Leise und wunderbar zart klangen die süßen Geigentöne aus dem Nebenzimmer. Der Kapellmeister – als er hörte, wie traurig es um den jungen Mann stand, war persönlich gekommen, ihm noch einmal auf der so heiß Ersehnten vorzuspielen.

»Harre, meine Seele –
Harre des Herrn –
Alles ihm befehle.
Hilft er doch so gern!
Sei unverzagt –
Bald der Morgen tagt ...«

Mit leuchtenden Augen strebte Maxel aus den Kissen empor.

Seine Mutter hielt ihn im Arm, – und ob auch ihr Herz zerspringen wollte in unaussprechlicher Qual, ihr Mund lächelte.

»O gebt sie mir! ...«

Manfred reichte die Geige dar, und der Sterbende tastete mit zitternden Händen darüber hin.

Ein wahrhaft überirdisches Glück leuchtete verklärend aus seinen Augen.

»O meine Geige! – mein! ... mein! ... nun werde ich sehr fleißig lernen, wenn ich erst wieder gesund bin! Es wird schon besser mit mir ... ich fühle es ... am ... am liebsten ... möchte ich ... aufstehn ...« ein krampfhafter Husten erschütterte die Brust, über die Lippen perlte es rot, und der Kranke sank halb bewußtlos in die Kissen zurück.

Kurzes, angstvolles Helfen ... Sorgen ...

Noch einmal öffnete der Sterbende die Augen.

»Laßt mich hören ...«

Wieder klingen die süßen Töne, – nicht mehr wie ein armseliges, irdisches Geiglein, sondern wie Engelzungen, welche seligen Willkomm rufen –

»Sei unverzagt ...
Bald der Morgen tagt –
Und ein ew'ger Frühling
Folgt dem Winter nach ...«

Kein Laut im Zimmer.

Gefaltete Hände ... überströmende Augen und ein heißes Flehen zu dem Heiland und Erlöser ... und als die Klänge verhallen wie Sphärenmusik, ist für eine arme, gequälte Menschenseele ein ewiger Frühling angebrochen, ein Frühling, welchem kein Frost und keine Hitze mehr folgen werden, ein Frühling voll überschwenglicher Herrlichkeit, wie keines Menschen Auge ihn je gesehen, wie Gott der Herr ihn bereitet hat denen, die ihn lieben.

Ende des ersten Bandes.


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