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X.

Die Vorstellungen im Saal haben ihr Ende erreicht und eine schmetternde Fanfare von dem Musiktempel verkündet, daß nun das Fest im Park seinen Anfang nehme!

Schon wimmelt es von Italienern aller Art in den mondhellen Gartenwegen, – die Lampions grüßen mit träumerischem Licht aus den Zweigen, reihen sich bunt aneinander zu endlosen Ketten, welche sich von Baum zu Baum spinnen und in kapriziösen Bogen über den Wegen schaukeln. Nur da, wo die Menge sich auf den freien Plätzen staut, wo die Sekt- und Limonadenbuden im Freien errichtet sind und Mandolinenklang und feurige Weisen aus der Osteria klingen, blitzt das elektrische Licht und taucht das reizvolle Bild in blendende Tageshelle.

Auch Severa hat mit ihren Begleitern den lustigen Trubel erreicht.

Tempelburg hat einer allerliebsten kleinen Italienerin Hände voll Blumen abgekauft, – die Rosen, und Orangeblüten drückt er seiner heimlich Verlobten mit zärtlichem Blick in die Hand, während die Gräfin mit schmachtendem Augenaufschlag für die roten Nelken dankend quittiert. Mehr und immer mehr Menschen drängen herzu. Der Kammerherr wird des öfteren angesprochen und weiß die Unterhaltung jedesmal durch sein möglichst reserviertes, wortkarges Wesen im Keime zu ersticken. Voll nervöser Ungeduld ist er bemüht, den Platz an Severas Seite zu behaupten.

Das kronprinzliche Paar hat den Park betreten und einer der vorübereilenden Offiziere ruft Tempelburg zu, daß Baron Slavitz nach ihm suche.

»Wo befinden sich die Herrschaften?«

»Auf der Hauptpromenade! Die Konfetti- und Blumenschlacht beginnt soeben!«

»Dann bitte etwas ausschreiten! Auf diesem Felde der Ehre dürfen wir nicht fehlen!«

Rauschende Musikklänge, blendende Lichtflut, originell kostümierte, oder sehr elegant gekleidete Menschen wogen auf und nieder.

Man kauft Blumen über Blumen, man überschüttet die Damen damit, kaum daß Severas Hände die Masse der Sträußchen noch fassen können.

An dem Goldfischteich ist das Gedränge doppelt arg, – es wird zur Unmöglichkeit noch nebeneinander zu schreiten, wenn man sich nicht am Arme führt.

Da dies aber nicht für schick gilt und der Kammerherr als eingefleischter »Mensch der letzten Mode« um keinen Preis gegen den guten Ton verstoßen möchte, so muß er es schließlich dulden, daß trotz aller Bemühungen Fräulein Hoff weiter und weiter von ihm abgedrängt wird und schließlich, umringt von mehreren Damen und Herren, in der Menge verschwindet.

Severa hat es kaum bemerkt, daß der schmächtige, kleine Verlobte an ihrer Seite fehlt.

Sie plaudert voll strahlender Heiterkeit, wie berauscht von dem Duft der Blüten, welche ihr immer wieder und wieder als stumme Huldigung entgegenfliegen.

Plötzlich hört sie mit leisem, jubelndem Klang ihren Namen neben sich rufen.

Sie zuckt zusammen und starrt, aufs höchste betroffen, in das schöne Antlitz, welches sich neben ihr niederneigt.

»Manfred!« –

Nicht wie freudige Überraschung, sondern gedehnt und beinah erschrocken, wie eine Frage klingt es.

» Ne rien que moi!« scherzt er beinah übermütig, »das ist eine Überraschung, nicht wahr, Cousinchen, du erwartetest mich nicht?«

Sie hat sich schnell gefaßt. – »Cousinchen« nennt er sie, gottlob, daß der gleiche Name und die Verwandtschaft sein vertrauliches Benehmen rechtfertigt.

»Allerdings nicht!« sagt sie mit großen Augen, »ich ahnte nichts von deinem Kommen!«

»Wie solltest du auch! Seit deiner Ankunft in der Residenz sah ich dich nicht mehr! und zum Schreiben fehlte mir, gottlob, als vielbeschäftigtem Mann die Zeit!«

»Wie kamst du hierher?« –

Er lacht amüsiert. »Vierzig Mark Entree traust du mir nicht zu?«

»Manfred! – shocking!!« –

Er weiß nicht, ob ihre Entrüstung Scherz oder Ernst ist, aber er bleibt sehr harmlos.

»Selbst der Genuß, dich derart gefeiert zu sehen wie heute, hätte mir das viele Geld nicht abgelockt!« fährt er fort und legt ungeniert ihre Hand auf seinen Arm und dirigiert sie etwas abseits aus dem Menschenstrom. »Aber siehst du, Glück muß ein Künstler haben! und darum kam der bezaubernden Kronprinzeß der menschenfreundliche Gedanke, alle Maler, von denen ›lebendige Porträts‹ heute abend bewundert wurden, mit Allerhöchster Einladung zu beehren!«

»Ah! ... das ahnte ich nicht!«

»O ahnungsloser Engel du! – Wie gut, daß ich es war, der dich als Studienkopf verewigte! Ich hatte vorhin sogar die Ehre, den höchsten Herrschaften vorgestellt zu werden, – der nette Kerl, der Ferrari, hatte als treuer Kollege dafür gesorgt, und habe ich so viel gnädige Worte über mein Bild gehört, daß mir jetzt noch Kopf und Herz davon brennen!«

»Das ist schön! ich gratuliere dir dazu!«

Severa sagt es beinah mechanisch, nur widerwillig folgt sie ihm, und als er in einen der lauschigen, stillen Nebenwege einbiegt, zögert sie.

»Hier ist es einsam und dunkel, die Lampions leuchten kaum, – was willst du hier?«

»Dich endlich einmal einsam und allein sprechen. Herzlieb!« flüstert er mit glückzitternder Stimme, »o du glaubst nicht, Severa, mit welcher Sehnsucht ich auf ein Wiedersehn mit dir wartete!«

Sie preßt die Lippen zusammen, eine tiefe Falte senkt sich zwischen ihre fein gezeichneten Brauen. Am liebsten möchte sie sich ungestüm von seinem Arm befreien und mit scharfem Wort seine Zärtlichkeit zurückweisen, aber ein seltsames Gefühl der Unsicherheit schnürt ihr plötzlich die Kehle zusammen.

Nur keinen Eklat machen! Manfred ist in seiner Erregung unberechenbar und würde sich nicht scheuen, womöglich vor allen Menschen eine Szene zu machen.

Auch hat sie ihm ja ehemals ein Recht zu solcher Sprache gegeben, – leider! – Was gäb' sie darum, könnte sie jene Stunden leidenschaftlicher Erregung aus ihrer und seiner Erinnerung löschen!

Daß es geschehen muß, weiß sie. Warum noch eine Aussprache hinauszögern, welche früher oder später doch erfolgen muß!

Wenn es möglich ist, daß sie im Guten scheiden, wäre es ihr am liebsten, versuchen will sie es auf jeden Fall.

Sie schreitet plötzlich schneller aus und sagt leise:

»Gut! – laß uns ungestört ein paar Augenblicke sprechen, ich habe dir recht wichtige Dinge mitzuteilen. Dort steht eine Bank in den Gebüschen, da werden wir unbemerkt sein!«

Er preßt ihren Arm heißer an sich. »Ja – dort!« flüstert er, »da ist so tiefer Schatten. Dahin lockt es jetzt wohl niemand, wie nur die Liebe allein!«

Ihre Rechte liegt seltsam schwer auf seinem Arm, sie erwidert den Druck seiner Hand nicht, hastig schreitet sie aus, und ihr Blick schweift angstvoll umher, ob auch kein Lauscher in der Nähe sei.

Nein, – einsam – dunkel und still ... wie irre, windzerrissene Akkorde klingt die Musik von dem Goldfischteich herüber.

»Severa!«

Er will sie ungestüm in die Arme schließen, sie weicht zurück und streckt wehrend die Hand aus.

»Ich bitte dich, Manfred, höre mich einen Augenblick ganz ruhig und ganz vernünftig an!«

Seine ausgebreiteten Arme sinken nieder. Er starrt sie momentan verständnislos an, – dann ist's, als gehe plötzlich ein leises Erbeben durch seine Glieder.

»Sprich! Vertraue mir alles, Severa ...«

Sie wirft sich voll nervöser Hast auf die Bank nieder, wie Marmor leuchtet ihr Antlitz aus dem dunklen Schatten hervor.

»Laß mich kurz sein, – dir und mir zuliebe. Nicht wahr, du kennst mich, Manfred, kennst mich sehr genau?«

»Ich hoffe, daß mich mein Glaube an deine Tugend und Seelengröße nie getäuscht hat!« sagt er leise und stützt sich harrend auf die Lehne.

Sie überhört seine Worte, ihre Finger zerwühlen die Blumen auf ihrem Schoß.

»Ich habe stets eine leidenschaftliche Sehnsucht nach Glanz, Pracht, Ehre und Ansehn gehabt« – sagt sie leichthin, »und als ich die letzten Tage am Hof ein Leben kennen lernte, wie es mir meine heiße Phantasie seit Jahren gleich einer Fata Morgana vorgaukelte, habe ich die Überzeugung gewonnen, daß ich nur in Verhältnissen, wie sie in der reichen, vornehmen Welt herrschen, glücklich sein kann!«

»Severa!« – wie ein halb erstickter Aufschrei ringt es sich von seinen Lippen –, »vergiß nicht, daß die Fata Morgana ein Trugbild ist!!«

Sie schüttelt ungeduldig den Kopf. »Nur für den, welcher sie in den Wolken schaut, – wenn man sie und ihre Herrlichkeit aber erreicht, wird sie zur Wirklichkeit. – Aber genug der poetischen Phrasen. Ich bin arm, – du bist es ebenfalls, und wo sich nichts mit nichts verbindet, bleibt die Summe immer klein, – für meine Ansprüche reicht sie keinesfalls mehr aus. Es würde ein Wahnsinn, ein Unglück für dich und mich sein, wenn wir bei meiner Veranlagung auf ein Nichts hin heiraten wollten –!«

»Aber Severa ... ich verdiene ja jetzt!«

Sie zuckt ironisch die Achseln.

»Wieviel denn! – Zu Brot und Salz reicht es wohl, aber nicht für all das, was ich von dem Leben fordere und verlange!«

»Wenn du Luxus, Prunk, Wohlleben – Verschwendung verlangst – dann reicht es allerdings nicht!«

Seine Stimme klingt plötzlich fest, voll stolzer Energie richtet er sich zu seiner vollen Höhe empor.

Sie lehnt sich zurück, die Rosenblätter rieseln zur Erde und werden zertreten.

»Ja, all dies, was du da aufzählst, verlange ich vom Leben!« sagt sie hart und kalt.

»Ich werde es dir nie und nimmer bieten!«

»Das wußte ich, und darum ist es besser, sich über die Zukunft klar zu werden, ehe es zu spät ist, sich nicht die Hände zu binden in dem Gedanken, daß man unerträgliche Fesseln dadurch tragen muß ...«

»So möchtest du unser Verlöbnis lösen, Severa?« – Seine Stimme zittert ganz leise – sie hört es wohl nicht.

»Es ist besser so, Manfred! – Glaub es mir, zu deinem und meinem Heil muß es sein!« sie faßt nach seiner Hand und neigt sich näher, sie flüstert wie bittend zu ihm auf: »Es wäre ja Sünde, wollte ich dich täuschen und belügen, jetzt noch, wo ich es weiß, daß ich an deiner Seite nie glücklich werden kann! – Zürne mir nicht deswegen, du Guter! laß meiner Eigenart Gerechtigkeit widerfahren und gönne mir den hellen Sonnenglanz, welcher nun einmal einzig und allein mein Lebenselement ist!«

Er weicht zurück von ihr und löst seine Hand aus der ihren.

»Wie denkst du dir deine Zukunft? Willst du bei Hofe bleiben? – als was?«

Sie legt momentan die Hand über die Augen.

»Ich will heiraten, Manfred ... ich habe mich heute abend verlobt.«

Er taumelt zurück, als habe ihn ein Schlag getroffen.

»Verlobt!!«

»Warum es verschweigen? Du mußt es ja doch erfahren!«

»Gewiß. – Und wer ... wer ist der Glückliche?«

Sie blickt jäh auf.

Spottet er? Welch seltsamer Klang in seiner Stimme!

Langsam erhebt sie sich.

»Der Kammerherr von Tempelburg hat um mich geworben und mein Jawort erhalten.«

»Tempelburg! – Hut ab vor deinem guten Geschmack, – er ist wohl die reichste Partie im Land!«

Severa streckt dem Sprecher die Hände entgegen. »Manfred! Warum diese Bitterkeit! Gönne mir doch solch ein großes Glück ...«

Da lacht er auf, leise und heiser.

»Solch ein großes Glück!! – ja, dies Glück gönne ich dir, Severa! Möchtest du es zeitlebens als Glück erachten, eine reiche Frau zu sein! – Wenn ich dir dies wünsche, so genügt es dir wohl. Und nun möchte ich dich zurückführen, ehe dein Verlobter dich vermißt, es ist so kurz, unser armseliges Menschenleben, und man muß jede Minute eines großen Glückes auskosten, so lange, wie es uns noch als ein solches erscheint!«

Sie hat die Hände schlaff sinken lassen.

Einen Augenblick ist es ihr, als krampfe ihr Herz sich zusammen in wildem, leidenschaftlichem Weh.

Wie der Sehnsuchtsschrei verratener Liebe hallt es durch ihre Seele.

Wie eine jähe, furchtbare Angst vor einer Zukunft, welche alles hat und bietet, – nur das eine nicht, – den Frieden.

Wie eine momentane Schwäche überkam sie dies törichte Gefühl.

Es ist schnell überwunden.

Hoch und stolz richtet sie sich auf.

»Du scheinst als rechter Egoist nur deine Ansicht von hausbackenem Eheglück für richtig zu halten und spottest über ein Los, welches ich gewiß zeitlebens preisen werde! Immerhin! Gerade hierin zeigt es sich noch zum letztenmal, wie grundverschieden wir sind, und welch ein Wahnsinn es gewesen wäre, hätten wir uns von einer Sentimentalität hinreißen lassen, unsere Hände und Herzen ewig zu binden. Leb wohl, Manfred! Ich werde deiner stets voll herzlicher Freundschaft gedenken und hoffe, daß auch du diese ernste Stunde bald vergißt und so wie ehemals mein guter Kamerad bist! – Auf Wiedersehn!« –

Sie nickt ihm noch einmal flüchtig zu und eilt, ohne auf ihn zu warten, die kleine Strecke Wegs nach der Promenade zurück, hochaufatmend, daß diese unerquicklichen Auseinandersetzungen glücklich überstanden sind!

Flöten und Geigen jubeln ihr einen übermütigen Willkommen, und die bunten, strahlenden Bilder genießender Lebenslust drängen sich zwischen sie und die Erinnerung an jenes blasse, starre Männerantlitz, dessen Blick ihr in die Seele brannte.

* * *

Manfred Hoff wollte Severa folgen, um sie voll ritterlicher Pflichttreue zu dem zurückzuführen, welcher durch sein Geld und seine Stellung ihre Augen geblendet und sie ihm und seinem armen, verratenen Herzen für ewige Zeit entfremdet hatte!

Aber die schlanke Gestalt schritt so stolz und, sicher, so hastig und selbstbewußt ihm voraus, daß es ihm überflüssig deuchte, sie noch länger durch seine Gegenwart zu belästigen.

Er blieb stehen und schaute ihr mit erloschenem Blick nach, wie sie sich weiter und immer weiter von ihm entfernte, ohne auch nur einmal noch das Haupt zu wenden, wie die Schatten der Nacht sich zwischen sie beide drängten, gleich einem Abgrund, welchen weder Zeit noch Reue jemals überbrücken können! Wie weh tat ihm das Herz!

Wie brannte die Wunde so heiß, welche die Treulosigkeit ihm geschlagen, wie sank es so kläglich zusammen, das Bild strahlender Schönheit, an dem sich seine Künstlerseele so oft berauscht hatte!

Ja, das Auge des Malers hatte in Severa sein Ideal gefunden!

Voll unaussprechlichen Entzückens hatte er ihr wundervolles Antlitz auf die Leinwand gezaubert, und als der rote Mund ihm von Tag zu Tag hingebender zulächelte, als die dunklen Augen so deutlich ein Empfinden spiegelten, welches mehr und mehr von ihrem Herzen Besitz ergriff, – die Liebe! da hatte er gewähnt, die Begriffe »schön und gut« seien in diesem anmutigen Körper voll und ganz verschmolzen!

Ihre Vorliebe für alles Glänzende und Hohe deuchte ihm nur die besondere Äußerung eines Schönheitssinnes, welcher ihr ebenso künstlerisch wie ihm selber die Brust durchglühte, er wähnte, daß es natürlich sei, wenn das Weib seinen Idealismus an Äußerlichkeiten bewähren wolle, und wenn die Rätin oft über den Hang zu Luxus und Eleganz bei der Tochter schalt, so hatte er ihr lächelnd gesagt: »Just diese beiden Begriffe sind die Träger der Schönheit! Wie soll sich der gute Geschmack besser äußern, als in der Vorliebe für Dinge, welche heutzutage mehr Kunstwerke wie Notwendigkeiten sind. Ein schönes Kleid wirkt auf das Auge kunstsinniger Menschen wie Poesie, eine geniale Zimmereinrichtung, welche sich womöglich aus gediegensten Kostbarkeiten und Meisterstücken zusammensetzt, ist wie verkörperte Genialität. – Menschen, welchen es versagt ist, persönlich eine Kunst zu üben, haben oft das Bedürfnis, ihr Interesse dafür zu betätigen, indem sie bereits Geschaffenes verwerten und in eigenartiger Weise zusammenstellen! Darin sehe ich keinen Fehler, im Gegenteil, ich bin der Überzeugung, daß die sogenannte Putzsucht bei Frauen sehr oft, ja meistens, einem Schönheitssinn entspringt, welcher sich voll Leidenschaftlichkeit äußern will und keinen andern Boden für seine Tätigkeit findet!«

Ja, dies war seine Überzeugung gewesen und ist es im großen ganzen noch jetzt, nur der eine grausame Irrtum ist ihm klar geworden, daß der Schönheitssinn gar leicht ausarten kann, daß Hoffart und Genußsucht ihn zu ihrem Werkzeug machen und ein häßliches, sündhaftes Zerrbild aus ihm gestalten können!

Nicht um ihrer Ideale, nicht um der Schönheit selbst willen dürstet Severa nach Geld und Gut, Namen und Stellung, sondern um diese Götzen in den Dienst der Eitelkeit zu zwingen, einer kalten, herzlosen Eitelkeit, welcher nur das Herrlichste gut genug deucht, den Rahmen für das vergötterte »Ich« zu liefern!

Manfred kennt Herrn von Tempelburg nicht persönlich, aber er sah seine hagere, kleine Gestalt, sein Gesicht mit den müden Augen und dem blasierten Ausdruck grenzenloser Gleichgültigkeit schon oft, und einmal, in dem Kirchenkonzert, als er voll Entzücken in das begeisterte Antlitz der jungen Kronprinzessin geschaut und hinter ihr das gelangweilte Gesicht Tempelburgs auftauchen sah, da durchfuhr ihn der Gedanke: »welch eine Öde, welch ein geistiger Tod liegt auf diesen Zügen!«

Nachteiliges hat er nicht von ihm gehört, im Gegenteil, man sagt ihm eine gewisse Solidität nach, eine vornehme Reserve, welche nie aus sich heraus geht, – langweilig, langweilig sogar in seiner Tugend!

Es gibt Menschen, welche beim besten Willen nicht sündigen können, weil ihnen das Temperament dazu fehlt, Menschen, denen das »gut sein« keinen Kampf kostet, welche stets und immer korrekt sind, weil sie mit diesem Begriff verwachsen sind, weil die heiße, lockende, farbenschillernde Phantasie fehlt, welche den breiten Weg so viel tausendmal begehrenswerter ausmalt, wie den schmalen!

Tempelburg ist ehemals gewiß ein braves, sittsames, wohlerzogenes Musterkind gewesen, er war auch ein guter Ehemann, welcher schweigend und resigniert trug, was er nicht ändern konnte, er wird auch in den Händen seiner zweiten, blendend schönen Gemahlin das willenlose Wachs sein, welches sie mit unbarmherzigen Händen kneten wird, – just in die Form, welche ihr zusagt! Und für diesen Freier opferte sie ihre heiße, junge, süße Liebe – all das morgenschöne Glück, welches ihm vor so kurzer Zeit noch aus ihren Augen entgegengelacht!

Wenn Manfred zurückdenkt an den stillen, klaren Mondscheinabend, wo er sie küssend im Arm gehalten, wo es ihm schien, als jauchze und klinge das ganze Weltall von den Harfen der Cherubim – wenn er an dies berauschende Glück zurückdenkt, ist's ihm, als könne er diese Todesnacht bitterster Verlassenheit gar nicht ertragen. Wie ein Aufstöhnen unaussprechlicher Qual ringt es sich von. seinen Lippen, er sinkt auf die Bank nieder wie ein Sterbender und preßt das Antlitz auf den Arm.

Er hat sie zu lieb gehabt – zu lieb.

Leise Schritte klingen auf dem Weg – Manfred hört sie nicht.

Zwei Damen nahen schweigend, Arm in Arm. Die ältere blickt traumverloren zu dem Mond empor, welcher in dichten Silberwolken über der blütenduftigen Welt schwebt, – die jüngere aber, zierlich und schlank noch wie ein halbes Kind anzuschauen, hat einen schnellen Blick nach der Bank unter dem Flieder geworfen und schrickt leicht zusammen.

»O Miß Maud ... da ist ein Herr niedergesunken, er scheint krank zu sein!« flüstert sie in englischer Sprache.

Die Angeredete wendet hastig den Kopf.

»In der Tat ... er scheint erkrankt ... kommen Sie schnell, liebste Ethel, und lassen Sie uns Hilfe holen!«

»Das währt vielleicht zu lange ... sein Kopf ist so tief gesunken ... lassen Sie uns den Armen erst aufrichten!«

» O no! no ... liebste Ethel ...«

Aber das junge Mädchen scheint plötzlich alle Scheu überwunden zu haben, nur warme Teilnahme, innigste Nächstenliebe und Sorge strahlt aus den großen Blauaugen.

Mit schnellem Schritt steht sie neben Manfred, neigt sich barmherzig nieder und berührt leicht seine Schulter.

»Sind Sie krank? – kann ich Ihnen helfen?« fragt sie mit süßer Kinderstimme.

Der junge Maler schrickt aus seiner Lage auf und starrt in das schmale Gesichtchen, welches von dem Mondlicht verklärt, als leuchte ein Heiligenschein um die junge Stirn, sich zu ihm niederbeugt.

Er springt aufs höchste verwirrt und betroffen empor.

»O mein gnädiges Fräulein ...« stammelt er, und trotz der Schatten, welche auf sein Gesicht fallen, sieht man, daß es heiß erglüht.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen? – Darf ich Ihnen Wasser oder eine Limonade holen?« fährt die kindliche Samariterin mit der weichen, so unaussprechlich freundlichen Stimme fort: »Sagen Sie es nur bitte ... ich tue es ja so gern!«

Manfred starrt sie an, wie eine Vision.

»Wie sehr gütig sind Sie, mein gnädiges Fräulein,« murmelt er, ohne recht zu wissen, was er sagt, »es war eine momentane Schwäche – sie geht bereits vorüber.«

»Dann wäre wohl Wein besser? – Nicht wahr, liebe Miß Maud, bei Schwächeanfällen muß man Wein reichen?«

Wie wichtig und ernst das von den zartrosa Lippen klingt!

Manfred streicht schwer atmend über die Stirn und wähnt, daß er träume.

Die ältere Dame ist herangetreten, etwas befangen und erschreckt.

»Verzeihen Sie, mein Herr, wenn meine kleine Schutzbefohlene störte ... ihre große Hilfsbereitheit – sie kann nicht vorübergehn, wenn sie glaubt, einen Leidenden zu sehn! Und Sie haben in der Tat eine Schwäche gehabt! – o ich gehe sogleich nach der Osteria und besorge Ihnen ein Glas Sekt! – Sie begleiten mich, liebe Ethel ...«

Manfred ist aus seiner Betäubung erwacht, er hebt jählings abwehrend die Hand.

»Um keinen Preis, meine Damen – ich küsse dankbarst die freundlichen Hände! Ich habe heute zu viel gearbeitet ... wollte gern noch ein Porträt skizzieren und doch auch der gnädigen Einladung der Frau Kronprinzessin folgen, meinen »Studienkopf« noch einmal als lebendes Gemälde zu sehen!«

Er weiß selber nicht, was er in seiner Verwirrung sagt, erst ein leiser Ausruf der Freude macht ihn auf seine eigenen Worte aufmerksam.

»Der Studienkopf! Sie sind der Maler des Studienkopfes?« ruft Fräulein Ethel entzückt, und auch Miß Maud hebt überrascht den Kopf und wiederholt: »Des Studienkopfes? – o wie sehr interessant ist das! wie freut es mich, Ihnen noch persönlich danken zu können für das wundervolle Bild, welches uns so sehr hat begeistert in Nationalgalerie!« – Man hört der Sprecherin an, daß sie Engländerin ist, und Manfred verneigt sich, noch immer etwas fassungslos, und nennt, sich vorstellend, seinen Namen. »Dieses freundliche Lob wirkt belebender auf mich, wie aller Sekt!« sagt er mit einer Stimme, welche aufrichtigste Dankbarkeit durchbebt. »Die Damen waren so außerordentlich gütig, für mich sorgen zu wollen, darf ich als schwachen Beweis meiner Dankbarkeit dafür meine Dienste zur Verfügung stellen und Sie nach dem Pavillon zurückgeleiten? – Der Mond versteckt sich und die Wolken, welche der Wind plötzlich heraufjagt, scheinen mir bedrohlich!«

»O ... Sie haben recht ... und so ganz ohne Schirm! Wie geht man den nächsten Weg zu dem Pavillon?«

»Ich bitte um die Erlaubnis, Sie führen zu dürfen!«

Manfred trat an Ethels Seite und hob den Arm, als könne er dem Windstoß wehren, welcher daherfuhr und ihr weißes Kleid zauste. »Hier dieser Seitenweg führt uns am schnellsten zum Ziel!«

»Es wäre gut gewesen, wir blieben zu Hause,« klagte die Engländerin. »Solch ein Trubel ist nicht nach unserm Sinn! Aber der Herr Baron wollte es durchaus, – wir sollten aus ganz besonderem Grund die lebenden Bilder sehen, und weil Ethel immer so viel den Studienkopf in der Galerie angesehen, so machte es ihr Freude, ihn lebendig zu schauen!«

Manfred blickte zu seiner kleinen Samariterin nieder.

Hier, wo die einzelnen elektrischen Flammen wieder aufblitzten und taghell beleuchteten, konnte er sie erst genau erkennen.

Eine sehr schlanke, noch etwas eckige Kinderfigur, hoch aufgeschossen, schritt an seiner Seite, und der zierliche Hals trug ein Köpfchen, welches gewiß nicht die Blicke der Vorübergehenden auf sich zog und dennoch das Auge des Malers in hohem Grade fesselte.

Wenn die Tugenden verkörpert auf der Erde wandeln, so schritt in diesem Augenblick die Herzensgüte und Barmherzigkeit neben ihm, denn das weiche, zarte Gesichtchen mit den großen, seelenvollen Blauaugen schien ein aufgeschlagenes Buch, in welchem nur Taten der Liebe und Selbstverleugnung geschrieben standen.

Das blonde Haar legte sich in natürlichen Wellen in die Stirn, und der Mund sah aus, als könne ihn nie ein böses, hartes Wort entweihen, als sei er nur geschaffen, mit weichen Lippen zu trösten, zu loben und zu beten.

Welch ein wundersames Wesen! Mehr Kind noch wie Jungfrau, mehr eine kleine Heilige wie eine Tochter jener fröhlichen Genußmenschen, welche sich heute ein Stelldichein hier gaben.

»Und Sie haben den Studienkopf gemalt?« fragte Ethel noch einmal, die Augen furchtlos zu ihrem Begleiter aufschlagend. »Das war ein herrlicher Gedanke! Man stritt damals vor dem Bild, ob es eine gefesselte Sklavin oder eine Märtyrerin aus der Zeit der Christenverfolgung vorstellen solle, und darüber habe ich auch viel nachgedacht ...«

»Und zu welchem Resultat kamen Sie?« Er fragte es lächelnd, – er konnte wieder lächeln nach jener Stunde im Park, wo er glaubte, sein ganzes Dasein sei von der Wucht jenes grausamen Schicksalsschlages zerschmettert.

»Anfänglich glaubte ich auch an eine Märtyrerin,« antwortete Ethel sehr offen und unbefangen, »denn diese Annahme war mir die liebste. Aus dem gemalten Gesicht konnte man viel herauslesen, was man gern sehen wollte und was sympathisch war! Aber heute, das lebende Porträt hat meine Ansicht geändert, nicht wahr, Miß Maud? Jetzt glaube ich mehr an die Sklavin!«

Manfred neigte sich beinah betroffen vor. »O bitte, motivieren Sie diese Änderung Ihrer Ansicht!«

Ethel schaute nachdenklich geradeaus. »Das ist dem Künstler gegenüber eigentlich ungebührlich, aber Sie werden mir nicht zürnen, wenn ich Verkehrtes denke, – ich bin so unbewandert darin. Als ich heute das lebende Gemälde sah, fiel mir auf, daß dessen Ausdruck doch nicht der ist, welchen ich bei einer Märtyrerin voraussetzen würde.«

»Inwiefern nicht?«

»Die Augen haben im Leben etwas so Düsteres, leidenschaftlich Blitzendes, daß man doch unwillkürlich mehr an eine stolze, heißblütige Sklavin denkt, welche unwürdige Ketten trägt und darum mit den Zähnen knirscht, oder verzweifelt. – Eine Christin, welche für ihren Glauben stirbt, schaut sicher ganz anders drein!«

»Sehr richtig!« nickte Miß Maud.

»Sie vermissen den frommen Glauben, die tiefe, gottergebene Seele in dem Blick?«

»Ja. – Sie sprechen die Worte aus, nach welchen ich suchte. Eine Märtyrerin muß vor allen Dingen den Begriff der Treue verkörpern, – einer Treue bis in den Tod, – aber den habe ich vergeblich in Augen und Miene der Darstellerin gesucht.«

Das klang so schlicht und kindlich, und dennoch zuckte Manfreds Herz auf, als habe man eine Todeswunde berührt.

»Wie wunderbar tief haben Sie geschaut!« murmelte er schwer atmend. »Die Treue! ja die! just die fehlte in den schönen Augen.«

»Nicht wahr? und weil das Bild durch seinen Anblick nicht fromm stimmte, sondern nur durch seine Schönheit fesselte, so entschieden wir uns nun auch für die Sklavin. – Diese ist ganz herrlich! wundervoll ... und doch ...«

»Nun? und doch?« – Wie im Traum starrte er in das süße, treuherzige Gesichtchen, welches mit beinah flehendem Blick zu ihm aufschaute.

»Und doch möchte ich noch viel lieber eine Märtyrerin von Ihnen gemalt sehen! Sie würden es können, gewiß noch schöner wie den Studienkopf, Herr Hoff, tuen Sie es nicht?«

»Wenn ich Sie als die verkörperte Treue und Frömmigkeit malen dürfte, mein gnädiges Fräulein, würde es ein Meisterstück werden!«

Sie ward blutrot. »O scherzen Sie nicht, es ist mir so ernst damit!«

»Und mir nicht minder.« Einen Augenblick schauten sie sich fest und tief in die Augen Und abermals stieg es heiß in Ethels Wangen empor.

Jetzt erst, hier im hellen Licht sah sie sein Antlitz deutlich. – Wie gefiel er ihr so gut! – So kann nie ein böser Mensch, ein Schlechter, ein Spötter aussehen.

Sie lächelt wie ein Kind zu ihm auf. Miß Maud aber reicht ihm freundlich die Hand. »Wir sind an Ort und Stelle, haben Sie Dank für Ihr Geleit, wir gehen nun nach dem Wagen. Es freut mich, daß Sie wieder ganz wohl sind, – Sie sehen nicht mehr krank aus.«

»Gute Nacht, mein gnädiges Fräulein! Ich schulde Dank!«

»Gute Nacht! bleiben Sie gesund!« Noch ein lächelnder Gruß, dann steht er allein.


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