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Als die Musik schweigt, Kronprinzessin Ingeborg mit sehr gnädigem Lächeln und Grüßen die Reitbahn verläßt, um ihren Wagen zu besteigen, wenden sich auch die anderen Herrschaften zum Gehen.
Man steht noch eine kleine Weile vor dem Marstall im goldenen Sonnenschein und verabschiedet sich.
Fräulein Hoff ist wieder der Magnet, welcher die Herrenwelt an sich fesselt, sie ist umlagert wie ihr Bild im Lichtsaale des Nationalmuseums, und wenn sie auch nicht im mindesten kokett ist, was von den Damen scharf beobachtet wird, so hat sie doch eine gewisse Art und Weise, welche fesselt.
Tempelburg sieht es voll immer steigender Unruhe, wie allgemein ihre feurige Schönheit entzückt, er hört die Worte begeisterter Anerkennung, welche man sich zuraunt.
Die junge Dame ist die »Frühjahrsmode« der Residenz geworden, und nicht wenig hat dazu die auffällige Bevorzugung beigetragen, welche ihr von seiten Ihrer Königlichen Hoheit wird.
Tempelburg befindet sich in einer quälenden Stimmung.
All seine Anschauungen über eine standesgemäße, einzig richtige und vernünftige Ehe, welche ihm seit langen Jahren zur Überzeugung geworden, kämpfen gegen eine Leidenschaft, welche so plötzlich in ihm erwacht und von Stunde zu Stunde mächtiger wird, – lehnen sich auf gegen die drängenden Verhältnisse, welche ihm über den Kopf zu wachsen drohen.
Wo ist all seine Kaltblütigkeit geblieben?
Ist es möglich, daß die Liebe ihn, den alternden Mann noch einmal blind und taub macht wie einen Jüngling?
Ist es auch wirklich Liebe – oder nur ein flüchtiger Sinnesrausch, welcher sich an der Schönheit entzündet, oder ist es die Eitelkeit, welche allein triumphieren und besitzen will, was alle begehren?
Der Kammerherr weiß es nicht mehr, jedes klare Denken ist in den Hintergrund gedrängt, und seitdem ihm die Kronprinzessin mit klaren Worten gesagt, daß eine Heirat mit Fräulein Hoff nur in wohlwollendster Weise bei Hofe aufgenommen werden wird, sind seine ernstesten Skrupel beseitigt.
Die warme Sonne, das Knospen, Blühen, Duften und Jubilieren in den Zweigen hat es ihm angetan!
Auch in seinem Herzen wird es noch einmal Frühling und all die guten Vorsätze, welche aus glitzernden Eiskristallen darin aufgebaut waren, schmelzen dahin unter den Blicken von zwei dunkeln Augen, welche heißer glühen als alle Sonnen am Firmament!
Tempelburg steht neben Gräfin Herdern.
»Ich habe versäumt, mir den Wagen zu bestellen, Komtesse!« sagt er, sich bemühend, so ruhig wie möglich zu erscheinen, »ich wollte eigentlich bei dem schönen Wetter zu Fuße nach Hause gehen. Nun fällt mir soeben ein, daß ich dem Oberforstmeister im Wildpark draußen noch mitteilen muß, daß seine Kinder ihr allerliebstes Porträt doch wohl stellen sollen, – man muß es wenigstens proben, um eine Abwechslung schaffen zu können, falls sie nötig wird! – Sie haben noch sehr lange Zeit, Gräfin, – Dienst ist Ihnen nicht angesetzt, da Exzellenz Kramer die Frau Kronprinzessin nach dem Diakonissenhaus begleiten wird, – haben Sie die große Güte, mich nach dem Wildpark zu fahren! In einer Stunde sind wir reichlich zurück!«
Die Hofdame nickt sehr freundlich. »Nichts lieber wie das, Herr von Tempelburg! Wir beabsichtigten sowieso noch eine Spazierfahrt zu machen, damit Fräulein Hoff die herrliche Umgebung der Stadt kennen lernt. Die Richtung ist dabei ganz gleichgültig – also nehmen wir Kurs auf den Wildpark!«
»So darf ich den Wagen heranwinken?«
»Bitte! – Fräulein Hoff wird aufatmen, wenn sie, die ›eingekeilt in fürchterlicher Enge‹, von dem Heer ihrer Belagerer erlöst wird!«
Gräfin Frieda lacht sehr heiter und amüsiert sich schon im voraus, der Kronprinzessin von den Erfolgen des »Studienkopfes« berichten zu können, der Kammerherr aber ist noch nie so eilig gewesen wie jetzt, als er nach den Equipagen schreitet und dem Lakaien ein ungeduldiges Zeichen gibt.
Die Rappen schäumen ins Gebiß und nach lebhaftem Abschied steigen die Damen ein, – Severas Auge blitzt auf, als der Kammerherr ebenfalls den Wagen besteigt.
Sie ist amüsanter, liebenswürdiger wie je und Tempelburg wird nicht müde, ihr reizendes Antlitz in seiner nachdenklichen Weise anzuschauen.
Stolz, siegestrunken schweift Severas Blick über die Menschenmenge, welche die Straßen belebt und die Hofequipage anstarrt.
So wollte sie es haben! So liebt sie es! Nur noch die berauschende Gewißheit, daß die Equipage ihr Eigentum und sie die Trägerin einer Adelskrone ist, dann hat sie ihr blendendes Ziel erreicht!
Ein Herr tritt aus der Parkanlage, bleibt stehen und schaut scharf herüber.
Ein strahlendes Lächeln geht über sein Gesicht, er faßt den Hut und winkt einen Gruß.
Wie ein Schatten fliegt es über Severas heiteres Gesicht.
Sie neigt sich zu der Hofdame und spricht sehr lebhaft auf sie ein, – sie sieht weder den Herrn noch seinen Gruß, – sie hat keinen Dank für den letzteren.
Wie entsetzlich unangenehm, wenn Manfred eine Annäherung fände, wenn er sich womöglich noch hindernd auf ihre Siegesbahn drängte!
Nur das nicht!
Wenn sie erst Frau von Tempelburg ist, wird und muß der Verkehr mit ihrer Verwandtschaft möglichst eingeschränkt werden, denn es ist nicht angenehm, immer wieder an eine Vergangenheit erinnert zu werden, welche so. demütigend war.
Ist Manfred erst berühmt, erreicht er, der wunderliche Schwärmer, einmal mehr wie ein Herz und eine Hütte, welche er sich zum Inbegriff seiner Zukunft gemacht, so kann man die jetzige Vergeßlichkeit leicht wieder gut machen und den vielgenannten Künstler heranziehen! Aber vorläufig erst abwarten! Der Erfolg des »Studienkopfs« war lediglich die Schönheit des Modells, – entbehrt der Maler ein solches für die Zukunft, wer weiß, ob er je den Flug zur Sonne macht!
Wie viele Beispiele gibt es, daß Künstler nur ein gutes Werk geschaffen, welches Zeit ihres Lebens auch das einzige blieb.
Herr von Tempelburg zieht das Taschentuch, um sein Monokel abzureiben, – ein kleiner Maiglockenstrauß fällt aus der Brusttasche. Sorgsam birgt er ihn wieder und sein Blick trifft Severa.
Sie hat es gesehen und sieht in ihrer reizenden Verwirrung bezaubernd aus.
Zum erstenmal lächelt er sie etwas kühner an. Im Sonnenschein sieht man erst, daß sein farbloses Gesicht doch recht verlebt aussieht.
Der verliebte Blick unter den dicken, müden Augenlidern hat durchaus nichts Betörendes und Severa findet ihren zukünftigen Gatten noch häßlicher wie zuvor.
Was tut's?
Manfreds edle Schönheit war arm, – Tempelburgs uninteressante Häßlichkeit aber trägt einen goldenen Glorienschein, – und Gold und Ansehen sind es allein, welche sie begehrt!
* * *
Man ist lange spazieren gefahren, der Kammerherr schlug noch dies und jenes, vor, was zu sehen sei, und als man an einer herrlichen Villa, in elegantestem Park gelegen, vorüberfuhr, sah Tempelburg die junge Dame mit bedeutsamem Blick an und hob die Hand in dem duftenden Juchtenhandschuh. – »Dies ist mein Heim, gnädiges Fräulein!«
»O wie wunderschön!« rief Severa begeistert und ihr Blick blitzte über die Pracht dahin. »Das ist ja ein wahres Märchen!«
»Es ist das stille, einsame Haus eines Witwers!« sagte der Kammerherr leise, wie seufzend, und sein Auge suchte beinahe flehend das ihre.
»Ja, viel zu lange schon ist es so öd' und einsam!« lächelte Gräfin Herdern mit einem neckenden Achselzucken. »Und wer trägt daran einzig und allein die Schuld? – Nun, ich denke, der Mai, welcher alles neu macht, streut seine Rosen auch über dieses schöne Erdenfleckchen!«
» Home – sweet home!« lächelt Tempelburg und seine Hand legt sich wie zufällig auf die Brusttasche, in welcher Severas Strauß verborgen ruht. »Ich hoffe, daß die Zeit der Maienblumen auch mir und jenem Haus das Lenzesglück wiederbringt!«
Das war sehr deutlich gesagt.
Die Hofdame mustert voll Interesse die Passanten und hält den Schirm sehr tief, Severas Blick aber trifft voll berückenden Ausdruckes das Antlitz des Sprechers, ehe sie die Augen errötend niederschlägt.
* * *
Wieder hat eine Probe stattgefunden, und diesmal hat der Kammerherr die reizende Gastin der Kronprinzessin schon an der Türe empfangen und ist kaum von ihrer Seite gewichen.
Die hohe Frau flüsterte mit ihrer Hofdame und beide waren den ganzen Abend über in auffallend guter Laune.
Leon Ferrari stellte die Bilder meisterlich, und auf die heimliche Bitte der Gräfin Herdern hatte er es so arrangiert, daß der Vorhang, als er zum drittenmal emporschwebte, nur zwei Gemälde auf der Wand des Lichtsaales zeigte. Das der Frau Kronprinzessin im vollen, funkelnden Fürstenschmuck ihres Brautbildes und neben ihr das schlichte, so wunderbar ergreifende des Studienkopses.
Die Wirkung war eine ganz ungeheuere.
In den beiden »echten« Rahmen standen die schönen Originale, vorzüglich beleuchtet und aus das getreuste wiedergegeben.
Prinzessin Ingeborg in traumhaft süßer, weicher Lieblichkeit, die brillantglitzernde Fee aus dem Märchen, das Krönchen auf dem Scheitel, umrankt von blühenden Orangenzweigen, – die lachenden Veilchenaugen auf das Publikum gerichtet mit dem Ausdruck eines seligen Kindes: »Habt mich lieb und jubelt mir zu! Ich freue mich ja so sehr darüber!«
Und neben ihr das düstere Haupt der jungen Sklavin, überflackert von Fackellicht, blutrot beleuchtet die Ketten, mit welchen sie gegen die feuchte Mauer geschmiedet ist! – In den nachtdunkeln Augen lodert ein Blick wilder Verzweiflung, daß die Zuschauer frösteln. Wahrlich, ein zündenderer Kontrast konnte kaum gedacht, geschweige gefunden werden!
Schon in der Generalprobe ist die Begeisterung eine noch nie dagewesene!
Man vergißt alle Zurückhaltung, man jubelt, applaudiert, man gibt sich der Begeisterung rückhaltlos hin!
Mit verschränkten Armen steht der Kronprinz und schaut auf die Bühne.
Sein Blick hat den »Studienkopf« einen Moment scharf gemustert, mehr forschend und kritisch als bewundernd, dann weilt er aufstrahlend auf Prinzessin Ingeborgs Köpfchen und voll Entzücken nickt er ihr zu.
Während alle Anwesenden in stürmischer Erregung ihrem Empfinden Worte leihen, und der Streit um die Palme des Sieges völlig unentschieden hin und her wogt, steht er schweigend und lächelt nur seltsam vor sich hin, erst später, als die Prinzessin mit erhitztem, glückstrahlendem Antlitz vor ihm steht, seinen Arm nimmt und ihn neben sich auf einen Sessel zieht, um von den Anstrengungen auszuruhen, faßt er besorgt ihre Hand und sagt in seiner ernsten, nachdenklichen Weise: »Du strengst dich übermäßig an, Ingeborg! Das lange Stehen taugt dir nicht!«
Sie schüttelt beinahe übermütig das Köpfchen.
»Noch eine Stunde länger, wenn es sein müßte! O, es macht so viel Spaß, Georg, den Beifall zu sehn, den unsere ›Saalwand‹ findet! Wie bist du mit uns zufrieden? Welch ein Urteil sprichst du Fräulein Hoff und mir aus?«
Der hohe Herr hat just wieder die in der Nähe stehende Severa mit schnellem Blick gestreift, er sieht das Blitzen ihrer Augen, das Wogen ihrer Brust unter Atemzügen stolzester Genugtuung.
Mit wunderlichem Ausdruck in den Zügen zuckt er die Achseln.
»Mein Urteil ist in zwei Worten zusammengefaßt!« sagt er leise. »Eure Lichtsaalwand hat mir unendlich viel gezeigt, – den ganzen Himmel und die ganze Hölle!«
Die Prinzessin ist einen Augenblick sprachlos vor Überraschung. »Wie meinst du das?«
Seine Hand drückt die ihre noch wärmer. »Wer in deine blauen, reinen, leuchtenden Augen schaut, Ingeborg, der sieht den Himmel offen!«
Voll Zärtlichkeit lächelt sie ihm zu, dann fliegt wieder ein Schatten über ihr Antlitz.
»Du sprachst aber von Himmel und Hölle! Ist mit letzterer gar Severa gemeint?«
Er nickt schweigend.
»Aber Georg!! Findest du sie etwa nicht schön?«
»Sehr schön, – mehr wie schön, – faszinierend!«
»Nun also? Und trotzdem der schreckliche Vergleich?«
»Sie gefällt mir nicht, Ingeborg!«
»Unbegreiflich! Warum nicht?«
»Das läßt sich nicht sagen, sondern nur empfinden!«
»Schon neulich klangen deine Worte so abfällig. Hast du irgendein Vorurteil?«
»Nicht das mindeste. Ich bin jedoch überzeugt, daß in ihren Augen nie ein Himmel lacht, sondern nur Höllengluten lodern. – Wehe dem Armen, welcher sich an ihnen zu Tode brennt!«
»Du tust ihr unrecht!« schmollt die Prinzessin beinahe traurig. »Lerne sie erst besser kennen! Ich bemerkte nicht eine einzige Untugend an ihr! und sieh nur, wie sehr sie gefeiert und umschwärmt ist!«
»Gewiß! Satanella war stets Herrngeschmack!«
»Du bist bös, Georg! Ich kenne das schon an dir, wer dir auf den ersten Blick mißfällt, hat ein für allemal verspielt! Ich hoffe, du lernst sie noch besser kennen und leistest ihr später im Herzen Abbitte! Jetzt tue mir den Gefallen und sage ihr ein paar anerkennende Worte, sonst verliert der ängstliche Tempelburg womöglich den Mut, das erlösende Wort zu sprechen!«
Die hohe Frau lacht leise und silberhell auf, der Kronprinz aber fragt überrascht: »Tempelburg? Glaubst du, daß er ernste Absichten hat?«
»Ich hoffe es!«
»Du willst deine Protegé durchaus in der Residenz fesseln?«
In der Stimme des Sprechers drückt sich ein gewisses Unbehagen aus, aber er fährt schnell fort: »Nun, als Frau von Tempelburg wäre es mir lieber, wie als deine Gesellschaftsdame! Ist sie hier selbständig, bist du für das Unheil, welches sie möglicherweise anrichtet, nicht verantwortlich!«
»Glaubst du, daß wir Romane erleben?«
»Lyrische keinesfalls! Dazu ist sie zu kalt und herzlos!«
»Georg?! Bei solchen Augen?«
Er zuckt nur, mit eigenartigem Zug um die Lippen, die Achseln.
»Man darf nicht alles für Wahrheit nehmen, was diese Augen sagen! Feuer und Eis haben die Eigentümlichkeit, sich bei einer ersten Berührung täuschend ähnlich zu sehen!«
»Geh! Du bist ein Pessimist! Aber ich bin nicht böse darüber ... so lange du dem Himmel treu bleibst, brauche ich mich nicht um deine Seele zu sorgen, obwohl ich weiß, daß es die Hölle mit ihren Fallstricken am meisten auf die frommen Leute abgesehn hat!«
Sie lacht und amüsiert sich so gut, daß sie es gar nicht bemerkt, wie ernst ihr Gatte aussieht, als er das Haupt abermals nach Fräulein Hoff wendet, deren Auge just mit einem seiner zündendsten Blicke zu ihm herüberblitzt.
* * *
Der Abend des Wohltätigkeitsfestes ist gekommen, mit fiebernden Pulsen hat Severa ihre Toilette beendet.
Es ist ihr zumut wie einer Spielerin, welche ihr alles auf eine einzige Karte setzt und » va banque!« sagt.
Je mehr sie die Erfolge, welche sie feiert, bemerkt, desto ungestümer verlangt sie nach weiteren! Das Glück hat seine goldene Kugel vor ihre Füße geworfen, nun rollt sie glänzend und lockend dahin und Severa streckt die weißen Hände danach aus, sie zu fassen und zu halten.
Heute abend wird eine Entscheidung fallen, das fühlt sie voraus, – nicht wie ein zärtlich liebendes Weib, welches voll banger Sehnsucht des erlösenden Wortes harrt, sondern wie eine Dürstende, welche nur einmal die Lippen netzen will, ehe es im tollen Lauf zur Höhe weiter geht!
Tempelburg hat ihr seine Huldigungen immer deutlicher entgegengebracht.
Er ist zu ihrem Schatten geworden, welcher voll Eifersucht jedes ihrer Worte und ihrer Blicke bewacht.
Heute hat er ihr den köstlichsten Strauß gesandt, welcher wohl je in eines Weibes Hand geduftet. Orangenblüten und kleine Myrtenzweige stehlen sich vielsagend zwischen die Rosen und Orchideen, – und Severa versteht ihre Sprache. Mit einem Blick, in welchem nur hohe Genugtuung brennt, hat sie auf diesen Vorboten kommenden Glücks herabgeschaut.
Glücks?
Wenn sie an das Liebesglück in den Armen dieses Freiers denkt, lacht sie scharf auf, aber sobald ihre Gedanken weiter fliegen, zu dem goldenen Fundament, auf welchem das Haus dieses Mannes steht, glüht es dennoch in den dunkeln Augen wie der ungeduldige Ruf: »Komm bald!«
Wie ist das bunte, lustige, amüsante Leben so schön!
Severa kann es kaum erwarten, bis sie an der Seite der Hofdame in der eleganten Equipage sitzt und neuen Triumphen entgegenfährt.
Wenn sie jetzt zurückdenkt an die grauenhafte Ode und Stille des kleinen Vorortstädtchens, an die trostlose Langeweile, welche ihr dort seit Jahren entgegengähnte, so schaudert sie.
Lieber tot – als noch einmal dort lebendig begraben sein!
Welch ein Leben und Treiben heute in dem sonst so stillen Park.
Wagen und Fußgänger hasten in breiter Masse vorüber.
Das Geheimnis des »Lichtsaales« hat sich in der Residenz herumgesprochen und der Andrang des Publikums nach den horrend teueren Einlaßkarten ist ein verblüffend großer.
Man hat sich bereits entschließen müssen, auch die Plätze der obersten Galerie des Saales, welche den Angehörigen der Darsteller reserviert bleiben sollten, für sehr hohen Preis zu verkaufen.
Nun flutet eine ebenso reiche wie elegante Gesellschaft zusammen, die Creme der obersten Zehntausend, welche sich heute in dem Pavillon ein Rendezvous gibt, um Frau Charitas die geöffneten Hände überreich mit Geld zu füllen.
Das kleine Lustspiel wird launig gespielt und mit verdientem Beifall ausgenommen, aber die Erwartung der Anwesenden konzentriert sich doch nur auf einen Punkt, auf hie lebenden Gemälde des Lichtsaales der Kunstausstellung!
Und der Vorhang rauscht empor, – ein-, zweimal.
Die ersten beiden Wände mit ihren originellen Meisterwerken, zu welchen an der Kasse ein Katalog für viel Geld zu kaufen war, sind mit außerordentlichem Jubel ausgenommen, nun harrt man voll atemloser Spannung des dritten Bildes, welches der Glanzpunkt des ganzen Abends ist.
Und langsam – beinahe feierlich schwebt der Vorhang in die Höhe.
Ein leises, hundertstimmiges »Ah!« höchster Betroffenheit, dann ein totenstilles Staunen, Anstarren – und als der Purpur leise wieder niederrauscht, ein geradezu frenetisch tosender Beifall.
Wie ein Sturmwind braust es durch das Haus, ersterbend, wenn die beiden wundervollen Bilder sich zeigen, und anwachsend zum donnernden Bravo- und Dacaporuf, wenn sie hinter den glitzernden Gazeschleiern verschwinden.
Wieder und wieder müssen sie sich zeigen, bis Prinzessin Ingeborg zurücktritt, sich erschöpft in einen Sessel fallen läßt und mit dem Lächeln strahlendster Zufriedenheit flüstert: »Nun ist es genug! Ich kann nicht mehr!«
Welch ein Erfolg! Man hat viel erwartet, so viel aber nicht.
Das greise Königspaar, welches das Wohltätigkeitsfest durch Höchstseine Anwesenheit beehrte und die Darbietungen mit großem Interesse verfolgte, hat den Wunsch ausgesprochen, Fräulein Hoff kennen zu lernen, und in der Teepause, welche dem eigentlichen Gartenfest vorausging, hatte Kronprinzessin Ingeborg die huldvolle Liebenswürdigkeit, den Majestäten persönlich ihre »Partnerin« zu präsentieren.
So tief sich Severa vor den hohen Herrschaften verneigt hatte, so doppelt hoch wuchs nachher ihre schlanke Gestalt empor, und als sie nach dem kleinen Saal, in welchem sich die Darsteller versammelten, zurückschritt und Tempelburg ihr voll nervös bebender Hast den Arm bot – da wußte sie, daß sie heute an dem Wendepunkt ihres Lebens stand, daß die Höhe, welche sie in traumhaftem Geisterflug erreicht, auch von ihr behauptet werden würde.
Es war ein sehr warmer Frühlingstag gewesen, und die Temperatur in den kleinen Sälen eine beinahe erdrückende.
»Es ist nicht zum aushalten!« rief die Gräfin, welche die junge Witwe in dem Theaterstück gespielt hatte, und dehnte seufzend die Arme, »unter den Tropen kann es nicht molliger sein wie hier! – Ein Fächer allein reicht dafür nicht mehr aus! Ich schlage vor, wir wechseln die Dekoration und begeben uns bereits in den Park hinaus! Die Lampions werden wohl schon angesteckt sein und die Akteurs für die italienische Nacht sind sicher versammelt! Avanti, meine Herrschaften! Sie kommen doch auch mit, Fräulein Hoff?«
Severa atmete tief auf. »Sie sprechen mir aus der Seele, Gräfin! Ein Königreich für ›einen Hauch der frischen Nordlandsluft!‹«
»Bravo! Wo liegt das Königreich, Gnädigste?«
»Sie dürfen es sich auf der Landkarte aussuchen, Herr Baron! – Ganz nach Geschmack, nördlich oder südlich!!«
»Hört, hört! – Ich wähle den heißen Süden, die Heimat aller schönen, gefesselten Sklavinnen!«
»Die Fesseln sind gesprengt! Wir entführen die in Ketten Gelegte in die wonnige Freiheit eines venezianischen Karnevals!«
Tempelburg hatte sich hastig vor Severa verneigt.
»Darf ich um Ihren Arm bitten, mein gnädiges Fräulein? Sie wissen, die Gnade Ihrer Königlichen Hoheit hat mich zu Ihrem Cicerone gemacht!«
»Nehmen Sie sich vor diesem Cicerone in acht, Fräulein Hoff! Er ist Massenmörder in Mädchenherzen!«
»Ja, ja! Familientäuscher!«
»Schämen Sie sich, Graf! Aus Ihnen spricht der Neid!«
Die junge Witwe warf einen etwas koketten Blick nach dem Kammerherrn und trällerte leise:
»Plaudern vom Seelenheil –
Oder vom Gegenteil ...!
Lassen Sie sich lieber den Rittmeister an Ihre Seite kommandieren, Fräulein Hoff, – er ist total ungefährlich!!«
»Und so etwas sagt meine beste Freundin von mir, welche sich soeben auf der Bühne erst rettungslos in mich verliebt hat?« lachte Graf Lucknau und zwirbelte den dunkeln Schnurrbart keck in die Höhe. »Dafür sollen Sie in der heißesten Konfettischlacht an meinem Arme sterben!! Darf ich bitten, Frau Gräfin? Wir folgen errötend den Spuren des galanten Cicerone!!«
Und der Rittmeister führte unter Lachen und Scherzen seine Partnerin aus dem Theaterstück nach dem Park, die anderen Anwesenden schlossen sich an, und bald flimmerten ihnen die Sternchen des elektrischen Lichts entgegen, welche überall in den Bosketts und auf dem Rasen verstreut waren.
Herr von Tempelburg lenkte unwillkürlich seine Schritte nach einem Seitenweg, welcher still, menschenleer und mondbeglänzt vor ihnen lag.
»Welch eine Wonne, wieder aufatmen zu können!« sagte Severa und schüttelte das wirre dunkle Haar in den Nacken. »Hier ist es herrlich –! noch schöner, wie es sonst überall in der Residenz ist!«
»Es gefällt Ihnen bei uns?«
»So gut, daß ich niemals wieder von hier scheiden möchte!«
»Wenn Sie auch jetzt Abschied nehmen, werden Sie doch sicher wiederkommen?«
Ein leises Aufseufzen. »Nein!«
»Nein? – Und warum nicht?«
Severa schritt langsamer aus, ihre Hand glitt durch die Zweige des Goldregens und ihr Haupt neigte sich tiefer.
»Es ist nicht gut, Träume im Herzen zu nähren, welche doch nie in Erfüllung gehen können!«
»Wenn es Träume von Glück und Liebe sind, warum sollten sie unerfüllt bleiben?« sagte er gepreßt.
»Es muß auch Stiefkinder des Glückes geben – und wenn das Herz zu hohen Flug nehmen will, zerbricht ihm das Schicksal rettungslos die Flügel, darum ist es besser, man tritt von vornherein resigniert zurück!«
Der Kammerherr wartete, bis zwei eilige Passanten, welche bei Severas Anblick voll lebhaften Interesses zurückschauten, weit genug entfernt waren, dann drückte er leise und zaghaft den schönen Arm seiner Partnerin etwas fester an sich.
»Wenn ich noch so sprechen wollte, Fräulein Hoff! Ich, der nur noch in Träumen der Zukunft lebt und nach einem glückverheißenden Sternlein voll banger Zweifel ausschaut! Was gäbe ich darum – wollte es mir einen einzigen Strahl der Ermutigung in das Herz schicken!«
Der »Studienkopf« hob den herrlichen, alabasterweißen Arm und deutete mit einer entzückend graziösen Bewegung nach dem nächtlichen Himmel empor: »Dort leuchtet der große, helle Stern des Glücks gerade über Ihrem Haupte! Warum suchen Sie ihn noch?«
»Verstehen Sie die Sprache der Sterne?«
Ihr schönes Antlitz wandte sich ihm zu, nahe, ganz nahe glänzten die dunkeln Augen den seinen.
»Ich kann die Sprache der Sterne –
Die Sprache der Blumen verstehn!
Ich habe mein Täubchen so gerne –
Ich weiß nicht, wie mir geschehn –!«
Voll betörender Anmut sang sie es – und der sonst so nüchtern denkende Mann an ihrer Seite wähnte, alles Blut in seinen Adern habe sich in einen Feuerstrom verwandelt und treibe ihm süße, phantastische Bilder vor die Augen. Soll er sie mit kühn entschlossenem Griff festhalten, daß sie sich verwirklichen und berauschende Wahrheit werden?
Soll er? – Noch ist es Zeit! Noch kann er die Lippen zusammenpressen und seine Freiheit, dies scheue Vöglein, wahren, – aber was wäre sie ihm noch ohne das berückende, blendend schöne Weib an seiner Seite?
Es gibt kein Überlegen, keine Vernunftsgründe mehr bei ihm!
Nur noch ein Gedanke glüht ihm wie Fieberwahn hinter der Stirn: »Neben dir schreitet die Göttin der Schönheit, welcher die ganze Residenz huldigend zu Füßen liegt, nach der die Männerherzen schmachten und über deren Haupt die wolkenlose Sonne Allerhöchster Huld und Gnade strahlt! – Du brauchst nur diesen Augenblick zu nützen, zuzugreifen und dir das beneidetste Glück des ganzen Landes zu eigen zu nehmen! Welch ein Sieg! Welch ein Triumph! – Gibt es da noch ein Zögern? – Nimmermehr!«
Und während durch sein Hirn in rasender Eile noch einmal diese Gedanken kreuzen, blickt Severa nach dem klaren, mondhellen Nachthimmel empor, und ihr Herz schlägt plötzlich wie in, bitterem Weh wild auf.
Solch ein Abend war es, als Manfred sie zuerst im Arme hielt und voll jauchzender Glückseligkeit Worte unsterblicher Liebe in ihr Ohr flüsterte. Sie sieht sein edel schönes Antlitz vor sich, die strahlenden Augen, den schwellenden Mund, sie empfindet noch einmal die süßen Schauer jener Liebesglut, welche damals ihr ganzes Sein in Sonnenlicht getaucht!
Wie liebte sie ihn! – Wie zuckt noch jetzt ihr Herz zusammen im Gedanken an ihn, wie wild und heiß schlägt es noch einmal auf, als wolle es voll Verzweiflung aufschreien: »Tritt mich nicht unter die Füße um der toten Götzen willen, welche die Welt als Judasgroschen für verratene Liebe zahlt! – Denke daran, wo das wahre Glück wohnt – vergiß es nicht, daß nur die reine, heilige, todgetreue Liebe das höchste Gut unter dem Himmel geben kann – den Frieden!«
Wie ein Frösteln in Fieberglut rieselt es durch ihre Glieder.
Ist sie wahnsinnig geworden?
Warum jetzt, gerade jetzt solch hirnlos törichte Gedanken?
Frieden!
Was bedeutet er für sie?
Ein Nichts, ein Phantom, welches im grauen Kleide der Entsagung auf der Schwelle einer Hütte steht und winkt: »Hier ist's so still! Komm!«
Sie will keine Stille, – sie will kein darben, arbeiten und entsagen, – sie will leben und genießen!
Hinweg, ihr Gaukelbilder! – Herzu mit der Wahrheit, der ärmlichen Mansardenstube Manfreds, der greulichen Hintertreppe ... der Misere eines Lebens, welches um das tägliche Brot kämpft!
Wie ein scharfer Ruck geht es durch ihr Herz – es hat gewählt ... und neben ihr klingt, bebend in Erregung, die Stimme des reichen Freiers: »Wenn Sie die Sprache der Sterne verstehen, Severa, so sagen Sie mir die Antwort, welche ich von ihnen erhalte, wenn ich frage: ›Liebt sie mich?‹«
Das schöne Mädchen hob das Antlitz lächelnd zu dem flimmernden Sternhimmel empor und duldet es, tief aufatmend, daß Tempelburg ihre Hand mit bebendem Griff umschloß.
»Wer?« flüsterte sie.
Er neigt sich näher, Schulter ruht an Schulter.
»Severa Hoff!« stößt er mit erstickter Stimme hervor.
Sie will ihm die Hand entziehen, er hält sie nur fester, mit bebendem Druck.
»Severa ...« murmelt er, »was antworten sie?!«
Da wendet sie ihm jäh das Antlitz zu, ihre Augen blitzen, ihr purpurner Mund zeigt perlhelle Zähne. Voll Leidenschaft erwidert sie den Druck seiner Rechten.
»Ja, sie liebt dich!« klingt es wie Jubel und Jauchzen von ihren Lippen. »Und wir Sterne am Himmel freuen uns eures grenzenlosen Glücks!«
»Severa – Dank, Dank für dieses Wort des Lebens!«
Sein Arm umfaßt sie stürmisch, zwei schmale, kühle Lippen pressen sich auf die ihren, – es ist, als wüchse die schmächtige, kleine Gestalt des Freiers an ihr empor.
»Nun bist du mein!« atmet er auf und über sein besorgtes Herz kommt es wie Beruhigung, »du hast dich mir angelobt, Severa, du wirst mir treu sein – –«
Sie drückt als stumme Antwort seine Hand, hinter ihnen klingen Stimmen, vor ihnen schaukelt ein Lichtmeer bunter Lampions.
»Entsetzlich diese Menschen ringsumher – jetzt, wo ich mein Leben gäb', könnte ich mit dir allein sein!« murmelt er.
»Wir sehen uns heute abend noch ... oder morgen vormittag erwarte ich deinen Besuch ...« und die beneidenswerte Braut bricht kurz ab und lacht sehr heiter der jungen Witwe und Graf Lucknau zu, welche sie »endlich« eingeholt haben und unter muntern Scherzworten die ersten Hände voll Konfetti über das »mondscheinschwärmende« Paar sprühen!
Man schreitet zusammen weiter, man plaudert und amüsiert sich und kein Mensch würde es Fräulein Hoff anmerken, daß sie sich mit liebeheißem Herzen nach einem Alleinsein mit dem Verlobten sehnt.
Warum auch? – Zärtliche Gefühle haben sie in dieser Stunde nicht bewegt, nur die stolze Genugtuung, den Fuß zwingend auf Fortunas rollende Kugel gesetzt zu haben!