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V.

Sehr eilige Schritte erklangen in dem Flur.

Manfred öffnete die Türe und begrüßte die Heimkehrende mit lautem Zuruf, – hinter ihm erschien die Rätin und beider Augen richteten sich wie in besorgtem Forschen auf das schöne Antlitz Severas, als wollten sie gleich im voraus das Ergebnis der Audienz davon ablesen.

Manfred atmete tief auf.

Gottlob! Strahlend in Glück und Triumph blitzten ihm die schwarzen Augen entgegen, – das sprach von einem großen Erfolg, – denn seine so leidenschaftlich beanlagte Cousine hatte es nie verstanden, sich zu beherrschen, und würde sie sich im Schloß geärgert haben, so stünde das mit schroffsten Linien in ihrem Antlitz geschrieben.

Auch Frau Hoff hatte mit prüfendem Blick ihre Tochter angeschaut, aber so sehr sich Manfreds Züge bei Severas siegesfrohem Anblick in aufrichtiger Mitfreude erhellten, so sichtlich verdüsterte sich das Gesicht der ernsten Frau, als sie schweigend in das Zimmer zurücktrat und resigniert den Bericht Severas erwartete.

In dem ersten Augenblick kam ihr die Einladung der Gräfin wie ein unverdientes Gnadengeschenk vor, das plötzlich vom Himmel niederfällt.

Aber es lag nicht in ihrer Art, sich lange mit solchen Gefühlen zu befassen.

Schon wenige Minuten später regte sich nur noch ein Gefühl in ihrer Brust, die stolze Genugtuung, durch eigene Klugheit so viel erreicht zu haben!

Und wie ein Soldat durch den ersten Sieg angefeuert wird, weiter und weiter auf einem Grund und Boden, welchen er erobern möchte, vorzudringen, so arbeitete auch Severas glühender Ehrgeiz in den phantastischen Plänen, wie es nun zu ermöglichen sei, in einer Lebenssphäre, welche sie fürerst nur zu flüchtigem Besuch betreten sollte, bald dauernd festen Fuß zu fassen!

All die tausend Teufelchen des Hochmuts und der Eitelkeit, welche seit Jahren in ihrem Herzen gefangen gelegen, brachen ihre Bande und wirbelten wie eine unholde Schar durch jeden Gedanken!

Zuerst weidete sie sich an der, in der Tat recht großen Überraschung der Mutter.

Wenn auch die Rätin die große Liebenswürdigkeit der Gräfin anerkannte und vorerst noch etwas verständnislos einer so großen Huld der Kronprinzessin gegenüberstand, so war sie anderseits durchaus nicht davon geblendet, sondern wahrte auch jetzt noch ihre kühle Gelassenheit, welche vorläufig nur Opfer und keinerlei Vorteile für die so leicht beeinflußte Tochter sieht.

Severa ärgert sich stets über die klügelnde Ruhe der Mutter, und hätte nicht das starre Staunen, die unbegrenzte Hochachtung der Brüder ihr etwas Entschädigung gewährt, würde ihr selbst dieser Augenblick hohen Triumphes vergällt worden sein.

Dann aber kam die Hauptsache! Ihre Briefe an Manfred und die Großkaufmannsgattin!

Sie bemüht sich, die große Tatsache so harmlos wie möglich zu schreiben, – als etwas ganz Selbstverständliches, daß sie Gast in einem Fürstenschloß sein wird.

Sie starrt mit blitzenden Augen auf ihre Zeilen nieder.

Wie wundervoll sich das ausnimmt! Wie stolz das klingt!

Was wird Manfred sagen!

Der gute Mensch hat der Mutter Geld für ihre Toilette gegeben, das war wirklich sehr nett von ihm. Freilich tat er sich selber den größten Dienst damit, denn er hält viel auf seinen Namen, und es ist ihm peinlich, wenn die Cousine als Aschenbrödel bei Hofe erscheint. Also: so überschwenglich dankbar, wie es die Mutter verlangt, braucht sie ihm nicht zu sein, denn im Grunde genommen dachte er ebensoviel an sich selber, wie an sie! Die Menschen sind ja alle Egoisten, und es ist töricht, die Dinge zu sentimental aufzufassen! Man bindet sich ja selber nur die Hände damit!

Die nächsten Tage fliegen unter den größten Anstrengungen dahin, die so spärlichen Toiletten so gut wie möglich für das Fürstenschloß zu richten!

Da fließt wieder manch bitterer Tropfen in den Kelch stolzer Freude!

Aber Severa hat einen vorzüglichen, beinahe raffinierten Geschmack.

Ein schwarzseidener Rock der Rätin wird in aller Eile modernisiert, was bei seinem Faltenreichtum sehr leicht zu ermöglichen ist, dazu ein oder zwei recht elegante seidene Blusen und sie sieht schick und hübsch aus. Die Rätin hat freilich nur eine einzige Bluse bewilligt, da Severa darauf bestand, für Manfreds Geld nicht mehrere Kleidungsstücke, sondern nur eine einzige, aber hochelegante Gesellschaftstoilette zu kaufen! Nun sinnt sie mit finsterer Stirn, wie sie es ermöglichen soll, noch so viel anderes, was ihr unerläßlich deucht, anzuschaffen! Ach, nur einmal kaufen können! Ohne alle Einschränkung das Schönste und Herrlichste auswählen – in allen Kostbarkeiten wühlen, nach Belieben davon anschaffen können!

Einen wahren Heißhunger nach dem Gold hat sie, – soll er denn nie und nimmer gestillt werden?

Und wie jetzt, in dieser zwingenden Notlage sich helfen?

Sie weiß, daß ihr ältester Bruder sich durch Abschreiben und Nachhilfestunden Geld verdient, um sich seinen sehnlichsten Wunsch, eine gute Geige zu kaufen und Unterricht bei einem Meister zu nehmen, verwirklichen zu können.

Lächerlich! Wozu dieses Gequietsche, welches so gar keinen Zweck hat! Ein Sarasate wird er doch nicht, und um bloß eine Liebhaberei und überflüssige Laune zu befriedigen, dazu ist das Geld doch zu kostbar!

Ein jäher, schneller Entschluß.

Ein harter, beinahe mitleidloser Ausdruck liegt auf dem schönen Gesicht, sie erhebt sich und schreitet in den Garten hinab, um auf den Bruder, welcher um diese Zeit zurückzukommen pflegt, zu warten.

Und er kommt, pfeift glückselig eine neue Opernmelodie und ist so tief in Gedanken versunken, daß er erst emporschrickt, als die schlanke Gestalt Severas dicht vor ihm steht.

Sie schiebt voll ungewohnter Liebenswürdigkeit den Arm durch den seinen und zieht ihn mit sich fort, in den dämmrigen Gartenweg hinein. Seine hagere, vornübergebeugte Gestalt richtet sich straffer auf.

»Du bist ja so vergnügt, Maxel?« sagt sie sehr zärtlich, »ist dir etwas Angenehmes begegnet?«

Er klimpert mit Geld in der Tasche, seine Augen strahlen, das blasse, sonst so ernste und resignierte Gesicht scheint wie verklärt.

»Ich habe endlich vom Herrn Kärst das Geld für dieses Vierteljahr bekommen!« flüstert er. »Karlchen ist in die Quarta versetzt, da hat er sich so gefreut, daß er mir gleich die Latein- und Rechenstunden bezahlte! Ach, Severa! Ich komme mir vor wie ein Krösus! Wie schön ist es, wenn man sich selber etwas verdient hat! Solches Geld hat erst wahren Wert, wie auch Manfred immer sagt! Siehst du – nur noch ein halbes Jahr weiterschaffen, dann habe ich endlich, endlich meine Geige heraus!«

Severas Augen haben aufgeblitzt, sie atmet schnell und aufgeregt. »Du hast Geld! O du Glücklicher! Ja, du kannst froh sein, denn du wirst gut bezahlt! Aber ich! Ach, Max – ich bin zum Unglück geboren! Nirgends Hilfe, nirgends Verständnis! Ich stehe nun vor der goldenen Pforte und könnte vielleicht mein Glück dahinter finden, aber die Mutter ... ach, Maxel ... welch ein unglückseliges Geschöpf bin ich!« Und Severa schlägt die Hände vor das Gesicht und schluchzt leidenschaftlich auf.

Der Primaner ist sprachlos.

»Severa ... du ... du ... die an den Hof geladen ist?« stammelt er fassungslos.

Da zieht sie ihn neben sich auf die Bank nieder, schmiegt sich zärtlich an ihn und schüttet ihm »in tiefstem Vertrauen« ihr Herz aus, wie schrecklich es sei, wenn sie sich am Hof blamieren und wie eine Bettelprinzeß auftreten werde! Kleider machen Leute! Wenn sie all den reichen, vornehmen Menschen gefällt, kann sie leicht das große Los ziehen, wenn sie aber bespöttelt und verachtet beiseite gestoßen wird, so ist jede Möglichkeit, sich emporzubringen, abgeschnitten!

Noch nie ist Max so zärtlich von seiner schönen Schwester behandelt worden, noch nie hat sie ihn durch so viel Vertrauen beehrt. Sein Herz schwillt in Stolz und Glück.

»Ach, wenn ich dir helfen könnte!« ruft er voll ehrlicher Bereitwilligkeit und Herzensgüte.

»Du kannst es, Maxel, du kannst's!« und Severa umschlingt ihn noch inniger und sie flüstert und flüstert, ... immer weicher, immer flehender, und der junge Mensch an ihrer Seite wird leichenblaß.

Sein Geld! Sein so sauer verdientes Geld! All sein Hoffen, sein jahrelanges Sehnen dahin! Was soll er tun? – Severa schwört, daß sie es ihm zurückerstatten wolle – aber kann sie das? – Wie will sie so viel durch ihr langsames Sticken verdienen? Ach ... gibt er es ihr, so wird alles – alles dahin sein!

Sein Herz zieht sich zusammen, – aber die leise, flehende Stimme klingt weiter in sein Ohr, immer bestrickender, immer schmeichelnder, und der blasse, hochaufgeschossene Junge hustet mehr denn je und seine mageren Hände krampfen sich momentan wie in verzweifelnder Unschlüssigkeit zusammen. Da sieht er in ihr schönes Antlitz, in die großen Augen, in denen Tränen stehen.

So hat ihn die Schwester noch nie im Leben angesehen.

Ein krampfhaftes Aufatmen; ein hastiges Nicken.

»Ja, ja, du sollst es haben ... ich will es dir geben ... weine nur nicht ... ich kann ja warten mit der Geige!«

Sie jubelt, sie umarmt und küßt ihn, sie nennt ihn ihren Retter, ihren ritterlichen Helfer und Schützer!

Da glänzen seine Augen und die roten Flecken auf seinen Wangen brennen heißer.

Daß er aber nachts voll heißen, bittern Wehs in die Kissen weinte und die Erfüllung seines liebsten, sehnlichsten Wunsches in weite Ferne gerückt, wenn nicht ganz verloren gab, – das sah und wußte niemand, es dachte auch keiner an solche Möglichkeit, am wenigsten Severa, welche mit triumphierendem Blick die Spargroschen des Bruders in ihr Köfferchen packte und in Gedanken all den Tand und Flitter sah, welchen sie heimlich in der Residenz dafür erhandeln wollte.

Eine Geige! – lächerlich! Es ist vielleicht ganz gut, wenn sie dem törichten Jungen das Geld nicht allzubald zurückgibt, er vergißt dann vielleicht seine Marotte und gibt das Schuften und Arbeiten für solch überflüssige Dinge auf! Seine Gesundheit ist sowieso nicht die stärkste, wenn er noch stundenlang stehen und Geige spielen will, richtet er sich ganz zugrunde!

Und Severa schlug sich jeden unbequemen Gedanken aus dem Sinn und erwartete voll glühender Ungeduld die Stunde, welche ihrem Schicksal den großen Wendepunkt verkünden sollte.

* * *

Severa stand auf dem Bahnsteig der Residenz.

Manfred begrüßte sie in seiner treuen, herzlichen Art, beseligt von dem Wiedersehen und der angenehmen Aussicht, die Geliebte nun unter so angenehmen Verhältnissen in seiner Nähe, in der Hauptstadt zu wissen.

Das junge Mädchen hatte ihm sehr zerstreut und flüchtig die Hand gedrückt.

»Es war wirklich nicht nötig, daß du so viel Zeit opfertest hierherzukommen, Manfred! Ich werde ja abgeholt!« sagte sie und ihr Blick flog ungeduldig über die Menge, um aufleuchtend an einem Lakaien zu haften, welcher sich eilig den Weg durch die Menge bahnte und in unschlüssigem Forschen zu ihr herüberblickte.

Eine schnelle Geste mit der kleinen Hand.

Freundlich, aber dennoch mit einer Herablassung, wie sie nur den verwöhntesten und bevorzugtesten Menschen zu eigen, beorderte ihn Severa an ihre Seite.

»Von Gräfin Herdern?«

»Befehl, gnädiges Fräulein.«

»Gut; bitte, hier mein Gepäckschein.«

Der Galonierte zog den Hut und verneigte sich respektvoll.

»Der Wagen wartet; darf ich das gnädige Fräulein zuvor hinführen?«

Eine stumme Neigung des Kopfes.

Severas Herz schlägt vor Genugtuung hoch auf, als sie die neugierigen, beinahe andächtigen Gesichter sieht, mit welchen die Leute sie ringsum anstarren.

O wie wohl tut das ihrem stolzen Herzen!

Etwas sein! etwas vorstellen in der Welt! das war seit jeher die Sehnsucht, an welcher sie krankte.

Manfred bietet ihr harmlos den Arm und führt sie zu der Equipage.

Er scheint sich sehr über die »würdevolle Weise« seiner Cousine zu amüsieren, welche ersichtlich dem Lakaien durch ein sehr vornehmes Auftreten imponieren will!

Wie verschieden sind doch die Menschen!

Ihm selber würde nichts gleichgültiger sein, als äußere Ehren und sichtbare Respektsbezeugungen. Aller Prunk, alles Hervortun, alle Großmannssucht sind ihm lächerlich und unsympathisch.

Sie werden das letzte sein, was er in dieser Welt des Scheins und der Ungerechtigkeit begehrt! Das letzte, wonach er jemals streben würde.

Sein Ideal von Glück und Zukunft ist so ganz, ganz anders, – er blickt unter sich, wenn er es sucht! – Aber Severa schreitet wie eine Fürstin an seiner Seite, stolz erhobenen Hauptes, beglückt, daß aller Augen auf sie gerichtet sind, zufrieden, wenn der Neid sich auf den Gesichtern spiegelt.

Wie schnell findet sie sich in ihre Rolle, Gast bei Hofe zu sein!

Manfred lächelt.

Sie ist ja noch so jung! Sie hat ja noch gar keine Erfahrung und Menschenkenntnis! – Wie bald wird der erste Rausch verflogen sein, wird der rosige Schleier, durch welchen sie die Welt jetzt so herrlich sieht, zerreißen und ihr Auge klar werden, Gold von Talmi zu scheiden!

Mag sie ihre harmlose, kleine Eitelkeit in diesen Tagen des Glanzes stillen!

Manfred ist der letzte, welcher einem Menschen die Freude verkümmert und ihm Illusionen nimmt, welche ja doch so erbarmungslos der Zeit und Erfahrung zum Opfer fallen!

Er drückt noch einmal voll Innigkeit ihre Hand, bittet sie, ihm doch Nachricht zu geben, wenn er Gelegenheit haben könne, sie irgendwo zu sehen, und Severa verspricht es so gedankenlos, daß er abermals lachen muß!

Sie sieht nur die Equipage, die seidenglänzenden weichen Polster, in welche sie sich mit flammenden Wangen schmiegt!

Wie schön ist sie in dieser stolzen Erregung! Wahrlich, die junge, stolze Königin aus dem Märchenbuch kann nicht mit andern Augen in die Welt schauen, als dieses bürgerliche Mädchen aus der kleinen Provinzialstadt.

Noch ein letzter, flüchtiger Gruß, ein blitzender Blick, und der Wagen rollt davon.

Severa hat es ein wenig peinlich empfunden, daß Manfreds Überzieher etwas abgetragen war, und sein Filzhut allzu deutliche Spuren von Wind und Wetter trug!

Auch der Lakai musterte ihn recht befremdet!

Eigentlich war es rücksichtslos, daß er sich nicht sorgfältiger gekleidet hatte, er wußte doch, daß man sie durch Schloßbedienstete abholen lassen würde, und konnte sich denken, daß es unangenehm auffallen muß, wenn sie in solcher Begleitung gesehen wurde!

Schade, daß ihr Vetter, der einzige, welcher Offizier war, nicht in der Residenz stand! Seine Begleitung würde angemessener und ihr lieber gewesen sein!

Die Sonne lacht vom Himmel, laue Luft streicht kosend durch das Blütenmeer des Parks und die Samenkörnlein des Hochmuts, welche während der letzten Tage so kräftig in ihrem Herzen gekeimt, schießen empor und drohen wie Unkraut zu wuchern.

Ja, das ist heute ein anderes Fahren, wie vor zehn Tagen in der kläglichen Mietsdroschke!

Heute blicken die eleganten Damen in den eigenen Karossen nicht mit zwinkerndem Blick verächtlich über sie hinweg, sondern drehen interessiert die Köpfe und stecken die höflichste Miene auf!

Diesmal aber ist es Severa, welche sie voll stolzer Gleichgültigkeit kaum eines Blickes würdigt.

Und anders ist auch ihr Empfang im Schloß, als sie auf Gummirädern die Rampe emporsaust!

Da dienern sie und verneigen sich ... und die Türe fliegt weit auf vor ihr!

O wie ist das schön! Wie berauschend herrlich ist das! So! Nur so führt man ein menschenwürdiges Dasein!

Vorerst ist all dieser Glanz freilich nur ein erborgter, noch stehen ihre Füße nicht fest auf diesem glatten Boden, noch hat ihr Lebensbäumlein keine dauernden Wurzeln darin geschlagen!

Noch gilt es, sich diesen Platz zu sichern, zu erobern!

Severa ist klug, sie weiß, daß die Schönheit nur dann entzückt, wenn sie gleich einer Sonne allen strahlt, sie weiß, daß der Ruf derselben nur dann weitergetragen wird, wenn das Herz bestätigt, was die Augen sehen!

Also die Herzen gewinnen! das wird ihre erste und wichtigste Aufgabe sein!

Mag es ihr auch noch so verlockend scheinen, schon jetzt die Rolle der unnahbar Stolzen zu spielen, jetzt muß sie noch die Liebenswürdige sein!

Und so lächelt und nickt Severa voll bezaubernder Anmut einem jeden zu, welcher ihr grüßend entgegentritt, und wer sie sieht, wird von diesem Lächeln gefangen und denkt im Herzen: Wie schön ist sie!

* * *

Wie in einem Rausch höchster Wonne lebt Severa in den nächsten Tagen dahin.

Die Kronprinzessin ist die verkörperte Huld und Güte gegen sie, zwar sieht sie die hohe Frau nicht allzuoft, aber doch immerhin genug, um all ihre Liebenswürdigkeit entwickeln zu können, sie immer lebhafter zu interessieren, ihr täglich besser zu gefallen.

Welch ein unbeschreiblich schönes Leben hier im Schloß!

Eleganz und Luxus wirken wie eine Narkose auf Severas so leicht empfängliches Gemüt, und doch macht sie das Ungewohnte weder befangen noch unsicher, im Gegenteil, sie schreibt schon am andern Tag an die Mutter: »Mir geht es wie einer Pflanze, welche endlich den gedeihlichen Boden und die ihr notwendige, gesunde Lebensluft gefunden! Meine Seele scheint sich wie durch Zaubergewalten zu entwickeln, sie treibt Knospen und Blüten, und ich denke, auch die Früchte bleiben nicht aus!«

In ähnlichem Sinne äußerte sie sich auch zu Manfred, als sie ihn zufällig vor einem der großen Konfektionshäuser, in welchem sie ihre kostspieligen Einkäufe von Max' Geld besorgte, antraf.

Er lachte und sagte scherzend: »Und doch ist es ein fremder Boden, auf welchem du liebe Rose jetzt blühst! Laß die Wurzeln nicht zu tief gehn, sonst tut der Abschied zu weh!«

Sie antwortete nichts darauf, aber auf ihrem schönen Gesicht lag ein seltsamer Ausdruck. –

Voll bebender Erwartung schritt Severa durch die Flucht der herrlichsten Gemächer dem kleinen Wappensaal zu, in welchem die Familientafel stattfand.

Gräfin Herdern stellte den bereits anwesenden Kammerherrn von Tempelburg und den persönlichen Adjutanten Baron Slavitz vor. Beide Herren schienen lebhaft interessiert, das Original des viel besprochenen Studienkopfes kennen zu lernen, Baron Slavitz versicherte der jungen Dame, daß seine kleine Frau, welche leider zurzeit noch bei ihrer kranken Mutter auf Schloß Gartsch weile, sich sehr für Malerei interessiere und oft stundenlang in der Nationalgalerie vor dem genialen Werk Manfreds geweilt habe!

Severa lächelte ihm ihren Dank im Namen des Vetters »in die Seele!« Aber unvermerkt flog doch ein Schatten über ihr Antlitz. Verheiratet! Dieser schöne, elegante Mann in der prunkenden Uniform war verheiratet! Schade darum, – er wird ihr Interesse auf die Dauer nicht fesseln.

Voll gewinnendster Anmut wandte sie sich Herrn von Tempelburg zu, welcher etwas wortkarg zurückgetreten war und sich damit begnügte, die junge Dame nachdenklich anzuschauen.

Er war klein und schmächtig. Sein rötlich blondes Haupthaar war bereits gelichtet und ein englischer Sportbart umrahmte mit schmalem Streif die blassen, sehr hageren Wangen.

Er trug ein Monokel an breitem, schwarzseidenem Band und war alles in allem eine recht vornehme, aber nicht allzu gewinnende Erscheinung.

Unter seinen müden, etwas schweren Augenlidern erschien sein Blick oft unvermittelt scharf und jedesmal, wenn er besonders interessiert war, schob er das spitze Kinn über die peinlich elegante Kravatte vor.

Er hatte kaum etliche formelle Worte mit Severa gewechselt, als sich die Türe abermals öffnete und Exzellenz von Kramer, die Oberhofmeisterin, mit viel Würde über die Schwelle rauschte.

Sie hatte bereits von der originellen Idee der Kronprinzessin, den Lichtsaal »lebendig zu machen« gehört, und obwohl sie sich sonst sehr ablehnend gegen alles verhielt, was nicht in die allerintimste Hofgesellschaft gehörte, brachte sie diesmal dem Fräulein Hoff doch ein recht wohlwollendes und duldsames Interesse entgegen.

Auch sie schien von der außerordentlichen Schönheit des »Studienkopfes« überrascht, und die so sehr respektvolle und doch sehr gewandte Art Severas gefielen ihr ersichtlich, denn sie plauderte ganz gegen ihre Gewohnheit noch weiter mit ihr, nachdem die ersten formellen Redensarten gewechselt waren.

Dann schlugen die Lakaien die Flügeltüren weit zurück, der Haushofmeister stellte sich an seinem Platze auf und das kronprinzliche Paar betrat den Speisesaal.

Die Prinzessin reichte Severa huldvoll die Hand zum Kuß und stellte sie persönlich ihrem hohen Gemahl vor, welcher sich sehr liebenswürdig, aber schweigend verneigte und es seiner reizenden Gemahlin überließ, die junge Dame abermals anzureden.

Nur wenige Worte, dann nahm man an der Tafel Platz.

Es war ein besonderer Wunsch des Kronprinzen, daß Ihre Königliche Hoheit bei kleiner Familientafel persönlich das Tischgebet sprach.

Severa saß dem hohen Paar gegenüber, an ihrer rechten Seite hatte Baron Slavitz, zur linken Herr von Tempelburg Platz genommen. Die Unterhaltung war anfänglich allgemein und drehte sich hauptsächlich um das Wohltätigkeitsfest, man besprach die Einzelheiten und Exzellenz Kramer und Gräfin Herdern teilten mit, welche Liebesspenden neuerdings für die Büfetts und die Tombola angemeldet seien, und welche Damen und Herren noch neue »Ideen« in Vorschlag gebracht hätten.

Zwei junge Kavallerieoffiziere hatten gebeten, im Park ein Kasperletheater aufstellen zu dürfen, in welchem »grausige Mordgeschichten« aus der Gesellschaft zur Darstellung gelangen sollten, – ein Unternehmen, welches, humorvoll durchgeführt, sehr viel Amüsement versprach. Der österreichische Gesandtschaftsattaché wolle in ungeheuerlicher Maske mit dem Teller herumgehen!! Man vermute, daß er als »Moloch« auftreten werde. Bei anbrechender Dunkelheit solle der Park beleuchtet werden, Regimentsmusiken spielen auf und eine lustige Konfettischlacht wird inszeniert.

Das Gros der jungen Damen wird, als Italienerinnen verkleidet, Konfetti, Südfrüchte, Lampions, Papierfächer usw. verkaufen und auf dem kleinen See werden beleuchtete Gondeln zu hohen Preisen vermietet.

Dies alles verspricht viel heiteren und klingenden Erfolg!

Severa wendet sich zu Herrn von Tempelburg.

»Welch eine Rolle hat Ihre Frau Gemahlin bei diesem Fest übernommen?« fragt sie diplomatisch, als eine lebhafte Debatte über eine allgemeine Kostümfrage zwischen den Umsitzenden entbrannt ist, und der Kammerherr zuckt die Achseln, seufzt leise auf und antwortet: »Ich bin leider verwitwet, mein gnädiges Fräulein. Schon seit sechs Jahren lebe ich allein mit meinem einzigen Töchterchen, welches von einer Engländerin erzogen wird!«

»Ah, wie aufrichtig bedauere ich Sie!« klingt es sehr weich von Severas Lippen und ihre dunkeln Augen bekommen einen geradezu bezaubernden Ausdruck. »Hatten Sie keine Anverwandte, welche der armen Kleinen die Mutter ersetzen konnte? Fremde Menschen, mögen sie auch noch so gewissenhaft sein, ersetzen doch nie eine Hausfrau, deren sorgende Liebe dem Herzen und nicht nur dem Pflichtgefühl entspringt!«

Herr von Tempelburg schüttelt abermals in seiner gemessenen Weise den Kopf.

»Ich besitze zwei Schwestern, doch beide sind verheiratet und nicht abkömmlich, ebensowenig konnte eine Cousine mir den Haushalt auf die Dauer führen. Ach ja, die wahre Liebe! sie fehlt meinem Kind und mir in empfindlichster Weise!«

Sein Blick schweift unter den müden Augenlidern hervor und trifft sie mit einem Ausdruck, welchen man bei einer Dame kokett nennen würde.

»Wie heißt Ihr Töchterchen, Herr von Tempelburg?«

»Ethel!«

»Und wie alt ist sie?«

Er lächelt. »So alt schon, daß ich mir sehr greisenhaft neben ihr vorkomme, – schon diese Ostern ist sie konfirmiert worden!«

»Ja, ja! Kinder werden Leute, und Leute werden Bräute!« scherzt Severa. »Halten Sie das Backfischchen nur möglichst lange zurück, damit Sie nun erst die volle Freude durch das Zusammenleben mit ihr genießen!«

»Nennen Sie mir erst die Firma, welche ›pfeilsichere‹ Panzer verkauft!« entgegnete er lebhafter wie sonst. »Wenn einem Menschenherzen die Stunde geschlagen und Amor seine sicheren Geschosse absendet, ist alles Wehren, Hüten und Verstecken vergeblich!«

»Sprechen Sie von sich selber oder andern, Herr von Tempelburg?« ruft plötzlich Prinzessin Ingeborg mit schalkhaftem Gesichtchen über den Tisch herüber und der Kammerherr verneigte sich ein wenig verlegen.

»Fürerst galt dieser Stoßseufzer meiner heranwachsenden Tochter, Königliche Hoheit!«

»So so! Aber doch ›fürerst‹ nur? – Nun, falls Amor auch mit Konfetti wirft, machen Sie nächsten Dienstag einen großen Umweg an dem Park vorbei!«

Noch ein kurzes, allgemeines Plaudern.

Es wird sehr schnell bei Hofe serviert und bald erhebt sich die Kronprinzessin, grüßt sehr huldvoll nach allen Seiten und die Tafel ist aufgehoben.

Während man in dem angrenzenden Salon der hohen Frau den Kaffee nimmt, bleibt Herr von Tempelburg viel in Severas Nähe, sie unablässig, wenn auch unauffällig anschauend, ohne jedoch noch einmal eine Unterhaltung mit ihr zu beginnen.

Der Kronprinz steht eine kurze Zeit neben ihr und spricht in seiner ernsten, stets sehr überdachten und geistreichen Weise mit ihr, und man sieht es ihm an, daß ihre schlagfertigen Antworten, welche ein gutes Wissen verraten, ihn interessieren.

Slavitz tritt neben Tempelburg und rührt sehr animiert in der Kaffeetasse.

»Potz Wetter ja! eine bildschöne Erscheinung, die Hoff! Gradezu klassisch! Und dabei Geist und Leben! Wird ein schönes Blutbad unter unfern Heldensöhnen anrichten, meinen Sie nicht auch, Tempelburg?«

Der klemmt das Monokel ein. »Ja, schön! sehr schön! Habe selten derart faszinierende Augen gesehn!«

»Sehen Sie mal, jetzt tritt die Kronprinzessin neben sie! Ist ja ein phänomenales Doppelgestirn! Da weiß man bei Gott nicht, wohin man zuerst schauen soll!«

Die hohe Frau blickt schnell nach den beiden Herrn herüber. Sie hat wohl bemerkt, daß man Vergleiche zieht.

Ihre Augen strahlen, sie lacht wie ein glückseliges Kind.

Nur kurze Zeit noch währt das Zusammensein, dann ziehen sich die hohen Herrschaften in ihre Privatgemächer zurück.

Kaum sind die Portieren hinter der Kronprinzessin in die schweren Seidenfalten zurückgerauscht, als sie sehr lebhaft die Hand auf den Arm des Kronprinzen legt.

»Nun sag' mir schnell, Georg, wie hat dir Severa Hoff gefallen?« ruft sie dringlich.

Er blickt gedankenvoll geradeaus und schweigt.

»Georg! sag' doch! findest du sie nicht auch bezaubernd schön?«

Da lächelt er, neigt sich und küßt die rosigen Lippen der Fragerin: »Aber Ingeborg über allen Bergen, bei den sieben Zwergen – ist noch viel tausendmal schöner als sie!« scherzt er.

Ihre Wangen erglühen, aber ungeduldig fährt sie fort: »O du Lieber, Böser! Im Ernst sollst du mir antworten! Nicht wahr, sie ist schön?«

Er nickt. »Sehr schön sogar!«

»Und benimmt sich tadellos?«

»Überraschend sicher und gewandt!«

»Und klug ist sie auch?«

Er zögert etwas. »Ja, ich halte sie für klug in dem Sinne, daß sie sich vor jeder Blöße in acht zu nehmen weiß! Sie plaudert amüsant, graziös, sie weiß viel aus sich zu machen und wird fraglos große Eroberungen zu verzeichnen haben!«

»So gefällt sie dir also?«

Da schüttelt er beinahe heftig den Kopf. »Nein, Ingeborg, ich vermisse das Beste an ihr, – das Herz! In ihren schönen Augen liegt es nicht, darin wohnt nur viel Stolz und Berechnung, so unglaublich dir das auch klingen mag! Severa Hoff ist ein gefährliches Weib, welches die Männer stets berauschen, aber nie beglücken wird!«

»Georg!« Sie schlingt die Arme um seinen Nacken. »Also eifersüchtig brauche ich nicht zu sein und in meiner Nähe darf sie auch bleiben, weil sie mir so viel, viel besser gefällt, wie dir?«

Er lacht. »Eifersüchtig? Nie! Sonst bestimme über sie, wie du willst.«


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