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In einer kleinen Provinzialstadt, nahe der Residenz, lag ein einfaches Landhäuschen vor dem Tor.
Im Erdgeschoß wohnte der Besitzer, ein betagter Rentier mit seiner kränklichen Frau, die erste Etage hatte die verwitwete Regierungsrätin Hoff mit ihren Kindern, einer erwachsenen Tochter und drei minderjährigen Söhnen, inne. Da die Vermögensverhältnisse äußerst bescheiden waren, lebte die Familie sehr still und zurückgezogen, kaum daß Severa eine Teegesellschaft oder einen Ball besuchen konnte, denn »für nichts« mochte keine Familie mit Töchtern das schöne Mädchen einladen und Neid und Mißgunst bemühten sich eher, sie überall fern zu halten, anstatt sie zu fataler Konkurrenz heranzuziehn.
Der Flieder stand in Blüte, berauschende Duftwogen stiegen aus dem Garten zu dem einsamen Erker empor, in welchem Severa Hoff mit einem tiefen, ungeduldigen Seufzer die feine Stickarbeit aus der Hand legte.
Es war zu dämmerig geworden, um den Goldfaden noch durch die weiße Seide zu ziehn, und das junge Mädchen schaute einen Augenblick mit gefurchter Stirn auf die kostbare Stickerei nieder, welche sie für eines der ersten Konfektionshäuser der Residenz auf Bestellung arbeitete.
In den dunklen Augen glühte es heiß und leidenschaftlich auf und die weißen Zähne schnitten scharf in die Lippe, als müsse ein immer wieder aufquellender Groll gewaltsam verbissen werden. Welch eine funkelnde Pracht von Gold und Pailletten entstand unter ihren rastlos fleißigen Händen! Für wen?
Welch ein beneidenswertes, glückbegünstigtes Geschöpf wird sich zu »bevorstehendem Gartenfest«, wie es in der dringlichen Bestellung hieß, damit schmücken?
Vielleicht ist sie häßlich, töricht, langweilig, in nichts das, was ein Männerherz entzückt, aber sie ist reich! und der Reichtum ist eine Macht, welche selbst den Geschmack und das Herz der eleganten Herren beherrscht!«
Ein bitteres Lächeln glitt über das schöne Antlitz der Sinnenden.
Mechanisch hob sie den schweren Seidenstoff, trat vor den Spiegel und ließ die letzten Strahlen des Abendrots über das Bild, welches sie darin sah, gleiten.
Ja, wenn sie dieses Kleid besitzen könnte! wenn sie reich, vornehm, elegant wäre! Welch eine Trägerin würde sie solch flimmernder Pracht sein!
Ist ihr stolzes, klassisch schönes Haupt nicht dazu geboren, eine Krone zu tragen? Schauen nicht ihre Augen wie in heißem Hunger nach Glück und Genuß in die Welt?
Armes Aschenbrödel!
Mit leidenschaftlichem Ruck warf sie die Stickerei wieder auf den Nähtisch zurück und schlug in qualvoller Erregung die Hände vor das Gesicht. Wehe ihr mit diesem ewig ungestillten Sehnen und Verlangen in der Brust! – Wehe ihr mit dem Antlitz, welches wie eine Sonne in die Welt strahlen könnte und doch zeitlebens verurteilt sein wird im Schatten der Armut und des Entbehrens zu verkümmern!
Für immer?
Mit jäher, energischer Bewegung warf Severa beinah trotzig das schöne Haupt zurück.
Nein! Tausendmal nein!
Sie will um jeden Preis aus diesen engen, kleinen, kümmerlichen Verhältnissen heraus! Koste es was es wolle!
Zur Bühne! wie ein Traum voll Glanz und Märchenherrlichkeit hat sie dieser Gedanke stets umgaukelt, er ist ihr fieberisches Sehnen gewesen, so lange sie den Begriff ihrer Armut und Vergessenheit fassen lernte! – Wäre es nach ihr gegangen – sie säße jetzt nicht hier und arbeitete sich für andere eitle, vergnügungssüchtige Weiber ab!
Aber die Mutter!
Welche verzweifelten Kämpfe hatte es schon gekostet sie ihren Wünschen geneigt zu machen! Umsonst. Die Regierungsrätin war eine starre, strenge Frau, mit allen Herzens- und Verstandsfasern in den Vorurteilen lang vergessener Zeiten wurzelnd. Ihr Kind eine Komödiantin? – nie! Und will Severa es erzwingen, so hat sie keine Mutter mehr! Wer weiß, was trotzdem unbezwingliches Verlangen und trotzige Leidenschaft nicht alles vermocht hätten, wenn, – ja, wenn nicht plötzlich alles so ganz, ganz anders gekommen wäre!
Welch ein Wechsel und Wandel seit jenem Augenblick, wo Manfred Hoff, der Neffe ihres Vaters, zuerst das einsam stille Häuschen der Mutter betreten!
Welch ein erstes, stolzes Triumphieren, als der junge Mann wie gebannt in ihr Antlitz starrte und dann tief aufatmend sagte: »O, Severa! Schaumgeborene! Dich zu schauen ist eine Gunst der Götter und dich zu malen das Glück, welches mich armen Gesellen wie mit Adlerschwingen zum Parnaß tragen könnte!«
Er sprach's zuerst im Scherz, aber dann ward es ihm heiliger Ernst mit dem Malen!
Severa machte eine große, überraschende Entdeckung, sie hatte ein Herz in der Brust!
Ihre Brüder hatten oft gespottet und sie die »Marmorbraut« genannt, wenn jede Huldigung der Prima voll kühlen Stolzes abgelehnt wurde, wenn sich die jungen Kaufleute, Freiwilligen und hie und da auch ein Referendar oder Leutnant die Augen nach ihrem Fenster ausguckten, ohne daß die spröde Schöne auch nur das Haupt von der Arbeit hob.
Warum auch?
Sie waren alle arm, alle keine derartige Partie, wie sie Severa in ihren ehrgeizigen, anspruchsvollen Träumen sah. Ja, eine Marmorbraut, welche kalt und ungerührt nur eine große, kluge Rechentabelle anstatt eines Herzens in der Brust trug.
Und wo blieben all die hoffärtigen Pläne?
Wie ein süßes, seliges Lächeln ging es plötzlich über das Antlitz des schönen Mädchens.
Manfred war arm, vielleicht der Ärmsten einer, und dennoch hatte sie sich ihm für Leben und Sterben angelobt.
Wie das gekommen war? – O, wenn man sein edles, herrliches Antlitz sah, verklärt in heiligem Entzücken, in einem beinahe überirdischen Enthusiasmus für seine Kunst, wenn man in diese klaren, tiefen Augen sah, welche kein Falsch kannten, wenn man seine Worte hörte, die so edel, so tugendhaft und ernst von den Idealen sprachen, die seines Lebens Zweck und Ziel bedeuteten, dann mußte man ihn lieb haben und überzeugt sein, daß keines Weibes Glück in sichereren Händen ruhen könne, als wie in den seinen.
Wie ein Rausch, wie ein Taumel süßer, innigster Leidenschaft überkam es Severa.
Eine erste Liebe, so mächtig, so blendend und zaubergewaltig, daß aller Stolz, Ehrgeiz und Verlangen vor ihr dahinschmolzen, wie Schatten an der Sonne. Severa begriff sich selber nicht, – aber in jener Wonnestunde, als er ihre Hände faßte und ihr seine Liebe bekannte, lauter und ernst wie ein Glaubensbekenntnis, da gelobte sie sich ihm an und war glücklich wie nie zuvor im Leben.
Ein armer, mittel- und titelloser Mann!
Wahrlich? – Bei aller Liebe zuckte Severas Herz doch bei diesem Gedanken schmerzlich auf, und sie verschlang die Hände vor der Brust und es klang wie eine schier trotzige Überzeugung: nein! nicht arm, nicht unbekannt! er wird ein berühmter Maler werden und viel, viel Geld verdienen – und dann bin ich eine viel beneidete Frau, die doch noch eine große Rolle in der Welt spielen wird!
Und just, als ob ihre leidenschaftlichen Gedanken sein Schicksal beeinflußten, so kam der erste große, unbegreiflich herrliche Erfolg mit seinem Bild: »Ein Studienkopf«.
Wie berauscht vor Freude kam Manfred aus der Residenz in das kleine Städtchen und erzählte mit strahlenden Augen von seinem Glück, von den Porträtbestellungen, welche mehr und mehr bei ihm einliefen, so daß er sich schon nach einem anständigen Atelier habe umsehen müssen!
Und heimlich zog er die Geliebte an die Brust und flüsterte mit stockendem Herzschlag: »Nun ein paar große Honorare – und dann teilen wir deiner Mutter unsern Herzensbund mit und werden so schnell wie möglich Mann und Weib!«
»Ja, sobald wie möglich!« nickte Severa mit blitzendem Blick. »Ach, wie sehne ich mich danach, aus diesen engen, prosaischen Verhältnissen herauszukommen und an deinem Flug zur Sonne teilzunehmen!«
Ja, bald! nur bald!
Auch jetzt rang sich's wie ein ungeduldiger Seufzer von ihren Lippen.
Das strahlende Lächeln, welches einen Augenblick ihr Antlitz verklärte, verlor sich in desto tieferen Schatten. Wieder streifte ihr Blick die kostbare Stickerei.
Manfred hat Erfolg und Bestellungen, er wird den Unterhalt für sein Haus verdienen, und wenn sie viel Glück haben, werden sie im günstigsten Fall sorgenlos leben können, vielleicht einmal eine Reise machen und in das Theater gehen – aber ein Leben so voll Pracht und Glanz, daß sie eine Stickerei wie diese – Toiletten für Hunderte von Mark tragen kann – ob er jemals so viel verdient? Wenn er gesund bleibt! – Mit den Jahren! – Dann, wenn sie alt geworden und ihre Schönheit zu welken beginnt, wenn der volle, stürmische Genuß der Jugend fehlt!
Ach, daß doch kein Glück vollkommen sein kann! Je nun! sie muß sich bescheiden.
Sie liebt ihn ja – und ein Herz und eine Hütte – und ein stilles Fleckchen, wo sie alle hochfliegenden Pläne zu Grabe legen kann.
Severa wirft mechanisch ein weißes Tuch über die Arbeit und wendet sich zur Türe, um noch ein wenig frische Luft in dem Garten zu schöpfen. Sie liebt es so sehr, dieses elegante Nichtstun! ebenso sehr, wie sie das sauere Arbeiten für fremde Leute haßt!
Und wie sie in den dämmrig stillen, blütenduftigen Wegen des Gartens hin und her schreitet, folgen ihr die Gedanken wie ein zudringlicher Mückenschwarm, und wieder und wieder grübelt sie über dem häßlichen Rätsel: Warum lebt ein so unbezwingliches Sehnen nach einem goldenen, gleißenden Dasein voll Glanz und Pracht in ihrem Herzen, wenn das grausame Geschick es nicht stillen wollte?
Horch ... ein eiliger Schritt auf dem Kiesweg.
So schreiten ihre Brüder nicht, so stürmt nur ein einziger seinem Glück entgegen.
»Manfred!«
Just will er die Steintreppe zur Haustüre emporspringen, als er ihren leisen Jubelruf hört.
Er wendet sich, eilt ihr entgegen und reicht ihr beide Hände dar.
»Kannst du mich für eine Stunde brauchen?« flüsterte er mit jauchzendem Klang in der Stimme. »O, süßes Lieb, ich bringe eine berauschend schöne Nachricht!«
»Ist dein Bild verkauft?« Sie fragt es atemlos, nimmt seinen Arm und schreitet an seiner Seite in das bergende Blütengebüsch hinein.
Er antwortet nicht sogleich, er steht unter den duftenden Fliederdolden, preßt sie stürmisch an die Brust und bedeckt ihr Antlitz mit Küssen.
»Aber Liebster – wenn man uns sieht!« wehrt sie erschrocken, und doch fluten die Schauer süßen Glücks durch ihre Brust und lassen sie alles vergessen, was sie eben noch so mißmutig stimmte.
»Laß unser Geheimnis sehen, wer es will!« ruft er so übermütig und keck wie sie ihn noch nie zuvor gesehn. »Nun soll und darf es ja offenbar werden, nun soll es die Welt wissen, daß du mein bist, und soll mich beneiden als den glückseligsten Mann im Deutschen Reich!«
»Was um alles ist geschehen, Manfred? Mach mich nicht neugierig! sprich!«
Er macht ein sehr geheimnisvolles Gesicht, zieht feierlich einen Brief aus der Brusttasche und hält ihn auf den Rücken.
»Rate von wem?« scherzt er leuchtenden Auges.
»Aber, Manfred! welch ein Verlangen!!«
Da lacht er abermals, küßt sie aufs neue und zieht sie neben sich auf die kleine Holzbank unter dem Flieder und Goldregen nieder.
»Nun sieh einmal diesen Stempel an!« sagte er feierlich.
Sie beugt sich neugierig vor und hält das große, steif kuvertierte Schreiben in das Licht.
»Ein Doppelwappen unter einer Königskrone?« sagt sie erstaunt und dann buchstabiert sie nicht ohne Mühe in dem Dämmerlicht: »Korrespondenz Ihrer Königlichen Hoheit der Kronprinzessin!«
Ein leiser Ausruf höchster Überraschung.
»Manfred! ein Brief vom Hofe? – hat man dort dein Bild gekauft?«
Wieder lacht der schlanke, blonde Mann und streicht launig den kleinen Schnurrbart.
»Nun gut! so sollst du diese Neuigkeit zuerst wissen! Ja, der Kronprinz hat das Bild zur Geburtstagsüberraschung für seine Gemahlin angekauft, und einen sehr generösen und fürstlichen Preis dafür gezahlt! – Nun, Herzliebste, was sagst du zu dieser Jubelpost?«
Severa atmet hoch auf. Ihr Blick umfaßt voll stolzen Entzückens das Antlitz ihres Verlobten, nie ist er ihr so schön, so liebenswert vorgekommen wie in diesem Augenblick, nie zuvor hat ihr Herz in solch reiner, himmelaufjauchzender Liebe geschlagen wie soeben.
Zum erstenmal im Leben denkt sie nicht in erster Linie an sich, sondern an ihn, an seinen Erfolg, an seine Auszeichnung, an sein Verdienst! Und die Selbstlosigkeit dieses Gefühls ist ihr so neu und erfüllt sie mit einer solch fremden, überwältigenden Glückseligkeit, daß sie in stummem Jubel die Arme um ihn schlingt und ihn küßt, – so heiß, so leidenschaftlich, wie nur eine Severa empfinden kann!
Es ist, als ob das große, wahre Glück, das einer edlen und selbstlosen Liebe in diesem Augenblick an ihre Seite getreten wäre, ihr süß und dringlich in das Ohr zu flüstern: »Hier bin ich! Halte mich fest, wenn dein Dasein Wert und Inhalt haben soll! Einmal nur kreuze ich im Leben den Weg der Irdischen, wohl dem, welcher mich erkennt und echtes Gold dem Flitterglanz weltlicher Lockung vorzieht!«
Severa ist es, als ob sie die leise Stimme hörte, traumhaft und verschwommen.
Aber sie hat es nie in ehrlicher Selbstzucht gelernt, auf die zarten Mahnungen ihres Gewissens zu achten, sie genießt auch jetzt die schöne Weihe dieses Augenblicks in achtloser Flüchtigkeit.
»Laß dir gratulieren, Manfred! Tausendmal Glück wünschen zu dem großen, wohlverdienten Erfolg, welcher mir eine Triumphpforte für unsere Zukunft deucht! Dein Bild ist herrlich! ein Meisterwerk! Es ist eine Garantie für eine glänzende Karriere!«
Im Übermaß des Glückes zieht er sie ans Herz. Noch nie hat sie ihm ihre Liebe so rückhaltlos gezeigt wie heute, noch nie brannte ihr stolzer, kühler Mund so heiß wie in dieser Stunde!
»Und wem danke ich diesen Erfolg, du Herrlichste?« fährt er erregt fort. »Dir! dir und deiner Schönheit allein, und das will ich dir sofort beweisen! Kannst du diesen Brief noch entziffern? oder soll ich meine elektrische Taschenlampe zu Hilfe nehmen? Aber lesen mußt du ihn – und zwar auf der Stelle, denn er enthält die zweite, große Überraschung, welche speziell dir gilt!«
»Mir?«
Mit zweifelndem Blick schaut sie zu ihm auf, dann erhebt sie sich und tritt unter den Wüschen hervor auf den freien Kiesweg, wo das letzte Tageslicht noch leuchtet.
»Weg mit der Lampe! ich kann noch ganz gut sehn!« sagt sie hastig und entfaltet mit einer ihrer kurzen, energischen Bewegungen das steife Papier mit der goldenen Königskrone!
Einen Augenblick haftet ihr Blick auf dieser.
Und wäre es auch nur eine neun- oder siebenpunktige – sie würde bezaubernd sein!
O glücklich, beneidenswert die Menschen, welche ein Krönlein tragen, welche sich solche Briefbogen anfertigen lassen können!
Sie wird nie so glücklich sein. – Severa Hoff! nichts mehr und nichts weniger, und wenn Manfred noch so berühmt wird!
Wieder fliegt der schnelle Schatten über ihre Stirne, sie neigt sich und liest.
Plötzlich werden ihre Augen groß und starr – sie liest ein-, zweimal – als könne sie den Sinn dieser Worte gar nicht fassen ... ihre Hand hält das duftende Papier fester, als fürchte sie, es könne wie Lug und Trug unter ihren Fingern zerrinnen.
»Manfred!«
Wie ein leiser, halberstickter Aufschrei ringt es sich von ihren Lippen.
Er ist aufgesprungen, neben sie getreten, er legt den Arm um sie und weidet sich an ihrer sprachlosen Überraschung.
»Hast du dir das träumen lassen?« lacht er, und seine weißen Zähne blinken durch den Schnurrbart.
Dunkle Blutwellen ergießen sich über Severas Antlitz.
»Und dies ist kein Scherz ... dies ist wahr und wahrhaftig ein Brief der Hofdame?« stammelt sie, kaum der Worte mächtig.
»Wahr und wahrhaftig ein echter Brief!« amüsiert er sich, greift nach dem Schreiben und will es wieder an sich nehmen, das schöne Mädchen aber wehrt ihm mit einer leidenschaftlichen Bewegung.
»Laß ihn mir! ich bitte dich darum! – und nun komm! setz dich wieder zu mir, – sag, was du der Gräfin geantwortet hast?«
Er führt sie zu der Bank zurück und nimmt an ihrer Seite Platz.
»Was ich geantwortet habe? Diese Staatsaktion steht mir noch bevor!« scherzt er und faßt ihre Hände, welche vor Aufregung beben: »Und aus diesem Grunde kam ich so überraschend und am späten Abend noch hierher gesaust! – Vor allen Dingen muß ich dich doch fragen, wie meine Antwort lauten soll! Willst du dein Inkognito aufgeben, soll ich der Hofdame wirklich deinen Namen nennen, oder ist es dir ein peinlicher Gedanke?«
»Peinlicher Gedanke? Inwiefern das? nicht im mindesten!« ruft sie beinah heftig, »ich bin selig über dies Interesse, ich würde kein höheres Glück kennen, als es mir vollends zu gewinnen!«
»Du glaubst, daß dieser Brief noch Folgen haben kann? Ehrlich gestanden, halte ich es auch nicht für unmöglich, daß du vielleicht einmal zu der Kronprinzessin befohlen würdest! Aber es würde mir sehr schmerzlich sein, wenn du dir falsche Hoffnungen machtest, denn die hohen Herrschaften sind viel beansprucht, – sie haben morgen vergessen, was sie heute interessiert!«
»Das hoffe ich nicht! Das wäre eine Grausamkeit des Schicksals, welche unerhört wäre!« rief Severa beinah ungestüm. »Nein, nein! ich weiß, ich fühle es, dieser Brief greift in mein Leben ein, er bildet den Wendepunkt, welchen ich so heiß ersehnte ...«
»Aber Kind! du bebst ja wie im Fieber!« lacht er noch immer voll harmloser Freude, »welch einen Wendepunkt soll er noch bringen? Unser Glück hat Gottes Gnade uns ja jetzt gesichert! Wir können heiraten! Ist das nicht die Erfüllung all unsrer sehnlichsten Wünsche?«
Es ist zu dämmrig unter den Zweigen, er sieht nicht den seltsamen Ausdruck ihres Gesichts, dieses begehrliche, unbefriedigte Glühen in den schwarzen Augen.
»Das wohl! – gewiß!« sagt sie flüchtig. »Aber zu dem Leben, dem schönen, reichen Leben gehört doch mehr wie Liebe und das tägliche Brot!«
» Mir genügt es!« sagt er weich, »habe ich dies beides, beneide ich keinen König!«
Sie machte eine ungeduldige Bewegung
»Schäm dich! nur Lumpe sind bescheiden! Das solltest du doch wissen!«
»Ja, ich weiß und kenne dies so vielfach mißverstandene und übel gedeutete Dichterwort und bleibe darum um so fester bei der Ansicht, daß Bescheidenheit und nur Bescheidenheit die Grundlage zu jedem wahren und friedlichen Glück bildet!«
»Auch für einen Künstler?«
»Für den in erster Linie! Du kennst meine strenge Moral und weißt, welche hohe Anforderungen ich gerade an die Künstler stelle! Sich selbst gegenüber, mit dem Maßstab, wie er sein künstlerisches Schaffen, Können und seine idealen Ziele mißt, kann er nie unbescheiden genug sein, sondern muß die höchsten Anforderungen an seinen Fleiß und sein redliches Streben stellen. Aber was seine Ansprüche an das Leben betrifft, muß er desto genügsamer und bescheidener sein! – Jedwedes Talent ist eine göttliche Inspiration, – der Künstler wird dadurch hoch über den Durschnittsmensch erhoben und soll in jeder Beziehung sein belehrendes und erziehendes Vorbild werden. Gebraucht er seine Gaben recht, und verwertet er sie nach Gottes Willen, so müssen sie ganz notwendigerweise auch seine eigene Persönlichkeit veredeln und sich in seinen Werken, seinem Leben und Handeln ausdrücken!«
Severa zerpflückte mit nervösen Fingern die Fliederdolde, welche er ihr gereicht.
»Die Vorliebe für Pracht und Luxus ist doch wohl nur eine Art Schönheitssinn, welche unmöglich strafbar oder unrecht sein kann!«
»Für Menschen, welchen Gott die überreichen Mittel gab, Kunst und Schönheit zu pflegen, gewiß nicht, aber für solche, welche sie nicht besitzen, aber in wilder, ruheloser Jagd danach haschen, um lediglich eine Begier und Wohlleben und Üppigkeit zu befriedigen – für solche ist eine derartige Vorliebe das größte Unglück!«
Severa lachte etwas ungläubig. »Unglück?! inwiefern?«
Er sah sehr ernst aus. Sein ehrliches, treues Gesicht schimmerte wunderbar licht in den ersten Strahlen des aufgehenden Mondes.
»Wer unbescheiden ist, wird ewig unzufrieden sein, und wer mit seinem Schicksal hadert, wer immer höher und höher hinaus will, der raubt sich das beste und einzige, was für uns arme Menschen in diesem Erdenleben das notwendigste ist – den Frieden! Die Jagd nach dem Glück gibt ihn nicht, in den Palästen wohnt er nicht, Ruhm und Ehre kennen ihn nicht. – Nur tief drinnen in dem stillen, Gott ergebenen Herzen, da hat er sich seinen Tempel gebaut.« – Voll großer, herzlicher Innigkeit faßte Manfred die Hände seiner schönen Braut und zog sie an die Brust: »Ob ich dir jemals einen Nibelungenhort zu Füßen legen kann, mein süßes Lieb, ob ich deine Schönheit jemals mit Brillanten und Perlen zu schmücken vermag, ich glaube es nicht, und ehrlich gestanden, ich hoffe es auch nicht! Selbst wenn ich ein reicher Mann würde, ginge es durchaus gegen meine Grundsätze, dem Luxus zu frönen, alles, was wir entbehren können, gehört den Armen. Also ein Glück nach dem Sinn der leichtfertigen Welt kann ich dir niemals bieten, aber den Frieden und all die stille Glückseligkeit, welche mit ihm Hand in Hand geht, die soll dir an meinem Herzen erblühen, das gelobe ich dir mit heiligem Wort! – Wird das nicht eine Ehe werden, um welche uns die Engel im Himmel beneiden?«
Wieder klang seine Stimme in dem leisen Jubel, welcher sie schon den ganzen Nachmittag durchbebte, er küßte die schwellenden Lippen und bemerkte es nicht, wie kühl sie geworden waren.
»So würdest du es nicht billigen, wenn ich zu der Kronprinzessin befohlen würde?« fragte sie gedehnt.
Er lachte. »Nicht billigen? Im Gegenteil, ich würde mich von Herzen darüber freuen, mehr noch, als wenn solche Auszeichnung mir widerführe! Ich weiß nur nicht recht, warum du solch eine an und für sich sehr harmlose Huld als ›Wendepunkt‹ deines Lebens bezeichnen willst!«
Severa lehnte das Haupt wie müde gegen seine Schulter zurück. Einen Augenblick starrte sie mit gefurchter Stirn geradeaus.
»Ich würde sie insofern als Wendepunkt betrachten, als sie mir eine neue Welt erschließt, in welcher ich viel für dich und deine Karriere wirken könnte!« sagte sie ausweichend. »Auch zu dem täglichen Brot braucht man Einnahmen und wen man bei Hofe protegiert, dem fehlt es nicht an Aufträgen!«
»Und dies alles willst du in fünf Minuten, bei einer einzigen Audienz bewerkstelligen?« amüsierte er sich, ebenso harmlos wie zuvor.
Sie nagte an der Lippe. »Hältst du es für unmöglich, daß sich die Kronprinzessin dauernd für mich interessiert?«
»Unmöglich nicht! Aber solch ein Interesse kann nur sehr › par distance‹ sein. Ein Verkehr bei Hofe ist doch um unseres schlichten Namens willen ausgeschlossen!«
Er bemerkte nicht, wie sie zusammenzuckte, wie ihre Brust sich stürmisch hob und senkte.
»Bitte, antworte noch heute abend! umgehend! – und teile der Gräfin meine genaue Adresse mit! Hörst du? Bitte schalte den Satz ein, daß das Interesse der Kronprinzessin mich doppelt hoch beglückt hätte, weil ich zu den schwärmerischsten Verehrerinnen ihrer idealen Schönheit zählte!«
»Sieh, sieh, du kleine Diplomatin! Wenn du dieses Geständnis deiner schönen Seele für vorteilhaft hältst, will ich deinen Wunsch erfüllen, obwohl ich ein abgesagter Feind von Schmeicheleien! bin!«
»Es ist keine Schmeichelei, sondern die Wahrheit!«
»Um so besser! Und nun komm, du mein süßes, wonniges Lieb, und laß uns zu deiner Mutter gehn! Ich möchte sie von all dem, was unsere Herzen so sehr bewegt, unterrichten, und diesen günstigen Augenblick benutzen, um mir ihr Kind zum Weibe zu erbitten!«
Er erhob sich, bog ihr Haupt zurück und sah ihr tief in die Augen.
»Komm!« bat er.
Severa aber hielt ihn mit fester Hand zurück.
»Du willst offiziell um mich anhalten?«
»Ja, Severa! Ich möchte der Kronprinzessin mitteilen, daß der schöne Studienkopf meiner Braut angehört! Ich möchte mein Glück, welches ich so schwer verheimlichen konnte, nun als schönsten und herrlichsten Erfolg in alle Welt jubeln!«
»Liebster – –«
»Nun? – zögerst du?«
»Unterlaß es heute noch! Aus zwei Gründen!«
»Und die wären?«
Seine Stimme klang sehr enttäuscht, mechanisch setzte er sich nieder.
»Mama ist sehr schlechter Laune heute! Die Buben haben nicht gut gelernt ... Du weißt, sie ist dann ungenießbar!«
»Um so mehr ist ihr Freude und Zerstreuung zu gönnen. Ich weiß, daß sie mich lieb gewonnen hat, und mich gewiß gern als Sohn in die Arme schließt! Also den Grund entkräfte ich! Und Nummer zwei?«
»Wenn du mich der Kronprinzessin als Braut vorstellst, wird es aussehn, als wolltest du dich dadurch in den Vordergrund des Interesses schieben!«
Er lachte hell auf.
»O du holde Unschuld! Nichts ernüchtert das Publikum mehr, als wie von der Verlobung eines Künstlers zu erfahren!«
»Gut, so unterlaß es aus diesem Grunde!«
»Aber Severa – sehnst du dich denn nicht auch danach, den goldenen Ring mit Fug und Recht zu tragen?«
Sie schmiegte sich kosend an ihn.
»Nein! Du gehörst mir, auch ohne Klatsch und Aufregung in der Stadt! – Laß mich erst mein neues Straßenkostüm fertig schneidern, damit ich an deiner Seite bestehen kann – –«
Ein lauter Ausbruch der Heiterkeit unterbrach sie.
»Also darum! – O, Eva, wie ähneln dir doch all deine Töchter!! Also die neue Toilette! Gut, diesem Wunsche füge ich mich: du liebes, eitles, großes Kind! Obwohl du wissen solltest, daß du keines Putzes bedarfst, um die Schönste von allen zu sein! Wie aber soll ich bei Mutter meinen überraschenden Besuch motivieren?«
Sie schlang die Arme um seinen Nacken.
»Gar nicht! Du sollst ungesehn, wie du kamst, sofort in die Residenz zurückkehren und den Antwortbrief an die Prinzessin schreiben!«
»So grausam kannst du gegen mich sein?«
»Ja! so grausam! Bis an die Gartenpforte begleite ich dich und sowie das Kleid fertig ist, schreibe ich dir einen Eilbrief!«
»Gut, ich bin gehorsam, – wer weiß ob ich es wäre, wenn nicht daheim so viel Arbeit auf mich wartete! Also Gott befohlen, du liebes, liebes Lieb! Ob offiziell oder nicht – mein eigen bist du doch!«
Ein letztes Grüßen und Winken noch durch die Gartenpforte, dann verschwand seine hohe Gestalt in dem Dämmerlicht der Allee, durch deren frisch grünes Laub der Mondenschein wie ein zarter Nebel fiel.
Severa aber wanderte ruhelos durch die einsamen Gartenwege; hinter ihrer Stirn jagten sich die Gedanken wie in Fieberhitze. Die seltsamsten Pläne tauchten aus, wurden phantastisch ausgesponnen und wieder verworfen.
Eine Audienz bei der Kronprinzessin! – Welch eine berauschende Hoffnung! Hat Severa erst den Fuß auf diese erste Sprosse einer Leiter gesetzt, welche empor führt, so wird sie Klugheit und Energie genug besitzen, sich auch weiter hinauf zu schwingen, hoch und höher – bis zu dem schwindelnden Gipfel alles Glücks.
Und Manfred?
Das schöne Mädchen kraust die Stirn. Wie ein schriller Mißton klingen ihr seine Worte noch in den Ohren: »Pracht, Wohlleben, Perlen und Brillanten kann und will ich dir niemals geben, – aber den Frieden sollst du an meinem Herzen finden!«
Ein leises, spottendes Auflachen. Den begehrt sie nicht!
Wie ein feiner Riß geht es durch ihr Inneres und der Engel, welcher soeben noch neben ihr stand und flüsterte: »Ich bin das Glück! Halte mich fest!« – der weicht mit traurigem Blick weiter und weiter von ihr zurück, nur von ferne noch hebt er warnend die Hand.