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Der taubstumme Börsenkönig

Wo ihrer vier oder fünf Mädel Arm in Arm gehen, auf dem glatten Fahrstraßel neben der schäumenden Ache, da machen sie bunte Reihe, immer eine bäurische und eine herrische, abwechselnd. Dann wehen die lichten Schleier oder Federn oder Stoffblumen auf den fürnehmen Strohhüten der Fräuleins im herben Wind der Rieserferner neben den breiten schwarzen Bändern, die hinter den flachkrempigen Seidenhüteln der »Moidelen« Maid, Tiroler Bauernmädchen. herflattern. Und doch sind, die unter so verschiedenem Kopfputz hinschreiten, Geschwisterte, oder wenigstens Geschwisterkind, oder Gefreundete zum Allermindesten. Das macht, daß die Deferegger, seit hundert Jahren bald, enge Beziehungen zur Stadt pflegen. Kein Hof in dem an die neun Wegstunden langen Hochtal, von der Huben über Hopfgarten, St. Veit und den Hauptort St. Jakob bis zum Talschluß hinter Erlsbach – der nicht den Vater, einen Sohn, eine Tochter, oder gleich mehrere Söhne oder Töchter in die Fremde entsendete, daß sie mithelfen die Heimat halten, da draußen, wo man Geld verdient. Und dieses »Draußen« ist weit weg, eine kleine Tagreise, bis man nur an die Eisenbahn kommt, und war früher noch viel weiter, eh' der nächste Schienenstrang es gewagt hatte, zwischen dem wilden Fluß und den wilden Abstürzen hin sich einen Weg durch das bergige Land zu beißen.

Auf dem zierlich geschnitzten Sölder eines dunkel holzbraunen Bauernhauses sitzt eine kranke Frau, und ich sitze ihr gegenüber. Aber ich bin noch ganz jung, ein fröhliches Studentlein aus Wien, das sich trotzdem im lieben Tirol, soweit der rote Adler seine Fittiche spannt, so gut wie zu Hause fühlt und seine Ferien gern dort verbringt. Denn ein paar Gymnasialjahre hindurch hatten die guten Patres Benediktiner vom Kloster Marienberg im Vintschgau mich in der Lehre gehabt, und in dem Land, wo man einmal zur Schule gegangen ist, da hat mau sein Lebtag ein Stück Heimat. Darum sitze ich als eine Art Landsmann neben der kranken Frau, nicht als ein Fremder. Als ein halber Deferegger beinahe. Die schnebbelnden Forellen im Defereggenbach, waren sie nicht stumm gewesen, hätten davon zu erzählen gewußt, wie ich an Geschicklichkeit, ihnen nachzustellen, längst keinem Einheimischen mehr etwas nachgab.

Die leidende Frau, die auch noch ganz jung ist und städtische Kleider trägt, läßt sich die spröde Herbstsonne auf den Rücken scheinen; ihr Gesicht ist wächsern wie das einer Toten fast. Vor zwei Jahren erst hat sie hinausgeheiratet, in eine nordböhmische Fabrikstadt, keinen Dortigen natürlich, sondern wieder einen Deferegger, der es auswärts durch einen kleinen Handel zu Wohlstand gebracht. Jetzt ist sie heimgekehrt, weil die Ärzte es ihr geraten haben. Wenn sie überhaupt noch gesund werden kann, so nur im Defereggen.

»Und den ganzen Winter wollen Sie bleiben? Wo doch dreizehn Wochen lang kein Strahl Sonne ins Tal scheint!«

»Ich bin es von Jugend auf nicht anders gewöhnt. In der Wirtschaft kann ich auch noch ein bissel mithelfen, die Mutter wird alt ... Und die Heimat bleibt halt doch die Heimat ...«

Vor einigen Tagen ist der erste Schnee gefallen, Mitte September. Nur zögernd weicht er von der schmalen Talsohle und von den schwarzen Dächern der schattseitigen Häuserrotte, die den sonderbaren Namen Rinderschinken tragt. Die düsteren Tannen auf dem steilen Berghang dahinter sind noch wie bezuckert.

»Die alle haben ihr Heimatl gehalten,« sagt sie traurig, mit der Hand auf die dürftigen Holzhütten weisend, »Und wir täten uns sogar leichter, weil wir sonnseitig liegen. Die einzigen in Rinderschinken, die eine Harpfen Harfenartiges Holzgestell zum Einschichten der Garben. voll Roggen haben ... Wenn das mit dem Vater nicht wäre ... Sie kennen ihn ja –?«

Ich begriff, daß es nicht bloß das Kranksein war, das an ihr zehrte. Wer kannte den Agapitl aus Rinderschinken nicht!

»Bin doch erst jüngst bei seinem Abschieds-Valetl Abschiedsfest. mit dabei gewesen!«

»Der hat es auch not, ein Abschieds-Valetl zu geben! ...«

Von den Prahlerischen und Lauten war er einer, die man nicht leicht übersieht. Ein Trinker, ein Kartler, einer jener Dorfspaßmacher mit rot unterlaufenen Augen, deren Lustigkeit immer etwas künstlich Überhitztes zu haben scheint. Bei der erwähnten Abschiedsfeier im Oberwirt zu St. Jakob, ehe er wieder hinausgewandert war, um in die Stadt und zu seinem Geschäft zurückzukehren, hatt' ich ihn Liedeln singen hören, zur Klampfen. Und Schnurren erzählen, daß die ganze Gaststube gröhlte. Und schließlich schreien und großsprechen: wie er der Gescheiteste sei im ganzen Defereggen und der Schläuest', und wie ihm die Gulden mühlos nur so in den Sack regneten, draußen in der Fremde, indessen die andern, die tasigen Zöch, Dämliche Einfaltspinsel. sich abschunden um ihre paar armseligen Kreuzer ... Daran erinnerte ich mich jetzt.

»Der Veiter«, sagte ich lächelnd, »hat Streit angehebt neulich. Ilm das Spielen auf der Börse ist es gegangen, weil der Vater sich gerühmt hat, wieviel daß er draußen verdient. Und wie sie wissen wollen, bei welchem Geschäft, da behauptete er, er verstünd' es, mit Papieren auf der Börse zu spekulieren. Sie lachten ihn bloß aus und nannten ihn den Börsenkönig. Leicht hätt' es zu einem großen Raufen kommen können, wär' so was üblich hier im Defereggen.«

»Da ist er halt wieder einmal angetrunken gewesen,« sagte die junge Frau beschämt. »Aber Sie müssen nicht glauben, daß er immer so war. Eigentlich kennen Sie ihn doch nicht, und ich kenn' ihn auch nicht mehr. Ein ganz anderer ist er geworden, die paar Jahre, die ich aus dem Hause bin ... Wissen Sie, daß Sie mir einen großen Gefallen tun könnten?«

Ich blickte sie an.

»Wenn Sie ihm ein bissel nachfragen wollten – bei Gelegenheit?«

»In Wien, meinen Sie?«

Sie nickte.

»Es muß irgend etwas nicht ganz in Ordnung sein ... Früher, wie er noch beim Leinwandhandel war, da ist alles ganz anders gewesen. Wenn er über den Sommer heim gekommen ist, der Mutter und uns Schwestern bei der Arbeit auszuhelfen, so hat er jedesmal ein Erspartes mitgebracht. Viel ist es nie gewesen, aber sauer verdient, darum hat er es festgehalten. Jetzt bringt er das drei- und vierfache heim, aber es ist kein Gegen mehr dabei, und er versauft es. Die Mutter hat schon aufnehmen müssen auf den Hof, und wenn es so fortgeht, wirtschaften wir ab. Eine Schande ist das im Defereggen!«

Mir war es bekannt, wie die Deferegger es halten. Die Liebe zur Heimat treibt sie hinaus. Als Teppich- und Uhrenhändler, im Leder- oder Leinwandgeschäft kommen sie weit herum. Als Verkäufer und Verkäuferinnen, als Angestellte, Arbeiter und Arbeiterinnen in den großen Strohhutfabriken oder in den stattlichen Uhrenniederlagen der Reichgewordenen verdingen sich Hunderte, derweilen Weiber und Kinder oder jüngere Geschwister zu Hause wirtschaften. Das Tal ist karg, liegt tausend Meter und mehr über See, hochgetürmte Uralpenzüge zwängen es ein. Unmöglich kann eine ganze Familie auf so einem Bauernhof satt werden, und wollte man von seinem Ertrag allein leben, so hieße das Schulden darauf häufen und ihn schließlich erst recht verspielen. Aber die Rüstigen und Unternehmenden helfen ihn halten mit dem auswärts verdienten Gelde. Und wenn sie Sommers heim kommen auf ein paar Wochen, oder auf ein paar Monate, je nachdem ein jeder es vermag, so finden sie ihr Heimatl wieder, und das ist ihre Freude und ihr Stolz. Seit Menschengedenken ist kein Anwesen in fremde Hände übergegangen. Der Deferegger verkauft nicht und hat es auch nicht nötig. Er weiß, daß die Liebe zur Scholle allein es nicht tut, wenn man die Hände dabei in den Schoß legt. Er begreift, daß es gilt, die Zähne zusammenbeißen und um die Heimat kämpfen.

»Was für eine Art Geschäft ist es eigentlich, das der Vater jetzt betreibt?« fragte ich.

Die blasse junge Frau sah bekümmert drein und wischte sich Tränen aus den Äugen.

»Wir wissen es nicht, und keiner weiß es. Die Leute munkeln allerhand und wundern sich, woher er das Geld nimmt zum Vertun. Ein paarmal hab' ich sogar schon prachten klatschen hören, als ob er was Unrechtes triebe, in der Stadt draußen. Er ist ganz still darüber, bloß wenn er getrunken hat, dann prahlt er gern mit seinem guten Verdienst und erzählt es herum, wie er sich jetzt nicht mehr zu plagen brauche, und wie leicht man sich tue, wenn man es verstünde wie er. Aber das kann doch alles nur Aufschneiderei sein, das mit dem Spekulieren auf der Börse – oder halten Sie es wirklich für möglich?«

Ich mußte lächeln, so leid es mir tat, daß gerade dieser eine so aus der allgemeinen, biederen und treuen Art geschlagen haben sollte.

»Dabei läßt er den Hof verkommen,« sagte sie weinend. »Wenn er so forttut, überleb' ich es nicht. Das Kranksein könnte sich vielleicht noch geben, zu Haus, bei der gewohnten Arbeit; aber die Schande bringt mich unter die Erde!«

Ich suchte sie zu beruhigen und zu trösten, so gut ich es vermochte, und versprach hoch und teuer, mich in Wien um den Vater umzusehen.

Als ich bald darauf den Defereggenbach entlang talabwärts zog, um in die Stadt und zu meinen technischen Studien zurückzukehren, war der Schnee fort, ein entzückend klarer, blauer Herbsthimmel hing über den finsteren Gneis- und Schiefergebirgen. Hoch oben auf einer »Harpfen« stand der Veiter, den ich kannte, und schlichtete Garben ein.

»Giahn Sie jetzt af Wian?« rief er mir herunter. »Grüßen Sie Agapiten, bal' Sie ihn sehen!«

»Den Agapitl aus Rinderschinken meinen Sie? Den Leinwandhausierer?« gab ich mich verstellend zurück.

»Den Börsenkönig heißt man ihn jetzt!« sagte lachend der Veiter. »Das Leinwandhausieren ischt ihm lang zu schlecht. Der verdiant jetzt einen Haufen Geld mit Spekulieren. Bal' ich wüßt', wie man's macht, tat ich's auch probieren.«

»Es ist ganz einfach,« sagte ich scherzend; »wie bei der Lotterie ungefähr. Wenn man gesetzt hat, und es kommt das Richtige heraus, so hat man gewonnen.«

»Da soll er halt für mich auch amal setzen, der Agapit,« meinte der Veiter, auf den Scherz eingehend. »Aber bloß, wenn er sicher weiß, daß das Richtige herauskommt – sagen Sie ihm das sell!«

*

Trotz meiner emsigen Bemühungen gelang es mir nicht, in der Stadt eine Spur des Börsenkönigs von Defereggen aufzufinden. Polizeilich war er unter seinem Namen nicht gemeldet, und zu Haus hatten sie mir auch nichts Näheres sagen können; die spärlichen Sendungen, die sie an ihn abgehen ließen, hatte er sich postlagernd ausgebeten. Der halbe Winter ging herum, ohne daß ich meinem Ziele näher gerückt wäre. Schon fing die Sache an, bei mir in Vergessenheit zu geraten, als ein Brief aus Defereggen mich wieder daran erinnerte. Die junge Frau schrieb mir, die Luft der Heimat und das gewohnte Leben hatten ihr schweres Leiden schon ein gut Stück gebessert. Wäre der Kummer um den Vater nicht, der noch immer an ihr zehre, und auch die Sorge um das Anwesen, das durch seine Liederlichkeit verloren zu gehen drohe, so hätte sie Zutrauen genug in sich, mit Gottes Hilfe noch einmal ganz gesund zu werden. Ob ich denn mein Versprechen vergessen und dem Vater nicht nachgefragt hätte?

Gerade um diese Zeit komme ich einmal auf meinem Weg nach der Hochschule durch den »Schmeckerden Wurm«, eines jener sogenannten Durchhäuser, deren sich bekanntlich viele in der inneren Stadt Wien noch heute erhalten haben. Da steht ein Bettler in einem Winkel, ein kleines klimperndes Spielwerk an einem Lederriemen vor der Brust, ein Blechschüsselchen darauf, in dem ein paar Kreuzer liegen. Ich stutze und stehe still. Trotz der Lumpen, in die er gehüllt war, hatte ich den Mann erkannt. Trotz der langen grauen Bartstoppeln, die sein Kinn und seine Wangen unordentlich überwucherten. Trotz der großen schwarzen Brille, die nicht nur die ganzen Augenhöhlen verdeckte, sondern auch seitlich an den Schläfen mit dunklen Schutzgläsern versehen war. Um den Hals hing ihm ein Blechtäfelchen, darauf stand geschrieben: »Taubstumm!«

Eine tolle Laune überkam mich, den gerissenen Fuchs zu fangen. Und indem ich dicht an ihn herantrat und eine Münze in den Blechteller fallen ließ, fragte ich gleichsam teilnehmend: »Agapitl aus Rinderschinken, bischt denn auch – blind?«

Er konnte natürlich meine Frage weder vernommen haben, noch beantworten, anscheinend hatte er doch, seit wir einander das letztemal gesprochen, Gehör und Sprache verloren. Dennoch bemerkte ich deutlich, wie er zusammenzuckte und unruhig wurde. Meine plötzliche Anrede, mein unerwartetes Auftauchen schienen ihn zu erschrecken und verwirrt zu machen. In diesem Augenblick mochte er die Übersicht über die verschiedentlichen Gebrechen, die ihn von einem Verkehr mit der Außenwelt abschlossen, gänzlich verloren haben, denn in kläglichem Ton kam die Antwort von den Lippen des Taubstummen: »Nur lei an blassen Schein hun i.« Bloß einen blassen Schein habe ich.

Das kleine Spielwerk klimperte den Radetzkymarsch, und ich lachte Tränen.

*

Ich war so frei gewesen, ihn für den Abend in eine verborgene Tiroler Weinstube einzuladen, da ich etwas mit ihm zu besprechen hätte. Wer mich aber sitzen ließ und nicht erschien, war mein Agapitl. Am nächsten Tage ging ich abermals durch den »Schmeckerden Wurm«. Der taubstumme Agapit aus Rinderschinken mit dem blassen Schein vor den halb erblindeten Augen war verschwunden.

Den darauffolgenden Sommer hatte ich von früh bis spät für Prüfungen zu arbeiten. Erst gegen Herbst kam ich wieder ins Defereggen. Als ich mich, fröhlich talauf wandernd, der Rotte Rinderschinken näherte, da stand abermals der Veiter auf seiner »Harpfen« und schichtete Roggengarben ein. Meine erste Frage war nach Agapiten seiner Tochter? Und wie es ihr den Sommer über ergangen wäre? Zu meiner angenehmsten Überraschung erfuhr ich, daß sie inzwischen völlig genesen und dahin zurückgekehrt sei, wo ihr Mann lebte. Die Freude, daß der Vater wieder ein ordentlicher Mensch geworden, sollte sie gesund gemacht haben.

»Und der Agapitl,« fragte ich erstaunt, »ist der jetzt nicht mehr der Börsenkönig?«

»Der sell giaht wieder mit Leinwand hausieren wie eh',« sagte der Veiter. »Mit dem Spekulieren auf der Börs' ischt es halt döchterst niacht Rechtes. Wo's zu leicht einfluigt, fluigt's auch zu leicht wieder aus.« Wo Geld leicht eingeht, wird es auch leicht wieder ausgegeben.

Als der Tochter Kunde zukam, ich wäre wieder in Defereggen, schrieb sie mir einen dankerfüllten Brief. Ganz allein mein Verdienst sollte es sein, daß der Vater wieder ordentlich geworden sei und das Saufen aufgesteckt habe. Denn nur über mein eindringliches Zureden sei er, nach seinem eigenen, aus freien Stücken abgelegten Geständnis, zum Leinwandhandel zurückgekehrt und hätte dem Spekulieren auf der Börse abgeschworen.

Ich ließ das unverdiente Lob auf mir sitzen, schwieg und freute mich nur im stillen des Erfolges.

Der Agapit aus Rinderschinken ging mir seither ans dem Wege wie das gebrannte Kind dem Feuer. Stets hatte er bei irgendeinem entlegenen Hof dringlich etwas zu bestellen und kletterte pfadlos, rechts oder links, wie es sich gerade schickte, die Berglehne hinan, wenn er mich nur von weitem daherkommen sah. Irgendein wundertätiges Augenwasser mußte ihn nicht bloß wieder sehend, sondern sogar scharfsichtig wie einen Falken gemacht haben.

Einmal indessen gelang es mir trotzdem, seiner habhaft zu werden. Es war bei dem »Abschieds-Valetl«, das der Veiter für seinen Buben gab. Da sah ich ihn eingekeilt zwischen Gefreundeten am Wirtstisch sitzen, und als ich boshaft genug war, gerade ihm gegenüber Platz zu nehmen, konnte er mir natürlich nicht mehr entwischen. Er stieß mit mir an und bemäntelte seine Verlegenheit mit lautem und prahlerischem Gehaben. Diesmal war ich daran schuld, wenn er sich einen Zopf trank. Der Tiroler »Reatl« Rotwein ist leicht, und wer sich Mut daraus holen will, muß die Flasche mehr als einmal frisch füllen lassen.

Als nach und nach mit dem besoffenen Elend auch die Aufrichtigkeit über ihn kam, da fing er gegen mich zu wettern an. Ein Höllenzoch sei ich, ein vertnifelter! Wie der Kaiser Aurelian seinen Namenspatron, den heiligen Agapitus, gefoltert hätte, indem er ihm glutige Kohlen aufs Haupt legte – geradeso hätt' ich es ihm gemacht. Das werde er mir nicht vergessen und schon noch einmal heimzahlen!

Er zeigte mir sogar die Faust und sah grimmig drein, aus seinen wieder rot unterlaufenen Augen.

Die anderen, die nicht verstanden, um was es sich handelte, wunderten sich und wollten wissen, woher die Feindschaft? Ihre Fragen, was es zwischen mir und Agapiten gegeben hätte, ernüchterten ihn. Er erschrak, es wurde ihm plötzlich klar, daß der Wein ihn zu unsinnigen Reden verleitet hatte, und daß es besser gewesen wäre, den heikelsten Punkt seines Vorlebens lieber unberührt zu lassen.

Es sei alles nur Spaß gewesen, wollte er jetzt glauben machen, aber niemand hörte mehr auf ihn. Alle drangen sie in mich, ich wüßte sicher Näheres über Agapitls Spekulieren an der Börse, das sollt' ich ihnen zum besten geben.

Der Agapitl selbst war inzwischen ganz kleinlaut geworden und demütig. Er sah mich an wie einer, der fußfällig um Schonung fleht, und ich hielt es für ratsam, Gnade vor Recht ergehen zu lassen.

»Von mir aus mag das Vergangene begraben bleiben,« sagte ich; »dem Reumütigen soll man nichts mehr nachreden. Darum kehrt ihr anderen nur vor eurer eigenen Tür, der Teufel legt einem jeden Fallstricke, und mancher, der sich über seines Nächsten Fehler den Mund zerreißen möchte, ist vielleicht selbst schon auf dem besten Weg ins höllische Feuer.«

Diese Sprache wurde verstanden, man ließ von Agapiten ab und forschte nicht weiter nach seiner Vergangenheit. Dem zerknirschten Sünder aber mochte es wie eine Zentnerlast vom Herzen gefallen sein, daß ich ihn nicht verraten hatte. Wenigstens faßte er über den Tisch hinweg nach meiner Hand und zerdrückte sie fast zwischen seinen großen, groben Händen. Es lag ein gottsheiliges Versprechen in diesem Händedruck.

Und er hat sein stummes Gelöbnis wirklich gehalten, der Agapit aus Rinderschinken. Er erlitt keinen Rückfall mehr, weder ins Spekulieren an der Börse noch in die Taubheit, noch in die Stummheit, und in die Blindheit nur ab und zu, wenn ich ihm zufällig begegnete. Dann kam es wohl vor, daß er mich gern übersah, wen es leicht sein konnte. Ich glaube, ich bin für ihn zeitlebens so etwas wie eine Kaiser Aurelian geblieben. Vielleicht fielen ihm bei meinem Anblick immer wieder die glühenden Kohlen auf seinem Haupte ein – und daran läßt sich schließlich niemand gern erinnern.

Dem Leinwandhandel ist Agapit treu geblieben bis an sein seliges Ende. Allsommerlich, wenn er aus der Stadt zurückkam, brachte er manchen sauer verdienten Gulden mit und lieferte ihn getreulich ab. Der Hof wurde gehalten wie alle Höfe im Defereggen, er befindet sich noch heute im Besitz der Familie. Und wenn die Auswärtigen, die dazugehören, über Sommer heimkehren, so wissen sie, wo sie zu Hause sind.


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