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Illustration: Theophile Schuler

XI

Man kann sich vorstellen, worüber Fritz auf den Wallanlagen nachdachte. Mit gesenktem Kopf und dem Gehstock unter dem Arm spazierte er hinter dem Magazin entlang und spähte nach rechts und links, ob jemand käme. Er meinte, dass jeder seine Lage auf den ersten Blick erkennen müsste.

»Ein Junggeselle von sechsunddreißig Jahren verliebt sich in eine Siebzehnjährige, so etwas Lächerliches!« sagte er zu sich. »Daher kam also der Ärger mit deiner Zerstreutheit und deinen Träumereien in den letzten drei Wochen, Fritz! Deshalb hast du andauernd in der Schenke verloren, warst mit dem Geist nicht im Weinkeller und hast am Fenster beim Blick auf den Markt gegähnt wie ein Esel. Kann man in deinem Alter so dumm sein?

Es wäre ja noch verständlich, wenn du dich zum Beispiel in die Witwe Windling oder die große Salome Rödig verliebt hättest. Lieber sich tausendmal erhängen als eine davon zu heiraten, aber wenigstens wäre so eine Heirat in den Augen der Leute vernünftig. Doch sich in Susel zu verlieben, die Tochter deines Bauern, ein Kind ohne deinen Stand oder deine Stellung, ein richtiges Kind, dessen Vater du sein könntest, das geht zu weit! Es ist ganz und gar wider die Natur, ist nicht einmal witzig. Wenn zu allem Unglück jemand etwas ahnen sollte, dann könntest du dich im Großen Hirschen, im Kasino oder sonst wo nicht mehr sehen lassen. Auslachen würde man den Fritz, der die anderen so sehr ausgelacht hat. Ein Abgrund der Verzweiflung würde sich auftun. Sogar der alte David, der doch so viel fürs Heiraten übrig hat, würde dir ins Gesicht lachen und dir eine Standpauke halten, aber wie!

Zum Glück weiß niemand etwas, und du bist rechtzeitig aufmerksam geworden. Jetzt ersticke nur schnell diese Schwärmerei und reiß das Unkraut aus deinem Garten. Du wirst wohl drei oder vier Tage lang ein wenig traurig sein, aber der Humor kommt schon wieder. Der alte Wein tröstet dich, du kannst Essen ausrichten und in Hahns Wagen Ausflüge in die Umgebung machen. Ach richtig, erst vorgestern hat er mich zum hundertsten Mal bekniet, ihn bei der Steuereinnahme zu begleiten. Diesmal fahre ich mit. Wir werden uns unterhalten und lustig sein, und in vierzehn Tagen ist alles vorbei.«

Zwei Husaren näherten sich Arm in Arm mit ihren Liebchen. Als Kobus sie auf der Spitalbastion daherkommen sah, stieg er in die Alteisenstraße hinunter und ging nach Hause.

»Ich schreibe sofort an Vater Christel, dass er selbst das Gitter einsetzen und das Fischbecken füllen soll«, sagte er zu sich. »Wer mich dabei ertappen will, wie ich nochmal zum Meisental gehe, der kann bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten.«

Als er heimkam, deckte Katel gerade den Tisch. Susel war schon lange fort. Fritz öffnete seinen Sekretär, schrieb Vater Christel, dass er nicht kommen könne, und trug ihm auf, das Gitter selbst einzusetzen. Dann versiegelte er den Brief, setzte sich zu Tisch und aß wortlos.

Nach dem Essen ging er gegen ein Uhr zu Hahn, der gegenüber der Markthalle im Hotel Zum Storchen wohnte und dort auch sein verrauchtes Amtsstüblein hatte. Mit der Pfeife im Mund legte er sich soeben Säckchen zurecht und steckte große, in Kalbsleder gebundene Registerbücher in eine Ledermappe. Sein Bediensteter Geiß half ihm.

»Hallo, Kobus!« rief er aus, »was verschafft mir dein Besuch? Ich sehe dich nicht oft hier.«

»Du hast mir vorgestern gesagt, dass du eine Rundreise vorhast«, antwortete Fritz und setzte sich auf die Tischecke.

»Ja, der Wagen ist für morgen früh um fünf Uhr bestellt. Schau her, ich bin eben mit meinem Stammbuch Nach Prof. J. Etlin (Fußnote 10 zum Vorwort, Anhangsband, S. 16) war das livre à souches ein Steuerregister mit abtrennbaren Zetteln als Quittung. und den Säckchen fertig. Die Reise wird wohl sieben oder acht Tage dauern.«

»Ich möchte mitfahren.«

»Du fährst mit!« schrie Hahn fröhlich und schlug mit seinen dicken, breiten Händen auf den Tisch. »Endlich, endlich hast du dich entschlossen, ist ja großartig! Hahaha!«

Voll Begeisterung warf er sein schwarzes Seidenkäppchen beiseite, fuhr sich mit der Hand über den halbkahlen, geröteten Kopf und rief:

»Das passt mir gut!... passt mir gut!... Werden wir einen Spaß haben!«

»Ja, das Wetter sah günstig aus«, sagte Fritz.

»Ein herrliches Wetter«, rief Hahn und schob die Vorhänge hinter seinem Sessel auseinander. »Ein goldenes Wetter, ein Wetter wie in zehn Jahren nicht. Wir brechen morgen in aller Frühe auf und ziehen durchs Land... alles klar... aber sag mir nicht ab!«

»Da kann ich dich beruhigen.«

»Ach du meine Güte«, rief der Dicke, »du hättest mir keine größere Freude machen können. Geiß! Geiß!«

»Herr Hahn?«

»Meinen Umhang! Hier... hängen Sie meinen Hausrock hinter die Tür. Schließen Sie das Büro ab, den Schlüssel bekommt Mutter Lehr. Gehen wir in den Großen Hirschen, Kobus?«

»Ja, auf ein paar Schoppen; unterwegs gibt's kein gutes Bier.«

»Warum nicht? In Hackmatt ist das Bier doch gut.«

»Hast du denn nichts mehr vorzubereiten, Hahn?«

»Nein, alles ist fertig. Ach ja, sag mal, möchtest du nicht zwei oder drei Hemden und Strümpfe in meinen Koffer legen?«

»Ich packe selbst.«

»Na dann los!« schrie Hahn und nahm ihn beim Arm.

Sie gingen hinaus, und der dicke Steuereinnehmer begann, die Dörfer aufzuzählen, die sie in der Ebene und im Gebirge besuchen würden.

»In der Ebene, in Hackmatt, Mittelbronn und Lixheim Einen Ort namens Lixheim gibt es ca. 5 km westlich von Phalsbourg. wohnen lauter Protestanten, alles reiche, wohlsituierte Leute mit hübschen Häusern, gutem Wein, gutem Essen und guten Betten. Wie die Maden im Speck können wir in den ersten sechs Tagen leben, und die Steuereinnahme ist auch nicht schwer, denn die Gelder des Königs werden schon bereitliegen. Bloß am Ende gibt's da noch ein Eckchen, das Wildland, eine Wüstenei, wo man am Weg lauter Kreuze sieht und die Reisenden am Hungertuch nagen. Na, keine Bange, wir werden schon nicht verschmachten.«

Fritz hörte lachend zu, und so kamen sie in die Schenke zum Großen Hirschen, wo alles wie üblich ablief. Es wurde gespielt, Bier getrunken, und gegen sieben Uhr kehrten alle heim zum Abendessen.

Wie gewohnt ging Kobus durch den Hausflur in die Küche, um zu sehen, was Katel für ihn kochte, und fand die alte Magd auf einem Holzschemel beim Herd sitzend vor. Sie hatte einen Wischlappen auf den Knien und wichste gerade seine festen Schuhe.

»Was machst du denn da?« fragte er.

»Ich putze Ihre dicken Schuhe, damit Sie zum Landgut gehen können. Das haben Sie doch morgen oder übermorgen vor.«

»Ist unnötig«, sagte Fritz, »ich gehe nicht hin, hab's mir anders überlegt.«

»Sie gehen nicht hin?« sagte Katel überrascht, »da werden Vater Christel, Susel und die anderen dort aber traurig sein, Herr Kobus!«

»Ach was, wenn sie bisher ohne mich ausgekommen sind, werden sie's mit Gottes Hilfe auch weiterhin ertragen. Ich reise mit Hahn übers Land, um einige Angelegenheiten zu erledigen. Übrigens, da fällt mir ein, dass auf dem Kaminsims ein Brief für Christel liegt. Gib ihn bitte morgen dem kleinen Schorsch, er soll ihn hinbringen. Heute Abend pack mir den Koffer mit drei Hemden und allem, was man sonst noch für ein paar Reisetage braucht.«

»Ja, Herr Kobus.«

Voll Stolz über seine Entschlossenheit ging Kobus ins Speisezimmer. Nachdem er mit gutem Appetit zu Abend gegessen hatte, legte er sich schlafen, um früh am nächsten Morgen zur Abreise frisch zu sein.

Noch vor fünf Uhr hockten Fritz Kobus und sein Freund Hahn auf einem alten Wagen, der nach einer vergangenen Mode mit Weidenruten wie ein Korb umflochten war, und fuhren im scharfen Trab durch das Hildebrandttor auf die Michelsberger Landstraße hinaus. Die Sonne ging soeben im Nebel über der Losser auf.

Hahn hatte einen dicken Biberpelzmantel an und eine Kappe aus langhaarigem Fuchsfell aufgesetzt, deren Schwanz hinter ihm her flatterte. Kobus trug seinen schönen blauen Umhang, die grün-rot karierte Samtweste und seinen breiten schwarzen Filzhut.

Einige alte Frauen mit dem Besen in der Hand sahen sie vorüberziehen und sagten: »Da fahren sie und sammeln in den Dörfern das Geld ein. Es wird Zeit, dass wir unsere Schätze hervorholen, denn bald kommt der Bescheid über die Fenster- und Türsteuer. Ist dieser Hahn doch ein Lump! Er glaubt wohl, dass alle Welt sich nur für ihn abschuften soll. Nie hat er genug, und die Gendarmen unterstützen ihn auch noch!«

Übelgelaunt setzten sie ihre Kehrarbeit fort.

Unmittelbar hinter dem Vorwerk gerieten Hahn und Kobus in den Flussnebel.

»Hübsch kühl heute Morgen«, sagte Kobus.

»Hahaha«, antwortete Hahn und knallte mit der Peitsche, »ich hab' dir ja gestern gesagt, dass du deine Wolljacke anziehen solltest. Jetzt leg dich nach hinten ins Stroh, mein Lieber, leg dich nur hin. Hüh, Fuchs, hüh!«

»Ich werde eine Pfeife rauchen«, sagte Kobus, »das wärmt mich auf.«

Er schlug Feuer, zog seine große Porzellanpfeife aus einer Seitentasche und rauchte mit ernster Miene vor sich hin.

Das Pferd war ein großer Mecklenburger Klepper, der die Hufe artig hinter sich warf. Die Bäume und Büsche reihten sich am Weg aneinander. Hahn hatte die Peitsche in eine Ecke gegen seinen Fußhacken gestellt und rauchte jetzt auch wie träumend vor sich hin, denn dazu neigt man im Nebel, wo nichts klar zu erkennen ist.

Die gelbe Sonne hatte Mühe, die dicken Nebelschwaden aufzulösen. Unten an der Straßenböschung rauschte die Losser. Sie war weiß wie Milch und schien unter den großen Trauerweiden zu schlafen.

Manchmal schrie ein Eisvogel durchdringend auf und flog davon, wenn der Wagen sich näherte, oder eine Lerche zwitscherte ein paar Töne. Wenn man genau hinschaute, sah man die Dachform ihrer grauen Flügel, während sie in einigen Fuß Höhe über die Felder flog. Sekundenschnell fiel sie wieder ein, und man nahm nur noch das Rauschen des Flusses und das Geraschel der Pappeln wahr.

Kobus spürte ein wahres Wonnegefühl. Er freute und beglückwünschte sich zu seinem Entschluss, Susel in heldenhafter Flucht zu entkommen, denn dies hielt er für den Gipfel menschlicher Weisheit.

»Wie viele andere«, dachte er, »wären in diesen Schlingpflanzen aus Rosen eingeschlafen, die einen enger und enger umschließen und endlich zu festen Bändern werden wie die, welche die tugendhafte Dalila für Samson knüpfte Vgl. im Alten Testament Ri 16,7 f! Ja, ja, Kobus, du kannst dem Himmel für dein Glück danken, denn jetzt bist du wieder frei wie ein Vogel hoch in der Luft. Bis in die Sicherheit des Alters hinein wirst du von Zeit zu Zeit deine Abreise aus Hüneburg nach Art der Hebräer feiern, die sich stets mit Andacht an die goldenen und silbernen Töpfe von Ägypten erinnerten, wo sie alle Kohlköpfe, Kohlrabi und Zwiebeln S.o., Fußnote 76. zurückgelassen hatten, um das Allerheiligste zu retten. Jetzt folgst du ihrem Beispiel, und selbst der alte Sichel wäre begeistert über deine seltene Weisheit.«

Noch tausend andere, nicht minder rechtschaffene Gedanken gingen Fritz durch den Kopf. Er glaubte sich fern jeder Gefahr und atmete die Frühlingsluft mit dem beruhigenden Gefühl der Sicherheit ein. Doch der Herrgott, dem diese Anmaßung wohl zu viel geworden war, hatte beschlossen, an Fritz die Weisheit des Spruchs aufzuzeigen: »Verbirg dich nur, flieh, versteck dich im Gebirge und auf der Ebene, tief im Wald oder in einem Brunnen; ich aber werde dich entdecken, und meine Hand liegt auf dir! Dieser Gedanke erscheint an mehreren Stellen im Alten Testament, am deutlichsten wohl in Ps 139, 5-12.«

In Steinbach bei der großen Mühle trafen sie auf eine Tauffeier in St. Blasius und sahen ein rosiges Kindchen auf dem weißen Kopfkissen, die stolze Hebamme mit ihrer Spitzenhaube und viele Leute, die munter wie die Buchfinken waren.

In Hoheim feierte ein greises Paar auf einer Wiese goldene Hochzeit. Sie tanzten inmitten des ganzen Dorfvolks. Es wurde gelacht, und die Gläser klangen; Wein, Bier und Kirschwasser flossen auf den Tischen. Auf einer Tonne stand der Dorfmusikant und blies die Klarinette aus vollen roten, bis zu den Ohren hin geblähten Backen. Seine Nase war purpurrot und die Augen weit aufgerissen. Jeder schlug den Takt mit. Die beiden Alten warfen die Arme hoch und walzten mit lachenden Gesichtern. Kinder scharten sich um sie, und lauter Jubel stieg zum Himmel.

In Frankental zog eine Hochzeitsgesellschaft die Stufen zur Kirche hinauf, voran der Brautführer mit einem dreieckigen Blumengebinde auf der Hemdbrust und einem Hut, an dem Bänder in tausend Farben flatterten. Ihm folgte das junge, aufgeregte Paar, die alten Papas, die in ihre grauen Bärte lachten, und die dicken, stolzen Mütter.

Diese herrlichen Anblicke gaben einem unsagbar viel zu denken.

An einer anderen Stelle pflückten fünfzehn- oder sechzehnjährige Jungen und Mädchen an den Hecken entlang Veilchen. Man sah ihren leuchtenden Augen an, dass sie sich nachher lieben würden. Wieder woanders wurde ein Rekrut mit seinem Bündel unter dem Arm von seiner Verlobten auf dem Weg begleitet. Von fern hörte man den Schwur der beiden, aufeinander zu warten.

Wo man auch hinsah, weit und breit lief in tausend verschiedenen Formen die alte Geschichte von der Liebe ab. Man hätte glauben können, dass der Teufel die Hand im Spiel hatte.

So ist eben die Frühlingszeit, wenn die Herzen erwachen und alles wiedergeboren wird, wenn das Leben aufblüht, jeder zum Glück eingeladen ist und der Himmel den Verliebten unzählige Versprechen gibt! Überall traf Kobus auf Szenen, die ihn an Susel erinnerten, und jedes Mal errötete er, verfiel ins Grübeln, kratzte sich am Ohr, seufzte und sagte zu sich: »Was sind die Leute doch dumm zu heiraten! Je weiter man reist, desto deutlicher erkennt man, dass drei Viertel der Menschheit den Kopf verloren haben und in jeder Stadt nur fünf oder sechs alte Kerle vernünftig geblieben sind. Ja, kein Zweifel... die Weisheit ist nicht jedem gegeben, man darf sehr zufrieden sein, wenn man zu den wenigen Auserwählten gehört.«

In jedem Dorf ging Hahn sofort dazu über, die Steuergelder für den König einzuziehen und Quittungen auszustellen. Währenddessen langweilte sich unser Fritz Im Originaltext wird an dieser Stelle der Begriff l'ami Fritz zum erstenmal verwendet.. Da er immer mehr an Susel denken musste, verließ er schließlich die Herberge und ging die Hauptstraße entlang, um sich abzulenken. Rechts und links betrachtete er die alten Häuser mit ihren verzierten Balken, Freitreppen, Galerien aus wurmstichigem Holz, efeubedeckten Taubenschlägen, Gärtchen mit Plankenzäunen darum, Innenhöfen und den hohen Nuss- und Kastanienbäumen, deren auseinanderstrebendes Laubwerk sich über den Dächern wiegte. Die Fensterchen mit den sechseckigen Gläsern waren trübe von Staub oder glänzten wie Perlmutt. Blendend helles Licht füllte die Luft, und in den Gässchen liefen scharenweise Hühner und Enten gackernd und quakend herum. Die Schwalben hatten damit begonnen, ihre Nester aus Schlamm in den Fensterecken zu bauen, und flitzten wie Pfeile über die Straßen. Strohblonde Kinder flochten die Bänder ihrer Peitschen, und die Alten sahen aus der Tiefe ihrer dunklen Küchen oder von den ausgetretenen Stufen der Vordertreppen her gütig zu. Mädchen lehnten sich neugierig aus den Fenstern und schauten herüber. All das zog an Fritz' Augen vorbei, konnte ihn aber nicht ablenken.

Er ging umher, sah, wurde gesehen und dachte ständig an Susel, an ihre Halskrause, ihr Häubchen, ihr schönes Haar und die festen Arme. Dann dachte er an den Tag, als der alte David Susel zwischen Fritz und sich an den Tisch gesetzt hatte, an den Klang ihrer Stimme, als sie die Augen senkte, dann an ihre Krapfen oder an die Sahnefleckchen, die er einstmals auf dem Landgut an ihr gesehen hatte. Er erinnerte sich an einfach alles – und völlig gegen seinen Willen!

Mit der Nase in der Luft und den Händen in den Hosentaschen geriet er am Ende des Dorfs in ein kleines Kornfeld oder auf einen Fußpfad zwischen den Roggen- oder Kartoffeläckern. Dort sang die Wachtel ihr Liebeslied, das Rebhuhn rief nach seinem Gefährten, und die Lerche bejubelte in den Wolken ihr Mutterglück. Hinter Fritz, in den fernen Gassen, schrie ein Hahn seinen Triumph hinaus. Der lauwarme Hauch des sachten Windes trug und verteilte überall unzählige Samen, die den Boden befruchteten, toujours l'amour! Darüber strahlte die Sonne, die Mutter allen Lebens, die mit ihrem breiten, feurigen Kranz und langen, goldenen Armen alles umarmt und segnet, was atmet! Ach, scheußliche Bedrängnis! Wenn man unglücklich ist, glaubt man überall denselben Gedanken und denselben Plan zu erkennen und erleidet überall dieselbe Qual! Wie wird man diese Räude los, die einen ständig verfolgt und umso stärker juckt, je mehr man sich kratzt? Gott im Himmel, was sind manche Menschen doch arm dran!

»Es ist erstaunlich«, sagte der geplagte Kobus zu sich, »dass ich nicht mehr denken kann, was ich möchte, und nicht mehr vergessen kann, was ich nicht mag. Wie geht das zu, dass mein Hirn alle Ordnung, Vernunft und Vorausschau über den Haufen wirft, sobald ich nur ein paar Vögeln beim Schnäbeln oder den Schmetterlingen bei ihren Luftspielen zusehe? Dabei sind das doch Kindereien, vollkommen unsinniges Zeug! Ich denke an Susel, brabble vor mich hin und fühle mich unglücklich, obwohl mir nichts fehlt und ich gut esse und trinke! Na komm, komm, Fritz, das geht doch nicht. Wirf's ab, werde endlich vernünftig!«

Genauso gut hätte er seine Vernunftgründe gegen die Gicht oder die Zahnschmerzen erheben können.

Das Schlimmste war jedoch die näselnde Stimme des alten David, die er auf den schmalen Feldwegen zu hören glaubte: »He, Kobus, daran kommst du nicht vorbei... dir geht's wie den anderen... hihihi! Ich sag's dir doch, Fritz, deine Stunde ist nah!« – »Hol dich der Teufel!« dachte Fritz.

Dann sagte er in schmerzhafter und trauriger Resignation zu sich:

»Wenn man's recht bedenkt, sind die Menschen vielleicht doch zum Heiraten bestimmt... schließlich heiratet alle Welt. Böswillige könnten sogar übertreiben und behaupten, dass in Wirklichkeit die alten Junggesellen nicht die Weisen, sondern die Narren der Schöpfung sind und sich wie die Axt im Walde benehmen, wenn man's aus der Nähe betrachtet.«

Diese Gedanken waren wie quälende Stiche. Er wandte sich davon ab und entrüstete sich über Leute, die imstande waren, an etwas anderes zu denken als an den Frieden, die Stille und die Ruhe, die er zur Grundlage seines Daseins gemacht hatte. Jedes Mal, wenn ihm dies in den Sinn kam, beeilte er sich zu entgegnen:

»Geht mein Glück nicht mehr von mir selbst aus, sondern von den Launen einer Frau, dann ist alles verloren. Besser man erhängt sich, als sich auf eine solche Galeere zu begeben!«

Diese Ausflüge endeten damit, dass er inmitten der Felder von fern die Turmuhr des Dorfs hörte und voll Verwunderung über die Geschwindigkeit der Zeit zur Herberge zurückkehrte.

»Hallo, da bist du ja«, rief ihm der dicke Steuereinnehmer zu. »Ich rechne gerade ab. Hier, setz dich hin, in zehn Minuten bin ich fertig.«

Der Tisch war mit Stapeln aus Talern und Goldstücken bedeckt, die beim geringsten Stoß zitterten. Hahn saß über sein Buch gebeugt und zählte zusammen. Dann schob er mit strahlendem Gesicht die Geldstapel in einen ellenlangen Beutel, den er sorgfältig zuband und zu einem Haufen anderer Säckchen auf den Boden stellte. Als schließlich alles versorgt, die Rechnung geprüft und die Einnahmen reichlich waren, drehte Hahn sich befriedigt herum und rief:

»Schau her, das ist das Geld für das Heer des Königs! Verdammt viel Mammon braucht es, um das Heer seiner Majestät zu bezahlen, seine Räte und alle, die da sonst noch sind, hahaha! Da sollen wohl die Erde und die Menschen Gold schwitzen. Kann man bei den großen Tieren etwas kürzen, um die kleinen Leute zu entlasten? Das wird nicht leicht gehen, Kobus, denn die großen Tiere würde seine Majestät zuerst dazu befragen.«

Dann nahm er seinen Bauch in beide Hände, lachte aus vollem Hals und rief:

»Was für ein Schwindel, welcher Schwindel! Uns geht's allerdings nichts an, bei mir stimmt alles. Magst du etwas essen?«

»Danke, Hahn, ich möchte nichts.«

»Ach was, lass uns einen Happen nehmen, während das Pferd eingeschirrt wird. Bei einem Glas Wein kommt einem alles gleich schöner vor. Kobus, wenn man schwere Gedanken hat, dann braucht man neue Brillengläser und sollte die Welt durch den Boden einer Flasche Gleiszeller oder Umstein Einen Weinort mit diesem Namen gibt es nicht in Deutschland. Ist hier Ungstein in der Pfalz gemeint? betrachten.«

Er ging hinaus, um das Pferd anschirren zu lassen und die Zeche zu begleichen, und kam dann auf ein Glas mit Kobus zurück. Wenn alles erledigt und die Säcke in der blechbeschlagenen Truhe auf dem Wagen verstaut waren, knallte Hahn mit der Peitsche, und sie fuhren los zu einem anderen Dorf.

So verbrachte der verliebte Fritz die Zeit unterwegs. Man sieht, dass sie nicht immer lustig war, denn seine Kur führte nur den geringsten Teil der erhofften Wirkungen herbei.

Unangenehmer als alles andere zusammen empfand Fritz das abendliche Zusammenhocken mit Hahn nach dem Essen. Nach neun Uhr kehrte in den alten Landgasthäusern Ruhe ein, und man vernahm keinen Laut, weil alles schlafen gegangen war. Zuflucht zu einer Partie Jucker oder zum Biertrinken gab es nicht, weil Spielkarten fehlten und das Bier essigsauer schmeckte. Also betranken sich die beiden mit Schnaps oder Eckerstaler Wein, der allerdings auf Fritz während dieser Flucht aus Hüneburg seltsam traurig und zart zugleich wirkte, denn sogar dieses Weinchen, das niemanden hätte umwerfen können, machte ihn stumpfsinnig. Er erzählte alte Geschichten, zum Beispiel von der Heirat seines Großvaters Nikolaus mit Großmutter Gorgel oder von den Abenteuern seines Großonkels Seraphim Kobus, der Geheimrat bei der Großfasanerie des Kurfürsten Hans-Peter XVII. gewesen war. Urplötzlich hatte sich dieser Großonkel in seinen Siebzigern in eine französische Tänzerin des Opernhauses verliebt, die sich Rosa von Pompon nannte. Es lief darauf hinaus, dass Seraphim ihr schließlich zu allen Festen und Theatern nachreiste, nur um sie bewundern zu dürfen und dabei glücklich zu sein.

Lang und breit sprach Fritz darüber, und Hahn, der schon zu drei Vierteln schlief, gähnte von Zeit zu Zeit in die Hand und sagte näselnd: »Ist's möglich? Ist das möglich?« Oder er unterbrach Kobus, indem er auflachte, ohne zu wissen warum, und lallte:

»Hähähä, komische Sachen passieren auf der Welt. Weiter, Kobus, nur weiter, ich höre zu. Ich hab' bloß eben an dieses Rindvieh von Schulz gedacht, der sich von den Bauern in einem Schlammloch die Stiefel abziehen ließ.«

Fritz setzte seine sentimentale Geschichte fort, und die Schlafenszeit rückte näher.

In der fest verriegelten Schlafkammer mit der Truhe zwischen den zwei Betten fielen Kobus noch mehr und neue Einzelheiten über die unselige Leidenschaft des Großonkels Seraphim und die Unarten des Fräuleins Rosa von Pompon ein. Er sprach weiter davon, bis er den dicken Hahn wie eine Trompete schnarchen hörte. Er musste sich selbst die Geschichte zu Ende erzählen – und immer schloss sie mit einer Heirat.


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