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Herr Lorenz Stark galt in ganz H...., wo er lebte, für einen sehr wunderlichen, aber auch sehr vortrefflichen alten Mann. Das Aeußerliche seiner Kleidung und seines Betragens verkündigte auf den ersten Blick die altdeutsche Einfalt seines Charakters. Er ging in ein einfarbiges, aber sehr feines Tuch, grau oder bräunlich, gekleidet; auf dem Kopfe trug er einen kurzen Stutz, oder wenn's galt, eine wohlgepuderte Troddelperücke; mit seinem kleinen Hute kam er zwei Mal aus der Mode, und zwei Mal wieder hinein; die Strümpfe waren mit großer Zierlichkeit über das Knie hinaufgewickelt, und die stark besohlten Schuhe, auf denen ein Paar sehr kleiner, aber sehr hell polirter Schnallen glänzten, waren vorn stumpf abgeschnitten. Von überflüssiger Leinwand vor dem Busen und über den Händen war er kein Freund; sein größter Staat war eine feine Halskrause mit Spitzen.
Die Fehler, deren dieser vortreffliche Mann nicht wenige hatte, und die Denen, welche mit ihm leben mußten, oft sehr zur Last fielen, waren so innig mit den besten seiner Eigenschaften verwebt, daß die einen ohne die andern kaum bestehen zu können schienen. Weil er in der That klüger war, als fast Alle, mit denen er zu thun hatte, so war er sehr eigenwillig und rechthaberisch; weil er fühlte, daß man ihm selbst seiner Gesinnungen und Handlungen wegen keinen gegründeten Vorwurf machen könnte, so war er gegen Andere ein sehr freier, oft sehr beschwerlicher Sittenrichter; und weil er, bei seiner natürlichen Gutmütigkeit, über keinen Fehler sich leicht erhitzen, aber auch keinen ungeahndet konnte hingehen lassen, so war er sehr ironisch und spöttisch.
In seiner Kasse stand es außerordentlich gut; denn er hatte die langen lieben Jahre über, da er gehandelt und gewirthschaftet hatte, den einfältigen Grundsatz befolgt, daß man, um wohlhabend zu werden, weniger ausgeben als einnehmen müsse. Da sein Anfang nur klein gewesen, und er sein ganzes Glück sich selbst, seiner eigenen Betriebsamkeit und Wirthlichkeit schuldig war, so hatte er in früheren Jahren sich nur sehr karg beholfen: aber auch nachher, da er schon längst die ersten Zwanzigtausend geschafft hatte, von denen er zu sagen pflegte, daß sie ihm saurer als sein nachheriger ganzer Reichthum geworden, blieb noch immer der ursprüngliche Geist der Sparsamkeit in seinem Hause herrschend; und dieser war der vornehmste Grund von dem immer steigenden Wachsthum seines Vermögens.
Herrn Stark waren von seinen vielen Kindern nur zwei am Leben geblieben: ein Sohn, der sich nach dem Beispiel des Vaters der Handlung gewidmet hatte, und eine Tochter. Letztere war an einen der berühmtesten Aerzte des Orts, Herrn Doctor Herbst, verheirathet: einen Mann, der nicht weniger Geschicklichkeit besaß, Leben hervorzubringen, als zu erhalten. Er hatte das ganze Haus voll Kinder und eben dies machte die Tochter zum Liebling des Alten, der ein großer Kinderfreund war. Weil der Schwiegersohn unfern der Kirche wohnte, die Herr Stark zu besuchen pflegte, so war es ausgemacht, daß er jeden Sonntag bei dem Schwiegersohn aß: und seine Frömmigkeit hätte zuweilen wol gern die Kirche versäumt, wenn nur seine Großvaterliebe den Anblick so werther Enkel und Enkelinnen hätte versäumen können. Es ging ihm immer das Herz auf, wenn ihm der kleine Schwarm, beim Hereintreten in's Haus, mit Jubelgeschrei entgegensprang, sich an seine Hände und Rockschöße hängte, und ihm die kleinen Geschenke abschmeichelte, die er für sie in den Taschen hatte. Unter dem Tischgebete schweiften zuweilen die Augen der Kleinen umher, und er pflegte ihnen dann leise zuzurufen: Andacht! Andacht! aber der gerade am wenigsten Andacht hatte, war er selbst; denn sein ganzes Herz war, wo seine Augen waren, bei seinen Enkeln.
Mit seinem Sohne war dagegen Herr Stark desto unzufriedener. Auf der einen Seite war er ihm zu verschwenderisch, weil er ihm zu viel Geld verkleidete, verritt und verfuhr; insbesondere aber, weil er zu viel auf Kaffeehäuser und in Spielgesellschaften ging. Auf der andern Seite verdroß es Herrn Stark, daß der Sohn als Kaufmann zu wenig Unternehmungsgeist, und als Mensch zu wenig von der Wohlthätigkeit und Großmuth seines eigenen Charakters hatte. Er hielt ihn für ein Mittelding von einem Geizhalse und einem Verschwender; zwei Eigenschaften, die Herr Stark in gleichem Grade verabscheute. Er selbst war der wahre Sparsame, der bei seinem Sammeln und Aufbewahren nicht sowol das Geld, als vielmehr das viele Gute im Auge hat, das mit Geld bewirkt werden kann. Wo er keine Absicht fand, da gab er sicherlich keinen Heller; aber wo ihm die Absicht des Opfers werth schien, da gab er mit dem kältesten Blute von der Welt ganze Hunderte hin. Was ihn aber am meisten auf den Sohn verdroß, war der Umstand, daß dieser noch in seinem dreißigsten Jahre unverheiratet geblieben war, und daß es allen Anschein hatte, als ob er die Zahl der alten Hagestolzen vermehren würde. Der Vater hatte den Sohn zu keiner Heirath bereden, der Sohn keine Heirath ohne des Vaters Einwilligung schließen wollen; und Beide waren in Geschmack und Denkungsart allzuverschieden, als daß ihre Wahl oder ihr Wunsch je hätte übereinstimmen können.
Herr Stark hatte seine ganze Handlung der Aufsicht des Sohnes übergeben, und ihm zur Vergeltung für seine Mühe einige nicht unwichtige Zweige derselben völlig abgetreten. Nur die Geldgeschäfte, deren er viele und sehr beträchtliche machte, hatte er sich selbst vorbehalten. Indessen unterließ er nie, besonders weil er in die kaufmännische Klugheit seines Stellvertreters nicht das meiste Vertrauen setzte, sich um die übrige Handlung, so wie um das ganze Leben des Sohnes, zu bekümmern; und da er ohne Unterlaß Etwas versäumt oder nicht ganz nach seinen Grundsätzen fand, so gab dies zwischen Vater und Sohn zu sehr unangenehmen Auftritten Anlaß, die am Ende von beiden Seiten ein wenig bitter und beleidigend wurden.
Man sehe hier zur Probe nur einen der letzten dieser Austritte, der für die Ruhe und Glückseligkeit der Familie die bedeutendsten Folgen hatte.