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13.

Laß Er's doch gut sein! sagte der Alte zu Monsieur Schlicht, als ihm dieser in voller Bestürzung die auf dem Zimmer des Sohnes gemachte Entdeckung mittheilte, und nicht fertig werden konnte, das Haus seines guten alten Wohlthäters zu bejammern, wenn es mit dem jungen Herrn seine erste und festeste Stütze verlieren sollte. Er sah es in Gedanken schon von allen Seiten baufällig werden und in Trümmer zerfallen.

Hat Nichts zu sagen! meinte der Alte, der sich hinsetzte, um für seinen Sohn einen offenen Wechsel zu schreiben.

Nichts zu sagen! erwiderte Schlicht, und war unschlüssig, ob er über die Gleichgültigkeit des Alten mehr erstaunen oder sich ärgern sollte. – Nichts zu sagen, Herr Stark? So erwägen Sie doch – –

Daß Dich! rief hier der Alte: – da muß ich nun den Wechsel, der beinahe schon fertig war, wieder zerreißen, und einen andern anfangen. – Kann er denn keinen Augenblick schweigen? Ist Ihm denn das Plaudern so zur andern Natur geworden? –

Monsieur Schlicht hatte das Eigene, daß er die Wörter: Plaudern und Schweigen, wenn sie mit Beziehung auf ihn selbst gesagt wurden, gar nicht hören konnte, ohne mißlaunig und stöckisch zu werden. Er hatte, in jüngern Jahren, sich lange und viel in der Welt umhergetrieben; hatte, wie er immer zu rühmen pflegte, seine Äugen nie in die Tasche gesteckt; und wenn andere Leute sich Einsichten und Erfahrungen gesammelt hatten, so hatt' er's wol auch. Ein solcher Mann, meinte er, müßte Freiheit zu reden haben, oder es hätte sie Niemand, und alle Welt müßte schweigen.

Er kehrte kurz um und wollte fort, als Herr Stark ihm ernstlich befahl, zu warten, und ihn dann zu seinem Sohne zu begleiten, wenn sich etwa noch Dieses oder Jenes zu veranstalten fände. –

Die übrige Familie, die Monsieur Schlicht schon etwas früher, als den Vater, von seiner Entdeckung benachrichtigt hatte, war eben in vollem fruchtlosen Kampf mit dem Sohne, als Herr Stark, in Begleitung des alten Handlungsdieners, hereintrat. Seine Erscheinung auf einem so abgelegenen Zimmer, das er gewiß seit der Blatternkrankheit der Kinder mit keinem Fuße mehr betreten hatte, setzte Alle in die größte Erwartung, und den Sohn in eine sichtbare Verwirrung. So gut es indessen in der Geschwindigkeit möglich war, raffte sich dieser zusammen um den Vorwürfen oder Vorstellungen des Vaters, und wenn er die letztern auch noch so kräftig mit dem vollen Beutel in seiner linken Hand unterstützen sollte, nachdrücklich entgegenzuarbeiten. –

Das sind viel Sachen, Monsieur Schlicht, sagte der Alte, indem er die Augen auf die vollen Stühle umherwarf: und ich sehe hier Nichts, als den einzigen kleinen Koffer. Da gehen sie ja unmöglich alle hinein.

So bleiben sie heraus, murmelte Schlicht, ohne daß es der Alte hörte; warum ist er nicht größer?

Wäre denn sonst keiner da? Denn in diesen hier bringt Er ja kaum das Drittel von allen den Kleidungsstücken. Das könnt' Er, dächt' ich, mit halben Augen sehen.

Ach, ich – mit meinen Augen, Herr Stark – ich sehe nur mein Leiden an der Geschichte.

Warum denn aber? – Sei Er nicht wunderlich, Freund! Geb' er mir Auskunft!

Der alte Mantelsack mag noch da sein, den Sie vor etwa dreißig oder vierzig Jahren auf Ihren Reisen brauchten. Er war ja schon damals in lauter Fetzen.

Der Alte konnte sich kaum enthalten zu lachen. – Ich weiß nicht, wie Er mir manchmal vorkommt, Monsieur Schlicht. Solche feine und kostbare Kleidungsstücke – denn Er sieht ja wol, daß das eine Garderobe ist, die für keine tausend Thaler geschafft worden – die will Er in den schmutzigen alten Mantelsack schnüren?

Ich nicht. Ich will hier weder packen noch schnüren.

Noch einmal: Sei Er nicht wunderlich, Freund! Steck' Er Geld ein, und geh Er zu dem Manne gegen der Börse über! Der hat Koffer, den ganzen Laden voll, von allerhand Größe und allerhand Art: da such' Er sich einen aus! – Zu hoch und zu breit, denk' ich, wird Er ihn wol nicht nehmen können; aber mit der Länge wird Er sich vorzusehen haben. – Am besten, Er geht vorher in den Schuppen, und nimmt an meiner Chaise das Maß.

An welcher Chaise? –

Der Alte sah ihn einen Augenblick an, und schüttelte mit dem Kopfe. – An der zerbrochenen nun doch wol nicht? denn von der ist ja Nichts als der Kasten übrig. Nun, ich höre ja wol! An der neuen, die Sie zur Reise von vorigem Sommer kauften.

Richtig! – Ich mache sie meinem Sohn zum Geschenk; denn mir steht sie da nur im Wege: mit meinen Reisen ist's aus. Und, Monsieur Schlicht – daß Er mir das ja nicht vergißt! – Laß Er vorher erst recht nachsehen, ob auch noch Alles in haltbarem Stande ist; Riemen und Eisenwerk, Räder und Achse. Nichts ärgerlicher, als wenn man unterwegs mit seinem Fuhrwerk in Krüppeleien geräth. – Die Chaise, fuhr er mit unwilligem, verweisendem Tone fort, hat mir da, den ganzen Sommer hindurch, in der Trockniß gestanden. – Woran ich selbst nicht denke, denkt Niemand.

Ich wollte, sie wär' in tausend Trümmern, brummte Schlicht vor sich hin, und verließ das Zimmer in einer noch weit übleren Stimmung, als worin er's betreten hatte. Sich Mangel an Aufmerksamkeit auf das Haus oder irgend etwas zum Hause Gehöriges, oder sonst unter seiner Aufsicht Befindliches, Schuld geben zu lassen, war ihm ganz unerträglich. Ein getreuerer Aufseher und ein besserer Oekonom, als Er, sollte auf Erden noch erst gefunden werden. – Uebrigens ließ er es bleiben, zur Abreise des lieben jungen Herrn auf irgend einige Art zu helfen; den Koffer für ihn mochte ein Anderer schaffen. –

Der Alte sah mit einem trüben, mitleidigen Lächeln hinter ihm her. – Wie schwach Einen doch manchmal das Alter macht! sagte er dann, mit einer Wendung gegen den Doctor. Der gute, ehrliche Schlicht ist meinem Sohne so herzlich, so herzlich ergeben, daß er ihn, vor lauter Ergebenheit, lieber hier würde umkommen, als auswärts sein größtes Glück machen sehen. – Nein, Gott Lob! da bin ich festerer Natur. – Es ist freilich wol angenehm, die lieben Seinigen immer um sich zu haben: aber, wenn das einmal nicht sein kann – –

Und warum nicht? Warum kann das nicht sein? fragte die Alte, die ihre Bewegung nicht länger bergen konnte. –

Aus mehr als einer Ursache nicht, gute Mutter.

Darf ich die hören? – Nur eine Einzige, bitt' ich.

Alle! – Es sind ja keine Geheimnisse.

Nun? –

Zuerst schon deswegen nicht, weil ich und er, wenn wir hier länger zusammenblieben, uns einander das Bischen Leben nur schwer machen würden.

Das sei Gott geklagt! Und die Schuld? –

Die ist mein. Das versteht sich. – Ferner deswegen nicht, weil ich so oft ihm vorgeworfen, daß es ihm an Entschluß und Unternehmungsgeist fehle, und weil es seltsam herauskommen würde, wenn ich gerade beim ersten Beweise vom Gegentheil – wie nun dieser auch immer sein mag, – ihm durch den Sinn fahren wollte. Endlich und hauptsächlich deswegen nicht, weil die Errichtung eines neuen Handlungshauses und der dazu nöthige Vorschuß ihn zu einer Thätigkeit zwingen, ihn zu einer Sparsamkeit und Ordnung gewöhnen werden, wie ich sie ihm hier, mit allem meinem Predigen, nicht habe beibringen können. Ich hoffe, er soll mir jetzt eine ganz andere Denkungsart annehmen; soll mir jetzt ganz so werden, wie ich ihn immer wünschte.

Und Deine Handlung? fuhr die Alte mit etwas gesunkenem Tone fort: Deine Geschäfte? –

Die, Mutter, sind meine, nicht Deine Sache! Wer sie so lange gut zu führen gewußt hat, wird es auch jetzt wol noch wissen. – Denke Du lieber an das, was Dir noch wird zu besorgen bleiben.

Mir? – Und das ist?

Du wirst ihn doch nicht so trocken abfertigen wollen? wirst ihm doch zu guterletzt noch einen Abschiedsschmaus geben? – Ich hoffe, Sie kommen dazu auch, lieber Doctor.

– Und Du – indem er die Tochter ansah – und Euer ganzer kleiner Anhang, versteht sich. – Er lächelte mit seiner gewöhnlichen Freundlichkeit gegen sie hin. – Da wollen wir noch einmal recht von Herzen mit einander vergnügt sein. –

Vergnügt? Recht von Herzen? seufzte die Mutter. – Wirst Du das können?

Warum nicht? Was in der Welt soll mich hindern?

– Der Ort, wohin er zieht, liegt ja so nahe. Wir dürfen nur auf die Post schicken und anspannen lassen, wenn uns künftig einmal das Herz so groß wird; wir dürfen nur zu ihm fahren. – Ja, wenn es zur See nach Amerika, oder gar bis nach China ginge! oder gar bis nach der Botauybai!

Behüte Gott! rief die Alte.

Amen! Amen! Und nun keine Seufzer weiter! Es ist genug! – – Du hörst, fuhr er dann fort, indem er sich mit gütigem Ernst gegen den Sohn herumwandte, daß ich von Deinen Absichten weiß, und daß ich sie, nach Lage der Umstände, wie diese nun einmal sind, eben nicht tadele. – Geh mit Gott, mein Sohn! Meinen Segen zu Deiner Reise! – An Deine Stelle hier kann der erste Buchhalter treten, Monsieur Burg: den kennst Du selbst als einen gewandten, thätigen, rechtschaffenen Mann; und ich, so alt ich bin, habe doch auch noch Kräfte, um arbeiten, und Augen, um nachsehen zu können. Für meine Handlung also sorge nur nicht; aber wie es mit Deiner gehen wird? – Aller Anfang, sagt man, ist schwer; und was Du Dir selbst, bei so mancherlei Nebenausgaben, erübrigt haben kannst, mag Dich eben nicht drücken. – Da! indem er den ziemlich schweren Beutel, den er bisher gegen die linke Hüfte gestützt hatte, auf den Tragkasten unter den Spiegel setzte – eine kleine Erkenntlichkeit für geleistete Dienste! Ich hob sie Dir immer auf, um eine Zeit damit abzuwarten, wo sie Dir eben gelegen käme; und diese, denk' ich, ist jetzt. – Aber, da es Dir doch noch fehlen, und Dieser oder Jener, wegen unserer unvermutheten Trennung, bedenklich werden und Dir sein Zutrauen versagen möchte; so ist hier noch ein offener Wechsel, der hoffentlich allen Bedürfnissen abhelfen und alles Mißtrauen entfernen wird.

Der Alte schwieg, und schien einen Augenblick auf die schuldige Danksagung des Sohnes zu warten; aber es erfolgte Nichts als eine steife, ungeschickte Verbeugung. – Ich sehe wol, sagte er dann, daß ich Dir in einer Arbeit gekommen bin, worin man sich eben darum so ungern stören läßt, weil man sie so ungern anfängt. – Ich will Dich jetzt länger nicht aufhalten. Wenn Du hier fertig bist, sprechen wir einander schon weiter. –


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