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14.

Die Verbündeten sahen dem Alten, als er das Zimmer verließ, mit sehr verschiedenen Empfindungen nach. Die Mutter war voll Aergers und Jammers, daß er dem Sohne, den er sollte zu halten suchen, selbst das Fortgehen erleichterte; die Tochter voll Empfindlichkeit und Beschämung, daß sie mit dem guten Worte, welches ihr versprochen und in gewisser Absicht freilich gehalten worden, so schlau hinter das Licht geführt war; und der Doctor, voll stiller Bewunderung des scharfen, richtigen Blicks, womit der Vater den Charakter seines Sohnes mußte gewürdigt haben. So wie man diesen nur ansah, entdeckte man sogleich sein ganzes Inneres in seinem Aeußern. Das Licht der Augen, die bedeutungslos vor sich hinstarrten, schien bis auf den letzten Funken verlöscht; aus den Gesichtsmuskeln war alle Festigkeit, alle Spannung verschwunden, und die Arme hingen an beiden Seiten so schlaff und welk wie die Zweige einer Zitterespe herunter.

Erst, als Mutter und Schwester zu ihm hinantraten, um ihre Theilnahme an seiner Entlassung zu bezeugen, kam auf einmal in die todte, seelenlose Gestalt wieder Leben; er bat sie, mit abwärts gekehrtem Blick und hinter sich ausgestreckter verwandter Hand, daß sie, wenn sie noch einige Zärtlichkeit für ihn hegten, ihn auf der Stelle verlassen möchten. Diese Bitte ward von dem Doctor, der selbst voranging, mit Wink und Blick unterstützt; er urtheilte, daß der Schwager noch ein wenig mehr beschämt als gekränkt sei: und Scham, glaubte er, sei eine Empfindung, bei der man überhaupt keine Zeugen, und am wenigsten die mitleidigen, liebe.

Wirklich war die Art, wie sich der Alte benommen hatte, eben weil sie so äußerst nachgebend und sanft schien, für die Eitelkeit des Sohnes sehr verwirrend. So wenig auch dieser die Absicht gehegt hatte, seinem Vater wehe zu thun – denn dazu war er, wie wir aus der besten Quelle, nämlich von ihm selbst, wissen, viel zu gut und zu fromm; – so lag es doch leider! in der Natur der Sache, daß der Alte für so manche Kränkungen, die er erwiesen, jetzt an seinem Theil eine empfinden mußte; und da hätt' es der Anstand nun wol erfordert, daß er sich diese Kränkung auch ein wenig hätte merken lassen. So ohne die mindeste Einwendung und ohne eine Spur von Mißmuth und Kummer in den Abgang des Sohnes einwilligen, das hieß von den Verdiensten desselben um die Handlung sehr herabwürdigend denken, und gegen seine Unentbehrlichkeit, die doch so vollgültig durch die Unruhe der Familie und durch das Schrecken des alten Schlicht bestätiget war, sehr beleidigende Zweifel äußern.

Noch mehr mußte es schmerzen, daß der Alte durch sein Betragen eine heimlich genährte sichere Hoffnung des Sohns, die zwar dieser sich selbst noch nicht bekannt hatte, geradehin für eitel und thöricht erklärte. Die Unentbehrlichkeit des Sohnes einmal festgesetzt, ließ es sich nämlich voraussehen, daß der Alte sich alle ersinnliche Mühe geben würde, ihn zurück zu erhalten: und da hätte dann Jener, nach seinem so vorzüglich guten Charakter, sich gewiß am Ende bewegen lassen, über alles Vergangene einen Schleier zu werfen, und auf gute vorteilhafte Bedingungen wieder an seinen alten Platz zu treten. Jetzt, da sich einmal der Alte so ganz anders erklärt hatte, war bei seiner störrischen Sinnesart Nichts gewisser, als daß er sich in Ewigkeit nicht zum Ziele legen, sondern, wenn Noth an Mann ginge, lieber seine Geschäfte äußerst zusammenziehen, als das geringste gute Wort gegen den Sohn verlieren würde. Und so stand denn dieser mit seiner Wahl zwischen den zwei gleich unangenehmen Entschlüssen mitten inne: entweder Reue zu zeigen, und das Joch, das er hatte abschütteln wollen, ganz geduldig wieder auf seinen Nacken zu nehmen; oder auch den unglücklichen Vorsatz zur Abreise ins Werk zu setzen, ohne daß er davon die beabsichtigten Vortheile hätte. Er bereute es jetzt zu spät, daß er sich das prophetische Herzklopfen bei dem versuchten Abschiede vom Vater nicht ein wenig mehr hatte warnen lassen.

Was ihm diese Unannehmlichkeiten noch weit peinlicher machte, war der Umstand, daß seine Gesinnungen in Betreff der Wittwe nicht mehr völlig die alten waren. Von den Schwierigkeiten, die einer Verbindung mit ihr entgegenstanden, hatten die meisten, durch das längere und öftere Betrachten, wie das so oft zu geschehen pflegt, an ihrer Wichtigkeit schon verloren; und vollends seit gestern, wo sich die Wittwe so äußerst liebenswürdig gezeigt hatte, waren sie fast gänzlich verschwunden. Ueber den Mangel an Vermögen konnte ein Mann, der dessen selbst genug hatte, hinwegsehen; die Kinder, da sie Ebenbilder einer so liebreizenden Mutter waren, schienen eher eine angenehme als eine beschwerliche Zugabe; und durch das Gerede einer albernen Menge, das ohnehin nie lange Dauer hat, läßt kein Kluger sich irren. Es blieb also von allen Steinen des Anstoßes nur der größte, der zu fürchtende Widerspruch des Vaters, übrig: und diesen wegzuräumen, war wol schwerlich ein besseres Mittel, als daß man die Verbindung mit Madame Lyk zum ersten und wesentlichsten Vergleichspunkte bei der gehofften triumphirenden Wiederkehr machte. Statt also, wie es der anfängliche Wunsch des Herrn Stark gewesen war, seiner Liebe aus dem Wege zu gehen, wollt' er jetzt dieser Liebe vielmehr entgegeneilen; es war Nichts als eine der Selbsttäuschungen, denen der junge Mann so sehr unterworfen war, wenn er sich am vorigen Abende zu einem so herrlichen Siege seiner Vernunft über seine Schwachheit Glück wünschte; denn gar nicht die Vernunft, sondern die Schwachheit hatte gesiegt, und in dem Entschluß zur Trennung hatte die Hoffnung der Vereinigung versteckt gelegen. Seine vielen Thränen hatte ihn weniger der Schmerz des Abschiedes, als der heimliche Gedanke entlockt, daß sein Entwurf nicht vor aller Gefahr des Scheiterns gesichert sein möchte; wenigstens, wie es jetzt leider! am Tage lag, wäre so ein Gedanke nicht ganz unvernünftig gewesen. – –

Der Doctor, der die Gemüthslage des Herrn Stark, bis auf den Punkt von der Wittwe durch und durch sah, kam jetzt in der Absicht zurück, ihm mit seinem guten Rathe zu dienen. – Es wandelte ihn einige Verachtung an, als er den Schwager, in armselig zusammengekrümmter Gestalt, auf dem zugeworfenen Koffer sitzend fand, wie er mit der einen Hand auf das Knie griff, und mit der andern das schwere, sorgenvolle Haupt unterstützte. Er sah wol, daß so einem Manne sich der Rath unmöglich geben ließe, den er sich selbst, unter ähnlichen Umständen, in die er aber nie hätte gerathen können, ganz gewiß gegeben hätte; nämlich: einen Entwurf, mit dem es einmal so weit gediehen, trotz allen Unannehmlichkeiten lieber durchzusetzen, als schimpflicher Weise davon zurückzutreten. Für den Schwager, glaubte er, sei nichts Anderes zu thun, als daß er irgend eine erträgliche Wendung ausspürte, womit er sich dem Vater, ohne zu große Beschämung, wieder anbieten könnte; und diese Wendung schien ihm durch die großmüthigen Geschenke des Vaters, gleichsam absichtlich, vorbereitet. Es war natürlich, daß das Herz des Sohnes davon gerührt werden mußte, und eben so natürlich, daß diese Rührung das Verlangen erzeugte, einen so edeldenkenden Vater lieber nie verlassen zu dürfen. Wenn man dann, dem Alten noch in dem Hauptpunkte willfahrte und sich geneigt zu einer Heirath erklärte, so ließ sich erwarten, daß dieser mit Freuden einschlagen, und daß er dem Sohne wol gar seine Handlung, mit dem einzigen Vorbehalt der Geldgeschäfte, völlig abtreten würde.

Herr Stark hörte diesen Entwurf, den ihm der Doctor mit aller möglichen Feinheit und Schonung vortrug, zwar nicht ohne Scham, aber doch mit Gelassenheit an; nur bei dem Worte Heirath stieß er auf einmal einen so mächtigen, so tief aus dem Herzen geschöpften Seufzer aus, daß der Doctor sogleich einen neuen Sorgenstein argwöhnte, der härter als alle übrigen drücken müsse. Er ließ jetzt, im Fortgange der Rede, ein Wörtchen von Madame Lyk und ihrer Liebenswürdigkeit fließen. – Die Wirkung davon übertraf alle Erwartung; Herr Stark riß sich vom Koffer auf, floh in ein Fenster, und entdeckte durch laute Thränen, wie weit es mit seinem Herzen schon müsse gediehen sein. Jetzt ward nun guter Rath etwas theurer, und der Knoten verwickelte sich allzusehr, als daß der Doctor ihn auf der Stelle zu lösen gewußt hätte. – Um Zeit zu gewinnen, fiel er auf das Mittel, daß er sich, als Bruder und Arzt, für die Gesundheit des Schwagers besorgt stellte, ihn um seine Hand bat, und in seinem Pulse fieberhafte Bewegungen entdeckte. Herr Stark, als ob er schon sehnlich auf einen Vorwand, seine Reise aufzuschieben, gewartet hätte, ergriff dieses Wort des Doctors mit vielem Eifer; er ließ sogleich einen kleinen freiwilligen Frost über sich hinschaudern, setzte sich, wie ermattet, nieder, und versicherte, daß er wirklich seit einigen Tagen etwas Fieberhaftes verspüre. Der Doctor verschrieb ihm nun Arzneien, die weder helfen noch schaden konnten; und Herr Stark fing an, eines Flußfieberchens wegen, worüber die Familie sich nicht sonderlich beunruhigen durfte, das Zimmer zu hüten.


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