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7.

Es war ein Capital zahlbar, und Herr Stark saß vor einem Tische voll sächsischer, brandenburgischer, hannoverischer und braunschweigischer neuer Zweidrittelstücke. Er zählte, da der Doctor hereintrat, das angefangene Häufchen von fünfzehn Stück geschwind zu Ende, und hieß ihn dann mit frohem Herzen willkommen. Seine erste Frage war nach ihm selbst und gleich die zweite war nach den Kleinen.

Die sitzen zu Haufe über den Büchern, sagte der Doctor.

Bravo! bravo! die fangen früh an; die werden schon vorwärts kommen. – Und ist denn wirklich Trieb da? ist Kopf da?

So viel ich jetzt noch beurtheilen kann: Beides. Ich bin zufrieden mit meinen Kindern.

Ich auch. Ich auch. – Ha, wenn ich die guten Kleinen nicht hätte! Wäre ich nicht da ein armer Mann mit alle dem Bettel? – indem er die Hand verächtlich gegen den Tisch warf. – Für wen in der Welt hätte ich gesammelt? gearbeitet ? Denn mein Sohn da, der Freigeist – –

Eben von dem, bester Vater, möchte ich mit Ihnen reden.

Sehr gern. Nun?

Nur müssen Sie auch Geduld haben, mich anzuhören.

Ich habe – Zeit und Geduld; alles Beides.

Sie sind so eingenommen gegen den Sohn. Sie werfen die Schuld seiner Fehler immer auf ihn allein. – Sollte es nicht vielleicht einen Andern geben, der mit ihm theilte?

Einen Anderen? Der möchte mir schwer zu errathen werden. Der ist –?

Ein sonst guter, billiger, vortrefflicher Mann. – Denn um nur Eins zu erwähnen, und eben Das, was Sie doch am meisten auf ihn verdrießt: Ist's so ganz seine eigene Schuld, wenn er noch ledig blieb?

Nun? ist es denn meine?

Ein wenig, dächte ich.

O ja! Oder wenn's um und um kommt, wol ganz. – Freilich, so ein Weib, wie man sie jetzt täglich zu seinem Aerger herumflattern sieht; – ein Weib mit Tausenden, das ihm Tausende durchgebracht hätte, das keinen Ball, keine Redoute versäumt, Triset und Liebesintriguen gespielt, weder Mann noch Kinder geachtet hätte; kurz, Herr Sohn – so ein Weib, wie sie die neueste Modeerziehung ausbrütet, und womit er am Ende wol gar – mir wird übel und wehe – zu Schimpf und Spott der ganzen Familie vor's geistliche Gericht hätte laufen müssen: so eins hätte er wol gern gehabt, von Herzen gern! Und konnte ich das zugeben? konnte ich's recht sprechen, daß er mit sichtlichen Augen in sein Verderben rennte? – Wenn ich zu ihm sagte: Sieh, Sohn! da ist ein hübsches, stilles, sittsames Mädchen, braver, ehrlicher Eltern Kind; – das wird zwar nur wenig haben, wird vielleicht Nichts haben; aber es ist in Gottesfurcht und in Einfalt erzogen: nimm's! und es wird dankbar gegen Dich sein; es wird Dich lieben, wird Deine Kinder lieben, wird sie erziehen, daß Gott und Menschen an ihnen Freude haben; wird Dir mehr Tausende ersparen, als Dir jenes zubringt: – konnte ich da durchdringen? – Stand er da nicht vor mir – mit einem Gesichte, mit einer Unterlippe – so hängend! so albern!

Sie haben freilich Recht – völlig Recht –

Nun dann!

Aber wenn Sie's auch sonst in Allem, wenn Sie's in jeder erdenklichen Absicht hätten: – in einer einzigen, weiß ich doch nicht, ob Sie's haben? – Er sagte dies mit einem sehr bescheidenen, beinahe furchtsamen Tone.

Die möchte ich doch näher kennen. Die ist – ?

Ihre ganze Art, wie Sie sich mit ihm nehmen. Ihr Ton, worin Sie von früh bis in die Nacht mit ihm reden.

Hm! – Aber ich bin nicht unbedeutsam; ich nehme Lehre an. – Wie soll er gestimmt sein, mein Ton?

Liebreicher, freundlicher – väterlicher, wenn ich das sagen darf.

Und ist er denn rauh? Ist er stürmisch?

Wenn er das lieber wäre! – Dann und wann ein wenig Jähzorn, Unfreundlichkeit, Eigenwillen; wer verzeiht das nicht gern einem Vater und einem so guten Vater?

Verzeiht das! – Drollig!

Nur dann wieder Güte, Offenheit, Liebe, Vertrauen! – Aber Ihr schneidender, Ihr empfindlicher Ton – – Hier rückte der Alte am Stutz, und der Doctor fand für gut, etwas lindernde Mittel hinzuzusetzen – – Sie müssen mir das nicht ungütig nehmen; es geziemt mir freilich nicht, so zu reden; ich sage es nur im Vertrauen auf Ihre Nachsicht – – Ihre ewig fortgesetzten Spöttereien und Anspielungen, die, gleich kleinen Schlägen, jeder an sich nur sanft sind, aber, zu schnell hinter einander und immer denselben Fleck treffend, zuletzt unerträglich werden; – kurz, Ihr Necken; Ihre witzigen Ausfälle – –

Genug! sagte der Alte: genug! Dagegen läßt sich Nichts aufbringen. Sie haben Recht.

Und dürfte ich denn also hoffen – ?

Was? – was? – indem er ihn mit ein Paar großen und stieren Augen ansah, die den Doctor ganz irre machten: daß ich in meinen Jahren mich ändern; daß ein alter, verwachsener, knotiger Stamm sich nun noch biegen und ziehen sollte? – Das ist unmöglich, Herr Doctor; unmöglich!

Nun ward der Doctor, der es so gut gemeint hatte, auch an seiner Seite verdrießlich. – Sie verfallen schon wieder in Ihren Ton. –

Schon wieder? Und das mit Ihnen, mit dem ich doch sonst eben nicht witzele? – Er sagte das Wörtchen: witzeln, mit einem ganz eigenen Nachdruck. Nun, Sie sehen dann wol selbst: es ist unmöglich, unmöglich! – Gleichwol – habe ich Mitleiden mit meinem Sohn; und ich komme da eben auf einen Gedanken – auf einen, glaube ich, guten Gedanken – den aber nur Sie würden ausführen können.

Nur ich? –

Sie haben mir soeben Ihre große Gabe dazu bewiesen.

Wie verstehe ich das? Welche Gabe?

Je, die glückliche Gabe, Fehler zu sehen und zu sagen. Wie, wenn Sie nun gingen, und meinem Sohn auch die seinigen sagten? – denn daß er ihrer hat, dafür stehe ich. Recht derbe Fehler! – Wenn Sie zu ihm sprächen: »Sie müssen mir das nicht ungütig nehmen; es geziemt mir freilich nicht so zu reden; ich sage es nur im Vertrauen auf Ihre Nachsicht« – oder wie Sie es sonst herumbringen; wie Sie sonst Ihre Pille versilbern wollten: – Sie werden ja das wissen, Herr Doctor –

Gut! gut! sagte dieser, und biß voll Unmuths die Lippen.

Kurz, wenn Sie sprächen: »Die bewußte Unterredung mit unserem Alten habe ich gehabt. Es ist doch ein wunderlicher, eigenwilliger, hartnäckiger, alter Mann. Steif ist sein Rücken und steif ist sein Kopf. Beide würden eher brechen als biegen. – Wie, wenn lieber Sie, der jüngere Mann, die Fehler ablegten, die den grämlichen Alten auf Sie verdrießen? wenn Sie, zum Beispiel, ein gesetzterer Mensch, ein sparsamerer Wirth, ein aufmerksamerer Kaufmann würden? Ich stünde Ihnen dann mit meiner Ehre dafür:« und hier meine Hand, daß Sie Ihr Wort nicht bereuen sollten! – »ich stünde Ihnen mit meiner Ehre dafür; der Alte sollte uns anders werden; er sollte seinen Sohn lieber haben, als seinen Witz; er sollte keine größere Sorge auf dem Herzen tragen, als wie er den einzigen Erben seines Hauses und seines Namens glücklich machte.« – Hier drehte sich Herr Stark wieder gegen den Tisch und griff nach den Beuteln. – Denken Sie der Sache gelegentlich nach! Es ist ein Vorschlag zur Güte. Ich sehe wol, sagte der Doctor, der seinen Verdruß kaum mehr bergen konnte – es ist Nichts mit Ihnen zu machen.

Finden Sie das? – Das hat schon Mancher gefunden. Das ist fast immer so mit Leuten, die nach Grundsätzen handeln.

Und so muß ich's Ihnen denn nur grade heraussagen. Sie werden erschrecken; aber – – Ihr Sohn – –

Mein Sohn?

Er will von Ihnen – will fort!

Dem Alten war jetzt eben ein Zweidrittelstück in die Hände gefallen, das ihm nicht so recht ächt schien. Er besah es von vorn und von hinten, warf es auf den Tisch, um den Klang zu hören, und musterte es endlich aus. – Dreizehn, vierzehn, fünfzehn. – Will von mir? Wohin?

So gelassen dabei? – Aber Sie denken vielleicht: es sei nur Vorwand, nur Kunstgriff. Ich schwöre es Ihnen dann auf Ehre: er will fort, will nach Br**, auf nimmer Wiedersehen.

Will er? – Hahahaha!

Sie lachen?

Ueber etwas sehr Lächerliches.

Nun beim Himmel! So finde ich's nicht.

Aber ich! – Lieber, lieber Herr Sohn! So Etwas für Ernst zu nehmen!

Und wofür sonst?

Für nichtigen, leidigen, elenden Trotz.

Ich fürchte, Sie werden bald anders denken. – Ja, wenn es das erste Mal wäre, daß er den Einfall hätte! Aber er hatte ihn schon öfter. – Und so leicht es mir Anfangs ward, ihn zurückzuhalten, so schwer ward mir's nachher.

Natürlich! Weil Sie sich gleich Anfangs zu viele Mühe gaben.

Er geht aber. Denken Sie an mich, lieber Vater! Er geht! – Und nun – was wird die Welt davon urtheilen? Ihr Sohn ist für keinen üblen Mann bekannt, und Sie selbst werden ihn so nicht bekannt machen wollen. – Ihre Handlung werden Sie fremden Händen vertrauen müssen. Sie sind zu alt und mit anderen Geschäften zu überhäuft, um diese Hände genug zu beobachten. – Ihre Frau wird ihren einzigen Sohn – denken Sie selbst, wie ungern! verlieren; wir alle –

Ach Thorheit! Thorheit! sagte der Alte, und zählte fort.

Wenn Sie's so ansehen – –

Wie anders?

Ich habe dann das Meinige gethan, und muß schweigen.

Lieber, lieber Herr Sohn! – und er drehte sich zu einem ernsthaften Gespräch herum, mit bei Seite gelegter Brille. – Ihre Gründe sind gut, sind vortrefflich; aber für wen? Für meinen Sohn oder für mich? Wenn ihn die Welt als keinen üblen Mann kennt, so hoffe ich sagen zu dürfen: mich kennt sie als einen guten. Auf wen wird also der meiste Vorwurf, der meiste Tadel fallen? – Wenn die Handlung zu Grunde geht, wer ist's, der den Schaden trägt? der verliert? Ich, der Greis, der sein Gutes genossen hat und nun auf die Grube geht? oder er, der Jüngling, der erst genießen soll, und – so gern genießen mag? – Mit dieser einzigen, ihm ganz zufällig entfahrenen Spötterei war der Alte auf einmal wieder in voller Laune. – Was? was? fuhr er mit einer Art von komischem Unwillen fort: ein Mensch, der nicht das Herz hat, sich eine Frau zu nehmen, der hätte Herz, daß er davon ginge? daß er sich auf seine eigene Hand setzte? daß er hier Alles im Stiche ließe? – Ach Thorheit! Thorheit!


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