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29.

Von der Mutter war wenig oder Nichts zu erfahren; und so eilte Herr Stark durch den Thorweg, den Monsieur Schlicht ihm öffnen mußte – denn wenn er von vorn ging, konnt' er dem Vater in den Wurf kommen – zur Schwester.

Diese, die von seiner Reise gewußt hatte, schien über seine Rückkunft verwundert. Sie konnte sich's nicht versagen, den ungeduldigen Liebhaber mit seiner Leidenschaft ein wenig zu necken, sich eben so brennend-neugierig zu stellen, als er selbst brennend-verliebt war, und ihm auf seine Fragen über die Wittwe lauter Gegenfragen über die Reise zurückzugeben. Doch am Ende brach ihr das mitleidige Schwesterherz; und sie machte ihn durch die Entdeckung, daß, nach ihrem und ihres Mannes Dafürhalten, die Wittwe wol eben so verliebt sei als Er, über alle Beschreibung glücklich. Sie selbst war es in hohem Grade durch das stolze Gefühl, das immer ihrem Geschlechte so wohl thut, einen Mann in den Fesseln eines Weibes sich krümmen und winden zu sehen: doch fühlte sie zugleich, wie alle wohldenkenden Damen, einen lebhaften Trieb, den Leiden des armen Schmachtenden, so schön und so lieblich anzuschauen sie auch waren, ein baldiges Ende zu machen. Sie versprach ihm mit Hand und Mund, daß sie Nichts, was in ihren Kräften stehe, unversucht lassen wolle, um das Schifflein seiner Liebe, wenn nur nicht Wind und Wetter allzusehr entgegen wären, glücklich in den Hafen zu steuern.

Bei der Nachhausekunft des Doctors kamen die drei Entwürfe zur Sprache, die Herr Stark auf die oberwähnten drei Fälle bei sich festgesetzt hatte. Der Doctor wollte durchaus, daß er sich vor allen Dingen mit dem Vater verständigen und seine Geschäfte wieder antreten sollte, wo denn die Einwilligung zur Heirath mit der Wittwe gewiß nicht fehlen würde. Herr Stark hingegen wollte vor allen Dingen der Gesinnung der Wittwe versichert sein, um zu wissen, ob er den Ort seines Aufenthalts nicht verändern müsse, und wie er sich gegen den Vater zu nehmen und zu erklären habe. In sein altes Verhältniß, sagte er, trete er für keinen Preis wieder zurück, was auch immer sein Schicksal sein möge; und die Billigung seiner Liebe betreffend, kenne er die unüberwindliche Beharrlichkeit des Vaters in seinen einmal gefaßten Vorurtheilen.

Der Doctor erzählte ihm jetzt, wie sehr das Vorurtheil gegen die Wittwe bei dem Alten bereits erschüttert worden, und bestand noch ein Mal darauf, daß sein erster Schritt die Aussöhnung mit einem Vater sein müsse, der von nun an gewiß auf einem ganz andern Fuß mit ihm leben würde. Die Rückkehr des alten Verhältnisses, meinte er, sei durchaus nicht zu fürchten, sobald nur nicht der Sohn selbst daran arbeite, es wieder herzustellen. Ob der Vater ihn liebe? sei nicht die Frage; nur habe dieser Liebe bisher ein nothwendiger Zusatz gemangelt, und dieser Mangel sei die Ursache alles Verdrusses und aller Erbitterung geworden. – Herr Stark bestand darauf, daß der Doctor sich näher erklären sollte; und dieser versprach es, wenn er zuvor das feierliche Wort erhielte, daß ihm seine Freimütigkeit nicht sollte übel gedeutet werden. Dieses Wort ward gegeben. –

Nun dann! sagte der Doctor: der Liebe Ihres Vaters mangelte, was jetzt schon in hohem Grade da ist, und was Sie noch täglich zu vermehren in Ihrer Gewalt haben werden: Hochachtung für Sie.

Wahr! Mehr als zu wahr! Er hat mich von jeher verachtet.

Er hat von jeher gewünscht, Sie innigst hochachten zu können. – Fragen Sie sich selbst, in welchem Maße Sie ihm das, möglich machten!

Hab' ich ihm Schande gemacht? rief Herr Stark, indem er mit großer Bewegung aufstand. Hab' ich Lasterthaten begangen?

Ist von Schande die Rede? Werden Sie den schon hochachten, der sich mit keinen Lasterthaten befleckt hat? Gehört zur Hochachtung nicht mehr?

Herr Stark erinnerte sich der Freude des alten Schlicht über den Ton, worin sein Vater von ihm gesprochen hatte, ward besänftigt, und setzte sich wieder. –

Ich habe Ihr Wort, daß Sie meine Freimüthigkeit mir verzeihen wollen, und so lassen Sie mich ein für alle Mal, um Ihrer und Ihres Vaters Zufriedenheit willen, über diesen Punkt meine geheimsten Gedanken sagen! – Ihr Vater hielt Sie für keinen bösen, aber für einen schwachen, für einen auf sich selbst beschränkten, zur Sinnlichkeit, Weichlichkeit, Eitelkeit ganz sich hinneigenden Charakter. Nach Dem, was er von Ihnen sah, von Ihnen hörte – denn Ihr Gutes verbargen Sie ja vor ihm – konnt' er kaum anders, sondern mußte Sie dafür halten. Er dachte Sie im vollen Gegensatz mit sich selbst; und sich selbst konnt' er doch wahrlich! auch bei der strengsten Unparteilichkeit, mit keinen andern Augen ansehen, als womit alle Welt ihn ansieht: mit Augen der Billigung und der Achtung. Daher sein Ton gegen Sie: ein wirklich empfindlicher, ärgerlicher, kränkender Ton, der mir von jeher mißfiel, den ich gegen meinen Sohn, wie ich auch immer von ihm urtheilen möchte, ewig nicht brauchen würde, auch freilich, weil mir Witz und Laune dazu versagt sind, nicht brauchen könnte; der aber aus dem ganzen Geiste und Herzen des Alten zu natürlich hervorging, als daß die Abänderung desselben, so lange er Sie in dem alten Lichte betrachtete, je gehofft werden durfte. – Ihm diesen Ton zu nehmen, war kein anderer Weg, als ihm sein Urtheil von Ihnen zu nehmen; und dieses – Er ergriff hier die Hand des Schwagers, und drückte sie ihm mit Wärme – dieses ist ihm genommen. –

Herr Stark hatte mit Ruhe gehört, und schwieg auch noch jetzt. Der Doctor bekannte ihm, daß er die ganze Geschichte der Aussöhnung mit Lyk, nebst Allem, was darauf gefolgt sei, dem Alten erzählt habe, und schilderte ihm die große Rührung desselben nicht ohne eigene Rührung. – Treten Sie ihm jetzt unter die Augen, und Sie werden einen ganz andern Blick von ihm sehen. Reden Sie jetzt mit ihm, und Sie werden einen ganz andern Ton von ihm hören. – Wahrlich, Herr Bruder! wenn Sie auch alle die kleinen – Schwachheiten will ich nur sagen – beibehielten, die er sonst an Ihnen bespöttelte, er würde sie nicht mehr bespötteln; er würde sie immer noch weg wünschen, aber sie dem uneigennützigen, großmüthigen, edelthätigen Mann, den er jetzt in Ihnen erkennt, mit Freuden zu Gute halten. Nur Annäherung, Aussöhnung, Vertrauen! – und ich schwöre Ihnen, Sie gelten ihm künftig mehr, als wir Alle; Sie führen ihm jede Gattin, die Sie wollen, als seine Tochter zu; Sie sind Herr aller Ihrer Handlungen, so lange Sie in dem Geiste, wie seit Lyks Tode, handeln; Sie haben an ihm keinen Tadler und Sittenrichter mehr; nur einen liebenden Freund, einen zärtlichen Vater.

So gern Herr Stark dieses Alles nicht blos als Liebhaber, sondern auch als Sohn hörte, dessen Gefühle der Natur und der Pflicht nie völlig erstorben waren, so nahm er es doch mehr für angenehme Vorspiegelung, als für wirkliche Hoffnung. Er beharrte darauf, daß sein erster Schritt sein müsse, von der Gesinnung der Wittwe gewiß zu werden, um bei dem Versuche der Aussöhnung mit dem Vater sogleich seine Liebe erklären zu können: weil diese Aussöhnung, wenn man hinterher seine Liebe verwürfe, von keiner Dauer, und wenn die Wittwe selbst ihm ihre Hand verweigerte, von keinem Nutzen sein würde. Er sei in dem letztern Falle nun einmal entschlossen, seinen Aufenthalt zu verändern. – Man stritt noch eine Weile hin und her; aber jeder blieb, wie gewöhnlich, bei seiner eigenen Ansicht, bis die Doctorin, die sich ihrer Wirthschaft wegen hatte entfernen müssen, wieder hereintrat, und Mann und Bruder zu Tische abrief. Sie sagte ihnen, daß sie den Kindern besonders habe decken lassen, und daß sie Drei allein sein würden, um mit voller Freiheit zusammen zu rathschlagen.

Der Streit zwischen dem Doctor und Herrn Stark ward ihr jetzt zur Beurtheilung vorgelegt, und sie entschied, nach kurzem Besinnen, für Beide und wider Beide. – Ihr könnt Euch nur darum nicht vereinigen, sagte sie, weil Ihr Männer, daß heißt, weil Ihr Starrköpfe seid, die, wie sie einmal ein Ding gesehen und gefaßt haben, es immer sehen und immer fassen. – Mein Gott! So werft doch Euer beider Meinungen in eine zusammen, und Ihr seid ja fertig.

Wie zusammen? fragten hier Beide. Wie geht das an?

Ja, wenn wir Weiber nicht wären! –

Ihr holden Friedensstifterinnen! sagte der Doctor und lachte.

Das sind wir, mein Herr; das sind wir. Davon sollen Sie gleich die Probe sehen. – Du, Bruder, willst vorher der Liebe Deiner Wittwe gewiß sein, ehe Du mit dem Vater sprichst. Nicht?

Allerdings.

Und Du, Herr Gemahl, willst den Bruder vorher mit dem Vater einverstanden wissen, ehe er mit der Wittwe Richtigkeit macht?

Nicht anders.

Nun, was zankt Ihr Euch denn? Da gibt's ja gar keine Schwierigkeiten. Das geht ja ganz vortrefflich zusammen. – Ich schaffe dem Bruder die vollkommenste Gewißheit von dem Ja der Wittwe, ohne gleichwol dieses Ja ausdrücklich zu fordern; und der Bruder, wenn er diese Gewißheit hat, gönnt dem Vater vorher das Wort, ehe er der Wittwe seine Anträge macht. Dann wird er ja hören, und nachdem er hört, kann er handeln. Der Vater darf nicht klagen, daß der Sohn ihn vernachlässigt habe, und der Sohn darf nicht fürchten, daß er von einer oder der andern Seite in Verlegenheit komme. – Läßt sich etwas Leichteres, etwas Einfacheres denken?

Aber ich sehe nicht ab, sagte der Doctor, wie Du ohne förmlichen Auftrag des Ja der Wittwe gewiß werden kannst.

Armer Mann! Das siehst Du wirklich nicht ab? –

Sage mir doch: wie nanntest Du jüngst ein Gesicht, woran Du gewiß vorher weißt, daß Dein Kranker Dir sterben werde?

Ein hippokratisches etwa?

So ungefähr. Ja, so klang's. – Nun, die Freiheit der armen Mädchen und Wittwen, wenn sie im Abfahren begriffen ist, hat eben ein solches hip – hip – wie heißt es?

Hippokratisches Gesicht.

Richtig! – Und darauf verstehen nun wir Weiber – wir klugen meine ich – uns eben so gut, als Ihr Euch, Ihr gelehrten Herren Doctoren, auf jenes. – Heute Abend, Bruder, hast Du von der Wittwe volle Gewißheit, ohne daß ich gleichwol das Mindeste mit ihr richtig mache.

Aber, Schwester, sagte Herr Stark, wenn Du Deine Güte gegen mich vollenden wolltest – ich wünschte von Dir noch Eins.

Und was?

Daß Du, ehe ich mit dem Vater spräche, auch seine Gesinnung in Absicht dieser Heirath – nicht eben geradezu, nur von weitem, ganz von weitem erforschtest. – Ach, das würde mir die Unterredung mit ihm so unaussprechlich erleichtern.

Kann geschehen, sagte die Schwester.

Er soll ja sein Vorurtheil gegen die Wittwe schon halb verloren haben?

Das hat er. Schon mehr als halb. – Aber, lieber Mann, wie ist's denn mit Dir? Du wirst doch auch etwas thun?

Was in meinen Kräften steht – gern. Ich bin des Unfriedens in der Familie schon so überdrüssig! –

Morgen, weißt Du, ist Sonntag, und der Vater ißt hier zu Mittage – Wie, wenn Du ihn da in Dein Zimmer nähmst, und ihn zur väterlichen, freudigen Wiederannahme des Bruders zu stimmen suchtest? Wenn Du ihm den Bruder von seinem letzten Geschenke so gerührt schildertest, so dankbar, so gut –

Daß er ihn selbst wieder zurücksehnte?

Nun ja.

Mit Vergnügen. – Aber dann wird er sogleich, wenn er den Bruder gesund glaubt, ihn rufen lassen, oder wenn er ihn noch für krank hält, zu ihm hinaufgehen und ihn umarmen.

Er umarmt nicht so leicht. –

Nein, nein, sagte Herr Stark. Verschone mich, Schwester! – Auch hast Du mir ja versprochen – –

Wahr! Ihn der Heirath wegen erst auszuholen. Und dazu will Zeit sein. So Schlag auf Schlag geht das nicht. – Und doch möchte ich so ungern, daß der Sonntag, wo wir ihn hier allein haben, und wo er gemeiniglich so vergnügt ist, für die Hauptunterredung verloren ginge. – Halt! Du warst ja auf dem Lande, Bruder? Bei einem Freunde?

Nun freilich.

Besinne Dich! Du warst nicht, sondern Du bist auf dem Lande. Mein Mann hat Dir zu der Reise gerathen, und heute oder gestern – mag es doch heute sein, heute nach Mittag! – bist Du von hier gefahren. Indessen bleibst Du bei Deiner Schwester und kannst wieder zur Stadt kommen, sobald Du willst. Schlicht soll Bescheid darum wissen.

Ich glücklicher Mann! sagte der Doctor. Was für eine Frau ich doch habe!

Nicht wahr? –

Eine kluge, eine herrliche Frau! – Von einer Erfindungskraft! einer Geistesgewandtheit!

Bosheit! Bosheit! rief sie. Nichts weiter! – Da will er mich nun verführen, daß ich ihm einmal sagen soll, was eine Frau doch so ungern sagt: Mann! Du hast Recht.

Die süße Miene, womit sie jetzt aufstand, versprach einen Kuß, und der Doctor fuhr sich schon mit der Serviette über die Lippen; aber plötzlich wandte sie sich gegen die Thür, befahl den Pudding zu bringen, und setzte sich ganz ehrbar wieder an ihre Stelle.


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