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»Bänkelsänger!« rief Keller.
»Trapezkünstler!« sagte Krag – und beide lachten.
»Die Herren sollten unsere Fremdenliste sehen,« erklärte Rudolf eifrig. »Es ist ein ganz besonderes Publikum, das im Hotel ›Zum vergoldeten Pfau‹ einkehrt. Da das Hotel in der Nähe des Hafens liegt, kommt es vor, daß dieser oder jener Seemann bei uns einspricht, sonst sind es fast nur Leute, die der Artistenwelt angehören. Simpson, der Schlangenmensch, oder Miß Rosa, die Löwenbändigerin, erwecken nicht mehr Aufsehen im ›Vergoldeten Pfau‹ als ein Großkaufmann im Palasthotel. Sie müßten nur die Bestellungen hören: Einmal Kaffee für die Löwenbändigerin. Für den Feuerfresser auf Nr. 6 ein eiskaltes Pilsener. Ja, ja, so geht es bei uns zu. Aber es kommen auch feine Gäste. Grafen und so ... Es ist ein sehr gutes Hotel.«
»Aber Bänkelsänger,« brummte Keller unwillig.
Rudolf betrachtete den Detektiv musternd.
»Dann sagen wir vielleicht lieber Impresario, Spezialität Boxen. Wir haben augenblicklich keine Boxer im Hotel, das paßt also gut. Um halb zehn erwarte ich die Herren, ich werde im Café sein. Vergessen Sie nicht, meine Herren, daß Sie nicht durch den Torweg, sondern durchs Café hereinkommen. Über der Tür ist ein Pfauenschwanz gemalt. Leichtes Handgepäck ist erforderlich.«
Nachdem er nochmalige Versicherungen wegen absoluter Verschwiegenheit empfangen hatte, zog Rudolf sich unter Verbeugungen zurück.
»Was glauben Sie?« fragte Keller.
»Ich glaube, daß er die Wahrheit sprach,« antwortete Krag, der sehr ernst geworden war. »Und ich glaube, daß es Abbé Montroses Rock ist, der auf der Zentralheizung liegt. Es sieht nicht gut aus für den lieben Abbé. Ich fürchte, daß er nicht mehr am Leben ist. Falls er aber ermordet ist, dann hat einer seiner Mörder heute vormittag im Hotel ›Zum vergoldeten Pfau‹ gewohnt.«
»Auffallend ist,« sagte Keller, »daß Arnold Singer ebenfalls Verbindung mit diesem Hotel hat. Ich glaube, wir sind einer Lösung des Rätsels näher als wir ahnen.«
»Es wird sich zeigen,« antwortete Krag nur.
Das Hotel »Zum vergoldeten Pfau« lag im Mayonnaise-Viertel, doch nicht in dem schlimmsten Teil desselben. Keller kannte es von Hörensagen und teilte Krag einiges darüber mit, während sie im Auto dorthin fuhren, jeder mit einer Handtasche versehen.
Es war, wie Rudolf ganz richtig geschildert hatte, ein Artistenhotel. Ein paarmal hatte es unter polizeilicher Aufsicht gestanden. Das eine Mal, als es sich um eine Spielaffäre handelte, das andere Mal war ein junger Herr aus der besten Gesellschaft in den Irrgängen des Hotels verschwunden, – wie man behauptete bei der Jagd nach einer hübschen Seiltänzerin. Der Besitzer aber hatte immer verstanden, sich reinzuwaschen und das Hotel stand auf der Liste der Polizei, wenn auch nicht mit einem Stern, so doch als erstes zwischen den recht anständigen kleineren Hotels. Man wußte, daß die Künstlerboheme sich in frohen Stunden bisweilen dorthin begab. Der »Pfau« war wegen seiner vorzüglichen Küche bekannt, die sich dem Geschmack des internationalen Artistenpublikums anpaßte. Hier konnte der Italiener seinen Knoblauch und seine Makkaroni bekommen, der Franzose sein » escargot«, der Deutsche sein Sauerkraut und der Russe seinen Wodka. Chinesische Taschenkünstler aßen gebratene Ratten mit Stäbchen in einem Raum für sich.
Natürlich wurde auch in diesem Lokal ein besonders billiges, aber wohlschmeckendes Gericht, Goulasch, für Dirigenten von Negerorchestern serviert, doch nur für Dirigenten, farbige Musikanten hatten keinen Zutritt.
Es dämmerte bereits, als das Auto der Detektivs vor dem kleinen Hotel hielt. Die Straße war eng und winklig, und die hohen Häuser, die sich zu beiden Seiten der Straße eng aneinanderdrängten, erhoben sich wie steile Wände um eine Kluft. Über der Kluft hing der nebelgraue Abendhimmel, an dem ein einsamer blasser Stern schimmerte. Es war ein ungewöhnlich schöner und warmer Abend. Das Halbdunkel der Straße, Lichter, die hier und dort in den Häusern angezündet wurden, und matt und sinnlos durch den schwindenden Tag leuchteten, die phantastischen Umrisse der Schilder, die blanken Messingbecken der Barbiere, die gewölbten Portale der Kinos, die Schritte der Menschenmassen auf den Fußsteigen, die wie ferner Regen klangen – das Schwirren von Stimmen, das Töff-Töff der Autos, die lebhaften Signale der Fahrradglocken und der unbeschreibliche Geruch von alten Steinhäusern und zahlreichen Altkleiderhändlern – das alles sammelte sich zu dem überzeugenden Eindruck von dem mannigfaltigen Leben der Stadt, ein Eindruck, wie man ihn sonst nur von Reisen aus fernen Ländern mit heimbringt.
Die Detektive bezahlten das Auto, schickten es fort und blickten sich um. Von draußen sah das Hotel sehr einfach aus. Es hatte eine schmale Fassade, darum konnte es aber doch von einer bedeutenden Tiefe sein. Über dem Torweg stand Hotel und über dem Caféeingang Restaurant. Zu letzterem führte eine kleine Treppe mit einer Messingbalustrade. Über der Tür prahlte ein vergoldeter Pfauenschwanz, nur der Schwanz, der Vogel schien bereits auf dem Weg durch die Wand zu sein. Auf diese Weise empfingen die Besuchenden gleich auf der Schwelle einen merkwürdigen Eindruck von diesem seltsamen Hotel, das Klarheit in so viele Geheimnisse bringen sollte.
Zuerst kamen sie in einen kleinen viereckigen Vorraum, der durch Vorhänge abgeteilt war, die in schweren Falten von Messingstangen herabfielen. Oh, diese Cafévorhänge, dachte Krag mit einem leisen Schauder, diese ewigen Cafévorhänge, die wie Löschpapier alle Art Gerüche von Zigaretten, Likören und unbezwinglicher Faulenzerei an sich ziehen. Die beiden Detektive schoben die Vorhänge beiseite und traten ins Café.
Es war eine Bar. Aber rechts und links führten Türen zu anderen Caféräumen. Hinter dem Bartisch saß das weiße und rote Morgengewölk. Mehr Zeit zum Beobachten hatten die Herren nicht, denn jetzt näherte sich ihnen eine Mannsperson und griff nach ihren Handtaschen. Es war Rudolf.
»Die Herren wünschen Zimmer,« sagte er, »groß oder klein, Einzel- oder Doppelzimmer?«
»Zwei große Einzelzimmer,« antwortete Keller. »Bringen Sie bitte unser Gepäck hinauf, wir wollen uns noch ein Glas zu Gemüte führen.«
»Sehr wohl.«
Rudolf wandte sich mit den Taschen in der Hand an das Morgengewölk, aus dessen rötlichem Abgrund jetzt einige Laute kamen, die mehr Ähnlichkeit mit einem tierischen Grunzen als mit menschlicher Rede hatten, worauf Rudolf sagte:
»Nummer sechs und acht, meine Herren« – und verschwand leise vor sich hinpfeifend mit den Taschen.
Krag erinnerte sich, daß Nummer sechs Thomas Uris Zimmer gewesen war.
Außer den bekannten Taburetts vor der Bar gab es auch kleine Tische mit bequemen Ledersesseln. Die beiden Detektive nahmen an einem dieser Tische Platz, und ein servierender Jüngling in einer weißen Schürze, den Arm voll von verschiedenen Flaschen, kam auf sie zu. Seine Backen waren gelblich-weiß, seine Lippen aber feuerrot, und er fragte lachend mit fast lasterhafter Kindlichkeit:
»Einen kleinen Likör, meine Herren, gelb, braun oder grün?«
Ohne allzu große Neugierde an den Tag zu legen, benutzten die Detektive die Zeit, um sich umzublicken.
Hinter dem Bartisch, das Morgengewölk wie freundlichere und leichtere Wölkchen flankierend, saßen vier Damen. Sie waren sowohl jung wie schön, die dicke Schminke im Gesicht war nicht imstande, die Jugend, noch die Schönheit zu verbergen. Es hatte den Anschein, als ob ihre Lippen und Wangen und Augenbrauen einzig und allein bemalt worden waren, um zu dem farbenprangenden Spiegelbüfett zu passen, das den Hintergrund bildete. Mit seinen seltsam geformten Flaschen, in denen sich, wie in Prismen, alle Farben des Regenbogens brachen und in der Zaubertiefe des Spiegels vervielfältigten, wirkte es vollkommen überwältigend. Auf dem obersten Bord standen die allermerkwürdigsten Flaschen, und die ganze Herrlichkeit wurde von einer birnenförmigen Flasche gekrönt, deren tiefsinniger und giftig-grüner Inhalt sogar den degeneriertesten Alkoholisten zu dem Ausruf hinreißen würde: »Den, den will ich haben.«
– Die geschminkten Schönheiten hinter dem Schenktisch schienen durch irgendeine Sinnlosigkeit des Schicksals einzig und allein hier zu sein, um sich mit Handarbeiten zu beschäftigen. Die eine häkelte Spitzen, ihr weißes Knäuel war über den Schenktisch gerollt und wiegte sich an ihrer weißen Schnur wie eine Jolle auf der blitzenden Glasfläche. Vor ihr auf einem Taburett saß ein ganz junger Herr im Frack, stumpf, mit einem Likörglas vor sich, nicht größer wie ein Fingerhut. Er verkörperte das Bild verschmähter Liebe, während die tiefgesenkten Augenlider seiner Angebeteten herzlose Abweisung ausdrückten. Der Kopf des unglücklichen jungen Mannes schien sich in der dunklen Tiefe seines Zylinders verstecken zu wollen, während sein Stock mit dem silbernen Knopf, den er unterm Knie hielt, nachschob, um ihn möglichst schnell hineinzubefördern. Sein rechtes Bein hing schlaff vom Taburett herunter, über dem durchbrochenen Strumpf am Fußgelenk blitzte eine goldene Kette.
Die anderen Damen waren auch fleißig mit Handarbeiten, Porzellan- oder Miniaturmalerei beschäftigt – alle Beschäftigungen eines vornehmen Heims schienen hinter diesem Bartisch reichlich vertreten zu sein – und davor versammelten sich die Leiden des gefährlichen Lebens in Gestalt von Männern, die sich stumm oder leise plaudernd über den Tisch beugten und mit Wohlbehagen von der Unnahbarkeit der Schönen kaltstellen ließen.
Mitten in diesem Blumenbeet aber thronte die Unbeschreiblichkeit, der Wirt selbst, vor einem Champagnerkübel aus Silber, von Mixbechern umgeben. Wie er dort stand, rosenrot und weiß, konnte man ihn für eine perverse Schlachterphantasie halten; es fehlte nur, daß er ein frisches grünes Blatt im Munde hielt, um einen delikaten Schweinskopf zu verkörpern. Aus den anderen Caféräumen erklangen leise Gespräche in verschiedenartigen Sprachen, während Gäste beständig hin- und hergingen. Ein Chinese, nach der letzten europäischen Herrenmode gekleidet, schlich sorglos und dennoch so vorsichtig umher, als ob er auf Eis ginge. Ein unbeschreiblicher Jude aus dem fernen Trapezunt glitt auf weichen Katzenpfoten vorbei. In der Nähe der Detektive saß ein Mann von mittleren Jahren allein an einem Tisch und starrte mit erloschenem Blick vor sich hin. Sein Gesicht hatte eine auffallend gefängnisblasse Farbe.
Da kam Rudolf, um die Herren auf ihre Zimmer zu führen – Thomas Uris Zimmer.