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Vierzigstes Capitel.
Die Rückkehr.


Steht auf, meine Tochter! erhebt Euch,« sagte Girolamo endlich, »Euer Diener wartet nicht weit von hier mit den Maulthieren. Es ist Zeit, daß ich mich nach Florenz aufmache.«

Romola erhob sich von den Knieen. Dieses Schweigen war für sie eine Art Sakrament gewesen, den Zustand sehnsüchtiger Ruhe, in welchem sie sich eben befand, bestätigend. Durch die eine Thatsache, daß sie den Entschluß: ihren Gatten zu verlassen, aufgegeben hatte, schien ihr Wille so gänzlich zermalmt, daß sie das Bedürfniß einer Führung selbst in Geringfügigkeiten empfand. Sie hob den Zipfel ihrer Kaputze auf und sah Maso und den andern Dominikaner, mit dem Rücken ihr zugewendet, am Rande des Hügels in einer Entfernung von ungefähr zehn Ellen; sie aber blickte Savonarola von Neuem an, ohne ein Wort zu reden, als müsse der Befehl für Maso, umzukehren, von ihm und nicht von ihr ausgehen.

»Ich werde gehen und sie rufen,« sagte er, wie ihren auffordernden Blick beantwortend, »Euch aber, meine Tochter, will ich dem frommen Bruder, der mich begleitet hat, empfehlen. Ihr wünscht Euch einer Leitung anzuvertrauen, und die Weisheit kennen zu lernen, welche Euch bisher als Thorheit galt. Eine Hauptpforte zu dieser Weisheit ist das Sakrament der Beichte. Ihr bedürft dazu eines Beichtvaters, und ich werde Euch der Sorgfalt Fra Salvestro's, eines der Brüder von San Marco, welchen ich am meisten vertraue, überantworten.«

»Ich möchte keine andere Leitung haben als die Eurige, mein Vater,« sagte Romola ängstlich.

»Ich wirke nicht als Beichtiger. Mein Beruf zieht mich von den Pflichten ab, die mich in fortwährende Berührung mit Laien bringen, und mich in meinem besondern Wirkungskreise stören würden.«

»Werde ich denn nicht mit Euch allein vertraulich sprechen dürfen? – wenn ich wankend werde, wenn –« hier brach Romola in steigender Bewegung ab. Sie empfand eine Unruhe darüber, daß ihre neugewonnene Entsagungskraft verschwinden möchte, wenn sie dem unmittelbaren, persönlichen Einflusse Savonarola's entzogen würde.

»Meine Tochter, wenn Eure Seele im vertraulichen Gespräche des Wortes von meinen Lippen bedarf, so werdet Ihr es mir durch Fra Salvestro mittheilen lassen, und ich werde Euch in der Sakristei oder dem Chor in San Marco empfangen. Ich werde nicht aufhören über Euch zu wachen. Ich werde meinem Bruder Vorschriften hinsichtlich Eurer geben, auf daß er Euch den Pfad der Thätigkeit für die Leidenden und Hungernden führe, zu dem Ihr als Tochter Florenz's in diesen Zeiten trüber Noth berufen seid. Ich wünsche Euch unter den schwächeren und unwissenderen Schwestern zu sehen, wie den Apfelbaum unter den Bäumen des Waldes, auf daß Eure Schönheit und alle Eure natürlichen Gaben nur als eine Lampe dienen mögen, durch welche das göttliche Licht desto reiner scheine. Ich werde jetzt gehen und Euren Diener rufen.«

Nachdem Maso etwas vorausgeschickt worden war, trat Fra Salvestro näher und Savonarola führte ihm Romola zu. Sie hatte von vorn herein eine innere Abneigung gegen einen neuen Führer, der ihr gänzlich fremd war, empfunden; wenn sie sich aber Savonarola's Anweisung widersetzt hätte, so würde es geschienen haben, als wolle sie eine unabhängige Stellung in dem Augenblicke einnehmen, in welchem sie ihre ganze Kraft aus der Entsagung der Selbstständigkeit schöpfen mußte. Und ihre ganze Seele lechzte jetzt danach, eher das zu thun, was ihr peinlich, als was ihr angenehm war. Sie verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor Fra Salvestro, ehe sie ihn ansah; als sie aber das Haupt erhob und ihre Augen auf ihn fielen, wurde ihr Widerstreben zu einem bebenden Zweifel. Es gibt Menschen, deren Erscheinen Zutrauen und Hochachtung einflößt, während es andere gibt, bei denen wir uns zwingen müssen, ihnen gleich mit Vertrauen und Hochachtung entgegen zu kommen; und dieser Unterschied wurde Romola schnell klar, als sie Savonarola nicht mehr vor sich hatte, sondern an seiner Stelle Fra Salvestro Maruffi erblickte. Nicht etwa, als ob sich in Fra Salvestro's Zügen und Wesen etwas Abstoßendes, ein Anflug von Heuchelei oder Gemeinheit gezeigt hätte; sein Antlitz war schöner als das Fra Girolamo's, und seine Gestalt noch etwas größer. Er war der längstbeliebte Beichtiger vieler der angesehensten Leute in Florenz, und besaß daher eine große Erfahrung als geistlicher Führer. Aber sein Gesicht zeigte den unsichern Ausdruck eines Geistes, der unfähig war, sich in einer großartigen Regung oder Ueberzeugung zu concentriren – ein Ausdruck, welcher dem Einfluß auf eine sprühende Natur, wie die Romola's, einen unersetzlichen Eintrag thut. Ein solcher Ausdruck trägt keinesweges den Stempel der Unaufrichtigkeit, sondern den eines seichten Geistes, der sich zwar oft ernstlich bestrebt einen hohen Beruf zu erfüllen, seine Haltung aufrichtig der Aeußerung erhabener Formeln anpassend; der aber bald findet, daß trotz des Glaubens die Muskeln sich krampfhaft zusammenziehen oder erschlaffen, gleichwie bei demjenigen, dem der göttliche Funke fehlt, stets Prosa statt Poesie zum Durchbruch kommt. Fra Salvestro war, allem Anschein nach durch sein dem Somnambulismus zugängliches Nervensystem, Visionen unterworfen, an deren übernatürlichen Charakter Savonarola glaubte, während Fra Salvestro selbst eine solche Auslegung bestritten, ja sogar Savonarola wegen seiner prophetischen Predigten getadelt hatte. Ein neuer Beweis – wenn es eines solchen bedarf– daß die beziehungsweise Größe der Menschen nicht nach dem Hange, den Aberglauben ihrer Zeitgenossen zu verschmähen, gemessen werden sollte; denn es konnte wol keine Frage wein, wer von den Beiden der große und wer der kleine Charakter war.

Der Unterschied zwischen Beiden konnte sehr genau nach dem Wechsel in Romola's Empfindungen, als Fra Salvestro sie mit Worten der Ermahnung und Ermuthigung anredete, berechnet werden. Nachdem ihr erstes zürnendes Widerstreben gegen Savonarola verflogen war, hatte sie jede Erinnerung an ihre frühere Besorgniß, daß irgend ein Einfluß sie wieder in den Kreis des Fanatismus und finsterer mönchischer Frömmelei ziehen könne, verloren. Jetzt aber kam der eisige Athem dieser Furcht wieder über sie; allein er konnte nicht auf den heftigen Anreiz, dem ihre Seele so eben sich geöffnet hatte, einwirken. Es war nur wie ein Verhülltwerden der Morgensonne durch graue Wolken, was ihren Rückweg eintönig und düster machte.

Und vielleicht ist es unter allen düsteren Pfaden, die wir gehen, derjenige, den wir zurückwandeln, nachdem wir ihn mit einem festen Entschlusse betreten haben, welcher am kräftigsten die Innigkeit der Entsagung bezeugt.

Als sie die Thore der Stadt erreicht hatten, fielen leichte Schneeflocken um sie her, und als die graue Schwester über den Piazza di San Marco rasch nach Hause eilte und die Brücke wieder betrat, und in die große Pforte in der Via de' Bardi schritt, drückten sich ihre Fußspuren dunkel auf der dünnen Schneehülle ab, und ihre Kaputze fiel schwer und dicht um ihr Gesicht.

Sie stieg in ihr Gemach, warf ihren Sergemantel ab, vernichtete die Abschiedsbriefe, legte alle ihre kleinen Kostbarkeiten an ihren früheren Platz, löste ihr Haar und zog ihr gewöhnliches schwarzes Kleid an. Statt eine weite, aufregende Reise zu machen, mußte sie sich wieder an ihre gewöhnliche Stelle setzen. Der Schnee schlug gegen die Fenster, und sie war allein.

Sie empfand diese Oede, aber ihr Muth war groß, wie der eines Minirers, der eben auf eine neue Spur einer Goldader gestoßen ist. Sie sollte jetzt den Faden des Lebens von einem neuen Knäuel abspinnen! Sie hatte sich mit der vollen Kraft ihres Willens auf die Entsagung geworfen. Der leere Schrein blieb verschlossen, und sie legte Dino's Crucifix auf denselben.

Nichts unterbrach die äußere Eintönigkeit ihres einsamen Hauses, bis die Nacht wie ein weißes Gespenst an den Fenstern erschien. Doch war diese Sylvesternacht des Jahres 1494 für Romola die merkwürdigste in ihrem ganzen Leben.



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