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Fünfunddreißigstes Capitel.
Woran Florenz dachte.


Einige Tage hindurch bekam Tito Romola wenig zu sehen. Am ersten Morgen, an dem er wieder mit ihr zusammentraf, sagte er ihr liebreich, daß es besser für sie sein möchte, einige kleine ihr zugehörende Gegenstände aus der Bibliothek fortzuschaffen, da Leute kommen würden, um die Alterthümer einzupacken. Dann ersuchte er sie, indem er sich vornüberbeugte um ihre Stirn zu küssen, in ihrem Cabinet mit dem kleinen gemalten Schrein zu bleiben, wo sie eben jetzt war, daß sie nicht von dem Gelärm der Schritte fremder Menschen behelligt werde. Romola willigte ruhig und ohne das geringste Zeichen von Aufregung ein; sie hatte die ganze Nacht durchwacht und, trotz ihres gesunden Körpers, empfand sie eine andauernde dumpfe Pein, als ob sie verwundet und betäubt wäre. Tito errieth, daß sie sich unwohl fühlte, wagte aber nicht, weiter darüber zu sprechen, sondern nur, als er merkte, daß ihre Hände und die Stirn kalt wie Stein waren, einen mit Pelz besetzten Mantel zu holen und ihr überzuwerfen. In jeder kurzen Pause, während welcher er zu ihr zurückkehrte, wiederholte sich der nämliche Auftritt; er suchte sie durch irgend einige, von jeder Zudringlichkeit entfernte, zärtliche Worte oder Aufmerksamkeiten zu versöhnen, während sie alle Kraft mit ihm zu reden, oder ihn anzusehen, verloren zu haben schien.

»Geduld,« sagte er zu sich selbst, »sie wird sich von dem Schlage erholen und endlich verzeihen, das Band, das sie an mich fesselt, muß doch das stärkste bleiben.«

Wenn der Beschädigte sich langsam erholt und thut, als ob nichts vorgefallen wäre, so gleitet der Angreifer leicht in die Lage eines Beleidigten hinüber; er fühlt keine Verletzung und hat das deutliche Bewußtsein seines eigenen freundlichen Benehmens nachdem er die Wunde beigebracht hat. Tito war eben von Natur gar nicht geneigt, sich beleidigt zu fühlen, ein charakteristischer Zug in ihm war der, sich die Leute zu versöhnen, und er würde gern viel erlitten haben, um Romola's Hand wieder auf seinem Haupte ruhend fühlen zu können, wie es an jenem Tage der Fall gewesen war, als er zuerst vor ihrem Blick zurückbebte.

Er fand es aber minder schwierig, in Geduld auf die Wiederkehr seiner häuslichen Glückseligkeit zu warten, da das Leben außerhalb des Hauses ihm immer mehr und mehr interessant wurde. Eine fortlaufende Handlung, die sich genau genommen als der langsam entwickelte Proceß eines ganzen Charakters darstellt, kann dennoch fast immer auf einen einfachen Eindruck, als anscheinenden Ausgangspunkt zurückgeführt werden; und seit dem Augenblicke, da Tito auf der Piazza del Duomo, von der Höhe eines Waarenballens herab, ein lebhaftes Vergnügen in dem Bewußtsein seiner Fähigkeit, die Ohren der Leute mit Phrasen zu kitzeln, die ihnen wohlgefielen, empfunden hatte, wurde seine Phantasie beständig von der Lust nach einer Art politischer Thätigkeit angeregt, für welche das unruhige Treiben in Florenz ihm Gelegenheit zur Genüge zu bieten schien. Aber die noch frische im nämlichen Augenblicke erwachte Furcht vor Baldassarre, lag wie ein den Weg versperrendes Felsstück vor ihm und hatte ihn zum Verkaufe der Bibliothek vermocht, als zu einer Vorbereitung auf die mögliche Nothwendigkeit, Florenz gerade zu einer Zeit zu verlassen, wo er fühlte, daß es eine neue Anziehungskraft für ihn gewann. Diese Furcht war jetzt fast gänzlich beseitigt; er mußte fortfahren sein Panzerhemd zu tragen, und sich darauf vorbereiten, seine Kaltblütigkeit und Klugheit in Anspruch genommen zu sehen; er fühlte sich aber nicht verpflichtet, den unpassenden Schritt der Entfernung von Florenz und des Suchens nach neuem Glück zu thun. Sein Vater hatte die angebotene Sühne verweigert und ihn zum Kampfe herausgefordert, und es war nicht schwer, in einer fremden Stadt einem Greise mit geschwächtem Gedächtnisse entgegen zu treten.

Tito's unbestimmte Wünsche gestalteten sich jetzt zu sehr bestimmten Gedanken. Wie die Frische der jugendlichen Leidenschaft dahinschwand, nahm das Leben in seinen Augen mehr und mehr die Gestalt eines, aus einer angenehmen Mischung von Glück und Geschicklichkeit bestehenden Spiels an.

Und das Spiel in Florenz versprach rasch und aufregend zu werden; es war das Spiel eines revolutionären und Parteienkampfes, der sicher einen großen Theil jenes geheimen Handelns enthielt, worin ein glänzender Verstand, der jeder unpassenden Ueberzeugung, ausgenommen der: daß »Ingwer im Munde brennt,« sich zu entledigen vermag, den Pfad einer hohen Weisheit zu erkennen befähigt ist.

Kaum waren die französischen Gäste fort, so entstand eine Bewegung in Florenz, wie in einem Ameisenhaufen wenn ein beunruhigender Schatten entfernt worden ist, und der Bau wieder ausgebessert werden soll. »Wo sollen wir das Geld für den König von Frankreich hernehmen? Wie sollen wir den Krieg gegen die Rebellen in Pisa führen? und vor Allem, wie sollen wir unsere Regierungsweise verbessern und die beste Art auffinden, daß unsere Obrigkeit gewählt, und über die Gesetze abgestimmt wird?« Bis diese Fragen genügend beantwortet werden konnten, war der Handel in Gefahr zu stocken, und die große Masse der Arbeiter, die nicht als Bürger gerechnet wurde und nicht einmal eine Stimme als schmerzstillendes Mittel für ihren Magen hatte, konnte unruhig werden. Etwas mußte geschehen.

Zuerst wurde die große Glocke geläutet, um die Bürger zu einer Versammlung auf der Piazza de' Signori zu berufen, und nachdem die Menge eingekeilt und an allen Ausgängen von Bewaffneten umringt war, erschien die Signoria (der zur Zeit präsidirende Gonfaloniere mit acht Priori), stellte sich neben dem steinernen Löwen auf der Plattform, gegenüber dem alten Palaste, auf und schlug vor, daß zwanzig der angesehensten Leute aus der Stadt die dictatorische Gewalt erhalten, und kraft derselben auf ein Jahr alle Magistratspersonen wählen, so wie die Regierungsform ordnen sollten. Das Volk aber stimmte mit lautem Rufen bei, und fühlte sich so gleichsam als Wähler der Zwanzig. Diese Art »Parlament« war ein sehr altes florentinisches Herkommen, wodurch der Wille einiger Weniger als die Wahl einer Vielheit erschien.

Das Rufen auf der Piazza war bald vorüber, nicht aber die Berathschlagung innerhalb des Palastes. Sollte Florenz einen »großen Rath« nach venetianischer Art haben, wo alle Staatsbeamte erwählt und alle Gesetze durch eine größere Anzahl Bürger von einem gewissen Alter und festgesetzten Eigenschaften, ohne Rücksicht auf Rang und Partei, vermittelst Stimmenmehrheit gegeben wurden? oder sollte es nach einem engherzigeren und minder volksthümlichen Plane regiert werden, wobei der erbliche Einfluß vornehmer Familien weniger durch die Stimmen von Krämern verfälscht werden würde? Doctoren der Rechte stritten Tag für Tag bis tief in die Nacht hinein; Messer Pagolantonio Soderini führte treffliche Gründe für den volksthümlichen Plan an, Messer Guidantonio Vespucci eben so treffliche zu Gunsten der mehr aristokratischen Form. Es war eine Frage von »gesotten oder gebraten,« welche von dem Gaumen der Streitenden in vornherein entschieden wurde; und das vortreffliche Disputiren hätte sich noch sehr in die Länge ziehen können, ohne ein anderes Resultat zu liefern als das: noch länger das Kochen zu verzögern. Die Majorität der Leute innerhalb des Palastes, welche die Macht schon in Händen hatten, stimmten dem Messer Vespucci bei und meinten, daß man nicht viel ändern solle; die Majorität außerhalb des Palastes aber, welche das Bewußtsein geringerer Macht und großer Beschwerden hatte, scheute sich weniger vor Aenderungen.

Und draußen vor dem Palaste war eine Macht, welche allmälig dahin strebte, den unbestimmten Wünschen dieser Majorität das Gepräge eines entschlossenen Willens zu verleihen. Diese Macht war das Predigen Savonarola's. Theils von der ihm obliegenden geistigen Nothwendigkeit das Volk zu leiten, theils von den Anmahnungen einiger Staatsmänner getrieben, die keine Maßregeln ohne seine Beihülfe treffen konnten, ging er rasch in seinen täglichen Predigten vom Allgemeinen zum Besonderen, von den Aufforderungen an seine Zuhörer, ihre persönlichen Leidenschaften und Interessen dem öffentlichen Wohle zu opfern, zu der Angabe der Regierungsform, die sie zur Förderung jenes Wohls bedurften, und von dem Ausspruch: »Wählt, was das Beste für Alle ist,« zu dem: »Wählt den großen Rath,« und »der große Rath ist Gottes Wille,« über.

Für Savonarola waren diese Vorschläge so gut wie gleichbedeutend. Der Große Rath war der einzig nützliche Ausweg, dem öffentlichen Willen einen Ausdruck zu verleihen, der mächtig genug war den schädlichen Einfluß der Parteiinteressen zu hintertreiben; es war ein Ausweg, der eine ehrliche, unparteiische, öffentliche Einwirkung wenigstens möglich machte. Je reiner die Regierung in Florenz werden würde, desto sicherer war es vor den Plänen der Menschen, die ihren eigenen Vortheil in der sittlichen Erniedrigung ihrer Mitbürger sahen, desto mehr näherte sich das florentinische Volk dem Zustande einer reinen Gemeinde, welche würdig war voranzugehen bei der Verjüngung der Kirche und der Welt. Fra Girolamo's Geist blieb aber bei diesem so erhabenen Zwecke nicht stehen, die Gegenstände auf die er hinarbeitete, hatten immer die gleiche sittliche Erhabenheit. Er hegte keinen persönlichen Groll, er suchte keine kleinliche Befriedigung. Selbst in den letzten, schrecklichen Tagen, als Schmach, Folter und die Furcht vor derselben, jede verborgene Schwäche seiner Seele an den Tag brachten, konnte er noch zu seinen ungestümen Richtern sagen: »Wundert Euch nicht, wenn es Euch scheinen sollte, daß ich nur Weniges gesagt habe, denn meine Zwecke waren wenige aber große.«



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