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Band IV

Dreißigstes Capitel.
Des Rächers Geheimniß.


Es war das erste Mal, daß Baldassarre seit seiner Flucht auf der Piazza del Duomo gewesen war. Er empfand eine heftige Sehnsucht, den merkwürdigen Mönch wieder predigen zu hören, aber er mochte nicht wieder an dem Orte erscheinen, wo man ihn halbnackt, mit verwildertem Haar und einen Strick um den Hals gesehen, an dem Orte, wo man ihn einen Verrückten genannt hatte. Diese noch so frische Erinnerung war zu lebhaft, als daß er sie durch das Vertrauen auf die Veränderung in seinem Aeußern zu bekämpfen vermocht hätte; denn als die Worte: »gewiß irgend ein Verrückter« über Tito's Lippen gekommen waren, so war es nicht ihre Gemeinheit und Bosheit allein, die ihm den Natterstich versetzt hatte, sondern Baldassarre's augenblickliche schmerzliche Erkenntniß, daß er unfähig war, die Unwahrheit jener Worte zu beweisen. Zugleich mit dem brennenden Durst nach Rache, der ihn marterte, war ihm die klare Einsicht gekommen, daß seine Macht sich zu rächen sehr zweifelhaft war. Es schien, als ob Tito von einem satanischen Einbläser geholfen worden wäre, der Baldassarre's traurigstes Geheimniß in das Ohr des Verräthers geflüstert hatte. Er war nicht wahnsinnig, denn er konnte das jammervolle Zeichen der Gesundheit, das klare Bewußtsein zerstörter Kraft in sich, er konnte seine eigene Schwäche ermessen! Mit den ersten Regungen rachsüchtiger Wuth erwachte zugleich eine unbestimmte Vorsichtigkeit, wie die einer wilden, aber schwachen Bestie, oder wie die eines Insects, dessen kleines, es umgebendes Stückchen Erde neben ihm weggefallen ist, und das nun, von Mißtrauen gelähmt, in Regungslosigkeit verharrt. Dieses Mißtrauen, dieser Entschluß, keinen Schritt zu thun, der etwas ihn Betreffendes verrathen könnte, hatte Baldassarre vermocht, Piero di Cosimo's freundliche Anerbietungen von der Hand zu weisen.

Eben so vorsichtig war er im Hospital gewesen, wo er auf die Fragen der frommen Brüder nur die Auskunft gab, daß er auf seinem Wege nach Genua von den Franzosen gefangen genommen worden war. Sein Alter aber, seine Sprache und sein Benehmen zeigten an, daß er zu einer andern Classe von Menschen gehörte, als die gewöhnlichen Bettler und armen Reisenden, welche im Hospital verpflegt wurden, und hatten die Mönche vermocht, ihm eine außergewöhnliche milde Gabe anzubieten: einen groben wollenen Ueberwurf, um ihn vor der Kälte zu schützen, ein Paar Bauernschuhe und einige danari, die kleinste florentinische Münze, um ihm weiter fortzuhelfen. Er war früh Morgens nach Arezzo aufgebrochen, hatte aber in dem ersten Städtchen Rasttag gemacht und ein Paar von seinen Hellern darauf verwendet, sich rasiren und das Haar, wie er es früher trug, kurz schneiden zu lassen. Der dortige Barbier hatte einen kleinen Handspiegel von polirtem Stahl. Es war lange her, Jahre waren verflossen, seitdem Baldassarre sich angesehen hatte, und als er jetzt so in den Handspiegel blickte, fuhr ihm ein neuer Gedanke durch den Sinn. War er etwa gar so verändert, daß Tito ihn wirklich nicht erkannte? Dieser Gedanke hemmte den stürmischen Strom seiner Empfindungen so plötzlich, daß er ihn schmerzlich erschütterte. Seine Hand zitterte wie ein Blatt, als er den Arm des Barbiers bei Seite schob und den Spiegel verlangte. Er wünschte sich anzusehen, noch bevor er rasirt wäre. Der Barbier, welcher sein Zittern bemerkte, hielt den Spiegel für ihn.

Nein, so verändert hatte er sich nicht. Er selbst hatte die Furchen wiedererkannt, wie sie vor drei Jahren gewesen waren, nur etwas tiefer waren sie geworden; es war noch immer dieselbe rauhe, grobe Haut, die auf der Stirn kleine Erhöhungen wie Schriftzeichen bildete, nur war die Haut gelber und sah einer leblosen Rinde noch ähnlicher als damals. Der weiße struppige Bart konnte ihn in Augen, welche ihn sechszehn Jahre lang fortwährend gesehen hatten, nicht entstellen, in Augen, die ihn mit der Erwartung, ihn verändert zu finden, hätten suchen sollen, wie Menschen nach ihren Lieben suchen unter den vom Wasser ausgeworfenen Leichen. Allerdings war sein Blick etwas verändert, es war aber eine Veränderung, die sein Wiedererkennen noch aufregender hätte machen müssen; denn gellt eine bekannte Stimme nicht noch durchdringender zu unseren Ohren, wenn sie sich in einem Schrei vernehmen läßt? Aber Zweifel wäre hier Thorheit gewesen; er hatte es gefühlt, daß Tito ihn erkannte. Er streckte die Hand aus und stieß den Spiegel von sich. Die stürmischen Ströme brachen auf's Neue herein, und die Gewalt des Hasses und der Rache tobte wieder in ihm.

Er kehrte den Weg nach Florenz zurück, wollte aber nicht vor dem Abenddunkel die Stadt betreten; deshalb verließ er die Landstraße und setzte sich an einen Teich, dessen Ufer an einer Seite von mehren noch hier und da mit gelblichem Laub bekleideten Erlenbüschen beschattet wurde. Es war ein ruhiger Novembertag, und kaum erblickte er den Teich, so fiel es ihm ein, daß dessen glatte Oberfläche ihm als Spiegel dienen könne. Er wollte sich gemächlich betrachten,was er in Gegenwart des Barbiers sich nicht getraut hatte zu thun. Er setzte sich also an den Rand des Teiches und neigte sich vornüber, um sein Bild ernstlich anzusehen.

Lag in seinem Gesichte etwas Unstätes, Blödsinniges, so ähnlich wie er es in seinem Geiste fühlte?

Jetzt nicht; nicht jetzt, während er sich mit eifrig forschenden Blicken betrachtete; im Gegentheil, in seinen Augen lag ein klarer Ausdruck von Willen. Aber vielleicht in anderen Augenblicken? Ja, dem mußte wol so sein; in den langen Stunden, wenn er die unbestimmte Pein einer aus dem Gedächtniß geschwundenen Vergangenheit in sich fühlte; wenn er in dunkler Einsamkeit dazusitzen schien, von einem Flüstern umhuscht, welches wie höhnisch verhallte, sobald er sein Gehör anstrengte, es zu erfassen, oder von Gestalten umgeben, die auf ihn zuzuschwanken schienen und verschwanden, sobald er die Hand nach ihnen ausstreckte; ja, in solchen Stunden mußte ohne Zweifel fortgesetzte Täuschung und beständiges Entsetzen in seinen Blicken liegen. Und, noch schrecklicher, wenn die schwere Wolke sich einen Augenblick theilte, und indem er hoffnungsvoll aufsprang, sich wieder zusammenballte und ihn hülflos wie zuvor ließ; gewiß, in diesem Augenblick lag eine bleiche Bestürzung in seinen Zügen, wie in denen eines plötzlich Erblindeten.

Konnte er etwas beweisen? konnte er auch nur beginnen, etwas anzuführen, und versichert sein, daß die Saiten der Erinnerung nicht dabei zerreißen würden? Würde Jemand glauben, daß er jemals einen mit seltenen Kenntnissen begabten, mit tiefen Gedanken beschäftigten, zu mannigfaltiger Rede geschickten Geist besessen hatte? Alle diese mühsam aufgehäuften Schätze waren ihm entschwunden. Waren sie ihm gänzlich und für immer verloren, wie das Wasser aus einer Urne, das in den weiten Ocean rinnt? Oder barg er sie noch in sich, und waren sie nur durch irgend ein Hemmniß, das eines Tages gelöst werden konnte, gefesselt?

Es war möglich, und er suchte sich an diese Hoffnung zu klammern. Denn seit dem Tage, als er sich zuerst von seinem Strohlager erhebend, den schwachen Schritt geprüft und in dem Lichte der Sonne eine neue Finsterniß in sich gefühlt hatte, traten in seinem Geiste Veränderungen ein, bald anhaltend und nach und nach, bald plötzlich und rasch. Nachdem er seine körperlichen Kräfte wieder gesammelt hatte, erlangte er auch von Neuem die Herrschaft über sich selbst und die Willenskraft; er hatte die Erinnerung an denjenigen Theil seines Lebens wieder gewonnen, welcher mit seinen inneren Erschütterungen innig verwebt war, und er hatte immer schmerzlicher das unbehagliche Bewußtsein verlorenen Wissens empfunden. Aber noch mehr als das, ein- oder zweimal, wenn er besonders aufgeregt war, hatte es geschienen, als ob er auf Augenblicke wieder im vollen Besitze seines früheren Ich's war, wie man es wol bei alten Leuten findet, die, eine kurze Zeit schlummernd, das Gefühl ihrer Jugend wieder erlangen. Es war ihm dann, als ob er ganze Seiten Griechisch sähe und sie verstände, als ob sein Geist ungetrübt sich in gewohnten Ideenkreisen bewegte. Dieses war aber immer nur wie ein Blitzstrahl, und das darauf folgende Dunkel schien alsdann noch schrecklicher. Konnte dieselbe Erscheinung aber nicht für eine längere Dauer eintreten? O wenn sie nur käme und so lange anhielte, daß er eine Rache vollstrecken, eine ausgesuchte Folter, wie sie der rechte Arm eines Menschen nicht zu geben die Macht hätte, ersinnen könnte!

Er erhob sich aus seiner kauernden Stellung und versuchte, indem er die Arme kreuzte, alle seine geistigen Kräfte auf den Plan, den er alsbald verfolgen mußte, zu concentriren. Er mußte auf Wissen und Gelegenheit warten, und zugleich während dieser Wartezeit die Mittel haben zu leben, ohne zu betteln. Vor allen Dingen fürchtete er jetzt, daß man ihn für einen geistesschwachen, hülflosen Greis halten könne. Niemand durfte wissen, daß er sein halbes Gedächtniß verloren hatte; die entschwundene Kraft konnte ja zurückkehren, und wenn auch nur auf kurze Zeit, das wäre ihm schon genügend. Er wußte, wie er es anfangen müßte, um die nöthigen näheren Erkundigungen über Tito einzuziehen. Er hatte die Worte »Bratti Ferravecchj« so unablässig wiederholt, nachdem sie vor ihm ausgesprochen worden waren, daß sie ihm nie gänzlich aus dem Gedächtniß schwanden. Ein Mann in Genua, an dessen Hand er Tito's Ring gesehen, hatte ihm erzählt, daß er diesen Ring in Florenz von einem jungen, schön gekleideten Griechen mit einem hübschen dunklen Gesichte im Laden eines Trödlers, Namens Bratti Ferravecchj, der in einer gleichfalls Ferravecchj genannten Straße wohnte, gekauft hatte. Diese Enthüllung hatte Baldassarre in heftige Aufregung versetzt. Bis dahin hatte er mit aller Zähigkeit seines heißen Temperaments an seinem Glauben an Tito festgehalten und auch nicht einen einzigen Augenblick gewähnt, absichtlich von ihm verlassen worden zu sein. Anfangs hatte er gesagt: »Mein Streifen Pergament ist gar nicht an ihn gelangt, darum muß ich mich auch in Antiochia abplacken; aber er forscht nach mir, er weiß, wo ich verloren ward, er wird die Spur verfolgen und mich zuletzt auffinden.« Später, als er nach Korinth gebracht wurde, bestimmte er seine Gebieter durch die Versicherung, daß er aufgesucht und ausgelöst werden würde, daß sie sichere Vorkehrungen gegen das Fehlschlagen von Nachfragen nach ihm in Antiochia trafen, und in Korinth dachte er: »hier muß er mich doch finden, hierher muß er doch gelangen, welchen Weg er auch einschlägt.«

Ehe aber noch ein Jahr verstrichen war, hatte ihn die Krankheit überfallen, von der er so zerrüttet an Körper und Geist erstand, daß er für seine Herren schlimmer als werthlos war, außer wegen des Lösegeldes, das aber nicht kam. Dann dachte er, als er so hülflos im Lichte der Morgensonne dasaß: »Tito ist ertrunken oder sie haben ihn auch zum Gefangenen gemacht. Ich werde ihn nicht wiedersehen; er hat sich aufgemacht, mich zu sehen, aber es ist ihm ein Unglück zugestoßen, niemals werde ich sein Antlitz wieder erblicken.« In dieser erneuten Schwäche und Verzweiflung sitzend, den Kopf in die Hände gestützt, mit erloschenen Augen und unzusammenhängende Worte stammelnd, sah er in der That einem rettungslos schwachsinnigen Greise so gleich, daß seine Herren froh waren, ihn los zu werden, und einem genuesischen Kaufmann, der mit ihm, als mit einem Italiäner, Mitleid fühlte, gestatteten, ihn an Bord seiner Galeere zu nehmen.

Während einer mehrwöchentlichen Reise im Archipelagus und an den Küsten von Kleinasien hatte Baldassarre seine körperlichen Kräfte wieder erlangt, aber bei seiner Landung in Genua überkam ihn ein so abspannendes Gefühl von Vereinsamung, daß er nahe daran war zu wünschen, er wäre in Korinth dieser Krankheit erlegen. Nur eine Möglichkeit war es, die diesen Wunsch nicht gänzlich aufkommen ließ, nämlich die, daß Tito doch nicht todt sein, sondern gefangen oder im Elend leben könnte; und wenn er wirklich noch lebte, so war für Baldassarre noch eine Hoffnung übrig, vielleicht eine schwache und weitaussehende, aber doch eine Hoffnung, daß er sein Kind, seinen geliebten Sohn wiederfinden, seine Hände nochmals drücken und ihn so von Angesicht zu Angesicht wiedersehen würde, das einzige Wesen, daß sich seiner noch in dem Zustande vor dem Brechen seines Geistes erinnern konnte.

In dieser Stimmung hatte er zufällig den Fremden angetroffen, der Tito's Onyxring trug, und obgleich Baldassarre unfähig gewesen wäre, den Ring vorher zu beschreiben, so regte doch der Anblick desselben alle seine Fibern auf, und er erkannte ihn. Daß Tito kaum ein Jahr, nachdem sein Vater von ihm getrennt worden war, in anscheinendem Wohlstande in Florenz leben und den Edelstein, den er nur im Falle der äußersten Noth hätte weggeben müssen, verkauft haben sollte, war etwas, wovon Baldassarre sich selbst keine Rechenschaft ablegen mochte; er war froh darüber, von dieser Nachricht betäubt und verwirrt zu werden, statt dieselbe klar durchdenken zu können, und wollte nichts Anderes fühlen, als die Freude, Tito wieder zu sehen. Vielleicht hatte Tito geglaubt, sein Vater sei todt, jedenfalls mußte das Geheimniß doch irgendwie an's Tageslicht kommen. Aber, sagte er zu sich, wenigstens wird mein Blick ein Auge treffen, das sich meiner erinnern wird, und ich bin nicht mehr einsam in der Welt.

Jetzt sagte Baldassarre wiederum: ich bin nicht mehr einsam in der Welt, denn meine Rache begleitet mich.

Es war wie ein Werkzeug dieser Rache, wie etwas rein Aeußerliches und seinem wahren Leben Dienstbares, daß er sich nochmals bückte, um sich mit sorgfältiger Neugier zu betrachten; nicht etwa, so dachte er bei sich selbst, weil er für einen welken, verlassenen Greis Sorge trug, den Niemand liebte, dessen Seele einem verödeten Hause glich, auf dessen Herd die Asche erkaltet ist und dessen kahle Wände nur noch die Spuren der Vergangenheit zeigen. Es liegt in dem Wesen der menschlichen Leidenschaften, der erhabensten wie der gemeinsten, daß es einen Punkt giebt, an dem sie aufhören, egoistisch zu sein und einem in unserem Innern entzündeten Feuer gleichen, dem alles Andere in uns nur als Brennstoff dient.

Er blickte auf das bleiche, finsterstirnige Bild in dem Wasser, bis er es mit dem Ich verschmolz, von dem seine Rache etwas ganz Abgesondertes war, und es schien ihm, als ob das Bild gleichfalls die stumme Sprache seiner Gedanken vernehme.

Ich war ein liebender Thor! Einstmals betete ich ein Weib an und glaubte, daß sie mir zugethan sei, dann nahm ich einen verlassen Knaben an und zog ihn auf; und ich hegte ihn, als er heranwuchs, um zu sehen, ob er mich nur ein wenig lieben würde, auch um meiner selbst willen noch über das Maß des Guten, das er von mir empfangen hatte. Ich würde mir die Brust zerfleischt haben, um ihn mit meinem Lebensblut zu wärmen, hätte ich nur sehen können, daß er an dem Schmerz meiner Wunde theilnähme. Ich habe mich bemüht und gerungen, um diesem rauhen Leben einen Tropfen uneigennütziger Liebe zu erpressen. Ich Thor! Die Menschen lieben nur ihr eigenes Vergnügen, und bei mir ist kein Vergnügen zu finden. Und doch wartete ich sehnsüchtig, bis ich glaubte, das zu erblicken, worauf ich wartete. Als er noch ein Knabe war, schlug er seine sanften Blicke zu mir auf und hielt so gern meine Hände. Ich dachte damals: dieser Knabe wird Dich doch ein wenig lieben; da ich mein Leben ihm weihe und mich abmühe, daß er die Sorge nicht kennen lerne, so wird er sich meiner annehmen, wenn ich verschmachte, der Tropfen, den er auf meine durstenden Lippen gießt, wird ihm eine Freude sein – Fluch ihm! Ich wollte, ich sähe ihn daliegen, seine rothen Lippen weiß und verdorrt wie Asche, und wenn er sich um Mitleiden umschaut, so soll er mein Gesicht bei seiner Pein von Wonne strahlen sehen. Es ist Alles Lüge, die ganze Welt ist eine Lüge, es giebt keine Wahrheit als im Hasse! Thor, der ich war, für all' mein Streben nicht ein Tropfen Liebe – nicht einen Tropfen hat das Leben mir gereicht! Aber in dieser Welt giebt es noch einen Trank, den des Hasses und der Rache, den will ich in tiefen Zügen schlürfen. Dazu habe ich noch Gedächtniß genug übrig, dazu habe ich noch Kraft in meinem Arm, in meinem Willen, und wenn ich auch weiter nichts vermag, als ihn zu tödten.

Aber Baldassarre's Geist verwarf den Gedanken dieser kurzen Strafe. Seine ganze Seele durchbebte der unmittelbare, nichts überlegende Glaube an diese Ewigkeit der Rache, wo er, als unsterblicher Haß personificirt, ewig einen unsterblichen Verräther packen und dessen schöne, lächelnde Hartherzigkeit in Qualen ächzen und wimmern hören konnte. Aber sein erstes Hoffen und Wünschen war das einer langsamschleichenden Rache unter demselben Himmel, auf derselben Erde, wo er selbst verlassen worden und in Verzweiflung zusammengebrochen war. Und sobald er seinen Geist zu sammeln suchte, um die Mittel zu seinem Zwecke zu finden, überkam ihn das Bewußtsein seiner Schwäche wie ein eisiger Schmerz. Der so geringgeschätzte Körper, der als Werkzeug einer großartigen Rache dienen sollte, mußte genährt und anständig bekleidet werden. Sollte er warten, so mußte er auch arbeiten, und diese Arbeit mußte niederer Art sein, denn er besaß keine Fähigkeiten. Er war neugierig zu wissen, ob der Anblick geschriebener Charaktere seine Gaben so erregen würde, daß er es versuchen könne, eine Beschäftigung als Copist zu suchen und zu finden, denn das konnte vielleicht die Leute an seine frühere Gelehrsamkeit glauben lassen. Aber nein! er wagte es nicht, seiner Hand oder seinem Kopf zu trauen. Er mußte sich also begnügen, Arbeiten wie die eines Lastthieres zu übernehmen; in dieser Handelsstadt brauchte man sicherlich Träger, und Lasten konnte er wenigstens doch noch tragen. Dank der Gerechtigkeit, die sich in dieser buntscheckigen Welt nach Rache abmühte, hatten seine Glieder einen Theil ihrer früheren Stärke wiedergewonnen, sonst aber war er von Allem entblößt, wofür die Leute Geld ausgaben.

Aber der neue Drang dieser unablässigen Gedanken brachte eine neue Eingebung mit sich. Es hing etwas von einem Band um seinen bloßen Hals, etwas von so unscheinbarem Aussehen, daß die Frömmigkeit der Türken und Franzosen es verschont hatte, ein kleines, von Alter geschwärztes Pergamentsäckchen. Es hatte als kostbares Amulet um seinen Hals gehangen, als er noch ein Knabe war, und er hatte es sorgfältig auf seiner Brust bewahrt, nicht glaubend, daß es irgend etwas Anderes, als ein kleines, scharf zusammengerolltes Stück Pergament enthalte. Er hätte es schon längst als ein Ueberbleibsel vom Aberglauben seiner todten Mutter wegwerfen können, aber er hatte es als Reliquie ihrer Liebe betrachtet und als solche aufbewahrt. Es gehörte zu der an solche Brevi sich knüpfenden Pietät, daß man sie nie öffnete, und in jedem früheren Augenblicke seines Lebens würde Baldassarre gesagt haben, daß kein Durst ihn vermögen könne, das Säckchen in der Hoffnung zu öffnen, daß es kein Pergament, sondern ein geschnittenes Amulet, das Gold werth wäre, enthüllen möchte. Jetzt aber war ein Durst gekommen gleich dem, welcher bewirkt, daß Menschen sich die Adern öffnen, um ihn zu stillen, und der Gedanke an die Möglichkeit eines Amulets war kaum in Baldassarre's Geist aufgetaucht, als er wie krampfhaft das Breve von seinem Halse riß. Es stürmte Alles durch seine Seele: die langen Jahre, die er es getragen hatte, der ferne, sonnige, auf die blauen Gewässer blickende Balcon in Neapel, wo er an seiner Mutter Schoos gelehnt stand – aber er zauderte keinen Augenblick; alle fromme Liebe hatte sich in gerechten Haß verwandelt. Er biß und riß, bis die Pergamenteinlage offen war, und darin – ein Anblick, bei dem sein Herz klopfte – lag in der That ein Amulet. Es war klein, aber blau, wie jene fernen Gewässer von Neapel, ein geschnittener Sapphir, der einige Goldducaten werth sein mußte. Kaum erblickte Baldassarre diese möglichen Ducaten, so sah er auch schon einige von ihnen gegen einen Dolch umgewechselt. Er wollte den Dolch noch nicht gebrauchen, aber er sehnte sich danach, ihn zu besitzen. Wenn er nur den Griff umspannen, die Schneide fühlen konnte, so würde jene Leere in seinem Geiste, die Vergangenheit, die ihm beständig aus dem Sinne schwand, ihn nicht so entsetzlich hülflos machen; der scharfe Stahl, der Talente verachtete und Kraft unnütz machte, würde als treuer Freund schwächlichen Rechts an seiner Seite stecken. Ein funkelnder Triumph strahlte unter Baldassarre's dunklen Augenbrauen hervor, indem er den kleinen Sapphir in die Pergamentlappen steckte und das Band fest darumschlang.

Es war inzwischen fast Abend geworden, und er erhob sich, um nach Florenz zurückzukehren. Mit seinen Hellern konnte er sich etwas Brot kaufen; er fühlte sich reich. Er konnte im Freien schlafen, wie so Viele in allen Winkeln von Florenz thaten. Und in einigen wenigen Tagen würde er ja seinen Sapphir verkauft, seinen Anzug vervollständigt, einen blanken Dolch gekauft haben, und hatte dann noch ein Paar Goldgulden übrig. Er wollte aber diesen Schatz sorgfältig bewahren; seine Wohnung war ein Vorhaus mit einem Haufen Stroh in einem spärlich bevölkerten Theil von Oltrarno, und er nahm sich vor, einen Dienst als Träger zu suchen.

* *
*

Er hatte den Dolch bei Bratti gekauft. Indem er, wie er sich vorgenommen hatte, den sonderbaren Lumpensammler eines Abends in der Dämmerung besuchte, fand er denselben eben von seiner Runde zurückgekehrt, wie er seinen Korb mit Glasscherben und altem Eisen zwischen schönen, verschiedenartigen, gebrauchten Waaren, die er erstanden hatte, ausleerte. Als Baldassarre in den Laden trat und die sauberen Kleidungsstücke, die Musikinstrumente und Waffen, die in der hellsten Fensterbeleuchtung ausgebreitet waren, erblickte, traf sein Auge sogleich einen Dolch, der hoch oben über einer rothen Schärpe hing. Indem er diesen Dolch kaufte, konnte er nicht nur seinen lebhaften Wunsch befriedigen, sondern auch zugleich seinen ursprünglichen Zweck auf eine mittelbarere Weise erreichen, als wenn er von dem Onyxring gesprochen hätte. Im Verlauf des Feilschens um die Waffe ließ er mit behutsamer Gleichgiltigkeit einige Worte fallen, daß er von Genua komme und von einem dortigen Bekannten, der in Bratti's Laden einen sehr kostbaren Ring gekauft hatte, an ihn gewiesen sei. Er fragte dann, ob der ehrenwerthe Handelsmann noch mehre Ringe dieser Art habe.

Darauf hatte Bratti Mancherlei von der Unwahrscheinlichkeit, daß solche Ringe sich im Besitze von vielen Leuten vorfinden sollten, zu reden, wobei er seine angesehenen Verbindungen, die er seiner bekannten Klugheit und Ehrlichkeit verdankte, rühmte. Freilich sei er nur ein Trödler, weil er es sein wollte, aber er wäre reich genug, den ganzen Tag über in seinem Laden zu »bummeln.« Aber Diejenigen, welche da glaubten, daß sie Alles über Bratti gesagt hätten, wenn sie ihn einen Trödler nennten, wären bedeutend mehr links ab von der Wahrheit, als von der andern Seite von Pisa. Wie konnte er jenen Ring einem Fremden anbieten? Das kam daher, weil er mit einem schönen jungen Herrn sehr gut bekannt war, der damals, als er ihn zuerst gesehen hatte, kein so schön gefiederter Vogel war, wie jetzt. Durch noch ein paar Fragen lockte Baldassarre ohne Mühe einen rohen und oberflächlichen Umriß von Tito's Leben von der Zeit an, da Bratti ihn unter der Loggia de' Cerchi schlafend gefunden hatte, wie ihn der Trödler eben zu geben im Stande war, heraus. Es fiel Bratti gar nicht ein, daß der ehrbare Mann, der wahrscheinlich etwas taub war, da er ihn mehre Dinge immer wiederholen ließ, irgend eine Neugier hinsichtlich Tito's zeigte; ohne Zweifel galt die Neugier ihm, als wirklich merkwürdigem Trödler.

Baldassarre verließ nun Bratti's Laden nicht allein mit dem Dolch an der Hüfte, sondern mit einem allgemeinen Ueberblick über Tito's Benehmen und Stellung, über den sofortigen Verkauf der Juwelen, seine gleich darauf folgende ruhige Niederlassung in Florenz, seine Heirath und sein großes Glück.

Was mochte er über sein früheres Leben, über seinen Vater erzählt haben?

Das war eine Frage, auf welche es Baldassarre schwer fallen durfte, die Antwort zu finden. Mittlerweile wollte er, so viel es ihm möglich wurde, Florenz kennen lernen. Er fand aber, zu seinem herbsten Leidwesen, daß er nur Weniges von den Einzelnheiten, die er erfuhr, im Gedächtniß behalten konnte, und auch dieses nur durch fortwährende Wiederholung, so daß er endlich sich scheute, auf eine neue Unterhaltung einzugehen, aus Furcht, daß diese das, was er sich bereits abmarterte, in sein Gedächtniß zurückzurufen, wieder verwischen möchte.

An dem Tage, an welchem er von Tito auf der Piazza del Duomo entdeckt ward, hatte er noch ganz frisch die Pein dieses Bewußtseins in sich, und Tito's gewandte Rede traf ihn wie das Gespött eines glatten, höhnenden Dämons.

Als er zu seiner Streu heimkehrte und den Buchhändlerläden in der Via del Garbo vorüberkam, blieb er stehen, um einen Blick auf die geöffneten Bände zu werfen. Konnte er die schlüpfrigen Fäden des Gedächtnisses wieder erfassen, wenn er lange Zeit eines dieser Bücher ansähe? Konnte er durch gewaltsame Anstrengung irgendwo einen festen Halt erhaschen und sich auf den Wassern, die ihn überflutheten, erhalten?

Er gerieth in die Versuchung und kaufte das wohlfeilste griechische Buch, das er finden konnte. Er trug es mit sich nach Hause, und setzte sich auf seinen Strohhaufen, indem er die Schriftzüge beim Lichte des kleinen Fensters studirte; aber ein inneres Licht stieg nicht darüber auf. Bald kam die Dunkelheit des Abends; aber das machte keinen Unterschied für Baldassarre. Seine angestrengt stierenden Augen schienen noch immer die weißen Seiten mit den unverständlichen schwarzen Zeichen darauf zu sehen.



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