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Vierzigstes Capitel.
Eine bannende Stimme.


Als Romola sich auf den Stein unter der Cypresse setzte, diente Alles um sie her, ihr das Gefühl der Freiheit und Einsamkeit einzuflößen: ihr Entkommen aus den bekannten Mauern und Straßen, die immer größer werdende Entfernung von ihrem Gatten, der jetzt auf dem Wege nach Siena war, während jede Stunde sie immer weiter auf den entgegengesetzten Weg führte, und endlich die friedliche Ruhe des Morgens, die große Senkung des Bodens neben dem Wege, die eine Kluft zwischen ihr und der düsteren Ruhe der Berge bildete. Zum ersten Male in ihrem Leben fühlte sie sich allein und vor sich nur die Erde und den Himmel, und keinen Menschen in der Nähe, der sich dazwischen drängte und ihr Gesetze vorschrieb.

Plötzlich sagte eine Stimme dicht neben ihr:

»Ihr seid Romola de' Bardi, das Weib Tito Melema's.«

Sie erkannte die Stimme, die sie schon früher mehr als einmal erschüttert hatte, und weil sie dieselbe erkannte, wendete sie sich weder um, noch blickte sie empor. Sie blieb, von Scheu durchdrungen, sitzen, während doch ihr Inneres gegen diese Scheu sich empörte. Es war ja doch nur einer jener schwarzröckigen Mönche, welcher es sich herausnahm, mit ihr zu sprechen und sie in ihrer Einsamkeit zu stören – weiter nichts. Dennoch war sie erschüttert, als ob jenes Fatum, das sich die Menschen als eine sceptertragende Gottheit dachten, ihr genaht wäre und sie mit leiblicher Hand berührt hätte.

»Ihr flieht in einer Verkleidung aus Florenz. Ich habe den Befehl von Gott, Euch Halt zu gebieten – Ihr dürft nicht fliehen«

Romola's Zorn über diese Einmischung nahm bei diesen gebieterischen Worten zu. Sie mochte sich nicht umwenden, um den Sprecher anzublicken, dessen forschende Blicke sie ahnte. Regungslos sitzen bleibend, sagte sie:

»Welches Recht habt Ihr, zu mir zu reden, oder mich zu hindern?

»Das Recht eines Boten. Ihr habt ein geistliches Gewand angelegt, und habt doch keine geistlichen Zwecke. Ihr habt dies Gewand angenommen, Euch zu verkleiden. Aber Ihr durftet mir nicht vorüberziehen, ohne daß ich Euch erkannte. Es ward mir offenbart, wer Ihr seid und daß Ihr dem Geschick zu entfliehen gedenkt, das Gott Euch auferlegt hat. Ihr wollt, daß Euer wahrer Name und Eure Lebensstellung verborgen bleiben, damit Ihr Euch einen neuen Namen und eine neue Stellung sucht, und keinem anderen Willen gehorchet, als dem Eurigen. Ich aber habe die Sendung, Euch zurückzurufen. Meine Tochter, Ihr müßt an Euern Platz zurückkehren.«

Romola's Sinn empörte sich bei jedem Satze mehr und mehr. Sie war um so mehr entschlossen, kein Zeichen der Unterwerfung zu geben, als das Bewußtsein ihrer inneren Erschütterung sie fürchten ließ, in ihrer Entschlossenheit wankend zu werden. Sie sagte also mit immer steigender Heftigkeit:

»Ich will nicht zurückkehren. Ich erkenne keinem Priester oder Mönch ein Recht zu, sich in meine Angelegenheiten zu mischen. Ihr habt keine Gewalt über mich.«

»Ich weiß, daß Ihr in der Verachtung des Gehorsams erzogen seid. Es ist aber nicht der arme Mönch, der da begehrt, sich in Eure Angelegenheiten zu mischen, sondern es ist die Wahrheit, die Euch Befehle ertheilte, und Ihr könnt ihr nicht entgehen. Entweder müßt Ihr ihr gehorchen, und ich will Euer Führer sein, oder Ihr verweigert ihr den Gehorsam, und sie wird Euch mit dem Gewicht einer Kette drücken, die Ihr für alle Zeiten zu schleppen habt. Aber Ihr werdet gehorchen, meine Tochter. Euer alter Diener wird mit den Saumthieren zu Euch zurückkommen, mein Begleiter ist gegangen, ihn zu holen, und Ihr werdet nach Florenz zurückkehren.«

Sie sprang mit zornblitzenden Augen empor und trat dem Sprecher entgegen. Es war Fra Girolamo, das wußte sie schon vorher recht wohl. Sie war fast eben so groß wie er, und ihr Gesicht war beinahe in einer Höhe mit dem seinigen. Sie war aufgesprungen, bereit, ihm trotzige Worte entgegenzuschleudern, aber diese Worte erstarben ihr auf der Zunge. Sie war Fra Girolamo's ruhig ernstem Blicke begegnet, und dieser Eindruck war ihr so neu, daß ihr Zorn beschämt wie etwas ganz Unwichtiges verschwand.

Es lag nichts Erhabenes in Savonarola's Zügen; sie waren nicht schön, sondern scharf gezeichnet und verdankten ihre ganze Feinheit den Gewohnheiten des Geistes und der strengen Zucht des Leibes. Die Quelle des Eindrucks, den sein Blick auf Romola machte, war ihre Empfindung, daß er Theil an ihr nehme und, abgesehen von irgend einem persönlichen Gefühl, für sie sorgen wolle. Es war das erste Mal, daß sie einem Blick begegnete, in welchem die einfache menschliche Nächstenliebe sich als eine tiefempfundene Verpflichtung offenbarte. Ein solcher Blick bildet schon den halben Beruf eines Priesters oder geistlichen Führers, und Romola empfand die Unmöglichkeit nochmals, nach seinem Recht zu ihr zu reden, zu fragen: Sie stand vor ihm, indem sie ihn schweigend anblickte. Und er fuhr fort:

»Ihr erwähnt mit Stolz Eure Freiheit, meine Tochter; was aber ist häßlicher als der Schuldner, der sich für frei hält?«

Es lag ein scharfer Stachel in diesen Worten, und Romola wechselte die Farbe, als ob eine leichte Blässe ihr Gesicht überflogen hätte.

»Ihr aber flieht vor Eurer Schuld als Florentinerin und als Weib. Ihr wendet dem Euch zugemessenen Geschick den Rücken, um ein anderes aufzusuchen. Kann aber der Mensch seine Pflichten wählen? er kann es so wenig wie er seinen Geburtsort oder seine Eltern sich auszusuchen vermag. Meine Tochter, Ihr flieht vom Antlitz Gottes in die Wüstenei!«

Als der Zorn in Romola's Seele dahin schmolz, machte er einer neuen Ahnung der Kraft Platz, welche in der Unterwürfigkeit liegen konnte, wenn dieser Mann, auf den sie jetzt mit einer unbestimmten Ehrfurcht zu blicken begann, ihr irgend ein gültiges Recht zu zeigen im Stande war. Aber nein – das war ja unmöglich; er konnte nicht wissen, was sie zu ihrem Entschlusse bestimmte. Sie konnte aber doch nicht wieder einfach ablehnen, sich leiten zu lassen; sie war gezwungen, sich zu entschuldigen, und in dem ungewohnten Bedürfnisse, sich ehrfurchtsvoll zu zeigen, während sie widerstand, entwischte der Titel, den sie ihm nie vorher gegeben hatte, unvorsätzlich ihren Lippen.

»Mein Vater, Ihr könnt die Gründe nicht kennen, welche mich bestimmen zu gehen – Niemand, außer ich allein, kann sie kennen. Niemand kann an meiner statt urteilen. Ich bin von großem Kummer getrieben, und bin entschlossen zu gehen.«

»Ich weiß genug, meine Tochter; mein Geist ist, was Euch betrifft, so weit erleuchtet worden, daß ich hinreichend unterrichtet bin. Ihr seid nicht glücklich in Eurem Eheleben, aber ich bin kein Beichtiger, und will nichts wissen, was für das Geheimniß der Beichte aufgespart werden muß. Ich habe einen göttlichen Auftrag, Euch zurückzuhalten, der aber nichts mit der Kunde von jenem Geheimniß zu thun hat. Ihr wurdet durch eine himmlische, in meiner Gegenwart Euch überbrachte Botschaft gewarnt – gewarnt vor der Hochzeit, als es Euch noch rechtlich freistand, von dem Band der Ehe frei zu bleiben. Ihr habt selbst das Band gewählt, und wenn Ihr es muthwillig zerreißt – ich spreche zu Euch heidnisch, wenn das Mysterium der Ehe Euch nicht als Sacrament gilt – so habt Ihr einen Vertrag zerrissen. Ueber welches Unrecht, meine Tochter, wollt Ihr Euch beklagen, wenn Ihr selbst eine der größten Ungerechtigkeiten, deren sich ein Weib und eine Bürgerin schuldig machen kann, begeht, indem Ihr Euch heimlich und verkleidet von einem Vertrag zurückzieht, den Ihr Angesichts Gottes und Eurer Mitmenschen eingegangen seid? Ueber welches Unrecht wollt Ihr Euch beklagen, wenn Ihr selbst das einfachste Gesetz brecht, welches der Treue und dem Glauben, die Mensch an Menschen bindet, zu Grunde liegt, wenn Ihr das gegebene Wort nicht haltet? Das also ist die Weisheit, die Ihr gewonnen habt, indem Ihr die Mysterien der Kirche verachtetet? nicht einmal die einfache Pflicht der Redlichkeit zu vollziehen, wo die Kirche Euch gelehrt hätte, nicht nur die Redlichkeit, sondern auch die Religion im Auge zu haben.«

Das Blut strömte in Romola's Gesicht, und sie fuhr zurück, als hätte sie einen Streich erhalten. »Ich hätte mich nicht verkleidet,« hub sie an, konnte aber nicht fortfahren; sie war von des Mönchs Anspielung auf eine Aehnlichkeit zwischen ihrem Benehmen und dem Tito's zu tief erschüttert.

»Und um diesen Vertrag zu brechen, flieht Ihr ans Florenz – aus Florenz, wo die einzigen Männer und Frauen in der Welt leben, gegen die Ihr eine Verpflichtung als Mitbürgerin habt.«

»Ich hätte,« sagte Romola mit bebender Stimme, »Florenz niemals verlassen, so lang eine Hoffnung vorhanden war, dort eine Pflicht gegen meinen Vater zu erfüllen.«

»Und kennt Ihr kein anderes Band als das zwischen einem Kinde und einem irdischen Vater? Euer Leben, meine Tochter, ist in Blindheit verstrichen. Ihr habt mit Denen gelebt, welche hoch oben auf einem Berge sitzen und auf das Leben ihrer Mitmenschen hernieder blicken. Ich kenne ihre eitlen Reden von dem, was in den Zeiten geschah, die sie mit ihrer eingebildeten Weisheit bevölkern, während sie Gottes Wort in der Gegenwart verachten. Ohne Zweifel hat man Euch gelehrt, daß es heidnische Frauen gab, welche fühlten, was es heißt, für die Republik zu leben, und doch habt Ihr, eine florentinische Frau, niemals gefühlt, daß Ihr für Florenz leben solltet. Wenn Euer Volk ein Joch trägt, wollt Ihr Euch demselben entziehen, statt an ihrer Seite zu kämpfen, um ihnen jenes Joch zu erleichtern? Hunger und Elend hausen in Euren Straßen, und doch sagt Ihr, es kümmert mich nicht, ich habe meine Sorgen für mich; ich will davon gehen, wenn ich mir diese Sorgen vom Halse schaffen kann. Die Diener des Herrn ringen nach einem Gesetze der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe, damit die hunderttausend Bürger, unter denen Ihr geboren wurdet, gerecht regiert werden; aber daran denkt Ihr nicht mehr, als wäret Ihr ein Vogel, der seine Flügel ausbreiten und fliegen kann, wohin er will, um sich sein Futter zu suchen. Und dennoch habt Ihr die Lehren der Kirche verachtet, als ob Ihr, eine eigensinnige Pilgerin, die ihrer eigenen blinden Wahl folgt, nicht unter der geringsten Florentinerin ständet, die in Gemeinschaft mit ihren Landsleuten die Hand ausstreckt, um einen Segen für sie zu erstehen, und die schwesterlich mit dem Nachbarn fühlt, der neben ihr kniet und doch nicht mit ihr von gleichem Blute ist, die da denkt an die großen Zwecke, die Gott mit Florenz hat, und die harrt und duldet, weil das verheißene Werk groß ist und sie selbst sich so klein fühlt.«

»Ich ging nicht aus Gemächlichkeit und Nachsicht gegen mich selbst von dannen,« sagte Romola, auf's Neue ihr Haupt erhebend und sich zu rechtfertigen suchend, »ich ging Mühseligkeiten entgegen. Ich erwarte keine Freude mehr, sie ist aus meinem Leben gewichen.«

»Ihr sucht Euern eigenen Willen, meine Tochter! Ihr sucht ein anderes Glück als das Gesetz, dem Ihr zu gehorchen verpflichtet seid. Wie wollt Ihr aber ein Glück finden? Es ist kein Gegenstand der Wahl, sondern ein Strom, der vom Fuße des unsichtbaren Thrones herab, den Pfad des Gehorsams fließt. Ich wiederhole es, der Mensch kann seine Pflichten nicht wählen. Ihr könnt Euch nur entschließen sie zu verlassen, oder den Sorgen, die sie bringen, zu entgehen. Aber Ihr wollt ja von dannen; und was werdet Ihr finden? Kummer ohne Pflichten, bittere Kräuter und kein Brot dazu.«

»Wenn Ihr wüßtet,« rief Romola, ihre Hände gewaltsam zusammenpressend, während sie Fra Girolamo flehend anblickte, »was es für mich war, wie unmöglich es mir schien, es zu ertragen!«

»Meine Tochter,« erwiderte er, auf die Schnur um Romola's Hals deutend, »Ihr tragt da etwas unter Eurem Mantel; zieht es hervor, und blickt es an.«

Romola fuhr leicht zusammen, aber sie fühlte jetzt den Drang zu thun, was Savonarola ihr sagte. Ihr Selbstzweifel wurde von einem stärkeren Willen, einer stärkeren Ueberzeugung, als die ihrige war, gefaßt. Sie zog das Crucifix hervor. Er sprach, noch immer darauf hindeutend:

»Da, meine Tochter, da ist das Bild des erhabenen Opfers, von der erhabensten Liebe gebracht, weil die Noth der Menschheit groß war.«

Er schwieg, und sie hielt das Crucifix zitternd unter einem plötzlichen Eindruck des weiten Abstands zwischen ihrem früheren und ihrem jetzigen Ich. Welch weiten Weg hatte sie zurückgelegt, seitdem sie zuerst dieses Crucifix aus den Händen des Mönchs empfing! Hatte das Leben noch so viele Geheimnisse für sie übrig, als es damals, in ihrer jugendlichen Blindheit hatte? Es war dies ein Gedanke, der alle anderen niederdrückenden Einflüsse verhinderte, und, beim Klange der Stimme Savonarola's drückte Romola wieder mit einer raschen unwillkürlichen Bewegung das Crucifix gegen ihren Mantel, und sah ihn mit größerer Unterwürfigkeit als vorhin an.

»O, meine Tochter, richtet Euer Leben nach diesem Bilde, bringt Euren Kummer als Opfer dar, und wenn das Feuer der göttlichen Gnade in Euch brennt, und Ihr die Noth Eurer Mitmenschen bei dem Licht dieser Flamme betrachtet, so werdet Ihr Euer Opfer für kein großes halten. Ihr habt Euch stolz betragen, wie Jemand, der sich selbst nicht von gewöhnlichem Blute entsprossen, nicht mit gewöhnlichen Gedanken begabt hält. Wie, Ihr sagt, Eure Liebe zu Eurem Vater heischt von Euch, nicht länger in Florenz zu verweilen? Also, da dieses Band zerrissen ist, so giebt es für Euch kein Gesetz, keinen Glauben mehr; Ihr seid nicht besser als das Thier des Feldes, wenn es seiner Jungen beraubt ist. Wenn die Neigung einer irdischen Liebe entschwunden ist, so seid Ihr also aller Liebe, aller Pflichten bar. Seht nun, meine Tochter, wie tief Ihr unter dem Gläubigen steht, der dieses Bild des erhabensten Opfers verehrt, und die Gluth eines gemeinsamen Lebens mit der verlorenen Schaar für die jenes Opfer gebracht wurde, fühlt, und die Geschichte der Welt als die Geschichte einer großen Erlösung betrachtet, in welcher er ein Mitarbeiter an seinem Platze und unter seinem Volke ist! Wenn Ihr diesen Glauben hättet, meine geliebte Tochter, so wäret Ihr kein Wanderer, der dem Leiden zu entfliehen und blind das Glück einer Freiheit zu erjagen sucht, die doch nur Gesetzlosigkeit ist. Ihr würdet fühlen, daß Florenz nicht minder die Heimath Eurer Seele, als die Stätte Eurer Geburt ist, weil Ihr das Werk sehet, welches Euch dort zu verrichten bestimmt ist. Wenn Ihr Euren Platz verlaßt, wer wird ihn ausfüllen? Ihr solltet jetzt an Eurem Platze sein, bei dem großen Werke helfend, durch welches Gott Florenz läutern und es zum Führer der Nationen machen will. Wie, die Erde ist voll Ungerechtigkeit und Jammer, das Licht kämpft noch immer mit einem tiefen Dunkel, und Ihr sagt: ich kann meine Ketten nicht tragen, ich will sie zerreißen und dahin gehen, wo Niemand Anspruch auf mich macht? Jede Fessel Eures Lebens ist eine Schuld; das Recht liegt einzig und allein in der Zahlung dieser Schuld – in sonst nichts. Umsonst werdet Ihr die Erde durchwandern, Ihr werdet für immer vom Rechte fort wandern.«

In Romola's Inneren kämpfte es gewaltiglich – mit dem unermeßlichen persönlichen Einflusse Savonarola's, einem Einflusse, welcher der Energie seines Gefühls und Glaubens entsprang, und mit dem alle Vorurteile überwindenden Bewußtsein, daß seine Worte ein höheres Gesetz enthielten, als sie je einem gehorcht hatte. Aber ihre widerstrebenden Gedanken waren noch nicht ganz besiegt.

»Wie konnte aber Dino Recht haben? Auch er zerriß Ketten, auch er verließ seinen Platz.«

»Das war ein besonderer Beruf; er war gezwungen davon zu gehen, sonst hätte er nie das höhere Leben gewinnen können; es wäre in ihm erstickt worden.«

»Und auch ich,« rief Romola, die Hände nach ihrer Stirn erhebend und in einem Tone der Angst sprechend, als würde sie zur Folter geschleppt, »Vater, Ihr könnt doch wol Unrecht haben.«

»Fragt Euer Gewissen, meine Tochter! Ihr habt keinen Beruf wie Euer Bruder; Ihr seid ein Weib, Ihr sucht Eure Bande aus Eigenwillen und Zorn zu zerreißen, nicht weil das höhere Leben Euch zuruft, sie zu lösen. Dieses höhere Leben beginnt für uns, wenn wir unsern eigenen Willen aufgeben, um uns dem göttlichen Gesetz zu beugen. Das erscheint Euch hart; es ist aber der Eingang zur Weisheit, Freiheit und Glückseligkeit. Und das Symbol derselben tragt Ihr selbst an Euch. Diese Weisheit ist die Religion des Kreuzes, Ihr aber haltet Euch fern davon, Ihr seid eine Heidin. Man hat Euch gelehrt zu sagen: ich bin wie die Weisen, welche vor der Zeit lebten, als der Jude von Nazareth gekreuzigt wurde. – Und das ist Eure Weisheit – den Todten zu gleichen, deren Augen geschlossen sind, – und deren Ohr taub ist gegen das Werk Gottes, das seit ihrer Zeit geschehen ist. Was hat Eure todte Weisheit für Euch gethan, meine Tochter? Sie hat Euch herzlos gelassen gegen die Nachbarn, unter denen Ihr wohnt, ohne Sorge um das große Werk, durch welches Florenz verjüngt und die Welt geheiligt werden soll; es hat Euch ohne Antheil an dem Gottleben gelassen, welches die Empfindungen des leidenden Ichs in der Gluth einer immerwachsenden Liebe ertränkt. Und jetzt, da das Schwert Eure Seele durchbohrt, sagt Ihr: ich will von dannen ziehen, ich kann meinen Kummer nicht ertragen! Aber Ihr denkt nicht des Kummers und des Unrechts in den Mauern der Stadt, in der Ihr wohnt; Ihr möchtet Euren Platz leer lassen, während er doch von Eurer Theilnahme und Eurer Arbeit ausgefüllt werden sollte. Wenn die Schlechtigkeit in den Straßen herrscht, so sollten Eure Schritte im Lichte der Reinheit scheinen; wenn ein Schmerzensschrei ertönt, so solltet Ihr, da Ihr doch seine Bedeutung kennt, zugegen sein, ihn zum Schweigen zu bringen. Geliebte Tochter, der Kummer ist genaht, Euch eine neue Religion zu lehren, deren Symbol Ihr an Euch tragt.«

Romola's Geist wurde noch von widerstrebenden Gefühlen zerrissen. Sie sah voraus, daß sie Savonarola gehorchen und zurückkehren würde; seine Worte waren zu ihr gedrungen, als ob sie eine Erläuterung jener Ableitung der selbstgenügsamen Behaglichkeit und jener neuen Theilnahme mit Leidenden, die bereits in ihr erweckt worden war, gewesen wären. Seine bannende Stimme hatte ein neues Verhältniß in ihr Leben gebracht, welches es ihr unmöglich erscheinen ließ, daß sie ihren Weg fortsetzen könne, ohne sie gehört zu haben; aber sie bebte davor zurück wie Jemand, der den Pfad sieht, welchen er zu wandern hat, aber auch zugleich die heiße Lava, die ihn bedeckt. Der instinctartige Widerwille vor der Rückkehr zu ihrem Gatten rief Zweifel hervor. Sie wandte ihre Augen von Fra Girolamo ab, und stand einige Augenblicke, die gefalteten Hände vor sich herabhängen lassend, wie eine weiße Statue da. Endlich rief sie, noch immer zu Boden blickend, und als ob ihr die Worte gewaltsam abgepreßt würden.

»Mein Gatte – er ist nicht – meine Liebe ist dahin!«

»Meine Tochter, es gibt noch ein Band höherer Liebe. Die Ehe ist nicht nur fleischlich, und für selbstisches Vergnügen eingesetzt. Seht nur, wohin dieser Gedanke Euch führt! – dahin, in einer falschen Tracht allen Verpflichtungen, die Eure Stellung und Euer Name Euch auferlegen, zu entfliehen. Dem wäre nicht so, wenn Ihr gelernt hättet, daß die Ehe ein Sakrament ist, von dem nur Gott Euch befreien kann. Euer Leben ist nicht wie ein Sandkorn, das die Winde verwehen dürfen, sondern wie Fleisch und Blut, die sterben, wenn sie von einander getrennt werden. Euer Gatte ist doch nicht ein Missethäter?

Romola erröthete und bebte. »Gott behüte, nein! ich klage ihn in nichts an!«

»Ich setzte nicht voraus, daß er ein Verbrecher sei, sondern wollte nur sagen, daß, selbst wenn er ein solcher wäre, Eure Stelle an seiner Seite im Kerker sein müßte. Wenn das Kreuz Euch als Weib auferlegt wird, so müßt Ihr es als Weib tragen. Ihr könnt sagen: ich will meinen Gatten verlassen, aber Ihr könnt nicht aufhören seine Gattin zu sein.«

»Und doch, wenn – oh, nie könnte ich das ertragen!« – Romola hatte unwillkürlich begonnen etwas zu sagen, was sie wieder aus ihrer Seele zu verbannen suchte.

»Bringt auch Euern Ehekummer als Opfer dar, meine Tochter! ein Opfer für das große Werk, durch welches Sünde und Kummer getilgt werden sollen. Das Ende ist sicher, und beginnt bereits. Hier beginnt es in Florenz, und die Augen der Gläubigen sehen es. Es kann unsere Glückseligkeit sein, dafür zu sterben; täglich durch die Kreuzigung unseres selbstischen Willens zu sterben, und endlich zu sterben, indem wir unsern Körper auf den Altar legen. Ihr seid eine Tochter der Stadt Florenz; erfüllt denn die Pflichten dieser großen Erbschaft. Lebt für Florenz, für Euer Volk, durch welches Gott die Erde segnen will. Tragt Pein und Schmerz! Das Eisen, ich weiß es, ist scharf und zerreißt das zarte Fleisch. Der Trank ist bitter für die Lippen, aber es ruht auch Entzücken im Kelche, es ist eine Vision, welche das ganze Leben hier unten als Schlacken erscheinen läßt. Komm, meine Tochter, kehre an Deinen Platz zurück.«

Während Savonarola mit steigender Ekstase sprach, die Arme noch immer fest vor sich hin gekreuzt, wie zu Anfang seiner Rede, aber das Antlitz wie von einer inneren Flamme erleuchtet, fühlte Romola sich von der Gluth seines leidenschaftlichen Glaubens umrungen und eingenommen. Die eisigen Zweifel schmolzen, sie ward von der Empfindung eines gewissen unaussprechlichen Erhabenen bezwungen, zu dem sie durch ein mächtiges Wesen, welches eine neue Kraft in ihr erweckte, berufen wurde. Mit einer Stimme, welche einem leisen, von Andacht erpreßten Aufschrei glich, sagte sie:

»Vater, ich will mich führen lassen. Belehrt mich! Ich will zurückkehren!«

Fast ohne zu wissen, was sie that, sank sie in die Knie. Savonarola streckte die Hände über sie aus; aber das Gefühl vermochte nicht länger sich in Worten Luft zu machen, und er versank in Schweigen.



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