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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 22:

Nous causames longtemps; elle était simple et bonne.
Ne sachant pas le mal, elle faisait le bien;
Des richesses du coeur elle me fit l'aumône,
Et tout en ecoutant comme le coeur se donne,
Sans oser y penser je lui donnai le mien;
Elle emporta ma vie, et n'en sut jamais rien.

Alfred de Musset: Une Bonne Fortune


Will Ladislaw wer am nächsten Tage bei Tische von entzückender Liebenswürdigkeit und gab Casaubon keine Veranlassung, seine Mißbilligung über irgend etwas zu äußern. Im Gegentheil schien es Dorotheen, daß Will mit besserem Geschick ihren Gatten zum Reden zu bringen und ihm ein ergebenes Ohr zu leihen verstehe, als sie es bisher noch bei irgend Jemand gefunden hatte. Freilich waren die Zuhörer in der Umgegend von Tipton keine besonders begabten Leute. Will sprach zwar auch selbst ziemlich viel, aber er wußte seine Aeußerungen so rasch und jedesmal mit einem so bescheidenen Ausdruck einer beiläufigen Bemerkung einzustreuen, daß Alles, was er sagte, nur wie ein munteres kleines Glockenspiel nach den Klängen der großen Kirchenglocke erschien.

Wenn Will nicht immer allen Ansprüchen genügte, so hatte er doch heute sicher einen sehr glücklichen Tag. Er schilderte kleine Züge aus dem römischen Volksleben, wie sie nur Jemand, der sich ganz frei umherbewegt, beobachten kann. Er stimmte mit Casaubon in der Verurtheilung der ungesunden Ansichten Middleton's Patrick Middleton (1662–1736), schottischer Geistlicher und jakobitischer Sympathisant. – Anm.d.Hrsg. über das Verhältniß des Judenthums zum Katholicismus überein und fand leicht den Uebergang zu einer halb enthusiastischen, halb scherzhaften Schilderung des Genusses, den ihm gerade die Mannigfaltigkeit der in Rom gebotenen Eindrücke gewähre, welche fortwährend zu Vergleichen auffordere und Einem die unfruchtbare Anschauung der verschiedenen Perioden der Weltgeschichte als schachtelartiger Abtheilungen ohne inneren Zusammenhang erspare.

Casaubon's Studien, bemerkte Will, seien immer zu umfassender Natur für solche Beobachtungen gewesen und er habe vielleicht nie Gelegenheit gehabt, so plötzliche Eindrücke auf sich wirken zu lassen; er für seine Person aber bekenne, daß Rom ihm ein ganz neues Verständniß für die Geschichte als ein zusammenhängendes Ganze erschlossen habe; das Fragmentarische der Ueberreste sporne seine Einbildungskraft, das Fehlende wieder herzustellen.

Gelegentlich, aber nicht zu oft appellirte er an Dorothea und ging auf ihre Aeußerungen ein, als ob ihre Empfindungsweise bei der Beurtheilung selbst solcher Kunstwerke, wie der Madonna di Foligno oder des Laokoon in Betracht gezogen werden müsse. Das Bewußtsein, zur Bildung der Ansichten der übrigen Theilnehmer mitzuwirken, macht eine Unterhaltung für uns besonders angenehm, und Casaubon war überdies nicht ohne Stolz auf seine junge Frau, welche besser sprach als die meisten Frauen, wie er das schon damals beobachtet hatte, als er sie wählte.

Als nun Alles so glücklich von Statten ging und Casaubon mittheilte, daß er seine Arbeiten auf der Bibliothek einige Tage unterbrechen und dann nach einer kurzen Wiederaufnahme seiner Studien keine Veranlassung haben werde, noch länger in Rom zu bleiben, fand Will den Muth, darauf zu dringen, daß Frau Casaubon nicht abreisen dürfe, ohne einige Künstler-Ateliers besucht zu haben. Ob Casaubon sie nicht dahin führen wolle? Der Einblick in diese Ateliers dürfe ihnen nicht fehlen; dieselben seien eine römische Specialität; in ihnen blühe eine eigene Art von Leben, sie gleichen der auf Ruinen erblühenden frischen Vegetation mit ihren Insecten. Will würde sich glücklich schätzen sie zu geleiten, er wolle sie durchaus nicht ermüden, sondern sie nur in einige wenige Ateliers führen.

Als Casaubon sah, daß Dorothea ihn sehr angelegentlich anblickte, konnte er nicht anders, als sie fragen, ob sie ein solcher Besuch von Ateliers interessiren würde; er stehe während der nächsten Tage ganz zu ihrer Verfügung. Man verabredete, daß Will am folgenden Tage kommen und mit ihnen ausfahren solle.

Will konnte nicht umhin, seine Fremden zu dem berühmten Thorwaldsen zu bringen, nach welchem sich selbst Casaubon erkundigte; es dauerte aber nicht lange, so brachte er sie in das Atelier seines Freundes Adolf Naumann, welchen er ihnen als einen der Haupterneurer der christlichen Kunst bezeichnete, als einen von denen, welche jene großartige Auffassung der höchsten Momente in der Geschichte des Christenthums als Mysterien, bei welchen die kommenden Jahrhunderte die Zuschauer bildeten und in Bezug auf welche die großen Seelen aller Zeiten gleichsam als Zeitgenossen gedacht seien, nicht nur wieder belebt, sondern erweitert hätten. Will fügte hinzu, daß er mit einer bestimmten Absicht Naumann's Schüler geworden sei.

»Ich habe bei ihm einige Skizzen in Oel gemalt,« sagte er. »Ich hasse das Copiren. Ich muß etwas von meinem Eigenen hinzu thun können. Naumann hat die Heiligen gemalt, wie sie den Wagen der Kirche fahren, und ich habe eine Skizze von Marlowe's Tamerlan, wie er sich in seinem Triumphwagen von den gefangenen Königen ziehen läßt, gemacht. Ich bin nicht so versessen auf kirchliche Gegenstände wie Naumann und ich necke ihn zuweilen mit seiner zu weit getriebenen Symbolik. Dieses Mal aber denke ich es ihm an Tiefe der mystischen Beziehungen noch zuvor zu thun. Ich fasse Tamerlan in seinem Triumphwagen als den fürchterlichen Fluch der physischen Geschichte der Welt auf, der die an seinen Wagen gespannten Dynastien vor sich her peitscht. Mich dünkt, das ist eine gute Interpretation des Mythus.«

Will sah bei diesen Worten Casaubon an, welcher diese leichtfertige Art, die Symbolik zu behandeln, sehr unbehaglich empfand und sich mit einer indifferenten Miene verneigte.

»Die Skizze muß sehr großartig sein, wenn sie so viel zum Ausdruck bringt,« sagte Dorothea. »Ich würde selbst nach Ihrer Auslegung noch einiger Erklärungen bedürfen. Soll Tamerlan nach Ihrer Absicht Erdbeben und Vulkane repräsentiren?«

»O ja,« erwiderte Will lachend, »und Völkerwanderungen, und das Lichten von Urwäldern und Amerika und die Dampfmaschine. Was Sie sich nur-irgend darunter vorstellen mögen!«

»Was für eine schwierige Art von Schnellschrift!« sagte Dorothea, indem sie ihrem Gatten zulächelte. »Es würde all Deines Wissens bedürfen, um sie lesen zu können.«

Casaubon blinzelte verstohlen nach Will hinüber. Er argwöhnte, daß dieser ihn verspotte. Aber unmöglich konnte sich dieser Argwohn doch auch auf Dorothea erstrecken.

Sie fanden Naumann fleißig an seiner Staffelei, aber ohne Modell; seine Bilder waren vortheilhaft aufgestellt, und seine eigene häßliche, aber lebensprühende Erscheinung war durch eine graue Bluse, und eine kastanienbraune Sammtkappe gehoben, so daß Alles so glücklich arrangirt schien, als ob er die schöne junge englische Dame grade zu dieser Stunde erwartet habe.

Der Maler trug in seinem dreist gehandhabten schlechten Englisch kleine Abhandlungen über seine vollendeten und unvollendeten Bilder vor und schien dabei ebensoviel Notiz von Casaubon wie von Dorothea zu nehmen. Will fiel hie und da mit Lobeserhebungen ein, indem er auf besondere Schönheiten in den Bildern seines Freundes aufmerksam machte, und Dorothea fühlte, daß ihr die Bedeutung von unter unerklärlichen Thronhimmeln inmitten einer einfachen Landschaft sitzenden Madonnen und von Heiligen, welche Modelle von Bauwerken in den Händen tragen, oder von Rittern mit zufällig gespaltenen Hirnschädeln, in einer bisher ganz ungeahnten Weise aufging. Manches, was ihr bis jetzt ungeheuerlich erschienen war, fing an ihr verständlich, ja sogar natürlich zu erscheinen; aber Alles das gehörte offenbar einem Zweige des Wissens an, für welchen Casaubon sich nicht interessirte.

»Ich glaube, ich möchte lieber die Schönheiten der Malerei empfinden können, als den Sinn der Bilder wie ein Räthsel entziffern müssen; aber ich würde doch diese Bilder leichter verstehen lernen als die Ihrigen, mit ihrer vielumfassenden Bedeutung,« sagte Dorothea zu Will gewandt.

»Reden Sie nicht von meinen Bildern vor Naumann,« entgegnete Will. »Er wird Ihnen sagen, daß all mein Malen ›Pfuscherei‹ sei, ein Ausdruck, der in seinem Munde das ärgste Schmähwort ist!«

»Ist das wahr?« fragte Dorothea, indem sie ihre offen blickenden Augen auf Naumann richtete. Dieser machte eine kleine Grimasse und sagte:

»O, es ist ihm mit dem Malen nicht Ernst. Er muß sich auf die schöne Literatur werfen. Das ist ein we–ites Gebiet.«

Durch diese Dehnung des Diphtons gab Naumann dem Ausdruck einen satirischen Beigeschmack. Will war das nichts weniger als angenehm, aber er gewann es über sich zu lachen, während die von gutem Urtheile zeugende Strenge des Künstlers Casaubon etwas Respekt vor ihm einzuflößen anfing.

Diesem Respekt that es keineswegs Eintrag, als Naumann, nachdem er Will einen Augenblick bei Seite genommen hatte, zuerst eine große Leinewand, dann Casaubon ansah, und darauf mit den Worten auf diesen zutrat.

»Mein Freund Ladislaw meint, Sie würden mir verzeihen, wenn ich es auszusprechen wage, daß eine Skizze Ihres Kopfes mir für den Thomas von Aquino auf meinem Bilde da unschätzbar sein würde. Ich darf Sie kaum darum bitten; aber ich sehe so selten grade das, was ich brauche – das Ideale im Realen.«

»Sie setzen mich sehr in Erstaunen, Herr Naumann,« sagte Casaubon, dessen Augen vor Vergnügen glänzten; »aber wenn mein armes Gesicht, das ich immer für eines der gewöhnlichsten gehalten habe, Ihnen einige Züge zu dem Bilde des doctor angelicus liefern und Ihnen dadurch von Nutzen sein kann, so wird mir das eine Ehre sein, – das heißt wenn die Sache nicht lange dauert und wenn meine Frau nichts dagegen hat.«

Dorotheen hätte nichts angenehmer sein können, es wäre denn, daß eine geheimnißvolle Stimme Casaubon laut für den weisesten und würdigsten aller Menschensöhne erklärt hätte. Das würde ihrem wankend gewordenen Glauben wieder seine volle Festigkeit gegeben haben.

Naumann hatte sein Malergeräth in höchster Vollständigkeit zur Hand, und so konnte die Skizze sofort in Angriff genommen und bei ununterbrochener Unterhaltung fortgeführt werden. Dorothea setzte sich und verharrte in einem ruhigen Schweigen, in welchem sie sich glücklicher fühlte als seit langer Zeit. Alle um sie her schienen ihr gut zu sein und sie dachte bei sich, daß Rom, wenn sie nur weniger unwissend gewesen wäre, auch für sie reich an Schönheit gewesen sein würde; die Trauer, welche über der ewigen Stadt lagerte, würde dann für sie durch Hoffnung verklärt worden sein.

Es gab keine weniger argwöhnische Natur als die ihrige; als Kind hatte sie an die Dankbarkeit der Wespen und die ehrenwerthe Empfindlichkeit der Sperlinge geglaubt und war demgemäß entrüstet gewesen, als ihr die niedere Gesinnung dieser Thiere offenbar wurde.

Der gewandte Künstler unterhielt Casaubon durch Fragen, über englische Politik, auf welche dieser ausführlich antwortete. Will hatte sich indessen auf eine im Hintergrunde stehende kleine Trittleiter niedergelassen und überblickte von diesem erhöhten Sitze aus das ganze Atelier.

Nach einer Weile sagte Naumann:

»Wenn ich nur jetzt die Skizze eine halbe Stunde ruhen lassen und dann an ihr weiter arbeiten könnte – kommen Sie doch einmal her und sehen sich das Bild an, Ladislaw – ich glaube, es ist mir bis jetzt gut gelungen.«

Will machte seinem Eindruck durch jene Interjectionen Luft, in welchen das Eingeständniß liegt, daß die Bewunderung sich nicht in Perioden fassen läßt, und Naumann sagte in einem kläglichen Ton:

»Ja, wenn Sie mir nur länger sitzen könnten – aber Sie haben gewiß andere Dinge zu thun, – ich darf Sie wohl noch weniger bitten, mich morgen wieder zu beehren.«

»O, laß uns noch hierbleiben,« sagte Dorothea mit einem bittenden Blick zu Casaubon. »Wir haben ja heute nichts weiter zu thun, als umherzuspazieren. Es wäre doch Schade, wenn der Kopf nicht so gut wie möglich würde.«

»Ich stehe Ihnen zu Diensten, Herr Naumann« sagte Casaubon im Tone höflicher Gefälligkeit, »da ich einmal das Innere meines Kopfes dem Müßiggange überlassen habe, so kann es nicht schaden, wenn wenigstens sein Aeußeres in dieser Weise thätig ist.«

»Sie sind unaussprechlich gütig – jetzt bin ich ganz glücklich!« sagte Naumann und wandte sich dann, deutsch redend zu Will, während er dabei auf verschiedene Stellen der Skizze deutete, als ob er über diese spräche. Dann stellte er die Skizze einen Augenblick an die Seite, blickte umher, wie wenn er sich nach einer Beschäftigung für seinen Besuch umsähe, und sagte darauf zu Casaubon gewandt:

»Vielleicht würde Ihre schöne liebenswürdige junge Frau Gemahlin nicht abgeneigt sein, mir zu gestatten, die Zeit damit auszufüllen, eine kleine Skizze von ihr zu machen – natürlich nicht, wie Sie sehen, für mein Bild da – nur als eine einzelne Studie.«

Casaubon verneigte sich und zweifelte nicht, daß seine Frau des Malers Wunsch gern erfüllen werde, und Dorothea fragte sofort: »Wohin soll ich mich setzen?«

Naumann bat sie unter fortwährenden Entschuldigungen zu stehen und ihm zu erlauben, sie zurecht zu stellen. Sie ließ es sich ohne eine Spur von jenem gezierten Lachen, welches so oft bei solchen Gelegenheiten für unerläßlich gehalten wird, gefallen, als der Maler zu ihr sagte:

»Ich möchte, daß Sie mir als Santa Clara ständen, stützen Sie so die Wange auf die Hand – so – blicken Sie nach dieser Fußbank, bitte so!«

Will's Gefühle waren getheilt zwischen dem Wunsch, der Heiligen zu Füßen zu fallen und ihr Kleid zu küssen, und der Versuchung, Naumann, als er ihren Arm zurecht rückte, zu Boden zu schlagen. Er sah in dessen Gebahren nur Unverschämtheit und Entweihung, und bereute es, daß er sie hergebracht habe.

Der Künstler war alsbald fleißig bei der Arbeit, und Will, der sich von seiner Aufregung rasch wieder erholt hatte, ging umher und beschäftigte Casaubon, so gut er konnte; aber es gelang ihm doch nicht, dem alten Herrn die Zeit nicht lang werden zu lassen, wie dieser es deutlich durch den Ausdruck der Besorgniß zu erkennen gab, daß das Stehen seine Frau ermüden möchte.

Naumann verstand den Wink und sagte:

»Wenn Sie jetzt wieder die Güte haben wollten, Herr Casaubon, so werde ich die gnädige Frau frei lassen.«

So blieb Casaubon noch geduldig da, und als es sich schließlich herausstellte, daß der Kopf des Thomas von Aquino noch besser werden würde, wenn noch eine Sitzung ermöglicht werden könnte, wurde diese für den folgenden Tag gewährt.

Am nächsten Tage wurde auch das Bild der Santa Clara noch mehrfach retouchirt. Und Alles das war so weit entfernt Casaubon zu mißfallen, daß er das Bild, auf welchem Thomas von Aquino mit den Kirchenvätern in einer Disputation begriffen war, – die ihrer abstracten Natur wegen zwar nicht dargestellt werden konnte, welcher aber eine Zuhörerschaft von oben her mit mehr oder weniger Aufmerksamkeit folgte, – dem Künstler abkaufte. Von der Santa.

Clara, von deren Ankauf sodann gleichfalls die Rede war, erklärte sich Naumann selbst unbefriedigt, er könne sich mit gutem Gewissen nicht verpflichten, ein gutes Bild daraus zu machen, so wurde in Betreff dieses Werkes nur eine bedingte Abrede getroffen.

Ich will hier nicht bei den Späßen, welche Naumann an dem Abend dieses Tages auf Kosten Casaubon's machte oder bei den Dithyramben verweilen, in welchen er sich über die Reize Dorotheen's erging. Will stimmte ihm in Allem bei, aber mit einem Unterschiede. Kaum hatte Naumann angefangen, Dorotheen's Schönheit zu zerlegen, als Will über seine Anmaßung aufgebracht wurde: es sei roh, daß er sich der allergewöhnlichsten Ausdrücke in Betreff ihrer bediene, und ihre Lippen gingen ihn gar nichts an! sie sei keine Frau, von der man sprechen dürfe wie von anderen Frauen.

Will konnte nicht ganz sagen, was er dachte, aber er wurde gereizt. Und doch hatte er, als er sich nach einigem Widerstreben bereit finden ließ, die Casaubon's in das Atelier seines Freundes zu führen, eine Befriedigung seines Stolzes darin gefunden, daß er es war, welcher Naumann die Gelegenheit verschaffen konnte, Dorotheen's Anmuth oder vielmehr ihre Göttlichkeit zu studiren; denn die gewöhnlichen Phrasen, mit welchen man rein körperliche Schönheit bezeichnen mochte, erschienen auf sie nicht anwendbar.

Ganz Tipton sammt seiner Umgebung und Dorothea selbst würden höchlichst erstaunt gewesen sein, zu hören, daß man aus ihrer Schönheit so viel mache. In jenem Theile der Welt hatte Fräulein Brooke für nicht mehr als ein hübsches, junges Mädchen gegolten.

»Thun Sie mir den Gefallen, Naumann, und reden Sie nicht weiter davon. Von Frau Casaubon darf man nicht sprechen, als ob sie ein Modell wäre,« sagte Will.

Naumann starrte ihn an.

»Schön! Dann will ich von meinem Thomas von Aquino reden. Er hat doch wirklich keinen so übeln Kopf. Selbst der große Scholastiker würde sich übrigens, glaub' ich, geschmeichelt gefühlt haben, wenn man ihn gebeten hätte, sein Portrait malen zu dürfen. Es giebt keine eitleren Menschen als diese steifen Gelehrten. Es war genau so, wie ich es mir gedacht hatte; ihm war viel weniger an ihrem als an seinem Portrait gelegen.«

»Er ist ein verfluchter, weißblütiger, pedantischer Hansnarr,« sagte Will mit zähneknirschendem Ungestüm. Von seinen Verpflichtungen gegen Casaubon wußte Naumann nichts, aber Will selbst dachte an dieselben und wünschte, er könnte sich ihrer mit einem Federstrich entledigen.

Naumann erwiderte achselzuckend: »Es ist gut, daß Sie bald fortgehen, lieber Freund, sie verderben Ihr gutes Temperament.«

Will's ganze Hoffnung und alle seine Bemühungen gingen jetzt dahin, Dorothea allein zu sprechen. Alles, was er wollte, war, daß sie nachdrücklicher Notiz von ihm nehmen, daß er in ihrer Erinnerung in einer bestimmteren Gestalt fortleben möchte, als er bis jetzt noch hoffen zu dürfen glaubte. Ihr offenes warmes Wohlwollen, welches sie, wie er beobachtete, allen Menschen entgegenbrachte, fing an ihn ungeduldig zu machen.

Die Anbetung eines in unerreichbarer Höhe thronenden Weibes spielt eine große Rolle in dem Leben der Männer, aber in den meisten dieser Fälle dürstet doch der Anbetende nach einem freundlich gewährten königlichen Erkennungszeichen, mit welchem die Herrin seiner Seele, ohne von ihrem Throne herabzusteigen, sein Herz erfreuen möchte. Und das war es auch, wonach es Will verlangte.

Aber diesem Verlangen lag eine Fülle widerspruchsvoller Empfindungen zu Grunde. Es war für ihn ein erhebender Anblick, wenn Dorotheen's Blicke sich mit zärtlicher Besorgniß und flehendem Ausdruck auf Casaubon richteten; es würde ihrem Heiligenscheine Eintrag gethan haben, wenn der Gedanke an ihre Pflichten sie weniger ausschließlich in Anspruch genommen hätte; aber im nächsten Augenblick schien ihm doch die trockene Art, wie der Gatte diesen Nektar hinunterschlürfte, gar zu unerträglich, und Will's Neigung, sich nachtheilig über Casaubon zu äußern, war vielleicht nur um so qualvoller für ihn, je stärkere Gründe er hatte, sich in dieser Beziehung Zwang anzuthun.

Will hatte keine Einladung zum Mittagessen für den nächsten Tag erhalten. In Folge dessen überredete er sich, daß er verpflichtet sei, einen Besuch zu machen und daß die einzige dazu passende Zeit um die Mitte des Tages sei, wo Casaubon nicht zu Hause sein würde.

Dorothea, welche keine Ahnung davon hatte, daß ihr Gatte Will's ersten Besuch bei ihr nicht gern gesehen habe, hatte um so weniger Bedenken, ihn zu empfangen, als sie glaubte, er komme vielleicht um Lebewohl zu sagen.

Als er eintrat, war sie eben dabei, einige Cameen zu besehen, welche sie für Celia gekauft hatte. Sie grüßte Will, wie wenn sich sein Besuch ganz von selbst verstände, und sagte sofort, auf ein Cameen-Armband deutend, das sie in der Hand hielt:

»Es freut mich sehr, daß Sie kommen. Vielleicht verstehen Sie sich auf Cameen und können mir sagen, ob diese da etwas taugen. Ich hatte Sie bitten wollen, uns zu begleiten, als wir sie aussuchten, aber Casaubon meinte, dazu sei keine Zeit. Er wird morgen mit seiner Arbeit fertig, und wir werden in zwei bis drei Tagen abreisen. Mich quälen diese Cameen. Bitte, setzen Sie sich und sehen Sie sie sich an.«

»Ich bin kein eigentlicher Kenner, aber über diese kleinen Homerköpfe kann man sich nicht leicht täuschen; sie sind reizend geschnitten. Und die Färbung ist sehr schön, grade passend für Sie.«

»O sie sind für meine Schwester, die einen ganz andern Teint hat. Sie haben sie mit mir in Lowick gesehen, sie ist blond und sehr hübsch – wenigstens finde ich es. Wir sind noch nie in unserem Leben so lange von einander getrennt gewesen. Sie ist mein großer Liebling! Vor meiner Abreise fand ich heraus, daß sie gern einige Cameen von mir mitgebracht haben wollte, und es würde mir leid thun, wenn sie nicht gut wären – in ihrer Art.«

Dorothea begleitete die letzten Worte mit einem Lächeln.

»Sie scheinen sich nichts aus Cameen zu machen,« sagte Will, indem er in einiger Entfernung von ihr Platz nahm und sie beobachtete, während sie die Kästchen schloß.

»Nein, offen gestanden halte ich sie nicht für etwas, das von großer Bedeutung für das Leben wäre,« sagte Dorothea.

»Ich fürchte Sie sind in Betreff der Kunst überhaupt eine Ketzerin. Wie kommt das? Ich hätte geglaubt, Sie müßten für das Schöne, wo immer es sich findet, sehr empfänglich sein.«

»Ich glaube, mir fehlt der rechte Sinn für viele Dinge,« erwiderte Dorothea anspruchslos. »Ich möchte das Leben gern schön gestalten – ich meine das Leben aller Menschen. Und da erweckt mir dieser ungeheure Aufwand an Kunst, die doch gewissermaßen außerhalb des Lebens steht und dasselbe für die Welt nicht besser macht, peinliche Empfindungen. Mir wird jeder Genuß vergällt, sobald sich mir der Gedanke aufdrängt, daß die meisten Menschen von demselben ausgeschlossen sind.«

»Das nenne ich den Fanatismus der Menschenliebe,« sagte Will ungeduldig. »Sie könnten dasselbe von der schönen Natur, von der Poesie, von jedem feineren Genusse sagen. Wenn Sie diesen Gedanken bis in seine äußersten Consequenzen verfolgen, müssen Sie sich grade in Ihrer Herzensgüte elend fühlen und schlecht werden, um nichts vor Anderen voraus zu haben. Die beste Frömmigkeit besteht darin, zu genießen, wo es uns möglich ist. Damit thut man sein Bestes dazu, der Erde den Charakter eines angenehmen Planeten zu bewahren. Und der Genuß verklärt. Es nützt nichts, daß man es versucht, für die ganze Welt zu sorgen; man sorgt am besten für sie, wenn man genießt – in der Kunst, oder in einer andern Sphäre. Möchten Sie die ganze Jugend in einen tragischen Chor verwandelt sehen, der über Elend wehklagt und moralisirt? Ich fürchte, Sie machen sich eine falsche Vorstellung von den Tugenden der Unglücklichen und möchten ihr Leben zu einem Märtyrerthum machen.«

Will war weiter gegangen, als er beabsichtigt hatte, und hielt jetzt inne. Aber Dorotheen's Gedanken bewegten sich in einer etwas andern Richtung als die seinigen, und sie antwortete ohne besondere Aufregung:

»Sie mißverstehen mich wirklich. Ich bin durchaus kein trübseliges melancholisches Geschöpf. Ich bin nie längere Zeit unglücklich. Ich bin heftig und nicht so artig wie Celia. Ich brause rasch auf, dann aber erscheint mir gleich Alles wieder herrlich. Ich kann nicht umhin, mit einer Art von blindem Vertrauen an das Gute zu glauben. Ich würde sehr gern die Kunst hier genießen; aber da ist so vieles, was ich mir nicht zu erklären weiß – so vieles, was mir mehr wie eine Verherrlichung des Häßlichen als des Schönen erscheint. Die Malerei und Sculptur mögen wundervoll sein, aber die Gefühle, denen sie Ausdruck verleihen, sind oft niedrig und brutal und bisweilen lächerlich. Hie und da sehe ich etwas, was mich sofort in seiner edlen Größe ergreift, – etwas, das ich mit dem Albaner Gebirge oder dem Anblick des Sonnenunterganges vom Monte Pincio vergleichen möchte; aber dann beklage ich es nur um so mehr, daß sich so wenig von dieser wahren Schönheit in der ganzen Masse von Dingen findet, auf welche die Menschen so viele Arbeit verwendet haben.«

»Natürlich giebt es überall eine Menge armseliger Machwerke; das Bessere bedarf eines solchen Bodens, um darauf zu erwachsen.«

»O Du lieber Gott,« sagte Dorothea, indem sie diesen Gedanken in den Strom der Empfindungen leitete, die sie so ängstlich beschäftigten, »ich sehe wohl, daß es sehr schwer sein muß, irgend etwas Gutes zu thun. Ich habe oft, seit ich in Rom bin, die Empfindung gehabt, als müßten sich die meisten unserer Existenzen viel häßlicher und stümperhafter ausnehmen als die Bilder, wenn sie gleich diesen an die Wände gehängt werden könnten.«

Dorothea öffnete die Lippen wieder, als wolle sie noch weiter sprechen, änderte aber ihren Sinn und hielt inne.

»Sie sind zu jung für solche Gedanken – es ist wie ein Anachronismus,« sagte Will nachdrücklich mit einem bei ihm gewöhnlichen raschen Kopfschütteln. »Sie reden ja, als ob Sie die Jugend nie gekannt hätten – es ist ungeheuerlich – als ob Sie in Ihrer Kindheit eine Vision des Hades gehabt hätten, wie jener Knabe in der Legende. Sie sind in einigen jener schrecklichen Ideen auferzogen, welche gleich Minotauren die anmuthigsten Jungfrauen verschlingen. Und nun gehen Sie fort, um sich in das steinerne Gefängniß in Lowick einsperren zu lassen; da werden Sie lebendig begraben sein. Es macht mich rasend, daran zu denken! Ich wollte lieber, ich hätte Sie nie kennen gelernt, als mir Sie mit solchen Aussichten für die Zukunft vorstellen zu müssen.«

Will fürchtete abermals zu weit gegangen zu sein. Aber die Bedeutung, welche wir Worten unterlegen, hängt von dem ab, was wir dabei empfinden, und Will's Ton zornigen Bedauerns fand einen so freundlichen Widerhall in Dorotheen's Herz, welches sich von jeher in feurigen Ergüssen ausgegeben und niemals von den Menschen um sie her viel Nahrung für ihre Gefühle erhalten hatte, daß sie eine neue Art von Dankbarkeit empfand und lächelnd antwortete:

»Es ist sehr gütig von Ihnen, so besorgt für mich zu sein. Das kommt daher, daß Sie selbst Lowick nicht mochten. Sie hatten Ihre Neigung einer andern Art von Leben zugewandt; aber Lowick ist die Heimath meiner Wahl.«

Die letzten Worte sprach sie in einem fast feierlichen Tone, und Will wußte nicht, was er sagen sollte, da sie es doch nicht gut aufgenommen haben würde, wenn er ihre Schuhe geküßt und ihr gesagt hätte, daß er bereit sei, für sie zu sterben, – es war klar, daß sie nichts der Art verlangte. So schwiegen Beide eine Weile, bis Dorothea mit einer Miene, als wolle sie endlich etwas sagen, was ihr schon lange im Sinne gelegen habe, wieder anfing:

»Ich wollte mir noch eine nähere Auskunft von Ihnen über etwas erbitten, was Sie neulich sagten. Vielleicht war es zum großen Theil Ihre lebhafte Art, zu reden. Ich habe bemerkt, daß Sie gern etwas stark auftragen. Es begegnet mir selbst oft, daß ich übertreibe, wenn ich rasch rede.«

»Was war es denn?« fragte Will, dem es auf fiel, daß sie mit einer bei ihr ganz ungewohnten Schüchternheit sprach. »Ich habe eine hyperbolische Zunge; sie fängt Feuer, sobald sie sich in Bewegung setzt. Ich werde da wohl etwas zurücknehmen müssen.«

»Ich rede von dem, was Sie über die Nothwendigkeit, deutsch zu verstehen, sagten, ich meine für den Gegenstand, mit welchem sich Casaubon beschäftigt. Ich habe darüber nachgedacht und mir scheint, Casaubon muß bei seiner Gelehrsamkeit doch dasselbe Material zu seiner Verfügung haben wie die deutschen Gelehrten – ist dem nicht so?«

Dorotheen's Schüchternheit hatte ihren Grund in dem wenn auch nicht klaren Bewußtsein, daß sie sich in der sonderbaren Situation befinde, eine dritte Person über die Zulänglichkeit von Casaubon's Wissen zu befragen.

»Doch nicht ganz dasselbe Material,« erwiderte Will, der sich vornahm, die gebührende Vorsicht bei seinen Aeußerungen nicht außer Augen zu lassen. »Sie wissen, er ist kein Orientalist. Er kennt, wie Sie von ihm selbst gehört haben werden, die orientalischen Quellen nur aus zweiter Hand.«

»Aber es giebt doch sehr werthvolle Bücher über das Alterthum, welche vor langen Jahren geschrieben wurden und noch heute im Gebrauch sind, deren gelehrte Verfasser aber nichts von diesen modernen Dingen wußten. Warum sollte Casaubon's Buch nicht ebenso werthvoll werden wie die Werke dieser alten Gelehrten?« fragte Dorothea in einem lebhaft remonstrirenden Ton. Es drängte sie, das Argument, mit welchem sie sich die Sache zurechtgelegt hatte, als berechtigt anerkannt zu sehen.

»Das hängt von der Art der Studien ab, die einem solchen Werke zu Grunde liegen,« entgegnete Will, dessen Ton nun auch etwas schärfer Accentuirtes bekam. »Das Thema, welches sich Herr Casaubon zum Gegenstande gewählt hat, ist ebenso fortwährenden Aenderungen ausgesetzt wie die Chemie; neue Entdeckungen eröffnen unablässig neue Gesichtspunkte. Wer möchte sich jetzt noch mit einem System befassen, das von dem Vorhandensein der vier Elemente ausginge, oder ein Buch lesen, welches sich die Aufgabe stellte, Paracelsus zu widerlegen. Begreifen Sie nicht, daß es heut zu Tage zwecklos ist, Männern des vorigen Jahrhunderts, Männern, wie Bryant, nachzukriechen und ihre Fehler zu berichtigen, – in einer Rumpelkammer zu wohnen und lahm gewordene Theorien über die Länder Kusch und Mizrajim wieder aufzustutzen?«

»Wie mögen Sie nur so leichtfertig über solche Dinge reden?« sagte Dorothea mit einem halb bekümmerten, halb zornigen Blick. »Wenn sich die Sache so verhielte, wie Sie sagen, was könnte es Traurigeres geben, als einen so ganz vergeblichen Aufwand an ernster Arbeit. Es wundert mich, daß Sie es nicht schmerzlicher empfinden, wenn Sie wirklich glauben, daß ein so guter, fähiger und gelehrter Mann wie Casaubon bei dem, was die Arbeit seiner besten Lebensjahre ausgemacht hat, in irgend einer Beziehung fehl gegangen sei.«

Sie fing an darüber zu erschrecken, daß sie zu einer solchen Annahme gelangt sei, und war aufgebracht gegen Will, der sie dazu veranlaßt hatte.

»Sie haben mich über die Thatsachen befragt und nicht über meine Empfindungen,« entgegnete Will. »Wenn Sie mich aber für die Thatsachen strafen wollen, so muß ich mich darein ergeben. Ich bin nicht in der Lage, mich über meine Gefühle für Herrn Casaubon auszusprechen. Es würde ja dabei im besten Fall auf die Lobrede eines Unterstützten herauskommen.«

»Verzeihen Sie mir, bitte,« sagte Dorothea tief erröthend. »Ich fühle, daß ich, wie Sie es andeuten, Unrecht gehabt habe, den Gegenstand auf's Tapet zu bringen. Ueberhaupt habe ich ganz Unrecht! Nach langer beharrlicher Arbeit ein würdiges Ziel verfehlt zu haben, ist viel verdienstlicher, als nie ein Streben gehabt zu haben, bei welchem von einem Fehlschlagen auch nur die Rede sein könnte.«

»Darin stimme ich Ihnen völlig bei,« sagte Will, der entschlossen war, der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben, »so sehr, daß ich mir fest vorgenommen habe, mich nicht der Gefahr auszusetzen, es auch nur bis zu einem Fehlschlagen zu bringen. Herrn Casaubon's Großmuth ist mir vielleicht gefährlich geworden, und ich gedenke auf die Freiheit, welche ich dieser Großmuth verdanke, zu verzichten. Ich beabsichtige in Kurzem nach England zurückzukehren und meinen eigenen Weg zu gehen, – von Niemandem als von mir selbst abzuhängen.«

»Das ist schön, – ich ehre diese Gesinnung,« sagte Dorothea, in einem wieder sehr freundlichen Ton. »Aber Casaubon hat, davon bin ich fest überzeugt, in dieser Angelegenheit nie an etwas Anderes gedacht, als an Ihr Bestes.«

»Sie ist eigensinnig und stolz genug, hingebend zu dienen, wo sie nicht lieben kann, nachdem sie ihn einmal geheirathet hat,« dachte Will bei sich. Laut aber sagte er, indem er aufstand: »Ich werde Sie nicht wiedersehen.«

»O bleiben Sie doch, bis Casaubon nach Hause kommt,« sagte Dorothea dringend. »Es freut mich so sehr, daß wir uns in Rom getroffen haben, ich hatte den Wunsch, Sie näher kennen zu lernen.«

»Und ich habe Sie erzürnt,« erwiderte Will. »Ich habe Ihnen eine schlechte Meinung von mir beigebracht.«

»O nein! Meine Schwester sagt oft, ich sei immer aufgebracht gegen die Leute, die nicht genau das sagen, was mir gefällt. Aber ich glaube, ich darf sagen, daß ich darum doch nicht geneigt bin, schlecht von diesen Leuten zu denken. Schließlich muß ich gewöhnlich wegen meiner Unduldsamkeit schlecht von mir selber denken.«

»Aber doch mögen Sie mich nicht leiden; ich habe mich zu einer unangenehmen Erinnerung für Sie gemacht.«

»Durchaus nicht,« sagte Dorothea mit der offensten Freundlichkeit, »ich habe Sie sehr gern.«

Diese Antwort befriedigte Will nicht ganz, denn er sagte sich, daß er offenbar einen tieferen Eindruck auf sie hervorgebracht haben müßte, wenn sie ihn nicht möchte. Er erwiderte nichts, machte aber ein gleichgültiges, um nicht zu sagen verdrossenes Gesicht.

»Und es wird mich sehr interessiren zu sehen, was Sie beginnen werden,« fuhr Dorothea munter fort. »Ich glaube fest daran, daß wir von Natur zu verschiedenen Berufsarten bestimmt sind. Wenn ich nicht diesen Glauben hätte, würde ich vermuthlich sehr beschränkt in meiner Auffassung sein, – es giebt noch außer der Malerei so viele Dinge, von denen ich nichts verstehe. Sie würden erstaunen, wenn Sie erführen, wie wenig ich von Musik und Literatur, von denen Sie so viel verstehen, in mich aufgenommen habe. Ich bin begierig, was sich schließlich als Ihr Beruf herausstellen wird. Wollen Sie vielleicht ein Dichter werden?«

»Das kommt darauf an. Ein Dichter sein heißt, eine so rasche Auffassung besitzen, daß keine noch so feine Wandlung in der Erscheinungswelt ihr entgeht, und zugleich mit einem so zarten Empfindungsvermögen ausgestattet sein, daß das Urtheil nur gleichsam die Hand ist, welche in reizendem Wechsel der Töne auf den Saiten der Gefühlserregung spielt, – ein Dichter sein heißt, eine Seele haben, in welcher das Wissen sich sofort in Empfinden verwandelt und das Empfinden wieder wie ein neues Organ des Wissens hervorbricht. Manche haben diese Begabung auch nur in gewissen Momenten.«

»Aber Sie vergessen, von den Dichtungen zu reden,« sagte Dorothea, »und die gehören doch dazu, um Jemanden wirklich zu einem Dichter zu machen. Ich verstehe, was Sie mit der Verwandlung des Wissens in Empfinden meinen; denn das ist es grade, was ich an mir selbst zu erleben glaube. Aber doch wäre ich gewiß nie im Stande, ein Gedicht zu machen.«

»Sie sind selbst ein Gedicht, und das heißt, das Beste vom Dichter in sich tragen, – das, was das Bewußtsein des Dichters in seinen besten Momenten erfüllt,« sagte Will.

»Das freut mich sehr,« erwiderte Dorothea, indem sie diese Worte wie Vogelgesang herauslachte und Will mit dem Ausdruck einer scherzenden Dankbarkeit anblickte. »Was Sie mir für freundliche Dinge sagen!«

»Ich wollte, ich könnte je etwas thun, was Sie freundlich nennen, ich könnte Ihnen im geringsten nützlich sein. Ich fürchte, ich werde nie Gelegenheit dazu haben,« sagte Will feurig.

»O doch!« erwiderte Dorothea herzlich. »Die Zeit wird schon kommen, und ich werde nicht vergessen, wie freundlich Sie mir gesinnt sind. Ich hoffte schon bei unserer ersten Begegnung, daß wir gute Freunde werden würden wegen Ihrer Verwandtschaft mit Casaubon.«

Ihre hellblickenden Augen waren feucht geworden, und Will fühlte, daß auch seine Augen der Natur ihren Tribut zollten und sich mit Thränen füllten. Die Anspielung auf Casaubon würde Alles verdorben haben, wenn in diesem Augenblicke irgend etwas die gewinnende Gewalt, die anmuthige Würde ihres edlen, keines Argwohns fähigen, weltunerfahrenen Wesens hätte beeinträchtigen können.

»Und es giebt etwas, was Sie schon jetzt für mich thun können,« fuhr Dorothea fort, indem sie aufstand und in dem Drange eines wiederkehrenden Antriebs einige Schritte auf und abging. »Versprechen Sie mir, nie wieder mit irgend Jemand über jenen Gegenstand zu reden – ich meines über Casaubon's Arbeiten. – Ich meine in derselben Art und Weise. Ich habe Sie dazu veranlaßt, es war meine Schuld. Aber versprechen Sie es mir.«

Sie ging nicht mehr auf und ab, sondern stand Will gegenüber und sah ihn mit ernsten Blicken an.

»Gewiß will ich Ihnen das versprechen,« sagte Will erröthend.

Wenn er nie wieder ein scharfes Wort über Casaubon sagte und keine Unterstützungen mehr von ihm erhielt, so würde es ihm doch sicherlich erlaubt sein, ihn nur um so mehr zu hassen. Goethe sagt, der Dichter muß hassen können, und dieser dichterischen Fähigkeit wenigstens erfreute sich Will im vollen Maaße.

Er sagte, er müsse jetzt fort, ohne Herrn Casaubon abzuwarten, werde aber noch im letzten Augenblick von diesem Abschied nehmen. Dorothea reichte ihm die Hand, und sie sagten einander herzlich Lebewohl.

Als aber Will aus der Hausthür trat, begegnete ihm Casaubon, und dieser verzichtete unter dem Ausdruck der besten Wünsche für seinen Vetter auf das Vergnügen, noch am nächsten Tage, wo sie nur allzuviel mit den Reisevorbereitungen zu thun haben würden, von ihm Abschied zu nehmen.

»Ich habe Dir etwas in Betreff unseres Vetters Ladislaw zu erzählen, was Dir, glaube ich, eine bessere Meinung von ihm geben wird,« sagte Dorothea im Laufe des Abends zu ihrem Gatten.

Sie hatte gleich nach seiner Rückkehr erwähnt, daß Will eben fortgegangen sei und noch wiederkommen werde, aber Casaubon hatte mit jener Miene und jenem Ton, durch welche wir zu verstehen zu geben pflegen, daß ein Gegenstand uns so wenig interessirt, daß wir keine weitere Erwähnung desselben wünschen, erwidert: »Ich habe ihn vor der Hausthür getroffen, und wir haben, glaube ich, von einander Abschied genommen.« Deshalb hatte Dorothea gewartet.

»Und das wäre, liebes Kind?« fragte Casaubon.

»Liebes Kind« nannte er sie immer grade in den Momenten, wo er besonders kalt gegen sie war.

»Er hat sich entschlossen, sein unstätes Leben jetzt aufzugeben und auf seine Abhängigkeit von Deiner Großmuth zu verzichten. Er beabsichtigt, bald nach England zurückzukehren und seinen eigenen Weg zu gehen. Ich dachte, Du würdest das als ein gutes Zeichen betrachten,« sagte Dorothea, indem sie ihren bei der Mittheilung ganz gleichgültig gebliebenen Gatten mit einem bittenden Blick ansah.

»Hat er eine bestimmte Beschäftigung genannt, der er sich widmen will?«

»Nein, aber er sagte, er fühle die Gefahr, welche in Deiner Großmuth für ihn liege. Er wird Dir natürlich darüber schreiben. Giebt Dir dieser Entschluß nicht eine bessere Meinung von ihm?«

»Ich werde seine Mittheilung über die Sache abwarten,« entgegnete Casaubon.

»Ich habe ihm gesagt, ich sei überzeugt, daß Du bei Allem, was Du für ihn gethan, nur sein bestes im Auge gehabt habest. Ich erinnere mich Deiner gütigen Aeußerungen in Betreff seiner, als ich ihn zuerst in Lowick sah,« fuhr Dorothea fort, indem sie ihre Hand auf Casaubon's Hand legte.

»Ich hatte eine Pflicht gegen ihn zu erfüllen,« erwiderte Casaubon, indem er in gewissenhafter Erwiderung ihrer Zärtlichkeit seine Hand wieder auf die ihrige legte, ohne jedoch eine gewisse Unbehaglichkeit in seinem Blick verläugnen zu können. »Ich bekenne, daß der junge Mann mich sonst nicht weiter interessirt, und wir brauchen uns, glaube ich, nicht weiter mit seiner künftigen Laufbahn zu beschäftigen, welche wir nicht über die von mir deutlich genug bezeichnete Grenze hinaus zu bestimmen haben.«

Dorothea erwähnte Will nicht weiter.

Ende des ersten Bandes.


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