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Wie in den ›Editorischen Hinweisen‹ vermerkt, verzichtet die Übersetzung von Lehmann auf alle Motti, die George Eliot jeweils vor die Kapitel gesetzt hat. Die vorliegende Ausgabe gibt sie [in den Anmerkungen. Geändert. Re.] im jeweiligen Originaltext wieder. – Für das Kapitel 1 lautet sie:
Since I can do no good because a woman,
Reach constantly at something that is near it.
Beaumont and Fletcher: The Maid's Tragedy
Dorothea Brooke gehörte zu jenen Schönheiten, denen eine dürftige Kleidung zur Erhöhung ihrer Reize zu dienen scheint. Ihre Hand und ihr Handgelenk waren so schön geformt, daß sie getrost Aermel tragen konnte, welche ebenso styllos waren, wie die, in welchen die heilige Jungfrau den alten italienischen Meistern erschien, und ihr Profil sowohl, wie ihre ganze Gestalt und ihr Behaben, schienen durch ihre einfache Kleidung nur an Würde zu gewinnen, so daß ihre ganze Erscheinung inmitten der Modedamen der Provinz den Eindruck eines schönen Citats aus der Bibel – oder aus einem alten Dichter – in einem Zeitungsartikel machte.
Man bezeichnete sie allgemein als sehr gescheidt, fügte aber regelmäßig hinzu, daß ihre Schwester Celia mehr gesunden Menschenverstand habe. Gleichwol trug Celia kaum mehr Besatz an ihren Kleidern, und nur sehr scharfe Beobachter nahmen wahr, daß ihre Kleidung sich doch in Etwas von der ihrer Schwester unterschied und mit einer Nuance von weiblicher Coketterie arrangirt war; denn die einfache Toilette Dorothea Brooke's hatte ihren Grund in verschiedenen Ursachen, von denen die meisten auch für ihre Schwester maßgebend waren.
Das stolze Bewußtsein, Ladies zu sein, war eine dieser Ursachen: die Familie der Brooke's war, wenn auch nicht gerade eine aristokratische, doch unstreitig eine sehr gute; wenn man ihrer Herkunft eine oder zwei Generationen weit nachging, so fand man unter den Voreltern keine Handwerker oder Detaillisten, sondern nichts Geringeres als einen Admiral und einen Geistlichen; und wenn man den Stammbaum noch weiter zurückverfolgte, so kam man auf einen puritanischen Gentleman, der unter Cromwell gedient, sich aber später wieder der Staatskirche angeschlossen und sich als Eigenthümer eines respectablen Grundbesitzes allen politischen Verfolgungen zu entziehen gewußt hatte. Junge Damen von solcher Herkunft, welche in einem ruhigen Hause auf dem Lande lebten und eine Dorfkirche besuchten, die kaum größer war, als ein Wohnzimmer, betrachteten natürlich allen Putz als den Gegenstand des Ehrgeizes einer Hökerstochter. Ferner bestand in guten Familien damals noch eine Oeconomie, welche die Toilette als denjenigen Ausgabeposten betrachtete, welcher sich am ersten zu einer Einschränkung eigne, wenn es nothwendig erschien, gerade im Interesse der gesellschaftlichen Stellung das Budget durch Vergrößerung anderer Ausgaben zu belasten.
Diese und ähnliche Gründe würden, ganz abgesehen von religiösen Gefühlen, hingereicht haben, eine einfache Toilette zu erklären; in Dorothea Brooke's Fall aber würde die Religion allein ein genügendes Motiv gewesen sein, und Celia schloß sich allen Empfindungen ihrer Schwester in ihrer milden Weise an, nur daß sie dieselben mit jenem gesunden Menschenverstande durchdrang, welcher sich bedeutungsvolle Doctrinen ohne jede excentrische Aufregung anzueignen weiß.
Dorothea wußte viele Stellen aus Pascal's » Pensées« und aus Jeremy Taylor Jeremy Taylor (1613–1667) war Geistlicher der englischen Hochkirche; er errang Schriftstellerruhm während des Protektorats von Oliver Cromwell und gilt als einer der bedeutendsten Prosa-Schriftsteller in englischer Sprache. – Anm.d.Hrsg. auswendig; und die Bestimmung der Menschheit, wie sie dieselbe im Lichte des Christenthums ansah, ließ ihr das Interesse für weibliche Moden als eine tollhäuslerische Beschäftigung erscheinen. Sie vermochte die Bekümmernisse eines Seelenlebens, bei denen es sich um Folgen für die Ewigkeit handelte, nicht mit den nichtigen Sorgen für die Raffinements einer modernen Toilette in Einklang zu bringen. Die Richtung ihres Geistes war eine theoretische und ihre Natur verlangte nach einer einheitlichen und bedeutenden Auffassung der Welt, in welcher das Kirchspiel Tipton und die Art ihres Lebens in demselben ungezwungen einen Platz finden möchten; sie hatte eine leidenschaftliche Vorliebe für alles Große und Gewaltige, und ihre Sympathie war sofort Allem, was dieser Neigung zu entsprechen schien, gewonnen; sie war sehr geneigt, ein Märtyrerthum zu suchen, dann ihre schnell gefaßten Meinungen zu widerrufen und schließlich ein Märtyrerthum da zu finden, wo sie es gar nicht gesucht hatte.
Solche Elemente in dem Charakter eines heirathsfähigen Mädchens waren gewiß geeignet, auf ihr Schicksal entscheidend einzuwirken und zu verhindern, daß dasselbe, der bestehenden Sitte gemäß, durch ein hübsches Gesicht, durch Eitelkeit und durch eine rein sinnliche Zuneigung bestimmt werde. Bei alledem war sie, die ältere der beiden Schwestern, noch nicht zwanzig Jahre alt und beide hatten, seit sie vor etwa acht Jahren ihre Eltern verloren, nach einem ebenso beschränkten, wie unklaren Plane, zuerst in einer englischen Familie und später in einer Schweizerfamilie in Lausanne, eine Erziehung genossen, welche nach der Auffassung ihres ledigen Onkels und Vormundes die Nachtheile ihrer Elternlosigkeit ausgleichen sollte.
Es war kaum ein Jahr her, seit sie aus der Schweiz zurückgekehrt waren und auf »Tipton-Hof« mit ihrem Onkel, einem fast sechzigjährigen Manne von nachgiebigem Charakter, wechselnden Ansichten und unsicherem Urtheile, lebten. In seinen jüngeren Jahren war er gereist und hatte sich, wie die Leute meinten, bei jenen Reisen die Unentschlossenheit des Wesens angeeignet, welche ihn characterisirte. Seine Entschlüsse vorauszusagen war so schwer, wie das Wetter im Voraus zu bestimmen; Alles, was man mit einiger Sicherheit vorhersagen konnte, war, daß er sich bei seinen Handlungen von wohlwollenden Absichten leiten lassen und bei ihrer Ausführung möglichst wenig Geld ausgeben werde. Denn selbst Gemüther von der zähesten Unentschlossenheit hegen doch einige harte Gewohnheiten und man erzählt von einem Manne, der, von der äußersten Gleichgültigkeit gegen alle seine eigenen Interessen, nur seine Schnupftabaksdose mit argwöhnischer Wachsamkeit und eifersüchtiger Engherzigkeit hütete.
Herrn Brooke war die erbliche puritanische Energie offenbar abhanden gekommen; aber bei seiner Nichte Dorothea durchdrang dieselbe Alles, ihre Fehler und ihre Tugenden; diese Energie äußerte sich bisweilen als Ungeduld gegen die Reden ihres Onkels oder gegen seine Art, die Dinge auf seinem Gute gehen zu lassen, und ließ sie nur um so sehnlicher die Zeit ihrer Volljährigkeit herbeiwünschen, wo sie über einige Mittel zur Ausführung großherziger Lieblingspläne gebieten würde. Sie galt für eine Erbin; denn nicht nur, daß beide Schwestern von ihren Eltern jede eine Jahresrente von siebenhundert Pfund Sterl. geerbt hatten, sondern, falls Dorothea sich verheirathen und einen Sohn bekommen sollte, würde dieser Sohn Herrn Brooke's Gut erben, welches auf einen jährlichen Ertrag von dreitausend Pfund Sterl. geschätzt wurde. Eine solche Einnahme aber galt damals als Reichthum in den Augen der in der Provinz lebenden Familien, welche Robert Peels Robert Peel (1788-1850), britischer Staatsmann und Politiker; gilt als Begründer der Konservativen Partei. Er war ein Gegner der Katholikenemanzipation, d.h. er hielt an den Beschränkungen der Bürgerrechte der verbliebenen römisch-katholischen Bevölkerung fest. kürzliches Benehmen in Betreff der Katholiken-Emancipation discutirten, und noch keine Ahnung von der künftigen Entdeckung der Goldfelder und von jener prachtliebenden Plutokratie hatten, welche die Bedürfnisse eines fashionablen Lebens so maßlos steigern sollte.
Und warum sollte ein so schönes Mädchen mit so glänzenden Aussichten nicht heirathen? Nichts konnte sie daran hindern, als ihre Liebe zu Extremen und ihre entschiedene Neigung, das Leben nach Ideen zu gestalten, welche wol geeignet waren, einen vorsichtigen Mann stutzig zu machen, bevor er ihr seine Hand anböte, oder welche sie gar dahin bringen konnten, schließlich alle Anträge abzulehnen. Eine junge Dame von guter Herkunft und einigem Vermögen, welche gelegentlich an der Seite eines kranken Arbeiters plötzlich auf einem steinernen Fußboden niederkniete und inbrünstig betete, als ob sie sich in die Zeiten der Apostel zurückversetzt glaube, und welche die sonderbare Grille hatte, zu fasten wie eine Papistin und Nächte hindurch bei der Lectüre alter theologischer Schriften aufzusitzen, – bei einer solchen Frau hätte der Mann darauf gefaßt sein müssen, daß sie ihn eines schönen Morgens mit einem neuen Plane für die Verwendung ihres Vermögens aufwecken würde, der sich mit den Grundsätzen einer gesunden Nationalökonomie und dem Halten von Reitpferden schlecht vertragen möchte; jeder Mann würde sich voraussichtlich zweimal besinnen, bevor er das Wagniß einer solchen Verbindung unternähme. Man hielt damals dafür, daß Frauen schwache Gemüther haben müßten und betrachtete es als eine Gewähr für die Erhaltung der Gesellschaft und des Familienlebens, daß man nicht nach bestimmten Ansichten handele. Verständige Leute machten es wie ihre Nachbarn, so daß, wenn einzelne Irrsinnige frei herumliefen, man sie kennen und ihnen ausweichen konnte.
Die allgemeine Meinung der ländlichen Bevölkerung, selbst der kleinen Leute, sprach sich zu Gunsten Celia's aus, weil sie so liebenswürdig und freundlich sei, während die großen Augen der älteren Schwester, gleich ihrer religiösen Ueberzeugung etwas zu Ungewöhnliches und Auffallendes hätten. Die arme Dorothea! Im Vergleich zu ihr war die unschuldig aussehende Celia erfahren und weltklug; so wahr ist es, daß das Innere des Menschen unendlich viel feiner ist, als die äußere Erscheinung, die als eine Art von Zifferblatt des Innern betrachtet wird.
Und doch fanden die, welche sich Dorotheen mit dem durch jene Meinung hervorgerufenen Vorurtheil näherten, daß ihr Wesen einen unerklärlichen, mit jenem Vorurtheil unvereinbaren Reiz habe. Die meisten Männer fanden sie bezaubernd, wenn sie zu Pferde saß. Sie liebte die frische Luft und die Aussichten, die sich ihr bei weiteren Ausflügen darboten, und wenn ihre Augen und Wangen von verschiedenen angenehmen Empfindungen glühten, sah sie einer Frömmlerin sehr wenig ähnlich. Reiten war ein Vergnügen, das sie sich, gelegentlicher Gewissensscrupel ungeachtet, gestattete; sie fühlte, daß sie sich diesem Genusse mit einer heidnisch sinnlichen Empfindung hingab, und dachte immer daran, demselben zu entsagen.
Sie war offen, feurig und nicht im Mindesten von ihrem eigenen Werthe erfüllt; ja, es war anmuthig zu beobachten, wie ihre Einbildungskraft ihrer Schwester Celia viel größere Reize, als deren sie sich selbst erfreute, andichtete; und wenn einmal ein Herr aus einem anderen Grunde nach Tipton-Hof zu kommen schien, als um Herrn Brooke zu sehn, so hielt Dorothea es für ausgemacht, daß er in Celia verliebt sein müsse. So war es z. B. mit Sir James Chettam, bei welchem sie fortwährend daran dachte, ob es gut für Celia sein würde, seine Bewerbung anzunehmen. Ihn als einen Bewerber um ihre eigene Hand anzusehen, würde ihr als eine lächerliche Verkehrtheit erschienen sein. Dorothea hatte bei all ihrem eifrigen Streben, die Wahrheit des Lebens zu ergründen, sehr kindliche Ideen über die Ehe. Sie hielt sich überzeugt, daß sie dem scharfsinnigen Hooker Richard Hooker (1554-1600), bedeutender englischer Theologe; seine Ehe galt als unglücklich. – Anm.d.Hrsg., wenn sie früh genug auf die Welt gekommen wäre, um ihn vor jenem unglücklichen Mißgriff, den er bei seiner Ehe beging, zu bewahren, oder John Milton nach seiner Erblindung, oder irgend einem anderen großen Manne, dessen sonderbare Gewohnheiten zu ertragen ihr als ein rühmlich frommes Werk erschienen wäre, die Hand gereicht haben würde. Aber wie konnte ein liebenswürdiger hübscher Baronet, der alle ihre Bemerkungen, selbst wenn dieselben der Unsicherheit ihres Urtheils Ausdruck gaben, mit einem »vollkommen richtig« beantwortete, ihr den Eindruck eines ernstlichen Bewerbers um ihre Hand machen? Als das Ideal einer Ehe erschien ihr die, in welcher ihr Gatte eine Art von väterlichem Freund sein würde, der sie, wenn sie es wünschen sollte, selbst im Hebräischen unterweisen konnte.
Diese Sonderbarkeiten in Dorotheen's Charakter ließen es den benachbarten Familien nur um so tadelnswerther erscheinen, daß Herr Brooke nicht eine Dame von mittleren Jahren als erfahrene Gesellschafterin für seine Nichten engagire. Aber er selbst fürchtete die Art von überlegenen Frauen, zu welchen eine für eine solche Stellung geeignete Dame muthmaßlich gehören würde, so sehr, daß er sich gern von Dorotheen's Einwänden bestimmen ließ und in diesem Falle den Muth hatte, dem Urtheil der Welt, d. h. dem Urtheil der Frau Cadwallader, der Gattin des Pfarrers, und der kleinen Gruppe von Landedelleuten im nordöstlichen Winkel von Loamshire, mit welchen er verkehrte, zu trotzen. Dorothea Brooke stand daher dem Haushalte ihres Onkels vor und fand an dieser neuen Würde mit den Huldigungen, welche derselben dargebracht wurden, Gefallen.
Heute sollte Sir James Chettam mit einem anderen Herrn, welchen die Mädchen noch nie gesehen hatten, welchem aber Dorothea mit einer verehrenden Erwartung entgegensah, auf Tipton-Hof zu Mittag essen. Das war der Ehrwürdige Edward Casaubon, welcher in der Grafschaft in dem Rufe eines Mannes von tiefer Gelehrsamkeit stand und von welchem man wußte, daß er seit vielen Jahren an einem großen Werke über Religionsgeschichte arbeite, ein Mann, dessen Wohlhabenheit seiner Frömmigkeit einen besondern Glanz verlieh und welcher eigenthümliche Ansichten hatte, über die man durch die Veröffentlichung seines Werkes genauere Aufschlüsse erhalten solle. Schon sein bloßer Name »Casaubonus« erweckte eine Vorstellung von Gelehrsamkeit, freilich nur bei denen, welche in der Gelehrtengeschichte bewandert waren.
Schon früh am Tage war Dorothea aus der Warteschule, die sie im Dorfe gegründet hatte, nach Hause zurückgekehrt und hatte ihren gewöhnlichen Platz in dem hübschen Wohnzimmer, welches zwischen den beiden Schlafzimmern der Schwestern lag, eingenommen, um der Beendigung der Pläne für einige Gebäude, deren Entwerfung ihre Lieblingsbeschäftigung ausmachte, obzuliegen, als Celia, welche sie schon eine Zeit lang mit der Absicht, ihr etwas vorzuschlagen, zaghaft beobachtet hatte, zu ihr sagte:
»Liebe Dorothea, wenn Du nichts dagegen hast, wenn Du nicht sehr beschäftigt bist, – was meinst Du, wenn wir uns heute einmal Mama's Juwelen ansähen und sie unter uns theilten. Es sind heute gerade sechs Monate her, seit Onkel sie Dir gegeben hat, und Du hast sie noch nicht einmal angesehen.«
Auf Celia's Zügen malte sich bei diesen Worten ein leiser Schatten von zürnendem Ausdruck, während das volle Hervorbrechen eines Vorwurfs durch eine zur Gewohnheit gewordene Ehrfurcht vor Dorotheen und ihren Grundsätzen zurückgehalten wurde, zwei Empfindungen, aus welchen eine unvorsichtige Berührung leicht einen geheimnißvollen electrischen Funken herausschlagen konnte. Zu Celia's Beruhigung blickte Dorothea freundlich lachend auf.
»Was Du für ein vortrefflicher kleiner Kalender bist, Celia! Sind es sechs Kalendermonate oder sechs Mondmonate?«
»Heute schreiben wir den letzten September, und wir schrieben den ersten April, als Onkel Dir die Juwelen gab. Du weißt, daß er damals sagte, er habe sie bisher vergessen. Ich glaube, Du hast seit jener Zeit, wo Du den Schmuck hier in den Schrank verschlossest, gar nicht wieder an denselben gedacht.«
»Nun, liebes Kind, wir dürften ja doch nie etwas davon tragen.«
Dorothea sprach diese Worte in einem vollen herzlichen Tone, mit einem halb zuthunlichen, halb erklärenden Ausdruck. Sie hatte ihren Bleistift in der Hand und zeichnete eben kleine Nebenpläne auf den Rand ihres Papiers.
Celia erröthete und sah sehr ernst aus. »Ich denke, liebe Dorothea, wir würden dem Andenken Mama's zu nahe treten, wenn wir die Juwelen weglegten und gar nicht beachteten. Und,« fügte sie zaudernd mit einem halbunterdrückten Seufzer hinzu, »Halsbänder sind etwas ganz Gewöhnliches, und selbst Madame Poinçon, die in einigen Dingen noch strenger war als Du, pflegte Schmuck zu tragen. Und im Himmel giebt es gewiß christliche Frauen, welche auf Erden Juwelen getragen haben.« Celia war sich einer gewissen geistigen Stärke bewußt, sobald sie sich einmal ernsthaft auf's Argumentiren verlegte.
»Du möchtest sie tragen?!« rief Dorothea, mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens und mit einer dramatischen Geberde, die sie eben jener Madame Poinçon, welche Schmuck zu tragen pflegte, abgesehen hatte. »Gewiß, laß sie uns hernehmen. Warum hast Du mir das nicht früher gesagt? Aber die Schlüssel, wo sind die Schlüssel?« Dabei preßte sie die Hände gegen die Seiten ihres Kopfes, als verzweifle sie an ihrem Gedächtnis.
»Hier sind sie,« erwiderte Celia, welche diese Auseinandersetzung lange geplant und vorbereitet hatte.
»Bitte, öffne die große Schublade des Schranks und nimm den Juwelenkasten heraus.«
Der Kasten stand bald genug offen vor ihnen und die verschiedenen Juwelen lagen wie ein buntes Blumenbeet an dem Tische vor ihnen ausgebreitet. Es war keine große Auswahl, aber einige von den Schmucksachen waren von wirklich seltener Schönheit; unter ihnen fielen zwei, ein Halsband von dunkelvioletten, höchst elegant in Gold gefaßten Amethysten und ein Kreuz von Perlen mit fünf Brillanten, sofort als die schönsten in die Augen. Dorothea nahm das Halsband in die Hand und band es ihrer Schwester um den Hals, den es fast so eng wie ein Armband umschloß; aber dieses enge Halsband paßte gerade zu dem Henriette-Marien-Styl Henrietta Maria von Frankreich (1609-69), durch Ehe mit Karl I. englische Königin. – Anm.d.Hrsg. von Celia's Kopf und Hals, und daß dem so war, konnte sie selbst in dem gegenüberstehenden Spiegel sehen.
»Siehst Du, Celia, das kannst Du mit Deinem weißen Mousselinekleide tragen. Aber das Kreuz paßt zu Deinen dunklen Kleidern.«
Celia bemühte sich, ein freudiges Lächeln zu unterdrücken.
»O Dora, das Kreuz mußt Du für Dich behalten.«
»Nein, nein, liebes Kind,« sagte Dorothea, indem sie mit der Hand eine nachlässig abwehrende Bewegung machte.
»Ja wohl, ja wohl, Du mußt; es würde Dir bei Deinem schwarzen Kleide gut stehen,« erwiderte Celia dringend. »Du kannst es getrost tragen.
»Nein, nicht um Alles in der Welt. Ein Kreuz ist das letzte, was ich als Schmuck tragen möchte.« Dabei durchfuhr Dorothea ein leichter Schauer.
»Dann findest Du es wohl sträflich von mir, es zu tragen,« entgegnete Celia unbehaglich.
»Nein, liebes Kind, nein,« sagte Dorothea, indem sie ihrer Schwester die Wange streichelte, »auch die Seelen haben ihre Physiognomie; was sich für die Eine schickt, schickt sich nicht für die Andere.«
»Aber vielleicht möchtest Du es um Mama's Willen behalten.«
»O nein, ich habe andere Dinge von Mama, ihren Kasten von Sandelholz, den ich so sehr liebe, – eine Menge anderer Dinge. Die Juwelen sollen alle Dir gehören, liebes Kind. Wir brauchen also darüber nicht länger zu verhandeln. Komm, nimm Dein Eigenthum zu Dir.«
Celia fühlte sich ein wenig verletzt. Es lag etwas von anmaßlicher Ueberlegenheit in dieser puritanischen Toleranz, die für das leichte Blut der weniger überspannten Schwester kaum minder empfindlich war als puritanische Verfolgungssucht.
»Aber wie kann ich Schmucksachen tragen, wenn Du, die ältere Schwester, nie dergleichen tragen willst?«
»Nein, Celia, es ist zu viel verlangt, daß ich Schmuck tragen soll, um Dir Gesellschaft zu leisten. Wenn ich ein solches Halsband tragen müßte, so würde mir zu Muthe sein, als wenn ich Ballet tanzen sollte. Alles würde sich mit mir im Kreise herumdrehen, und ich würde nicht mehr aufrecht stehen können.«
Celia hatte das Halsband wieder abgenommen und – sagte mit einiger Genugthuung: »Es würde für Deinen Hals etwas zu eng sein; etwas Herabhängendes würde besser für Dich passen.« Das aus allen Gesichtspunkten vollkommen Unpassende des Halsbandes für Dorothea ließ Celia dasselbe um so lieber annehmen. Dann öffnete sie einige Kasten mit Ringen, unter denen ein schöner Smaragd mit Diamanten um so prächtiger erglänzte, als die eben hinter einer Wolke hervorbrechende Sonne den Ring mit einem hellen Strahl beleuchtete.
»Wie schön diese Edelsteine sind,« sagte Dorothea, in welcher der Sonnenstrahl plötzlich neue Empfindungen erweckt zu haben schien. »Es ist sonderbar, wie tief wir von Farben wie von Gerüchen beeindruckt werden. Ich denke mir, darum kommen in der Offenbarung Johannis Edelsteine als Embleme der Seele vor. Sie muthen uns an, wie Bruchstücke des Himmels. Mir scheint, der Smaragd da ist der schönste von allen.«
»Und da,« sagte Celia, »ist ein Armband, das dazu paßt und welches wir vorhin gar nicht bemerkt haben.«
»Sie sind reizend,« sagte Dorothea, indem sie den Ring und das Armband über ihren Finger und ihr schön geformtes Handgelenk gleiten ließ und ihre Hand auf einer Höhe mit ihren Augen gegen das Fenster hielt. Gleichzeitig war sie innerlich bemüht, ihr Gefallen an den schönen Farben dadurch vor sich selbst zu rechtfertigen, daß sie dieselben in ihre mystisch religiöse Ekstase verwebte.
»Diese Steine würden Dir doch gefallen, Dorothea,« sagte Celia mit etwas zitternder Stimme, indem sie staunend zu bemerken glaubte, daß ihre Schwester nicht frei von Schwäche sei, während sie andererseits dachte, daß Smaragden für ihren Teint noch besser passen würden als Amethyste.
»Wenn Du auch sonst nichts willst, den Ring und das Armband mußt Du behalten. Aber sieh doch, auch die Achate sind sehr hübsch und haben etwas so Ruhiges.«
»Ja,« erwiderte Dorothea, »ich will diesen Ring und das «« IF Armband behalten.« – »Aber,« fuhr sie, indem sie ihre Hand auf den Tisch fallen ließ, in einem anderen Tone fort. »Was sind es doch für unglückliche Menschen, die solche Dinge auffinden und verkaufen.« Sie hielt abermals inne, und Celia dachte, ihre Schwester werde nun wieder auf die Schmucksachen verzichten, wie sie es consequenter Weise hätte thun müssen. »Ja, liebste Celia,« nahm Dorothea in einem ganz entschlossenen Tone wieder auf, »ich will diese beiden Sachen behalten; aber nimm alles Uebrige mitsammt dem Kasten an Dich.« Sie nahm ihren Bleistift wieder zur Hand, ohne jedoch die Juwelen, welche sie noch immer ansah, zu entfernen. Sie dachte daran, wie sie dieselben oft vor sich haben möchte, um ihre Augen an diesen kleinen Quellen reiner Farben zu weiden.
»Wirst Du die Sachen in Gesellschaft tragen?« fragte Celia, welche wirklich neugierig darauf war, was Dorothea damit thun würde. Diese warf ihrer Schwester einen raschen Blick zu. Durch all das verklärende Licht, in welchem ihre Phantasie ihr Alle erscheinen ließ, die sie liebte, fuhr doch bisweilen blitzartig ein scharfes Urtheil. Wenn Dorothea jemals zu einer vollkommenen Milde ihres Wesens gelangen sollte, so würde nicht Mangel an innerem Feuer diese Umwandlung bewirken.
»Vielleicht,« erwiderte sie in etwas hochmüthigem Tone. »Ich kann nicht voraussagen, wie tief ich noch einmal sinken werde.«
Celia erröthete und fühlte sich unglücklich. Sie sah, daß sie ihre Schwester verletzt hatte, und wagte es nicht einmal, etwas Freundliches über die ihr überlassenen Schmucksachen zu sagen, sondern legte dieselben schweigend wieder in den Kasten und nahm sie fort.
Dorothea ihrerseits fühlte sich gleichfalls unglücklich, als sie wieder an ihren Bauplänen zeichnete, indem sie sich zweifelnd fragte, ob ihre Gefühle und ihre Worte bei dem Auftritte, dem jener kleine Zornesausbruch ein Ende gemacht hatte, ganz rein gewesen seien.
Celia's Bewußtsein sagte ihr, daß sie durchaus nicht im Unrecht gewesen sei; es war ganz natürlich und durchaus zu rechtfertigen, daß sie jene Frage gethan hatte, und sie fand noch immer, daß Dorothea inconsequent sei: entweder hätte sie ihren vollen Antheil an den Juwelen für sich nehmen oder nach der Art, wie sie sich geäußert hatte, ganz auf dieselben verzichten müssen.
»Ich wenigstens glaube zuversichtlich,« sagte sich Celia, »daß das Tragen eines Halsbandes mich nicht in meinen Gebeten stören wird und ich sehe nicht ein, warum ich mich jetzt, wo wir Gesellschaften besuchen werden, durch Dorotheen's Ansichten gebunden fühlen sollte, wenn sie selbst auch natürlich durch dieselben gebunden ist. Aber Dorothea ist nicht immer consequent.« Das waren Celien's Gedanken, als sie den Kopf auf ihre Stickerei gesenkt wieder dasaß, bis sie sich von ihrer Schwester gerufen hörte.
»Komm, Kitty, sieh Dir einmal meinen Plan an; ich werde mich für eine große Architectin halten, wenn ich nicht unmögliche Treppen und Kamine angelegt habe.«
Als Celia sich, dieser Aufforderung entsprechend, über das Blatt neigte, lehnte Dorothea liebkosend ihre Wange an den Arm ihrer Schwester. Celia verstand den Sinn dieser Liebkosung. Dorothea hatte eingesehen, daß sie Unrecht gehabt habe, und Celia verzieh ihr. So lange sie denken konnte, hatte in der Stimmung Celia's gegen ihre ältere Schwester eine Mischung von Ehrfurcht und Kritik gelegen. Die jüngere Schwester hatte stets ein Joch getragen; aber es giebt kein Geschöpf, welches ein Joch trüge, ohne wenigstens in seinen Ansichten seine Freiheit zu behaupten.