Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 7:

Piacer e popone
Vuol la sua stagione.
Italian Proverb.


Casaubon brachte natürlich einen großen Theil seiner Zeit in diesen Wochen auf Tipton-Hof zu und die durch seinen Brautstand verursachten Störungen in dem Fortgange seiner großen Arbeit, des »Schlüssel zu allen Mythologien,« ließen ihn natürlich um so sehnlicher den Augenblick erwarten, wo dieser Brautstand sein Ende erreicht haben würde. Aber er hatte sich diese Störungen wohlüberlegter Weise bereitet, da er zu der Ueberzeugung gelangt war, daß jetzt die Zeit für ihn gekommen sei, sein Leben mit den Reizen einer weiblichen Umgebung zu schmücken; die trüben Momente, welche bei einem so arbeitsamen Leben in den Pausen der Ermüdung unausbleiblich waren, durch die Anmuth weiblicher Unterhaltung zu erheitern und sich jetzt, auf der Höhe des Lebens, den Trost weiblicher Pflege für die Jahre des Alters zu sichern. Daher hatte er beschlossen, sich dem Strome seiner Empfindungen rückhaltlos hinzugeben, und wurde, vielleicht zu seiner großen Ueberraschung, inne, daß dieser Gefühlsstrom nur ein äußerst flaches Wässerchen sei. Gleich wie die ursprüngliche Taufe durch Untertauchen in wasserarmen Gegenden nur symbolisch vorgenommen werden konnte, so fand Casaubon, daß die tiefsten Stellen seines Gefühlsstromes doch nur so viel Wasser enthielten, um eine leichte Besprengung damit zu ermöglichen, und er schloß daraus, daß die Dichter doch die Gewalt männlicher Leidenschaft sehr übertrieben haben müßten. Gleichwohl beobachtete er mit Vergnügen, daß Dorothea ihm eine glühende Neigung und Hingebung bewies, in welcher er eine Gewähr der Erfüllung seiner angenehmsten Voraussichten für die Ehe erblickte. Ein paar Mal hatte er sich gefragt, ob vielleicht ein Mangel in Dorotheen's Wesen an der Kühle seiner Empfindungen Schuld sei; aber er vermochte weder einen solchen Mangel zu entdecken, noch sich überhaupt ein weibliches Wesen vorzustellen, welches ihm besser gefallen könnte als Dorothea, und so blieb nichts anderes übrig als wieder die menschlichen Uebertreibungen für das, was ihn in seinem Gemüthszustande anfänglich überrascht hatte, verantwortlich zu machen.

»Könnte ich mich nicht schon jetzt darauf vorbereiten, mich Ihnen später nützlich zu machen?« fragte Dorothea eines Morgens kurz nach ihrer Verlobung, »könnten Sie mich nicht lehren, Ihnen griechisch und lateinisch laut vorzulesen, wie Milton's Töchter ihrem Vater vorlasen, ohne das Gelesene zu verstehen?«

»Ich fürchte, das würde zu langweilig für Sie sein,« erwiderte Casaubon lächelnd, »und wenn ich mich recht erinnere, betrachteten die von Ihnen erwähnten jungen Damen jenes Exercitium in für sie unverständlichen Sprachen als einen Grund zur Auflehnung gegen den Dichter.«

»Das ist wohl wahr; aber erstens waren es sehr unartige Mädchen, sonst würden sie stolz darauf gewesen sein, sich einem solchen Vater nützlich machen zu können, und zweitens hätten sie für sich studiren und sich selbst lehren können, das was sie lesen mußten, zu verstehen, und dann würde es sie auch interessirt haben. Sie denken doch hoffentlich nicht von mir, daß ich mich unartig und dumm benehmen werde.«

»Ich denke von Ihnen, daß Sie den höchsten Erwartungen, welche man von einer ausgezeichneten jungen Dame hegen darf, in allen Verhältnissen des Lebens entsprechen werden. Ohne Zweifel würde es von großem Nutzen für mich sein, wenn Sie im Stande wären, griechische Lettern zu copiren, und zu diesem Zwecke möchte es förderlich für Sie sein, wenn Sie sich zuerst ein wenig im Lesen übten.«

Dorothea ergriff diese Aeußerung sofort als ein köstliches Zugeständniß. Sie würde es nicht gewagt haben, Casaubon gleich zu bitten, sie die Sprache zu lehren; denn sie fürchtete nichts mehr, als lästig zu werden, anstatt sich nützlich zu machen. Indessen entsprang ihr Wunsch, griechisch und lateinisch zu wissen, nicht lediglich der hingebenden Beflissenheit für ihren Gatten; diese Gebiete männlichen Wissens erschienen ihr als ein fester Grund, von welchem aus alle Wahrheiten mit größerer Sicherheit erkannt werden könnten. Jetzt zog sie im Gefühle ihrer Unwissenheit fortwährend die Richtigkeit ihrer eigenen Schlüsse in Zweifel; wie konnte sie Vertrauen zu ihrer Ansicht haben, daß Arbeiterwohnungen, die aus einem einzigen Raume bestanden, nicht zur Ehre Gottes errichtet sein könnten, wenn Männer, welche in den classischen Sprachen bewandert waren, jene Arbeiterwohnungen mit der Ehre Gottes verträglich zu finden schienen. Vielleicht, daß selbst Hebräisch nothwendig wäre, wenigstens das Alphabet und einige Wurzeln, um in den Kern der Dinge eindringen und sich ein gesundes Urtheil über die socialen Pflichten eines Christen bilden zu können.

Und sie war noch nicht auf dem Punkte der Entsagung angelangt, auf welchem es ihr genügt haben würde, einen weisen Gatten zu besitzen, das arme Kind wollte gern selbst weise sein. Dorothea war bei aller ihrer vielgerühmten Begabung und Bildung äußerst naiv. Celia, deren Geist man im Allgemeinen nicht für bedeutend hielt, hatte ein viel schärferes Auge für die Leere der Prätensionen anderer Menschen. Eine gewisse Kühle der Empfindung im Allgemeinen scheint die einzige sichere Waffe gegen die Gefahr zu sein, in einem gegebenen Falle zu lebhaft zu empfinden.

Indessen erklärte sich Casaubon bereit, eine Stunde lang abwechselnd zuzuhören und zu unterrichten, wie ein Schulmeister in einer kleinen Knabenschule oder wie ein Verliebter, für welchen die elementare Unwissenheit seiner Geliebten und die Schwierigkeiten, mit welchen sie zu kämpfen hat, etwas Rührendes haben. Es giebt wohl wenige Gelehrte, welche nicht unter solchen Umständen gern das Alphabet lehren würden. Aber Dorothea selbst war über ihre eigene Bornirtheit ein wenig erschrocken, und die Antworten, welche sie auf einige schüchterne Fragen in Betreff des Werthes der griechischen Accente erhielt, ließen sie schmerzlich empfinden, daß es sich hier doch wohl um Geheimnisse handeln müsse, welche dem weiblichen Verstande nicht zugänglich seien.

Herr Brooke war darüber gar nicht zweifelhaft und sprach seine Ueberzeugung eines Tages, als er grade während des Unterrichts in die Bibliothek trat, mit seiner gewöhnlichen Entschiedenheit aus.

»Aber ich bitte Sie, Casaubon, so tiefe Studien, wie die classischen Sprachen, Mathematik und dergleichen mehr, sind zu anstrengend für den weiblichen Verstand, – zu anstrengend, wissen Sie.«

»Dorothea lernt nur die Lettern,« erwiderte Casaubon mit Umgehung der eigentlichen Frage. »Sie ist rücksichtsvoll genug gewesen, an die Schonung meiner Augen zu denken.«

»Ah so, ohne zu verstehen, was sie liest, das ist vielleicht nicht so übel, wissen Sie. Aber der weibliche Geist ist doch nur für leichtere Dinge gemacht, für Dinge, die sich rasch erfassen und leicht behandeln lassen – Musik, die schönen Künste und dergleichen mehr – mit so etwas sollten sich Frauen bis zu einem gewissen Punkte befassen, – bis zu einem gewissen Punkte, in leichter Weise, wissen Sie. Eine Frau sollte immer im Stande sein, sich hinzusetzen und eine gute alte englische Melodie zu singen oder zu spielen. Das liebe ich, obgleich ich fast Alles gehört habe – ich war ja in der Oper in Wien – Gluck, Mozart, alle solche Musik. Aber in der Musik bin ich conservativ, da handelt es sich nicht um Ideen, wissen Sie. Ich lobe mir die guten, alten Melodien.«

»Herr Casaubon ist kein Freund vom Clavierspiel, und das freut mich sehr,« bemerkte Dorothea, deren geringe Achtung für häusliche Musik und weibliche Beschäftigung mit den schönen Künsten man ihr verzeihen muß, wenn man bedenkt, in welcher Weise in jenen Tagen von Frauen geklimpert und gesudelt wurde. Sie lächelte und blickte dankbar zu ihrem Verlobten auf. Wenn er sie bei jeder Gelegenheit gebeten hätte, die »Letzte Rose« zu spielen, so würde die Gewährung dieser Bitte sie viel Ueberwindung gekostet haben. »Er sagt mir, daß es nur ein altes Clavier in Lowick giebt, und daß dieses ganz mit Büchern bedeckt ist.«

»Darin thut es Dir Celia zuvor, liebes Kind. Siehst Du, Celia spielt sehr niedlich und ist immer bereit zu spielen. Indessen, wenn Casaubon kein Freund davon ist, hast Du ja ganz Recht. Aber es ist schade, Casaubon, daß Sie keinen Sinn für solche Erholungen haben. Den Bogen immer gespannt zu halten und so dergleichen, wissen Sie, thut nicht gut.«

»Ich habe es nie als eine Erholung betrachten können, mir die Ohren mit taktmäßigen Geräuschen plagen zu lassen,« sagte Casaubon. »Die oft wiederholte Melodie eines Liedes macht auf mich einen lächerlichen Eindruck, als ob die Worte eine Art Menuett tanzten, um im Takte zu bleiben, – einen Eindruck, der, glaube ich, wenn man den Knabenjahren entwachsen ist, nicht mehr zu ertragen ist. Was größere Gattungen der Musik anlangt, welche sich zur Verherrlichung feierlicher Gelegenheiten eignen und der Auffassung der Alten gemäß selbst als ein Erziehungsmittel dienen können, so sage ich darüber jetzt nichts, da wir uns augenblicklich nicht mit dieser Seite der Sache beschäftigen.«

»Nein; aber an solcher Musik würde ich Freude haben,« sagte Dorothea. »Als wir von Lausanne nach Hause reisten, ließ uns Onkel in Freiburg die große Orgel hören, und diese Töne rührten mich zu Thränen.«

»Solche Rührungen sind nicht gesund, mein Kind,« entgegnete Herr Brooke; »Casaubon, sie kommt jetzt in Ihre Hände, Sie müssen meine Nichte lehren, die Dinge ruhiger zu nehmen, wie Dorothea?«

Er brach lächelnd ab, denn er wollte seine Nichte nicht verletzen, dachte aber bei sich, daß es vielleicht wirklich besser für sie sei, sich früh mit einem so nüchternen Patron wie Casaubon zu verheirathen, da sie doch von Chettam nichts wissen wolle.

»Aber es ist doch merkwürdig,« dachte er, als er zum Zimmer hinauswackelte, »es ist merkwürdig, daß er ihr gefällt. Indessen die Partie ist gut; ich würde meine vormundschaftlichen Befugnisse überschritten haben, wenn ich mich der Heirath widersetzt hätte, – Frau Cadwallader mag sagen, was sie will! Es ist so gut wie gewiß, daß Casaubon noch einmal Bischof wird, – so gut wie gewiß. Seine Flugschrift über die katholische Frage kam sehr zur rechten Zeit; eine Dechantenstelle ist das Wenigste, worauf er rechnen kann. Sie sind ihm eine Dechantenstelle schuldig.«


Und hier muß ich mir von dem Leser die Erlaubniß zu einer philosophischen Reflexion erbitten, welche ich an die Bemerkung knüpfe, daß Herr Brooke bei dieser Gelegenheit noch nicht daran dachte, daß er später einmal eine radicale Rede gegen die Einnahmen der Bischöfe halten werde. Welcher gewandte Historiker würde sich eine so verlockende Gelegenheit entgehen lassen, darauf hinzuweisen, daß seine Helden weder die Weltgeschichte, noch selbst ihre eigenen Handlungen voraussahen. Zum Beispiel, daß Heinrich von Navarra, als protestantisches Kind, nicht daran dachte, einmal ein katholischer Monarch zu werden; oder daß Alfred der Große, als er die Stunden seiner arbeitsamen Nächte an brennenden Kerzen maß, keine Ahnung davon hatte, daß künftig einmal die Menschen die Stunden ihrer müßigen Tage an Uhren messen würden. Hier liegt eine Mine der Wahrheit, deren Schätze, selbst bei der emsigsten Ausbeutung doch wohl den Inhalt unserer Kohlengruben noch überdauern würden.

In Bezug auf Herrn Brooke muß ich aber noch eine, vielleicht weniger durch Präcedenzfälle unterstützte Bemerkung hinzufügen, nämlich die, daß es bei ihm, auch wenn er den Inhalt seiner künftigen Rede vorausgewußt hätte, doch keinen großen Unterschied gemacht haben würde. Mit Vergnügen daran zu denken, daß der Gatte seiner Nichte sich einer großen geistlichen Einnahme erfreue, war Eines, – eine liberale Rede zu halten, war ein Anderes. Das wäre ja auch ein beschränkter Geist, der einen Gegenstand nicht aus verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten vermöchte.



 << zurück weiter >>