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Zweites Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 2:

»›Dime; no ves aquel caballero que hacia nosotros viene sobre un caballo rucio rodado que trae puesto en la cabeza un yelmo de oro?‹ ›Lo que veo y columbro‹, respondio Sancho, ›no es sino un hombre sobre un as no pardo como el mio, que trae sobre la cabeza una cosa que relumbra‹. ›Pues ese es el yelmo de Mambrino‹, dijo Don Quijote.« – Cervantes.

»›Seest thou not yon cavalier who cometh toward us on a dapple-grey steed, and weareth a golden helmet?‹ ›What I see‹, answered Sancho, ›is nothing but a man on a grey ass like my own, who carries something shiny on his head‹. ›Just so‹, answered Don Quixote: ›and that resplendent object is the helmet of Mambrino.‹«


Mit Sir Humphrey Davy,« sagte Herr Brooke bei der Suppe in seiner behaglich lächelnden Weise, indem er an die Bemerkung Sir James Chettam's, daß er mit dem Studium von Davy's Agriculturchemie beschäftigt sei, anknüpfte, »mit Sir Humphrey Davy habe ich vor Jahren bei Cartwright gegessen, und Wordsworth William Wordsworth (1770-1850), englischer Dichter, führendes Mitglied der englischen Romantik. – Anm.d.Hrsg. war auch da – Sie wissen der Dichter Wordsworth. Das war nun sonderbar. Ich hatte zugleich mit Wordsworth in Cambridge studirt und hatte ihn dort nie getroffen, und nun saß ich zwanzig Jahre später bei Cartwright mit ihm zu Mittag. Es passiren doch oft eigenthümliche Dinge! Also Davy war da, und er war auch ein Dichter; oder, richtiger würde ich wol sagen: Wordsworth war der Poet Nummer eins und Davy der Poet Nummer zwei. Das ist in jedem Sinne wahr.«

Dorothea fühlte sich bei diesen Reden ihres Onkels noch etwas unbehaglicher als gewöhnlich. Gerade im Anfang des Mittagessens bei einer so kleinen Gesellschaft, wo es noch still im Zimmer war, machten sich die Ergüsse des Herrn Brooke gar zu bemerklich. Sie fragte sich, wie wol solche Trivialitäten auf einen Mann, wie Herrn Casaubon wirken müßten. Sein Wesen machte ihr einen sehr würdigen Eindruck. Sein stahlgraues Haar und seine tiefen Augenhöhlen ließen ihn dem Porträt Locke's Lehmann übersetzt »den Portraits Loke's«; im Original steht allerdings » the portrait of Locke,« womit der bedeutende englische Philosoph John Locke (1632-1704) gemeint ist. – Anm.d.Hrsg. ähnlich erscheinen. Seine Magerkeit und seine Blässe verkündeten den Gelehrten. Alles in Allem bildete er den schärfsten Gegensatz zu Sir James Chettam, welcher ein echter Repräsentant der Gattung blühender, rothbärtiger Engländer war.

»Ich studire die Agriculturchemie,« sagte der vortreffliche Baronet, »weil ich im Begriff stehe, die Bewirthschaftung eines meiner Pachthöfe selbst zu übernehmen, um zu sehen, ob ich nicht durch Herstellung einer Musterwirthschaft auf meine Pächter wirken kann. Halten Sie das für richtig, Fräulein Brooke?«

»Sehr verkehrt, Chettam,« schaltete Herr Brooke ein. – »Ich halte es für ganz verkehrt, Ihre Electricität und mehr dergleichen Geschichten in Ihren Boden hinein zu practiciren und einen Salon aus ihrem Kuhstall zu machen. Ich thue so etwas nicht. Ich habe mich seiner Zeit selbst sehr viel mit der Wissenschaft beschäftigt, aber ich habe eingesehen, daß die Sache nicht geht. Wenn man einmal mit dem Experimentiren anfängt, so ist gar kein Ende abzusehen. Nein, nein, achten Sie nur darauf, daß Ihre Gutsleute Ihr Stroh nicht verkaufen und was dergleichen mehr ist; und geben Sie ihnen Drainir-Röhren, wissen Sie. Aber mit Ihrer Musterwirthschaft ist es nichts, das ist das theuerste Spielzeug, das Sie sich anschaffen können; dafür können Sie sich eine Meute Hunde halten.«

»Es ist aber doch sicherlich besser,« bemerkte Dorothea, »Geld für Versuche auszugeben, die man anstellt, um zu erproben, wie die Menschen den Boden, der sie Alle ernährt, am ergiebigsten machen können, als für Hunde und Pferde, die diesen Boden nur zerstampfen. Es ist keine Sünde, sich bei der Anstellung von Versuchen zum Wohle Aller arm zu machen.«

Sie drückte sich energischer aus, als man es von einer so jungen Dame erwartet haben würde, aber Sir James hatte sich ja direkt an sie gewendet. Er that das gewöhnlich, und sie hatte schon oft daran gedacht, daß sie ihn zu vielen guten Handlungen würde bewegen können, wenn er erst ihr Schwager wäre.

Herr Casaubon heftete seine Blicke sehr fest auf Dorothea, während sie sprach, und schien sie auf's Neue zu beobachten.

»Junge Damen verstehen nichts von Nationalökonomie, wissen Sie,« sagte Herr Brooke, indem er Herrn Casaubon zulächelte. »Ich erinnere mich noch sehr wohl der Zeit, wo wir Alle Adam Smith lasen, das ist ein Buch! Ich nahm seiner Zeit alle die neuen Ideen in mich auf, die menschliche Vervollkommnungsfähigkeit, wissen Sie. Aber Einige behaupten, daß die Geschichte einen Kreislauf beschreibe, eine Behauptung, für welche sich gewiß sehr viel sagen läßt. Ich habe mich selbst zu dieser Ansicht bekannt. Die menschliche Vernunft läßt uns wirklich gar zu leicht über das Ziel schießen, wirklich gar zu leicht. Ich habe mich auch seiner Zeit zu weit von ihr hinreißen lassen, aber ich sah ein, daß es damit nicht geht, ich zog die Zügel noch rechtzeitig an, aber nicht zu heftig. Ich bin immer ein Freund von ein wenig Theorie gewesen. Wir können die Ideen nicht entbehren, sonst würden wir uns bald wieder in die finsteren Zeitalter zurückversetzt sehen. Aber da wir einmal von Büchern reden. Da ist ›Southey's Krieg in Spanien‹. Ich lese das des Morgens. Kennen Sie Southey?«

»Nein,« antwortete Herr Casaubon, welcher mit Herrn Brooke's sprudelndem Vortrag nicht Schritt zu halten vermochte und nur an das Buch dachte. »Es fehlt mir gerade jetzt an Muße für die Lektüre derartiger Bücher. Ich habe meine Augen letzthin bei der Entzifferung von alten Lettern sehr anstrengen müssen und suche jetzt einen Vorleser für die Abende, aber ich habe ein sehr empfindliches Ohr und würde es nicht ertragen können, mir mangelhaft vorlesen zu lassen. Das ist in mehr als einer Beziehung ein Unglück für mich; es macht auch, daß ich zu viel grüble und mich zu viel mit der Vergangenheit beschäftige. Mein Geist gleicht gewissermaßen dem abgestorbenen Geist eines Alten, der die Welt durchwandert und sie trotz aller Ruinen und verwirrenden Veränderungen zu reconstruiren sucht, wie sie einstmals war. – Aber ich bin auf die äußerste Schonung meiner Sehkraft angewiesen.«

Es war das erste Mal, daß Herr Casaubon sich etwas ausführlicher ausgesprochen hatte. Er drückte sich mit großer Präcision aus, wie wenn er aufgefordert wäre, öffentlich etwas zu constatiren; seine wohlerwogene monotone Redeweise, welche er mit einer gleichmäßigen Kopfbewegung begleitete, frappirte um so mehr, als sie den schärfsten Gegensatz zu der unordentlich abspringenden Manier des guten Herrn Brooke bildete. Dorothea dachte bei sich, Herr Casaubon sei der interessanteste Mann, der ihr noch je vorgekommen, selbst Herrn Liret, einen Waadtländischen Geistlichen, welcher in Lausanne Vorlesungen über die Waldenser gehalten hatte, nicht ausgenommen. Eine vergangene Welt im Hinblick auf die höchsten Zwecke der Wahrheit zu reconstruiren – das war eine Arbeit, bei welcher zugegen und, – wäre es auch nur durch das Halten der Lampe – behülflich sein zu dürfen, des höchsten Preises werth erschien.

Dieser erhebende Gedanke brachte sie auch über den Verdruß hinweg, den es ihr bereitete, mit ihrer Unwissenheit in der Nationalökonomie, dieser unergründlichen Wissenschaft, welche wie ein Auslöscher auf ihr ganzes geistiges Bewußtsein wirkte, geneckt zu werden.

»Sie reiten gern, Fräulein Brooke,« sagte Sir James gleich darauf, bei einer sich darbietenden Gelegenheit. »Ich hatte gehofft, Sie würden auch an dem Vergnügen der Jagd Geschmack finden. Wollen Sie mir nicht erlauben, Ihnen meinen Braunen zu schicken, um ihn einmal zu versuchen? Er ist darauf trainirt, von Damen geritten zu werden. Vorigen Sonnabend sah ich Sie die Anhöhe auf einem Gaule hinanreiten, der Ihrer nicht würdig war. Mein Reitknecht kann Ihnen den Corydon jeden Tag herbringen, wenn Sie nur die Güte haben wollen, die Zeit zu bestimmen.«

»Ich danke Ihnen, Sie sind sehr gütig. Aber ich will das Reiten ganz aufgeben. Ich will gar nicht mehr reiten,« erwiderte Dorothea, die sich zu diesem brüsken Entschluß durch einen kleinen Verdruß darüber gedrängt fühlte, daß Sir James es versuchte, ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, während sie dieselbe ganz Herrn Casaubon zuzuwenden wünschte.

»Nein, das wäre zu hart,« entgegnete Sir James in einem Tone des Vorwurfs, der von einem lebhaften Interesse zeugte. »Ihre Schwester gefällt sich in Selbstquälerei, nicht wahr?« fuhr er fort, indem er sich an Celia wandte, welche an seiner rechten Seite saß.

»Ich glaube ja,« antwortete Celia, mit allerliebstem Erröthen ängstlich besorgt, nichts zu sagen, was ihrer Schwester nicht angenehm sein möchte. »Sie liebt es, Dinge aufzugeben.«

»Wenn das wahr wäre, Celia, so wäre ja mein Aufgeben eine Nachgiebigkeit gegen mich selbst und keine Selbstquälerei. Aber es kann sehr gute Gründe geben, sich zu entschließen, etwas sehr Angenehmes nicht zu thun,« sagte Dorothea.

Zu gleicher Zeit sprach auch Herr Brooke; aber Herr Casaubon war augenscheinlich ganz in die Beobachtung Dorotheen's vertieft, was dieser keineswegs entging.

»Vollkommen richtig,« erwiderte Sir James auf die letzte, Bemerkung Dorotheen's. »Sie geben die Dinge aus edlen und großen Motiven auf.«

»Nein, das ist doch nicht ganz richtig. Das habe ich keineswegs von mir behauptet,« entgegnete Dorothea erröthend.

Anders als Celia erröthete sie nur selten und nur, wenn sie entzückt oder zornig war. In diesem Augenblick war sie entrüstet über Sir James' zudringliche Verbindlichkeit. Warum machte er nicht Celien den Hof und ließ sie in Ruhe Herrn Casaubon zuhören? – Wenn dieser gelehrte Mann nur selbst reden wollte, anstatt sich von ihrem Onkel etwas vorreden zu lassen, der ihm eben jetzt auseinander setzte, daß man sich bei dem Worte: »Reformation« etwas oder nichts zu denken habe, daß er selbst zwar mit Leib und Seele Protestant, daß aber der Katholicismus eine Thatsache sei und daß, wenn es sich frage, ob Jemand Recht thue, einen Acker seines Landes für eine römisch-katholische Kapelle zu verweigern, man bedenken müsse, daß alle Menschen des Zügels der Religion, welche genau genommen die Furcht vor dem Jenseits bedeute, bedürften.

»Ich habe mich auch einmal sehr ernst mit Theologie beschäftigt,« sagte Herr Brooke, wie wenn er sich über den Erwerb der eben kundgegebenen tiefen Einsicht von dem Wesen der Religion, ausweisen wollte. »Ich bin so ziemlich über die Lehren aller theologischen Schulen unterrichtet. Ich habe Wilberforce William Wilberforce (1759-1833), britischer Parlamentarier, Philanthrop und Anführer im Kampf gegen die Sklaverei. – Anm.d.Hrsg. in seiner besten Zeit gekannt. Kennen Sie Wilberforce?«

Herr Casaubon verneinte die Frage.

»Nun Wilbersorce war vielleicht kein großer Denker, aber wenn ich je in's Parlament eintreten sollte, wie ich es zu thun gebeten worden bin, würde ich, wie Wilberforce es seinerzeit that, meinen Platz auf der Seite der Unabhängigen einnehmen und für philantropische Zwecke wirken.«

Herr Casaubon verneigte sich zustimmend und bemerkte, das sei ein sehr weites Gebiet.

»Gewiß,« erwiderte Herr Brooke, behaglich lächelnd, »aber ich kann mich auf Dokumente stützen. Seit Jahren habe ich mir eine Sammlung von Dokumenten angelegt – Sie müssen nur noch geordnet werden. – So oft mich eine Frage frappirt hat, habe ich deswegen an Jemanden geschrieben und immer eine Auskunft erhalten; ich kann mich also auf Dokumente stützen; aber sagen Sie mir doch, wie ordnen Sie Ihre Dokumente?«

»Theilweise in Fächern,« erwiderte Herr Casaubon mit einem mühsam unterdrückten Ausdruck der Verwunderung.

»Ach, mit Fächern geht es nicht. Ich habe es mit Fächern versucht; aber in Fächern kommt Alles durcheinander. Ich weiß nie, ob ein Papier in Fach oder in Fach Z liegt.«

»Ich wollte, Du ließest mich Deine Papiere für Dich ordnen, Onkel,« sagte Dorothea. »Ich würde sie Alle mit Buchstaben versehen, und dann ein alphabetisch geordnetes Verzeichniß der in den Papieren behandelten Gegenstände anlegen.«

Herr Casaubon gab durch ein feierliches Lächeln seine Zustimmung zu erkennen und sagte zu Herrn Brooke: »Sie sehen, Sie haben einen vortrefflichen Secretair zu Ihrer Verfügung.«

»Nein, nein,« entgegnete Herr Brooke kopfschüttelnd, »ich kann junge Mädchen nicht über meine Papiere lassen. Junge Mädchen sind zu flüchtig.«

Dorothea fühlte sich verletzt. Mußte nicht Herr Casaubon glauben, daß ihr Onkel besondere Gründe zu seiner letzten Aeußerung habe, während doch diese Bemerkung unter all den übrigen in dem Geiste des Herrn Brooke abgelagerten Gedankensplittern nicht schwerer wog als ein geknickter Insektenflügel, den ein zufälliger Luftzug gerade ihr zugeführt hätte.

 

Als die beiden jungen Mädchen nach Tische allein im Wohnzimmer saßen, sagte Celia:

»Wie häßlich ist Herr Casaubon.«

»Celia! ich habe kaum je einen Mann mit einem bedeutenderen Gesichte gesehen. Er sieht Locke's Bild Bei Lehmann wiederum: »Locke's Bildern«; im englischen Original: » the portrait of Locke«. – Anm.d.Hrsg. merkwürdig ähnlich.«

»Hatte Locke auch zwei solche mit Haaren besetzte Muttermale?«

»Sehr möglich, für die Augen gewisser Leute,« antwortete Dorothea, indem sie sich abwandte.

»Herr Casaubon hat eine so fahle Gesichtsfarbe.«

»Desto besser. Du bewunderst wohl Männer, welche so rosig aussehen wie ein Mutterschweinchen.«

»Dora,« rief Celia, Dorotheen erstaunt nachsehend, »in meinem Leben habe ich Dich noch keinen solchen Vergleich machen hören.«

»Vermuthlich weil ich bis jetzt keine Veranlassung dazu hatte. Der Vergleich ist sehr gut, er paßt vortrefflich.«

Offenbar vergaß sich Dorothea in diesem Augenblick und das entging Celia keineswegs.

»Ich begreife nicht, warum Du die Sache persönlich nimmst, Dorothea!«

»Es verstimmt mich, Celia, daß Du menschliche Wesen nur wie angezogene Thiere betrachtest und keinen Sinn für den Ausdruck einer großen Seele in dem Gesichte eines Mannes hast.«

»Hat Herr Casaubon. eine große Seele?« fragte Celia, bei der gelegentlich eine Regung von naiver Malice zum Vorschein kam.

»Allerdings hat er die, nach meiner Ansicht,« antwortete Dorothea im Tone der vollsten Ueberzeugung. »Jeder Zug seines Wesens, wie es mir erscheint, entspricht dem Bilde, welches man sich von dem Verfasser der Schrift über biblische Kosmologie macht.«

»Er spricht sehr wenig,« bemerkte Celia.

»Weil Niemand da ist, mit dem er sich unterhalten könnte.«

Celia dachte bei sich: Also von Sir James Chettam denkt Dorothea ganz gering, ich glaube nicht, daß sie einen Antrag von ihm annehmen würde. Celia fand das sehr schade; denn sie hatte sich nie darüber getäuscht, für welche von ihnen Beiden der Baronet sich in Wahrheit interessire. Bisweilen war es ihr freilich so vorgekommen, als ob Dora einen Mann vielleicht nicht glücklich machen würde, der nicht ihre Art, die Dinge anzusehen, theilte, und im tiefsten Inneren ihres Herzens schlummerte der Gedanke, daß ihre Schwester sich zu ausschließlich in religiösen Ideen bewege, um für das Familienleben gemacht zu sein. Religiöse Ideen und Gewissensskrupel erschienen ihr wie verschüttete Nadeln, aus Furcht vor welchen man sich scheut, auf den Fußboden zu treten, sich niederzusetzen und selbst zu essen.

Als »die Herren sich zum Thee wieder zu den Damen gesellten, setzte sich Sir James, welcher Dorotheen's Art, ihm zu antworten, durchaus nicht als verletzend empfunden hatte, zu ihr. Warum sollte er auch. Er schmeichelte sich mit der Hoffnung, daß Dorothea ihn gern habe, und wenn wir Jemandem eine vorgefaßte, sei es günstige oder ungünstige Meinung, entgegenbringen, so muß das Benehmen desselben schon sehr prononcirt sein, wenn unsre Meinung in dem einen oder dem andern Sinne dadurch erschüttert werden soll. Er fand sie durchaus liebenswürdig gegen ihn; aber natürlich sah er sich doch veranlaßt, über seine Neigung ein wenig nachzudenken.

Er war eine durchaus gesunde Natur und hatte die seltene Eigenschaft der Selbsterkenntniß. Er war sich vollkommen bewußt, daß er mit seinen Talenten, auch wenn er sie zur vollsten Geltung bringen könnte, nichts in der Welt ausrichten würde. Daher lächelte ihm die Aussicht auf den Besitz einer Frau, zu der er sagen könnte: »Was sollen wir in dieser oder jener Angelegenheit thun,« welche ihrem Manne mit Argumenten aushelfen und diesen Argumenten durch ihr Vermögen den gehörigen Nachdruck geben könnte.

Was das von den Leuten gegen Dorothea erhobene Bedenken religiöser Excentricität betraf, so hatte er eine sehr vage Vorstellung von dem Wesen dieser Excentricität und hielt dafür, daß dieselbe sich in der Ehe ganz verlieren würde. Kurz, er glaubte sich sagen zu dürfen, daß der Gegenstand seiner Neigung ganz für ihn gemacht sei, und war vollkommen daraus gefaßt, sich in der Ehe von seiner Frau ein gut Theil Herrschaft gefallen zu lassen, die ja ein Mann doch am Ende jederzeit wieder abschütteln könne.

Aber es schien Sir James völlig unmöglich, daß er je in den Fall kommen könnte, sich der Herrschaft dieses schönen jungen Mädchens, dessen Geist ihn entzückte, entziehen zu wollen. Warum auch? Der Geist eines Mannes, mag er übrigens beschaffen sein, wie er will, hat doch immer den Vorzug, männlich zu sein, – wie die kleinste Birke immer einer höheren Gattung angehört als eine noch so hoch in die Lüfte strebende Palme, – und selbst seine Unwissenheit hat doch immer etwas Gesünderes.

Sir James würde vielleicht nicht von selbst auf diese Würdigung seiner Persönlichkeit gekommen sein, aber die gütige Vorsehung versieht auch die Schwächsten an Geist mit einem kleinen Halt in Gestalt von überkommenen Vorstellungen.

»Ich darf doch wohl hoffen, Fräulein Brooke,« sagte ihr beharrlicher Bewunderer, »daß Ihr Entschluß in Betreff des Pferdes nicht unwiderruflich ist. Ich versichre Sie, Reiten ist die gesündeste Körperbewegung.«

»Das weiß ich,« erwiderte Dorothea kalt. »Ich glaube, es würde für Celia sehr gut sein.«

»Aber Sie sind eine so vorzügliche Reiterin.«

»O nein, ich habe sehr wenig Uebung gehabt und Ihr Pferd würde mich sehr leicht abwerfen.«

»Das wäre ja nur ein Grund mehr für Sie, sich zu üben. Jede Dame sollte eine perfecte Reiterin sein, um ihren Mann auf seinen Ausflügen zu Pferde begleiten zu können.«

»Sehen Sie nur, wie weit unsere Ansichten auseinandergehen, Sir James. Ich bin zu der Ueberzeugung gelangt, daß es sich für mich nicht schicken würde, eine perfecte Reiterin zu sein, und so würde ich Ihrem Muster einer Dame niemals entsprechen können.«

Dorothea sagte das, indem sie gerade vor sich hinblickte, in einem kalten schroffen Tone und sah dabei in ergötzlichem Contraste zu der beflissenen Liebenswürdigkeit ihres Bewunderers wie ein trotziger Junge aus.

»Ich möchte wohl Ihre Gründe für diesen grausamen Entschluß kennen. Unmöglich können Sie doch das Reiten für etwas Unrechtes halten«

»Es ist gar nicht unmöglich, daß ich es für mich als etwas Unrechtes betrachte.«

»Warum denn das?« fragte Sir James in einem zärtlich vorwurfsvollem Tone.

Inzwischen war Herr Casaubon, seine Theetasse in der Hand haltend, an den Tisch heran getreten und hörte dem Gespräche zu. »Wir dürfen den Motiven von Handlungen nicht zu neugierig nachforschen,« bemerkte er jetzt in seiner gemessenen Weise. »Fräulein Dorothea weiß, daß Motive leicht schwach erscheinen, wenn sie ausgesprochen werden: ihr Duft vermengt sich dann mit der gröberen Luft. Wir müssen daher den Keim unserer Handlungen sorgfältig vor dem Lichte der Außenwelt schützen.«

Dorothea erröthete vor Vergnügen und blickte dankbar zu Herrn Casaubon auf. Das war ein Mann, der ein höheres inneres Leben zu verstehen im Stande war und mit welchem ein geistiger Verkehr möglich erschien, ja ein Mann, welchem das reichste Wissen zur Unterstützung seiner Prinzipien zu Gebote stand, – ein Mann, dessen Wissen so umfassend war, daß es ihm fast für Alles, was er glaubte, die Beweise an die Hand gab. Dorotheen's Schlüsse mögen gewagt erscheinen, aber ohne diese Kühnheit der Schlußfolgerungen, welche das Eingehen von Ehen in den verwickelten Verhältnissen der Civilisation so sehr erleichtert haben, würde das Leben zu allen Zeiten gestockt haben.

»Gewiß,« stimmte der gute Sir James bei. »Ich will Fräulein Dorothea nicht drängen, ihre Gründe anzugeben, sie zieht es vor, dieselben zu verschweigen. Ich bin überzeugt, sie würden ihr, wenn sie sie ausspräche, nur zur Ehre gereichen.«

Er war durchaus nicht eifersüchtig auf das Interesse, mit welchem Dorothea zu Herrn Casaubon aufgeblickt hatte, es kam ihm nicht in den Sinn, daß ein Mädchen, welchem er seine Hand anzubieten dachte, ein anderes Interesse an einem etwa fünfzigjährigen vertrockneten Bücherwurm nehmen könne, als das einer Art frommer Hochachtung für einen ausgezeichneten Geistlichen.

Als sich indessen Fräulein Dorothea in eine Unterhaltung über die Geistlichkeit des Waadtlandes mit Herrn Casaubon vertieft hatte, zog Sir James es vor, sich zu Celia zu begeben und sich nun mit dieser über ihre Schwester zu unterhalten; er sprach von einem Hause in London und fragte Celia, ob Dorothea etwas gegen London habe. Von ihrer Schwester entfernt, sprach Celia ganz zwanglos, und Sir James dachte bei sich, das zweite Fräulein Brooke sei doch ein ebenso angenehmes wie hübsches Mädchen, wenn auch nicht, wie einige Leute behaupteten, gescheidter und verständiger als ihre ältere Schwester. Er war überzeugt, die in jeder Beziehung bedeutendere von beiden Schwestern gewählt zu haben, und welcher Mann wäre nicht darauf bedacht, sich die Beste zu sichern.



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