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Monte Christo trat in den anstoßenden Salon, den Baptistin unter dem Namen der blaue Salon bezeichnet hatte, und in den schon vor ihm ein ziemlich elegant gekleideter junger Mann von ungezwungenen Manieren eingetreten war. Dieser lag auf dem Sofa und klopfte mit zerstreuter Miene seine Stiefel mit einem goldknöpfigen Röhrchen. Sobald er Monte Christo wahrnahm, stand er rasch auf.
Der Herr Graf von Monte Christo? fragte er.
Ja, antwortete dieser, und ich habe wohl die Ehre, mit dem, Herrn Grafen Cavalcanti zu sprechen?
Der Graf Andrea Cavalcanti, wiederholte der junge Mann, indem er diese Worte mit einer äußerst freien Verbeugung begleitete.
Sie müssen ein Beglaubigungsschreiben für mich haben?
Ja, unterzeichnet seltsamerweise von Simbad dem Seefahrer. Da ich aber diesen Simbad nur aus Tausendundeiner Nacht kannte, so . . .
Wohl, es ist ein Abkömmling von ihm, ein sehr reicher Freund von mir, ein mehr als origineller, fast närrischer Engländer, der mit seinem wahren Namen Lord Wilmore heißt.
Ah! das erklärt mir die Sache, versetzte Andrea. Dann geht es vortrefflich. Es ist derselbe Engländer, den ich kennen gelernt habe . . . in . . . ja, sehr gut! . . . Mein Herr Graf, ich bin Ihr Diener.
Wenn das, was Sie mir zu sagen die Güte haben, wahr ist, sagte lächelnd der Graf, so hoffe ich, daß Sie so gefällig sein werden, mir etwas Näheres über Sie und Ihre Familie mitzuteilen.
Sehr gern, Herr Graf, antwortete der junge Mann mit einer Zungenfertigkeit, die bewies, daß er ein gutes Gedächtnis besaß. Ich bin, wie Sie sagten, der Graf Andrea Cavalcanti, Sohn des Majors Bartolomeo Cavalcanti, Abkömmling der in das goldene Buch von Florenz eingetragenen Cavalcanti. Obgleich noch sehr reich, denn mein Vater besitzt ein Zinseneinkommen von einer halben Million, hat unsere Familie doch viel Unglück erfahren, und ich selbst, mein Herr, bin in einem Alter von fünf Jahren durch einen ungetreuen Hofmeister geraubt worden und habe deshalb seit fünfzehn Jahren den Urheber meiner Tage nicht gesehen. Seitdem ich das Alter der Vernunft erreicht und Herr meiner selbst bin, suche ich ihn vergebens. Endlich meldet mir dieser Brief Ihres Freundes Simbad, daß er sich in Paris befindet, und erteilt mir Vollmacht, mich an Sie zu wenden, um weitere Auskunft zu erhalten.
In der Tat, mein Herr, alles, was Sie mir da erzählen, ist sehr interessant, sagte der Graf, der mit ingrimmiger Zufriedenheit die dreiste Miene des Sprechers betrachtete, und Sie werden wohl daran tun, wenn Sie in allen Stücken der Aufforderung meines Freundes Simbad entsprechen, denn Ihr Vater ist in der Tat hier und sucht Sie.
Der Graf hatte seit seinem Eintritt in den Salon den jungen Mann nicht aus dem Gesichte verloren; er bewunderte die Festigkeit seines Blickes und die Sicherheit seiner Stimme. Doch bei den Worten: Ihr Vater ist in der Tat hier und sucht Sie, machte der junge Andrea einen Sprung und rief entsetzt: Mein Vater? Mein Vater hier?
Allerdings, erwiderte Monte Christo, Ihr Vater, der Major Bartolomeo Cavalcanti.
Der Ausdruck des Schreckens, der sich über die Züge des jungen Mannes verbreitet hatte, verschwand fast in demselben Augenblick wieder.
Ah! ja, es ist wahr, rief er, der Major Cavalcanti. Und Sie sagen, dieser liebe Vater sei hier?
Ja, mein Herr. Ich sage noch mehr. Soeben habe ich ihn verlassen; die Geschichte, die er mir von seinem geliebten, einst verlorenen Sohn erzählte, ergriff mich ungemein; seine Schmerzen, seine Befürchtungen, seine Hoffnungen wegen dieses Sohnes klingen wie ein rührendes Gedicht. Endlich hört er eines Tags, die Räuber seines Sohnes seien bereit, den Geraubten gegen eine sehr bedeutende Summe zurückzugeben oder ihm mitzuteilen, wo er sei. Nichts hielt den guten Vater zurück. Die Summe wurde an die Grenze von Piemont geschickt . . . Sie befanden sich, glaube ich, im Süden Frankreichs?
Ja, mein Herr, antwortete Andrea mit einer ziemlich verlegenen Miene; ja, ich befand mich im Süden Frankreichs.
Ein Wagen sollte Sie in Nizza erwarten?
So ist es, er führte mich von Nizza nach Genua und über Turin nach Paris.
Vortrefflich; er hoffte immer, Ihnen unterwegs zu begegnen, denn dies war die Straße, die er selbst verfolgte.
Aber wenn er mir begegnet wäre, dieser liebe Vater, sagte Andrea, ich zweifle, ob er mich erkannt haben würde; es ist eine ziemliche Veränderung mit mir vorgegangen, seitdem er mich aus dem Gesichte verloren hat.
Ah! die Stimme des Blutes, sagte Monte Christo.
Ah! ja, das ist wahr, erwiderte der junge Mann, ich dachte nicht an die Stimme des Blutes.
Nun beunruhigt nur ein Gedanke den Marquis Cavalcanti, versetzte Monte Christo; was Sie wohl getan haben, während Sie von ihm entfernt waren; wie Sie von Ihren Verfolgern behandelt worden sind; ob man Ihrer Abkunft die schuldige Rücksicht hat zu teil werden lassen, ob nicht die Fähigkeiten, mit denen Sie die Natur so reich begabte, in jener Umgebung vernachlässigt worden sind, und ob Sie selbst meinen, den Ihnen gebührenden Rang wieder einnehmen und würdig behaupten zu können.
Mein Herr, stammelte der junge Mann verwirrt, ich hoffe, es wird kein falscher Bericht . . ., übrigens, er kann ruhig sein. Die Räuber, die mich von meinem Vater entfernten und ohne Zweifel, wie sie es später getan, mich an ihn zu verkaufen beabsichtigten, berechneten, daß man mir, um einen guten Nutzen aus mir zu ziehen, meinen ganzen persönlichen Wert lassen und ihn sogar, wenn es möglich wäre, steigern müßte. Ich erhielt daher eine ziemlich gute Erziehung und wurde von den Kinderdieben ungefähr so behandelt, wie einst in Kleinasien die Sklaven, aus denen ihre Herren Grammatiker, Mediziner und Philosophen machten, um sie teuer auf dem Markte zu Rom zu verkaufen.
Monte Christo lächelte zufrieden; er hatte, wie es scheint, nicht so viel von Andrea Cavalcanti gehofft.
Wenn sich übrigens, versetzte der junge Mann, bei mir ein Mangel an Erziehung, oder vielmehr an Weltgewandtheit zeigen sollte, so wird man wohl die Nachsicht haben, dies zu entschuldigen, in Betracht der Unglücksfälle, die mich seit meiner Jugend verfolgten.
Nun, Graf, Sie werden daraus machen, was Sie wollen, sagte mit gleichgültigem Tone Monte Christo; denn Sie sind der Herr, und es geht nur Sie an; doch auf mein Wort, ich würde im Gegenteil nicht eine Silbe von all diesen Abenteuern sprechen, denn Ihre Geschichte ist ein Roman, und kaum haben Sie irgend jemand davon erzählt, so wird sie völlig entstellt in der Welt umlaufen. Sie werden nicht mehr ein wiedergefundenes Kind, sondern ein Findelkind sein. Vielleicht wird Ihnen der Erfolg zuteil, daß Sie Neugierde erregen; doch nicht jeder liebt es, der Mittelpunkt von Beobachtungen und die Zielscheibe von Kommentaren zu sein. Das wird Ihnen etwas unangenehm werden.
Ich glaube, Sie haben recht, Herr Graf, sagte der junge Mann, unter Monte Christos unbeugsamem Blicke unwillkürlich erbleichend; es ist dies eine große Unannehmlichkeit.
Oh! Sie müssen sich andererseits die Sache nicht übertrieben vorstellen, entgegnete Monte Christo; denn das hieße, um einen Fehler zu vermeiden, in eine Torheit verfallen. Nein, es gilt nur, einen Plan des Vorgehens festzustellen, und von einem gescheiten Manne, wie Sie sind, läßt sich dieser Plan um so eher durchführen, als er mit Ihren Interessen im Einklang steht; Sie müssen eben durch Zeugnisse und ehrenwerte Verbindungen alles bekämpfen, was Ihre Vergangenheit etwa Dunkles hat.
Andrea verlor sichtbar seine Haltung.
Gern würde ich mich Ihnen als Bürge anbieten, sagte Monte Christo; doch es ist bei mir oberster Grundsatz, stets an meinen besten Freunden zu zweifeln, und ein Bedürfnis, auch die andern zum Zweifel anzuregen. So würde ich hier eine Rolle spielen, die nicht in meinem Fache läge, wie die Schauspieler sagen, und ich liefe Gefahr, mich auspfeifen zu lassen!
Herr Graf, versetzte Andrea mit kaltem Tone, ich denke jedoch, in Rücksicht auf Lord Wilmore, der mich Ihnen empfohlen hat . . .
Ja, gewiß; doch Lord Wilmore verhehlt mir nicht, mein lieber Herr Andrea, daß Sie eine etwas stürmische Jugend hinter sich haben. Oh! sagte der Graf, als er Andreas Bewegung sah, ich verlange keine Beichte von Ihnen. Dazu hat man zu Ihrer Beruhigung den Herrn Marquis Cavalcanti, Ihren Vater, von Lucca kommen lassen. Sie werden sehen, er ist ein wenig steif, etwas geschraubt; doch das ist schließlich eine Uniformfrage, und wenn man erfährt, daß er seit seinem achtzehnten Jahre in österreichischen Diensten steht, ist alles entschuldigt. Doch, ich versichere Ihnen, er genügt als Vater völlig.
Ah! Sie beruhigen mich, mein Herr, ich verließ ihn vor so langer Zeit, daß ich keine Erinnerung mehr an ihn habe.
Und Sie wissen, ein großes Vermögen läßt über vieles hinwegsehen.
Mein Vater ist also wirklich reich, mein Herr?
Millionär . . . 500 000 Franken Rente.
Ich werde mich also in einer angenehmen Lage befinden? fragte ängstlich der junge Mann.
In einer äußerst angenehmen, mein lieber Herr; er gibt Ihnen fünfzigtausend Franken jährlich, solange Sie in Paris bleiben.
Dann werde ich immer hier bleiben.
Ei! wer kann für die Umstände bürgen? Der Mensch denkt, Gott lenkt.
Andrea stieß einen Seufzer aus und erwiderte: Aber solange ich in Paris bleibe und kein Umstand mich zwingt, wegzugehen, ist mir das Geld, von dem Sie soeben sprachen, sicher?
Durch meinen Vater? fragte Andrea mit einer gewissen Unruhe.
Ja, aber garantiert durch Lord Wilmore, der Ihnen auf die Bitte Ihres Vaters einen Kredit von fünftausend Franken monatlich bei Herrn Danglars, einem der sichersten Bankiers von Paris, eröffnet hat.
Und mein Vater gedenkt, lange in Paris zu bleiben? fragte Andrea mit derselben Unruhe.
Nur einige Tage, antwortete Monte Christo. Sein Dienst erlaubt ihm nicht, länger als zwei bis drei Wochen abwesend zu sein.
Oh, der liebe Vater! rief Andrea, sichtbar entzückt über diese schnelle Abreise.
Auch will ich, versetzte Monte Christo, der sich stellte, als täuschte er sich über das in den Worten des jungen Mannes zum Ausdruck gekommene Gefühl, auch will ich die Stunde Ihrer Wiedervereinigung keinen Augenblick mehr verzögern. Sind Sie vorbereitet, den würdigen Herrn Cavalcanti zu umarmen?
Sie zweifeln hoffentlich nicht daran?
Nun, so treten Sie in diesen Salon, mein junger Freund, und Sie werden Ihren Vater finden, der Sie erwartet.
Andrea machte eine tiefe Verbeugung vor dem Grafen und trat in den Salon.
Der Graf folgte ihm mit den Augen und drückte, sobald er ihn verschwinden sah, an einer Feder, die mit einem Gemälde in Verbindung stand, das sich aus dem Rahmen schob und so durch einen geschickt angebrachten Zwischenraum den Blick in den Salon dringen ließ.
Andrea machte die Tür hinter sich zu und näherte sich dem Major, der sich erhob, sobald er das Geräusch seiner Tritte hörte.
Ah! mein Herr und lieber Vater, sagte Andrea mit lauter Stimme und so, daß es der Graf durch die geschlossene Tür hören konnte, sind Sie es wirklich?
Guten Tag, mein lieber Sohn, sagte der Major mit ernstem Tone.
Nach so vielen Jahren der Trennung, fuhr Andrea, nach der Tür schielend fort, welch ein Glück, uns wiederzusehen!
In der Tat, die Trennung hat lange gedauert.
Umarmen wir uns nicht, mein Herr? fragte Andrea.
Und die beiden umarmten sich, wie man sich auf der Bühne umarmt, das heißt, sie streckten sich den Kopf über die Schulter.
So sind wir also wieder vereinigt? sagte Andrea.
Wir sind wiedervereinigt, wiederholte der Major.
Um uns nie mehr zu trennen?
In der Tat; ich glaube, mein lieber Sohn, Sie betrachten Frankreich nunmehr als ein zweites Vaterland?
Ich wäre allerdings in Verzweiflung, wenn ich Paris verlassen müßte.
Und ich vermöchte, wie Sie begreifen, nicht außerhalb Luccas zu leben. Ich werde daher sobald als möglich nach Italien zurückkehren.
Doch ehe Sie abreisen, mein geliebter Vater, stellen Sie mir ohne Zweifel die Papiere zu, mit deren Hilfe ich imstande bin, leicht nachzuweisen, von welchem Blute ich abstamme.
Allerdings, denn ich komme ausdrücklich deshalb und habe es mich so viel Mühe kosten lassen, Sie zu treffen, um sie Ihnen zustellen zu können.
Andrea griff gierig nach dem Trauscheine seines Vaters, nach seinem eigenen Taufscheine und durchlief, nachdem er das Ganze mit einem bei einem guten Sohn erklärlichen Ungestüm geöffnet hatte, die Papiere mit einer Hast und Gewandtheit, die zugleich das geübte Auge und das lebhafteste Interesse verrieten.
Als er damit zu Ende war, erglänzte ein unbeschreiblicher Ausdruck von Freude auf seiner Stirn, und er sagte, den Major mit einem seltsamen Lächeln anschauend, in vortrefflichem Toskanisch: Ah! es gibt also keine Galeeren in Italien?
Der Major warf sich zurück und rief: Was meinen Sie?
Daß man ungestraft solche Dokumente fabriziert? Für die Hälfte davon, mein vielgeliebter Vater, würde man Sie in Frankreich auf fünf Jahre die Luft von Toulon einatmen lassen.
Wie beliebt? sagte der Lukkeser, der eine majestätische Miene zu erlangen suchte.
Mein lieber Herr Cavalcanti, sagte Andrea, den Major am Arme fassend, wieviel gibt man Ihnen dafür, daß Sie mein Vater sind?
Der Major wollte sprechen.
Stille! sagte Andrea, die Stimme dämpfend, ich will Ihnen zuerst Vertrauen schenken; man bezahlt mir fünfzigtausend Franken jährlich dafür, daß ich Ihr Sohn bin; Sie begreifen folglich, daß ich nie geneigt sein werde, zu leugnen, Sie seien mein Vater.
Der Major schaute unruhig umher.
Oh! seien Sie unbesorgt, wir sind allein, versetzte Andrea; überdies sprechen wir Italienisch.
Nun wohl, mir gibt man ein für alle Mal fünfzigtausend Franken, sprach der Lukkeser.
Herr Cavalcanti, glauben Sie an Feenmärchen?
Nein, früher nicht; aber jetzt muß ich daran glauben.
Sie haben also Beweise erhalten?
Der Major zog eine Handvoll Gold aus seiner Tasche.
Handgreifliche, wie Sie sehen.
Sie denken, ich könne den Versprechungen trauen, die man mir gemacht hat?
Ich glaube es.
Und dieser brave Mann von einem Grafen werde sie halten?
Punkt für Punkt; doch Sie begreifen, um zu diesem Ziele zu gelangen, müssen wir unsere Rollen spielen.
Wie denn?
Und ich als ehrfurchtsvoller Sohn.
Da sie verlangen, daß Sie von mir abstammen.
Welche sie?
Verdammt, ich weiß es nicht, die, welche uns schrieben; haben Sie nicht auch einen Brief bekommen?
Doch wohl.
Von wem?
Von einem gewissen Abbé Busoni.
Den Sie nicht kennen?
Ich habe ihn nie gesehen. Was sagte Ihnen der Brief, den Sie erhielten?
Sie werden mich nicht verraten?
Ich werde mich wohl hüten, unsere Interessen sind dieselben.
So lesen Sie.
Und der Major gab dem jungen Mann einen Brief.
Andrea las mit leiser Stimme:
Sie sind arm, ein unglückliches Alter erwartet Sie. Wollen Sie, wenn nicht reich, doch wenigstens unabhängig werden?
Reisen Sie auf der Stelle nach Paris und fordern Sie bei dem Herrn Grafen von Monte Christo, Avenue des Champs Elysées, Nr. 30, den Sohn zurück, den Sie von der Marchesa Corsinari gehabt haben und der Ihnen in einem Alter von fünf Jahren gestohlen worden ist.
Dieser Sohn heißt Andrea Cavalcanti.
Damit Sie die Absicht des Unterzeichneten, Ihnen angenehm zu sein, nicht in Zweifel ziehen, finden Sie anbei:
Eine Anweisung von zweitausend vierhundert toskanischen Lire, zahlbar bei Herrn Gozzi in Florenz.
Einen Brief zum Zweck der Einführung bei dem Herrn Grafen von Monte Christo, auf den ich Sie mit einer Summe von achtundvierzigtausend Franken akkreditiere.
Finden Sie sich am 26. Mai abends um sieben Uhr bei dem Grafen ein.
Abbé Busoni.
Wie, so ist es? Was wollen Sie damit sagen? fragte der Major.
Ich sage, daß ich einen ungefähr ähnlichen Brief erhalten habe.
Sie? Von dem Abbé Busoni?
Von einem Engländer, von einem gewissen Lord Wilmore, der den Namen Simbad der Seefahrer annahm.
Und den Sie ebensowenig kennen, wie ich den Abbé Busoni?
Doch; ich bin weiter vorgerückt als Sie.
Sie haben ihn gesehen?
Ja, einmal.
Wo?
Ah! das ist es gerade, was ich Ihnen nicht sagen kann; sonst wüßten Sie so viel wie ich, und das ist nicht nötig.
Dieser Brief sagte Ihnen?
Lesen Sie!
Sie sind arm und sehen nur einer elenden Zukunft entgegen; wollen Sie einen Namen haben, frei sein, reich sein?
Nehmen Sie den Postwagen, den Sie bespannt finden, wenn Sie von Nizza durch das Genueser Tor weggehen. Reisen Sie durch Turin, Chambéry und Pont-de-Beauvoisin. Begeben Sie sich zu dem Grafen von Monte Christo, Avenue des Champs Elysées, am 26. Mai um sieben Uhr abends, und fordern Sie Ihren Vater von ihm.
Sie sind der Sohn des Marquis Bartolomeo Cavalcanti und der Marchesa Oliva Corsinari, wie dies die Ihnen von dem Marquis zu übergebenden Papiere bestätigen werden, die Ihnen unter diesem Namen in der Pariser Welt zu erscheinen gestatten.
Was Ihren Rang betrifft, so wird Sie eine Rente von fünfzigtausend Lire in den Stand setzen, denselben zu behaupten.
Sie erhalten anbei eine Anweisung auf fünftausend Lire an Herrn Ferrea, Bankier zu Nizza, und einen Einführungsbrief für den Grafen von Monte Christo, der von mir beauftragt ist, für die Befriedigung aller Ihrer Bedürfnisse zu sorgen.
Simbad der Seefahrer.
Hm, sagte der Major, das ist sehr schön!
Nicht wahr?
Sie haben den Grafen gesehen? Hat er anerkannt?
Alles.
Begreifen Sie etwas hiervon?
Meiner Treu, nein.
In dieser ganzen Geschichte ist einer der Tor.
Auf jeden Fall weder Sie noch ich.
Nein, gewiß nicht.
Wohl, aber wer sonst?
Daran ist wenig gelegen, nicht wahr?
Allerdings, das wollte ich eben sagen; setzen wir unsere Rollen fort und spielen ein gemeinschaftliches Spiel. Gut; Sie werden mich würdig finden, Ihr Partner zu sein. Ich habe nicht einen Augenblick daran gezweifelt, mein lieber Vater.
Sie erweisen mir viel Ehre, mein lieber Sohn.
Monte Christo wählte diesen Augenblick, um in den Salon zurückzukehren. Als sie das Geräusch seiner Tritte hörten, warfen sie sich in die Arme; der Graf fand sie eng umschlossen.
Nun, Herr Marquis, es scheint, Sie haben einen Sohn nach Ihrem Herzen wiedergefunden?
Ah! Herr Graf, die Freude erstickt mich fast.
Und Sie, junger Mann?
Ah! Herr Graf, das Glück erstickt mich.
Glücklicher Vater! glückliches Kind! rief der Graf.
Nur eines betrübt mich, sagte der Major; die Notwendigkeit, in der ich mich befinde, Paris so schnell zu verlassen.
Oh! lieber Herr Cavalcanti, Sie werden hoffentlich nicht eher abreisen, als bis ich Sie einigen Freunden vorgestellt habe, entgegnete Monte Christo.
Ich stehe dem Herrn Grafen zu Befehl, sagte der Major.
Nun beichten Sie, junger Mann, sagte Monte Christo.
Wem?
Ihrem Herrn Vater, sagen Sie ihm ein paar Worte von dem Zustand Ihrer Finanzen.
Ah! Teufel! rief Andrea; Sie berühren die empfindlichste Seite.
Hören Sie, Major? sagte Monte Christo.
Allerdings höre ich.
Das gute Kind sagt, es brauche Geld!
Was soll ich tun?
Bei Gott, Sie müssen ihm geben!
Ich?
Ja Sie.
Monte Christo trat zwischen beide.
Nehmen Sie, sagte er zu Andrea und drückte ihm ein Päckchen mit Banknoten in die Hand.
Was ist das?
Die Antwort Ihres Vaters.
Meines Vaters?
Gaben Sie ihm nicht zu verstehen, Sie hätten Geld nötig?
Ja. Nun?
Er beauftragt mich, Ihnen dies zuzustellen.
Auf Abschlag von meiner Rente?
Nein, zur Deckung Ihrer Einrichtungskosten.
Oh, teurer Vater!
Still, sagte Monte Christo, Sie sehen, ich soll Ihnen nicht sagen, daß es von ihm kommt.
Ich weiß diese Zartheit zu würdigen, versetzte Andrea und steckte die Banknoten in seine Tasche.
Es ist gut, gehen Sie nun! sagte Monte Christo.
Und wann werden wir die Ehre haben, den Herrn Grafen wiederzusehen? fragte Cavalcanti
Ah! ja, wiederholte Andrea; wann werden wir diese Ehre haben?
Sonnabend, wenn Sie wollen . . . ja . . . Sonnabend. Ich habe in meinem Hause in Auteuil, Rue de la Fontaine, Nr. 30, mehrere Personen bei Tische, und unter anderen Herrn Danglars, Ihren Bankier; ich werde Sie ihm vorstellen, denn er muß Sie beide kennen, um Ihnen Ihr Geld auszuzahlen.
In Gala? fragte mit heller Stimme der Major.
In Gala: Uniform, Kreuze, kurze Hose.
Und ich? fragte Andrea.
Oh! Sie, sehr einfach. Schwarze Beinkleider, lackierte Stiefel, weiße Weste, schwarzer Frack, lange Halsbinde; lassen Sie sich bei Blin oder bei Veronique kleiden. Baptistin wird Ihnen die Adresse dieser Herrn geben. Je weniger anspruchsvoll Sie sich kleiden, desto besser wird bei Ihrem Reichtum die Wirkung sein. Kaufen Sie Pferde, so nehmen Sie sie bei Dedeveux; brauchen Sie einen Wagen, so gehen Sie zu Baptiste.
Um welche Stunde dürfen wir uns einfinden?
Gegen halb sieben Uhr.
Es ist gut, man wird nicht verfehlen, sagte der Major, nach seinem Hute greifend.
Die beiden Cavalcanti verbeugten sich und verließen das Zimmer.
Der Graf näherte sich dem Fenster und sah sie Arm in Arm durch den Hof schreiten.
In der Tat, sagte er, das sind zwei große Schufte! Wie schade, daß sie einander nicht wirklich als Vater und Sohn angehören!
Dann fügte er nach einem Augenblick düsteren Nachdenkens hinzu: Wir wollen zu den Morels gehen; ich glaube, der Ekel greift mein Herz noch mehr an, als der Haß.
Unsere Leser müssen uns nun erlauben, sie zu dem an das Haus des Herrn von Villefort grenzenden Luzernengehege zu führen, wo wir hinter dem von Kastanienbäumen überschatteten Gitter uns befreundete Personen finden.