Alexander Dumas d. Ä.
Der Graf von Monte Christo. Dritter Band.
Alexander Dumas d. Ä.

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Die Vorstellung.

Als Albert sich mit Monte Christo allein sah, sagte er: Herr Graf, erlauben Sie mir, Ihnen zunächst meine Junggesellenwohnung zu zeigen. An die italienischen Paläste gewöhnt, werden Sie sich freilich wundern, mit wie wenig Raum ein junger Mann hier in Paris auskommen kann.

Monte Christo kannte bereits das Speisezimmer und den Salon im Erdgeschoß. Albert führte ihn nun in sein bevorzugtes Zimmer, sein Atelier. Der Graf wußte alle die zahllosen Gegenstände darin zu würdigen, und Morcerf, der dem Gaste als Erklärer hatte dienen wollen, machte seinerseits unter Leitung seines Gastes einen Kursus in der Archäologie und Naturwissenschaft durch.

Man stieg dann in den ersten Stock hinauf, und Albert führte seinen Gast in den Salon, der mit Werken moderner Meister geschmückt war. Wenn er aber erwartet hatte, diesmal wenigstens dem fremden Reisenden etwas Neues zu zeigen, so hörte er zu seinem großen Erstaunen diesen sofort den Namen jedes Meisters nennen, obgleich die Werke häufig nur die Anfangsbuchstaben desselben trugen. Offenbar kannte er nicht nur alle diese Namen, sondern verstand auch jedes dieser Talente zu würdigen.

Vom Salon ging man ins Schlafzimmer; es war zugleich ein Muster von Eleganz und von strengem Geschmack; darin glänzte ein einziges künstlerisch ausgeführtes Porträt in mattgoldenem Rahmen. Dieses Bild zog sogleich die Blicke des Grafen an, denn er machte drei rasche Schritte darauf zu.

Es war das Porträt einer Frau von etwa fünfundzwanzig Jahren, von brauner Gesichtsfarbe, mit feurigem, von schön geformtem Augenlide verschleiertem Blicke, sie trug die malerische Kleidung der katalonischen Fischerinnen mit rot und schwarzem Mieder und goldenen, durch die Haare gesteckten Nadeln; sie schaute auf die See hinaus, und ihr hübsches Profil hob sich von dem doppelten Azur der Wellen und des Himmels ab.

Es war düster im Zimmer, sonst hätte Albert gesehen, welche Leichenblässe sich über die Wangen des Grafen verbreitete, er hätte das Beben seiner Schultern und seiner Brust bemerken müssen.

Nach kurzem Stillschweigen sagte der Graf von Monte Christo mit vollkommen ruhiger Stimme: Graf, Sie haben da eine schöne Geliebte, und dieses Ballkostüm steht ihr zum Entzücken.

Oh! erwiderte Albert, Sie irren. Das ist meine Mutter, die Sie ja noch nicht gesehen haben. Die Tracht ist, wie es scheint, ein Phantasiekostüm, und die Ähnlichkeit ist so groß, daß ich meine Mutter noch vor mir zu sehen wähne, wie sie im Jahre 1830 war, als sie dieses Porträt während einer Abwesenheit des Grafen malen ließ. Seltsamerweise mißfiel das Porträt meinem Vater, und der große Kunstwert des Gemäldes ließ ihn den Widerwillen nicht überwinden, den er dagegen gefaßt hatte. Allerdings ist Herr von Morcerf, unter uns gesagt, einer der eifrigsten Politiker, ein berühmter General, aber ein äußerst mäßiger Kunstkenner. Anders meine Mutter, die sehr gut malt, und da sie ein solches Werk zu sehr schätzt, um sich gänzlich davon trennen zu können, hat sie es mir gegeben, damit es Herrn von Morcerf, dessen Porträt ich Ihnen übrigens auch zeigen werde, seltener vor Augen komme. Meine Mutter jedoch kommt selten zu mir, ohne es zu betrachten, und noch seltener geschieht es, daß sie das Bild betrachtet, ohne zu weinen. Übrigens ist die Wolke, die durch dieses Gemälde in unser Haus kam, die einzige, die sich zwischen dem Grafen und der Gräfin erhoben hat, denn sie sind, obgleich seit mehr als zwanzig Jahren verheiratet, noch heute so sehr eins wie am ersten Tage.

Monte Christo warf einen raschen Blick auf Albert, als wollte er unter seinen Worten eine verborgene Absicht suchen, aber der junge Mann hatte sie offenbar völlig absichtslos ausgesprochen.

Nun haben Sie alle meine Reichtümer gesehen, fuhr Albert fort; erlauben Sie mir, Herr Graf, sie Ihnen anzubieten, so unwürdig sie auch sein mögen. Betrachten Sie sich als hier zu Hause, und um noch heimischer zu werden, haben Sie die Güte, mich zu Herrn von Morcerf zu begleiten, dem ich von Rom den Dienst, den Sie mir geleistet, mitgeteilt, und den Besuch, den Sie mir versprochen, angekündigt habe. Ich darf wohl sagen, der Graf und die Gräfin erwarten mit Ungeduld den Zeitpunkt, wo sie Ihnen danken können. Sie haben hierfür wenig Sinn; ich weiß das, Herr Graf, und Familienszenen üben keine große Wirkung auf Simbad den Seefahrer aus, der so viele andere Szenen gesehen hat. Nehmen Sie indessen, was ich Ihnen bieten kann, als Eingang in das Pariser Leben an, in ein Leben voll Höflichkeitsbesuche und Vorstellungen.

Monte Christo verbeugte sich, ohne zu antworten; er nahm den Vorschlag ohne Begeisterung und ohne Widerstreben an . . . wie eine Pflicht des Anstandes, der sich jeder unterwerfen muß. Albert rief seinen Kammerdiener und befahl ihm, Herrn und Frau von Morcerf den Grafen von Monte Christo zu melden; dann folgte er ihm mit dem Grafen.

Als man in das Vorzimmer des Grafen gelangte, sah man über der Tür des Salons ein Wappenschild; der Graf blieb vor dem Wappen stehen, schaute es aufmerksam an und fragte: Ohne Zweifel das Wappen Ihrer Familie, Vicomte? Ich bin sehr unwissend in der Wappenkunde.

Sie haben richtig erraten, es sind die Wappen meines Vaters und meiner Mutter, antwortete Morcerf mit dem einfachen Tone der Überzeugung. Von weiblicher Seite bin ich Spanier, doch das Haus Morcerf ist französisch und, wie ich sagen hörte, eines der ältesten im südlichen Frankreich.

Ja, sagte der Graf, das deuten die Amseln in den Wappen an. Fast alle Kreuzfahrer wählten als Wappen entweder Kreuze oder Wandervögel. Einer Ihrer väterlichen Ahnen wird einen Kreuzzug mitgemacht haben, und nehmen wir auch an, es sei einer der letzten Züge unter Ludwig dem Heiligen gewesen, so führt dies Ihren Adel schon in das dreizehnte Jahrhundert zurück, was immerhin ein hübsches Alter ist. Sie stammen also zugleich von der Provence und von Spanien her, wodurch sich, wenn das Porträt, das Sie mir gezeigt haben, ähnlich ist, die schöne braune Farbe erklärt, die ich so sehr auf dem Antlitz der edeln Katalonierin bewunderte.

Die Ironie, die in diesen Worten lag, die scheinbar das Gepräge der größten Höflichkeit an sich trugen, war schwer zu erraten; Morcerf dankte ihm auch mit einem Lächeln, ging voran und öffnete eine in den Salon führende Tür. An der am meisten in das Auge fallenden Stelle dieses Salons sah man ebenfalls ein Porträt; es war das eines Mannes von etwa sechsunddreißig Jahren in Generalsuniform mit dem Bande der Kommandeure der Ehrenlegion, dem Stern des Großoffiziers vom Erlöser-Orden und dem Großkreuz des Ordens Karls III.

Monte Christo beschäftigte sich eben damit, dieses Porträt mit derselben Sorgfalt zu zergliedern wie vorher das andere, als eine Seitentür geöffnet wurde und er sich dem Grafen von Morcerf selbst gegenüber fand.

Dieser war ein Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren; sein schwarzer Schnurrbart und seine schwarzen Augenbrauen stachen seltsam von seinen weißen, nach militärischer Mode bürstenartig geschnittenen Haaren ab; er war bürgerlich gekleidet und trug am Knopfloch ein Ordensband. Der Graf von Morcerf trat mit ziemlich edlem Anstand und mit einem gewissen Eifer ein. Monte Christo ließ ihn auf sich zukommen, ohne einen Schritt zu tun; man hätte glauben sollen, seine Füße seien an den Boden genagelt, wie seine Augen an das Gesicht des Eintretenden.

Mein Vater, sagte der junge Mann, ich habe die Ehre, Ihnen den Grafen von Monte Christo, den edelmütigen Freund, vorzustellen, den ich so glücklich war unter den Ihnen bekannten, schwierigen Umständen zu treffen.

Der Herr ist willkommen in unserer Mitte, sagte der Graf von Morcerf, Monte Christo mit einem Lächeln begrüßend; er hat unserem Hause durch Erhaltung seines einzigen Erben einen Dienst geleistet, für den wir zu unauslöschlichem Danke verpflichtet sind.

Mit diesen Worten bot Morcerf seinem Gaste einen Lehnstuhl, während er sich selbst vor das Fenster setzte. Monte Christo nahm den gebotenen Platz an, richtete es aber so ein, daß er im Schatten der großen Samtvorhänge verborgen blieb, wo es ihm gestattet war, in den Zügen des Grafen, die auffallende Spuren sorgenvoller Ermattung zeigten, eine ganze Geschichte geheimer Leiden zu lesen, die aus den tiefen Furchen sprach, womit ein frühzeitiges Alter sein Gesicht durchzogen hatte.

Graf Morcerf sagte hierauf: Die Frau Gräfin war bei der Toilette, als sie der Herr Vicomte von dem Besuche benachrichtigen ließ, den sie zu empfangen die Ehre haben sollte; sie wird in zehn Minuten hier sein.

Es ist viel Ehre für mich, erwiderte Monte Christo, daß ich schon am Tage meiner Ankunft in Paris mit einem Manne in Berührung treten kann, dessen Verdienst seinem Rufe gleichkommt, und bei dem das gerechte Schicksal keinen Irrtum beging. Hatte es Ihnen aber nicht auf dem algerischen Kriegsschauplatze einen Marschallsstab anzubieten?

Ich habe den Dienst verlassen, sagte Morcerf, ein wenig errötend. Unter der Restauration zum Pair ernannt, nahm ich meinen Abschied, denn wenn man, wie ich, seine Epauletten auf dem Schlachtfelde gewonnen hat, so versteht man nicht auf dem schlüpfrigen Boden des Salons zu manövrieren. Ich habe den Degen niedergelegt und mich auf die Politik geworfen, widme mich der Industrie und studiere die nützlichen Künste. Während der zwanzig Jahre, die ich im Dienste geblieben, hatte ich wohl Lust hierzu, aber es gebrach mir an Zeit.

Auf diesen Ansichten beruht die Überlegenheit Ihrer Nation über die anderen Länder, Herr Graf, versetzte Monte Christo. Von vornehmer Herkunft und im Besitz eines schönen Vermögens, haben Sie es doch nicht verschmäht, als gemeiner Soldat von der Pike auf zu dienen, und das ist etwas Seltenes. Zum General, Pair von Frankreich, Kommandeur der Ehrenlegion erhoben, geben Sie sich zu einer zweiten Lehrzeit her, ohne andere Hoffnung und andere Belohnung, als die, eines Tages Ihresgleichen nützlich zu sein. Ah! mein Herr, das ist in der Tat schön, ich sage noch mehr, es ist erhaben!

Albert betrachtete und hörte Monte Christo mit Erstaunen; er war nicht gewohnt, ihn so enthusiastisch sich ausdrücken zu hören.

Ah! fuhr der Fremde fort, ohne Zweifel, um die unmerkliche Wolke zu verscheuchen, die bei seinen Worten über Morcerfs Stirn hinzog, ah! wir machen es in Italien nicht so, wir wachsen nach unserem Geschlecht und unserer Gattung, und wir behalten dasselbe Blätterwerk, dieselbe Gestalt und leider oft dieselbe Nutzlosigkeit unser ganzes Leben hindurch.

Aber, entgegnete der Graf von Morcerf, für einen Mann von Ihrem Verdienste ist Italien kein Vaterland; Frankreich reicht Ihnen seine Arme. Entsprechen Sie dem Rufe, den es an Sie ergehen läßt! Frankreich ist nicht immer undankbar; es behandelt manchmal seine Kinder schlecht, aber für die Fremden zeigt es sich gewöhnlich großherzig.

Ei! sagte Albert lächelnd, man sieht, daß Sie den Herrn Grafen von Monte Christo nicht kennen. Seine Befriedigung liegt außerhalb dieser Welt; er strebt nicht nach Auszeichnungen.

Sie sind Herr Ihrer Zukunft gewesen und haben den Blumenpfad gewählt, sagte der Graf von Morcerf mit einem Seufzer.

Allerdings, erwiderte Monte Christo mit einem Lächeln, das ein Maler schwerlich wiedergeben könnte.

Hätte ich nicht den Herrn Grafen zu ermüden befürchtet, sagte der General, offenbar entzückt über die Art seines Gastes, so würde ich ihn in die Kammer geführt haben, es ist heute eine interessante Sitzung.

Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, doch für heute hat man mir mit der Hoffnung, der Frau Gräfin vorgestellt zu werden, geschmeichelt, und ich will lieber hierauf warten.

Ah! da kommt meine Mutter, rief der Vicomte.

Rasch sich umwendend, erblickte Monte Christo wirklich Frau von Morcerf auf der Schwelle der gegenüberliegenden Tür; unbeweglich und bleich, stand sie hier seit einigen Sekunden und hatte die letzten Worte gehört.

Monte Christo erhob sich und machte eine tiefe Verbeugung vor der Gräfin, die sich stumm und zeremoniös verneigte.

Fehlt Ihnen etwas, teure Mutter? rief der junge Vicomte, Mercedes entgegeneilend.

Sie dankte mit einem Lächeln und sagte: Nein, ich fühle mich nur erschüttert beim ersten Anblick des Herrn Grafen, ohne dessen Eingreifen wir heute in Tränen und Trauer wären. Mein Herr, fügte die Gräfin, mit der Majestät einer Königin vorschreitend, hinzu, ich verdanke Ihnen das Leben meines Sohnes und segne Sie für diese Wohltat. Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, welches Vergnügen es mir bereitet, daß Sie mir Gelegenheit verschafften, Ihnen aus dem Grunde meines Herzens zu danken, wie ich Sie aus dem Grunde meines Herzens gesegnet habe.

Der Graf verbeugte sich abermals, jedoch noch tiefer als das erste Mal; er war bleicher als Mercedes.

Gnädige Frau, sagte er, der Herr Graf und Sie belohnen mich zu großmütig für eine ganz einfache Handlung. Einen Menschen retten, dem Vater eine Qual ersparen, das empfindliche Herz einer Frau schonen, heißt nicht ein gutes Werk, sondern ein Gebot der Menschlichkeit ausführen.

Auf diese mit außerordentlicher Weichheit und Artigkeit gesprochenen Worte erwiderte die Gräfin mit gefühlvoller Betonung: Mein Herr, mein Sohn ist glücklich, Sie seinen Freund nennen zu dürfen, und ich danke Gott, der die Dinge so gelenkt hat.

Mercedes schlug ihre Augen mit grenzenloser Dankbarkeit zum Himmel auf, und Monte Christo glaubte sogar Tränen darin zittern zu sehen.

Herr Graf, fuhr sie fort, werden Sie uns die Ehre erweisen, den Rest des Tages mit uns zuzubringen?

Glauben Sie mir, gnädige Frau, ich weiß Ihnen den größten Dank für Ihr Anerbieten, aber ich bin heute morgen vor Ihrer Tür aus meinem Reisewagen gestiegen. Ich weiß noch gar nicht, wie ich in Paris eingerichtet bin; ich weiß kaum, wo ich bleibe.

So versprechen Sie uns wenigstens, daß wir das Vergnügen ein andermal haben werden, sagte die Gräfin.

Monte Christo verbeugte sich, ohne zu antworten.

Dann halte ich Sie nicht zurück, sagte die Gräfin, denn meine Dankbarkeit soll keine Last für Sie sein.

Lieber Graf, sagte Albert, wenn Sie gestatten, stelle ich Ihnen meinen Wagen zur Verfügung, wie Sie es mir gegenüber in Rom getan haben, bis Sie Zeit gehabt haben, Ihre Equipagen in gehörigen Stand zu setzen.

Ich danke Ihnen tausendmal für Ihre Zuvorkommenheit, Vicomte, aber ich denke, Bertuccio wird die fünf Stunden, die ich ihm gelassen, gut angewendet haben, und ich werde vor der Tür einen Wagen finden.

Albert war an diese Art und Weise des Grafen gewöhnt, er wußte, daß für ihn etwas Unmögliches so wenig zu bestehen schien, wie für den Kaiser Nero; er wollte sich aber doch selbst überzeugen und begleitete daher den Grafen bis an die Tür des Hauses. Monte Christo hatte sich nicht getäuscht; er fand wirklich einen Wagen, der auf ihn wartete. Es war ein prachtvolles Coupé und ein Gespann, das, wie man in der Pariser Gesellschaft wußte, noch am Tage zuvor nicht für achtzehntausend Franken feil gewesen war.

Mein Herr, sagte der Graf zu Albert, ich mache Ihnen nicht den Vorschlag, mich nach Hause zu begleiten, ich könnte Ihnen nur ein improvisiertes Haus zeigen, und ich habe, wie Sie wissen, in Bezug auf Improvisationen einen Ruf zu wahren. Bewilligen Sie mir einen Tag und erlauben Sie mir dann, Sie einzuladen. Und er sprang in den Wagen, der sich hinter ihm schloß, und fuhr im Galopp von dem Hause weg, jedoch nicht so schnell, daß er nicht eine unmerkliche Bewegung wahrgenommen hätte, welche den Vorhang des Salons zittern machte, wo er die Gräfin zurückgelassen hatte.

Als Albert zu seiner Mutter zurückkehrte, bemerkte er, daß sie wie aufgelöst in einen samtenen Lehnstuhl zurückgesunken war; in dem halbdunklen Gemache konnte man aber nichts deutlich erblicken, so konnte er auch das Gesicht der Gräfin nicht sehen, doch kam es ihm vor, als bebte ihre Stimme; auch drang durch die Wohlgerüche von Rosen und Heliotropen der herbe, beißende Geruch von Essigäther, und seiner ängstlichen Aufmerksamkeit entging das Flacon der Gräfin nicht, das auf dem Kamin stand.

Sie sind doch nicht wohl, teure Mutter! rief er eintretend.

Nein, Albert; aber du begreifst, diese Rosen, diese Hyacinthen, diese Orangenblüten strömen während der ersten Wärme so starke Wohlgerüche aus . . .

Dann muß man sie in Ihr Vorzimmer bringen lassen, sagte Morcerf, mit der Hand nach der Glocke greifend. Sie sind in der Tat unpäßlich; schon vorhin, als Sie eintraten, waren Sie sehr bleich.

Ich war bleich, sagst du, Albert?

Sie waren von einer Blässe, die Ihnen sehr gut steht, meine Mutter, aber darum meinen Vater und mich nichtsdestoweniger erschreckt hat.

Sprach dein Vater mit dir darüber? fragte Mercedes rasch.

Nein, Mama, doch erinnern Sie sich, er hat Ihnen gegenüber selbst diese Bemerkung gemacht.

Ich erinnere mich dessen nicht, versetzte die Gräfin.

Ein Diener erschien und trug auf Alberts Geheiß die Blumen ins Vorzimmer.

Was für ein Name ist Monte Christo? fragte die Gräfin, nachdem sich der Diener entfernt hatte. Ist es ein Familienname oder nur ein Titel?

Ich glaube, es ist nur ein Titel. Der Graf hat eine Insel im toskanischen Archipel gekauft. Übrigens bildet er sich nichts auf den Adel ein und nennt sich einen Zufallsgrafen, obgleich in Rom allgemein die Ansicht herrscht, der Graf sei ein sehr vornehmer Herr.

Seine Haltung ist ausgezeichnet, sagte die Gräfin, wenigstens nach dem, was ich während der wenigen Augenblicke, die er hier war, beurteilen konnte.

Oh! sie ist ganz vollkommen, so vollkommen, daß sie bei weitem alles übersteigt, was ich Aristokratisches beim englischen, spanischen oder deutschen Adel gesehen habe.

Die Gräfin dachte einen Augenblick nach und fuhr dann nach diesem kurzen Zögern fort: Mein lieber Albert . . . du hast Herrn von Monte Christo in seinem Heim gesehen, du bist mit der Welt vertraut und besitzest mehr Takt, als man in deinem Alter zu haben pflegt, glaubst du, daß der Graf wirklich ist, was er zu sein scheint?

Und was scheint er zu sein?

Du sagtest es soeben, ein vornehmer Herr.

Ich sagte Ihnen, man halte ihn dafür.

Und was denkst du davon, Albert?

Ich muß gestehen, ich habe keine bestimmte, abgeschlossene Ansicht über ihn; ich habe so viele seltsame Dinge von ihm gehört, daß ich, wenn ich sagen soll, was ich von ihm denke, Ihnen antworte, ich möchte den Grafen für einen Menschen nach Lord Byrons Art halten, dem das Schicksal einen unseligen Stempel aufgedrückt hat, für den Sprossen irgend einer alten Familie, der, seines väterlichen Vermögens enterbt, ein neues durch die Kraft seines abenteuerlichen Geistes fand, der ihn über die Gesetze der Gesellschaft stellte.

Du sagst? . . .

Ich sage, Monte Christo ist eine Insel im Mittelländischen Meere, ohne Bewohner, ohne Garnison, ein Schlupfwinkel für Schmuggler und Piraten. Wer weiß, ob diese würdigen Gewerbsleute ihrem Herrn nicht eine Abgabe zahlen?

Es ist möglich, sagte die Gräfin, in Sinnen verloren.

Doch gleichviel, versetzte der junge Mann, Schmuggler oder nicht, Sie werden zugestehen, meine Mutter, da Sie es selbst gesehen haben, der Herr Graf von Monte Christo ist ein merkwürdiger Mann, und seine Erscheinung in den Salons von Paris wird von dem glänzendsten Erfolg begleitet sein. Schon heute hat er bei mir seinen Eintritt in die Welt damit begonnen, daß er sogar Chateau-Renaud in das höchste Erstaunen versetzte.

Wie alt kann der Graf sein? sagte Mercedes, sichtbar ein großes Gewicht auf diese Frage legend.

Fünfunddreißig bis sechsunddreißig Jahre, meine Mutter.

So jung! Das ist unmöglich, sagte Mercedes, zugleich auf Alberts Worte und ihre eigenen Gedanken erwidernd.

Es ist dennoch wahr, drei- oder viermal äußerte er, und gewiß ohne Vorbedacht: damals war ich fünf Jahre, damals zehn, zu jener Zeit zwölf Jahre alt. Meine Neugierde achtete auf diese Einzelheiten, ich stellte die Daten zusammen, und nie fand ich einen Widerspruch bei ihm. Das Alter dieses seltsamen Mannes, der eigentlich kein Alter hat, ist nach meiner festen Überzeugung fünfunddreißig Jahre. Erinnern Sie sich überdies, meine Mutter, wie lebhaft sein Auge ist, wie üppig und ungebleicht seine Haare, und wie runzelfrei seine edle Stirn; er besitzt nicht nur einen kräftigen, sondern auch noch einen jungen Körper.

Die Gräfin senkte das Haupt wie unter dem Druck schwerer, bitterer Gedanken.

Und dieser Mann hat ein Gefühl der Freundschaft für dich gefaßt, Albert? fragte sie in bebendem Tone, und du liebst ihn?

Er gefällt mir, Mutter, was auch Franz d'Epinay sagen mag, dem er als unheimliches, einer andern Welt entstammendes Wesen erscheint.

Die Gräfin machte eine Bewegung des Schreckens und sagte stotternd: Albert, stets war ich bemüht, dir Behutsamkeit gegen neue Bekanntschaften zu empfehlen. Nun bist du ein Mann und könntest mir Ratschläge geben, dennoch wiederhole ich dir, sei klug. Albert.

Liebe Mutter, wenn nur dieser Rat Nutzen bringen sollte, so müßte ich zum voraus wissen, wogegen sich mein Mißtrauen zu richten hätte. Der Graf spielt nie, der Graf trinkt nur durch einen Tropfen spanischen Wein vergoldetes Wasser, der Graf ist so reich, daß er, ohne sich ins Gesicht lachen zu lassen, kein Geld von mir entlehnen könnte; was soll ich also von ihm befürchten?

Du hast recht, meine Furcht ist töricht, besonders da sie einen Mann zum Gegenstand hat, der dir das Leben rettete. Doch sprich, hat ihn dein Vater gut aufgenommen? Es ist wünschenswert, daß wir auf recht gutem Fuße mit dem Grafen stehen. Herr von Morcerf ist zuweilen sehr beschäftigt, seine Angelegenheiten bereiten ihm Sorgen, und es könnte sein, daß er, ohne zu wollen . . .

Mein Vater war, wie man es nur immer wünschen konnte; ich sage noch mehr, er schien geschmeichelt durch ein paar sehr geschickte Komplimente, die der Graf sehr glücklich und passend einfließen ließ, als kennte er ihn seit dreißig Jahren. Jeder von diesen Lobpfeilen mußte meinen Vater kitzeln, fügte Albert lachend hinzu. Sie trennten sich als die besten Freunde der Welt, und Herr von Morcerf wollte ihn sogar in die Kammer mitnehmen, um ihn seine Rede hören zu lassen.

Die Gräfin antwortete nicht, sie war in so tiefe Träumerei versunken, daß sich ihre Augen allmählich geschlossen hatten. Vor ihr stehend, betrachtete sie der junge Mann mit jener Sohnesliebe, die besonders zärtlich und innig bei Kindern ist, deren Mütter noch schön und jung sind. Als er sah, wie sich ihre Augen schlossen, als er sie eine Minute lang in ihrer sanften Unbeweglichkeit atmen hörte und sie entschlummert glaubte, entfernte er sich auf den Fußspitzen.

Dieser Teufelskerl, murmelte er, den Kopf schüttelnd, ich prophezeite ihm dort schon, er würde in der Welt Aufsehen machen; ich ermesse die Wirkung seiner Person nach einem untrüglichen Thermometer; meiner Mutter ist er aufgefallen, folglich muß er sehr merkwürdig sein. Und er ging in seinen Stall hinab, nicht ohne leisen Ärger darüber, daß sich der Graf, ohne nur daran zu denken, ein Gespann erworben hatte, das seine Braunen bei Kennern in die zweite Reihe schob.


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