Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Der Herzog von Anjou.

Obgleich aufrichtig, ärgerten doch all diese Ausrufungen den Prinzen.

»Oh! still, still, meine Herren,« sagte er, »ich bitte, seid nicht zufriedener als ich mit dem Glück, das mir widerfährt. Glaubt mir, es freut mich, daß ich nicht tot bin, und dennoch, wenn ihr mich nicht erkannt hättet, würde ich mich nicht zuerst gerühmt haben, daß ich lebe. Wieviel Mann habt Ihr unter Euren Befehlen, du Bouchage?«

»Hundert, Monseigneur.«

»Ah! ah! hundert von zwölftausend, welch ein Verhältnis! Und dein Bruder ist doch auch tot, nicht wahr, du Bouchage?«

Henri fühlte, wie ihm diese kalte Frage das Herz zerriß.

»Nein, Monseigneur, er lebt,« erwiderte er.

»Ah! desto besser,« sagte der Herzog mit seinem eisigen Lächeln; »wie! unser braver Joyeuse ist am Leben geblieben! Wo ist er, daß ich ihn umarme?« – »Er ist nicht hier, Monseigneur.«

»Ah! ja, verwundet?« – »Nein, gesund und wohlbehalten.«

»Doch flüchtig, wie ich, umherirrend, ausgehungert, ein armer, sich schämender Krieger; ah! das Sprichwort hat recht; für den Ruhm das Schwert, nach dem Schwert das Blut, nach dem Blut die Tränen.«

»Monseigneur, ich kannte das Sprichwort nicht und bin trotz des Sprichworts erfreut, Eurer Hoheit mitzuteilen, daß mein Bruder das Glück gehabt hat, dreitausend Mann zu retten, mit denen er einen großen Flecken, sieben Meilen von hier, besetzt hält, und ich selbst bin nur Kundschafter seiner Armee.«

Der Herzog erbleichte.

»Dreitausend Mann,« sagte er, »und Joyeuse hat diese dreitausend Mann gerettet. Weißt du, daß dein Bruder ein Xenophon ist; es ist bei Gott ein großes Glück, daß mein Bruder mir den deinigen geschickt hat, sonst käme ich allein nach Frankreich zurück. Es lebe Joyeuse! pfui, über das Haus Valois!«

»Monseigneur, oh, Monseigneur!« sagte du Bouchage, vom Schmerz zusammengeschnürt, als er sah, welche düstere Eifersucht sich unter den Worten des Prinzen verbarg.

»Nein, bei meiner Seele, ich spreche die Wahrheit, nicht wahr, Aurilly? Wir kehren nach Frankreich zurück, wie Franz I. nach der Schlacht von Pavia. Alles ist verloren, nur nicht die Ehre! Ah! ah! ah! ich habe den Wahlspruch des Hauses Frankreich wiedergefunden.«

Ein düsteres Stillschweigen empfing sein Gelächter, das so schmerzlich klang, als wäre es ein Schluchzen gewesen.

»Monseigneur,« sagte Henri, »erzählt uns, wie der Schutzgott Frankreichs Eure Hoheit gerettet hat.«

»Ei, lieber Graf, das ist ganz einfach; der Schutzgott Frankreichs war in diesem Augenblick mit etwas anderem, mit etwas Wichtigerem ohne Zweifel beschäftigt, so daß ich mich ganz allein geflüchtet habe.«

»Und wie dies, Monseigneur?«

»Über Hals und Bein.«

Nicht ein Lächeln wurde diesem Scherze zuteil, den der Herzog sicher mit dem Tode bestraft hätte, wenn ihn ein anderer als er gemacht haben würde.

»Ja, ja, das ist das richtige Wort,« fuhr er fort, »wie wir liefen, nicht wahr, mein braver Aurilly?«

»Jeder kennt den kalten Mut und das militärische Genie Eurer Hoheit,« sagte Henri; »wir bitten sie also, uns nicht das Herz dadurch zu zerreißen, daß sie sich Fehler zuschreibt, die ihr nicht zur Last fallen. Der beste General ist nicht unüberwindlich, und selbst Hannibal ist bei Zama besiegt worden.«

»Ja,« erwiderte der Herzog, »aber Hannibal hatte vorher vier Schlachten gewonnen, und ich nur eine.«

»Aber Monseigneur scherzt, wenn er sagt, er sei geflohen.«

»Nein, bei Gott! ich scherze nicht; findest du übrigens, daß dies ein Stoff zum Scherzen ist, du Bouchage?«

»Konnte man etwas anderes tun, Herr Graf?« sagte Aurilly, der glaubte, es sei nötig, daß er seinem Herrn zu Hilfe komme.

»Schweige, Aurilly,« sagte der Herzog; »frage den Schatten Saint-Aignans, ob man nicht fliehen konnte?«

Aurilly neigte den Kopf.

»Ah! Ihr kennt Saint-Aignans Geschichte nicht; es ist wahr; ich will sie euch erzählen; sie läßt sich in drei Grimassen teilen.«

Bei diesem gehässigen Scherze falteten die Offiziere die Stirn, ohne sich darum zu kümmern, ob sie ihrem Herrn mißfielen oder nicht.

»Denkt euch also, meine Herren,« sagte der Prinz, der dieses Zeichen der Mißbilligung gar nicht bemerkt zu haben schien, »denkt euch, daß er, als ich die Schlacht für verloren erklärte, fünfhundert Pferde sammelte und, statt wie alle zu fliehen, auf mich zukam und zu mir sagte: ›Man muß angreifen, Monseigneur.‹

›Wie angreifen?‹ erwiderte ich; ›Ihr seid ein Narr, Saint-Aignan, sie sind hundert gegen einen.‹

›Und wären es tausend,‹ entgegnete er mit einer abscheulichen Grimasse, ›ich werde angreifen.‹

›Greift an, mein Lieber, greift an,‹ rief ich, ›ich greife nicht an; im Gegenteil.‹

›Ihr werdet mir aber Euer Pferd geben, das nicht mehr laufen kann, und das meinige nehmen, das noch frisch ist; da ich nicht fliehen will, so ist jedes Pferd gut für mich.‹

»Und er nahm in der Tat meinen Schimmel, gab mir seinen Rappen und sagte zu mir:

›Prinz, das ist ein Läufer, der zwanzig Meilen in vier Stunden zurücklegt, wenn Ihr wollt.‹

»Dann wandte er sich gegen seine Leute um und rief: ›Auf, meine Herren, folgt mir; vorwärts, wer nicht Fersengeld geben will!‹

»Und er jagte mit einer zweiten Grimasse, die noch abscheulicher war als die erste, auf den Feind zu.

»Er glaubte, Menschen zu finden, und fand Wasser; ich hatte dies vorhergesehen: Saint-Aignan und seine Paladine sind dort geblieben.

»Hätte er auf mich gehört, statt die unnütze Heldentat zu unternehmen, so säße er mit uns an diesem Tische und würde zu dieser Stunde nicht eine dritte Grimasse machen, die wahrscheinlich noch häßlicher ist als die beiden ersten.«

Ein Schauer des Abscheus durchlief den Kreis der Anwesenden.

»Dieser Elende hat kein Herz,« dachte Henri. »Oh! warum beschützen ihn sein Unglück, seine Schmach und besonders seine Geburt gegen die Herausforderung, die man so gern an ihn richten würde?«

»Meine Herren,« sagte mit leiser Stimme Aurilly, da er fühlte, welche Wirkung in dieser Versammlung von Leuten von Herz die Worte des Prinzen hervorgebracht hatten, »Ihr seht, wie Monseigneur angegriffen ist, merkt nicht auf das, was er spricht; seitdem ihm das große Unglück widerfahren ist, glaube ich, daß er wirklich in gewissen Augenblicken irreredet.«

»So also,« sagte der Prinz, sein Glas leerend, »ist Saint-Aignan gestorben, und so lebe ich; übrigens hat er mir sterbend einen Dienst geleistet, indem er dadurch, daß er mein Pferd ritt, glauben ließ, ich wäre tot; und dieses Gerücht hat sich nicht nur bei der französischen Armee, sondern auch bei der flämischen verbreitet, die infolgedessen langsamer bei meiner Verfolgung zu Werke ging; doch seid unbesorgt, meine Herren, unsere guten Flamländer sollen das nicht ins Paradies mitnehmen; wir werden eine Genugtuung bekommen, und zwar eine blutige, und ich bilde mir seit gestern, im Geiste wenigstens, die furchtbarste Armee, die je bestanden hat.«

»Mittlerweile, Monseigneur,« sagte Henri, »wird Eure Hoheit das Kommando über meine Leute übernehmen; es geziemt sich für mich, einen einfachen Edelmann, nicht, da, wo ein Sohn von Frankreich ist, auch nur einen einzigen Befehl zu geben.«

»Es sei,« sagte der Prinz, »und ich fange damit an, daß ich allen befehle, zu Nacht zu speisen, Euch besonders, Herr du Bouchage, denn Ihr habt Euren Teller nicht einmal berührt.«

»Monseigneur, ich habe keinen Hunger.«

»Dann, mein Freund du Bouchage, kehrt zur Kontrolle der Posten zurück. Sagt den Führern, daß ich lebe, doch bittet sie, sich nicht zu laut darüber zu freuen, ehe wir eine bessere Zitadelle erreicht oder mit dem Armeekorps unseres unbesiegbaren Joyeuse zusammengetroffen sind, denn ich gestehe Euch, ich möchte weniger als je gefangen werden, nun, da ich dem Feuer und dem Wasser entgangen bin.«

»Monseigneur, man wird Eurer Hoheit streng gehorchen, und niemand, mit Ausnahme dieser Herren, soll erfahren, daß sie uns die Ehre erweist, unter uns zu verweilen.«

Während du Bouchage den Befehl der Postenkontrolle mit um so größerer Pünktlichkeit vollzog, als er nicht den Anschein haben wollte, es ärgere ihn, gehorchen zu müssen, suchten Franz und Aurilly ihre Neugierde zu befriedigen.

Der Herzog fand es sonderbar, daß ein Mann von dem Namen und Rang von du Bouchage das Kommando über eine Handvoll Leute und eine so gefahrvolle Expedition übernommen hatte. Er war aber stets voll Verdacht, und jeder Verdacht bedurfte der Aufklärung. Er horchte also und erfuhr, daß der Großadmiral, als er seinen Bruder an die Spitze des Unternehmens gestellt, nur dessen dringenden Bitten nachgegeben habe. Es wurde dem Herzog dies von dem Fähnrich der Gendarmen von Aunis mitgeteilt, der du Bouchage aufgenommen hatte. Der Prinz hatte eine leichte Regung des Ärgers im Herzen des Fähnrichs gegen du Bouchage wahrzunehmen geglaubt, und deshalb befragte er ihn.

»Was war denn aber die Absicht des Grafen,« sagte der Prinz, »als er so dringend um ein so armseliges Kommando bat?«

»Einmal wollte er der Armee einen Dienst leisten,« erwiderte der Fähnrich, »und an diesem Gefühle zweifle ich nicht.«

»Einmal? habt Ihr gesagt, und was ist das sodann?«

»Ah! Monseigneur, ich weiß es nicht.«

Erst auf wiederholtes Drängen des Herzogs bemerkte der Fähnrich, du Bouchage wolle vielleicht einen Verwandten zugleich geleiten. Da fuhr auch schon Aurilly, der sich anderwärts Auskunft geholt hatte, mit der Bemerkung dazwischen:

»Die Sache ist um so interessanter, als sich unter dem Verwandten eine Verwandtin in Männerkleidern birgt.«

»Oh! Monseigneur,« sagte der Fähnrich, »ich bitte Euch; Herr Henri schien große Achtung vor dieser Dame zu haben und würde aller Wahrscheinlichkeit nach dem Indiskreten schwer grollen.«

»Ohne Zweifel, Herr Fähnrich; wir werden stumm sein wie die Gräber, seid unbesorgt, stumm wie der arme Saint-Aignan. Ah! Henri hat eine Verwandtin bei sich, mitten unter Gendarmen? Und wo ist sie, Aurilly, diese Verwandtin?« – »Dort oben.«

»Wie, dort oben, in jenem Hause?« – »Ja, Monseigneur; doch still! hier kommt Herr du Bouchage.«

»Still!« wiederholte der Prinz mit einem schallenden Gelächter.



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