Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Die wahre Geliebte des Königs von Navarra.

Das Mahl war äußerst heiter. Heinrich schien nichts mehr im Kopfe und auf dem Herzen zu haben, und in dieser Stimmung des Geistes war der Béarner ein vortrefflicher Tischgenosse. Chicot verbarg, so gut er konnte, die leichte Unruhe, die ihn beim Anblick des spanischen Botschafters erfaßt, die ihn in den Hof verfolgt, die sich bei der Verteilung des Goldes an die Bettler vermehrt, und die ihn seitdem nicht mehr verlassen hatte.

Heinrich wollte, daß sein Freund Chicot mit ihm allein speise. Am Hofe König Heinrichs hatte er stets eine große Zuneigung zu Chicot gefühlt, und Chicot seinerseits hegte eine große Sympathie für den König von Navarra. Er beschloß, da sein Argwohn erregt war, auf Heinrichs Worte, wenn ihm der Wein die Zunge gelöst habe, zu achten.

Heinrich trank in der Tat tüchtig, und er hatte eine Art, seine Gäste mit sich fortzureißen, die Chicot kaum gestattete, bei drei Gläsern um eines zurückzubleiben. Doch Chicots Kopf war, wie man weiß, ein eiserner Kopf.

Für Heinrich von Navarra waren alle diese Weine, wie er sagte, Landweine, und er trank sie wie Molken. Dabei tauschten sie viele Artigkeiten untereinander.

»Wie beneide ich Euch,« sagte Chicot zum König, »wie ist Euer Hof so liebenswürdig und Euer Dasein so blütenreich; wie viele gute Gesichter sehe ich in diesem guten Hause, und wie viele Reichtümer in dem schönen Lande Gaskogne.«

»Wenn meine Frau hier wäre, mein lieber Chicot, so würde ich dir nicht sagen, was ich dir nun sagen will; doch in ihrer Abwesenheit kann ich dir wohl gestehen, daß der schönste Teil meines Lebens der ist, den du nicht siehst.«

»Ah! Sire, man sagt in der Tat schöne Dinge über Eure Majestät.«

Heinrich warf sich in seinem Lehnstuhl zurück und streichelte sich lachend den Bart.

»Ja, ja, nicht wahr?« erwiderte er, »man behauptet, ich regiere viel mehr über meine Untertaninnen, als über meine Untertanen.«

»Es ist wahr, Sire, und dennoch setzt es mich in Erstaunen.«

»Wieso, Gevatter?«

»Sire, Ihr habt viel von dem bewegsamen Geist, der die großen Könige macht.«

»Ah! Chicot, du täuschst dich, ich bin viel mehr träge als regsam, und der Beweis davon ist mein ganzes Leben; soll ich eine Liebschaft anfangen, so ist es stets die, die mir am nächsten liegt; soll ich Wein wählen, so wähle ich immer den der Flasche, die am nächsten bei mir steht. Auf deine Gesundheit, Chicot!«

»Sire, Ihr erweist mir große Ehre,« erwiderte Chicot, indem er sein Glas bis auf den letzten Tropfen leerte, denn der König schaute ihn mit dem feinen Blicke an, der bis in die tiefsten Tiefen seiner Gedanken zu dringen schien.

»Wieviel Streit gibt es auch in meinem Hause, Gevatter!« fuhr der König, die Augen zum Himmel aufschlagend, fort.

»Ja, ich begreife; alle die Ehrenfräulein der Königin beten Euch an, Sire!«

»Sie sind meine Nachbarinnen, Chicot.«

»Ei! ei! aus diesem Grundsatz ergibt sich, daß, wenn Ihr in Saint-Denis wohntet, statt in Nérac zu wohnen, der König nicht so ruhig leben könnte, wie er es tut.«

Heinrich wurde finster.

»Der König! was sagt Ihr mir da, Chicot!« versetzte Heinrich von Navarra, »der König! bildet Ihr Euch ein, ich sei ein Guise? Es ist wahr, ich wünsche Cahors zu haben, weil Cahors vor meiner Tür liegt; ich habe Ehrgeiz, Chicot, doch nur, wenn ich sitze; bin ich einmal aufgestanden, so habe ich keinen Wunsch mehr nach irgend etwas.« – »Alle Wetter, Sire, dieses Verlangen nach den nächstliegenden Dingen gleicht sehr dem Cesare Borgias, der sein Reich Stadt für Stadt zusammenpflückte und dabei sagte, Italien gleiche einer Artischocke, die man Blatt für Blatt essen müsse.«

»Dieser Cesare Borgia war kein so schlechter Politiker, wie mir scheint, Gevatter Chicot.« – »Nein, aber es war ein sehr gefährlicher Nachbar und ein sehr bösartiger Bruder.«

»Ah! Ihr vergleicht mich doch nicht mit einem Sohne des Papstes, mich, das Haupt der Hugenotten? Da muß ich bitten, Herr Botschafter.« – »Sire, ich vergleiche Euch mit niemand.«

»Aus welchem Grunde?« – »Weil ich glaube, daß sich jeder täuscht, der Euch mit einem andern vergleicht, als mit Euch selbst. Ihr seid ehrgeizig, Sire.«

»Wie seltsam!« rief der Béarner; »dieser Mensch will mich mit aller Gewalt zwingen, etwas zu wünschen.« – »Gott behüte mich, Sire; ich wünsche ganz im Gegenteil, daß Eure Majestät nichts wünschen möge.«

»Hört, Chicot,« sagte der König, »nicht wahr, es ruft Euch nichts nach Paris zurück?« – »Nichts, Sire.«

»Ihr werdet also einige Tage bei mir zubringen?« – »Wenn Eure Majestät mir die Ehre erweist, meine Gesellschaft zu wünschen, so gewährt es mir große Freude, acht Tage zu bleiben.«

»Acht Tage . . . gut, es sei, Gevatter; in acht Tagen werdet Ihr mich kennen wie einen Bruder. Trinken wir, Chicot.« – »Sire, ich habe keinen Durst mehr,« erwiderte Chicot, der auf seinen Versuch, den König berauscht zu machen, allmählich Verzicht leistete.

»Dann verlasse ich Euch, Gevatter,« sagte Heinrich; »der Mensch muß nicht bei Tische bleiben, wenn er nichts mehr dabei tut. Trinken wir, sage ich Euch.« – »Warum?«

»Um besser zu schlafen. Dieser leichte Landwein verleiht einen äußerst sanften Schlaf. Liebt Ihr die Jagd, Chicot?« – »Nicht sehr, Sire; und Ihr?«

»Ich bin ein leidenschaftlicher Jäger, seit meinem Aufenthalt am Hofe König Karls IX.« – »Warum erwies mir Eure Majestät die Ehre, sich zu erkundigen, ob ich die Jagd liebe?«

»Weil ich morgen jage und Euch mitzunehmen gedenke.« – »Sire, es wird eine große Ehre für mich sein, doch . . . .«

»Oh! Gevatter, seid unbesorgt, diese Jagd ist ganz gemacht, um die Augen und das Herz jedes Kriegers zu ergötzen. Ich bin ein guter Jäger, Chicot, und es ist mir daran gelegen, daß ich mich Euch vorteilhaft zeige. Ihr wollt mich kennen lernen, sagt Ihr?« – »Alle Wetter, Sire, es gehört zu meinen größten Wünschen, ich muß es gestehen.«

»Nun, das ist eine Seite, unter der Ihr mich noch nicht studiert habt.« – »Sire, ich werde alles tun, was Eurer Majestät beliebt.«

»Gut! abgemacht also! Ah! da kommt ein Page; man stört uns.« – »Irgendeine wichtige Angelegenheit, Sire.«

»Eine Angelegenheit! bei mir! wenn ich bei Tische bin! Es ist erstaunlich, daß dieser liebe Chicot immer glaubt, er sei am französischen Hofe. Chicot, mein Freund, laß dir eins sagen: in Nérac legt man sich zu Bette, wenn man gut zu Nacht gespeist hat.« – »Doch dieser Page?«

»Kann dieser Page nicht aus einem andern Grunde als in Geschäften eine Meldung zu machen haben?« – »Ah! ich begreife, Sire, und will mich zu Bette legen.«

Chicot stand auf, der König tat dasselbe und nahm seinen Gast beim Arm.

Die Hast, mit der er ihn wegzuschicken schien, kam Chicot verdächtig vor, dem übrigens seit der Ankündigung des spanischen Botschafters alles verdächtig vorzukommen anfing. Er beschloß, das Kabinett nur so spät wie möglich zu verlassen. – »Oh! oh!« machte er wankend, »es ist erstaunlich, Sire.«

Der Béarner lächelte.

»Was ist erstaunlich?« – »Alle Wetter! mein Kopf dreht sich. Solange ich saß, ging das vortrefflich; doch nun, da ich aufgestanden bin, brrr!«

»Bah!« versetzte Heinrich, »wir haben den Wein kaum gekostet.« – »Gekostet, Sire! Ihr nennt das kosten? Bravo, Sire. Ah! Ihr seid ein tüchtiger Trinker, und ich bringe Euch meine Huldigung dar als meinem Souverän und Herrn. Gut! Ihr nennt das kosten?«

»Chicot, mein Freund,« sagte der Béarner, der durch einen der scharfen Blicke, die nur ihm gehörten, sich zu versichern suchte, ob Chicot wirklich betrunken war, oder ob er sich nur stellte, als wäre er es; »Chicot, mein Freund, ich glaube, das beste, was du tun kannst, ist, daß du dich zu Bette legst.« – »Ja, Sire, gute Nacht, Sire.«

»Gute Nacht, Chicot, und morgen?« – »Ja, Sire, morgen, und Eure Majestät hat recht, das beste, was Chicot tun kann, ist, sich zu Bette zu legen. Gute Nacht, Sire!«

Damit legte sich Chicot auf den Boden.

Als Heinrich dies sah, warf er einen raschen Blick nach der Tür. Aber so rasch dieser Blick auch gewesen war, so hatte ihn doch Chicot im Fluge aufgefangen.

Heinrich näherte sich Chicot.

»Du bist dergestalt trunken, mein armer Chicot, daß du eines nicht bemerkst.« – »Was?«

»Daß du die Matten meines Kabinetts für dein Bett hältst.« – »Chicot ist ein Kriegsmann! Chicot kümmert sich nicht um eine solche Kleinigkeit.«

»Dann bemerkst du ein Zweites nicht.« – »Ah! ah! . . . . Und was ist das?«

»Daß ich jemand erwarte.« – »Zum Abendessen? Gut, laß uns speisen!« Hier strengte er sich vergeblich an aufzustehen.

»Ventre-saint-gris! rief Heinrich, »wie schnell wirst du betrunken, Gevatter. Alle Teufel! Du siehst wohl, daß sie ungeduldig wird.« – »Sie,« machte Chicot, »welche sie?«

»Ei! beim Teufel! die Frau, die ich erwarte . . . sie steht dort vor der Tür Schildwache.« – »Eine Frau! . . . Ei! warum sagst du das nicht, Henriquet . . . Ah! verzeiht mir, ich glaubte . . . ich glaubte mit dem König von Frankreich zu sprechen. Seht Ihr, er hat mich verdorben, dieser gute Henriquet. Warum sagtet Ihr das nicht, Sire? Ich gehe schon.«

»So gefällst du mir, du bist ein wahrer Edelmann. Schön, stehe auf und gehe . . . denn ich habe eine gute Nacht zuzubringen, hörst du? eine ganze Nacht.« – Chicot stand auf und erreichte stolpernd die Tür. »Gott befohlen, Sire, und gute Nacht . . . gute Nacht.«

»Gute Nacht, teurer Freund, schlafe wohl!« Er öffnete die Tür. »Du wirst den Pagen in der Galerie finden, und er wird dir den Weg zeigen, gehe!«

Chicot ging hinaus, nachdem er sich so tief verbeugt hatte, wie es ein trunkener Mann tun kann.

Doch sobald er die Tür hinter sich geschlossen, verschwand jede Spur von Trunkenheit; er machte drei Schritte vorwärts, kehrte aber sogleich wieder zurück und drückte ein Auge an das breite Schloß.

Heinrich öffnete schon der Unbekannten die Tür, die Chicot, neugierig wie ein Gesandter, mit aller Gewalt kennen lernen wollte. Statt einer Frau trat aber ein Mann ein. Und als dieser Mann seinen Hut abgenommen hatte, erkannte Chicot das edle und ernste Gesicht Duplessis-Mornays, des strengen und wachsamen Rats.

»Ah! Teufel!« sagte Chicot, »der überfällt unseren Verliebten und wird ihn noch viel mehr belästigen, als ich ihn belästigte.«

Doch Heinrichs Antlitz drückte bei dieser Erscheinung nur Freude aus. Er reichte dem Eintretenden die Hand, stieß verächtlich die Tafel zurück und ließ Mornay mit dem Eifer neben sich setzen, mit dem sich ein Liebender seiner Geliebten nähert. Er schien begierig, die ersten Worte zu hören, die der Rat aussprechen würde; doch plötzlich, und ehe Mornay gesprochen hatte, stand er auf, hieß ihn durch ein Zeichen warten, ging zur Tür und schob die Riegel mit einer Behutsamkeit vor, die Chicot viel zu denken gab.

Dann heftete er seinen glühenden Blick auf Karten, Pläne, Briefe, die ihm sein Minister nach und nach vorlegte.

In diesem Augenblick hörte Chicot hinter sich gehen; es war der Page, der in der Galerie wachte und auf Befehl des Königs wartete. Aus Furcht, ertappt zu werden, wenn er länger horchen würde, richtete Chicot seine lange Gestalt hoch auf und verlangte von dem Knaben, in sein Zimmer geführt zu werden.

Für Chicot gab es jetzt keinen Zweifel mehr; er kannte die Hälfte der Buchstaben, die das Rätsel bildeten, das man den König von Navarra nannte. Statt einzuschlafen, setzte er sich nachdenkend auf sein Bett, während der Mond, an den spitzen Ecken des Daches niedersteigend, wie aus einer silbernen Gießkanne herab sein Licht auf den Fluß und auf die Wiesengründe ausströmte.

»Oh! oh!« sagte Chicot trübe, »Heinrich ist ein wahrer König, Heinrich konspiriert; dieser ganze Palast, sein Park, die Stadt, die ihn umgibt, die Provinz, die ihn umgibt, alles ist ein Herd der Verschwörung.

»Heinrich ist schlau, sein Verstand kommt dem Genie nahe; er hat Verbindungen mit Spanien – dem Lande der Betrügereien. Wer weiß, ob seine edle Antwort an den Botschafter nicht das Gegenteil von dem ist, was er denkt, und ob er nicht den Gesandten durch ein Blinzeln mit den Augen oder durch ein anderes verabredetes Zeichen, das ich nicht bemerken konnte, aufmerksam gemacht hat?

»Heinrich unterhält Spione, er besoldet sie oder läßt sie durch irgendeinen Agenten besolden. Diese Bettler waren nicht mehr, nicht weniger als verkleidete Edelleute. Ihre so kunstreich beschnittenen Goldstücke sind Erkennungszeichen, materielle und greifbare Losungsworte. Heinrich stellt sich, als wäre er wahnsinnig verliebt, und während man ihn mit Liebesgeschichten beschäftigt glaubt, bringt er seine Nächte damit hin, daß er mit Mornay arbeitet, der nie schläft und die Liebe nicht kennt. Dies hatte ich zu sehen, dies habe ich gesehen. Die Königin Margarethe hat Liebhaber, der König weiß es; er kennt sie und duldet sie, weil er dieser Liebhaber oder seiner Frau oder vielleicht aller zugleich bedarf. Da er kein Kriegsmann ist, so muß er sich wohl Kapitäne unterhalten, und da er nicht viel Geld hat, so muß er sie die Münze wählen lassen, die ihnen am besten zusteht. Ich allein habe den schlauen Béarner durchschaut.«

Chicot rieb sich die Hände und fuhr dann fort: »Nun, da ich ihn durchschaut, habe ich nichts mehr hier zu tun. Während er arbeitet oder schläft, werde ich sogleich ruhig und sacht die Stadt verlassen. Es gibt, glaube ich, wenige Botschafter, die sich wie ich rühmen können, an einem einzigen Tage ihre ganze Sendung vollbracht zu haben.

»Ich werde also Nérac verlassen, und sobald ich außerhalb Nérac bin, bis Frankreich galoppieren.«

Er sprach es und fing an, seine Sporen wieder anzuschnallen, die er in dem Augenblick, wo er vor dem König erschien, abgelegt hatte.



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