Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Magdalenas sieben Sünden.

Der König warf einen Blick auf seine Pferde, und als er sie so kräftig und so feurig sah, wollte er es nicht wagen, allein im Wagen zu fahren; nachdem er Ernauton, wie wir erzählt, recht gegeben, hieß er den Herzog durch ein Zeichen in der Karosse Platz nehmen.

Loignac und Sainte-Maline nahmen ihren Platz am Kutschenschlage; ein einziger Piqueur ritt voraus.

Der Herzog saß allein auf dem Vordersitze des schweren Wagens, und der König setzte sich mit allen seinen Hunden in den Fond.

Unter diesen war ein bevorzugter; er hatte ein besonderes Kissen, auf dem er ganz sanft schlief. Zur Rechten des Königs stand ein Tisch, dessen Füße im Boden der Karosse befestigt waren; dieser Tisch war mit gemalten Zeichnungen bedeckt, die Seine Majestät, trotz der Stöße des Wagens, mit einer wunderbaren Geschicklichkeit ausschnitt.

Es waren meistens heilige Gegenstände, das heißt, nach damaliger Sitte stark mit heidnisch mythologischen Anschauungen versetzt. Stets methodisch, hatte der König im Augenblick eine Auswahl unter diesen Zeichnungen gemacht, und er beschäftigte sich damit, das Leben Magdalenas der Sünderin auszuschneiden. Man sah Magdalena, jung, schön, gefeiert; kostbare Bäder, Bälle, Vergnügungen aller Art reihten sich aneinander. Der Künstler hatte den geistreichen Gedanken gehabt, die Launen seines Grabstichels mit dem gesetzlichen Mantel der kirchlichen Autorität zu bedecken; so war jede Zeichnung, mit dem laufenden Titel der sieben Todsünden, durch eine besondere Legende erklärt. Magdalena unterliegt der Sünde des Zorns, Magdalena unterliegt der Sünde der Schwelgerei, Magdalena unterliegt der Sünde der Hoffart, Magdalena unterliegt der Sünde der Unkeuschheit, und so fort bis zur siebenten und letzten Todsünde.

Das Bild, das der König ausschnitt, als man durch die Porte Sainte-Antoine fuhr, stellte Magdalena dar, wie sie der Sünde des Zornes unterlag.

Halb auf Polstern ruhend und ohne einen anderen Schleier, als ihre prächtigen Haare, mit denen sie später die Füße Christi trocknen sollte, ließ die schöne Sünderin rechts in einen Teich voll Lampreten, deren Köpfe man gierig wie ebensoviele Schlangenmäuler aus dem Wasser hervorstehen sah, einen Sklaven werfen, der ein kostbares Gefäß zerbrochen hatte, während sie links eine Frau, die noch weniger gekleidet war als Madgalena, da sie ihre Haare hinten aufgeflochten trug, peitschen ließ, weil sie ihrer Herrin beim Frisieren einige von jenen herrlichen Haaren ausgerissen hatte, deren Üppigkeit Magdalena hätte nachsichtiger gegen einen Fehler dieser Art machen sollen.

Als man zur Croix-Faubin kam, hatte der König schon alle Figuren dieses Bildes ausgeschnitten und machte sich an das Bild: Magdalena unterliegt der Sünde der Schwelgerei.

Magdalena, die auf purpurnem Pfühl vor einer mit allen denkbaren Leckereien bedeckten Tafel lag, hielt in ihrer Hand, voll von einem topasfarbigen Trunk, ein herrliches Glas von seltener Form.

Ganz mit diesem wichtigen Werk beschäftigt, schlug der König nur die Augen auf, als er an der Priorei der Jakobiner vorüberkam, wo mit allen Glocken Vesper geläutet wurde.

Es waren auch alle Türen und Fenster besagter Priorei so gut geschlossen, daß man sie hätte für unbewohnt halten können, hätte man nicht das Vibrieren der Glocken im Innern des Gebäudes gehört.

Nach diesem Blicke fuhr der König eifrig fort, auszuschneiden. Doch hundert Schritte weiter konnte man ihn einen neugierigen Blick auf ein schönes Haus werfen sehen, das an der Straße links lag und, mitten in einem reizenden Garten gebaut, sein eisernes Gitter mit vergoldeten Spießen gegen die Landstraße öffnete. Dieses Landhaus wurde Bel-Esbat genannt.

Ganz im Gegensatz gegen das Kloster der Jakobiner waren in Bel-Esbat alle Fenster geöffnet, mit Ausnahme eines einzigen, an dem eine Jalousie herabfiel, die in dem Augenblick, wo der König vorüberfuhr, unmerklich zitterte.

Der König wechselte einen Blick und ein Lächeln mit Epernon und griff dann eine neue Todsünde an, die der Unkeuschheit.

Der Künstler hatte sie mit so furchtbaren Farben dargestellt, er hatte diese Sünde mit so viel Mut und Hartnäckigkeit gebrandmarkt, daß wir nur einen Zug anführen können. Der Schutzengel entfloh ganz erschrocken in den Himmel und verbarg dabei seine Augen mit beiden Händen.

Dieses Bild mit seinen vielen kleinen Einzelheiten nahm die Aufmerksamkeit des Königs dergestalt in Anspruch, daß er gar nicht eine gewisse Eitelkeit bemerkte, die sich am linken Schlage seines Wagens brüstete. Das war schade, denn Sainte-Maline saß so glücklich und so stolz auf seinem Pferd.

Er, ein Junker aus der Gaskogne, war Seiner Majestät dem Allerchristlichsten König so nahe, daß er ihn hören konnte, wenn er zu seinem Hunde sagte: »Schön, Master Love, du belagerst mich.«

»Man sieht mich, man schaut mich an,« sagte er, »und man fragt sich: Wer ist der glückliche Edelmann, der den König begleitet?«

Nach der Art, wie man fuhr, eine Art, die keineswegs die Befürchtungen des Königs rechtfertigte, mußte Sainte-Malines Glück lange dauern, denn von schwerem, ganz mit Silber und Posamenten bedecktem Geschirr beladen, rückte der Wagen langsam vor.

Da er sich aber zu sehr aufblähte, trat etwas wie eine Warnung von oben, etwas für ihn überaus Trauriges ein, um seine Freude zu dämpfen, er hörte den König den Namen Ernauton aussprechen. Zwei- oder dreimal sprach er ihn in zwei oder drei Minuten aus.

Er hätte sehen müssen, wie sich Sainte-Maline jedesmal bückte, um im Fluge dieses interessante Rätsel aufzufassen, ohne daß er es doch zu lösen vermochte.

Endlich kam man nach Vincennes. Es blieben dem König noch drei Sünden auszuschneiden. Unter dem Vorwand, sich dieser wichtigen Beschäftigung hinzugeben, schloß sich auch Seine Majestät, als sie kaum aus ihrem Wagen gestiegen, in ihrem Zimmer ein.

Es herrschte der kälteste Nordostwind der Welt; Sainte-Maline fing an, es sich an einem großen Kamin bequem zu machen, wo er sich wieder zu wärmen und zu schlummern hoffte, als Loignac ihm die Hand auf die Schulter legte.

»Ihr habt heute Dienst,« sagte er mit dem kurzem Tone, der nur dem Manne angehört, der viel gehorcht hat und sich nun auch Gehorsam zu verschaffen weiß; »Ihr werdet also an einem anderen Abend schlafen; auf, Herr von Sainte-Maline!«

»Ich wache vierzehn Tage hintereinander, wenn es sein muß,« erwiderte dieser.

»Es ärgert mich, daß ich niemand bei der Hand habe,« sagte Loignac, indem er sich den Anschein gab, als suche er jemand.

»Oh,« unterbrach ihn Sainte-Maline, »es ist unnötig, daß Ihr Euch an einen anderen wendet; wenn es sein muß, schlafe ich einen Monat nicht mehr.«

»Oh! Wir werden nicht so anspruchsvoll sein, beruhigt Euch.«

»Was soll ich tun?« – »Wieder zu Pferde steigen und nach Paris zurückkehren.«

»Ich bin bereit.« – »Es ist gut. Ihr begebt Euch nach der Wohnung der Fünfundvierzig. Ihr weckt dort alle auf, doch so, daß mit Ausnahme der drei Anführer, die ich Euch bezeichne, keiner erfährt, wohin man geht noch was man tun will.«

»Ich werde diese erste Instruktion pünktlich befolgen.«

»Hört weiter! Ihr laßt vierzehn von diesen Herren bei der Porte Saint-Antoine; fünfzehn andere auf halbem Weg und führt die vierzehn übrigen hierher.«

»Betrachtet dies als geschehen, Herr von Loignac; doch zu welcher Stunde soll ich von Paris aufbrechen?« – »Mit Einbruch der Nacht.«

»Zu Pferd oder zu Fuß?« – »Zu Pferd.«

»Welche Waffen?« – »Alle: Dolch, Degen und Pistolen.«

»Gepanzert?« – »Gepanzert.«

»Sonstige Befehle, gnädiger Herr?« – »Hier sind drei Briefe: einer für Herrn von Chalabre, einer für Herrn von Biran und einer für Euch. Herr von Chalabre befehligt die erste Abteilung, Herr von Biran die zweite, Ihr die dritte.«

»Sehr wohl.« – »Man wird diese Briefe nur an Ort und Stelle öffnen, wenn es sechs Uhr schlägt. Herr von Chalabre öffnet den seinigen bei der Porte Saint-Antoine, Herr von Biran bei der Croix-Faubin, Ihr bei der Porte du Donjon.«

»Sollen wir rasch marschieren?« –

»Mit der ganzen Geschwindigkeit eurer Pferde, jedoch ohne Verdacht zu erregen und ohne euch bemerkbar zu machen. Um Paris zu verlassen, schlägt jeder einen anderen Weg ein; Herr von Chalabre durch die Porte Bourdelle; Herr von Biran durch die Porte du Temple; Ihr, der Ihr den weitesten Weg zu machen habt, wählt die gerade Straße, nämlich durch die Porte Saint-Antoine.«

»Sehr wohl.«

»Die übrigen Instruktionen sind in diesen drei Briefen enthalten. Geht!«

Sainte-Maline verbeugte sich und machte eine Bewegung, um wegzugehen.

»Hört noch!« sprach Loignac, »von hier bis zur Croix Faubin reitet so schnell Ihr wollt, doch von der Croix-Faubin bis zur Barriere reitet im Schritt. Ihr habt noch zwei Stunden, bevor es Nacht wird, das ist mehr Zeit, als Ihr braucht.«

»Sehr wohl, Herr von Loignac,«

»Habt Ihr gut begriffen, oder soll ich Euch den Befehl wiederholen?«

»Es ist unnötig, gnädiger Herr.«

»Glückliche Reise, Herr von Sainte-Maline!«

Hierauf kehrte Loignac, seine Sporen schleppend, in die Gemächer zurück.

»Vierzehn bei der ersten Truppe, fünfzehn bei der zweiten und fünfzehn bei der dritten, offenbar rechnet man nicht auf Ernauton, und er gehört nicht mehr zu den Fünfundvierzig,« sagte Sainte-Maline.

Ganz aufgeblasen vor Stolz, besorgte er seinen Auftrag.

Eine halbe Stunde nach seinem Abgang von Vincennes ritt er, alle Instruktionen Loignacs buchstäblich befolgend, durch die Barriere; eine Viertelstunde nachher war er in der Wohnung der Fünfundvierzig.

Da es erst halb sechs Uhr war, so fand Sainte-Maline alle seine Leute noch auf und in der gastronomischsten Stimmung der Welt. Doch mit einem Worte warf er alle ihre Näpfe um.

»Zu Pferde, meine Herren!«, sagte er.

Und er überließ die ganze Genossenschaft der Märtyrer der Verwirrung dieser Maßregel und erklärte den Herren von Biran und von Chalabre den Befehl.

Die einen schoben, während sie ihre Wehrgehänge befestigten und ihre Panzer umschnallten, einige große Bissen in den Mund und befeuchteten sie mit einem gewaltigen Schluck Wein; andere, deren Abendessen weniger weit vorgerückt war, waffneten sich mit Ergebung.

Herr von Chalabre allein behauptete, während er seine Regenkoppel zuschnallte, er habe schon vor mehr als einer Stunde zu Abend gegessen.

Man schritt zum Verlesen. Sainte-Maline mit inbegriffen, antworteten nur Vierundvierzig.

»Herr Ernauton von Carmainges fehlt,« sagte Herr von Chalabre.

Eine tiefe Freude erfüllte das Herz Sainte-Malines und strömte bis zu seinen Lippen zurück, die eine Grimasse des Lächelns bildeten . . . eine seltene Erscheinung bei diesem Mann mit dem düsteren, neidischen Temperament.

Die Fünfundvierzig oder vielmehr Vierundvierzig marschierten also ab, jeder Zug auf dem ihm vorgeschriebenen Wege, nämlich Herr von Chalabre mit dreizehn Mann durch die Porte Bourdelle, Herr von Biran mit vierzehn durch die Porte du Temple und Sainte-Maline endlich mit den übrigen vierzehn durch die Porte Saint-Antoine.



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