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Als Polizeiwachtmeister Eisele die schöngeschriebenen Meldungen seiner Schutzleute Wachter I und II durchlas, um die nötige Feile an sie zu legen, bevor sie der königlichen Staatsanwaltschaft zur hohen weiteren Verfügung übergeben wurden, schüttelte er zu wiederholten Malen sehr nachdrücklich den Kopf. Er tadelte seine Leute nicht, aber er lobte sie auch nicht. Er sagte überhaupt kein Wort, bis er die beiden Bogen in Kanzleiformat vom ersten bis zum letzten Buchstaben sorgfältig durchgelesen hatte.
Daraus geht hervor, daß Wachtmeister Eisele ein verläßlicher Mann war, der seinen Dienst richtig handhabte, denn er nahm also seine Sache genau und war nicht voreilig in seinem Urteil. Außerdem hatte er die Gepflogenheit, die »Fälle« mit seinen Leuten durchzusprechen, sie auf Fehler aufmerksam zu machen, ähnliche Vorkommnisse aus dem reichen Schatz seiner Erfahrung zum Vergleiche heranzuziehen und in jeder Beziehung belehrend auf seine Leute einzuwirken.
So saß nun Wachtmeister Eisele auch heute abend hinter dem schweren eichenen Tische, er hatte zum überlesen der Meldungen auf die Nasenspitze einen Kneifer gesetzt, über den er beständig hinwegsah, und strich sich bedächtig den wallenden grauen Bart, während die Schutzleute Wachter I und II mit der unbehaglichen Miene von Schülern, denen die Hausaufgabe durchgesehen wird, links und rechts vor ihm standen.
»Die Meldungen sind schon recht,« sagte er, »aber sie leiden an dem Mangel, daß nicht sämtliche Umstände genau erhoben sind. Es ist immer notwendig, sämtliche Personen, die bei dem angezeigten Vorfall zugegen waren, zu hören, und wenn man auch noch so überzeugt ist, daß ihre Angaben nicht von Bedeutung sind. Denn man kann es niemals sicher wissen. Ich kann ungezählte Beispiele anführen, daß in verwickelten Fällen gerade durch die Personen, deren Vernehmung man sich schenken zu dürfen glaubte, Licht in die Sache gebracht wurde.«
Als er diese durchaus richtige Belehrung erteilt hatte, sah er seine Untergebenen über den Kneifer hinweg an, ob sie auch richtig verstanden hätten und keine Einwendungen wagten.
Aber die Schutzleute Wachter I und II verzogen keine Miene, dafür waren sie alte Soldaten. Möglich, daß der eine oder der andre von beiden etwas dachte, was den Wachtmeister Eisele angegangen wäre – das kam ja auch früher während ihrer Militärzeit vor – aber sie äußerten es jedenfalls nicht.
»Warum haben Sie zum Beispiel« – Eisele wandte sich aufs Geratewohl an Wachter I – »nicht den Professor Nußotter gehört, der ja bei der Geschichte auch um den Weg war?«
Auf diese direkte Frage mußte nun Wachter I Antwort geben. Hätte ich den Herrn zur Rede gestellt, denkt er, so hätte ich sicher ein Donnerwetter zu hören bekommen, daß ich unverständig dreinfahre, anständige Leute belästige und die Polizei in Mißkredit bringe. Nun, da ich es nicht getan habe, schimpft er natürlich auf der andern Seite. Aber da es nicht angeht, frisch von der Leber weg zu sagen, was man denkt, wenn man einem Vorgesetzten gegenübersteht, so bemerkte er, gewunden und verlegen, ein Herr in solcher Stellung könne doch nicht für verdächtig gehalten werden.
Das ist die Antwort, die Eisele am meisten reizt. »Wachter I,« sagte er, »wenn Sie auf diesem Standpunkt stehen, werden Sie es nie zu etwas Rechtem bringen. Das ist ein Hauptfehler eines Kriminalisten, nicht von vornherein jede, auch die entfernteste Möglichkeit, ins Auge zu fassen. Ich könnte Ihnen Beispiele erzählen, Beispiele, daß Sie sich wundern würden, Beispiele von Leuten, die ein hervorragendes Ansehen genossen und die doch einmal einen dummen Streich gemacht haben!«
Nunmehr hielt Wachter II den Zeitpunkt für gekommen, den Wachtmeister Eisele darauf aufmerksam zu machen, daß er in ihm einen gläubigen Anhänger seiner Theorie zu sehen habe. Aber in dem Bestreben, das Wohlgefallen seines Vorgesetzten zu erwerben und gleichzeitig einen kleinen Triumph über den überlegenen Kameraden zu erringen, schoß er weit über das Ziel hinaus.
»Wollten Sie etwas sagen, Wachter II?« fragte Eisele, da er glaubte, jener bewege die Lippen.
Darauf rückte Wachter II mit einer kuriosen Geschichte heraus, die er gehört und bisher wohlweislich verschwiegen hat, daß Fräulein Hedwig Steinhauser vorausgesehen hat, man werde bei der Marianne die Uhr nicht finden. Weil sie überhaupt nicht glaube, daß Marianne die Uhr gestohlen hat, sondern weil sie den Verdacht auf Professor Nußotter habe, und weil sie glaube, daß er ein Kleptomaner sei – »Kleptomane!« berichtigte Wachtmeister Eisele – und deshalb sicher auch die Uhr eingeschoben habe.
Wachtmeister Eisele strich sich den Bart. Seinem Grundsatz gemäß hat er Wachter II ausreden lassen, weil er erst urteilt, wenn er die ganze Grundlage kennt. Nun aber entlud sich ein Gewitter über den armen Wachter II, das von unerhörter Heftigkeit war.
Er stand sogar auf, um seinen Worten besseren Nachdruck zu geben. »Wie kommen Sie mir eigentlich vor, Wachter II?« Und je mehr er spricht, um so mehr redet er sich in Zorn und um so lauter tönt seine Stimme. »Sie befassen sich mit der Untersuchung der Sache, Sie nehmen eine erfolglose Durchsuchung vor bei einer Person, die die Uhr noch haben müßte, wenn sie sie je gestohlen hat. Sie erfahren, daß Nußotter ein Kleptomane ist …das kümmert aber den Schutzmann Wachter II gar nicht! Sie stellen keine Nachforschungen an bei Nußotter, nein, Sie schreiben nicht einmal diesen höchst wichtigen Umstand in die Meldung! Wie« – er betonte dieses »Wie« sehr nachdrücklich – »kommen Sie mir eigentlich vor, muß ich noch einmal fragen?«
Noch verschiedene Male wollte er im Laufe seiner Rede von Wachter II wissen, wie er ihm vorkomme, obgleich es klar ist, daß ihm der Schutzmann hierüber keine Auskunft geben konnte, denn wenn es der Herr Wachtmeister selbst nicht wußte, wie soll es dann Wachter II wissen?
Wachter I freut sich aufrichtig, weil der andre, nachdem er so unkameradschaftlich an ihm gehandelt und ihm die Geschichte mit August Wiedmann verschwiegen hat, nun selbst in die Patsche geraten ist, Wachter II aber ist ganz niedergeschmettert und kommt nun auf dieselbe unglückliche Ausrede, die vorher sein Kollege gebraucht hat und stammelt etwas davon, daß man doch nicht annehmen könne, ein Herr, wie Professor Nußotter, könnte so was getan haben.
Das erregt aber den Wachtmeister aufs neue. »Kein Verlaß! Kein Verlaß! Was man nicht selbst macht, ist nichts und bleibt nichts! Ich sage nur, der Hafner war es nicht und Sie sind auf einer falschen Fährte, Wachter I! Sonst hätte er die Anzeige nicht gemacht. Die Köchin ist es aber auch nicht, da sind Sie ganz falsch daran, Wachter II! Sonst müßten Sie die Uhr noch bei ihr gefunden haben. Beide haben Sie die Sache völlig falsch angegriffen, und es wird das beste sein, ich nehme die weitere Nachforschung selbst in die Hand …Ich kann Ihnen nur prophezeien, wären diese Meldungen, so wie sie vorliegen, an die königliche Staatsanwaltschaft abgegangen, das Stadtpolizeiamt hätte einen Rüffel bekommen – und daran wären Sie schuld! – der nicht von Pappe gewesen wäre.«
Somit schickte sich Polizeiwachtmeister Eisele an, selbst die weiteren Ermittlungen anzustellen.
Professor Nußotter saß in dem Arbeitszimmer seiner Wohnung in der Glöcklerstraße. Die Stube war hübsch hell, aber etwas nieder, wie es in alten Häusern vielfach angetroffen wird. Sie war nicht unfreundlich und machte doch den eigentümlichen Eindruck einer richtigen Junggesellenwohnung. Das kam vielleicht von den verschobenen, nicht sehr frischen Gardinen oder der einfachen, wenig auf die Bequemlichkeit des Bewohners zugeschnittenen Einrichtung oder von der Schmucklosigkeit der Wände oder dem dem Zimmer stets anhaftenden Tabakduft oder von allem dem zusammen.
Der Professor war ein Mann in den vierziger Jahren, hatte lange blonde, etwas gelockte und etwas ungepflegte Haare, ein mangelhaft rasiertes Kinn, gutmütige Augen und im übrigen ein gescheites Gesicht, dem aber eine große, vorspringende Nase einen gewissen Ausdruck der Kühnheit verlieh. Den Halskragen hatte er abgebunden, er lag samt der Krawatte neben ihm auf dem Schreibtische, und seine Füße in gute warme Filzpantoffeln gekleidet – wenn schon die Jahreszeit keinen besonderen Schutz vor Kälte erfordert hätte! – und rauchte aus einer Wiener Meerschaumpfeife.
Anscheinend war der Herr Professor damit beschäftigt gewesen, eine gehörige Anzahl von Schulheften, die in malerischer Unordnung aufgebeugt waren, zu korrigieren. Aber da ihm plötzlich eine sublime Idee über die Auslegung einer bestrittenen Stelle des Redners Lysias eingefallen war, hatte er eine Textausgabe des Lysias aus der Seitentasche seines Hausrocks – oder war es doch der Ausgangsrock? – gezogen und er war so vertieft in diese Musterreden, daß er gänzlich vergaß, er sei zu Hause geblieben, um Schularbeiten zu korrigieren. Vielleicht vergaß er überhaupt, daß er zu Hause in der Glöcklerstraße saß, und man kann nicht darauf schwören, ob er nicht vergaß, daß er der Professor Nußotter am städtischen Pädagogium sei.
In seinem Nachdenken wurde er empfindlich durch das Eintreten seiner Haushälterin Susanne gestört mit der Mitteilung, es sei jemand draußen und wünsche den Herrn Professor dringend zu sprechen.
»Aber Susanne, so kann ich doch niemand empfangen! Und Sie wissen doch, daß ich um diese Zeit für niemand zu Hause bin.«
Die gute ältliche Haushälterin zeigte ein merkwürdig ängstliches Gesicht. Sie drückte ihre Stimme zum Flüstern herab. »Er will nicht gehen und behauptet, er müsse Sie notwendig sprechen …und ich glaube, es ist einer von der Polizei!«
»Was der Tausend!« Professor Nußotter schüttelte seine Locken. Aber der Name der Polizei öffnet überall die Türen. Auch Herr Professor Nußotter erhob sich alsbald, um nach dem Manne zu sehen.
Doch dieser kam ihm zuvor. Es klopfte und ohne die Einladung zum Eintreten abzuwarten, erschien der Wachtmeister Eisele auf der Schwelle.
Man darf daraus nicht schließen, daß der Wachtmeister ein schroffer, ungebührlicher Mensch wäre; im Gegenteil nimmt er immer Rücksicht auf das Publikum, er wahrt die Form und vermeidet diese Grobheit und Rücksichtslosigkeit, die zuweilen bei seinen jungen Untergebenen vorkommen. Nur wenn der Dienst es erfordert, kehrt er sich nicht an die Gebräuche der Höflichkeit, sondern versteht auch schneidig aufzutreten.
Im vorliegenden Falle aber erforderte es der Dienst, daß er eintrat, ohne das »Herein« abzuwarten. Denn wer bürgte dafür, daß nicht die Haushälterin den Professor warnte? Und darum folgte er ihr auf dem Fuße. Übrigens hatte er Zivil angezogen, denn es ist nicht notwendig, daß man sofort weiß, wer er ist.
Professor Nußotter starrte den bärtigen Hünen mit seiner militärischen Haltung, in seinem zweireihigen, hochgeschlossenen, uniformähnlichen Rocke und mit dem strengen, befehlenden Gesichte – jede Katze mußte in ihm den Polizeiwachtmeister erkennen – durch seine blanken runden Brillengläser wortlos an und schien auf eine Anrede zu warten. Eine leichte Röte stieg in dem Gesicht mit der durchsichtigen zarten Haut auf. Es ist unter allen Umständen und für jedermann peinlich, in seiner Wohnung von der Kriminalpolizei aufgesucht zu werden. Da aber Eisele offenbar den Anfang nicht machen wollte, fragte er einfach: »Was verschafft mir die Ehre?« Das Vergnügen wollte er nicht sagen, weil er sich zum Grundsatze erhob, die konventionellen Lügen nicht mitzumachen.
Da aber die Haushälterin Susanne neugierig mit allerlei unnützen Geschäften in einer Ecke des Zimmers herumhantierte und weder Nußotter Veranlassung nahm, sie hinauszuschicken noch sie selbst die Blicke des Wachtmeisters zu verstehen schien, sagte er: »Es wäre mir von Wichtigkeit, Sie unter vier Augen zu sprechen, Herr Professor.«
In des Professors Gesicht verstärkte sich die Röte noch etwas, aber er bat Susanne trocken und kurz, sie allein zu lassen.
Nun wäre vielleicht mancher so vorgegangen, daß er dem Professor gesagt hätte, um was es sich handelte, und ihm unmittelbar und geradeaus Vorhalt gemacht hätte. So etwas macht aber Wachtmeister Eisele nicht, dazu ist er nicht nur zu höflich, sondern auch zu klug.
Darum ist er auch jetzt nicht sofort zu Professor Nußotter gegangen, sondern er ist zuerst in das Haus am Weinhofe zu Frau Steinhauser – sie hat also heute schon den zweiten Besuch von der Polizei erhalten – und hat sich ordentlich und, wie es sich gehört, erkundigt, ob sein Verdacht auch einigermaßen begründet ist. Hier hat er von Frau Steinhauser erfahren, daß die Uhr innerhalb von zehn Minuten gesehen und nicht mehr gesehen wurde, und daß in dieser Zeit kein Mensch das Haus betreten hat außer dem Professor Nußotter, und daß es keiner verlassen hat, außer dem Professor und dem Hafnergesellen. Fräulein Hedwig aber hat ihn mit mancherlei wertvollem Material versehen, nämlich mit der Geschichte von der silbernen Dose, die vermißt und wiedergefunden wurde, und bei der auch der Professor beteiligt war, weil er im Hause war, und mit der Geschichte von Papas Spazierstock, die sehr auffällig ist, da Nußotter damals selbst keinen Stock bei sich hatte. Er hat erfahren, daß der Professor schon einmal einen falschen Hut und ein andermal einen falschen Überrock mitgenommen hat – von wem sie das erfahren hat, weiß aber Fräulein Hedwig nicht mehr – und daß man in der Stadt sagt, daß Nußotter an Kleptomanie leide, wobei das Fräulein allerdings wieder nicht sagen kann, von wem sie es weiß. Er hat auch gehört, und das ist das Wichtigste, wie der Professor in eigentümlicher Weise, ohne das Erscheinen der Frau Steinhauser im Empfangszimmer abzuwarten, dieses wieder verlassen hat, und somit fühlt er sich innerlich berechtigt, sich genaueren Aufschluß von Herrn Nußotter zu erbitten.
Dies alles sagte aber Wachtmeister Eisele natürlich dem Herrn Professor beileibe nicht, sondern er tat gerade, wie wenn er gekommen wäre, um sich in aller Harmlosigkeit und Gemütlichkeit zu unterhalten. »Ich habe gehört, Sie seien eifriger Sammler, Herr Professor?«
Darauf lächelte Nußotter bescheiden. »Man tut mir zuviel Ehre an. Ein wenig bin ich auch Sammler.«
»Und was sammelt der Herr Professor, wenn man fragen darf?«
Professor Nußotter schien sich über diese unbescheidene Frage nicht zu wundern. – Vielleicht nimmt er an, daß sich der Polizeimann für Sammlungen interessiert, er ist ja auch in Zivil. – »Ach, man macht zuviel Aufhebens in der Stadt. Es ist wirklich nicht recht, daß man meine Liebhabereien Sammlungen nennt. Hauptsächlich interessiere ich mich für altertümliche Uhren.«
Jetzt hätte sich der Wachtmeister trotz seiner großen Lebenserfahrung und seiner Selbstbeherrschung, die er sich in langen Jahren angeeignet hat, doch beinahe verraten. – Da hat man ja die Geschichte! denkt er. Das auch noch! »Ei,« sagte er schnell gefaßt, »das Sammeln ist gerade auch meine Liebhaberei! Wenn man nur das nötige Kleingeld dazu hätte! …Wäre es vielleicht gestattet, Ihre Sammlungen zu sehen?« – Notabene, er sagt nicht, er möchte die Uhren sehen, so ungeschickt ist er nicht. Das wäre viel zu auffallend gewesen. Lieber nimmt er sich die Mühe und sieht alles der Reihe nach durch.
Nußotter lächelte. »Warum denn nicht? Mit dem größten Vergnügen! Die Sammlungen müssen jedermann zugänglich gemacht werden, sonst haben sie keinen Wert, sonst sind sie im Gegenteil schädlich …Bitte, bemühen Sie sich nur hier herein!«
Der Wachtmeister fühlte sich unangenehm berührt durch diese große Bereitwilligkeit. Er sah auch das Lächeln und weiß nun nicht, lächelt der Professor nur über sein Interesse oder hat er ihn durchschaut und will ihn höhnen. – Ich werde schon aufpassen, denkt er und läßt seine Augen umherlaufen, um zu sehen, ob die Uhr nicht etwa in diesem Zimmer auf dem Schreibtisch oder sonstwo liegt.
Danach besah Eisele mit ungemein geringem Interesse, aber um so lebhafterer Beteuerung seiner Freude die Autographensammlung des Professors, seine Münzensammlung und die Sammlung der Versteinerungen, bei der sich Nußotter besonders lange aufhielt, und die noch bedeutend langweiliger war, als die andern. Und da er, um nicht aus der Rolle zu fallen, doch auch dann und wann eine Bemerkung machen mußte, machte er solche mit dem unglücklichen Gefühl, daß er sich hier auf einem unsicheren Gebiete befinde und sich bedeutend zu blamieren in der Lage sei.
»Nun zu den Uhren,« sagte der Professor. »Wenn Sie sich auch dafür interessieren?«
»O freilich! O freilich!«
Wie die Augen des Wachtmeisters funkelten! – Nun werde ich aber meine Sinne zusammennehmen, denkt er. Du wirst sehen, mein Lieber, wie mich das interessiert! Wenn ich alles so sicher wüßte, als daß ich in den nächsten zehn Minuten die Uhr sehen werde! Nach der Beschreibung der Frau Steinhauser kann es gar nicht fehlen, würde ich sie unter Hunderten herausfinden!
Danach sah man die Uhren an, die sauber in zwei gläsernen Schaukästen auf Samt lagen.
Und jetzt zuckte er zusammen. Bevor noch der Professor mit der Erklärung des ersten Kastens zu Ende war, sah er schon im zweiten Kasten die Uhr liegen. – Tatsächlich! Tatsächlich! dachte er, aber er beherrschte sich und wartete ruhig, bis ihn der Professor zum zweiten Kasten führte. – O Schrecken! Als er näher kam, war es nicht bloß eine, nein, waren es mindestens zehn Uhren, die alle unter sich verschieden waren, und von denen doch jede einzelne auf die Beschreibung der Frau Steinhauser so gut paßte, als er es nur wünschen konnte. »Ei der Tausend!«
»Sagten Sie etwas?« fragte Nußotter, harmlos wie ein Kind.
Und nun stammelt Eisele etwas von wunderbaren Stücken und besinnt sich fortwährend, was er jetzt tun soll. – Jedenfalls ist die Steinhausersche Uhr darunter! …Aber wenn er zehn solcher Uhren hat, kann er auch alle zehn rechtmäßig erworben haben und kann sie gerade so gut nicht darunter sein! – Und während ihn der Professor jetzt wieder in sein Arbeitszimmer hinüberführt, besinnt er sich krampfhaft, wie er weitermachen soll. Wenn er nur wenigstens herausbringen könnte, wie sich der Professor hinausreden will, daß er heute morgen so eilig und so heimlich das Steinhausersche Haus verlassen hat! Doch das ist eine heikle Frage und man muß dabei furchtbar vorsichtig zu Werke gehen.
Aber Wachtmeister Eisele verdient seinen Rang und seine Stellung. »Sie werden mich für unbescheiden halten,« sagte er, »daß ich Ihnen so in das Haus gefallen bin. Ich danke Ihnen verbindlichst für Ihre Gefälligkeit …Haben wir uns übrigens nicht heute schon einmal gesehen? Gingen Sie nicht etwa gegen zehn Uhr über den Weinhof zu Herrn Steinhauser?«
»Ich?« erwiderte Nußotter. Er hatte auf einmal einen merkwürdig verschleierten Blick. Steinhausers Marianne würde gesagt haben, er sehe überirdisch aus, als wäre er nicht von dieser Welt. – Vielleicht dachte er gerade an den seligen Lysias und seine Reden an die Athener. Jedenfalls gab er eine sehr zerstreute Antwort. »Ich? …Ach ja! …Ganz richtig!« Wachtmeister Eisele lauerte wie ein Spürhund. – »Ganz richtig! Ach ja so, die Uhr+…« Und dabei tastete er mit jener unwillkürlichen Bewegung, wie sie bei zerstreuten Menschen gerne vorkommt, an seiner äußeren Rocktasche herum. Er sagte es halblaut, gerade als ob er mit sich selbst spräche, und sein Blick schweifte in die Ferne. »Ich kann mich nicht erinnern, Sie gesehen zu haben,« sagte er dann laut und seine Augen wurden wieder hell. »Wirklich nicht!«
Der Wachtmeister lachte, aber es war kein gutmütiges fröhliches Lachen. Mehr brauche ich nicht! Wozu noch mehr? denkt er+… »Ach so, die Uhr!« Das genügt mir.
Er empfahl sich und ging sehr eilig zur Polizeiwache zurück.
Dort klang soeben das Telephon; es war die ungeduldige Frau Steinhauser. »Wie steht's?«
»Es ist außer Zweifel, er ist's!«
»Der Professor?«
»Ja, freilich!«
»Um Gottes willen, wer hätte das gedacht! …Ich werde sogleich meinem Mann telegraphieren, er soll nach Hause kommen!«
»Haben Sie gar nicht nötig!« Wachtmeister Eisele ist nicht bloß Polizeibeamter, er ist auch Mensch. »Herr Steinhauser erfährt es noch zeitig genug, wenn er zurückkommt. Verhunzen Sie ihm doch die Reise nicht!«
»Meinen Sie?«
»Eigentlich haben Sie recht, Herr Wachtmeister! Meinen verbindlichen Dank für Ihre Bemühung!«
»Keinen Dank, es war nur meine Pflicht!«