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XII.

Florent Herreyns gehörte zu den Leuten, die von zahlreichen Freunden ebenso herzlich ausgelacht, wie liebgehabt werden. Daraus kann man schließen, daß er vortreffliche Eigenschaften und viele Wunderlichkeiten zugleich hatte.

Was ihn charakterisirte und zu einer der eigenthümlichsten Individualitäten der Antwerpner Literatenwelt stempelte, das war der Gegensatz zwischen seinen Eigenschaften und seinen Wunderlichkeiten: diese waren weiblich, jene männlich. Wenn er von unerschütterlicher Pflichttreue im Amt, von der höchsten Aufopferung in der Freundschaft, von der echtesten Loyalität und Diskretion in allen Verhältnissen war, so war er zugleich aufbrausend wie ein Milchtopf, empfindlich wie ein verzogenes Kind, furchtsam vor Nachrede wie die junge Frau eines alten Mannes, ängstlich mit seiner Person wie ein junger Greis. Er faßte diese seine sämmtlichen kleinen Schwächen in den drei Worten zusammen: »Ich bin nervös.« Damit glaubte er Alles erklärt und gerechtfertigt. Eigentlich brauchte er nichts zu erklären und zu rechtfertigen, denn man ließ ihm Alles durch, man ließ ihn selbst böse werden. »Zu seinem Schaden,« sagte unsere weise kleine Helene. »Wenn man ihn zwänge, sich etwas mehr zu beherrschen, so würde er stärker und dadurch gesünder werden. Aber so wie er ist,« hatte sie mit ihrer sentenziösen Art hinzugesetzt, »ist er ganz dazu geeignet, der Freund einer Frau und selbst der eines jungen Mädchens zu werden, und das ist der höchste Lobspruch, den man einem Manne ertheilen kann.«

Darum dachte sie jetzt an ihn. Herreyns gegenüber würde sie von Hendrik sprechen können, ohne zu erröthen. Erröthen gehörte zu den Dingen, welche Fräulein Helenen »äußerst unangenehm« waren, weil man dabei »so dumm aussähe«. Herreyns nun machte Frauen nie verlegen, sie hatten völliges Zutrauen zu ihm, Helene behandelte ihn mit der Höflichkeit, wie sie ein junges Mädchen einem ältern Manne bezeugt. Und er war achtundzwanzig Jahr, gerade acht Jahr älter als sie. Ein geistreicher und boshafter Freund behauptete, das käme Alles von der Archäologie her, mit welcher Herreyns sich geistreich und gründlich beschäftigte. »Der Mensch war mit zwanzig Jahren schon Archäologe,« sagte der Freund, »wie sollte er da Zeit gehabt haben, um jung sein zu können?«

Wie Florent Herreyns nun einmal war, sehr eilig, sehr gut, sehr sorgfältig vor aller Zugluft eingewickelt und vor Allem sehr nervös, kam er am nächsten Tage gegen sechs Uhr zu der Herrmann.

Es war in einem Atelier ein Bild fertig geworden, das mußte die Hofräthin sehen. Morgen wollten sie hin, morgen war Sonnabend, da hatte er auf seinem Bureau nichts zu thun – Herreyns hatte ein Amt bei ich weiß nicht welcher städtischen Verwaltung – wollte Madame »Ermann?« Florent ließ gewissenhaft alle H's weg, eine Eigenthümlichkeit des Vlämischen, welche Namen beim Aussprechen für den Fremden oft völlig unverständlich macht.

»Madame Ermann« wollte mit Freuden. Das Bild war gewiß wunderschön?

Es war ein Meisterwerk. Bei Florent war jedes Bild, welches in Antwerpen gemalt wurde, ein Meisterwerk, jedes Buch, das in Antwerpen geschrieben wurde, desgleichen – in Antwerpen gab es nur Meister. Nie ist, was die Franzosen »Kirchthurmliebe« nennen, so nah der Leidenschaft gekommen, wie Florent's Anhänglichkeit an seine Vaterstadt. Er liebte sie »nervös,« das drückt Alles aus.

Deßwegen stimmte er auch viel besser mit der Hofräthin überein, als mit Helenen. Die Künstlerin, welche immer Enthusiasmus überflüssig hatte, fragte nicht danach, woran sie ihn wandte, und spielte so bei Florent's vaterstädtischen Hymnen mit der liebenswürdigsten Gefälligkeit die Rolle des Echos. Helene, die mit ihrem Beifall so gut Haus hielt, wie mit allen übrigen Dingen, hörte zwar meistens mit Antheil zu, gab wohl auch bei Manchem ihre Beistimmung zu erkennen, aber that das, wie alles sonst, nur mit Maßen. So glaubte denn Florent, sie lasse seinem Antwerpen nicht die Gerechtigkeit widerfahren, welche der »Königin der Schelde« gebühre, und das machte ihn bisweilen »nervös« gegen Helene. Dann sah sie ihn an und zuckte mit einer kleinen spöttischen Miene ganz unmerklich die Achseln. Im Ganzen waren sie jedoch gute Freunde, so weit nämlich Helene das mit einem Manne sein konnte, und Florent bereute es nicht, daß er Hendrik's Andringen nachgegeben. und ihn zu den Deutschen begleitet hatte. Eigentlich liebte Florent es nicht, mit Fremden zu verkehren, und sie wurden ihm immer aufgeladen; jeder Freund aus Gent oder Brüssel adressirte die Fremden, die Antwerpen sehen wollten, an Florent. Dann lief Florent mit ihnen in der Stadt herum, verlor den Athem, verlor die Zeit und wurde »nervös.« So hatte er denn Hendrik's Vorstellungen mehrere Wochen lang mit Ungeduld zurückgewiesen, und war zuletzt, glaub' ich, nur mitgegangen, um endlich einmal Ruhe zu haben.

Aber sobald er eine Stunde mit der Hofräthin geplaudert hatte, gefiel sie ihm schon deßwegen, weil sie Rubens für den ersten Maler der Welt erklärte. Das war auch in Florent's Kunstcredo der Hauptartikel, und wer gleich ihm daran glaubte, war sein innerlicher Genosse.

Helene machte ihn auch darin »nervös,« daß sie die Melancholie Van Dyck's der Ueberpracht von Rubens vorzog. Florent versuchte anfänglich mit einem wahrhaft altspanischen Glaubenseifer ihre Bekehrung, doch Helene ließ sich nie in etwas hinein oder aus etwas heraus reden; hatte sie ihr Urtheil erst einmal fertig, so war es für immer.

»Ich sehe nicht ein, warum ich mir durchaus bei Rubens Augenschmerzen holen soll,« sagte sie zur Mutter. »Auf seinen Bildern ist's gerade, wie wenn es bei Sonnenschein blitzt und regnet – ich bin für die Ruhe, sei es im Schatten, sei es im Sonnenschein – Van Dyck ist Ruhe im Schatten.« Und wenn sie die Mutter auf das Museum begleitete, und diese sich an die Kopie setzte, welche sie von Rubens »Jungfrau mit dem Papagei,« unternommen hatte, einem der glänzendsten Bilder dieses glanzreichsten aller Maler, da nahm Helene vor einer der Erlöserdarstellungen Van Dyck's Platz. Am stillsten und längsten stand sie immer vor dem Kreuz, welches einsam in den düstern Wolkenhimmel hineinragt. Wenn sie dann zurückkam, las sie oft ein Kapitel von der Nachfolge Christi, welche als Kommunionsgeschenk des Onkels sie immer bei sich hatte. Hätte sie sich über ihre innersten Empfindungen ausgesprochen, würde sie gesagt haben, daß erst durch Van Dyck ihr die Idee des leidenden Christus recht deutlich geworden sei. Aber das war zu tief in ihr, um sich äußern zu lassen, sie begnügte sich, einfach zu sagen: »ich ziehe Van Dyck allen andern Malern vor.« Florent, der als getreuer Antwerpner nicht anders konnte, als Van Dyck auch anbeten, war in einer drolligen Verlegenheit. Eigentlich konnte er nichts sagen, denn was dem einen seiner großen Landsleute entzogen wurde, das kam dem Andern zu Gute. Er hätte nur gewünscht, daß Helene beide Meister gleich bewundert hätte; da es sich nicht machen wollte, schickte er sich. Auch jetzt sagte er zu ihr: »Sie können mit uns kommen, Mademoiselle, Sie werden ein ruhiges Bild sehen.« Florent sprach mit Helenen und ihrer Mutter meistens französisch.

Helene antwortete: »Wenn es auch ein unruhiges Bild wäre, würde ich Mama doch begleiten,« dann nahm sie Van Loon's Bändchen, das vor ihr auf dem Tische lag, schlug es bei dem Liede auf, welches sie an Cesarine gerichtet glaubte, und sagte ohne das mindeste Stocken: »ich habe heute die Lieder von Herrn Van Loon gelesen – bitte, wer ist Maria?«

Florent, der in seinen archäologischen Studien unbarmherzig alle romantischen Erfindungen in den Lebensgeschichten der Maler verfolgte und entlarvte, war doch bei seinen literarischen Zeit- und Stadtgenossen auf Nichts stolzer, als auf die Romantik, welche es etwa in ihrem Leben geben mochte. Konnte er von einem sagen: »er hat bereits einen Blutsturz gehabt,« so empfand er einen Triumph. Damit fing er auch jetzt die Geschichte von Hendrik's Jugendliebe an. Helene zog ein Gesicht, sie konnte Blutstürze ebenso wenig leiden, wie Nervenschwäche. »Wenn ein Mann kränklich ist, was soll er denn da in der Welt?« fragte sie, wenn man ihr einen Mann dadurch interessant machen wollte, daß er körperlich litt. Es war die Unduldsamkeit eines durch und durch gesunden Wesens, sowie eine ideale und darum übertriebene Auffassung der Männlichkeit, welche allerdings ohne Kraft nicht ihre Aufgabe in der Welt erfüllen kann. Nur wußte Helene noch nicht, daß der Wille ebenso stark sein kann, wie die Gesundheit.

Florent wunderte sich, daß seine rührende Erzählung von Hendrik's Lieben und Leiden keinen größern Eindruck auf das junge Mädchen hervorbringe. Helene blickte, während er sprach, auf das Bändchen nieder, welches sie noch immer in der Hand hielt.

Als er mit einem » voilà« schloß, legte sie das Buch auf den Tisch zurück, und sagte: »Dank, Herr Herreyns.« Dann fragte sie ihn, ob sie ihm etwas vorspielen solle. »Aber nicht den Trauermarsch von Beethoven,« setzte sie hinzu. »Das taugt für Sie gerade so wenig wie die Stunden, welche Sie vor dem blutenden Christuskopf von Massys zubringen. Sie müssen sich durchaus diese Gefühlsschwelgereien versagen, Ihre Nerven erschlaffen ja immer mehr. Sehen Sie, mich macht die Musik niemals nervenkrank, das kommt daher, weil ich sie vernünftig betreibe. Hat denn Herr Van Loon jetzt wenigstens den Blutsturz aufgegeben?«

»Ich glaube, er hat mehr als das aufgegeben,« antwortete Florent, der sich einbildete, Helene beobachten zu können. »Er ist jetzt, was Sie vernünftig nennen.«

Helene sah ihn klar und unbefangen an. »Ja?« antwortete sie, »das ist recht gut, dann wird er wieder gesund werden.« Sie setzte sich an den Flügel und spielte ein Lied von Mendelssohn-Bartholdy.


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