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X.

Trotzdem erschien Hendrik pünktlich am nächsten Nachmittag im Hôtel Rubens. Rien hatte ihn nicht zurückgehalten, sie war, um eifersüchtig zu sein, vielleicht zu eitel, vielleicht selbst zu träge. Wäre sie aber auch eifersüchtig gewesen, hätte sie Hendrik von dem Besuche bei den Deutschen abhalten wollen, so würde Hendrik ihn nichts desto weniger gemacht haben. Hendrik war allerdings in Cesarine bis über die Ohren verliebt und für den Augenblick ihr unterthäniger Diener, aber Hendrik war auch Vlaming, d. h. er behielt sich selbst als Verliebter und Verlobter ungeschmälert die Freiheit vor, zu thun und zu lassen, was er wollte.

Die Hofräthin empfing ihn, ich will nicht sagen mit offenen Armen, aber mit offenem Herzen. Sie hatte am Morgen das Museum besucht, und war »in Entzücken«. In aufrichtigem und echtem, denn sie war wirklich bis in die Seele hinein Künstlerin. Hätte ihr Talent bereits mit ihrem Enthusiasmus im Verhältniß gestanden, ihr Ruf hätte schon glänzend sein müssen. Aber, bis jetzt rechtfertigte, was man von ihr sah, nicht das, was man von ihr erwartete, wenn man sie sprechen hörte. Ihre Arbeiten litten hauptsächlich noch Mangel an plastischem Hervortreten. Weiter fehlte ihr wohl auch ein wenig die Unbefangenheit in der Komposition, sie arrangirte noch gern. Hatte sie eine hervorstechende Begabung, so war es die zur Koloristin, und deßhalb konnte der Rath, welcher sie nach Antwerpen, nach Belgien überhaupt brachte, nur als ein sehr verständiger betrachtet werden.

Was auch dazu kam, um ihr einen längeren Aufenthalt und das Erwerben einer künstlerischen Bedeutsamkeit in Belgien wünschenswerth zu machen, das war das entschiedene Mißwollen, welches die Kritik in der letzten Zeit gegen ihre Hervorbringungen an den Tag gelegt hatte. Sowohl in Leipzig, wie in Dresden waren ihre Sachen nicht nur kühl, sondern sogar mit einem gewissen Vorurtheil aufgenommen worden. Das kränkte sie nicht nur, es brachte ihr auch materiellen Schaden, denn obgleich sie einiges Vermögen besaß, so reichte es doch lange nicht aus, um ohne allzugroße Einschränkung in einer größeren Stadt zu leben. Sie wußte bereits aus Erfahrung, wie leicht was an einem oder an zwei Orten mißfallen hat, auch anderswo und endlich allenthalben mißfällt, und sie wollte nicht erst die allgemeine Stimmung gegen sich als Künstlerin auf den Gefrierpunkt fallen lassen. Darum gab sie lieber Deutschland für eine Zeit lang auf, obgleich sie sich in Dresden aus angenehmen geselligen Verhältnissen losmachen mußte.

Helene hätte ihrer Mutter die Reise ersparen können, hätte sie eingewilligt, die Huldigungen des Journalisten entgegenzunehmen, welcher in Dresden die Kunstkritik ausübte. Er hatte es ihr erst zu verstehen gegeben, daß er die Bilder einer Schwiegermutter mit anderen Augen ansehen werde, als die der Hofräthin Herrmann, dann ganz geradeheraus ein Entweder Oder gesetzt. Helene sollte ihn lieben, oder er würde aufhören, zu loben. Daß er so gut wie verheirathet war, betrachtete er als kein Hinderniß bei seiner Bewerbung, denn sein Bruder war geneigt, ihm die Frau abzunehmen, welche bis jetzt als seine Gattin gegolten hatte.

Helene empfand es mit tiefer Bitterkeit, daß sie der Mutter wegen solchen Vorschlägen ausgesetzt sein konnte. In der Stunde, wo sie die Entwürdigung dieses Werbens zu ertragen hatte, liebte sie ihre Mutter nicht. Daß sie ihren Anbeter mit der ganzen Entrüstung abwies, welche in ihr loderte, war natürlich. Vorsicht konnte man von einem so jungen Mädchen in einem solchen Falle nicht verlangen. Sie hätte ihr Nein in Redensarten einwickeln können, sie sprach es unumwunden und verächtlich aus. Der Kritiker hatte sich nun nur noch zu rächen. Man muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er es that, ohne sich zu kompromittiren. Selbst wenn die Hofräthin gewußt hätte, was zwischen ihm und Helenen vorgegangen war, sie hätte ihm nicht sagen können: »Sie wollen meinen Künstlerruhm zu Grunde richten, weil meine Tochter Ihre Liebe nicht annehmen will.« Er tadelte nicht. Er fragte nur, er bedauerte manchmal, und wenn er lobte – denn er lobte noch oft – so war das Lob so, daß ehrlicher Tadel besser gewesen wäre. Die Herrmann fühlte, daß er von ihrem Schmeichler ihr Feind geworden war, aber sie konnte es ihm nicht vorwerfen, sie konnte ihn nicht fragen, warum er sich ihr gegenüber so verändert habe, er war sicher und unangreifbar in der Stellung des offenherzigen, unparteiischen Freundes verschanzt. O diese offenherzigen, unparteiischen Freunde!

Genug, dieser Freund kritisirte die Herrmann aus Dresden sowohl, wie aus ganz Deutschland hinaus, und war die Veranlassung, daß sie jetzt Hendrik bitten mußte, ihr doch zum Miethen eines Quartiers behülflich zu sein.

Hendrik fragte sie, ob sie in eine Vorstadt ziehen wolle? Dagegen wandte sie die Entfernung vom Museum, sowie den unangenehmen Weg durch die Festungswerke ein. Hendrik ließ natürlich die Gelegenheit nicht vorbeigehen, ohne über die Vergrößerung von Antwerpen zu sprechen, den »geliebtesten Traum« aller Antwerpner. Die Hofräthin, welche sich leicht für Alles enthusiasmirte, wovon sie lebhaft sprechen hörte, ging mit heißer Theilnahme in Hendrik's Beweisführungen ein, und fragte schließlich ihre Tochter: »Findest Du es nicht auch, Lenchen, daß Antwerpen vergrößert werden muß?«

Helene hatte sich bis jetzt mit einem Gruße begnügt. Hendrik wartete mit einiger Neugier auf das, was sie sagen würde.

So wenig sie jemals ihre Meinung aussprach, ohne danach gefragt worden zu sein, eben so wenig hielt sie dieselbe je zurück, wenn sie erst sprach.

Auch jetzt sagte sie mit ihrem gemessenen Tone, daß Antwerpen ihr außerordentlich gefalle, wie es sei, und daß sie eine Vergrößerung gewissermaßen einer Zerstörung oder doch wenigstens einer Verwandlung gleich erachten würde.

»Und wozu eine Verwandlung wünschen, wo eine so poetische Physiognomie wie hier in Antwerpen durch Jahrhunderte ausgeprägt worden ist?« frug sie. »Städte, die sich ausbreiten, verflachen und verwischen sich zugleich – bedarf Antwerpen der Vergrößerung, um hübscher zu sein?«

Man hörte an Helenens Stimme, daß sie durch feine Lippen kam. Die Worte fielen leise und kadenzirt. Ihre Phrasen waren abgerundet. Helene sprach immer mit Ueberlegung, wenn sie nicht in der Leidenschaft sprach. Daß sie auch das könne, wußte Hendrik noch nicht, konnte es selbst nicht einmal ahnen. Er hielt Helene bis jetzt für kalt, klug und anmaßend. Sie zu verstehen machte ihm etwas Mühe, er war nicht an so reines Deutsch gewöhnt, doch gelang es ihm, ihr zu folgen.

»Hübscher braucht es nicht zu werden«, antwortete er auf die Frage, mit der sie schloß, »aber gesünder und bequemer kann es werden, und darum müssen die Festungswerke weg.«

»Aber wie wollen Sie sich denn da vertheidigen, wenn Antwerpen keine Festung mehr ist?« fragte sie weiter.

»Wir wollen uns nicht vertheidigen«, antwortete Hendrik sehr bestimmt.

»Nicht vertheidigen?« Die kleine Preußin machte große Augen. »Was wollen Sie denn da, wenn der Feind kommt? Sich ergeben?«

»Handel treiben,« war die unumwundene Antwort. »Antwerpen ist ein Hafen, ein Hafen kann, soll keine Festung sein. Es steht hier allzuviel auf dem Spiel. In unserem Entrepot sind Millionen Güter aus allen Ländern. Welch' ein Unsinn, die einem Bombardement auszusehen! Finden Sie das nicht?«

»Ich kenne die Gesetze nicht, nach welchen man in eine Handelsstadt die Verpflichtungen gegen das Vaterland abwägt,« erwiederte Helene. »Sie sind vielleicht abweichend von den allgemeinen«. Damit stand sie auf, scheinbar, um in ihrem Koffer etwas zu suchen, eigentlich aber, um das Gespräch abzubrechen. Diese erste Bekanntschaft mit der unkriegerischen Gesinnung, welche durchgehends in Belgien und ganz besonders in Antwerpen vorwaltet, konnte einer so eifrigen kleinen Patriotin, wie Helene, nicht anders als widerwärtig sein. Helene war in dem Glaubensbekenntniß von Theodor Körner aufgewachsen: »Zum Tod für's Vaterland ist keiner zu gut,« und nun hörte sie auf einmal behaupten, daß die Waaren im Entrepot mehr werth sein sollten, als ehrenvolle, tapfere Vertheidigung. Kein Wunder, wenn sie die feine Nase sehr verächtlich rümpfte. Hendrik, der in ihrer Meinung so glänzend debütirt hatte, schien es förmlich darauf anzulegen, nicht nur den ersten Eindruck zu verwischen, sondern einen ganz entgegengesetzten hervorzubringen. Gestern hatte er einer Person den Arm gegeben, welche Helene unelegant und ungraziös gefunden hatte, und heute mußte er, wie das junge Mädchen es in Gedanken wegwerfend bezeichnete, »Krämerpolitik« machen. »Wenn die Mama den jungen Mann noch öfter kommen läßt,« sagte sie vornehm zu sich selbst, »so werde ich mich doch zurückziehen.«


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