Egbert Carlssen
Ein Stadtjunker in Braunschweig
Egbert Carlssen

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Des Kampfes Ende

Es dauerte spät in die Nacht, bis der Jubel über den erfochtenen Sieg auf Schloß Wolfenbüttel erstarb, bis der »Quade« glaubte, oft genug den silbernen Humpen zur Feier seines Erfolges geleert zu haben.

Am anderen Morgen ging er mit großem Gepränge in Begleitung seines Vetters, des Herzogs Friedrich, vom Schloß nach Sankt Longinus, wo auf seinen Befehl ein Hochamt celebriert wurde.

Nach seiner Rückkehr ins Schloß gedachte er das Gericht über die Gefangenen zu beginnen, zunächst über den Ritter Doring. Er gedachte also zu thun – aber er sollte das Schloß nicht wieder betreten.

Unter der Messe ward Herzog Friedrich plötzlich unwohl, ein heftiges Nasenbluten zwang ihn die Kirche zu verlassen. Dann sah man ihn schnellen Schrittes den Weg zum Schloß einschlagen.

Seltsamer Weise ward hinter ihm die Brücke aufgezogen und das Burgthor geschlossen. Und noch seltsamer erschien es, daß sich bald darauf die gefangenen Städtischen auf den Wällen zeigten und zwar nicht in Ketten, sondern in voller Rüstung.

Denn sobald Herzog Friedrich das Schloß erreicht hatte, eilte er den Gefangenen ihre Kerker zu öffnen und ihnen Waffen anzuweisen. Zu gleicher Zeit ließ er einen Wappenhandschuh aufstecken.

Das war aber das Zeichen für den von der Stadt Braunschweig aufgestellten Späher. Als der diesen Handschuh erblickte, eilte er nach Braunschweig und von Stund an wurden dort die Glocken geläutet und die Bürger zogen aus den Thoren gen Wolfenbüttel.

»Da merkte« – so schreibt der Chronist – »und hörte wohl dieser Herzog Otto, daß es ein gemachter Reigen war, und ließ sich in einem Schiffe über die Oker setzen und dankte Gott, daß er hinwegkam,« –

Ein gemachter Reigen! Auch der große Sieg des »Quaden« am Lindenberge nur »ein gemachter Reigen!« Das Zurückweichen, die Flucht der Städtischen war nur Schein gewesen – Schein nur, daß sich Rolef Doring, der Stadthauptmann, mit der auserlesensten Mannschaft der Stadt dem Herzog Friedrich ergeben hatte. Der schnell und mühelos erfochtene Sieg bewog das Ritterheer auseinander zu gehen und Herzog Otto seine Vasallen zu entlassen. So stand ihm niemand zur Seite, als die Braunschweiger, welche er selbst triumphierend auf seine Burg geführt, plötzlich aus Gefangenen zu Herren derselben wurden. Er mußte fliehen, er, der stolze, kriegerische Mann fliehen vor seinem verachteten Vetter »und Gott danken, daß er hinwegkam!«

Der Kampf ums Erbe war zu Ende! Der rechtmäßige Erbe hatte gesiegt, gesiegt mit Hilfe treuer Freunde, mit Hilfe der Stadt Braunschweig, des mächtigen Wettiners, Herzog Albrecht von Lüneburg, welcher mit fünfzig Gewappneten in Braunschweig die Kunde vom Gelingen des kühnen Handstreichs abwartete, aber gesiegt vor allem durch seine Selbstbeherrschung, durch seine Geduld, durch seine Klugheit. Stolz konnte er das endliche Gelingen als sein Werk bezeichnen.

Und freudiger Stolz lag auf seinem Antlitz, als er jetzt, seinen bewährten Freund Doring zur Seite, im fürstlichen Schmuck aus dem Schloßhof ritt, als er vor dem Hause des Klostermeiers hielt, als er unter das niedrige Dach trat und nun Ilse gegenüber stand. In feierlichen Worten warb er nochmals um ihre Hand für den Ritter Doring und bat sie, sich zu rüsten, denn noch der heutige Tag – das sei sein inniger Wunsch – solle ihre endliche Vereinigung schauen.

So viel Glanz hatte das enge Gemach wohl noch nie gesehen als heute. Wie hell die Harnische der Ritter blinkten! Wie prangend ihre wallenden Helmbüsche leuchteten! Und heller als beides lachte aus ihren Gesichtern die Freude, die stolze Freude, am Ziel zu sein.

Zwischen all dem Glanz nur eine ernste, dunkle Gestalt, zwischen all den freudestrahlenden Gesichtern nur ein stilles, kummervolles Antlitz mit starren, thränenleeren Augen – Ilse!

»Inniger Dank gebührt Euch für Eure Huld, Fürstliche Gnaden, aber zürnt mir nicht, wenn ich Euch sage, daß der Ritter Doring niemals mein Gemahl werden kann.«

Hätte vor ihnen die Flamme aus dem Boden geschlagen und wäre der Fürst der Unterwelt in gleißendem Scheine vor ihren Augen emporgestiegen, die Ritter hätten nicht erschrockener dreinschauen können, als bei diesen Worten Ilses.

»Du redest irre, Ilse. Bei der heiligen Jungfrau, Du bist krank« –mit den Worten breitete Rolef die Arme nach ihr aus.

Aber Ilse trat abwehrend einen Schritt zurück. »Ich bin nicht krank, Ritter Doring«, sagte sie ruhig, »ich war krank, jetzt bin ich genesen. Ich war krank, als ich vergessen konnte, daß ein Höherer vor Euch ein Recht auf mich hatte, dem ich mich gelobt in der Stunde der Gefahr, ein Höherer, welcher mich aus dieser Gefahr errettet und dem daher mein Leben in dankbarer Hingebung geweiht sein soll von Stund an!«

»Gott segne Dich für dieses Wort, mein teures Kind!« Eine hohe Frauengestalt im ernsten, ascetischen Gewände der Dominikanerinnen rief es aus. Mit strahlenden Augen und ausgebreiteten Armen stand sie in der Thür, und einen Moment später barg Ilse ihr Haupt an der Brust der Schwester Albina.

»Wie habe ich mich gesehnt, dieses Wort von Deinen Lippen zu hören«, sagte die Nonne mit mütterlicher Milde, »und wie habe ich um Dich gebangt, daß Dein Herz die Pflicht der Dankbarkeit vergessen konnte. Es ist nicht geschehen, die Jungfrau sei gepriesen!« Und mit Ilse den sie erstaunt betrachtenden Rittern näher tretend, fuhr sie fort:

»Als Ilse vam Damme von frechen Räubern in der Obermühle bei Achim schwer bedrängt ward, gelobte sie in meine Hand, am Altar von Drübeck den Schleier zu nehmen. Aber als Ihr, Ritter Doring, uns aus Twieflingen befreitet, da schien sie im Glück irdischer Liebe ihres Versprechens zu vergessen. Betrübten Herzens verließ ich sie, um meiner Oberin in Drübeck zu berichten, was geschehen war und um ihre Entscheidung zu bitten, was ich jetzt thun solle, ›Nicht sei es an uns‹, bestimmte die hohe Frau, ›Ilse vam Damme zur Erfüllung eines Gelübdes zu zwingen, welches zu widerrufen die Ordensregel ihr ein Jahr lang Zeit lasse, noch würde es uns ziemen, sie von der Seite eines Mannes zu reißen, dessen echte Liebe und Treue durch schwere Prüfungen erprobt sei. Dennoch aber würde Gottes Züchtigung nicht ausbleiben, wenn Ilse jetzt im Sonnenschein des Glückes vergessen wolle, wer sie aus ärgster Not errettet. In diesem Sinne solle ich zu ihr reden.‹ Das ist nun nicht mehr nötig. Von sich selbst aus hat es Ilse bekannt, wem sie ihr Leben hindurch in treuer Dankbarkeit dienen will. Darum wird auch ihrer Ehe der Segen des Himmels nicht fehlen!«

»So brauche ich nicht zu entsagen?« fragte Ilse aufschauend.

»Auch als Deines Gatten ehrsame Hausfrau kannst Du Gott dienen«, entgegnete Schwester Albina. »Und er hatte den Geliebten Deines Herzens nicht nach so langen Jahren in Deine Arme zurückgeführt, wenn er nicht so Dein Gelübde erfüllt wissen wollte.« –

Mit diesen Worten legte sie Ilses Rechte in diejenige Rolefs. Da füllten sich Ilses starre Augen mit Thränen, aber es waren Thränen seligster Freude.

Und wie es Herzog Friedrich gewünscht, feierte man heute noch im Schloß zu Wolfenbüttel des Ritters Doring Hochzeit mit der Jungfrau vam Damme.


Ausgesöhnt mit den vertriebenen Burgensen, wieder aufgenommen in den Hansabund, beschirmt von den welfischen Herzögen, hob sich das Ansehen der Stadt Braunschweig langsam, aber stetig wieder zur alten Höhe. An ihrer Spitze stand lange Jahre hindurch als erster Bürgermeister der Altstadt Rolef Doring. Im alten Hause der Dorings aber am Steinmarkt waltete Ilse als ehrsame Hausfrau und die so lang verstummten Gemächer hallten bald wieder von jubelnden Kinderstimmen. –

 

Heinz Kyphod überlebte nur um wenige Jahre das Mißlingen seiner Wolfenbütteler Pläne, Ein Göttinger Bürger schlug ihn in Wahrung seines Hausrechts mit blanker Axt nieder.

Jungfrau Irmgarde aber wird unter den Nonnen des Klosters Wiebrechtshausen genannt, welches die verwitwete Herzogin Margareta nach dem Tode ihres 1394 verstorbenen Gemahls stiftete zur Sühne des Kirchenbanns, mit dem beladen Otto der Quade aus dieser Welt gegangen war.


 << zurück