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Vor einem jener niederen Häuser, welche mit der Rückseite auf den sogenannten »Umflutgraben« zu Braunschweig hinaussahen und meistens von Gerbern bewohnt wurden, hatte sich an einem der nächsten Tage eine Menge Menschen versammelt. Den Mittelpunkt der Gruppe bildete ein großer, starkknochiger Mann in ärmlicher Kleidung, mit mächtigen Fäusten, welche von angestrengter Arbeit erzählten, und einem faltenreichen, verwitterten Gesicht, auf dessen Zügen wohl seit langer Zeit kein Lächeln mehr geglänzt haben mochte. Die Arme hatte er über einander geschlagen, den rechten Fuß vorgesetzt, so stand er, den Kopf ein wenig vornübergeneigt, da, seine Lippen waren fest zusammengepreßt und unter den ergrauenden, buschigen Augenbrauen glühten ein Paar fast fieberhaft funkelnde Augen unverwandt auf denselben Punkt. Dieser Punkt aber war die Hausthüre seines, des Meisters Holtnickers, Hauses, welche soeben von einigen Männern wohl verschlossen und verriegelt wurde. Und zum Überfluß hefteten die Männer dann noch mit einem schmalen Pergamentstreifen des Rates Insiegel, gar deutlich in rotem Wachs ausgedrückt, an diese Thür. Denn niemand anders waren die Männer, als der Ratsschreiber und die Stadtknechte, welche Tile vam Damme geschickt hatte, den Meister Holtnicker aus seinem Hause zu weisen und dieses selbst für Seine Gestrengen in Pfandbesitz zu nehmen, da es der Meister trotz öfterer Mahnung verabsäumt hatte, den um Lichtmeß fälligen Zins zu entrichten.
Nun waren die Männer mit ihrem Werk fertig und der Ratsschreiber sprach im Vorbeigehen zu Holtnicker: »Vergeßt nicht, Meister, was ich Euch gesagt, Achtung vor des Rates Insiegel. Wer es löst, verfällt der Pön und wandert in den Turm.«
Kein Wort kam über Holtnickers Lippen, sein Mund preßte sich noch fester zusammen, er nickte stumm, aber unwillkürlich ballten sich seine Fäuste. Auch aus der Menge ward keine Stimme laut, in ernstem Schweigen machten die Leute Platz, um den Ratsschreiber mit den Stadtknechten durchzulassen. Erst als dieselben fast die Ecke der Straße erreicht hatten, entstand eine Bewegung unter dem Haufen. Ein junger Mensch drängte sich hindurch, zwar nicht so verwettert war sein Gesicht, als das des alten Holtnickers, trotzdem war die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn unverkennbar. Der schwang hoch in der Hand einen ledernen Beutel, aus dem es vielverheißend herausklang. »Halt, halt!« rief er mit weithin tönender Stimme, »hier ist Geld. Haltet ein, Schreiber, haltet ein! Ich will des Vaters Schuld bezahlen!«
Mißmutig drehte sich der Schreiber um. »Warum kommt Ihr nicht früher?« fragte er brummend. »Stets hat man mit Euch Leuten doppelte Mühe.«
Aber nichtsdestoweniger wandte er sich und schritt wiederum der versiegelten Hausthüre zu.
Indessen hatte der junge Holtnicker, ohne des Schreibers Brummen zu beachten, seinen Beutel freudestrahlend in des Vaters Hände gelegt. Prüfend wog ihn dieser in der Hand und fragte, ohne daß sich eine Miene in dem faltenreichen Gesicht verzogen hätte: »Woher hast Du das Geld?«
»Von Kort Doring, dem Bürgermeister.«
Da war es, als ob der Beutel noch einmal so schwer in Meister Holtnickers Hand würde, er zog dieselbe förmlich herab. Der ihm Nächststehende aber, es war Asche Kamla, der Gerber, beugte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: »Bedenkt, was Kyphod sagte, keinem der Burgensen sollten wir trauen, auch nicht dem Doring.« Und die Finger, welche den Beutel umschlossen hielten, lösten sich, daß derselbe klirrend zur Erde fiel.
»Es ist ein Irrtum«, sprach Meister Holtnicker in seiner einfachen, bestimmten Weise, »macht Euch keine unnötige Mühe, Schreiber, und laßt das Siegel sitzen.«
»Zum Teufel mit Euch!« schrie der Beamte, »wollt Ihr mich zum Narren haben?« Dabei stampfte er mit dem Fuße auf den Boden, aber das machte auf den Meister wenig Eindruck.
»Es ist ein Irrtum«, wiederholte er ruhig, »es thut mir leid, daß man Euch nochmals bemüht hat.« Der Ratsschreiber hatte wohl noch viel auf der Zunge und auf dem Herzen, aber er hielt es für besser, mit einigen kräftigen Flüchen abzuziehen. War es doch in der letzten Zeit vorgekommen, daß bei derartigen Pfändungen das erbitterte Volk sich trotz der bewaffneten Stadtknechte an ihm thätlich vergriffen hatte, und dann hatte er nicht nur die Fäuste der Unzufriedenen zu fühlen bekommen, sondern hinterher auch noch die Vorwürfe Seiner Gestrengen hinnehmen müssen ob seiner Ungeschicklichkeit, die solche Vorgänge verschuldet.
Nicht so leicht aber beruhigte sich der junge Holtnicker. »Vater!« rief er, »was thut Ihr? Wie mögt Ihr des Bürgermeisters Hand zurückstoßen, die einzige, welche uns vom Verderben retten will und kann!«
»Von einem Bürgermeister zum anderen, von einem Blutsauger zum anderen«, zischte der Alte zwischen den Zähnen hervor.
»Aber unser Erbe, unser väterliches Erbe!« klagte der Sohn.
»Ich will es Dir über ein Kurzes zurückerstatten mit Zins und Zinseszinsen, des sei versichert. Das Geld aber nimm und trag es hin, woher Du es bekommen hast. Sag, Du seiest zu spät damit gekommen, sag, was Du willst, ich will kein Teil an dem Geld haben.«
Und als der Sohn zögerte und noch weitere Einwendungen machen wollte, fragte der Meister, aber bei den Worten klang es durch seine gemessene Ruhe wie ferner Donner: »Hast Du verlernt, Deinem Vater zu gehorchen? Ohne Widerspruch thue, was ich Dir befohlen.« Wartete auch die Entgegnung des Sohnes nicht ab, sondern wandte sich kurz und schritt in Begleitung von Asche Kamla die Gasse hinunter.
»Greisenhafter Eigensinn!« murmelte der Sohn, indem er sich bückte und den verschmähten Beutel aufhob. Als er sich aber zum Gehen anschickte und sein Blick die versiegelte Thüre des Vaterhauses traf, seufzte er tief auf und eine Thräne zerdrückte er im Auge.
Holtnicker und Asche Kamla schritten der Wohnung des letzteren zu, denn dieser hatte dem gepfändeten Gildegenossen bei sich Unterkunft gewährt. Dabei mußten sie den Altstadtmarkt kreuzen. Hier herrschte ein buntes Treiben. Ein starker Trupp gewappneter und reisiger Knechte, welcher sich noch mit jedem Augenblick durch Zuzug aus den Seitenstraßen vergrößerte, hielt an der einen Seite vor dem Schuhhof; in seiner Mitte wehte die Stadtfahne, in weißem Felde der rote Löwe, und vor ihm ritt musternd und ordnend der Stadthauptmann auf und nieder. Gegenüber aber, vor dem Hause mit den sieben Türmen, ging es nicht minder lebhaft zu. Da standen wohl an die sechzig geschirrter Streitrosse, teils schon von ihren Reitern bestiegen, teils noch von den Knechten am Zügel gehalten. Dazwischen drängten sich mit lautem Rufen Ritter und Knappen hin und her, prüften das Zaumzeug oder stülpten den von den Knechten bereit gehaltenen schweren Helm über den Kopf. Ritt auch mancher von ihnen zu dem Trupp auf der anderen Seite des Platzes herüber und dann gab es ein lautes Begrüßen und kräftiges Händeschütteln.
Auch zu den Fenstern der stattlichen Giebelhäuser, aus denen manch schöner Frauenkopf neugierig herabschaute, flogen fröhliche Zurufe empor und wurden leutselig erwidert. Die freien Seiten des Marktes aber waren dicht besetzt von einer auf und ab wogenden Menge gaffenden Volkes. Es war unmöglich, den Platz jetzt zu überschreiten, so machten auch Holtnicker und Asche Kamla Halt und mischten sich unter die Zuschauer.
»Also allein wollen die Burgensen jetzt losziehen«, meinte der letztere.
»Sie sind froh«, erwiderte Holtnicker, »wenn sie die Gilden nicht aufzubieten brauchen. Gegen wen sich deren Waffen zuletzt kehren würden, davon mögen selbst die Burgensen in ihrem Hochmut eine dunkle Ahnung haben.«
»Ist es wahr«, fragte ein hinzutretender Meister, dessen rußiges Äußere den Schmied verkündete, »ist es wahr, daß die Magdeburgischen ins städtische Gebiet brennend und raubend eingefallen sind und daß die Burgensen sie jetzt daraus vertreiben wollen?«
»Ob's wahr ist, Meister Eckermann? Was geht's uns an?« meinte Asche Kamla höhnisch. »Sie brauchen uns ja nicht zur Abwehr. Und wenn sie uns auch brauchten, sagten sie uns doch nicht die Wahrheit.«
»Ich kann sie Euch sagen«, mischte sich Holtnicker in seiner ruhigen Weise ein. »Kennt Ihr die van Wendens? Nun wohl, zwei von ihnen sitzen auf dem Pfandschloß Jerxheim, zwei raublustige Gesellen, welche dem Stiftsgebiet viel Schaden zugefügt. Hat sich drob der Erzbischof bei unserem Rat beschwert, aber der würdigte ihn keiner Antwort, gehörten doch die van Wendens zu den Burgensen. Darum hat jetzt der Prälat zur Selbsthilfe greifen müssen; der Wendens Vettern im Rat aber schreien Zeter darob, und der Rat, welcher taube Ohren hat, wenn wir Gildegenossen draußen nackt ausgeplündert werden, beschließt, so ein paar Schnapphähne mit Heeresmacht vor der gerechten Strafe zu bewahren, weil sie zu den Seinen gehören. – So wird zu Braunschweig der Stadt Regiment geführt.« –
»Darum lassen sie uns Gilden zu Hause«, meinte der Schmied.
»Natürlich, zu so einer ritterlichen Fehde taugen wir nicht«, spottete Asche Kamla. »Aber das Geld dazu müssen wir doch hergeben.«
»Und wenn's an unser letztes geht«, seufzte Holtnicker.
Der Schmied drückte ihm die Hand. »Hab's gehört, Meister. Ja, ja, es sind harte Zeiten!«
Alle Augen wandten sich jetzt dem Hause mit den sieben Türmen zu, aus dessen reich geschmücktem Portal soeben Herzog Ernst heraustrat. Er war zwar kein Gast mehr Seiner Gestrengen, seit Anfang des Jahres hauste er in der alten Burg Heinrichs des Löwen; aber er hatte es nicht versäumen wollen, sich selbst von Frau Margareta zu verabschieden, ehe er zur Fehde auszog, und daher auch den Platz vor dem vam Dammeschen Hause zum Sammelpunkt für seine Mannen bestimmt. Frau Margareta aber hatte ihm den Abschiedstrunk kredenzt, wie Ilse ihrem Verlobten, dem Junker Vörsfelde. Der hatte sich den Trunk versüßen wollen durch einen Kuß von Ilses Lippen und die Jungfrau mochte es ihm nicht wehren, es war ja sein Recht. Aber eiseskalt hatte der Junker die Lippen seiner schönen Braut gefunden, so daß er auf der Treppe murmelte:
»Das muß noch anders werden, höllisches Elend! Und es soll anders werden, ist sie nur erst mein Weib.«
Rasch war der Herzog im Sattel und sprengte zu dem Trupp vor dem Schuhhof hinüber. Die Stadtjunker empfingen ihn mit lautem Jubel und schwenkten hoch die blanken Schwerter. Herzog Ernst drückte dem Stadthauptmann die Hand und redete eifrig mit ihm. Diderick van Walmede aber ordnete indessen die herzoglichen Mannen.
Und nun schmetterten die Trompeten und der Zug setzte sich in Bewegung, Voran der Herzog mit den Seinen, sodann die unter der Stadt Fahne ritten. Tile vam Damme stand unter der Hausthüre und winkte ihnen nach und grüßte mit der Hand, bis die letzten den Markt verlassen hatten.
Auch aus den Fenstern wurde den Fortziehenden noch mancher Abschiedsgruß zu teil, so weit sie durch die Straßen ritten, wo ein Patrizierhaus stand. Aber das Volk blieb teilnahmlos. Was kümmerte es sich um diesen Streit seiner Herren?
Als der Zug außerhalb des Stadtthores war und die Straße nach Magdeburg entlang ritt, lief ihnen ein Hase über den Weg. »O weh«, dachte der alte Diderick van Walmede, »das ist ein böses Vorzeichen!« Aber er hütete sich, die Worte über seine Lippen kommen zu lassen.