Egbert Carlssen
Ein Stadtjunker in Braunschweig
Egbert Carlssen

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Zweites Kapitel.

Ersehnte Spuren.

»Nun wirst auch Du irre an mir? Keinem habe ich so meine innersten Gedanken erschlossen, als wie Dir. Und dennoch magst Du an mir zweifeln, gleich den anderen?«

»Fürstliche Gnaden sind den Mördern meines Vaters ein Freund geworden. Darum muß ich glauben, daß es mit der Freundschaft zu Ende ist, deren Fürstliche Gnaden mich einst würdigten.«

»Das mußt Du, das kannst Du glauben, Rolef? Und darum überschüttest Du mich mit ›Fürstlichen Gnaden‹, da ich Dich doch gebeten, mich unter uns nie anders zu nennen als Du und Friedrich?«

»Ihr habt recht, beides entspringt derselben Quelle.«

»Das heißt also, Ihr kündet mir die Freundschaft, Ritter Doring?«

Es war am Tage nach den im Vorhergehenden erzählten Begebenheiten. Die Sprechenden ritten auf der Straße, welche zwischen Bach und Wald von der Hornburg über Achim zur Obermühle führte. Sie waren in voller Rüstung, nur daß statt des schweren Stechhelms ein leichterer, offener Helm ihr Haupt bedeckte. Wie der Ritter v. Barby gesagt, hatten der Bischof und die Stadt die Vermittlung des jungen Herzogs Friedrich angenommen und dieser begab sich jetzt in der Begleitung Rolef Dorings und einiger Abgeordneten des Braunschweiger Rats nach der Obermühle, um dort zu teidingen.

Auf die letzte, nicht ohne Heftigkeit gestellte Frage blieb Rolef die Antwort schuldig. Mit zusammengepreßten Lippen sah er stumm vor sich nieder. Es war der Fürst, welcher von neuem und jetzt wieder ganz ohne Bitterkeit begann:

»Ich durfte wohl glauben, daß jemand, welcher so genau das Ziel meines Strebens kennt und mit dem ich so oft die Art und Weise besprochen habe, auf welche dies Ziel allein erreicht werden kann, wie Du, nicht gleich das erste Mal den Glauben an mich verliert, da ich ohne sein Vorwissen gehandelt und ohne daß mein Handeln seine Billigung findet.«

»Weil Euer Handeln darin besteht«, entgegnete Rolef noch immer in hörbarer Aufregung, »daß Ihr diesen ›Jemand‹ ohne sein Vorwissen mit den Mördern seines Vaters zusammengebracht habt und ihn zwingt, in ihrer Nähe zu sein, ohne sie die Schärfe seines Schwertes fühlen lassen zu können.«

Über das blasse und trotz seiner jungen Jahre schwermütig ernste Gesicht des Fürsten zog ein leises Lächeln, indem er fragte: »Wärest Du mitgekommen, wenn Du vorher gewußt hättest, wen Du auf der Hornburg treffen würdest?«

»Wozu die Frage, da doch Fürstliche Gnaden die Antwort wissen?«

»Das heißt also: Du wärest nicht mitgekommen. Allerdings wußte ich das vorher, darum mußte ich Dich durch List mit den Städtischen zusammenbringen. Denn wir dürfen nicht länger dessen gedenken, was hinter uns liegt, sondern müssen unsere Augen auf das richten, was vor uns liegt. Liebst Du Deine Vaterstadt?«

»Gott weiß, wie ich sie liebe, aber trotzdem hasse ich die, so jetzt in ihr gebieten.«

»Und denkst Du dabei der Worte, welche Dein Vater in seiner letzten Stunde gesprochen hat?«

Rolef blieb die Antwort schuldig, daher fuhr der Fürst in Erwiderung seiner eigenen Frage fort: »Vor allem mahnte er zur Eintracht und beschwor diejenigen, welche ihrem Hasse nachtrachten möchten, denselben nunmehr beizulegen. ›Des Hasses ist genug geschehen und an ihm gerochen mehr als zuviel!‹ So waren seine eigenen Worte. Darum trachte Du, sein Sohn, jetzt auch nicht mehr dem Hasse nach gegen die, welche sich durch blutige That an seine Stelle gesetzt, sondern laß Dich von der Liebe zu Deiner Vaterstadt leiten und arbeite mit den neuen Machthabern am Wohle Braunschweigs.«

Wiederum schwieg Rolef still und sah starr vor sich nieder. Erst nach geraumer Zeit entgegnete er:

»Mein Vater hat seinen Mördern vergeben, wohl – o hättet Ihr ihn gekannt und wüßtet Ihr, wie ich, wie er so ganz der Spiegel war christlicher Rittertugenden, Ihr wundertet Euch darob nicht, daß der Edle auch seinen Mördern verzeihen konnte. Aber deshalb darf der Sohn doch keine Gemeinschaft mit diesen haben. Nicht zum Schaden der geliebten Vaterstadt will ich meine Rache an ihnen üben, aber ein Rächer will ich ihnen dennoch werden. Ich wäre kein Doring, ich wäre nicht meines Vaters Sohn, dächte ich anders. Und darum bitte ich Fürstliche Gnaden: laßt mich von dannen. Bei Sankt Autor, es könnte sonst geschehen, daß mein Schwert von selbst aus der Scheide führe und jenem hochnäsigen Wollenweber dort hinter uns den Dickkopf vom Rumpfe trennte, so tief er ihm auch in den Schultern sitzt.«

Herzog Friedrichs Augenbrauen zogen sich finster zusammen. »Dann ist es freilich besser, Ritter Doring«, sagte er kühl, »wenn ich Euch ziehen lasse. Denn so wert Ihr mir gewesen seid, meine Pläne kann ich Eurenthalben nicht aufgeben. Nur um eins bitte ich Euch, reitet wenigstens mit bis zur Mühle, wo wir die Halberstädter treffen sollen. Sie nennen mich jetzt schon den ›Herzog mit den drei Pferden‹, weil ich bei dem wenigen, was der Quade mir von dem Meinigen zukommen läßt, nicht mehr als drei Mannen in meinem Gefolge reiten lassen kann. Nun gar mit zwei Rittern dort anzukommen – Ihr werdet einsehen – –«

»O Fürstliche Gnaden«, fiel ihm Rolef ins Wort, »sprecht nicht so, ich bitte Euch. Zweifelt Ihr denn, daß dieser Arm stets bereit sein wird, für Euch zu fechten? Es ist ja nur das Eine, was ich nicht kann, nur dieses Eine, mit den Mördern meines Vaters Gemeinschaft zu halten. Nur das erlaßt mir, in allem anderen will ich Euch dienen, wie nur ein Ritter seinem Herrn dienen kann.«

»Dort liegt die Mühle schon!« – Sie waren um eine Ecke gebogen und aus dem Gefolge, welches hinter ihnen ritt, rief es eine Stimme herüber.

Der Fürst reichte Doring die Hand. »Wir scheiden als Freunde, Rolef«, sagte er mit einem ernsten Blick, »und wir scheiden nicht für immer. Ich werde Dich einst an meine Seite zurückrufen, laß mich dann keine tauben Ohren finden.«

Er gab seinem Pferde die Sporen, daß es weit ausgreifend der Mühle zuflog. Rolef und die beiden anderen Mannen des Herzogs folgten seinem Beispiel. Klirrend und rasselnd trabten die Städtischen hinterdrein.

 

Da sowohl bei den Braunschweigern wie bei den Halberstädtern der gute Wille, sich zu vertragen, vorhanden war, machte die Teidung zwischen ihnen nicht allzu viel Mühe. Die Städtischen ließen sich bereit finden, den Bischof für den Schaden, welche die Ihrigen von der Burg Hessen aus dem Stiftsgebiet zugefügt hatten, mit klingender Münze zu entschädigen, und der Ritter v. Barby durfte wohl annehmen, daß diese Art der Entschädigung seinem stets geldbedürftigen Herrn die angenehmste sein würde. So kam man bald zu einem befriedigenden Abschluß. Als man sich darob die Hände geschüttelt hatte, meinte der Stiftshauptmann lachend: »Wir würden wohl noch nicht so weit sein, wenn der Bundesgenosse noch da wäre, den mir mein hochwürdiger Herr aufgedrungen.« – Und auf Herzog Friedrichs fragenden Blick fuhr er fort: »Niemand anders war es, als der Ohm Eurer Fürstlichen Gnaden, der Blankenauer Herr, Herzog Ernst.«

»Treibt der sein Unwesen wieder?« seufzte einer der anwesenden Braunschweiger, der ehemalige Gerber Holtnicker, jetzt Bürgermeister des Hagens.

»Hat er die Prügel schon vergessen, die er sich vor Bansleben geholt?« spottete der reiche Klaus Lodewiges von der breiten Straße, welcher als Altstädter Ratmann auch der Teidung anwohnte.

»Die Prügel müssen nicht sehr ausgiebig gewesen sein, welche er sich von Euch geholt haben soll«, erwiderte der Ritter v. Barby nicht ohne Schärfe auf den Spott des reichen Klaus. »Wenigstens ist er wieder so fröhlich im Felde als nur je. Und wären wir nicht über zwei Nonnen in Streit gekommen, an denen er ein besonderes Wohlgefallen zu finden schien, und hätte ich ihn nicht gehindert, diese Mühle ohne jeden Zweck niederzubrennen, könntet Ihr ihn mit Euren eigenen Augen hier sehen. Aber wie gesagt, mit der Teidung wären wir dann nicht so schnell fertig geworden.«

»Was waren das für Nonnen?« fragte Herzog Friedrich.

»Dominikanerinnen vom Kloster Drübeck, das zum Halberstädter Sprengel gehört. Daher hatte ich die Pflicht, sie zu schützen. Die eine war die Schwester Albina, die andere kannte ich nicht, wohl aber war mir der Name ihrer Familie nicht fremd und Euch« – damit wandte er sich an die Braunschweiger – »wird er erst recht bekannt sein, wenn Ihr es auch nicht liebt, ihn zu hören. Es gab einst einen Bürgermeister in Braunschweig, der diesen Namen führte und dessen Tochter ist sie, eine vam Damme.«

»Die ist Nonne zu Drübeck?« Mit diesen Worten sprang Rolef, welcher bisher in einiger Entfernung und ohne an der Unterhaltung teilzunehmen, dagesessen hatte, empor und trat auf den Stiftshauptmann zu. Dieser wiegte, ohne der Aufregung des jungen Mannes zu achten, lächelnd das Haupt. »Weiß ich's?« entgegnete er. »Sie sagte so und Schwester Albina sagte es auch. Die Müllerin aber, welche ich nachher ins Verhör nahm, gestand mir, bis gestern Abend sei die Jungfrau keine Nonne gewesen. Seit Jahren habe sie, erst mit ihrer Mutter, dann nach deren Tode allein, bei ihr in stiller Zurückgezogenheit gewohnt, aber nie etwas von einer Absicht verlauten lassen, den Schleier zu nehmen. Wenn sie sich dem Altar gelobt, so müsse es erst diese Nacht oder vielleicht auch erst heute Morgen in der Stunde der äußersten Gefahr gewesen sein. Auch Herzog Ernst und seine Mannen wollten ihr Nonnentum nicht gelten lassen, ich aber sagte ihnen, die Entscheidung darüber –«

Die weiteren Worte entgingen Rolef. Mit wenigen großen Schritten war er zur Thür hinaus und suchte draußen Grete Ursleve, die Müllerin. Als er dieselbe gefunden, erhielt er von ihr alles bestätigt, was der Ritter v. Barby erzählt hatte. Noch im Laufe des gestrigen Tages, setzte Grete hinzu, sei Schwester Albina mit der Jungfrau vam Damme wieder aufgebrochen. Sie würden jetzt wohl schon Kloster Drübeck erreicht haben.

Rolef ließ sich den Weg nach dem Kloster beschreiben. Dann ließ er sein Pferd vorführen und schwang sich in den Sattel. Nicht einmal Abschied zu nehmen, gestattete er sich die Zeit. Von seinem Fürsten hatte er ja schon Urlaub genommen, um die anderen kümmerte er sich nicht.

Im Kloster sollte er die wiederfinden, welche er Jahre lang gesucht, der Gedanke nahm ihn ganz in Anspruch. Im Kloster sollte er sie wiederfinden, nachdem sie sich in dieser Einsamkeit die ganze lange Zeit vor ihm verborgen gehalten. Hier hatte er sie allerdings nicht suchen können, auf Schloß Hornburg war er damals gewesen, das Gerücht und die eigene Berechnung hatten ihn dorthin geführt, weil ja die Burg im vam Dammeschen Pfandbesitz. Aber als er dorthin kam, waren die Frauen schon fort und niemand wußte, wohin sie gegangen. Er wandte sich nach den befreundeten Hansestädten, wo ihm nur Verbindungen zu Gebot standen, aber von so viel Vertriebenen man zu berichten mußte, von den vam Dammes wußte man nichts. An den welsischen, dem lauenburgischen, den thüringischen Höfen, an den Prälatensitzen zu Hildesheim und Halberstadt, zu Verden und Magdeburg fragte Herzog Friedrich für seinen Freund Doring an, keine Kunde! Frau und Tochter Tile vam Dammes waren und blieben verschollen, niemand konnte auch nur die geringste Nachricht von ihnen geben, im wahren Sinne des Wortes schien sie der Erdboden verschlungen zu haben.

Und trotzdem ermüdete Rolef in seinen Nachforschungen nicht. Wohin ihn nur seine Kriegszüge führten, überall forschte er nach den Verlorenen. Aus dem vorangegangenen Gespräch mit Herzog Friedrich wissen wir, daß er aus dem Dienst des »Quaden« in den dieses jungen Fürsten übergetreten war, eine Veränderung, welche sich äußerlich wenig bemerkbar machte; denn nach wie vor saß Friedrich neben seinem ränkesüchtigen Vetter in Wolfenbüttel und stritt an dessen Seite in den neu ausgebrochenen Kämpfen um das lüneburgische Erbe gegen den Wettiner. Diese Fehden brachten Rolef manche Gelegenheit, sich auszuzeichnen und damit die goldenen Sporen, der »Quade« selbst schlug den Knappen Doring zum Ritter, aber soviel Aufregung, soviel Anstrengung, soviel Ehren sie ihm auch boten, niemals verlor er dabei den Zweck aus den Augen, Ilse wiederzufinden. Und während er so suchte und suchte, immer vergeblich und doch nie ermüdend, verbarg sie sich hier in diesem stillen Winkel der Erde, ohne auch nur durch das geringste Zeichen ihn ahnen zu lassen, wo er sie finden könne! Und mehr noch! Jetzt wollte sie sogar eine Scheidewand zwischen sich und ihm aufrichten und hatte sie vielleicht schon aufgerichtet, welche keine Macht der Erde wieder niederreißen konnte. War das ihre Liebe, war das ihre Treue? Er konnte, er durfte es nicht glauben, ehe er es nicht aus ihrem eigenen Munde gehört. Und daher spornte er sein Roß zu immer schnellerem Lauf, er konnte es nicht erwarten, bis er an die Klosterthür von Drübeck, bis er mit bewegten Worten an Ilsens Herzensthür klopfen konnte.

Erst nach Mitternacht erreichte er das Kloster und lange, bange Stunden vergingen noch, bis der Morgen tagte und er den schweren Hammer an der Klosterpforte heben und dröhnend niederfallen lassen durfte. Der Schalter in der Thür öffnete sich, Rolef fragte nach Schwester Albina und ihrer Begleiterin. »Man wisse nichts von ihnen«, entgegnete die Schwester Pförtnerin, »und sei in banger Sorge um ihr langes Ausbleiben.« – Damit schloß sich der Schalter wieder. Vor Rolefs Augen flimmerte es, er mußte nach dem Thürklopfer greifen, um sich aufrecht zu erhalten.


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