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Die Schnapphähne in Twieflingen hatten von dem ihnen drohenden Ungemach früh genug Kunde erhalten, um Vorkehrungen gegen dasselbe treffen zu können. Sie zogen Verstärkungen an sich, brandschatzten die umliegenden Dörfer, um sich mit einem genügenden Vorrat von Lebensmitteln zu versehen, und schauten dann getrosten Mutes der Belagerung entgegen. Um so sicherer fühlten sie sich, als sie eine geheime Zusage des Quaden in Händen hatten, in welcher dieser den Raubrittern versprach, durch einen Einfall ins Lüneburger Gebiet ihnen Luft zu machen, wenn Herzog Albrecht sie zu arg bedrängen sollte.
Als daher der Lüneburger Fürst mit den ihm verbündeten Magdeburgern vor der Veste anlangte und dieselbe zur Übergabe auffordern ließ, ward ihm eine höhnisch ablehnende Antwort zu Teil. So mußte man zu einer förmlichen Belagerung schreiten. Die Burg ward eng eingeschlossen und mit glühenden Pfeilen beschossen, allein die Belagerten wußten ihr Zünden zu verhindern. Der Herzog versuchte sie zu einem Ausfall zu verlocken, aber die Schnapphähne waren zu kriegsgeübt, um in die Falle zu gehen, und hielten sich innerhalb der Umwallung. Da erbat und erhielt Rolef Doring, welcher vor Begierde brannte, Ilse zu befreien, die Erlaubnis zu einem Handstreich. Der jugendliche Herzog Bernt schloß sich ihm an, und dessen Beispiel verlockte auch noch andere Ritter und Knappen, an dem Wagnis teilzunehmen. Im nächtlichen Dunkel schlichen sie sich unter Rolefs Führung bis an den Burggraben zu einer Stelle, an welcher die jenseit aufsteigende Mauer, wie Doring vorher erkundet hatte, Sprünge und Risse zeigte und daher leichter zu erklettern war. Auch in den Graben unbemerkt hinunter zu steigen gelang ihnen, jedoch der Wasserstand in demselben machte es notwendig, erst aus Sandsäcken und Schanzkörben eine Art Damm zu errichten.
Man war auf diesen Fall vorbereitet, Knechte hatten den Rittern die Werkzeuge nachgetragen, aber die Arbeit verursachte doch so viel Geräusch, um die Belagerten aufmerksam zu machen. Ein Pfeilregen rauschte auf die kühnen Männer im Graben nieder, trotzdem vollendeten dieselben ihr Werk, drangen über den Graben, legten Sturmleitern an und begannen darauf emporzuklettem. Doch nun war die ganze Burg lebendig geworden, Balken, Steine, brennende und kochende Stoffe stürzten und ergossen sich auf die Stürmenden und diese mußten sich davon überzeugen, daß bei ihrer geringen Anzahl der Sturm nicht gelingen könne. Schweren Herzens gab Rolef den Befehl zum Rückzuge.
Rolef selbst wurde bei dieser Gelegenheit verwundet. Ein Pfeil war ihm in den Fuß gedrungen und darin abgebrochen, es hielt schwer die mit Widerhaken versehene Spitze zu entfernen, und dauerte lange, bis der Verwundete den verletzten Fuß gebrauchen konnte. Rolef schien diese Zeit unendlich, niemals sah man einen ungeduldigeren Kranken. Und sobald er wieder auftreten konnte, eilte er zum Herzog, um denselben zu einem neuen Sturmversuch zu drängen. Der aber wies ihn lachend ab. Der Ritter Doring möge sich nur gedulden, er der Fürst, habe eine Überraschung vorbereitet, den Seinigen zur Freude, den Feinden aber zu großem Leide. Nur noch kurze Zeit, dann würden die Mauern von Twieflingen sich vor ihm neigen.
Diejenige, welcher Rolefs brennende Ungeduld galt, saß indessen in einem wohlverwahrten Gemach im Twieflinger Bergfriet. Bei ihr war Schwester Albina; die Frauen wurden auf das sorgfältigste bewacht und täglich besuchte sie der Junker Vörsfelde. Im übrigen geschah den Frauen kein Leides. Nicht Leidenschaft für seine schöne Base war es gewesen, welche den Junker angespornt hatte, sie zu rauben, sondern die Hoffnung auf ein hohes Lösegeld, welches das reiche Kloster Drübeck für die beiden Nonnen zahlen würde. Die Einschließung Twieflingens hatte ihn gehindert darauf bezügliche Verhandlungen anzuknüpfen, aber er verlor dies Ziel nicht aus den Augen und wußte auch gegen seine wilden Genossen die Gefangenen mit dem Hinweis zu schützen, daß dieselben ihnen im äußersten Notfalle Bürgen für Leben und Freiheit werden könnten.
So mochte denn in die Herzen der Frauen nach den ersten Tagen grausigen Entsetzens und qualvoller Angst wieder größere Ruhe einziehen, Vörsfelde hatte ihnen gesagt, er würde sie frei lassen, sobald ihr Kloster das Lösegeld gezahlt, zunächst aber müßten sie mit ihm in der umschlossenen Veste aushalten. Auch versorgte er sie reichlich mit Speise und Trank, selbst eine Magd hatte er ihnen zur Bedienung zugewiesen. Nur gegen ihre Bitten, einmal ihre Zelle verlassen und frische Luft atmen zu dürfen, blieb er taub. Das enge Gemach im Bergfriet umschloß sie Tag und Nacht. »Eine Klosterzelle ist auch nicht größer« – mit dem Gedanken tröstete sich Ilse, und der Anblick der heiteren, sanftmütigen Geduld, mit welcher Schwester Albina ihr Schicksal trug, ließ auch ihr Herz geduldig werden. Ob es ebenso ruhig geschlagen hätte, wenn sie gewußt, wie nahe ihr der Geliebte war und wie eifrig bestrebt, sie aus Vörsfeldes Händen zu befreien?
Es war an einem sonnenhellen Junitage, dessen glühende Hitze in den dicken Mauern des Bergfriets jedoch wenig fühlbar wurde, als beide Frauen an dem kleinen engvergitterten Fenster ihrer Zelle standen und durch die geöffneten Scheiben hinaus ins Freie schauten. Sie konnten von hierab einen Blick in das herzogliche Lager thun, und das, was sie dort sahen, nahm ihre Aufmerksamkeit in hohem Grade in Anspruch. Das ganze Lager war in Bewegung, Ritter, Knappen und Knechte eilten hin und her oder umstanden in buntem Gemisch eine Stelle, auf welcher Handwerksleute beschäftigt waren, eine wunderbare Maschine aufzurichten.
Große metallene Röhren, welche in der Sonne funkelten, wurden mit gewaltiger Anstrengung herbeigerollt und mit noch größerer Mühe auf bereitstehende, roh zugehauene Holzblöcke gehoben. Dahinter baute man von Holzblöcken ein großes Viereck und in dieses schaffte man eine Anzahl kleiner schwarzer Fässer, Zimmerleute aber schnitten Bretter zu, welche offenbar über die Fässer gelegt werden sollten, um dieselben gegen etwa einfallenden Regen zu schützen. Und wiederum andere Männer waren beschäftigt, weiße kugelförmige Steine von unfern stehenden Leiterwagen abzuladen und zu hohen Pyramiden aufzuschichten.
Kopfschüttelnd betrachteten die Frauen diesen ihnen unverständlichen Vorgang. Auch von der Plattform des Bergfriets beobachtete man denselben mit größter Aufmerksamkeit und auch dort schüttelte man ob desselben den Kopf. Dies Kopfschütteln aber war von vielen Seufzern und sehr bedenklichen Mienen begleitet. Und ebenso sorgenvolle Mienen zeigten die Gesichter der Mannen, welche dichtgedrängt die Ringmauer besetzt hielten und in das Lager hinab schauten.
»Es ist kein Zweifel mehr«, seufzte Diderik v. Utze, welcher auf Twieflingen den Befehl führte, nachdem er eine Zeit lang die Vorbereitungen der Belagerer beobachtet hatte, »es ist kein Zweifel mehr, es sind Donnerbüchsen, welche der Herzog aufstellen läßt. Nun gnade uns Gott! Ihren Geschossen widersteht keine Mauer, und wäre sie noch so fest. Wir können uns unter den Trümmern von Twieflingen begraben lassen.«
»Oder unterhandeln«, setzte Vörsfelde hinzu.
»Jetzt können uns Eure schönen Gefangenen von Nutzen werden«, warf ein Dritter ein.
»Lieber wollen wir einen nächtlichen Ausfall machen und das Teufelswerk zerstören«, meinte ein Vierter.
»Das zerstört sich nicht so leicht«, brummte Vörsfelde. »Der tapferste Ritter vermag nichts gegen das höllische Zeug.«
»So ist es«, bestätigte der graubärtige Utze. »Wer nicht besprochen ist, darf es nicht anrühren, sonst holt ihn der Teufel und fliegt mit ihm durch die Luft davon.«
Jetzt schien die Aufstellung der Geschütze beendet zu sein. Der Herzog mit einem großen Gefolge von Rittern und Edelleuten, alle in glänzendem Waffenschmuck, umging den Platz und unterwarf jede Einzelheit einer genauen Besichtigung. Dann schritt er eine Anhöhe hinan, welche sich in einer mäßigen Entfernung von den Geschützen erhob. Von hier ab wollte er die erste Beschießung beobachten. Bis zum Fuß des Hügels mußte auch die Menge der übrigen Zuschauer zurückweichen, Reiter und Fußgänger bunt durcheinander, wie sie sich aus dem Lager herbeigedrängt hatten.
Nun ging der Büchsenmeister mit seinen Knechten an die Arbeit. Eines der geheimnisvollen schwarzen Fäßchen in dem viereckigen von den Holzblöcken gebildeten Pferch wurde aufgeschlagen und ihm das nötige »Kraut« entnommen. Kunstmäßig brachte man dasselbe in die Büchse und setzte die Steinkugel darauf. Dann richtete der Büchsenmeister sorgfältig das Rohr und ein Knecht trat mit brennender Lunte daneben. Die Lunte senkte sich – ein Blitz, ein dumpfer Knall – und schleunig duckten sich alle die neugierigen Köpfe, welche über die Brustwehr der Burgmauer geschaut hatten. Doch hatte diesmal der Büchsenmeister die Entfernung noch nicht richtig bemessen, die hoch emporgeschleuderte Steinkugel fiel unschädlich zu Füßen der Burgmauer nieder.
Das Schauspiel wiederholte sich, jetzt wurde die zweite Büchse geladen, der Meister visierte lange, endlich trat er zurück und nickte befriedigt. Auf seinen Wink senkte der Knecht die brennende Lunte auf das Zündloch, Feuer und Rauch erhob sich in einer alles verdunkelnden Menge; gleich darauf hörte man einen starken Knall und einen zweiten, von dem die Erde erbebte, den Mannen die Helme teilweise vom Kopfe gerissen wurden, die Pferde scheu in die Höhe sprangen, um dann wild mit ihren halbbetäubten Reitern davon zu rennen. In die zum Anblick des Schauspiels an und auf dem Hügel zusammengedrängte Masse regneten Balken, Steine und brennende Holzstücke nieder. Und als sich Rauch und Dampf von dem Geschützplatze verzogen hatten, war alles, was auf demselben gestanden, verschwunden.
Ein markdurchdringender Schrei des Jammers stieg aus der Menge am Hügel zum Himmel empor.
»Barmherziger Himmel«, rief Herzog Albrecht, »wie ist das möglich? Alles auf einen Schlag zerstört! Wo sind die Donnerbüchsen geblieben?«
»Hat mich mein gutes Auge nicht getäuscht«, entgegnete der neben ihm stehende Bernt, »so hat beim Abfeuern das emporflammende Kraut die Lunte zerrissen und das brennende Ende derselben in die Höhe geschleudert. Wahrscheinlich hat der Büchsenmeister vergessen gehabt, das Fäßchen wieder zu schließen, aus dem er das Kraut entnommen, und ein böser Geist hat das brennende Luntenende eben in dies offene Fäßchen niederfallen lassen.«Ein solcher Vorgang wird bei der Belagerung Milows durch die Brandenburger unter Lippold v. Bredow im Jahre 1391 erwähnt. Vgl. Klödens »Die Mark Brandenburg unter Karl IV. u.s.w.« Berlin 1846.
Von der Burg her drang helles Trompetengeschmetter und lautes Freudengeschrei. Die Besatzung hatte freilich wohl Grund zum Jubel. Ihr Anführer, Diderik v. Utze, aber meinte: »Unter der Bedienung der Büchsen sind solche gewesen, die nicht besprochen waren. Und ich sagte es Euch ja vorher: wer mit dem Zeug zu thun hat und nicht vorher fest gemacht ist, den holt der Teufel. Nun hat der Teufel die ganze Geschichte geholt.«
Daß der Teufel die Hand im Spiel gehabt, davon waren auch die meisten im Heere der Belagerer überzeugt. Es folgten daher auch nur wenige Ritter dem Herzog, als er die Unglücksstätte besichtigte. Von dem Pferch, in welchem man die Pulverfässer aufgeschichtet hatte, war nichts mehr zu sehen. Die Donnerbüchsen waren von ihren Unterlagen emporgehoben und eine Strecke weit fortgeschleudert, auch einzelne Glieder der Verunglückten fand man zerrissen und verbrannt in weiter Entfernung umhergestreut. Ein Teil der Steinkugeln lag an alter Stelle, aber vom »Kraut« war auch nicht ein Korn gerettet.
Bestürzung, Niedergeschlagenheit, ja mehr noch, ein unbesiegbares Grausen vor dem Überraschenden und Unerklärlichen des Unglücks, in welchem die meisten das direkte Eingreifen höllischer Mächte erblickten, bemächtigte sich des Belagerungsheeres. Den Seinen zur Freude, den Feinden zum Leide hatten die Donnerbüchsen des Herzogs dienen sollen – nun jubelten die Feinde und der Fürst hatte genug zu thun, bei den Seinigen die äußerste Mutlosigkeit zu bekämpfen und ihnen neue Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang einzuflößen.
Einer war jedoch im lüneburgischen Heere, welcher die Vernichtung der Donnerbüchsen zwar nicht mit Freude begrüßte, wohl aber durch das Mißlingen der Beschießung von einer großen Sorge befreit wurde. Das war Rolef Doring. Als er erkannt, worin die von Herzog Albrecht angedeutete Überraschung bestand, hatte sich eine quälende Unruhe seiner bemächtigt. Denn dieselben Kugeln, welche die Twieflinger Mauern niederwerfen und den Trotz der Schnapphähne brechen sollten, konnten auch ein Leben zerstören, welches ihm teurer war als sein eigenes.
Daher atmete er auf, als der Fürst jetzt wieder auf den Plan zurückkam, die Veste mit Sturm zu nehmen. Im Vertrauen auf den Beistand des Himmels und sein gutes Schwert hoffte Rolef früh genug in die Burg einzudringen, um Ilse zu befreien und vor allen Fährnissen zu schützen, welche eine Eroberung mit gewaffneter Hand etwa mit sich bringen konnte.
Auf den Tag Johannis des Täufers hatte der Herzog den Sturm angesetzt. Bis dahin – hoffte er – werde auch der Zuzug aus der Stadt Braunschweig eingetroffen sein, welchen diese unter Führung des Bürgermeisters Holtnicker schicken wollte, eine Hoffnung, welche wiederum von Rolef nicht geteilt wurde, welcher vielmehr brennend wünschte, vor Ankunft der Städtischen das Unternehmen beendigt zu sehen.
Es schien, als ob sein Wunsch in Erfüllung gehen sollte. Der Johannistag brach an und die Braunschweiger waren noch nicht da. Weil aber alle Anstalten getroffen, die Sturmwerkzeuge verteilt waren und alle Haufen wohl gerüstet und zum Sturm geordnet um die Burg lagerten, gab Herzog Albrecht gegen Mittag den Befehl zum Angriff.
Es war ein schöner kriegerischer Anblick, als sich jetzt die im Sonnenlicht funkelnden Reihen der gewappneten Streiter mit wehenden Fahnen, mit lautem Feldgeschrei, unter Trompetengeschmetter und dem dumpfdröhnenden Klang der großen Heerpauken in Bewegung setzten. Voran gingen Knechte mit Faschinen und Wollsäcken, mit Spaten, Hacken und Äxten, und zwischen ihnen schritten die Träger der Sturmleitern. Dann kam das Fußvolk, die Mannschaft der Städte Magdeburg und Lüneburg, Hannover und Celle in Eisenhelm und Lendner, bewaffnet mit Morgensternen und Hellebarden. Es folgten die herzoglichen Armbrustschützen, die Waffe kunstgerecht zur Hand, mit gespannter Sehne und aufgelegtem Bolzen. Den Schluß bildete die Ritterschaft, welche zum Teil abgesessen war, um zu Fuß mit dem Schwert zu kämpfen, während der Rest hoch zu Roß unter Führung des Herzogs Bernt das Thor der Burg scharf im Auge hielt, um auf die Belagerten einzusprengen, falls sie es wagen sollten, auszubrechen.
Selbstverständlich hatte im Anblick dieser umfassenden Vorkehrungen auch die Besatzung der Burg nichts verabsäumt, dem Angriff zu begegnen. Große Kübel mit heißem Wasser, Öl und siedendem Brei standen auf den Wällen bereit, den Angreifern auf die Köpfe gestürzt zu werden, zu demselben Zwecke lagen dort große Feldsteine und lange runde Balken. Die Mannschaft stand wohlgedeckt und gleichmäßig verteilt hinter den Brustwehren und den schmalen Fenstern der Türme, zusprechend und ermunternd schritten die Anführer hinter den Reihen auf und nieder.
Nun gab Diderik van Utze das Zeichen und ein Hagel von Pfeilen sauste den anrückenden Scharen entgegen. Die herzoglichen gelernten Armbrustschützen erwiderten die Schüsse mit großer Kaltblütigkeit und nicht ohne Erfolg; ihre Bolzen setzten manchen der Belagerten trotz deren gedeckter Stellung außer Gefecht. Indessen eilte die andere Mannschaft möglichst schnell dem Graben zu. Bald war dieser erreicht, von einem mitgeführten Sturmwagen ließ man eine Fallbrücke über denselben nieder, an einer anderen Stelle ward mit Faschinen und Säcken ein Damm gebaut. So konnte man in zwei Haufen den Graben überschreiten. Nun aber begann der zweite und gefahrvollere Teil der Aufgabe. Die Sturmleitern wurden angesetzt und die Mutigsten begannen an ihnen emporzuklettern.
Jedoch nur wenigen gelang es weiter zu kommen. Ströme siedenden Wassers verbrühten die Kühnen, die herabsausenden Feldsteine zerschmetterten ihre Glieder, große runde Bäume drückten im Herabrollen alles nieder, was sich auf den Leitern befand. Nur wenig Schutz gewährten den Stürmenden die übergehaltenen Schilder, kaum bis zur Mitte der Leitern vermochten sie empor zu steigen, dann stürzten sie tot und verwundet herab oder sprangen, an einem Erfolg verzweifelnd, herunter. Es blieb nichts übrig, als immer mit frischen Kräften wieder von neuem anzufangen.
Diese unermüdliche Ausdauer aber erschöpfte die Mittel der Verteidiger. Und als jetzt die Ritterschaft herankam, hatten ihnen die Städter schon so tapfer vorgearbeitet, daß es den besser durch ihre umfassende Rüstung geschützten Edlen gelang, höher und höher an der Mauer emporzuklimmen. Einer der Vordersten unter ihnen war Rolef Doring. Den Dolch zwischen den Zähnen, hielt er mit der Linken den Schild schützend empor, während die Rechte nach den Sprossen der Leiter griff und das Schwert ihm an einer kurzen Kette vom Brustharnisch herabhing – so stieg er trotzigen Mutes hinauf. Schon stand er auf der obersten Sprosse der Leiter, ein gewaltiger Schlag traf seinen Schild und glitt an demselben schadlos ab, zwei wutsprühende Augen funkelten Rolef an, seine Dolchklinge blitzte und fand den Weg zwischen Halsberge und Harnisch des Gegners hindurch – im nächsten Moment hatte er sich über die Brüstung geschwungen und erwehrte sich mit dem Schwert der andringenden Feinde. Andere folgten ihm, die Verteidiger der Mauer wichen langsam zurück und auf dem Fuße folgte ihnen die schnell wachsende Zahl der Ritter und Städter. Da wurden plötzlich die Blicke der Streitenden, der angreifenden wie der abwehrenden, hinunter in die Ebene gelenkt, aus welcher ein Getöse heraufdrang, das selbst den Lärm des Kampfes auf der Mauer übertönte.
Herzog Bernt hatte mit seinen Reitern dem ihm erteilten Auftrage gemäß seine ganze Aufmerksamkeit dem Burgthor zugewandt, um einem etwaigen Ausfall der Belagerten zu begegnen. So hatte es geschehen können, daß ein feindlicher Trupp – es waren die van Velthems von der Asseburg, welche im Bunde mit anderen Schnapphähnen und heimlich unterstützt vom Quaden ihren Freunden in Twieflingen zu Hilfe gezogen waren – daß also dieser Trupp sich durch eine Waldecke geschützt bis dicht in den Rücken der Reiter hatte schleichen können. Von hier brachen sie plötzlich mit eingelegten Lanzen hervor, und ehe noch die Mannen Herzog Bernts ihre schweren Streitrosse herumwerfen konnten, waren viele von ihnen heruntergestochen, ihre Reihen durchbrochen, der jugendliche Führer trotz tapferer Gegenwehr gefangen.
Der Rest jagte fliehend über die Ebene, unverfolgt von den Velthems und deren Genossen, welche, schnell von neuem geordnet, auf das herzogliche Fußvolk am Graben einsprengten, um dasselbe in das Wasser zu drängen und den Stürmenden an und auf der Mauer den Rückzug abzuschneiden.
Ein Jubelgeschrei der Belagerten begrüßte die unerwartete Hilfe, ihre schon erlahmende Verteidigung gewann neue Kraft, ja sie wurden jetzt zu Angreifern, welche die Herzoglichen auf der Mauer in schwere Bedrängnis brachten. Da verloren viele der letzteren den Mut, sie stürzten die so mühsam erklommenen Leitern wieder hinab, drängten über die Fallbrücke und den Damm, ja manche versuchten in ihrer Verzweiflung, durch den Graben zu schwimmen und versanken entweder im Wasser oder wurden, glücklich hinübergelangt, vom Feinde wieder in das gefährliche Element zurückgestoßen. Nur noch wenige Tapfere hielten, um Rolef Doring geschart, oben aus. Bis zur Brustwehr waren auch sie zurückgedrängt, aber weiter vermochte die Wut der Feinde sie nicht zu treiben. Den Rücken durch die Brustwehr gedeckt, hielten sie jedem Angriff Stand. Wohl lichtete sich die kleine Schar immer mehr, aber ans Weichen dachte keiner. Der Tod schien ihnen gewiß, dort unten, wie hier oben – da wollten sie lieber als tapfere Männer auf ihrem Posten sterben. –
Und diese Ausdauer ward belohnt. Denn ebenso schnell, wie sich vorhin dort unten in der Ebene die Lage zu Ungunsten der Herzoglichen gestaltet, ebenso schnell wandte sich jetzt das Blatt wieder zu ihren Gunsten. Die Ursache aber davon war die Braunschweiger Stadtfahne, der rote Löwe im weißen Felde, welcher jetzt endlich auf dem Plane erschien.
Das Fußvolk in der Mitte, die Reiter auf beiden Flügeln, so rückten die Braunschweiger in unerschütterlicher Ordnung vor. Herzog Albrecht folgte ihnen mit dem, was er von den Seinen wieder gesammelt hatte, im zweiten Treffen, und jeder, welchem noch nicht ganz Besinnung und Mut abhanden gekommen war, schloß sich dem Angriff an. Noch einmal schmetterten die Trompeten, noch einmal erklangen die dröhnenden Heerpauken. Die Velthemschen stutzten, aber auch sie waren tapfere Männer. Eine kurze Strecke wichen sie zurück bis dahin, wo ihnen die Waldecke eine Anlehnung für ihren linken Flügel bot. Dort schlossen sie ihre Reihen und erwarteten – wenn auch in der Minderzahl – mutig den Angriff.
Doch bald war der ungleiche Kampf entschieden. Von den herzoglichen Armbrustschützen mit Pfeilen überschüttet, von dem Fußvolk der Braunschweiger Gilden in der Front mit Hellebarden und Morgensternen angegriffen, in der rechten Flanke und im Rücken von den städtischen Reitern umfaßt, erlagen die Velthemschen trotz tapferen Widerstandes. Was nicht auf der Wahlstatt blieb, rettete sich in eiliger Flucht; dem vorhin von ihnen gefangenen Herzog Bernt gelang es in dem wilden Getümmel, sich wieder zu den Seinigen durchzuschlagen.
Die nächste Folge dieses Wechsels hier unten in der Ebene war, daß sich auch auf der Mauer wieder das Blatt wendete. Von Scham ergriffen, setzten die geflohenen Magdeburger und Lüneburger, jetzt im Rücken gesichert, von neuem die Leitern an und kamen Rolef und seinen wenigen treuen Genossen zu Hilfe. Die Belagerten aber verloren beim Anblick der Niederlage ihrer Freunde in der Ebene den Mut. Ihr Widerstand erlahmte mehr und mehr, Diderik van Utze, ihr Anführer, fiel tödlich getroffen, da erschien auf der Spitze des Bergfriets als Zeichen der Ergebung eine weiße Fahne, und zugleich öffnete sich das Hauptthor der Burg, die Zugbrücke kam langsam herab und legte sich über den Graben.
Auf beiden Seiten geboten die Trompeten Stillstand. Die Burgbesatzung zog sich bis zum Bergfriet zurück und bildete um denselben einen schützenden Kreis. Kaum zehn Schritte von ihnen entfernt lagerten sich in einem zweiten umfassenden Kreise die Stürmenden zwischen stöhnenden Verwundeten und blutenden Leichen. Oben auf der Plattform des Bergfriets aber zeigte sich jetzt ein seltsames Bild.
Alle Gefangenen, welche bis jetzt in den Verließen und Türmen der Veste, ihrer Auslösung harrend, geschmachtet hatten, waren von den Schnapphähnen dort oben hinauf gebracht. Das war auf Vörsfeldes Vorschlag geschehen. Durch ihren Anblick und die Drohung, sie dem Tode zu überliefern, hoffte er den menschenfreundlichen Herzog Albrecht zu milden Kapitulationsbedingungen zu bestimmen.
Er selbst unterhandelte darüber mit dem Fürsten an der Zugbrücke, während die herzoglichen Mannen mit neugierigen Blicken die seltsame Versammlung auf der Plattform des Bergfriets betrachteten. Die Wenigsten von ihnen wußten, was dieselbe zu bedeuten habe, auch Rolef nicht, bis Herzog Bernt zu ihm trat und ihn darüber aufklärte. Da riß der Ritter den Stechhelm vom Haupte, welcher sein Antlitz verdeckte, und indem seine Augen prüfend die Schar dort oben musterten, rief er mit gellender Stimme: »Ilse vam Damme!«
Unbeantwortet blieb der Ruf, aber jetzt teilte sich oben die Menge und zwei schwarzgekleidete Frauengestalten beugten sich spähend über die Brüstung herab. Jubelnd erkannte Rolef die Gesuchte – »Ilse, Ilse,« rief er aufjauchzend ihr zu, riß die Feldbinde von der Schulter und schwenkte sie hoch in der Luft. Da gewahrte auch sie ihn und winkte ihm mit der Hand und er sah, wie ihre Lippen Worte bildeten, aber was sie sagte, blieb ihm bei der Höhe des Turmes und dem ringsum herrschenden Getöse unverständlich.
Jedoch nicht auf lange. Schon war eine Verständigung zwischen Herzog Albrecht und Junker Vörsfelde zustande gekommen. Die Schnapphähne übergaben die Burg mit allem, was darin war, besonders den Gefangenen, schworen Urfehde und gelobten, die Lande Braunschweig und Lüneburg bei Todesstrafe zu meiden. Dafür schenkte ihnen der Fürst Leben und Freiheit, auch durften sie mitnehmen, was sie am Leibe trugen.
Sobald diese Bedingungen vereinbart und mit Handschlag bekräftigt waren, ritt Junker Vörsfelde vom Fleck weg in schlankem Trabe in die Ebene hinein. Er wußte nur zu gut, daß die Burg in ihrem Innern Dinge berge, bei deren Anblick der Fürst leicht anderen Sinnes werden und sich geneigt fühlen möchte, sein Gnadenwort zurückzunehmen. Auch wollte der Junker gern in Sicherheit bringen, was er am Leibe trug. Denn in der allgemeinen Verwirrung des Sturmes hatte er den Fall des alten Diderik van Utze wohl zu benutzen verstanden. Er trug den Sterbenden aus dem Getümmel und drückte ihm die Augen zu, aber nicht aus christlicher Liebe, sondern um sich seiner Schlüssel zu bemächtigen. Mit Hilfe derselben setzte er sich in den Besitz des Goldes und der Juwelen, welche der Alte in seiner langen räuberischen Thätigkeit angesammelt hatte, und verbarg dieselben unter seiner Rüstung. Daher drängte es ihn jetzt, mit seinem Raube das Weite zu suchen. Unbekümmert um die zahlreichen Verwundeten sprengte er über das Schlachtfeld, sonder Achtung, ob die schweren Hufe seines Pferdes die Glieder dieser Hilflosen zermalmten. »Vorsicht, Vorsicht«, rief ihm ein Mann in der Tracht der herzoglichen Armbrustschützen zu, welcher den rasenden Reiter gerade auf sich zukommen sah und auf den Körper eines Sterbenden deutete, dessen Haupt in seinem Schoße ruhte. »Vorsicht, Ihr überreitet meinen Bruder.« Doch Vörsfelde kümmerte die Warnung nicht, achtlos ritt er so dicht an der Gruppe vorüber, daß der rechte Hinterhuf seines Pferdes den Fuß des Verwundeten zerschmetterte. Ein schmerzvolles Zucken lief durch des Sterbenden Körper, ein gurgelndes Stöhnen rang sich aus seiner Brust herauf und er sank tot zurück. Sanft ließ ihn sein Bruder zur Erde gleiten, dann griff er mit grimmigem Entschluß nach der Armbrust, zielte und drückte ab. Und der Pfeil verfehlte sein Ziel nicht. Der wilde Reiter, dem er gegolten, schwankte im Sattel, dann glitt er herab und das herrenlose Pferd jagte allein in wildem Lauf über die Ebene dahin.
Auch Herzog Albrecht hatte sein Pferd von der Brücke gelenkt, aber nicht hinab in die Ebene, sondern hinauf in die Burg. Er ließ die Schnapphähne und ihre Knechte die Waffen niederlegen und sie darauf in sein Lager hinunterführen. Von dort sollten sie entlassen werden, sobald sie Urfehde geschworen. Dann aber stieg der Fürst zu den Gefangenen auf den Bergfriet empor.
An seiner Seite hielt sich Rolef Doring und gleich nach dem Herzog betrat er die Plattform. Da stand Ilse vor ihm, in ihrem ärmlichen, schwarzen Gewande, blaß und schmal, aber strahlend vor Glück. Und einen Augenblick darauf hing sie an seinem Halse und er bedeckte ihr Antlitz mit Küssen. Und dann trug mehr als führte er sie die Treppe hinab, und unten am Turme fanden sie in einer Ecke ein stilles Plätzchen. Dort setzten sie sich, sie lehnte ihren Kopf an seine Brust und während er ihre blauen Augen küßte, flüsterte sie: »O Du Geliebter, habe ich Dich endlich, endlich wieder?«
»Warum konnte ich Dich, warum ließest Du Dich nicht eher finden, Du böses Lieb?« fragte er sanft. »Was hatte der arme Rolef verschuldet, daß Du Dich so lange vor ihm in jener Abgeschlossenheit verborgen hieltest?«
»Sie lächelte und küßte ihn auf den Mund. »Nichts hatte er verschuldet«, sagte sie, »stets war er mein bester, mein liebster Rolef. Aber dennoch mußte er mich suchen, ich konnte nicht zu ihm kommen, ich mußte warten, bis er mich fand. Und nun hat er mich ja gefunden, o mein Geliebter, wie bin ich so glücklich!«
Er preßte sie fest an sich, sie umschlang seinen Hals und er fühlte, wie ihr Herz an dem seinen klopfte. Da fiel ein dunkler Schatten über sie, es war die Nonne, welche hinzutrat.
Bei ihrem Anblick wand sich Ilse errötend aus den Armen des Geliebten. Sie erhob sich und trat einen Schritt auf Schwester Albina zu. »Das ist er«, sagte sie, »das ist Rolef Doring. So oft hatte ich ihn erwartet, so oft war es mir, als könne der Tag nicht zu Ende gehen, ohne ihn mir zu bringen. Und nun ist er ganz unerwartet gekommen, so überraschend, als habe ihn ein Engel vom Himmel zu uns geführt.«
»Es war auch ein Engel vom Himmel«, sagte Rolef ernst. »Die treueste Liebe war es, welche mich in Herzog Albrechts Heer führte, als ich hörte, daß es Twieflingen belagern wolle.«
»So wußtet Ihr, daß man uns hierhergebracht?« fragte die Nonne.
»Ich hatte guten Grund, es zu vermuten«, entgegnete Rolef.
»Und Ihr verließet Euren früheren Herrn und nahmt beim Herzog von Lüneburg Dienst, nur um Ilse zu befreien?«
»Nur dieser Wunsch hat mich hierher geführt«, bestätigte der Ritter und erzählte, wie er in der Obermühle bei Achim Ilses Spur gefunden und weiter – vorbei an der Klosterpforte von Drübeck – nach Twieflingen verfolgt habe.
»Vorbei an der Klosterpforte von Drübeck«, wiederholte Schwester Albina mit gewichtiger Betonung. Sinnend sah sie vor sich nieder, dann faßte sie Ilses Rechte und sagte: »Möge die Hand, welche Dich vorbei am Kloster geführt, auch auf dem Wege Dich glücklich machen, welchen Du jetzt gehen willst. Gottes Segen sei mit Dir, mein Kind.« Sie hauchte einen Kuß auf ihre Stirn und segnete Rolef mit dem Zeichen des Kreuzes. Dieser hatte jetzt kein Verständnis für den weihevollen Ernst, welcher aus dem Wesen der Nonne sprach. Auch glaubte er zu bemerken, daß durch die Erscheinung derselben Ilses rückhaltloser Freude ein nachdenklicher Zug beigemischt wurde. Er zog Ilses Arm durch den seinen und sagte: »Kommt, jetzt wollen wir zum Herzog gehen. Ich will Euch ihm vorstellen und bitten, daß er Euch im Lager ein Zelt anweist.«
Aber Schwester Albina widersprach. »Nicht ist an so wilder Stätte ein Platz für ehrsame Frauen«, entgegnete sie, »es sei denn, daß wir das Elend der Jammervollen lindern können, deren Wehegeschrei die Luft erfüllt. Darum wollen wir Euren Herrn bitten, uns das zu gestatten, die Kranken zu pflegen und die Sterbenden zu trösten.«
»Ja, das laßt uns thun«, stimmte Ilse bei. »O, wie eigensüchtig macht doch das Glück das menschliche Herz, daß ich all das Elend um mich her vergessen konnte, um nur an mich selbst zu denken.«
Rolef fügte sich schweigend. Seine Brauen zogen sich finster zusammen und mit einem unwilligen Blick betrachtete er die Nonne, welche dem Paar voranschritt. Dann schaute er auf Ilse, welche mit sinnend zu Boden gesenktem Blick neben ihm herging. Er drückte ihre Hand, da sah sie ihn mit holdem Lächeln an, aber dennoch war es ihm, als ob ihr Blick nicht mehr so jubelnd, nicht mehr so gewiß innigsten, tiefsten Glückes dem seinigen begegne als wie noch kurz vorher.
Der Herzog nahm die Frauen freundlich auf und noch freundlicher ward er, als er ihre Bitte hörte. Gelegenheit, dieselbe zu erfüllen, gab es nur allzuviel. Er rief nach seinem Arzt und ließ sie von diesem nach der Stätte geleiten, wohin man im Begriff war, die Verwundeten zusammen zu tragen.
Dann zog der Fürst Rolef bei Seite. »Ein Sterbender wünscht mit Euch zu reden, Ritter Doring. Ich selbst will Euch zu ihm führen.«
»Wer ist es?« rief Rolef erschrocken. Er dachte an den jungen Bernt, welchen er während ihres Zusammenseins immer lieber gewonnen hatte.
»Ein tapferer Mann ist es, der an der Spitze der Seinigen die Todeswunde empfing. Ein Landsmann von Euch, Ritter, ein Braunschweiger.«
»Der Name?«
»Er heißt Holtnicker.«
»Fürstliche Gnaden!« Rolef blieb stehen, seine Hände ballten sich zusammen und seine Zähne bohrten sich tief in die Unterlippe.
»Ich führe Euch zu einem Sterbenden, Doring«, sagte der Fürst ernst. »Wie spricht der Herr? Mein ist die Rache, ich will vergelten!«
Herzog Albrecht hob bei den Worten einen Vorhang und trat in die hintere Abteilung des Zeltes. In Mitte derselben lag auf dem eigenen Ruhebette des Fürsten, mit Polstern gestützt und mit Decken halb verhüllt, ein schwer atmender Mann, auf dessen Zügen es deutlich geschrieben stand, daß der Todesengel seine Hand über ihn ausgebreitet hielt. An seiner Seite kniete ein Jüngling, dessen schmerzlich bewegtes Antlitz eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Verwundeten zeigte.
Beim Anblick des Herzogs wollte sich der Jüngling erheben, aber Albrecht winkte ihm, sich nicht zu rühren.
»Schläft er?« fragte der Fürst, mit behutsamen Schritten näher tretend.
Der Verwundete öffnete die Augen. »Noch schlafe ich nicht«, antwortete er selbst, »aber bald werde ich fest genug schlafen. O, würde nur diese Last von meiner Seele genommen, die Gewissensangst will mich nicht sterben lassen.«
Albrecht schaute zu Doring hinüber, welcher noch immer im Eingang stand. Die geballten Hände des Ritters hatten sich gelöst, aber seine Brauen blieben zornig zusammengezogen. Er machte einen Schritt vorwärts, um dem Lager näher zu treten, dann blieb er wieder zaudernd stehen.
»Habt Ihr den Ritter gefunden, Fürstliche Gnaden?« fragte der Verwundete, welcher Rolef von seinem Lager aus nicht sehen konnte.
»Er ist hier«, erwiderte der Fürst.
»Will mir der Ritter vergeben?« stöhnte Holtnicker, als der Fürst ihm Rolefs Anwesenheit verriet; er wollte sich mit einer schnellen Bewegung emporrichten, sank aber kraftlos zurück. Und mit dem flehenden Blick den nähertretenden Rolef suchend, setzte er hinzu: »O, Ihr wäret nicht gekommen, wenn Ihr mir nicht vergeben wolltet.«
»Eine andere Hand hat das Blut vergossen, auf welches ich ein Recht zu haben glaubte«, sagte Rolef herbe. »Gott hat es so gefügt, nicht durch mich hat er Euch richten wollen.«
»So laßt auch Euren Zorn nicht zwischen mir und seiner Gnade stehen«, bat der Verwundete mit bebender Stimme. »Ein vergebendes Wort laßt mich von Euren Lippen hören – gebt mir damit ein Unterpfand der göttlichen Barmherzigkeit.«
Deutlich las man auf Dorings Antlitz den Kampf, welcher in seinem Inneren tobte. Da trat der junge Holtnicker zu ihm und sagte leise, so daß es dem Sterbenden unhörbar blieb: »Nehmt mein Blut für das Eures Vaters, nur laßt ihn dort zum Frieden kommen.«
Rolef sah mit einem tiefen Blick in die dunkeln, thränenumflorten Augen des jungen Mannes, dann that er einen schnellen Schritt vorwärts, und indem er die Hand des Sterbenden faßte, sagte er mit kräftiger, fester Stimme: »Ich vergebe Euch, so wahr ich hoffe, daß Gott mir vergeben möge, so wahr mein Vater Euch vergeben hat, ehe ihn der Todesstreich traf.«
Holtnickers zuckende Finger umspannten krampfhaft Dorings Rechte. »Dank, Dank«, flüsterte er. Die Spannung wich aus seinem Antlitz, sein Atem ward ruhiger, aber auch mit jedem Zuge schwächer. Doch konnte Rolef noch deutlich die Worte verstehen, welche seine Lippen bildeten. »Nun entzieht auch Eurer Vaterstadt nicht länger Euren starken Arm«, fuhr der Sterbende leise und in kurzen Absätzen fort. »Aller Augen sind dort auf Euch gerichtet und hoffen von Euch eine Versöhnung mit den vertriebenen und beleidigten Geschlechtern. Zu jeder Sühne sind sie bereit. Mein Sohn weiß von allem und wird es Euch sagen. Kein Trotz wohnt mehr in Braunschweig, die Not hat ihn gebrochen. Und die noch in der Stadt leben, waren nur Verführte, nur geringe Schuld trifft sie an der blutigen Unthat.«
Des Ritters Brauen zogen sich wieder zusammen. »Klaus Lodewiges!« Der Name klang Unheil verkündend von seinen Lippen.
»Auch Lodewiges ist tot. Die Velthems haben ihn auf der Asseburg erschlagen.« Man mußte die Worte mehr von den Lippen des Sterbenden lesen, als daß man sie hören konnte.
Überrascht sah Rolef auf, aber Herzog Albrecht trat jetzt an die andere Seite des Lagers und sagte ernst:
»Zweifelt Ihr noch, Ritter Doring, daß Gott sich die Rache vorbehalten hat? Braunschweigs stolze Geschlechter hat er gedemütigt durch die Hand dieser niederen Männer, und da auch diese sich in wilder Blutgier vergaßen, hat er ihre Sünden an ihrem Leibe heimgesucht. Und nun rufe ich Euch nochmals ins Gedächtnis zurück, wie Euer Vater im Angesicht seines Todes zur Einsicht mahnte und flehte, des Hasses zu vergessen. Thut wie er geboten, seid sein echter Sohn und ein getreuer Sohn Eurer Vaterstadt.«
Der Ritter fühlte, wie Holtnickers Finger seine Hand noch fester umspannten, als wollten sie aussprechen, was die Lippen zu sagen zu schwach wurden. Eine gewaltige Überredungskraft lag in diesem stummen Händedruck. Das spürte auch Rolef. »Aller Haß sei begraben«, sagte er mit fester Stimme, »dem Wohl der Vaterstadt soll meine ganze Kraft gewidmet sein!«
Da legte der Fürst auch seine Hand zu denjenigen der beiden Versöhnten und auch den jungen Holtnicker winkte er heran, dessen Rechte er als vierte hinzufügte. »So wollen wir geloben, Fürst, Ritter und Bürger, ich aber nicht allein für mich, sondern auch für meine Stiefsöhne Friedrich und Bernt, dieses Landes echte Erben, Frieden zu stiften in Stadt und Land Braunschweig, den Gerechten zur Freude, den Ungerechten zum Leide.«
»Wir geloben es«, wiederholten die Männer. Die Finger des Sterbenden lösten sich, seine Hand fiel in müder Schwere herab, über sein Antlitz lief ein Zucken, sein Haupt sank zurück, er war tot.
Schluchzend warf sich der junge Holtnicker über die Leiche seines Vaters. In stillem Gebet knieeten Herzog Albrecht und Ritter Doring am Lager nieder.