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Abgesang

Dieses Buch verdankt sein Entstehen der Kohlennot. Ich weiß nicht, ob man daraufhin die Kohlennot segnen wird; es ist aber auch nur geschichtlich gemeint.

Ich brachte das letzte Jahr – wie schnell ist es vergangen! – im Hinterland zu, war Offizier im Garnisonsdienst, war Kunstbeschreiber an einer Zeitung; Opernkritik und Stiefelvisit, Vierteltöne und Wachvorschriften reichten einander die Hände, sie beschäftigten und verzehrten meinen Geist (womit sie keine zu große Arbeit hatten …). Man wird in diesen Tagen vom Gestern zum Heute getrieben, und, kaum abgesetzt, vom Morgen weitergespült, und so trieb ich in dem bunten Strom von Dingen wie Tausend andre, denn man lebt nicht mehr, man wird gelebt und weiß nicht, soll man darüber lachen oder weinen …

Ich hatte für meine Zeitung ein paar Skizzen über die Mitschwimmer in meinem Strom geschrieben, und ein guter Freund – er soll es nur verantworten – gab mir den Rat, die Sachen zu sammeln. Es ging nicht leicht.

Schon im Oktober war eine Waggonladung von Musik da, die sonst nur der Dezember bescherte, und je dünner die Göttin Ökonomia wurde, desto üppiger gedieh die flötenblasende Muse Euterpe. Musik war das einzige, woran wir Überfluß hatten, Musik im gesungenen, geblasenen, gegeigten und im Klavierzustand. »Konzert … riefen drohend die Plakate. »Konzert …!« rief es unerbittlich aus den Zeitungen. »Muß es sein?« fragte man mit Beethovens banger Quartettfrage. Ist Musik wirklich ein Likör geworden, dessen sich die arme, elendfürchtende Menschheit bedient? Es muß sein – antworteten in strenger Umkehrung die Unternehmer, diese modernen Musageten, die die Musen an den Haaren herbeiziehen, den Grazien Erwerbssinn einhauchen und sie zu stundenlangen Clownsprüngen antreiben. Vielleicht sind gerade die die musikalischen Seelen, die in die Natur gingen, den schweigenden rhythmischen Flügen der flügelgleitenden Saatkrähen zusahen, demselben Rhythmus, nach dem die Siriuswelten und die Saturnmonde kreisen; oder die in die reine einsame Stunde flüchteten, zur Zwiesprache mit unsern besten Freunden, den deutschen Meistern, in deren Hirnen ein Teil der kosmischen Melodie klingt; vielleicht waren die die Musiker, die nicht ins Außen gingen, nicht in den starren Volksküchenbetrieb der Konzerte mit ihrer portionenweisen Austeilung nach Sesselreihen und mitleidsloser Überfütterung.

Vielleicht. Ach, in diesem Winter schneite es Musik!

»O, bittre Winterkälte!
Die Nasen sind erfroren
Und die Klavierkonzerte
Zerreißen uns die Ohren …«

Und die Konzertmusik von heute will nicht allein sein, sie verlangt einen nächtlichen Aufpasser, der ihr am Morgen sagt, wie sie gefallen habe. Sie will es hören, zweimal, dreimal, und wenn sie es nicht hört, freut sie der ganze Rummel nicht. … So muß der Kunstbeschreiber, der Hofnarr einer ehrgeizigen Majestät alle Energien abendlich verschwenden und kann nicht Bücher machen. Und endlich – alle Abend öffentlich sein, was vielleicht das Schlimmste ist! Nein, ich hätte besser zum Schiffsheizer getaugt, denn niemand kann so tief und ungesehen leben wie der Schiffsheizer …

Da kam die Kohlennot. Die mitleidige Obrigkeit, die dafür hielt, daß Wärme für die Mansarden wichtiger sei als für das Vergnügen, sperrte die Säle. Zwar, feine zierliche Seidenschuhe und Lorgnons, die sich schon seit Jahren geistig erholten, klagten anfangs darüber; aber man bemerkte nicht, daß sie danach unerholt ausgesehen und geistig abgemagert seien. Sie blieben ganz frisch und fanden anderswo ein Vergnügen, das ihnen die Musik gewohnheitsgemäß zu bereiten hatte, und der Hofnarr Ihrer Majestät konnte an den freien Abenden dies Büchlein zusammenstellen, Sätze feilen, Eigenschaftsworte aus ihren Verstecken holen, kurz, die edle Faulheit überwinden, die sich vor dem Stoff fürchtet, und ein wenig von der Fröhlichkeit sammeln, die sonst in den Kaskaden der Töne ertrunken wäre.

Ein fröhliches Buch? Nun, fröhlich, was man eben so nennt. Es geht uns darin, glaub' ich, nicht allein ganz gleich. Fröhlichkeit ist bei den einen ein Talent wie bei meinem lieben Girardi, der plötzlich in der Nacht aufstehen muß, um sich auszulachen, denn es ist ihm im Schlaf etwas Komisches eingefallen. Und bei andern kommt es vor, daß sie aufstehen müssen, weil sie ihre Träume nicht aushalten, Schauspieler, die nur auf der Bühne lustig sind wie der alte Meixner vom Burgtheater, der tagsüber unverdaulich gewesen sein soll.

»In stillen Nächten weinet
Oft mancher aus dem Schmerz.
Und morgens dann Ihr meinet
Stets fröhlich sei sein Herz.«

Bei diesen ist Fröhlichkeit eine Sehnsucht, und sie rücken ihr mit dem Sessel nach wie der Großvater der letzten Sonne vor dem Häuschen. Sie stürben in der Kälte und segnen selbst die Mücken, die ihnen auf ihre Art verraten, daß Sommer ist.

Ach, daß man die ältesten Weisheiten erst entdeckt, wenn man sie an sich selbst entdeckt! Und daß schon die ersten eselsgrauen Spitzen aus dem sokratischen Schädel wachsen müssen, bis man sie glaubt. So glaube ich heute, daß die Fröhlichkeit der Zimmerlampen die natürlichste ist. Wenn sie so recht warm geworden sind im Eifer, und ganz selbstvergessen leuchten, dann fangen sie zu singen an. Dann hebt man den Kopf vom Buch, horcht und weiß, warum man selbst so lange nicht singen konnte. Ach ja. Ich habe viele Torheiten im Leben begangen und wäre sicher als klüger gepriesen worden, wenn ich früher gestorben wäre; aber meine größte Dummheit – was die Welt so dafür hält – war doch gescheit, wie ich heute weiß. Du sollst nie des reichen Mannes Tochter zur Frau begehren. Du sollst keine Villa erben. Ich bin fröhlich, daß dieses mir nie zugestoßen, daß ich mir die Geldkatze nicht um den Hals binden und fürchten muß, sie könne mir gestohlen werden. Und wenn ich hier und da die Operettenkomponisten beneide, so ist es nicht tragisch zu nehmen. Wer allzu sehr an den irdischen Dingen hängt, bekommt nie Freiheit, nie Urlaub in die Gegend hinter den Dingen, dorthin, wo die Seele ihre Heimat hat. Es ist die alte Weisheit des Glücklichen von Assisi. –

Alle, die das Leben doppelt führen, werden diese Worte billigen. Alle, die aus den Fenstern des Innern hinausschauen und sich selbst draußen unter Menschen spazieren sehen – oft zu ihrem Schrecken – man winkt und ruft: He, Halt! Was fällt dir ein! Lach' doch nicht – sprich nicht mit jedem Klotz, verlang' doch nichts – – aber umsonst, umsonst – –! – sie werden es verstehen.

Manchmal kommt freilich in der heitern Stunde aus irgendwelchen Einöden ein Gram herauf und legt sich schattend über eben noch schön besonnte Wiesen – man weiß nicht warum, fühlt sich trostlos, sieht sich von den andern beschuldigt, bei denen Sonnenschein und Regenwetter immer begründet sind wie das Urteil des Bezirksgerichts, und kann doch gar nichts dafür … Es ist ein eigen Ding um die Fröhlichkeit. Ein wunderschöner warmherziger Märztag, der es gut meint mit den Menschen, schaut heut in meine Wohnung herein. Ganze Balken von Sonnengold schiebt er mir ins Zimmer. Er legt sich quer über den Schreibtisch – da bricht mir die Fröhlichkeit heraus, und ich bin versucht zu jubeln wie Herr Dafnis, der Saufaus und Sänger: »In nichts wie Sonnenschein tünk' ich die Feder ein …!«

Nun ja. Eingetünkt ist bald. Ob auch etwas Sonne darangeblieben ist …?


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