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Mein Sohn Andreas war von seinem Schulkameraden Artur von Hebensperg zu einer »Sonntags-Jause« geladen worden. Hebensperg wohnte in einer viertürmigen Parkvilla, und wer dahin eingeladen war, kam aus dem Unbekannten ins Helle. Es war ein Glücksfall, wie wenn mich eine große Zeitung zu einer Schreibreise eingeladen oder der Kaiser von Österreich mich als seinen Lieblingsschriftsteller bezeichnet hätte.
Jeder von uns hat Tage, wo ihm das glückberauschte Blut zu Kopf wirbelt, wo er singt, mit allen Leuten höflich ist, und ich konnte es meinem guten Jungen nachfühlen, daß er einen solchen Tag in sich brausen fühlte, als er von Hebensperg hörte, daß seine Mama sich freuen würde, ihn zu sehen. Die Baronin stellte in unserem Städtchen den Hochadel dar; das Städtchen hatte wenigstens keine andere Familie, die es an Geschichte und Titel, Einfluß und Blutfeinheit mit ihr aufgenommen hätte.
Der Sohn Hebensperg schien mit seinem schmalen Kopf für die elegante Hutmode geboren zu sein, kurz, es waren thronende Leute, zu denen aus dem brandenden Meer der Zeit kein Spritzerchen aufflog.
Aber in welchem Anzug sollte Andreas dort erscheinen? Es war natürlich, daß man ihn nicht mit seinem tristen Schulfrack in die viertürmige Villa schicken konnte.
Meine Gattin ging in diesen Tagen fleißig aus, kam aber mit entmutigten Zügen zurück, denn alle Stoffe, die sie berührte und für würdig hielt, unseren Andreas zu schmücken, schienen sich in Gold zu verwandeln. Ein halber Meter kostete soviel, daß man im Frieden hätte eine kleine Kostümausstellung einrichten können. Es machte sie schwermütig, und Andreas, der sich schon die Freitreppe der Villa hinaufsteigen sah, stieg langsam wieder herunter.
Auch ein anderes Auskunftsmittel versagte den Dienst, nachdem es bisher stillen und dauernden Erfolg gehabt hatte. Seit der Krieg begonnen, war Andreas mein Kleidererbe geworden. Mein wohlgefüllter Kasten leerte sich langsam und beständig, ich erblickte an den Beinen meines Sohnes meine schöne Sporthose (schwarz-weiße Würfel), erblickte an seinem Halse eine Krawatte, die mich an fröhlich-flatternder Tage Rosenstunden erinnerte, und sah diesen Sukzessionserscheinungen mit der Wehmut zu, die man beim Gedenken an irdisches Vergehen hat. Würde ich niemals mehr mein altes Zivil brauchen …? Allein selbst mein wohlgefüllter Kasten vermochte auf die Dauer nicht, es mit der Wachstumsleidenschaft dieses Jünglings aufzunehmen. Andreas ging in die Höhe, in die Breite, und diese verderblichen Anzeichen eines krassen Individualismus wollten sich nicht unterdrücken lassen.
Nun blieb nichts übrig, als daß Mama den eigenen Kleiderkasten öffnete, nachdem mein Speicher erschöpft schien. Sie tat es, zwischen Kleider- und Kindesliebe schmerzlich schwankend, und entschied sich für ein englisches Stadtkostüm, das geopfert werden und doch phönixgleich wieder auferstehen sollte. Aus der »Schoß« wurde eine Hose, aus der Jacke ein Jackett. Man maß, man schnitt, man zeichnete, alle Künste der Architektur wurden angewendet, und Tante Amalie erklärte, daß Goldknöpfe unbedingt dazu gehörten. Dieses Beispiel wirkte – Mehrheiten fangen immer bei einem an – und so kam es, daß alsbald die ganze Familie irgend etwas zu dem neuen Anzug beisteuerte, farbigen Zwirn, Litzen, Lappen, Bänder und Borten und eine purpurne Weste von Onkel Alois. Es war nicht möglich, etwas davon zurückzuweisen, ohne schwere Dauerkränkungen hervorzurufen, die Zwiespalt und Zerwürfnis in die schon mehrfach gespaltene Familie brachten.
Der Kompanieschneider Podgorschegg, den ich um Rat fragte, schüttelte zwar den Kopf; aber über diese Äußerung hinaus konnte er nicht eingreifen, denn strenge Befehle verhinderten Podgorscheggs Mitwirken bei zivilen Montursfragen. Es ist ja soviel verboten; wohin man auf dieser holperigen Lebensstraße heute geht: überall stößt man bald mit dem Kopf an die Mauer.
Dennoch kam der Tag, wo Andreas sich vor uns drehte und sich vor dem Spiegel in seinem Familienanzug bewundern konnte, der halb von der Notwendigkeit, halb von der Phantasie erzeugt war.
Aaah – aaah –!
Diese Laute bedeuteten eine gemeinsame Billigung von Mamas Handwerkskünsten und des Sohnes prangendem Anblick.
Und dann kam der Tag, wo er die Freitreppe hinaufstieg.
Aber des Abends kam er zurück und ließ den Kopf hängen. Beinahe heulte er. Mama war bestürzt. Was war geschehen? In mir wühlte es.
Er erzählte es.
Die Frau Baronin, eine längliche dünne Dame, sozusagen eine Feinknochensäule, hatte im Klubdiwan gelegen und sich Andreas vorstellen lassen. Sie erhob die goldene Stielbrille, musterte ihn, prüfte dabei den neuen Familienanzug, lächelte und sagte: »Na …!«
Hierauf legte sie sich wieder zurück, nahm vom Perlenmuttertischchen die »Dame«, die eben aus Berlin gekommen war, und betrachtete das farbige Titelbild. Für Andreas hatte sie nichts mehr übrig. Er war durch die Audienz gefallen.
Der Sohn Hebensperg aber habe hierauf fortwährend heimlich gelacht. Die Jausenmädel hatten sich angestoßen und rasch in die Lippen gebissen, wenn Andreas sich nach ihnen umdrehte.
Hm. Ich betrachtete den Anzug. Nun, er war nicht Wiener Meister-Atelier. Auch die »Dame« würde ihn kaum angepriesen haben. Allein, der blonde, klare Kopf, der darin stak – – wenn es nicht meines Sohnes Kopf gewesen wäre, ich hätte beinahe etwas gesagt …
Er stand mit gesenktem Nacken. »Dort gehe ich nie mehr hin …!«
»Mein Junge,« sprach ich und zog ihn zwischen die Knie, »du hast einen großen, großen Fehler begangen, du hast dich zu sehr gefreut. Auch ich bin in Villen geladen worden, aber mit den Jahren stieg ich die Treppen immer zögernder hinauf, immer vorsichtiger und tastete und tastete in meiner Tasche nach einer geladenen Pistole. Das ist nicht wörtlich gemeint. Aber ich habe mich daran gewöhnt, nie unbewaffnet in Gesellschaft zu gehen und für alle Fälle eine Patrone in den Lauf zu stecken. Zuletzt gab ich es auf, und wenn ich heute eingeladen werde, freue ich mich immer unbändig, denn ich werde diesen Tag bestimmt zu Hause sein, hier bei mir und deiner Mutter. Mein Park ist mein Schreibtisch, und ich brauche da nicht mit der Pistole herumzulaufen … Und dann, glaube ich, ist es besser, ein schönes, gutes Kleid zu Haus zu tragen als auswärts. Zu Hause muß man nobel aussehen, rein, adrett – dann wird man es auch innen. Was aber die Frau Baronin betrifft, so darfst du ihr nicht böse sein. Sie hat nie die Ehre gehabt, für ihren Sohn ein Kleid zu nähen, für ihn den Rücken eine Nacht zu krümmen. Deine Mutter aber – schau, mein Junge: Damen, die nur die Lappen sehen, in denen wir stecken, nur die Rinde, nicht den Baum, sind Schneiderinnen. Ich will der Frau Baronin nicht nahetreten, sie ist die Mutter deines Freundes, und unsere Mütter geben uns das erste Kleid und auch das letzte, und keiner kann aus seiner Haut. Diesen Anzug aber, der früher deiner Mutter Leib umhüllte, trage wie ein Feiertagsgewand! Geh darin in Ehren und in Stolz! Und danke ihr: Du findest keinen Schneider, der dich in dieser Zeit mit einem schönern schmücken könnte.«