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Fräulein Hedi

Nach meinem fehlgeschlagenen Versuch mit der Hühnerzucht war ich auf andere Gedanken gekommen. »Nein, nicht die Henne – die Ziege ist die Kuh des armen Mannes!« So sprach ich, mich verbessernd, zu Aglaja. Die Ziege. Und als die Milchbrunnen unsres Städtchens zu versiegen drohten, geheime Rohrverbindungen mit den Quellen des flachen Landes immer schwieriger wurden, alle Anbiederungen bei den Gewalthabern gescheitert waren, der Sanitätsrat mir zwar meine wacklige Gesundheit bescheinigt hatte, die Milchdame aber offenbar darauf nichts gab – griff ich zum letzten Mittel. Selbsthilfe! Und verschrieb mir eine Ziege. (»Schafft euch Ziegen an!« hatten die Blätter in warmer Liebe ermahnt, und ich folgte.)

Sie kam mit der Bahn und war ein Prachtfräulein vom Karst. Für Abkömmlinge aus dieser schönen Steingegend unsres Vaterlandes hatte ich immer etwas übrig, und als sie nun mit ihrem Pans-Bart aus dem Verschlag kletterte und mich aus ihren gelben Schlitzaugen ansah, war ich ganz gerührt. Sie hatte ein schneeweißes Kitz bei sich, das ein wenig mit dem Schwänzchen zokkelte, was auf eine erwartungsfrohe Stimmung schließen ließ. Die Mutter jedoch begann zu meckern und ich wußte sofort, was dieses Staccato bedeutete. O, ich verstand die Ziegensprache! Ich hatte mir alles Einschlägige aus der Bücherei der Landwirtschaftsgesellschaft entliehen, darunter auch die berühmte »Ziegenschule der heutigen Zeit«. Ja, die Vorstudien! Wieviel hatte ich nicht schon gemacht! Und merkwürdig: die Vorstudien waren mir immer gelungen, die Werke leider selten, und ich kam auf den Gedanken, unser ganzes Leben ist nur eine Vorstudie – nach dem Weltplan kommt die Gescheitheit und das Besseranstellen erst danach, wenns vorüber ist …

Nun, um auf die Ziege zurückzukommen. Ich wußte sogleich: ein halbes Kilo gequetschten Hafer mit Häckselzusatz … das war es, wonach sie fragte. Ich hatte davon allerdings nichts bei mir und beeilte mich deshalb mit der Geiß nach Haus zu kommen. Gegenüber dem Bahnhof sah der Bürgermeister beim Fenster heraus (warum der Mann gerade dort wohnen mußte?), er winkte ins Zimmer zurück, bis seine feiste Gattin erschien und sich gleichfalls unter genußvollem Lachen ins Fenster legte. Meinten sie mich? Überhaupt merkte ich, daß ich ein schmunzelndes Publikum um mich versammelte. Bei keinem meiner Bücher hatte ich so viele entzückte Gesichter gesehen wie bei diesem Versuch mit der Geiß. Es war nur natürlich, daß sie hoch sprang und sich widersetzte, denn ich hielt sie am Strick und der Freiheitsdrang ist jedem Geschöpf eingeboren. Und wie sollte ich das Kitz anders halten als zwischen beiden Beinen? Diese Lage erinnerte mich innerlich an meine vergeblichen Versuche, Leser festzuhalten, aber was ging es die Leute an? Sie sahen wie jedes Publikum nur das Nebensächliche, sie waren nicht auf den Ernst der Zeit gestimmt, hatten keine Ziegenkenntnisse – sonst (hops, sie sprang schon wieder hoch!) hätten sie dieses ehrwürdiges Tier, das schon Karl der Große der Schinken wegen schätzte, mit anderen Augen angesehen, hätten an die 7000 Millionen Fettkügelchen gedacht, die sich in einem Tropfen Geißmilch zusammendrängen, und hätten den Kuhmilchtropfen verachtet, der es nur auf die Hälfte bringt. Wissen muß man, wissen! Vorstudien! Und wenn die Ziegenmilch stinkt, so ist immer der Ziegenhalter schuld, nie die Geiß. (Hops!) Ich beschloß dem Publikum zu trotzen, was ein Mann, der nur die eigne Spur geht, die eigne Welt baut, immer tun muß, ließ des Bürgermeisters Lächeln auf mir ruhen – hatte man nicht einst den Grafen Zeppelin belächelt? – und sah mich nach einem Fiaker um.

Ich nahm darin Platz samt Geiß und Kitz. Platz? Nun ja. Es war keine so schöne Fahrt wie sie Lohengrin mit dem Schwan machte, und als wir ausstiegen – wieder unter dem Halloh der Nachbarn – sah ich, wie der Kutscher das Innere seines Gefährts bemängelte, was bei Nachschau in unserm Innern ja öfter vorkommt – allein, ich hatte die Ziege im Haus.

Aglaja hatte ich für drei Tage auf eine Milchreise geschickt. Ich kannte das malitiöse Lächeln, mit dem sie jede neue Biegung meiner vielfach gebrochenen Entwicklungslinie stumm zu begleiten pflegte. Und das war mir zuwider. Die Ziege kam in den leeren Hühnerstall, die Gartentür wurde einladend geöffnet und die Sache mit dem Melken konnte bald vor sich gehen. Darauf kam es mir an. Sie sollte nur drei Tage lang umsonst die Bauern abklappern – mit dem ersten Ziegenmelken war ich Sieger! Was für Augen wird sie machen, hehe, wenn sie zurückkommt und meine vollen Töpfe sieht. Ich baute Häuser auf den Eiweiß-Umsatz meiner Ziege, ihre Zellendrüsen waren mir ein Heiligtum. Ich bewunderte sie überhaupt. Sie hatte vier Mägen, den Pansen, die Haube, den Psalter (dieser gefiel mir am besten) und den Labmagen, und konnte von allen vier in dieser mageren Zeit Gebrauch machen. Ich konnte das oft nicht einmal mit einem! Milch, Junge, Schinken, Käse, Butter, Hörner, Klauen – ein Füllhorn schüttete dies gute Wesen über mich aus: Gäa, Demeter und Isis, der Erde nährende Urmächte waren in der Ziege vereint.

Meine Kinder tauften die Ziege Hedi (so heißen sie alle) – ich aber rief ihnen zu: Nichts Nebensächliches! Daß ihr mir vielmehr sofort die wilde Melde ausreißt! Ziegen haben eigene Nerven, und die wilde Melde erregt bei ihnen ungefähr das, was bei meinem letzten Lustspiel der Fall war – o, sparet mir das Wort – also, daß ihr mir die wilde Melde …! Ich indessen besorgte Karlsbader Salz, Wermuttee und Tausendgüldenkraut, ich machte mich daran, Hedi zu putzen, zu bürsten, zu striegeln, ich pflegte sie, ich duldete keine Halbheit, ich konzentrierte mich.

Pflegst du dein Tier
Bringt's Segen dir;
Vernachlässigst du dein Vieh
Erzielst du Nutzen nie!

Mit diesen Jamben schloß die Ziegenschule von heute, und sie wurden mein Gesetz. Denn die Ziege ist eine neurasthenische Schöpferin: empfänglicher für die Eindrücke der Umwelt als die duldende Kuh, leidet sie unter ihren Nerven, die aber andrerseits ihre Einsichten und Stimmungen steigern, und die Milchspende beeinflussen. Ein kleiner Zwischenfall und sie verliert die Stimmung, sie kann die Räude bekommen, die Lähme, die Milchfistel, auch Flöhe, und das gefährlichste von allem: das Selbstausmelken. Das fürchtete ich am meisten. Das Selbstausmelken. Wer kennt sich denn im Nervenrätsel einer fremden Persönlichkeit aus? Ich verstehe nicht einmal mein eignes. Ich kann einer Ziege keine Fleißaufgabe diktieren wie ein Professor, kann sie nicht nach dem Taylorsystem behandeln, nicht, wahr? Vielleicht hat sie Hemmungen, Zwiespälte, Hysterien, Entzweiungen, Selbstantipathien, Selbstvernichtungsdränge – kurz, wenn sie also ihrer Tragik unterliegend und, einem ausgeschriebenen Dichter gleichend, sich selbst ausmelkt – Gott, mein Gott! – was würde Aglaja sagen! Das bedrückte mich mehr, als die 150 Kronen, die ich Herrn Dworschak für Fräulein Hedi bezahlt hatte und die im Fall des Selbstausmelkens gänzlich nutzlos – – o Gott …!

Aber die Praxis gibt immer andere Wirklichkeitsbilder. Was Melde, was Karlsbadersalz und Tausendgüldenkraut! Hedi schien eine Allesfresserin zu sein. Sie patrouillierte ganz nach persönlichem Geschmack. Sie stellte sich auf, wurde groß wie ein Mann, fraß die Apfelbaumblätter, dann schien ihr die Rinde zu schmecken, und als Nachtisch fraß sie unsere Rosen, Hyazinthen und Vergißmeinnicht auf. Sie machte tabula rasa und ehe noch die wilde Melde ausgejätet war, war der Garten schon heuschreckenkahl. Ich zitterte vor Aglaja … o Gott!

Doch ich sagte mir: Ziegenmilch, Ziegenkäse, Ziegenbutter! Ich biß die Zähne zusammen (was alle Eroberer tun müssen, alle Energiker) – »vorwärts!«, und blieb auf meiner Linie.

Drei Tage hatte ich gewartet (der Ziegennerven wegen) – nun begann ich's. Ich näherte mich dem Stall. Die Kinder kamen heraus und ihre Mienen ließen auf eine Störung schließen. »Das Kitz schreit und ist mager!« So? Warum schreit das Kitz? Welchen Grund hat es, mager zu sein? Ich drang ein. Die Geiß stieß das Kitz von sich. Hm. Wirklich, sie stieß es weg. Gott, die Natur! Ich sagte es ja immer! Alles Seelische ist im Tierreich vorgebildet! Nur graduelle Unterschiede. Soll ich euch Richard Wagners Bild vors geistige Auge rücken? Hatten nicht auch ihn die besten Freunde unterstützt und gut gepflegt, worauf er sie hinauswarf, wenn sie ihn störten? Dafür gab er uns aber seiner Werke elffache Herrlichkeit! So ist die Geiß. Sie ist erregt. Gut. Ist nicht alles gereizt in dieser Zeit? Ist es nicht, als ob ein kosmischer Irrsinnkeim alle Geister – – – ach, laßt mich nur machen!

Das Melken!

Ich ging nach der Ziegenschule vor. Seite 27: »Falls das Tier sich unruhig verhält, spreche man ihm freundlich zu und bedeckte die Rückenpartie mit einem naßkalten Tuche.« Ich ließ mir die Gießkanne reichen und bedeckte Hedis Rückenpartie mit meinem naßkalten Taschentuche, wobei ich »Rückenpartie« nicht wörtlich nahm … Dann sang ich nach der Weise des Schwanenlieds im Lohengrin:

Pflegst du dein Tier
Bringt's Segen dir;
Vernachlässigst du dein Vieh
Erzielst du Nutzen nie!

Ich sprach ihr also freundlich zu. Allein, die Ziege mußte mich falsch verstanden haben. Ich erhielt plötzlich einen Stoß in die Magengrube, daß ich parabolisch beim Stall hinausflog und das Gefühl hatte, als ob mir der Bauch beim Hals hinausrutschen wollte …

*

Als ich erwachte, sah ich Aglaja mit einer Milchkanne vor meinem Bett stehen und hörte, wie der Sanitätsrat einen längeren Vortrag eben schloß: »Ja, liebe gnädige Frau, das läßt sich ein Ziegenbock eben nicht gefallen, daß man ihn melken will …!«

Da drehte ich mich an die Wand.

Ein Bock …!?!

So viele Leute werden heute gemolken, ich bin selbst darunter, und wenn ich einmal nach einem Euter langen will, ist es ein Bock …! O, Gott …! Und Aglaja sammelte glühende Kohlen auf mein Haupt. Die Milch, die sie mir einflößte, stammte von einer Ziege, die auch Hedi hieß. Sie hatte sie von ihrer Reise mitgebracht. Keiner hatte über Aglaja gelacht, diese Hedi besaß ein Euter – und was für eins! – und Aglaja triumphierte. Ja, ja. Das ist das Schmerzlichste an unsern Erfolgen, daß immer die andern sie haben …


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