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Eines Tages wurde die Stimme meiner Gattin süß, und sie eröffnete mir in Vierteltönen, daß ihr Vetter Dieterich zu Besuch komme, Dieterich Köhler aus Berlin. Sie hatte ihn schon eine Ewigkeit nicht gesehen, und es war ein etwas korpulenter, riesig jovialer Herr, – »ein so ein unterhaltlicher Mensch« – der sich vom Berliner Rummel hier in unserm stillen Winkel erholen wollte.
Ich kannte den Onkel Dieterich nicht, freute mich aber, den dicken Herrn aus Berlin zu sehen, der Sinn für Rotspohn und heimliche Backenkniffe zu haben schien. Mein Gott, es war hier so schläfrig. Besuche meiner Verwandten hatten allerdings nie ähnlich zarte Vierteltöne bei meiner Gattin hervorgerufen – darum kamen sie auch nicht. Onkel Dieterich mußte aber auch eine ganz andere Persönlichkeit sein. Eine gebietende, eindrucksvolle, nach den Veränderungen zu schließen, die in nächster Zeit eintraten. Eine Strudelköchin, Lenerl, wurde aufgenommen, bald kniete ein fremdes Weib am Fußboden und rieb daran herum, bald stand wieder eine auf einer Leiter, kurz, die Wohnung wurde gewichst wie ein Kanonenrohr vor der Visitierung. Es herrschte ein ängstlich umherschießender Eifer. Zuletzt wurde ich ausquartiert und in das Hofkabinett gewiesen, worin ein einsamer Koffer geduldig auf bessere Reisezeiten wartete.
Die Aufgabe, Onkel Dieterich von der Bahn zu holen, fiel natürlich mir zu. Die Pfeile des Schicksals treffen uns immer; die Liebesgaben gehen daneben … Ich war in Brüten versunken, als ich die fremde Bedienerin sah, und dachte stoffwitternd über diese alte Frau nach, deren Leben aus einer langen Reihe geputzter Wohnungen bestand, als eine Depesche ins Haus fiel: Ankomme Schnellzug vier Uhr, Dieterich. – Nun muß man wissen, daß vier Uhr in diesem Fall nicht Nachmittag bedeutete …
Allerdings pflegte der Vieruhrzug von seinem Titel keinen Gebrauch mehr zu machen und lief nie vor sieben, acht ein. Wenn ich also schon um fünf auf dem Bahnhof stand, hatte ich ein übriges getan.
Ich stand um fünf auf dem Bahnhof. Allein, es zeigte sich nirgends ein jovialer dicker Herr, es zeigte sich überhaupt kein Zug, und es war schon acht. Schüchtern fragte ich, wann heute der Schnellzug wohl –
»– is' doch schon längst abgefahren …!«
Ich jagte nach Haus. Die Stimmen des Gewissens folterten mich. Einmal im Leben war ich unpünktlich, das erstemal, und diesen Augenblick benützte der tückische Zug, um pünktlich zu sein. Unser Mißgeschick, ach ja, ist meistens das unvermutete Geschick der andern …
Als ich ankam, fand ich einen steifen Hut am Nagel und einen fremden Herrn am Kaffeetisch. Die Kinder saßen mit gesenkten Stirnen, meine Frau machte mir Zeichen mit dem Kinn. Der Herr trug einen scharf intelligenten goldnen Zwicker, auf seinem Gesicht lag düstere Festigkeit, auf der Stirn die Wolke unbeirrbaren Ernstes, sein Mund war messerig. Ein grauer Schifferbart deutete die augenblicklich nicht sichtbare Jovialität an. Er stieß sich feierlich in die Höhe und erinnerte mich jetzt an das Eisengesicht des Bandenführers Colleoni in Venedig. Ja, Colleoni mit einem Zwicker!
»Die'rich Köhler!«
Er durchbohrte mich mit einem Pistolenblick.
»Ach, viel'eicht Onkel Dieterich – –?«
»Die'rich Köhler!«
Die Silben fuhren ihm alle auf einmal aus dem Mund. Ich versuchte es nachzumachen, aber es ging nicht: Die'rich …
Ich lächelte ihn an. Auf die Kinnstöße meiner Gattin begann ich mich zu entschuldigen; er schien mir überhaupt ein Herr, vor dem man sich immer entschuldigen mußte. »Ich bin nämlich – – ich habe –«
Aber Onkel Die'rich schnitt meine Rede ab: Kennen wa', Ihr Österreicher!« Dieses Wort – Österreicher – schien einen tadelnden Nebensinn zu haben, aber ich schluckte es lächelnd. Übrigens, wie kam ich dazu? Wenn hier von »schlampig« gesprochen werden konnte, dann war er es mit seiner unangesagten Pünktlichkeit. Allerdings, er hatte nicht »schlampig« gesagt; aber das Wort »Österreicher« schien in seinem Kopf eine chemische Verbindung mit diesem andern einzugehen, wie in meinem die Worte Gymnasium, Theater und Durchfall …
»Angenehme Fahrt gehabt, Onkel Dieterich?« fragte ich händereibend.
Er räusperte sich eisern. »Den janzen Tach nichts wie Sonnenschein! Blauer Himmel, überall jrüne Wiese. N komisches Land habt ihr. Immer gemütlich. Von Kriech nischt zu sehen!«
Ja, die Sonne schien auch in diesem Augenblick unverschämt hell in das Zimmer. Wie fatal. Was hätte ich nicht für ein bißchen Sonnenfinsternis gegeben! Ich schämte mich für mein Land, das in diesen trüben Zeiten kein Stilgefühl, keine Neigung zu Regenwetter hatte, und setzte mich kummervoll zum Kaffee.
Die Kinder saßen geduckt wie Jagdhunde, die zu ihrem Herrn aufschielen. Sie schwiegen. Sie rutschten mit einemmal zur Tür hinaus: – die Schule …
Ich wollte nachrutschen – in meine Kaserne, wo ich dringend – – aber meine Frau hielt mich am Ärmel zurück. Ich sollte Onkel Dieterich doch mitnehmen, ihm bei dieser Gelegenheit die Gegend zeigen. Nicht? Sie kniff mich. Ich zeigte mich entzückt, und wir stiegen alsbald auf die Trambahn. Auf dieser Trambahn sind die ältesten Schaffnerinnen untergebracht (weil – sie doch irgendwo untergebracht werden müssen, und es gibt nur die eine Trambahn), und wir fuhren los.
Nun zeigte sich aber Onkel Dieterichs joviale Natur, von der meine Frau gesprochen hatte. Er rückte den Hut schief und zwinkerte die Schaffnerin an: »Für de' Natur haben wa' was, mein anmut'ges Kind …« Er versuchte ihre Backe zu kneifen. Aber die Matrone, die sich nicht erinnern konnte, daß sie je einen Naturschwärmer begeistert hatte, sah ihn wie ein Fisch an: »Wos sogen S'?«
Unter solchen Verbrüderungsversuchen kamen wir an die Ausweichestelle, wo die Bahn plötzlich abmagert und auf ein Geleise übergeht, sobald der Gegenwagen kommt. Aber er kommt nie. Unser Wagen blieb stehen wie jeden Tag. Ich glaube, er ist dort ein Schläfchen gewohnt wie Brünnhilde. Wir warteten also. Man wartet dort immer, das Leben hört auf, man kann einen Roman auslesen oder einen mit der Schaffnerin anfangen. Das schien aber nicht nach Onkel Dieterichs Sinn zu sein. Denn plötzlich ging er los. Er schlug Krach: »Wat j'oben Se denn, Sie Großmama nut'm Tuthorn? Sie bewejen sich ja durch Stehenbleiben vorwärts! Wenn Se in Berlin so bummeln, denn sollen Se mal sehen!« »No, See werdens versama!« Die Frau mit dem Fischblick wollte aufbrausen. »Wat, Sie olle Motor-Tante, Se wollen noch Krach schlagen? Müssen Se 'n Tach früher aufstehen!«
Er wurde empört, er krakehlte. Er schien aus einem Raketensatz zu bestehen, der nur so loskrachte.
Ich wurde rot. Ich blickte halb entschuldigend, halb ängstlich um mich. Die Fahrgäste jedoch schwiegen. Sie waren eingeschüchtert oder vorsichtig, erfreut oder neutral und wagten kein Wort.
»Die Leute sind mir piepe!«
Onkel Dieterich kümmerte sich nicht ums Publikum, er hagelte die Schaffnerin nieder. Da geschah etwas Sonderbares: der Wagen bekam's mit der Angst, und plötzlich sauste er los. Er schoß dahin wie ein Schiff beim Stapellauf, es sprühte Funken. Was war das …? Ich möchte gleich vorausschicken, Onkel Dieterich hat während seines Besuchs nur noch einmal Krach auf der Trambahn geschlagen, und zwar gleich nachher auf dem Gegenwagen, der nie kommen wollte. Und diese Tat verbreitete sich in Trambahnkreisen wie die Stöße eines Erdbebens. Auf einmal ging es wie am Schnürchen. Wagen und Gegenwagen flitzten nur so aneinander vorüber wie Blitzzüge. Die ältesten Leute hatten das nicht gesehen. Die geängstigten Motorwagen verbreiteten Temperament in der Stadt. Es brauste ein Verkehr … Doch ich will nicht vorgreifen …
Wir kamen auf den Übungsplatz. Unter einem wunderschönen Lindenbaum am Flußufer sollte Onkel Dieterich warten. Aber er hatte jetzt für Natur nicht viel übrig. Auf einmal lehnte er am Geländer und machte die Verrenkungen meiner Leute mit wie ein Zuschauer beim Kegelspiel. Das Kommando faßte ihn. Er rannte Laufschritt. Er warf sich auf den Bauch, er gab Feuer mit seinem Stock, zum Schluß stürmte er mit Hurra … Wie ein kartesianischer Teufel tauchte er auf und ab: »Hurra … Hurra …!«
Auf der Rückfahrt war er ganz aufgekratzt. Nachdem er (den oben erwähnten) Krach geschlagen hatte, hieb er mir auf die Schulter: »Wat sagst De, oller Döskopp – ich mit meine Fufzich auf dem Puckel …!« Dann begann er zu singen. »Ja, für Musik – da haben wa was! Wo wa hinkomm', da singen wa!« Mit scheuer Bewunderung hörten ihm die Fahrgäste zu. Sie lächelten respektvoll, als er seine Koloraturen schmetterte.
Ich führte ihn rasch in den Schatten einer Frühstücksstube. In der Ecke hinter der Glaswand pflegte meine Stammgesellschaft zu siedeln. Der Kellner kam mit schaukelnder Eleganz herangerutscht.
»Wat for'n drolliger Bruder!«
»Pst, Onkel, pst. – Sie, Pepi, – bitt' Sie, was – –«
»Peepi heißt der Bouillonfritze! Peepi!« Es stieß ihn von unten. Immer sah er Pepi an und immer lachte er wieder.
Es war fleischfreier Freitag. Nur Beuschel, Kriegswurst, Kuttelfleck vorhanden.
»Aber, Herr Oberleutnant,« flüsterte Pepi hilfreich und sah sich rasch um, »Sie werden do' ka Beuschel essen! I verschaff Ihnen a Schnitzerl …!«
Ich wäre mit Kriegswurst ganz zufrieden gewesen, aber den Kellner drängte es, mir etwas zu »verschaffen«. Pepis Liebenswürdigkeit ertrug es nicht, daß seine Stammgäste unter dem Gesetz litten. »Also a Protektionsschnitzerl!«
Aber Onkel Dieterich fuhr auf. »Sie Kantinenfritze, wollen Se woll ufm jesetzlichen Boden bleiben? Sonst führ ich Sie ufs Revier! Det nennen Se Durchhalten? Mit'm Schnitzel? In Berlin –«
O Gott, er schlug schon wieder Krach. Am liebsten wäre ich unter den Tisch gekrochen.
»Keen Zuch in der Gesellschaft! Lodderige Bande!«
Diese Koseworte warf er Pepi und dem ganzen Lokal an den Kopf. Nein, er war kein Japaner, der den Leuten nur Süßigkeiten sagte. Onkel Dieterich hatte den Drang des »Meinungsagens«. Erschrockenes Schweigen verbreitete sich, Jagdhundblicke schielten Onkel Dietrichs Gebieterkopf an. Die Gäste schwankten zwischen Rechtgeben und Hinauswerfen. Er aber setzte ihnen die Speisekartenzucht Berlins auseinander, die glaubensfrohe Strenge im Land Batockis, das schnitzellos-freudige Dasein!
In diesem Augenblick erschien der rasch verschwundene Pepi wieder und schwenkte in elegantem Wurf zwei Teller auf den Tisch. Es duftete butterig. »Zweimal Beuschel« rief er laut, und seine Menschenkenntnis siegte ebenso wie seine Routine. Denn Onkel Dieterich, dem das Morgenexerzieren Appetit gemacht hatte, verschlang das »Beuschel« mit Genuß und wunderte sich nicht einmal, daß es wie ein Schnitzel aussah …
Pepi hatte das Colleoni-Gesicht und die Abwehr des Onkels für einen Trick gehalten.
Mit einiger Befriedigung verließ Dieterich das Lokal, das ihn mit Österreich heimlich ausgesöhnt zu haben schien. Vor einer k. k. Tabaktrafik machte er Halt. »Keine Rauchwaren« stand auf einer Papptafel, und eine Kolonne von Leuten wartete, in der Mitte der ragende Silberhelm des Wachmanns, der feste gesetzliche Punkt. Aber diese Hindernisse schreckten Onkel Dieterich nicht. Sie reizten ihn. Er hatte etwas von einer Virginier gehört. Er wollte plötzlich einen Glimmstengel haben. »Ich bin Berliner, verstehn Se woll?!« – mit diesem Ruf drang Colleoni durch die dichtgekeilte Menge. Der Wachmann verschwand, als er das Wort »Berliner« hörte, die Leute machten Spalier. Onkel Dieterich stand im Laden.
»Sie Nikotin-Juste, mir machen Se nischt vor! Se haben die Glimmstengel woll for Ihr geehrtes Verhältnis uffjehoben! Forn Herrn Wachmeister! Raus damit! Ich komme aus Berlin – –!«
Schon kramte die schlotternde Zigarrendame einen Bund Virginier hervor und legte ihn zitternd auf den Ladentisch. Triumphierend stolzierte Onkel Dieterich hinaus, gefolgt von den bewundernden Blicken der Menge, die sich nun daran machte, das Lokal zu stürmen, in das der Berliner Bresche gebrochen wie der Arnold von Winfried. »Hoch der Berliner!« Jubelnd kamen sie heraus und pafften vor Begeisterung.
Zu Hause herrschte nun freilich nicht eine ähnliche dionysische Stimmung. In den folgenden Tagen hörte ich öfter Onkel Dieterichs Stimme: »Na, hör mal, wie ihr da lebt! Hühner? Das nennt 'r Durchhalten? Speck? Butter? Eier?«
Die Einwände meiner Gattin, die auf den mit ihr heimlich verbundenen Sommerfrischenbauer, auf meine Hühnerzuchtversuche hinwies, hörte er nicht. Er war ein radikaler Wahrheitssucher, ein Willensmensch und donnerte mit Johann Gottlieb Fichtes Gebärde gegen Weichlichkeit und Schlappheit in unsrer Lebensmittelpolitik.
»Loddrige Bande!«
Ich muß gestehen, ich hatte gegen meiner Gattin Stimme bisher noch nie gesiegt und gönnte ihr ein wenig diesen Fichte und Petrucchio. Dabei aber wurde Johann Gottlieb Fichte allmählich üppiger und nahm Formen an, die immer deutlicher an die Tage seiner einstigen Jovialität erinnerten. Wenn er so den Bauch vortrieb, konnte ich den Gedanken nicht unterdrücken, daß Onkel Dietrich vielleicht zu einem Erholungstripp nach Österreich gekommen sei; doch verjagte ich diesen Verdacht als ungehörig, sowie er mir ins Auge sah: Fichte …
Schließlich saß ich mit ihm allein am Tisch. Eine gespannte Luft herrschte im Haus. Von meinen teuern Verwandten will ich gar nicht reden. Der temperamentlose Hugo schwankte zwischen einer »energischen Aussprache« und seiner Würde, und die Schwiegermutter verlor den Glauben an ihre Unsterblichkeit: jedenfalls ließ sich keiner von ihnen blicken. Die Kinder rutschten immer rascher zur Tür hinaus und hielten sich meistens in der Schule auf. Die Strudelköchin Lenerl kündigte und wollte ihre vierzehn Tage machen. Und meine Gattin schien der Ansicht zu sein, daß sich der Charakter der Menschen alle zehn Jahre ändern müsse. So lang hatte sie Onkel Dietrich nicht gesehen. »Und für diesen Räuberhauptmann habe ich die ganze Wohnung – –« Sie brach zusammen.
Ich hatte meine stille Genugtuung daran, zog es jedoch vor, im Hofkabinett zu leben. Ich wohnte im Koffer. Wenn ich Dietrichs Schritte hörte, ließ ich den Deckel herab und wartete ab. Er hatte mich »'nen schlappen Bruder« geheißen, er tadelte, daß ich um sechs aufstehe – »Sommerzeit!« – er verlangte, daß ich auf dem Wirtschaftsbalkon Kartoffeln anbaue – – deshalb zog ich in den Koffer.
Eines Tages lockte mich Geheul heraus. Meine Gattin stand in der Küche und hielt Hände vors Gesicht. »Ja, sie heult, lieber Onkel, weil – weil –«, ach, ich fand den Mut nicht – »weil sie dir aus Liebe einen Strudel machen wollte, und sie hat kein Mehl mehr …« So log ich, schlapp wie ich war. Ich konnte nicht Krach schlagen.
»Wat? Keen Mehl?« 'N komisches Land. Fließt über von Milch un' Honig und Agrariern wie Alt-Kanaan, und keen Mehl?!«
Er verschwand. Am nächsten Tag brachten zwei Männer einen schweren Sack an einer Stange wie die beiden Kanaaniter einst die große Traube. Und dem ersten folgte ein zweiter Sack, und Mehl und Kartoffeln ergossen sich wie ein Strom in unser Quartier. Die Gesichter erhellten sich, ich kroch aus dem Koffer.
Außerdem bekam ich ein Entschuldigungsschreiben des Bürgermeisters, worin er versicherte, daß ich nunmehr auf meine Karten alles nur Gewünschte erhalten werde, unter seiner persönlichen Haftung.
Wie das?
Ich erkannte meinen Bürgermeister nicht wieder.
Aber er hatte auch einiges durchgemacht. Onkel Dietrich war bei ihm gewesen. Wie die Faust auf den Tisch hatte das gewirkt.
»Wat? Sie sind Bürgermeister und noch nich' eingesperrt?!«
Krach. Die Mehlkommission stob auseinander, die Erdäpfelräte liefen wie Jagdhunde, alles stürzte, stürmte, suchte, fand und – lieferte! Mehl! Kartoffel! Eier! Lachs!
Sie telegraphierten an den Minister: »Ein Berliner da!« Der Minister drahtete nach Ungarn, die Ungarn nach Sofia, und die Eisenbahnen flogen. Wir strotzten, wir schwelgten.
Die Umrisse des Bürgermeisters hatten schwankende Linien bekommen, er schlotterte, drohte aus den Gelenken zu fallen, wenn er den Namen Dieterich hörte. Denn Onkel Dieterichs Mundwerk war zu einer Häckselmaschine geworden: er hackte die Charaktere klein, jeder konnte sich die Stückchen zusammensuchen, er schonte niemand. Aufregung, Krampf schüttelte die Stadt. Jeden bangte vor der Häckselmaschine, keiner wollte zur »lodderigen Bande«, zur »Jesellschaft ohne Zuch« gehören, und die Verkäufer in den Läden verschwanden wie die Ratten in ihre Löcher, wenn Onkel Die'rich vorbeiging. Alles flüchtete vor dem Mann mit dem Krach.
Aber die Stadt gedieh. Und mit ihr der Onkel. Er nahm eine österreichische Mehlspeisrundung an, und in dem Maß, in dem die Rundung sich vollzog, gewann er auch eine neue seelische Einstellung zu unserm Land.
Er wäre gern geblieben. Doch es kam der Tag, wo er abreisen mußte. Ich fuhr mit ihm zum Bahnhof.
»Die Brüder werden an mich denken, nich?« lächelte er aus dem Wagenfenster. »Man muß nur Zuch in die Bande bringen!«
Nachdenklich ging ich zurück. An der Ecke der Katharinenstraße schaute das besorgte Gesicht des Bürgermeisters hervor: »Ist er schon fort …?« Onkel Dieterich hatte diesem braven van Bett einen Abschiedsbesuch gemacht, der Bürgermeister hatte lebhaft bedauert, dennoch wollte er sich vergewissern – –
Auch Pepi, der Speisenträger, fragte hinter der Glaswand hervor, als ich eintrat: »Is er scho' fort …?«
Viele fragten, alle schienen irgendwie erleichtert, von einem Seelendruck befreit.
Das Städtchen nahm wieder sein gewohntes Aussehen, sein früheres Tempo, sein pflanzenhaftes Dasein an. Der Sauerstoff in seinem Leib verzog sich, die Wagen bewegten sich wieder durch Stehenbleiben vorwärts, die Zigarren wurden für das »Verhältnis« reserviert, die Männer mit dem Sack erschienen nicht mehr.
Unsre Leiber schrumpften ein, aber unsre Herzen jauchzten. Er war fort …!