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Einem Kind, dem also von der ersten Frage an bis zum Verlassen des Elternhauses verkündet wird, daß es unwirkliche und wirkliche Kräfte besitzt, daß sein Wesen das Wesen aller Dinge ist, daß es festlich an der Seite der Eltern das Fest der Tätigkeit, das Fest des Wachsens zu allen Dingen hin erleben wird, dem man sagt, auch wenn Vater und Mutter sterben, sind sie in aller Gestalt immer da, sie sind nicht zu einem fremden Mann gegangen, nicht in ein fremdes unfaßbares Reich eingegangen, wo es schöner ist, und haben nicht ihr Kind in einer häßlicheren Welt zurückgelassen, sie sind immer dagewesen und werden immer dasein in des Kindes eigener Schöpferkraft und in der Kraft seiner Lebensgespielen um ihn – für dieses Kind, dem das Leben als ein ewiges weises Fest erklärt wurde, gibt es keinen Tod, für dieses Kind gibt es keine Zeit und kein Alter; für dieses Kind gibt es keine Häßlichkeit ohne Schönheit.
Für dieses Kind gibt es keinen Schmerz ohne Freude. Im Gleichgewicht seiner wirklichen und unwirklichen Welten und im Bewußtsein seiner unerschöpflichen Schöpferkraft und in der Erkenntnis seines ewigen Daseins, im Wissen, daß es vor tausend Jahren war, schöpferisch wie heute, festlich wie heute, und daß es in Tausenden von Jahren immer noch sein wird, festlich wie heute, wird es, wenn es dies alles täglich gehört hat, geduldig, demütig und lächelnd, stolz, frisch und fröhlich, mutig und todesverachtend und weltallfestlich aufs Leben und auf die Liebe sehen.
Die Naturunschuld, die Naturweisheit und die Naturlust werden in ihm bis an sein Lebensende ungebrochen bleiben und werden seine Menschengestalt festlich auf Erden führen und aus ihm festlich wirken.
Welch ein unerschöpflicher, unentdeckter und noch unangetasteter Reichtum dem Menschenleben dargeboten wird, wenn es sich nicht mehr von einem sogenannten höheren Wesen unterjocht fühlen wird und von keiner Erbsünde belastet, wenn es seine Kraft frei auf sein Ich, auf das Wohl der mit ihm Lebenden richtet – das zu ermessen, bleibt jedem Herzen gegeben, das sich aufmacht und sich als Schöpfer und Geschöpf fühlen will und das Leben als eine Festlichkeit ansehen will, – eine Feier von wirklicher und unwirklicher Welt, eine Feier der Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit, ein unerschöpfliches Fest, bei dem jeder zugleich Festgeber und Gast ist, jeder in anderer Gestalt, jeder mit andern Tätigkeiten und Genußfähigkeiten, jeder in anderen Würden und anderen Wirkungskreisen, jeder den anderen feiernd und ihn als Kraft von seiner Kraft anerkennend, Menschen, Tier, Pflanzen und alle Dinge.
Der Schauspieler, der bei der Festvorstellung des Lebens den König spielt, und der andere Schauspieler, der bei derselben Festvorstellung den Bettler machen muß, und der, der den Gesunden, und der, der den Kranken darstellen muß, und der, der den Witzigen, und der, der den Dummen spielen soll – die sollen verstehen, daß hinter jeder Rolle ihre Schöpferkraft steht, die sich in der nächsten Festvorstellung sofort in eine andere Gestalt verwandeln kann. Sie werden verstehen, daß sie nur als augenblickliches Geschöpf die Rolle im Feste spielen. Und daß sie dem Fest gerecht werden sollen und keine Spiel- und Festverderber werden sollen, das fordern alle Leben auf Erden von ihnen. Das fordert, wenn sie sich ehrlich fragen, ihr eigener Schöpfertrieb. Und nichts anderes haben sie auf der Erde zu erfüllen, als festlich tätig zu sein, um festlich feiern zu können.
Wo und wie soll ich anfangen, so festlich zu werden? – Wenn mich das ein Erwachsener fragen würde, einer, dem man nicht als Kind vom Lebensfest erzählt hätte, so würde ich ihm sagen: «Du brauchst nicht erst anzufangen, anders zu werden. Du bist es schon, was du sein willst. Du bist in diesem Festglauben geboren. Sage mir nicht, daß du es nicht fühltest, daß du festlich geboren bist, festlich auch in den tiefsten Sorgen, festlich auch bei dem größten körperlichen Leid.
Du bist nie anders gewesen als festlich, du konntest auch nie anders sein. Was dir aber gefehlt hat, das war das Bewußtsein deiner Festlichkeit und deiner Schöpferallmacht. Mache dir deine Weltallkraft bewußt, macht es euch alle bewußt, daß Geburt, Liebe und Tod zusammen eure wirkliche festliche und eure unwirkliche festliche Welt bedeuten, daß ihr ewig und unerschöpflich die unsterbliche Schöpferkraft selbst seid.
Macht dieses euch bewußt, sagt es einer dem andern; macht es den Kindern bewußt, ruft es den Leidenden und den Kranken in die Erinnerung; sagt es euch selbst, wenn ihr die Liebsten um euch sterben seht, wenn ihr selber leidet und sterben wollt; sagt es in eurer Todesstunde euch und denen, die ihr beim Sterben verlassen müßt.
Sagt dieses auch den Hochmütigen, den Tyrannischen, den sich übermächtig Aufmachenden; sagt es den Gedemütigten, den Erniedrigten, den Lebensmüden: Alles gehört ihnen im Weltall und nichts. Alles sollen sie als Gast genießen und alles als Gastgeber hergeben beim unerschöpflichen Fest ihrer Schöpferkraft.
Wenn ihr euch umseht in der Welt, – in jeder Handlung, in jeder Lebensgestalt fühlt ihr überall Schöpferkraft, nicht bloß in den Menschen. Alle Gestalten sind gestaltgewordene Schöpferkraft. Ihr müßt die Tiere nicht dumm nennen, die Steine nicht gefühllos nennen, die Bäume und Pflanzen nicht als unverständige Wesen ansehen.
Ja, selbst die Dinge, die ihr aus eurer Schöpferkraft, aus eurem Geist, aus den Gestalten der Erde zusammenfügt, den Tisch und den Stuhl, den ihr euch gezimmert habt, das Bett und den Schrank, eure Werkzeuge und eure Maschinen, – vom Augenblick, wo ihr sie schuft und sie benennt, sind es Wesen von eurem Geist geworden, lebende Gebilde eurer ewigen Schöpferkraft.
Denn auch die toten Dinge haben durch euch äußeres Leben und innerstes Leben erhalten. Ihre Gestalt wird wie eure Gestalt abgenützt und abgelegt, aber ihre Schöpferkraft geht nicht verloren, und diese Dinge werden sich aus euch wiedergestalten.
Denn auch die toten Dinge sind zum Feste gekommen, auch sie leben festlich. Auch sie werden krank, auch sie werden müde, denn auch sie arbeiten für euch, indem sie euch nützen, auch sie werden alt wie ihr, auch sie haben ihre bestimmten Festgesetze, die aber natürlich grundverschieden von denen der Menschengestalt sind.
Wenn ihr euch tief zu eurer inneren Welt zurückzieht oder euch zu ihr erhebt, so könnt ihr das Lebensgesetz, die Schöpfungsidee, den Schöpfungsgenuß, die jeder Gestalt zugrunde liegen, verstehen, denn ihr wißt im Grunde alles.
Ihr dürft aber die Dinge um euch nicht mit euren Menschengesetzen messen. Ihr sollt nicht sagen: «Schrank, sprich Menschenworte, wenn du lebst, wie ich. Dann will ich dir dein Leben glauben.»
Ihr könnt nicht sagen: «Tisch, bewege dich mit deinen Beinen vorwärts wie ein Tier. Dann werde ich dir glauben, daß du lebst.»
Ihr sollt nicht sagen: «Stuhl, verneige dich vor mir. Dann will ich dir glauben, daß du lebst.»
So sollt ihr auch nicht zum Stein sprechen: «Friß Fleisch und weine Tränen.» Und da er das nicht kann, verachtet ihr ihn und nennt ihn leblos.
So könnt ihr nicht zum Baume sagen: «Trage beliebige Früchte, wenn ich es befehle, damit ich erfahre, ob du meine Menschenstimme hörst und dich mir verständlich machen willst.» Oder: «Baum, fliege fort wie ein Vogel und komme aus dem Tal auf den Berg.»
Ihr werdet nicht zum Pferde sagen können: «Wenn du menschenähnlich bist, dann gehe aufrecht wie wir Menschen auf zwei Füßen dein Leben lang.»
Und zum Vogel dürft ihr nicht sagen: «Du kannst nicht so klug und so festlich sein wie wir, weil du nicht in Häusern mit vielen Zimmern wohnst, weil du keine Menschengenüsse kennst, keine Menschenbücher, keine Menschenbilder, keine Menschenmusik verstehst.»
Darauf muß euch euer Weltallverstand antworten, der ebenso im Vogel, zu dem ihr sprecht, wie in euch regiert: «Wenn du fliegen könntest, Mensch, von Ast zu Ast, so würdest du zwischen Blüten erfahren, in welch herrlicher Welt ich lebe. Die Blüten, die für dich, Mensch, klein sind, sind für mich, den kleinen Vogel, so groß, daß, wenn sie in deiner Welt wären, sie im Verhältnis zu dir so groß wie dein Kopf sein würden und noch größer, ja, manche Blumen wären so groß wie du selbst.
Denke dir, in diesem wunderbaren Reich zu fliegen unter Millionen mühlsteingroßer Blüten! Wenn du dann fliegen dürftest; wenn du in den Äther hinaufsteigen könntest, wie ich kleine Lerche, nur getragen von dir selbst, so wie dich deine Füße über die Erde tragen, aber nicht getragen von Flugmaschinen, von Motoren; getragen von dem Drang in deiner Brust. Stelle dir vor, dich hoch, hoch von aller Welt und Wirklichkeit entfernen zu können, getragen von dem Liebesdrang, im Äther ein Liebeslied zu jauchzen, um der Geliebten zu zeigen, wie hoch deine Liebe auch deinen Körper über alle Dinge erhebt.
Welch ein Fest, Mensch, würdest du dann fühlen! Würdest du nicht gerne die Bücher, die Säle, die Bilder und deine Menschenkunst verlassen?
Tu es, und nimm im nächsten Leben die Gestalt einer Lerche oder die einer Nachtigall an; denn es ist dir ja ein kleines, dieses zu tun, wie es mir ein kleines sein wird, Mensch zu werden, wenn mich mein Vogeldasein ermüden sollte und mich ein innerer Wunsch zur Menschengestalt hindrängen sollte.
Meine Schöpferkraft ist auch deine Schöpferkraft. Du kannst mir nachfühlen, auch ich kann dir nachfühlen. Wir sind verschieden und doch nicht verschieden voneinander, da wir beide wirklich und unwirklich leben, da wir beide im äußeren Leben scheinbar getrennt sind, im inneren Leben aber unzertrennlich dasselbe sind, Besitzer einer und derselben ewigen Schöpferkraft.»
So würde der Verstand des Vogels zu dir sprechen, o Mensch, wenn dein Verstand ihn fragen würde. Und so wird jede Gestalt des Lebens, jedes Lebewesen, wenn du willst, die ihr äußeres Leben verschieden von deinem erklären, aber im inneren Leben seid ihr ein und dasselbe, ihr Menschen, Tiere, Pflanzen, Steine und Dinge.
Ihr steht alle zusammen in Fühlung, in Verstandes- und Gefühlsfühlung, geboren unter verschiedenen Gesetzen, aber alle seid ihr dasselbe, die eine einheitliche Schöpferkraft, die im äußeren und inneren Leben das ewige Schöpfungsfest feiert.
Keine Schöpferkraft steht über euch; die Kraft liegt in euch. Alle Gestalten haben sich zusammen ausgedacht, und es wohnen alle Gestalten deshalb auch in jedem einzelnen von euch. Das große Fest zerfällt in viele kleine Feste, und alle Feste zusammen bilden das Schöpfungsfest, das immer war und immer sein wird, und bei dem ihr immer anwesend wart und anwesend sein werdet, und bei dem ihr mitgeschöpft habt und immer mitschöpfen werdet.
Kommt aber da einer und sagt mir: Was hat es für einen Sinn, dieses ewige Sichverwandeln, dieses ewige Schaffen ohne Ende? Wo will das Schaffen hin? Wenn auch Schaffen Genuß ist, wird dieser Genuß nicht eintönig?
So frage ich dich zurück: Hat dein Herz in den neunzig Jahren, die du vielleicht gelebt, eine einzige Stunde stillgestanden? Hat nicht dieser kleine Muskel eine Titanenaufgabe erfüllt? Wie kannst du denn da mit dem Hauch einer Sekunde zweifeln wollen an der unerschöpflichen Lust der Schöpfungskraft, wenn dein eigenes Herz dich Lügen straft?
Dieses soll dir aber nicht genug Erklärung sein. Ich will dich gar nicht erinnern, wie sehr du als Kind nach dem Leben verlangtest und dich sehntest, mithelfen, mitleben, mitfeiern zu dürfen. Ich will dir nur sagen, wenn du ein alter Mann oder eine alte Frau bist, die mich so fragt: erinnere dich, als du in der Mitte deines Lebens standest, auf der Höhe deiner Schöpferkraft, als du dir vorkamst, als wenn alles dir gelingen würde, und dein Körper noch stolz war, dein Blut spielend durch deine Adern lief, dein Rücken, dein Knie, deine Ellenbogen, deine Gelenke alle herrlich elastisch waren, dein Geist mutig und dein Herz voll Wohlbehagen – würdest du da gesagt haben: Es ist eintönig, ein Mensch zu sein?
Und wenn dir in der Fülle deiner Kraft, dir, Mann, das Weib gegenüberstand, das du liebtest und das dich wiederliebte, und nachdem du vor Sehnsucht branntest, sobald sie dich ansah, und sie vor Sehnsucht herrlich demütig wurde, wenn du sie ansahst; oder wenn dir, Weib, der Mann, nach dem du verlangtest, begegnete, glaubst du, Mensch, daß dann dieser Augenblick eintönig war?
Glaube mir auch, daß, wenn du diesen Augenblick wieder erleben würdest, in anderer Gestalt, wieder auf dem Gipfel deiner Kraft, glaube mir, er wäre in keiner Lebensgestalt eintönig. Der Liebesaugenblick ist bei allen Gestalten ein Augenblick von unerschöpflichster Seligkeit und Lebenslust und höchster Lebenshöhe.
Ob du in einer Blüte bist mit deinem Weibe und der eine von euch ist Stempel und der andere ist Staubfaden, oder ob du ein Tiermännchen bist und dein Weib ein Tierweibchen irgend welcher Tiergestalt, oder ob du als Atom in den Steinen liegst, zusammengepreßt in Kalk- oder Sauerstoffverbindung, – wo und wie du dich auch mit deinem Weib gestaltet hast, überall wirst du den Lebenshöhepunkt auf dem Gipfel deiner Kraft im Liebesaugenblick finden, in der Liebesumarmung, wobei du, Mann, und du, Weib, euer inneres Leben und euer äußeres so dicht zusammenlegt, daß ihr in der Schöpferkraft eins seid.
Und in diesem Augenblick erkennt sich die Schöpferkraft selbst. In diesem letzten Augenblick der höchsten Liebesvereinigung, des tiefsten Ineinandersinkens erlebt ihr ein größeres Sichselbstvergessen als im Tod und zugleich ein höchstes Sichselbstbetätigen, einen stärkeren Augenblick, als der war, da ihr ins Leben tratet, stärker, als es eure eigene Geburt für euch war und alles, was ihr im Leben tatet.
Und aus dem fortpflanzenden Liebesaugenblick heraus, der aller Lebewesen höchstes Fest ist, höher als das Geburtsfest und höher als das Todesfest, der das Fest der neuen Verwandlung ist, könnt ihr, wenn auch eure Lebensgesetze euch von allen anderen Leben trennen, den Weg zur Verständigung mit allen anderen Gestalten finden. Denn in der Liebeslust gipfelt die Lust aller Leben, – der Liebe streben alle Leben im Weltall zu.
Außer der Liebe gibt es im ganzen Weltall keine höhere Seligkeit, für jede Gestalt bedeutet die Liebe die höchste Lebenshöhe, sie ist für alle Leben das einzige Lebensziel, die höchste Lebensfestlichkeit, die das Weltall kennt. –
Aber ihr werdet mir sagen: der Schrank gebiert doch keine Schränke, der Tisch und der Stuhl doch keine Tische und Stühle! Wo ist das Liebesfest und der Schöpfungsakt bei den toten Dingen?
Der Schreiner, der den Schrank ausgedacht hat, ist Vater und Mutter des Schrankes. Ihr habt doch gehört, daß alle Dinge zu euch Vater und Mutter sein können. Alle haben etwas an euch geboren. Und da der Schrank ein zugehöriges Stück zum Menschen ist, so mußte er auch von einem Menschen zuerst für das Menschenleben geboren werden.
Denn, seht, Wünsche sind so gut Lebewesen, wie es Gedanken sind. Der Leib des Menschen sprach zum Kopf des Menschen: Bau mir einen Behälter für meine Kleider. Und der Kopf des Menschen sprach: Du, Leib, dem ich diene, so wie du mir, Kopf, dienst, schicke deinen Wunsch tief ins Herz, so daß er ein Herzenswunsch wird. Dort laß ihn rufen und sich sehnen nach Vereinigung mit einem Gedanken in mir, Kopf.
Und seht, der Leib tat so und schickte den Wunsch zum Herzen, wie er es mit allen Wünschen tun muß, wenn sie etwas erreichen wollen.
Und im Kopf machte sich der Gedanke auf, der längst für diesen Wunsch vorbereitet war, so wie ein Mann geboren ist für eine Frau. Und Gedanke und Wunsch kamen zum Herzen und umarmten sich im Herzen. Und die Schöpferkraft, die sie erzeugten, setzte den Menschen in Bewegung.
Und der Mensch nahm die Bretter, die er aus einem Baumstamm gesägt hatte, und seine Hände setzten die Bretter zum Schrank zusammen. Und siehe, Wunsch und Gedanken, vereinigt im Herzen, freuten sich über ihr Geschöpf, den Schrank, den sie geschaffen.
Und als der Leib seine Kleider dann in den Schrank legte, war der Wunsch befriedigt, und auch der Gedanke war befriedigt. Und der Kopf nickte auf dem Leib, und Wunsch und Gedanke, beide sahen ihr Werk, den Schrank, an und freuten sich festlich.
Und so, aus Wunsch und Gedanken, aus dem Liebesakt von beiden im Herzen des Menschen, wurden alle Dinge geboren, die der Menschenleib nicht vorfand, und die der Wunsch und der Gedanke für das Menschenleben schaffen mußten. Doch das Leben solcher geschaffenen Dinge kann natürlich nicht seinen Zweck ändern, und es endet, wie alle Leben, bei der Zweckerfüllung. Wir können nicht zum Schrank sagen: «Sei du heute die Treppe des Hauses oder gib uns heute Licht wie die Lampe.»
Erfüllen die Dinge ihren Zweck gut, so sind sie gutgeratene Dinge und können lange leben.
Der Zweck eines Gegenstandes ist sozusagen das innere Leben des Gegenstandes. Der Zweck bedingt die Gesetze des Gegenstandes, unter denen derselbe leben soll, und von denen seine äußere Gestalt bedingt ist. Die Gegenstände leben darum innerlich und äußerlich, wie die Menschen, die auch für ihre Menschengestalt ihre Gesetze und ihren Zweck von ihrer Weltferne für ihre Weltnähe vorgeschrieben bekommen haben.
Da der Schrank sozusagen ein Glied ist am Menschenleben, so kann er nicht sich selbst und keine neuen Schränke erzeugen; denn dein Arm an dir bringt auch keine neuen Arme hervor, dein Kopf setzt keine neuen Köpfe zwischen deine Schultern, weil er ein Glied an dir ist; die Glieder selbst pflanzen sich nicht an dir fort. So pflanzt sich auch kein Schrank fort, der ein Glied deines Menschenlebens bedeutet, da du ihn dir für deinen Leib geschaffen hast.
Und Glieder des Menschenlebens sind alle Gegenstände, die du dir zum Leben schaffst, wie der Schrank, wie der Stuhl, wie der Tisch, wie die Lampe, wie dein Haus, wie dein Kleid, wie alle Maschinen und alle Kunstwerke, die du dir zur Erhaltung deines Leibes und deines Geistes erschaffen hast, das heißt, zum Fest deines Menschenlebens, deines inneren und äußeren Daseins.
Du wirst jedoch, wenn dein Arm seinen Zweck erfüllt, aber sich nicht an dir fortpflanzt, nicht behaupten wollen, dein Arm sei kein lebendes Wesen, er sei ein totes Ding. Er besteht aus lebenden Schöpferatomen so gut wie die Bretter des Schrankes. Sie sind ja gewachsen, die Bretter, als der Baum wuchs, dem sie angehörten.
So ist dein Arm gewachsen vom Mutterleibe an bis zum Tage, wo dein Wachstum stillstand. Aber da er jetzt nicht mehr weiterwächst, dein Arm, und da die Bretter des Schrankes nicht mehr weiterwachsen, sind sie deshalb doch nicht tot.
Frage nur den Schreiner, ob der Schrank nicht lebt. Wenn er neu und das Holz zu grün ist, werfen und spannen sich die Bretter. So wie das Fleisch deines Armes für Wärme und Kälte empfindlich ist, so ist das Fleisch des Schrankes, das heißt, seine Bretter sind für Wärme und Kälte empfindlich und leben. Und so wie dein Arm im Alter mürbe wird und lahm und müde und die Frische und die Lebenslust einbüßt, so geht es mit dem Schrank. Sein Holz wird mürbe, und das Holz kann Krankheiten bekommen durch Feuchtigkeit und Nässe. Wucherungen entstehen, so wie in deinem Fleisch, so auch im Holz.
Und nicht bloß dem Holz und deinem Arm ergeht es so. Frage die Baumeister, die sich auf Eisen und Stein verstehen. Frage die Gärtner, die sich auf Erde verstehen. Eisen, Stein, Erde, wenn sie lange gelebt haben und dem Weltfest dienten und genug mitgefeiert haben, Stein, Eisen und Erde können krank, müde, mürbe und untauglich werden. Und wenn sie von den Menschen zu Gegenständen verarbeitet waren, dann können sie, wenn sie müde werden, auch nicht mehr ihr inneres Leben, nicht ihren Zweck mehr erfüllen.
Da aber mit den Gegenständen – die wir nur mit erweiterten Gliedern unseres Menschenlebens vergleichen können, wenn wir sie in ihrer Gestalt betrachten und verstehen wollen – also nur ein Teil von uns, ein Glied von unserem Leib stirbt, sind wir auch nicht so traurig, wenn wir diese Gegenstände sterben sehen, als wenn wir ganze Menschen sterben sehen. Denn der Verlust eines Armes, eines Zahnes, eines Ohres, eines Beines ist uns wohl sehr wichtig, aber doch nicht so wichtig als der Verlust einer ganzen Menschengestalt.
Sehen wir aber von der Gestalt ab und denken, daß Lebensatome, Lebenskräfte, mit den Gegenständen oder mit den Gliedern, die wir verlieren, um uns verschwinden, so können wir, wenn wir uns auf einen höheren Empfindungsstandpunkt stellen, uns sagen: die Atome und Kräfte dieser Gegenstände oder Glieder sind ebensowenig wie die Menschenatome und ihre Atomkräfte, die mit dem einzelnen Menschenleben scheinbar aufhören, verschwunden. Sie wirken seit Ewigkeit und wirken in Ewigkeit fort. Die Schöpferkraft in uns, die den Schrank gebaut hat, und die den Menschenarm zum Menschenleib aus Wunsch und Gedanken geschaffen hat, diese gibt dem Schrank ähnlich ewiges Leben, wie sie dem Menschenarm es gegeben hat.
Ich will damit sagen: die Entstehung des Schrankes auf Wunsch und Gedanke gehört wie der Mensch im letzten Grunde der Urschöpferkraft aller Leben an. Und die ist nicht weniger ewig zu nennen, ob sie nun Glieder des Leibes, wie Arme, oder sogenannte tote Dinge, wie Schränke, ausdenkt.
Mit dieser Auseinandersetzung habe ich darauf hinweisen wollen, daß nicht bloß der Mensch zum Menschen reden soll und kann. Sondern Tiere, Pflanzen, Bäume, Steine, Erde, Holz, da sie mit dem Menschen Wesen und Glieder desselben ewigen Lebens sind, so können sie und auch die «toten» Dinge ihr Leben einander und den Menschen mitteilen. So gut wie der Vogel den Menschen überzeugen kann, wenn letzterer sich in des Vogels Leben vertieft, wie schön es dieser in der Luft hat, so können auch die Gegenstände im Zimmer zum Menschen überzeugend reden und können von ihrer Zufriedenheit, von ihrer Frische, von ihrem Alter, ihren Krankheiten und ihren Erinnerungen zu dir, Mensch, reden.
Und diese Gedanken und Gefühle, die dir, Mensch, beim Anblick toter Dinge im Herzen zu reden beginnen, das ist die Sprache der stummen Dinge. Höre darum deinen Gedanken und Gefühlen zu, wenn du vor der Welt und ihren Dingen sitzt. Die Gedankensprache und Gefühlssprache ist die Weltallsprache.
Der Gedanke und das Gefühl sind die Stimme, mit denen die Gestalten des Lebens, die Lebewesen und die von den Menschen geschaffenen Gegenstände, sich deinem Herzen und seiner Schöpfer, kraft verständlich machen wollen.
Mal wollen sie sich mit Gedankensendungen unterhalten, mit Gefühlserinnerungen; mal wollen sie dich durch Gedankeneingabe um Hilfe bitten, daß du tätig wirst und ihnen beispringst; mal wollen sie dir selbst helfen, daß du aufmerksam wirst und nach einer Gefahr, die dir droht, dich umsiehst. Mal wollen sie dir klagen, daß sie müde sind und sterben wollen und die Gestalt wechseln möchten. Mal wollen sie dir in ihrer Tätigkeit gefallen und deinem Gefühl mit ihrer Farbe und mit ihrer Linie mitteilen, wie schön, stark und ewig das Lebensfest ist.
Sage darum niemand, daß nicht im Menschenleben die ganze Welt zu uns kommen kann und wir nicht zur ganzen Welt kommen können. Die Gedanken sind die Klänge und Worte der Festlichkeit, und das Gefühl gibt die Rhythmen und den Takt an, mit dem uns das Weltallfest jeden Augenblick anders umgibt.
Gedanken und Gefühle sind die Sprache, die die Weltalleben untereinander verbindet. Glaubt nicht, daß nicht jedes Tier denken und fühlen kann. Jedes Gras denkt und fühlt; jeder Baum, jeder Stein, die Berge, die Wolken, der Fluß, die Sterne, Sonne, Mond und Erde denken und fühlen. Alles Leben schickt sich Gedanken und Gefühle zu, alles steht untereinander immer in ewiger Fühlung, denn alles Leben ist eine und dieselbe Schöpferkraft, alles besitzt eine und dieselbe äußere und innere Welt.
Eine große unendliche Lebensfühlung waltet im Weltall, und die äußersten Sterne der Milchstraße sprechen ebenso deutlich zur Erde, wie deine Freunde in Amerika oder China, nicht bloß mit Telephon, Telegraph oder Brief, nein, mit den Gedanken und Gefühlen, mit dir sprechen.
Wir wissen jetzt, daß wir ohne Draht von einem Meeresschiff auf dem Ozean zu einem anderen Meeresschiff, das wir weder sehen, hören, noch von dessen Dasein wir eine Ahnung haben, durch die «Telegraphie ohne Draht» Gedanken aufnehmen und Gedanken, also auch Gefühle, hinleiten können. Und, stellt euch nun vor: jedes Atom im Weltall ist Besitzer eines solchen Gedankenübertragungsapparates, da es Besitzer der Schöpferkraft ist, die seit Millionen Jahren unausgesetzt denkt, handelt und empfindet.
Ihr werdet mir sagen: zum Denken gehört ein Gehirn.
Wer an die Schöpferkraft des Atoms glaubt, kann sich leicht vorstellen, daß jedes Atom ein Gehirn besitzt. Denn im Weltraume gibt es eigentlich kein groß und klein und auch keine Zeit. Es gibt nur Unendlichkeit in den Größenbegriffen dort und Ewigkeit in Zeitbegriffen. Also, welche Welt kann nicht in jedem Atom vorhanden sein!
In jedem Atom können auch Sonnensysteme sein und kann auch ein Weltraum sein, da des Atomes Kleinheit nur im Verhältnis zum Menschen die letzte Kleinheit bedeutet. Aber im Verhältnis zur Ewigkeit ist das Atom noch ein Weltraum, noch ein Weltraum voll Weltkräften, voll Weltempfinden, eine Weltschöpfung, eine Unendlichkeit in der Unendlichkeit.
Wer Frieden im Ohr mitbringt und die Sehnsucht im Willen, sich aufzuklären, der wird klärende Worte wie Öltropfen in seinem unruhigen Welttasten empfinden. Und diese Worte werden wie Inseln in ihm werden, auf denen seine Sehnsucht nach Ruhe und Überblick Fuß fassen kann.
Wer aber noch Unruhe mitbringt beim Lesen dieser Zeilen, den wird die Unruhe nicht Fuß fassen lassen. Der wird in einem Chaos zwischen Dämmerungen und zwischen grellen Lichtblitzen und bei plumper Erdendumpfheit und bei Gedankendunkelheit herumtappen, von früheren falschen Idealen unbefriedigt, von früheren halben Lösungen angewidert; der wird wie einer sein, dessen Haar verwirrt ist, und der nicht die Geduld besitzt, es in Ruhe auszukämmen. Und er wird sich Schmerzen bereiten aus einer unnötigen Ungeduld heraus. Darum gönnt euch Geduld, diesem Buch zuzuhören.
Ich habe keinen Vorteil davon, den Menschen diese Aufklärung, die sich in mir bald dreiundzwanzig Jahre ununterbrochen aufgebaut hat, vorzuschlagen. Den einen Vorteil vielleicht hätte ich, daß ich weniger Unruhe begegnen würde, weniger Hast und Unzufriedenheit und mehr weisem, festlichem Sichversenken in den Reichtum der Welt rundum. Ich möchte, daß es in Europa so werde wie im Fernen Osten, wo mehr Verinnerlichung und mehr Verständnis für die Weltleben, für Naturleben und für Freude am Weltall herrscht, und wo mehr Nutzen und Freude vom Lebensfest geerntet wird.
Der Kapitän des Schiffes, auf dem ich in Japan ankam, sagte zu mir, als die Anker in Nagasaki Grund faßten: «Herr Dauthendey, so lange Sie jetzt in diesem Land, in Japan, sein werden, werden Sie niemals ein Kind schreien hören und niemals sehen, daß ein Tier geschlagen wird.»
Kinder und Tiere werden in Asien nur mit Milde und mit Freundlichkeit behandelt. Denn der Asiate sagt, es ist die erste Pflicht der Eltern, unendliche Geduld zu üben gegen alle Unarten eines Kindes. Und es ist Pflicht des Menschen, wenn er sich mit Tieren verständigen will, unendliche Geduld zu üben. Die Freundlichkeit erreicht alles, sowohl beim Kind als beim Tier. Und für alle Leben, mit denen man in Beziehung treten will, sind Geduld und Freundlichkeit die einzig möglichen Verkehrsmittel, die angewendet werden müssen, weil sonst überhaupt keine Verständigung möglich ist, keine Übertragung von Gedanken und Gefühlen dieser lautlosen, aber überall den Verkehr ermöglichenden Weltsprache.
Denkt euch einem Franzosen oder einem Engländer gegenüber, dessen Sprachen ihr noch nicht geläufig versteht, so könnt ihr doch bei Geduld und Freundlichkeit die Gedanken des Fremden empfinden und verstehen. Denn es ist durchaus nicht nötig, die Sprache der verschiedenen Völker oder der Tiere, der Vögel oder aller Dinge in ihren Lauten auszuklügeln.
Es ist auch nicht nötig, die Zeichensprache der windbewegten Bäume, der Gräser in ihren Rhythmen und in ihrem Linienwuchs zu ergründen. Es ist auch nicht nötig, die Sprache der Steine, die, mit Licht und Schatten bekleidet, eine Sprache von Farbenwirkungen sprechen, sich zu deuten.
Dieses Deuten überlaßt denen, die ihr Leben dem Sprachdeuten des Weltallebens widmen wollen.
Ihr alle aber könnt alle Leben verstehen ohne besonderen Scharfsinn, ohne langwieriges Beobachten, wenn ihr nur Geduld und Freundlichkeit über euch selbst breitet und den Gedanken und Gefühlen so den Zutritt laßt, die jedes Ding dem anderen zuschickt, jedes Lebewesen dem anderen Lebewesen, jedes Atom dem anderen Atom.
Hört, wenn ihr vor ein Ding hintretet oder vor einem Lebewesen steht, hört auf die Gedanken und Gefühle, die in euch aufsteigen, die zu eurem inneren Ohr reden, so wie ihr mit dem äußeren Ohr auf die Sprache und Gesten der Menschen achtet; dann werdet ihr an euren unwillkürlichen Gedanken und Gefühlen das Leben des Gegenstandes oder des Lebewesens miterleben.
Hört auf die Gedanken, die euch übertragen werden von den euch fremden Wesen, auf die stille Gedankenwelt und Gefühlswelt, die die allgemeine Weltsprache ist, und wißt es: auch eure Gedanken und Gefühle dringen ein in die anderen Leben um euch.
Ihr braucht dabei nicht an das Wort «Gedankenlesen» zu denken. Ihr sollt gar nichts an eurem Wesen ändern, um die Welt zu verstehen. Ihr sollt nur Geduld und Freundlichkeit und Lebensfestlichkeit unausgesetzt über euch verbreiten. Dann wird euch von allen Leben zugesprochen und dadurch geholfen, geraten, gewarnt und zugeplaudert, so wie ihr es nie erwartet habt, daß dieses möglich wäre zu erleben.
Ihr braucht euch aber nicht immer dazu still hinzusetzen und auf die Welt zu horchen. Gerade mitten in der Tätigkeit, wenn ihr eurer Beschäftigung am ernstesten nachgeht, spricht irgendein Ding oder ein Lebewesen um euch seine Gedanken zu euch aus, manchmal betreffs eurer Arbeit, manches Mal ein Urteil über eure Vergangenheit, manches Mal einen Gedanken oder einen Vorausblick in eure Zukunft.
Nur der Glaube an die Weltallsprache sei euch gegeben, denn das innere Wissen habt ihr alle längst selbst gehabt. Freunde müßt ihr sein mit allen Lebewesen, möglichst geduldige, vertrauende und liebevolle Freunde mit allen Gegenständen um euch, mit allen Lebewesen um euch. Denn nur Freunde werden euch warnen, werden euch helfen und zusprechen.
Glaubt nicht, daß ihr euch ungestraft Menschen, Tiere und auch tote Dinge zu Feinden machen könnt. Ihr könnt euch die ganze Welt zu Feinden machen, wenn ihr ungeduldig, unfreundlich handelt und auf die Gedankensprache der Welt nicht hören wollt. Dadurch werdet ihr dann viel leiden und vielleicht zuletzt gezwungen werden, wenn ihr die ganze äußere Welt euch zu Feinden gemacht habt, die Gestalt, in der ihr gelebt habt, abzulegen, früher vielleicht abzulegen, als ihr es vorhattet, und müßt euch verwandeln, um eurem Haß und dem Haß der Welt, den ihr auf diese Gestalt geladen habt, zu entgehen.
Vielleicht gelingt es euch aber in anderer Gestalt, unter anderen Verhältnissen, friedfertiger, geduldiger und freundlicher euch die Welt zu Freunden zu machen und das Weltfest genußreicher zu feiern, als ihr es vorher tatet, denn ihr seid immer Schöpfer eurer Zustände.
Vom Tage an aber, an dem ihr annehmt, daß ihr an einem weise gefeierten Fest teilnehmt, könnt ihr vielleicht gar nicht anders als euch freundlich und geduldig und festlich benehmen. Denn welcher Mensch, wenn er Gastgeber oder Gast ist, könnte seine Lust darin finden, eine Feindschaftsfeier statt einer Freundschaftsfeier bei einem Fest zu erleben! Wenn einer so entstellt ungeduldig und unfreundlich zu einem Fest erscheinen wollte, würde er sich bald hinausgewiesen fühlen und würde erst wiederkommen dürfen und wollen, wenn er sich in festlicher Gestalt zeigen kann.
Wohl mag es vorkommen, daß einer sich den rauhen Spaß machen will, sich Spielverderber zu nennen und hunderte Male wiederkommt und immer als Feststörer. Auch diese wird es geben und immer wieder geben müssen, weil wir Gestalten innerer Schöpferkraft sind, weil Leben aus Licht und Schatten, Freude und Leid bestehen muß, und nur der Wechsel das festliche Leben erzeugt.
Darum setze ich hinzu: die große festliche Weltallschöpfung wird nicht gebessert werden durch diese Weltanschauung, wie niemals eine Weltanschauung die Schöpfung gebessert hat. Denn die Schöpfung ist nicht zu bessern und nicht zu verschlechtern. Sie ist ein ewiger Wandel von Tag und Nacht, von innerer und äußerer Welt, von tiefster Ruhe und höchster Gestaltungsunruhe, sie ist unsere ewige Schöpferlust.
Es ist nur ein neuer Wandel, der mit der neuen Weltanschauung über die Welt kommen wird, weil die alte Weltanschauung abgetreten, ausgeleiert, nichtssagend, mürbe, alt und brüchig geworden ist, weil ihre Zeit um ist und eine neue Zeit neue Ideale, neue Weltüberblicke aus neuen Aufklärungen heraus für die Menschheit fordert, und die früheren Weltanschauungen für uns nicht weitsichtig genug, nicht mehr äußerste Weltüberblicke sind. So wie ihr alte Kleider ablegt, weil sie eng werden, weil sie sich nicht mehr erweitern lassen, weil ihr eure Formen verändert habt, sie aber ihre Formen nicht mehr bewahren können, so wechseln auch die Weltüberblicke der Menschheit, die sie sich über das Leben machen muß.
Die Götterlehre der Griechen und Römer, die Götterlehre der alten Germanen und Kelten, die Götterlehre der Ägypter, die Götterlehre der Inkas und viele Weltanschauungen noch vieler Völker, die jahrhundertelang Familiensitte, Landessitte gestaltet und geleitet haben, sind vom Erdboden verschwunden. Und wir wundern uns nur, daß das damals scheinbar Unerschütterliche erschüttert werden konnte, absterben und schwinden konnte.
Der Leser wird selber verfolgen können, wenn ich ihm jetzt die Entstehungsgeschichte meiner Bücher und die Richtung meiner Lebenswege schildern werde, daß ich alle Kraft, alle Arbeit, Eigenart und Lebensbejahung dreiundzwanzig Jahre lang nur aus dem Weltfestlichkeitsgedanken und Weltfestlichkeitsgefühl schöpfen konnte.
Aber man möge mich nicht falsch verstehen und meine Rede nicht mit der Rede des Pharisäers vergleichen, der stolz auf seine Brust deutete und sagte: «Seht, bin ich nicht immer gut, immer gerecht und wohltätig gewesen.»
Keinen Stolz sollt ihr aus jenen Zeilen, die ich bis jetzt niederschrieb, und keinen Stolz aus denen, die ich schreiben werde, herauslesen, keinen Übermut und keine Überhebung über alle die, welche anders denken.
Es fällt mir auch nicht ein, den dumm zu finden, der meine Worte nicht begreifen kann. Wer heute nicht in der Sonne liegen mag, weil er sich ans Dunkel gewöhnt hat, wird vielleicht morgen den sonnigen Platz, den sonnigen Lebensplatz selbst aufsuchen, wenn er sich an den Gedanken vom Dunkel zum Licht gewöhnt hat. Ich jedenfalls halte meine Weltanschauung für die wärmste unter der Sonne.
Wer das Leben bisher als eine Strafe oder als eine Notwendigkeit oder als ein Jammertal oder als eine Aufgabe oder als eine Pflicht oder nur als einen sinnreichen Mechanismus oder als ein sinnloses Chaos betrachtet hat, oder als eine blind zupackende Wollust oder als eine unheilbare Krankheit – denn alle diese Anschauungen habe ich aus dem Munde lebender Menschen gehört –, wer eine von diesen genannten Anschauungen vertritt, der möge doch wenigstens seinem heranwachsenden Kinde oder der unbefangenen Jugend den Lebenssinn als eine weise Festlichkeit auslegen.
Und der wird sicher erleben, wenn er dieses mit Geduld und Freundlichkeit unternimmt, daß er einen größeren Vorteil davon haben wird, weil er sein Kind reicher macht, befreiter, als es die früheren Kinder waren, weltverständiger und dadurch edler. Und weltverständige und reichgemachte Kinder werden ihren Erziehern mehr Glück, Ehre und Vergnügen bereiten als eingeschüchterte, verheuchelte oder in Weltunkenntnis einseitig und also arm erzogene Menschengeschöpfe.
Sagt dann euren Kindern, wenn sie euch nach Herkunft, Sinn und Ziel des Lebens fragen, sagt ihnen zuerst, daß sie Schöpfer und Geschöpfe zugleich sind seit ewigen Tagen und in ewigen Tagen, und daß ihre augenblickliche Menschengestalt wirklich und unwirklich zugleich ist, sowie alle Leben rundum, sowie das ganze Weltalleben.
Sagt ihnen dann weiter: «Wir erinnern uns nicht und könnten nicht antworten, wenn wir plötzlich gefragt werden: Was haben Sie vor zwei Jahren am letzten Januartag in der sechsten Stunde des Tages gedacht und erlebt?» – So ist es auch mit unserem früheren Leben. Wir kennen es äußerlich nicht mehr, so wie uns die Speisen nichts mehr angeben, die wir vor zwei Jahren verdaut haben.
Nur dem inneren Leben ist alles unvergessen geblieben. Schon die Sekunde, während ihr diese Zeile lest und aussprecht ist aus der äußeren Wirklichkeit in die Unwirklichkeit geglitten und hat einer anderen wirklichen Sekunde Platz gemacht, die auch wieder unwirklich wird, bis ihr ausgedacht habt.
Und wie die Sekunde, so ist auch unser eigenes Wesen, wirklich und unwirklich zugleich. Und wir sind immer in der Unwirklichkeit so gut zu Hause wie in der Wirklichkeit. Und mit uns sind das alle Dinge und alle Lebewesen.
Alle Leben gehören einer greifbaren und einer ungreifbaren Welt an, und deshalb ist kein Leben nur niedrig und keines nur hoch. Das niedrige Tier ist niedrig und hoch zugleich. Die niedrigste Pflanzengattung ist hoch und niedrig zugleich.
Der toteste Gegenstand ist hoch lebend und niedrig lebend zugleich, denn er ist unwirklich und wirklich zugleich. Der elendste Mensch ist hoch und niedrig zugleich, vergänglich und unvergänglich, wirklich und unwirklich.
Und sagt euren Kindern weiter: «Liebe Kinder, wenn ihr das begreift, daß alles Leben wirklich und unwirklich, hoch und niedrig, greifbar und ungreifbar, einer inneren und einer äußeren Welt angehörig zugleich ist, so müßt ihr nicht den Schluß ziehen, als wäre die Welt und das Leben ein kreisender Unsinn. Seht, das Leben soll ein weises Spiel sein.
Deshalb ist es wie jedes Spiel wirklich und unwirklich. Was die Puppe für das Mädchen und das Schaukelpferd für den Knaben, das ist das Leben den Erwachsenen: ein anregendes, aber zugleich auch ein verantwortungsvolles Spiel. Und wenn ihr spielt, eifrig, glücklich und lebensvoll, dann fühlt ihr euch festlich.
Das ganze Leben ist deshalb im Grunde ein feinsinniges mächtiges Fest, das wir alle zusammen seit ewigen Tagen begehen und ewig weiter festlich erleben wollen. Die verschiedenen Gestalten des Lebens, Menschen, Tiere, Pflanzen, Steine, Gegenstände, Lichtstrahlen und Schatten, alle sind Millionen festlicher Kleider, in denen die Schöpferkraft, die in jedem Leben wohnt, zur Festfeier erscheint.
Alle kommen, um Freuden und Leiden zu erleben und Freuden und Leiden erleben zu lassen. Das Freudeerleben und Leiderleben ist unser wechselndes Erleben bei diesem Feste.
Und in jeder Gestalt sind drei große Hauptfreuden zu erleben möglich, und alle drei Freuden gehören wie die Geschöpfe, wie die Schöpferkraft auch, zugleich der wirklichen und unwirklichen Welt an.
Die erste Freude, die dir in der Jugend begegnet wenn du ins Leben trittst, das ist die Tätigkeit, körperliche und geistige Tätigkeit.
Die Tätigkeit ist kein Fluch, keine schwitzende Not, keine bloße Aufgabe, keine nackte Notwendigkeit. Tätigkeit, geistige und körperliche, ist die erste Freude, die dem aufwachsenden Leben zuteil wird; und diese Freude täglich zu vergrößern, wird jedem eine Lust sein.
Denn die Tätigkeit kann jedem wohltun wie Essen und Trinken, wie Atmen und Schlafen, wie Gehen und Liegen. Die Tätigkeit anderer betrachten und die Tätigkeit nachahmen, das ist das Lebensfest des Kindes.
Wenn ihr dann erwachsen werdet, wird euch eine zweite große Festfreude begegnen: die Liebe, wie Vater und Mutter sie zueinander hegen. Auch die Liebe gehört einer wirklichen und einer unwirklichen Welt an, so wie die Tätigkeit einer geistigen und körperlichen Welt angehört. Tätigkeit und Liebe sind dann die beiden großen Freuden im Lebensfest des Erwachsenen, im Lebensfest des Mannes und der Frau.
Und wenn das Alter kommt und mit ihm der Abschied vom Lebensfest, nicht der Abschied vom ewigen Fest, nur der Abschied von der Gestalt, von dem Kleid, das wir wechseln sollen, und das vertragen ist, dann kommt eine Verklärung über euch, ein Rückblick über das Sattgewordensein in diesem Kleid, das ihr tragt, ein Dankblick auf diese Gestalt, in der ihr tätig wart und geliebt habt, und es kommt ein leichter Ruhegenuß über euch.
Doch auch dieser ist wirklich und unwirklich zugleich. Und es kommt die dritte Freude, die letzte große Festfreude über euch: das ist die Freude an der Weisheit. Wissend und weise werdet ihr über das Fest zurückschauen, ehe ihr eine Pause macht und die alte Gestalt ablegt und nach einem neuen Kleide greift und euch verjüngt.
Und auch die Weisheit ist wirklich und unwirklich zugleich, und darum werdet ihr nicht bei ihr verweilen. Die Weisheit ist eine hohe Kraft, die wir weder als Kind noch in den mittleren Jahren im höchsten Grade besitzen konnten, die erst beim Lebensabschied errungen wird. Die Weisheit ist die Freude des satten Alters. –
Aber über eurem äußeren und eurem inneren Leben, die wirklich und unwirklich zugleich sind, ist wirklich allein eure Schöpferkraft. Sie ist ewig und unendlich wirkend, sie war seit ewigen Tagen euer Eigentum. Sie führt euch durch die drei Festzeiten jedes Lebens. Sie erschafft euch Lebensgestalt um Lebensgestalt. Sie erschuf und vernichtet eure Gestalt und alle Gestalten um euch. Sie macht euch zum Geschöpf und Schöpfer. Sie kann euch nie genommen werden. Sie ist euer unendlicher Besitz und läßt euch ein unendliches Fest feiern, ohne Müdigkeit, ohne Eintönigkeit, ein unendliches Schöpferfest. –
Und seht noch einmal um euch! Alles, was ihr um euch empfindet, das seid ihr selbst. Nicht bloß euer Kleid schuft ihr euch, eure Schöpferkraft durchströmt alles und alle Leben, alle lebenden und toten Dinge um euch. Nie seid ihr allein, nie einsam. Nie sollt ihr ängstlich sein.
Was immer ihr empfindet, ist euer festlicher Besitz. Ihr braucht nicht danach zu greifen. So wie ihr es empfindet, ist es euer Besitz. Eure Schöpferkraft umschließt es, auch wenn ihr es nicht in den Taschen und in den Händen haltet.
Denn eure jeweilige Gestalt ist auch mit allen Leben verkettet. Wie euer Leib einen Kopf besitzt und ein Herz, und wie der Kopf eine Stirn besitzt, und wie das Herz im Besitz von Herzkammern ist, so ist euere Gestalt eingegliedert als Teil, als Geschöpf in die Welt. Und euere Gestalt ist Besitz der Welt, wie die Welt Besitz eurer Schöpferkraft ist. Das heißt: Ihr seid der Besitz aller, und ihr besitzt alle, – ihr seid Geschöpf und Schöpfer zugleich.