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5. Juli. – Gefängnis zu Tarascon an der Rhone.
Ich komme vom Verhör zurück. Jetzt endlich weiß ich, wessen man uns beschuldigt, den Gouverneur und mich, warum man uns auf dem Tomahawk so plötzlich festgenommen und uns mitten im Glück harpuniert hat. Wie zwei aus klarem Wasser gefischte Seekrebse wurden mit an Bord eines französischen Schiffes geschafft. Dann wurden wir, mit Handschellen gefesselt, nach Marseille, von da nach Tarascon zurückgeführt und hier im Stadtgefängnis in engen Gewahrsam verbracht.
Wir sind des Betruges, der fahrlässigen Tötung und der Uebertretung des Auswanderungsgesetzes angeklagt. Ach! Natürlich mußte ich das Auswanderungsgesetz übertreten, denn heute habe ich zum erstenmal seinen Namen gehört, den Namen dieses nichtswürdigen Gesetzes.
Nach zwei Tagen der Einkerkerung, unter dem strengen Verbot, mit irgend jemand ein Wort zu sprechen – und das ist entsetzlich für einen Tarasconer – wurden wir vor den Untersuchungsrichter Bonaric ins Gerichtsgebäude geführt.
Dieser Beamte hat seine Laufbahn vor etwa zehn Jahren in Tarascon begonnen und kannte mich sehr gut, da er mehr als hundertmal in die Apotheke gekommen ist, wo ich ihm eine Salbe für ein chronisches Ekzema, das er auf der Backe hat, anfertigen mußte.
Nichtsdestoweniger hat er mich nach Namen, Vornamen, Alter und Beruf gefragt, als ob wir uns nie gesehen hätten. Ich mußte ihm alles sagen, was ich über die Port Tarasconer Geschichte wußte, und habe zwei Stunden unaufhörlich gesprochen. Sein Gerichtsschreiber konnte mir kaum nachkommen, so sehr war ich im Zug. Dann weder grüß Gott noch adieu: »Angeklagter, Sie können sich zurückziehen!«
In der Flur des Justizgebäudes meinen armen Gouverneur gefunden, den ich seit dem Tag unsrer Einkerkerung nicht wiedergesehen hatte, und der mir sehr verändert schien.
Im Vorbeigehen drückte er mir die Hand und flüsterte mir mit seiner sanften Stimme zu: »Mut, mein Kind. Die Wahrheit ist wie das Oel, sie schwimmt immer wieder oben auf!«
Er konnte mir nichts weiter sagen: die Gendarmen rissen ihn roh von mir fort.
Gendarmen für ihn! . . . Tartarin in Ketten, zu Tarascon! . . . Und dieser Grimm, dieser Haß eines ganzen Volkes! . . .
Stets wird es mir in den Ohren klingen dieses Wutgeschrei der Bevölkerung, dieser heiße Atem des Plebs, als uns der Gefangenenwagen, in dem jeder in seiner besondern Abteilung eingeschlossen war, ins Gefängnis zurückbrachte.
Ich konnte nichts sehen, aber ich hörte um uns her das Getöse einer großen Volksmenge. Der Wagen hielt einen Augenblick auf dem Marktplatz, den ich an den Gerüchen erkannte, die durch die Spalten mit den kleinen, hellen Lichtstrahlen zu mir hereindrangen; wie der Odem der Stadt erschien er mir, dieser Duft der Liebes- und Eieräpfel, der Melonen von Cavaillon, des roten spanischen Pfeffers und der großen, süßen Zwiebeln. Das Wasser lief mir im Mund zusammen, als ich alle diese guten Sachen roch, die ich schon so lange entbehren muß.
Es war ein solches Gedränge, daß unsre Pferde nicht weiter konnten. Tarascon war so bevölkert, so belebt, daß man nicht hätte glauben sollen, es sei jemals jemand ermordet, ertränkt oder von den Menschenfressern verzehrt worden. War es mir doch, als hatte ich die Stimme Cambalalettes, des Katasterbeamten, vernommen! Es war natürlich eine Täuschung, denn Bézuquet hat ja selbst von ihm gegessen, von unserm vielbeklagten Cambalalette. Das weiß ich aber gewiß, daß ich die schallende Stimme des Excourbaniès vernommen habe. Ueber den konnte man sich nicht täuschen, denn er übertönte alles andre Geschrei: »Ins Wasser! . . . In die Rhone! In die Rhone! . . . Hurra! . . . Ins Wasser mit Tartarin! . . .«
Ins Wasser mit Tartarin! . . . Welche Lehre der Weltgeschichte! Welch ein Blatt für die »Erinnerungen«!
Ich vergaß zu erwähnen, daß mir der Richter Bonaric mein an Bord des Tomahawk beschlagnahmtes Tagebuch zurückgegeben hat. Er hat es interessant gefunden und mich sogar aufgefordert, es fortzusetzen, und wegen der Dialektausdrücke, die sich ab und zu einschleichen, hat er in seinen roten Backenbart gelacht – ich habe gethan, als ob ich mitlachte.
Vom 5. bis 15. Juli. – Das Stadtgefängnis in Tarascon ist ein historisches Schloß, das alte Schloß des Königs René, das man, von seinen vier Türmen flankiert, schon von weitem am Ufer der Rhone erblickt.
Wir haben kein Glück mit den historischen Schlössern. Schon in der Schweiz, als man unsern Tartarin, und uns alle mit ihm, für nihilistische Rädelsführer hielt, warf man uns im Schlosse Chillon in das Verließ Bonnivards.
Es ist wahr, hier ist es weniger traurig; man hat doch volles Tageslicht und bekommt von der Rhone her frische Luft; auch regnet es nicht, wie in der Schweiz und in Port Tarascon.
Meine Zelle ist sehr eng: vier verputzte Wände, eine eiserne Bettstelle, ein Tisch und ein Stuhl. Die Sonne scheint durch ein vergittertes Fenster herein, das unmittelbar auf die Rhone hinausgeht.
Von hier aus wurden während der großen Revolution die Jakobiner in den Fluß gestürzt nach dem bekannten Lied: »Aus freiem Willen oder gezwungen, müssen Sie wagen . . .«
Und da das volkstümliche Repertoire nicht sehr viel Abwechslung bietet, wird dieses unheilverkündende Lied auch uns gesungen. Ich weiß nicht, wo sie meinen armen Gouverneur untergebracht haben, aber er wird wohl so gut wie ich die Stimmen vernehmen, die sich des Abends am Ufer der Rhone erheben, und sonderliche Betrachtungen daran knüpfen.
Wenn man uns nur wenigstens bei einander gelassen hätte . . . obgleich ich, um die Wahrheit zu sagen, seit meiner Rückkehr eine gewisse Erleichterung darin finde, allein zu sein und mich sammeln zu können.
Der vertrauliche Verkehr mit einem großen Mann wirkt nämlich auf die Länge ermüdend! Er spricht immer nur von sich und kümmert sich nichts um das, was andre interessiert. So hatte ich auch auf dem Tomahawk keine Minute für mich, keinen Augenblick, den ich bei meiner Clorinde hätte verbringen können. Wie oft sagte ich zu mir selbst: »Dort drunten ist sie!« Aber ich konnte nicht entwischen. Nach Tisch hatte ich schon die Schachpartie mit dem Kommodore, und den Rest des Tages ließ mich Tartarin nicht mehr los, besonders seit ich ihm die »Erinnerungen« eingestanden hatte. »Schreiben Sie dies. . . . Vergessen Sie nicht zu erwähnen, daß . . .« Und dann oft nicht sehr interessante Anekdoten über sich, über seine Eltern.
Man denke, daß Las Cases diesen Beruf jahrelang ausgeübt hat! Der Kaiser weckte ihn morgens um sechs Uhr, führte ihn zu Fuß, zu Pferd oder zu Wagen mit sich fort, und kaum unterwegs, begann er: »Folgen Sie, Las Cases? . . . Also fahren wir fort. . . . Als ich den Vertrag von Campo Formio unterzeichnet hatte . . .« Der arme Vertraute hatte auch seine eignen Angelegenheiten: sein krankes Kind, seine in Frankreich zurückgebliebene Frau; aber was war dies dem andern, der nichts wollte, als von sich erzählen, sich vor Europa, dem Weltall, der Nachwelt rein waschen, und dies tagtäglich, alle Morgen, alle Abende und zwar jahrelang! Dies will besagen, daß das wirkliche Opferlamm von Helena nicht Napoleon, sondern Las Cases war.
Mir ist dieses Martyrium jetzt erspart. Gott ist mein Zeuge, daß ich nichts dazu gethan habe, aber man hat uns getrennt, und ich benütze dies, um an mich, an mein Unglück, das groß ist, – und an meine vielgeliebte Clorinde zu denken.
Hält sie mich für schuldig? . . . Sie, nein; aber ihre Familie, alle diese Espazettes von Escudelles und Lambesc? . . . In diesen Kreisen ist ein Mann ohne Titel immer schuldig. Jedenfalls habe ich, von meiner Höhe herabgestürzt, wie ich es bin, keine Hoffnung mehr, je als Gatte Clorindes angenommen zu werden; ich werde meinen alten Beruf unter den Glasgefäßen Bézuquets, in der Apotheke auf der »Placette« wieder aufnehmen. . . . Und das ist der Ruhm!
17. Juli. – Ein Umstand, der mich viel beunruhigt, ist, daß niemand kommt, mich in meinem Gefängnis zu besuchen. Sie zürnen mir so sehr, wie meinem guten Herrn.
Meine einzige Zerstreuung in dieser völligen Abgeschiedenheit besteht darin, auf den Tisch zu steigen: so gelange ich bis an das vergitterte Fenster, und von da habe ich zwischen den Eisenstangen durch eine prachtvolle Aussicht.
Sonneflimmernd wälzt sich die Rhone zwischen ihren kleinen, mattgrünen Inseln dahin, die der Wind zerzaust. Der Himmel ist ganz schwarz von all den Turmschwalben, die strichweise vorbeifliegen; bald ertönt ihr Kreischen dicht vor mir, bald dringt es von hoch oben herab, und unten schwankt die Drahtbrücke, so lang und so dünn, daß man immer drauf gefaßt ist, sie wie einen Hut davonfliegen und verschwinden zu sehen.
An den Ufern des Flusses die Ruinen alter Schlösser, Beaucaire mit der Stadt zu seinen Füßen, und Courtezon und Vacqueyras. Hinter diesen dicken, von der Zeit verwitterten Mauern wurden ehemals Liebeshöfe abgehalten, wo die Troubadours, die Sänger von damals, von Prinzessinnen und Königinnen geliebt wurden und diese besangen, wie Pascalon seine Clorinde besingt. Ach, welcher Unterschied zwischen jenen fernen Zeiten und heute! Jetzt sind diese prunkenden Schlösser nur noch von Dornen und Wurzeln überwucherte elende Nester, und die Sänger haben gut vornehme Frauen und Fräulein besingen – man macht sich höchstens über sie lustig.
Einen weniger traurigen Anblick bietet der Kanal von Beaucaire mit all seinen grün und gelb gemalten, haufenweise zusammengedrängten Schiffen, und auf dem Damm die Uniformen der Soldaten, die ich von meiner Höhe herab spazieren gehen sah.
Wie sie sich freuen werden, die Beaucairesen, über das Mißgeschick Tartarins, über den Sturz unsres großen Mannes, denn der Ruhm Tartarins war unsern hochmütigen Nachbarn da drüben stets ein Dorn im Auge.
Aus meiner Kindheit erinnere ich mich noch der Wichtigthuerei, die sie mit ihrer Messe von Beaucaire hatten. Von allen Seiten strömte man dorthin – von Tarascon aber natürlich nicht, denn die Drahtbrücke ist viel zu gefährlich! – Es war ein riesiger Zufluß, mehr als wenigstens fünfmalhunderttausend Seelen zusammen auf dem Platz, wo die Messe abgehalten wurde! . . . Von Jahr zu Jahr hat das abgenommen. Es gibt noch eine Messe von Beaucaire, aber niemand geht mehr hin.
In der Stadt sieht man nichts als Anschlagzettel: »Zu vermieten. . . . Zu vermieten . . .« und wenn zufällig einmal ein Reisender, der Vertreter eines Handelshauses, hinkommt, wird er von den Einwohnern gefeiert, man reißt sich um ihn, und der Gemeinderat zieht ihm, die Musik voraus, entgegen. Kurzum, Beaucaire hat seinen ganzen Ruf eingebüßt, während Tarascon berühmt geworden ist. . . . Und wem hat es dies zu verdanken, wenn nicht Tartarin?
Von meinem Tisch, auf den ich gestiegen, habe ich soeben hinausgesehen und über all dies nachgedacht. Die Sonne ging unter, die Nacht brach herein und plötzlich flammte am andern Ufer der Rhone, auf dem Turm des Schlosses von Beaucaire, ein großes Feuer empor.
Es brannte lange; lange betrachtete ich dies Feuer. Es schien mir etwas Geheimnisvolles in ihm und in dem rötlichen Widerschein zu liegen, den es auf die Rhone warf, in der tiefen, nur durch den matten Flügelschlag der Fischadler unterbrochenen Stille der Nacht. Was mag es nur sein? Ein Signal?
Möchte am Ende jemand, irgend ein Bewunderer unsres großen Tartarin diesem zur Flucht verhelfen? . . . Es ist etwas zu Auffallendes um diese, gerade seinem Gefängnis gegenüber, auf einem alten, zerfallenen Turm entfachte Flamme!
18. Juli. – Als ich heute vom Verhör zurückkam und der Gefängniswagen an Sankt Martha vorüberfuhr, die noch immer herrische Stimme der Marquise von Espazettes vernommen, die in hiesigem Dialekt: »Clorende! . . . Clorende! . . .« rief; und eine sanfte, eine engelgleiche Stimme, die Stimme meiner Vielgeliebten antwortete: »Mama!«
Ohne Zweifel begab sie sich in die Kirche, um für mich, für den Ausgang des Prozesses zu beten.
Sehr ergriffen in mein Gefängnis zurückgekehrt. Einige provençalische Verse geschrieben über die glückliche Vorbedeutung dieses Zusammentreffens.
Am Abend, um die gleiche Stunde, wieder das gleiche Feuer auf dem Turm von Beaucaire. Es leuchtet da drüben in der Nacht wie die Holzstöße, die man zur Johannisfeier anzündet. Offenbar ist es ein Signal.
Tartarin, mit dem ich beim Verhör in dem engen Gang vor dem Zimmer des Richters ein paar Worte habe wechseln können, hat diese Feuer wie ich zwischen den Eisenstäben seines Kerkers hindurch gesehen; und als ich ihm sagte, was ich dachte: daß ihm vielleicht Freunde zur Flucht verhelfen wollten, wie einstens Napoleon auf Sankt Helena, schien ihm dieser Vergleich großen Eindruck zu machen.
»Ach! Wirklich, Napoleon in Sankt Helena . . . und man hat versucht, ihn zu befreien?«
Allein nach einem Augenblick der Ueberlegung hat er mir erklärt, daß er sich auf etwas derartiges nie einlassen werde. »Natürlich ist es nicht der Umstand, daß ich den dreihundert Fuß hohen Turm an einer, in dem vom Fluß herüberwehenden Nachtwind hin- und her schwankenden Strickleiter hinabklettern müßte, was mir Angst machen könnte. . . . Ich würde davor zurückschrecken, daß es den Anschein gewönne, als ob ich vor der Anklage fliehe. Nein, glauben Sie das nicht, Kind! Tartarin von Tarascon wird nicht entweichen!«
Ach, wenn alle die, die, so oft er vorüberkommt, brüllen: »In die Rhone! In die Rhone mit ihm!« dies hätten hören können! . . . Und ihn beschuldigt man des Betrugs! Ihn hat man für den Mitschuldigen dieses elenden Herzogs von Mons halten können! . . . Warum nicht gar! . . . Ist so etwas denn menschenmöglich? . . .
Immerhin hält er ihm jetzt nicht mehr die Stange, seinem Herzog; er beurteilt ihn nach seinem wahren Wert, diesen verruchten Belgier! Das wird man bei seiner schönen Verteidigungsrede sehen, denn Tartarin wird vor Gericht seine Sache selbst führen. Ich meinesteils stottere zu sehr, um öffentlich reden zu können; ich werde von Cicero Franquebalme verteidigt werden, und alle Welt weiß, welch unvergleichliche Logik der Beweisführung er in seinen Plaidoyers zu entwickeln versteht.
20. Juli, abends. – Die Stunden, die ich bei dem Untersuchungsrichter verbringe, sind sehr schmerzlich für mich! Die Schwierigkeit liegt nicht darin, mich zu verteidigen, sondern darin, dies zu thun, ohne meinen guten Herrn allzusehr zu belasten. Er ist so unvorsichtig gewesen, er hat dem Herzog von Mons gar so viel Vertrauen geschenkt! Und dann weiß man gar nicht, wie man mit Herrn Bonaric dran ist, ob man fürchten oder hoffen soll, das kommt von seinem intermittierenden Ekzema, das bei dieser Gerichtsperson zur fixen Idee wird: er ist wütend, wenn es sichtbar ist, und der beste Mensch von der Welt, wenn es nicht sichtbar ist.
Einer, bei dem es sichtbar ist und bei dem es auch immer sichtbar bleiben wird, das ist der unglückliche Bézuquet, der in jenen fernen Meeren mit seiner Tättowierung ganz behaglich weiter lebte, dem es aber jetzt unter dem tarasconischen Himmel vor sich selber ekelt, weshalb er nicht mehr ausgeht und sich so viel als möglich in sein Laboratorium verkriecht, wo er das Unterste zu oberst kehrt, Kräutersäfte zusammenbraut und seine Kunden unter einer Samtlarve bedient, wie ein Verschwörer in der komischen Oper.
Es ist eigentümlich, daß die Männer gegen derartige physische Uebel wie Flechten, Muttermale, Ekzemas und dergleichen empfindlich sind: vielleicht empfindlicher als die Frauen. Daraus entspringt gewiß auch der Groll Bézuquets gegen Tartarin, die Ursache all seiner Leiden.
24. Juli. – Gestern wiederum dem Richter Bonaric vorgeführt, ich glaube zum letztenmal. Er hat mir eine Flasche gezeigt, die von einem Rhonefischer zwischen den Inseln aufgefischt worden ist; er hat mich auch folgenden Brief lesen lassen, der in der Flasche eingeschlossen war:
»Tartarin. – Tarascon. – Stadtgefängnis. – Mut! Ein Freund wacht jenseits der Brücke. Wenn der Augenblick gekommen ist, wird er sie überschreiten.
Ein Opfer des Herzogs von Mons.«
Der Richter hat mich gefragt, ob ich mich erinnerte, jemals diese Handschrift gesehen zu haben. Ich habe geantwortet, daß ich sie nicht kenne; und da man immer die Wahrheit sagen muß, habe ich hinzugefügt, daß schon früher einmal diese Art von Korrespondenz mit Tartarin versucht worden sei; daß ihm vor unsrer Abreise von Tarascon eine ganz ähnliche Flasche mit einem Brief zugekommen sei, ohne daß er irgend welchen Wert darauf gelegt hätte, weil er es nur für eine Neckerei hielt.
Der Richter hat zu mir gesagt: »Es ist gut.« Und dann wie gewöhnlich: »Sie können sich zurückziehen.«
26. Juli. – Die Untersuchung ist beendigt, man kündet die Verhandlung als nahe bevorstehend an. Die Stadt ist in Aufregung. Die Gerichtsverhandlung wird etwa am 1. August beginnen. Bis dahin werde ich nicht mehr schlafen. Es ist übrigens schon lange her, daß ich kaum noch Schlummer finden kann in diesem engen, glühend heißen Loch. Ich bin gezwungen, das Fenster offen zu lassen; ganze Schwärme von Moskitos kommen herein, und ich höre die Ratten in allen Ecken knuppern.
In den letzten Tagen habe ich verschiedene Unterredungen mit Cicero Franquebalme gehabt. Er hat mit viel Bitterkeit von Tartarin gesprochen; ich merke, wie übel er es ihm nimmt, daß er ihm seine Sache nicht anvertraut hat. Armer Tartarin, er hat niemand für sich!
Es scheint, daß der Gerichtshof neu zusammengesetzt worden ist, Franquebalme hat mir die Namen der Richter genannt: Präsident Mouillard; Beisitzer Beckmann und Robert du Nord. Keine Beeinflussung kann geltend gemacht werden. Diese Herren sind, wie man mir sagt, nicht von hier. Uebrigens scheinen dies schon ihre Namen anzudeuten.
Aus ich weiß nicht welchem Grund hat man von den gegen uns erhobenen Anklagen die beiden Hauptpunkte, die fahrlässige Tötung und die Uebertretung des Auswanderungsgesetzes fallen lassen. Vor Gericht vorgeladen: Tartarin von Tarascon, der Herzog von Mons – aber es würde mich sehr wundernehmen, wenn dieser erschiene! – und Pascal Testanière, genannt Pascalon.
31. Juli. – Nacht voll Fieber und Angst. Morgen! Sehr lange im Bett geblieben. Nur noch die Kraft gehabt, folgendes tarasconische Sprichwort an die Mauer zu schreiben, das ich von Bravida, der sie alle kannte, so oft habe sagen hören:
»Im Bette liegend nicht schlafen können,
Auf andere stets vergeblich warten,
Und ohne Freud' in Liebe brennen,
Sind drei verschiedene Todesarten!«