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Kurze Wiederholung der Einwände gegen die Lehre von der Naturauslese. Kurze Wiederholung der allgemeinen und besonderen Umstände, die zu ihren Gunsten sprechen. Ursachen des allgemeinen Glaubens an die Unveränderlichkeit der Arten. Wie weit die Lehre von der Naturauslese ausgedehnt werden kann. Die Wirkungen ihrer Annahme auf die Betrachtung der Naturgeschichte. Schlußbemerkungen.
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Da dieser ganze Band ein langer Beweis ist, wird es vielleicht für den Leser angenehm sein, wenn die leitenden Thatsachen und Schlüsse kurz wiederholt werden.
Daß gegen die Lehre von der Abstammung, die mit der durch Abänderung und Naturauslese bewirkten Ummodelung verbunden ist, viele und ernste Einwände vorgebracht werden können, leugne ich nicht. Ich habe mich bemüht, sie in ihrer vollen Bedeutung erscheinen zu lassen. Nichts dünkt uns auf den ersten Blick unglaublicher, als daß die zusammengesetzteren Organe und Naturtriebe nicht durch ein der menschlichen Vernunft überlegenes, wenn auch ähnliches Vermögen vollendet worden sind, sondern durch die Anhäufung unzähliger leichter Abänderungen, von denen jede für den einzelnen Besitzer nützlich ist. Nichtsdestoweniger kann diese Schwierigkeit, obgleich sie unserer Einbildungskraft unübersteiglich hoch erscheint, nicht als wirklich betrachtet werden, wenn wir die folgenden Sätze zugeben, daß nämlich alle Teile der inneren Bildung und alle Naturtriebe wenigstens bei den einzelnen Wesen verschieden sind, daß ein Kampf ums Dasein stattfindet, der zu der Erhaltung nützlicher Abweichungen des Baus oder Naturtriebs führt, und schließlich daß Abstufungen im Stande der Vervollkommnung bei jedem Organe vorhanden gewesen sein können, von denen jede in ihrer Art gut war. Die Richtigkeit dieser Sätze kann, denke ich, nicht bestritten werden.
Es ist zweifellos äußerst schwierig, auch nur zu vermuten, durch welche Abstufungen viele Körperbildungen vollendet worden sind, besonders bei unterbrochenen und lückenhaften Gruppen organischer Wesen, die sehr durch Aussterben gelitten haben. Aber wir sehen so viele seltsame Abstufungen in der Natur, daß wir mit der Behauptung außerordentlich vorsichtig sein sollten, irgendein Organ oder ein Naturtrieb oder ein ganzer Körperbau könne nicht durch viele allmähliche Abstufungen zu dem gegenwärtigen Zustande gelangt sein. Man muß zugeben, daß es besonders schwierige Fälle giebt, die sich der Lehre von der Naturauslese entgegenstellen, und einer der seltsamsten ist das Vorkommen von zwei oder drei abgegrenzten Abteilungen von Arbeitern oder unfruchtbaren weiblichen Ameisen in demselben Gemeinwesen. Aber ich habe versucht zu zeigen, wie man dieser Schwierigkeiten Herr werden kann.
Mit Bezug auf die beinahe allgemeine Unfruchtbarkeit der Arten bei ihrer ersten Kreuzung, die einen so merkwürdigen Gegensatz gegen die fast allgemeine Fruchtbarkeit der Spielarten bei der Kreuzung bildet, muß ich den Leser auf die kurze Wiederholung der Thatsachen verweisen, die ich am Schluß des neunten Kapitels gegeben habe, die mir endgiltig zu zeigen scheinen, daß diese Unfruchtbarkeit ebenso wenig eine besondere Naturgabe ist wie die Unfähigkeit zweier getrennter Baumarten, aufeinander gepfropft zu werden, daß sie hingegen eine Begleiterscheinung von Verschiedenheiten ist, die sich auf das Fortpflanzungssystem der gekreuzten Arten beschränken. Wir erkennen die Richtigkeit dieses Schlusses aus der ungeheuren Verschiedenheit in den Ergebnissen bei der wechselseitigen Kreuzung derselben beiden Arten, d. h. wenn eine Art zuerst als Vater und dann als Mutter gebraucht wird. Ähnliche Fälle bei der Betrachtung der zweigestaltigen und dreigestaltigen Pflanzen leiten deutlich zu demselben Schlusse. Denn wenn die Formen unrechtmäßig verbunden werden, tragen sie wenig oder keinen Samen, und ihr Nachwuchs ist mehr oder weniger unfruchtbar, und diese Formen gehören zu denselben zweifellosen Arten und unterscheiden sich voneinander in keiner Hinsicht außer in ihrem Fortpflanzungssystem und dessen Thätigkeit.
Obgleich so viele Schriftsteller behauptet haben, daß die Fruchtbarkeit der gekreuzten Spielarten und ihrer Mischlingsnachkommenschaft ganz allgemein sei, kann dies nach den Thatsachen, die von so hervorragenden Kennern wie Gärtner und Kölreuter angeführt werden, nicht als ganz richtig angesehen werden. Die meisten Spielarten, mit denen man Versuche angestellt hat, sind unter dem Einfluß der Zucht erzeugt worden, und da die Zucht, ich meine nicht bloße Einschließung, beinahe sicher darauf hinwirkt, diejenige Unfruchtbarkeit zu beseitigen, die, wenn man nach ähnlichen Fällen urteilt, die Elternarten bei der Kreuzung betroffen haben würde, dürfen wir nicht erwarten, daß die Zucht ebenfalls Unfruchtbarkeit bei der Kreuzung ihrer umgemodelten Nachkommen herbeiführen würde. Diese Beseitigung der Unfruchtbarkeit folgt offenbar aus derselben Ursache, die unseren Haustieren erlaubt, sich unter verschiedenartigen Umständen ungehindert fortzupflanzen, und dies folgt offenbar wieder daraus, daß sie sich allmählich an die häufigen Umwandlungen in ihren Lebensbedingungen gewöhnt haben.
Eine doppelte und gleichlaufende Reihe von Thatsachen scheint auf die Unfruchtbarkeit der zum erstenmal gekreuzten Arten und ihrer Bastardnachkommenschaft ein helles Licht zu werfen. Auf der einen Seite haben wir guten Grund zu glauben, daß leichte Umwandlungen in den Lebensbedingungen allen organischen Wesen Kraft und Fruchtbarkeit giebt. Wir wissen auch, daß eine Kreuzung zwischen den verschiedenen Vertretern derselben Spielart und zwischen verschiedenen Spielarten die Zahl ihrer Nachkommenschaft vergrößert und ihnen sicher vermehrte Größe und Kraft verleiht. Das kommt hauptsächlich daher, daß die Formen, die gekreuzt werden, etwas verschiedenen Lebensbedingungen ausgesetzt worden sind. Denn ich habe durch eine Reihe mühevoller Versuche festgestellt, daß, wenn alle Vertreter einer Spielart mehrere Geschlechter hindurch denselben Bedingungen unterworfen sind, der aus dem Kreuzen entspringende Nutzen sich oft sehr vermindert oder ganz verschwindet. Das ist die eine Seite des Falls. Auf der anderen Seite wissen wir, daß Arten, die lange Zeit beinahe gleichförmigen Bedingungen ausgesetzt gewesen sind, wenn sie in der Gefangenschaft neuen und sehr umgewandelten Bedingungen unterworfen werden, entweder eingehen oder, wenn sie am Leben bleiben, unfruchtbar werden, obgleich ihre Gesundheit nicht gestört wird. Bei unseren Hausspielarten, die lange schwankenden Bedingungen ausgesetzt gewesen sind, geschieht das nicht oder nur in sehr geringem Maße. Wenn wir daher finden, daß Bastarde, die durch eine Kreuzung zwischen zwei verschiedenen Arten erzeugt worden sind, an Zahl genug sind, weil sie bald nach der Empfängnis oder in sehr frühem Alter eingehen oder, wenn sie am Leben bleiben, mehr oder weniger unfruchtbar werden, so ist es höchst wahrscheinlich, daß dies Ergebnis eine Folge der großen Umwandlungen in ihren Lebensbedingungen ist, der sie in der That durch ihre Zusammensetzung aus zwei verschiedenen Bildungen unterworfen worden sind. Wer endgiltig erklären kann, warum sich z. B. ein Elefant oder ein Fuchs in ihrem Heimatlande in der Gefangenschaft nicht fortpflanzen, während sich das Hausschwein oder der Haushund unter den verschiedenartigsten Bedingungen ungehindert fortpflanzen, wird zugleich imstande sein, eine endgiltige Antwort auf die Frage zu geben, warum zwei getrennte gekreuzte Arten sowohl wie ihre Bastardnachkommenschaft gewöhnlich mehr oder weniger unfruchtbar werden, während zwei gekreuzte Zuchtspielarten und ihre Mischlingsnachkommenschaft vollkommen fruchtbar sind.
Wenn wir uns zur Verteilung der organischen Wesen über die Erdoberfläche wenden, so sind die Schwierigkeiten, die der Lehre von der mit Ummodelung verbundenen Abstammung entgegentreten, ernsthaft genug. Alle Vertreter einer Art und alle Arten einer Gattung oder selbst einer höheren Gruppe stammen von gemeinsamen Eltern, und daher müssen sie, in wie weit voneinander entfernten und abgesonderten Teilen der Welt sie jetzt gefunden werden mögen, im Laufe der aufeinanderfolgenden Geschlechter von irgendeinem Punkte nach allen übrigen gewandert sein. Wir sind oft gänzlich außer Stande, selbst nur zu vermuten, wie das geschehen sein kann. Da wir jedoch Grund haben, anzunehmen, daß einige Arten dieselbe artbildende Form für sehr lange Zeiträume behalten haben, die nach Jahren gemessen unermeßlich lang wären, so sollte man der gelegentlichen weiten Verbreitung einer Art nicht zuviel Wert beimessen; denn während sehr langer Zeiträume werden viele Mittel immer eine gute Gelegenheit zu weiter Wanderung geboten haben. Ein zerteiltes oder unterbrochenes Verbreitungsgebiet kann oft durch das Aussterben von Arten in dazwischenliegenden Gegenden erklärt werden. Es läßt sich nicht leugnen, daß wir bis jetzt sehr wenig über die volle Ausdehnung der mannigfachen Klima- und Bodenveränderungen wissen, die die Erde während der neuen Erdbildungszeit betroffen haben, und solche Veränderungen werden die Wanderungen oft erleichtert haben. Um ein Beispiel zu geben, habe ich zu zeigen versucht, wie mächtig der Einfluß der Eiszeit auf die Verteilung derselben und verwandten Arten in der ganzen Welt gewesen ist. Unsere Unkenntnis der vielen gelegentlichen Beförderungsmittel ist noch außerordentlich groß. Bei den getrennten Arten einer Gattung, die weit voneinander entfernte und abgesonderte Gegenden bewohnten, werden, da der Vorgang der Ummodelung notwendig sehr langsam gewesen ist, alle Mittel der Wanderung während eines sehr langen Zeitraums gewirkt haben können, und infolgedessen wird die Schwierigkeit der weiten Verbreitung der Arten einer Gattung einigermaßen verringert.
Da nach der Lehre von der Naturauslese eine unendliche Zahl von Mittelformen vorhanden gewesen sein müssen, die alle Arten einer jeden Gruppe durch so feine Abstufungen, wie unsere jetzt vorhandenen Spielarten, miteinander verknüpften, so kann man fragen: Warum sehen wir diese verbindenden Formen nicht alle um uns? Warum mischen sich nicht alle organischen Wesen zu einem unentwirrbaren Chaos? Mit Bezug auf die vorhandenen Formen sollten wir uns erinnern, daß wir außer in seltenen Fällen nicht erwarten dürfen, verbindende Glieder gerade in der Mitte zwischen ihnen zu entdecken. Höchstens können wir solche zwischen einer jeden vorhandenen Form und irgendeiner ausgestorbenen oder verdrängten Form erwarten. Sogar in einem weiten Gebiete, das während eines langen Zeitraums zusammengehangen hat, und dessen Klima und andere Lebensbedingungen sich nur unmerklich wandeln, wenn man von einem Bezirke, den eine Art bewohnt, in einen anderen von einer nahe verwandten Art bewohnten weitergeht, dürfen wir nicht gerade erwarten, oft Mittelspielarten in den Mittelstrichen zu finden. Denn wir haben Grund zu der Annahme, daß immer nur einige Arten einer Gattung eine Umwandlung erfahren, während die anderen völlig aussterben und keine umgemodelte Nachkommenschaft hinterlassen. Von den Arten, die sich umwandeln, wandeln sich in demselben Lande und zu gleicher Zeit nur ein paar um, und alle Ummodelungen gehen langsam von Statten. Ich habe auch gezeigt, daß die Zwischenspielarten, die wahrscheinlich zuerst in den Mittelstrichen lebten, in Gefahr waren, von den verwandten Formen auf beiden Seiten verdrängt zu werden; denn die letzteren werden, da sie in größerer Anzahl vorhanden waren, gewöhnlich schneller umgemodelt und vervollkommnet worden sein, als die Zwischenspielarten, die in geringeren Mengen da waren, so daß diese mit der Länge der Zeit verdrängt und ausgerottet wurden.
Warum ist nach dieser Lehre von dem Aussterben einer unendlichen Menge von verbindenden Gliedern zwischen den lebenden und ausgestorbenen Bewohnern der Erde und zwischen den ausgestorbenen und noch älteren Arten in jedem der aufeinanderfolgenden Zeitalter nicht jede Erdschicht mit solchen Gliedern angefüllt? Warum bietet nicht jede Sammlung versteinerter Überreste den klaren Beweis für die Abstufung und Veränderung der Lebensformen? Obgleich die geologische Forschung das frühere Vorhandensein vieler Glieder, die zahlreiche Lebensformen einander viel näher bringen, zweifellos dargethan hat, weist sie nicht die unendlich vielen feinen Abstufungen zwischen vergangenen und gegenwärtigen Arten nach, die die Lehre fordert, und dies ist von allen Einwänden, die gegen sie vorgebracht werden können, der einleuchtendste. Warum scheinen ferner ganze Gruppen verwandter Arten plötzlich in den aufeinanderfolgenden Schichten aufgetreten zu sein, wenn auch dieser Anschein oft falsch ist? Obgleich wir jetzt wissen, daß organische Wesen in unberechenbar zurückliegender Zeit auf dieser Erdkugel erschienen, lang bevor die unterste Lage des kambrischen Systems abgelagert wurde, warum finden wir unter diesem Systeme nicht große Mengen von Lagern, die mit den Überresten der Vorfahren der kambrischen Versteinerungen durchsetzt sind? Denn nach der Lehre müssen solche Lager in diesen alten und völlig unbekannten Zeitaltern der Geschichte der Erde irgendwo abgelagert worden sein.
Ich kann diese Fragen und Einwände nur unter der Voraussetzung beantworten, daß die geologische Urkunde weit unvollständiger ist, als die meisten Geologen glauben. Die Anzahl der Fundstücke in allen unseren Museen ist geradezu ein Nichts im Vergleich mit den zahllosen Geschlechtern der zahllosen Arten, die sicher gelebt haben. Die Elternform von zwei oder mehr beliebigen Arten würde in allen ihren Merkmalen ebenso wenig gerade in der Mitte stehen zwischen ihrer umgemodelten Nachkommenschaft wie die Felsentaube in Kropf und Schwanz zwischen ihren Nachkommen, der Kropftaube und der Pfautaube, gerade die Mitte hält. Wir würden nicht imstande sein, eine Art als die Elternform einer anderen umgemodelten Art zu erkennen, wenn wir zwei noch so nahestehende prüften, ohne die meisten der Zwischenglieder zu besitzen. Und infolge der Unvollständigkeit der geologischen Urkunde haben wir kaum das Recht, die Auffindung so vieler Verbindungsglieder zu erwarten. Wenn zwei oder drei oder selbst noch mehr verbindende Formen entdeckt würden, würden sie von vielen Naturforschern einfach als ebenso viele neue Arten angesetzt werden, besonders wenn sie sich in verschiedenen Teilschichten finden, seien ihre Unterschiede auch noch so geringfügig. Ich könnte zahlreiche lebende zweifelhafte Formen nennen, die wahrscheinlich Spielarten sind; aber wer will behaupten, daß in künftigen Jahrhunderten so viele versteinerte Verbindungsglieder werden entdeckt werden, daß die Naturforscher imstande sein werden, zu entscheiden, ob diese zweifelhaften Formen Spielarten genannt werden müssen oder nicht? Nur ein kleiner Teil der Erde ist geologisch erforscht worden, nur organische Wesen gewisser Klassen können, wenigstens in irgendwie größerer Menge, sich im versteinerten Zustande erhalten. Manche einmal gebildeten Arten erfahren nie irgendeine fernere Umwandlung, sondern sterben aus, ohne umgemodelte Nachkommen zu hinterlassen, und die Zeiträume, während welcher die Arten eine Ummodelung erfahren haben, sind, wenn auch nach Jahren gemessen, lang, wahrscheinlich kurz gewesen im Vergleich mit den Zeiträumen, während welcher sie dieselbe Form behielten. Es sind die herrschenden und weitverbreiteten Arten, die sich am häufigsten und meisten abändern, und die Spielarten sind oft zuerst örtlich, zwei Gründe, die die Entdeckungen von Zwischengliedern in irgendeiner Schicht wenig wahrscheinlich machen. Örtliche Spielarten werden sich nicht in andere und entfernte Gegenden verbreiten, ehe sie beträchtlich umgemodelt und vervollkommnet sind, und wenn sie sich verbreitet haben und in einer Erdschicht entdeckt werden, scheinen sie dort plötzlich geschaffen zu sein, und sie werden einfach als eine neue Art eingereiht werden. Die meisten Schichten sind in ihrer Anhäufung unterbrochen worden, und ihre Dauer ist wahrscheinlich kürzer gewesen als die Durchschnittsdauer der artbildenden Formen. Aufeinanderfolgende Schichten sind in den meisten Fällen durch leere Zeiträume von großer Länge voneinander getrennt, denn Versteinerungen führende Schichten, die mächtig genug sind, um künftiger Abspülung zu widerstehen, können nach einer allgemeinen Regel nur aufgehäuft werden, wo viel Niederschlag in dem sinkenden Bett der See abgelagert wird. Während der wechselnden Zeiten der Erhebung und des Gleichbleibens der Höhenlage wird die Urkunde gewöhnlich unbeschrieben sein. Während dieser letzteren Zeiträume wird wahrscheinlich mehr Veränderlichkeit in den Lebensformen, während der Zeiten des Sinkens mehr Aussterben vorkommen.
In betreff des Fehlens von Versteinerungen führenden Lagern unter der kambrischen Schicht kann ich nur auf die im zehnten Kapitel angegebene Annahme verweisen, daß nämlich unsere Festländer und Weltmeere zwar eine ungeheure Zeit hindurch in nahezu ihrer jetzigen Lage gedauert haben, wir aber keinen Grund haben vorauszusetzen, daß dies immer der Fall gewesen ist. Folglich können Schichten, die viel älter sind als irgendeine jetzt bekannte, unter den großen Weltmeeren begraben liegen. Sir William Thompsons Einwand gegenüber, daß die Zeit, die verflossen ist, seit unser Planet fest geworden ist, für das angenommene Maß der organischen Umwandlung nicht ausgereicht hat – und dieser Einwand wiegt wahrscheinlich von allen bisher vorgebrachten mit am schwersten – kann ich nur sagen, daß wir erstens nicht wissen, mit welcher nach Jahren gemessenen Schnelligkeit sich die Arten umwandeln, und daß zweitens viele Philosophen bis jetzt nicht zugeben wollen, daß wir von der Zusammensetzung des Weltalls und von dem Innern unserer Erdkugel genug wissen, um mit Sicherheit Vermutungen über ihre vergangene Dauer auszusprechen.
Daß die geologische Urkunde unvollständig ist, werden alle zugeben, aber daß sie es in dem von unserer Lehre geforderten Grade ist, werden wenige geneigt sein, zuzugeben. Wenn wir hinreichend lange Zeiträume betrachten, so erklärt die Geologie deutlich, daß die Arten sich alle umgewandelt haben, und sie haben sich in der von unserer Lehre geforderten Art, nämlich langsam und stufenweise umgewandelt. Wir erkennen dies deutlich daraus, daß die versteinerten Überreste in zwei dicht aufeinanderfolgenden Schichten stets viel näher miteinander verwandt sind, als die Versteinerungen aus weit getrennten Schichten.
Das ist die Summe der verschiedenen Haupteinwände und -schwierigkeiten, die mit Recht gegen die Lehre vorgebracht werden können, und ich habe jetzt kurz die Antworten und Erklärungen zusammengefaßt, die, soweit ich sehen kann, gegeben werden können. Ich habe diese Schwierigkeiten viele Jahre hindurch viel zu schwer empfunden, als daß ich ihr Gewicht hätte bezweifeln sollen. Aber es verdient besondere Beachtung, daß die wichtigeren Einwände sich auf Fragen beziehen, über die wir, wie alle gestehen, nichts wissen; wir wissen nicht einmal, wie unwissend wir sind. Wir kennen nicht alle die möglichen Übergangsstufen von den einfachsten zu den vollkommensten Organen. Es kann nicht behauptet werden, daß wir all die mannigfaltigen Mittel der Verteilung während des langen Verlaufs der Jahre kennen, oder daß wir wissen, wie unvollständig die geologische Urkunde ist. So ernsthaft diese verschiedenen Einwände sein mögen, so sind sie meines Erachtens keineswegs hinreichend, um die Lehre von der Abstammung mit der darauf folgenden Ummodelung über den Haufen zu werfen.
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Wenden wir uns nun zu der anderen Seite des Beweises. Unter dem Einflusse der Zucht sehen wir große Veränderlichkeit durch umgewandelte Lebensbedingungen verursacht oder wenigstens angeregt, aber in so undeutlicher Weise, daß wir versucht sind, die Veränderungen als von selbst geschehend anzusehen. Die Veränderlichkeit wird durch viele verwickelte Gesetze beherrscht, durch die Wechselbeziehungen beim Wachstum, die Ausgleichung, den vermehrten Gebrauch und Nichtgebrauch der Körperteile und die endgültige Wirkung der umgebenden Bedingungen. Es ist sehr schwer festzustellen, in welchem Maße unsere Zuchterzeugnisse sich umgemodelt haben; aber wir können sicher schließen, daß es sehr groß gewesen ist. und daß die Ummodelung für lange Zeiträume vererbt werden kann. Wir haben Grund zu der Annahme, daß, solange die Lebensbedingungen gleich bleiben, eine Ummodelung, die schon viele Geschlechter hindurch vererbt worden ist, sich auf eine beinahe unendliche Zahl von Geschlechtern weiter vererben kann. Andererseits haben wir Beweise, daß die Veränderlichkeit, wenn sie einmal ins Spiel gekommen ist, unter dem Einflusse der Zucht für eine sehr lange Zeit weiterwirkt; wir wissen auch nichts davon, daß sie jemals aufhört, denn von unseren ältesten Zuchterzeugnissen sind ab und zu noch neue Spielarten hervorgebracht worden.
Die Veränderlichkeit wird nicht thatsächlich vom Menschen hervorgerufen, er setzt nur organische Wesen unabsichtlich neuen Lebensbedingungen aus, und dann wirkt die Natur auf die innere Bildung und veranlaßt sie, sich abzuändern. Aber der Mensch kann die ihm von der Natur gegebenen Abänderungen auslesen, und er thut es und häuft sie so in jeder gewünschten Weise an. Derart paßt er Tiere und Pflanzen seinem eigenen Nutzen und Vergnügen an. Er kann es planmäßig thun oder unbewußt, indem er die Geschöpfe erhält, die ihm am nützlichsten oder angenehmsten sind, ohne irgendwelche Absicht, die Rasse zu ändern. Es ist sicher, daß er einen weitgehenden Einfluß auf das Gepräge einer Rasse üben kann, indem er in jedem der aufeinanderfolgenden Geschlechter Geschöpfe mit Verschiedenheiten auswählt, die so geringfügig sind, daß sie nur ein geübtes Auge erkennen kann. Dieser unbewußte Vorgang der Auslese ist die große Macht bei der Bildung der verschiedensten und nützlichsten Haustierrassen gewesen. Daß viele von dem Menschen hervorgerufene Rassen in hohem Maße das Gepräge der natürlichen Arten haben, zeigt sich in den unentwirrbaren Zweifeln bei vielen von ihnen, ob sie Spielarten oder von Ursprung an getrennte Arten sind.
Es ist nicht einzusehen, warum die Grundgesetze, die bei der Zucht so kräftig gewirkt haben, im Naturzustande nicht gewirkt haben sollten. In dem Überleben der begünstigten einzelnen Geschöpfe und der Rassen während des beständig wiederkehrenden Kampfes ums Dasein sehen wir eine mächtige und stets wirkende Form der Auslese. Der Kampf ums Dasein ergiebt sich unvermeidlich aus dem hohen Prozentsatze der Vermehrung, der allen organischen Wesen gemeinsam ist. Dieser hohe Satz der Vermehrung wird durch die Berechnung, durch die schnelle Vermehrung vieler Tiere und Pflanzen während einer Aufeinanderfolge besonderer Jahreszeiten und nach ihrer Eingewöhnung in neuen Ländern bewiesen. Es werden mehr Geschöpfe geboren, als am Leben bleiben können. Ein Korn auf der Wagschale kann entscheiden, welche Geschöpfe am Leben bleiben und welche sterben, welche Spielart oder Art an Zahl wachsen, welche abnehmen und schließlich aussterben soll. Da die Vertreter einer Art in jeder Beziehung in den engsten Wettbewerb miteinander kommen, so wird der Kampf zwischen ihnen gewöhnlich am heftigsten sein, beinahe ebenso heftig wird er zwischen den Spielarten einer Art und darnach am heftigsten zwischen den Arten einer Gattung sein. Andererseits wird der Kampf oft zwischen Geschöpfen heftig sein, die einander auf der Stufenleiter der Natur fern stehen. Der geringste Vorteil, den gewisse Geschöpfe in irgendeinem Alter oder zu irgendeiner Jahreszeit über die erlangen, mit denen sie in Wettbewerb treten, oder eine auch nur im geringsten bessere Anpassung an die umgebenden natürlichen Bedingungen wird schließlich den Ausschlag geben.
Da die Geologie deutlich ausspricht, daß alles Land große natürliche Umwandlungen erfahren hat, hätten wir erwarten können, daß sich die organischen Wesen im Naturzustande in derselben Weise abgeändert haben, wie unter dem Einflüsse der Hauspflege. Und wenn es irgendeine Veränderlichkeit im Naturzustande gegeben hat, so würde es eine unerklärliche Thatsache sein, wenn die Naturauslese nicht ins Spiel gekommen wäre. Es ist oft behauptet worden, läßt sich indessen nicht beweisen, daß das Maß der Abänderung im Naturzustande genau begrenzt ist. Wenn der Mensch auch nur auf äußerliche Merkmale und oft launenhaft wirkt, so kann er doch in einem kurzen Zeitraum einen großen Erfolg haben, indem er bei seinen Zuchterzeugnissen bloße Verschiedenheiten der Einzelwesen zu einander fügt. Und jedermann giebt zu, daß die Arten Verschiedenheiten der Einzelwesen aufweisen. Aber neben solchen Unterschieden bestehen, wie alle Naturforscher zugeben, natürliche Spielarten, die als hinreichend verschieden betrachtet werden, um der Aufzeichnung in systematischen Werken wert zu sein. Niemand hat eine deutliche Scheidelinie zwischen Verschiedenheiten der Einzelwesen und wenig hervorstechenden Spielarten oder zwischen deutlicher ausgeprägten Spielarten und Unterarten und Arten gezogen. Was für eine Menge von Formen leben auf getrennten Festländern und in getrennten Teilen desselben durch Schranken irgendwelcher Art geteilten Festlandes und auf naheliegenden Inseln, die manche erfahrene Naturforscher als Spielarten, andere als geographische Rassen oder Unterarten, noch andere als getrennte, wenn auch nahe verwandte Arten ansetzen.
Wenn also Tiere und Pflanzen sich abändern, sei es auch noch so unbedeutend oder langsam, warum sollten nicht Abänderungen oder Verschiedenheiten der Einzelwesen, die irgendwie nützlich sind, durch die Naturauslese oder das Überleben der Tauglichsten erhalten und angehäuft werden? Wenn der Mensch mit Geduld Abänderungen, die ihm nützlich sind, auslesen kann, warum sollten nicht unter sich umwandelnden und verwickelten Lebensbedingungen oft Abänderungen entstehen, die für die lebenden Naturerzeugnisse wichtig sind und erhalten oder ausgelesen werden? Welche Grenze kann dieser Kraft gesetzt werden, die während langer Jahrhunderte streng die ganze Beschaffenheit, den Bau und die Gewohnheiten jedes Geschöpfes prüft, die guten begünstigt und die schlechten verwirft? Ich kann nicht sehen, wie diese Kraft bei der langsamen und vorzüglichen Anpassung jeder Form an die verwickeltsten Beziehungen des Lebens beschränkt sein kann. Die Lehre von der Naturauslese scheint, selbst wenn wir nicht weiter blicken, im höchsten Grade wahrscheinlich. Ich habe nunmehr so gerecht wie möglich die vorgebrachten Schwierigkeiten und Einwendungen zusammengefaßt. Jetzt wollen wir uns zu den besonderen Thatsachen und Beweisen wenden, die für die Lehre sprechen.
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Nach der Ansicht, daß Arten nur stark ausgeprägte und dauernde Spielarten sind, und jede Art zuerst als Spielart da war, können wir erkennen, woher es kommt, daß zwischen Arten, die nach der gewöhnlichen Annahme durch besondere Akte der Schöpfung, und Spielarten, die, wie anerkannt wird, durch abgeleitete Gesetze hervorgebracht worden sind, keine Grenzlinie gezogen werden kann. Nach dieser selben Ansicht können wir begreifen, woher in einer Gegend, in der viele Arten einer Gattung hervorgebracht worden sind und jetzt gedeihen, diese selben Arten viele Spielarten aufweisen werden. Denn wo die Anfertigung von Arten rege gewesen ist, können wir als allgemeine Regel erwarten, sie noch in Thätigkeit zu finden, und das ist der Fall, wenn Spielarten beginnende Arten sind. Überdies behalten die Arten der größeren Gattungen, die die Mehrzahl von Spielarten oder beginnenden Arten darbieten, in einem gewissen Grade das Gepräge von Spielarten, denn sie unterscheiden sich voneinander durch ein geringeres Maß von Verschiedenheit als die Arten der kleineren Gattungen. Die nahe verwandten Arten der größeren Gattungen haben auch offenbar beschränkte Verbreitungsgebiete und sind in ihren Verwandtschaften in kleinen Gruppen rings um andere Arten versammelt. In diesen beiden Punkten ähneln sie den Spielarten. Das sind, wenn man jede Art für sich geschaffen sein läßt, sonderbare Beziehungen; sie werden aber verständlich, wenn jede Art zuerst als Spielart lebte.
Da jede Art nach dem Prozentsatz ihrer Fortpflanzung ungewöhnlich an Zahl zu wachsen strebt, und da die umgemodelten Nachkommen einer jeden Art in dem Maße, wie sie verschiedenartiger in Gewohnheiten und Bau werden, imstande sein werden, sich zu vermehren, so daß sie viele und sehr verschiedene Plätze im Haushalte der Natur einnehmen, so wird die Naturauslese das beständige Streben haben, die am meisten voneinander abweichenden Nachkommen einer jeden Art zu erhalten. Daher haben während des lange fortgesetzten Verlaufes der Ummodelung die unbedeutenden Verschiedenheiten, welche die Spielarten einer Art kennzeichnen, das Bestreben, zu den größeren Verschiedenheiten zu wachsen, die die Arten einer Gattung kennzeichnen. Neue und vervollkommnete Spielarten werden unvermeidlich die älteren, weniger vervollkommneten und die Zwischenspielarten verdrängen und ausrotten, und so werden die Arten in hohem Maße begrenzte und getrennte Gegenstände. Herrschende Arten, die zu den größeren Gruppen in jeder Klasse gehören, streben darnach, neue und herrschende Formen hervorzubringen, so daß jede große Gruppe bestrebt ist, noch größer zu werden und zugleich in den Merkmalen weiter auseinanderzugehen. Da aber nicht alle Gruppen so weiterwachsen können, – denn die Welt könnte sie nicht fassen – so schlagen die herrschenderen Gruppen die weniger herrschenden. Diese Neigung der größeren Gruppen zum Wachsen an Zahl und zum Auseinandergehen in den Merkmalen erklärt im Verein mit dem unvermeidlichen Vorkommen des Aussterbens vieler Wesen die Anordnung aller Lebensformen in Gruppen, die anderen Gruppen untergeordnet sind und einige große Klassen bilden, eine Anordnung, die von Anbeginn geherrscht hat. Diese große Thatsache der Gruppierung aller organischen Wesen unter das, was man das natürliche System nennt, ist nach der Schöpfungslehre durchaus unerklärlich.
Da die Naturauslese nur durch die Aufspeicherung geringfügiger, aufeinanderfolgender, günstiger Abänderungen wirkt, kann sie keine großen oder plötzlichen Ummodelungen hervorbringen; sie kann nur in kleinen und langsamen Schritten vorgehen. Daher ist der Satz »die Natur macht keine Sprünge«, welchen jede Vermehrung unserer Kenntnisse zu bestätigen strebt, nach dieser Lehre verständlich. Wir können einsehen, warum überall in der Natur dasselbe Ziel mit einer fast unendlichen Mannigfaltigkeit von Mitteln erreicht wird; denn jede einmal erworbene Eigentümlichkeit wird lange vererbt, und Bildungen, die schon auf mannigfache Weise umgemodelt worden sind, müssen demselben allgemeinen Zweck angepaßt werden. Kurz, wir können erkennen, warum die Natur mit Abänderungen verschwenderisch, aber mit Neuerungen karg ist. Warum das aber ein Naturgesetz sein sollte, wenn jede Art für sich erschaffen worden ist, kann niemand erklären.
Viele andere Thatsachen sind, wie mir scheint, nach unserer Lehre erklärlich. Wie seltsam ist es, daß ein Vogel, der die Form eines Spechtes hat, auf Kerbtiere am Erdboden Jagd macht, daß Landgänse, die selten oder nie schwimmen, Schwimmfüße besitzen, daß ein der Drossel ähnlicher Vogel taucht und sich von im Wasser lebenden Kerbtieren ernährt, und daß ein Sturmvogel durch Gewohnheiten und Bau für das Leben eines Alks tauglich wird. Ebenso ist es in zahllosen anderen Fällen. Aber nach der Ansicht, daß jede Art sich fortwährend an Zahl zu vermehren sucht und die Naturauslese immer bereit ist, die sich langsam abändernden Nachkommen einer jeden jedem unbesetzten oder schlecht besetzten Platz in der Natur anzupassen, erscheinen diese Thatsachen nicht mehr seltsam, sondern sie hätten sogar vorausgesetzt werden können.
Wir können bis zu einem gewissen Grade verstehen, wie es kommt, daß so viel Schönheit rings in der Natur vorhanden ist, denn das kann in hohem Maße der Wirksamkeit der Naturauslese zugeschrieben werden. Daß die Schönheit nach unserem Begriffe davon nicht allgemein ist, muß jeder zugeben, der auf einige giftige Schlangen, einige Fische und gewisse häßliche Fledermäuse blickt, die eine verzerrte Ähnlichkeit mit dem menschlichen Antlitz haben. Die Geschlechtsauslese hat den Männchen und zuweilen beiden Geschlechtern vieler Vögel, Schmetterlinge und anderer Tiere die glänzendsten Farben, zierliche Muster und andere Verzierungen gegeben. Bei den Vögeln hat sie oft die Stimme des Männchens für das Weibchen ebenso wie für unsere Ohren wohlklingend gemacht. Blüten und Früchte sind im Gegensatze zu dem grünen Laubwerk durch glänzende Farben sichtbar gemacht worden, damit die Blüten von den Kerbtieren leicht gesehen, besucht und befruchtet und die Samen durch die Vögel ausgestreut werden können. Wie es kommt, daß gewisse Farben, Töne und Formen den Menschen und den niedereren Tieren Vergnügen bereiten, d. h. wie der Sinn für die Schönheit in seiner einfachsten Form zuerst erworben wurde, darüber wissen wir nicht mehr, als auf welche Art gewisse Gerüche oder Geschmäcke zuerst angenehm wurden.
Da die Naturauslese durch Wettbewerb wirkt, werden die Bewohner eines jeden Landes nur mit Rücksicht auf ihre Mitbewohner angepaßt und vervollkommnet, so daß wir nicht überrascht zu sein brauchen, daß die Arten irgendeines Landes, obgleich sie nach der gewöhnlichen Ansicht für dies Land geschaffen und ihm besonders angepaßt sein sollen, von den eingewöhnten Erzeugnissen aus einem anderen Lande geschlagen und verdrängt werden. Auch sollten wir uns nicht wundern, wenn, soweit wir urteilen können, nicht alle Einrichtungen in der Natur durchaus vollkommen sind, wie das sogar beim menschlichen Auge der Fall ist, oder wenn einige von ihnen mit unseren Vorstellungen von Tauglichkeit unvereinbar sind. Wir brauchen uns nicht darüber zu wundern, daß der gegen einen Feind angewendete Stich der Biene den Tod der Biene selbst verursacht, daß die Drohnen in so großen Mengen für eine einzige Thätigkeit hervorgebracht und dann von ihren unfruchtbaren Schwestern erschlagen werden. Wir brauchen uns auch nicht über die erstaunliche Verschwendung von Blütenstaub bei unseren Föhren, über den vom Naturtrieb eingegebenen Haß der Bienenkönigin gegen ihre eigenen fruchtbaren Töchter, über die sich in den lebenden Körpern der Raupen ernährenden Schlupfwespen oder über andere ähnliche Fälle zu wundern. Wunderbar ist es vielmehr nach der Lehre von der Naturauslese, daß nicht mehr Fälle entdeckt worden sind, in denen die wirkliche Vollkommenheit mangelt.
Die verwickelten und wenig bekannten Gesetze, die die Erzeugung der Spielarten regeln, sind, soweit wir urteilen können, dieselben, wie die, welche die Erzeugung getrennter Arten geregelt haben. In beiden Fällen scheinen die natürlichen Bedingungen eine unmittelbare und endgiltige Wirkung hervorgebracht zu haben, aber wir können nicht sagen, wie weit. So nehmen Spielarten, wenn sie in eine neue Stelle eindringen, gelegentlich einige der Merkmale an, die den Arten dieser Stelle eigentümlich sind. Bei Spielarten wie bei Arten scheinen Gebrauch und Nichtgebrauch eine beträchtliche Wirkung hervorgebracht zu haben. Es ist unmöglich, sich dieser Folgerung zu verschließen, wenn man z. B. die dickköpfige Ente betrachtet, deren Flügel beinahe ebenso unfähig zum Fliegen sind wie die der Hausente, oder wenn wir auf das in Erdlöchern wohnende Tuku-Tuku, das bisweilen blind ist, und dann auf gewisse Maulwürfe blicken, die gewöhnlich blind und deren Augen mit Haut bedeckt sind; oder wenn wir die blinden Tiere ansehen, die die dunklen Höhlen Amerikas und Europas bewohnen. Bei Spielarten wie Arten scheint die Wechselbeziehung der Abänderungen eine wichtige Rolle gespielt zu haben, so daß, wenn ein Körperteil abgeändert worden ist, andere Teile gleichfalls abgeändert werden mußten. Bei Spielarten wie bei Arten kommt gelegentlich das Wiederauftreten langverlorener Merkmale vor. Wie unerklärlich ist nach der Schöpfungslehre das gelegentliche Erscheinen von Streifen an der Schulter und den Beinen mehrerer Arten der Pferdegattung und ihrer Bastarde! Wie einfach erklärt sich diese Thatsache, wenn wir annehmen, daß diese Arten alle von einem gemeinsamen gestreiften Vorfahren stammen, wie die verschiedenen Hausrassen der Taube von der blauen und gestreiften Felsentaube stammen!
Warum sollten nach der gewöhnlichen Ansicht, daß jede Art für sich erschaffen worden ist, Artmerkmale, d. h. diejenigen, durch welche die Arten einer Gattung sich voneinander unterscheiden, veränderlicher sein als Gattungsmerkmale, in denen sie alle übereinstimmen? Warum sollte z. B. die Farbe einer Blüte sich bei einer Art einer Gattung leichter abändern, wenn die anderen Arten anders gefärbte Blüten besitzen, als wenn alle gleich gefärbte Blüten besäßen? Wenn Arten nur gut ausgeprägte Spielarten sind, deren Merkmale höchst dauernd geworden sind, so können wir diese Thatsache verstehen, denn sie haben schon, seit sie sich von einer gemeinsamen Urform abzweigten, sich in gewissen Merkmalen abgeändert, wodurch sie zu verschiedenen Arten geworden sind. Daher werden diese Merkmale sich eher wieder abändern, als die Gattungsmerkmale, die ohne Umwandlung eine ungeheure Zeit hindurch vererbt worden sind. Nach der Schöpfungslehre ist es unerklärlich, warum ein Körperteil, der nur in einer Art einer Gattung sehr ungewöhnlich entwickelt ist und daher, wie wir naturgemäß schließen können, für diese Art große Wichtigkeit hat, hervorragend der Abänderung unterworfen sein sollte. Aber nach unserer Ansicht hat dieser Teil, seit die verschiedenen Arten sich von einer gemeinsamen Urform abzweigten, ein ungewöhnliches Maß von Veränderlichkeit und Ummodelung erfahren, und daher konnten wir erwarten, daß er gewöhnlich noch veränderlich sei. Aber ein Körperteil kann wie der Flügel einer Fledermaus in der ungewöhnlichsten Weise entwickelt und doch nicht veränderlicher sein als irgendeine andere Bildung, wenn der Teil vielen einander untergeordneten Formen gemeinsam, d. h. wenn er für einen sehr langen Zeitraum vererbt worden ist; denn in diesem Fall wird er durch lang fortgesetzt Naturauslese beständig geworden sein.
Nach der Lehre von der Naturauslese aufeinanderfolgender, geringfügiger, aber nützlicher Ummodelungen bieten die Naturtriebe, so wunderbar einige sind, keine größeren Schwierigkeiten als körperliche Bildungen. Wir können so verstehen, warum die Natur die verschiedenen Tiere einer Klasse in allmählicher Abstufung mit ihren verschiedenen Naturtrieben beschenkt. Ich habe zu zeigen versucht, wie helles Licht das Grundgesetz der Abstufung auf die bewundernswerten Baukünste der Stockbiene wirft. Die Gewohnheit spielt zweifellos bei der Ummodelung der Naturtriebe oft eine Rolle, aber sie ist sicher nicht unentbehrlich, wie wir an den geschlechtlosen Kerbtieren sehen, die keine Nachkommenschaft hinterlassen, um die Wirkungen der lang fortgesetzten Gewohnheit zu erben. Nach der Ansicht, daß alle Arten einer Gattung von einem gemeinsamen Elternpaare stammen und viel Gemeinsames geerbt haben, können wir verstehen, wie es kommt, daß verwandte Arten, wenn sie unter sehr verschiedene Lebensbedingungen gebracht werden, doch beinahe denselben Naturtrieben folgen, warum z. B. die Drosseln des heißen und gemäßigten Südamerikas gleich unsern britischen Arten ihre Nester mit Schlamm füttern. Nach der Ansicht, daß die Naturtriebe langsam durch die Naturauslese erworben worden sind, brauchen wir uns nicht zu wundern, daß einige Naturtriebe nicht vollkommen und Fehlern unterworfen sind, und daß viele anderen Tieren Leid zufügen.
Wenn die Arten nur gut ausgeprägte und dauernde Spielarten sind, ist es sofort klar, warum ihre gekreuzte Nachkommenschaft denselben verwickelten Gesetzen folgt in den Graden und Arten der Ähnlichkeit mit ihren Eltern – indem sie durch aufeinanderfolgende Kreuzungen miteinander verschmelzen – und in andern solchen Punkten, wie es die gekreuzte Nachkommenschaft der anerkannten Spielarten thut. Diese Ähnlichkeit würde eine seltsame Thatsache sein, wenn die Arten für sich geschaffen und Spielarten durch abgeleitete Gesetze hervorgebracht worden wären.
Wenn wir zugeben, daß die geologische Urkunde im höchsten Grade unvollkommen ist, so bieten die Thatsachen, die sie noch aufweist, der Lehre von der mit Ummodelung verbundenen Abstammung eine starke Stütze. Neue Arten sind langsam und in aufeinanderfolgenden Zwischenräumen auf der Bildfläche erschienen, und das Maß der Ummodelung ist nach dem Verlaufe der gleichen Zeit bei verschiedenen Gruppen sehr verschieden. Das Aussterben einzelner Arten und ganzer Gruppen von Arten, das in der Geschichte der organischen Welt eine so sichtbare Rolle gespielt hat, folgt fast unvermeidlich aus dem Grundgesetze der Naturauslese, denn alte Formen werden durch neue und vervollkommnete verdrängt. Weder eine einzelne Art noch Gruppen von Arten erscheinen wieder, wenn die Kette der regelmäßigen Zeugung einmal zerrissen worden ist. Die allmähliche Verbreitung herrschender Formen in Verbindung mit der langsamen Ummodelung ihrer Nachkommen erweckt den Anschein, als ob sich die Lebensformen nach langen Zwischenräumen gleichzeitig in der ganzen Welt umgewandelt haben. Die Thatsache, daß die versteinerten Überreste in jeder Schicht ein Gepräge haben, das zwischen dem der Versteinerungen in der darüberliegenden und der darunterliegenden Schicht einigermaßen in der Mitte steht, wird einfach durch ihre mittlere Stellung in der Geschlechtsreihe erklärt. Die wichtige Thatsache, daß alle ausgestorbenen Wesen mit allen jetzt lebenden Wesen zusammengeordnet werden können, folgt naturgemäß daraus daß sie die Nachkommen gemeinsamer Eltern sind. Da Arten während der langen Geschlechtsdauer und der Ummodelung in ihren Merkmalen auseinandergegangen sind, können wir verstehen, woher es kommt, daß die älteren Formen oder frühen Vorfahren einer jeden Gruppe so oft eine Stelle ungefähr in der Mitte zwischen jetzt vorhandenen Gruppen einnehmen. Man nimmt an, daß die jetzigen Formen auf der Stufenleiter der Entwicklung im allgemeinen höher stehen als die einstigen Formen, und sie müssen insofern höher stehen, als die späteren und mehr vervollkommneten Formen die älteren und weniger vervollkommneten im Kampf ums Dasein besiegt haben. Außerdem sind ihre Organe gewöhnlich mehr gegliedert und für weniger Thätigkeiten bestimmt. Diese Thatsache verträgt sich damit vollkommen, daß zahlreiche Wesen noch eine einfache und wenig vervollkommnete Körperbildung besitzen, die für einfache Lebensbedingungen paßt. Ebenso verträgt sie sich mit der Erscheinung, daß manche Formen in ihrer inneren Bildung zurückgegangen sind, da sie aus jeder Stufe der Geschlechtsreihe für neue und niedrigere Lebensgewohnheiten besser tauglich geworden sind. Schließlich ist das wunderbare Gesetz der langen Dauer verwandter Formen in demselben Erdteile, z. B. der Beuteltiere in Australien, der Fehlzähner in Amerika u. s. w., verständlich, denn in jedem Lande werden die lebenden und die ausgestorbenen Formen durch Abstammung nahe miteinander verwandt sein.
Wenn wir zugeben, daß während des langen Verlaufs der Jahrhunderte häufige Wanderungen von einem Teile der Erde zu einem anderen infolge früherer Wandlungen des Klimas und der Bodenbeschaffenheit und mit Hilfe vieler gelegentlicher und unbekannter Mittel der Verbreitung stattgefunden haben, so können wir nach der Lehre der mit Ummodelung verbundenen Abstammung die meisten der wichtigen leitenden Thatsachen bei der Verteilung der organischen Wesen über die Erdoberfläche verstehen. Wir können einsehen, warum eine so auffallende Gleichläufigkeit in der Verteilung organischer Wesen über den ganzen Raum hin und in ihrer Aufeinanderfolge in den Erdschichten während der ganzen Zeit zu Tage tritt. Denn in beiden Fällen sind sie durch das Band der regelmäßigen Zeugung verknüpft gewesen, und die gleichen Mittel der Ummodelung haben auf sie gewirkt. Wir erkennen die volle Bedeutung der wunderbaren, jeden Reisenden überraschenden Thatsache, daß in einem Festlande unter den verschiedenartigsten Bedingungen, bei Hitze und Kälte, auf Bergen und im Tiefland, in Wüsten und Marschen die meisten Bewohner in einer großen Klasse offenbar verwandt sind; denn sie sind die Nachkommen derselben Vorfahren und ersten Ansiedler. Nach demselben Gesetze der Wanderung, zu der sich meist die Ummodelung gesellte, können wir unter Berücksichtigung der Eiszeit die vollständige Gleichheit einiger weniger Pflanzen und die nahe Verwandtschaft vieler anderer begreifen, die auf weit voneinander entfernten Gebirgen und in der nördlichen und südlichen gemäßigten Zone wachsen. Ebenso können wir die nahe Verwandtschaft einiger Meerbewohner in der nördlichen und südlichen gemäßigten Zone verstehen, obwohl sie durch das ganze dazwischen sich ausdehnende Meer in der heißen Zone getrennt sind. Mögen zwei Länder so ähnliche natürliche Bedingungen aufweisen, wie sie für das Vorhandensein derselben Art irgend nötig sind, so brauchen wir doch nicht überrascht zu sein, daß ihre Bewohner sehr verschieden sind, falls sie für eine lange Zeit vollständig voneinander gesondert waren. Denn da die Beziehung zwischen zwei Lebensformen die wichtigste von allen Beziehungen ist, und da die beiden Länder Ansiedler zu mannigfachen Zeiten und in verschiedener Menge aus irgendeinem anderen Lande oder gegenseitig von einander erhalten haben werden, so wird der Verlauf der Ummodelung in den beiden Gebieten unvermeidlich verschieden gewesen sein.
Nach dieser Annahme der Wanderung und darauffolgender Ummodelung erkennen wir, warum Inseln im Weltmeere nur von wenigen Arten bewohnt werden, von diesen aber viele eigentümliche oder einheimische Formen sind. Wir erkennen klar, warum Arten, die zu Tiergruppen gehören, die, wie Frösche und Landsäugetiere, nicht weite Räume des Weltmeers durchkreuzen können, nicht Inseln im Weltmeere bewohnen, und warum andererseits neue und eigentümliche Arten von Fledermäusen, Tieren, die über das Weltmeer fliegen können, oft auf weit von einem Festland entfernten Inseln sich finden. Solche Fälle wie das Vorhandensein eigentümlicher Arten von Fledermäusen auf Inseln im Weltmeer und das Fehlen aller anderen Landsäugetiere sind nach der Lehre von den unabhängigen Schöpfungsakten ganz unerklärlich.
Das Vorhandensein von nahe verwandten oder einander vertretenden Arten in zwei beliebigen Gebieten besagt nach der Lehre von der mit Ummodelung verbundenen Abstammung, daß dieselben Elternformen früher beide Gebiete bewohnten, und wir finden fast stets, daß, wo immer viele nahe verwandte Arten zwei Gebiete bewohnen, einige ganz gleiche Arten noch beiden gemeinsam sind. Wo immer viele nahe verwandte, jedoch getrennte Arten vorkommen, da kommen gleichfalls zweifelhafte Formen und Spielarten, die zu denselben Gruppen gehören, vor. Es ist eine sehr allgemeine Regel, daß die Bewohner jedes Gebietes mit denen der nächsten Stelle, von der Einwanderer gekommen sein können, verwandt sind. Wir sehen dies an der auffallenden Verwandtschaft fast aller Pflanzen und Tiere des Galapagos-Inselmeers, von Juan Fernandez und anderen amerikanischen Inseln mit denen des benachbarten amerikanischen Festlandes, und der Tiere und Pflanzen vom Inselmeere des grünen Vorgebirges und anderen afrikanischen Inseln mit denen des afrikanischen Festlandes. Es muß zugegeben werden, daß diese Thatsachen durch die Schöpfungslehre nicht erklärt werden.
Die bekannte Thatsache, daß alle früheren und jetzigen organischen Wesen in einige große Klassen, in Gruppen, die anderen untergeordnet sind, eingereiht werden können, und daß die ausgestorbenen Gruppen oft zwischen die noch lebenden Gruppen fallen, läßt sich nach der Lehre von der Naturauslese und dem mitwirkenden Aussterben und Auseinandergehen der Merkmale verstehen. Nach denselben Grundgesetzen erkennen wir, woher es kommt, daß die gegenseitigen Beziehungen der Formen in jeder Klasse so verwirrt und gewunden sind. Wir erkennen, warum gewisse Merkmale bei der Einteilung weit geringere Dienste leisten als andere, warum Merkmale der Anpassung, die doch für die Geschöpfe von allerhöchster Bedeutung sind, für die Einteilung fast bedeutungslos bleiben, warum Merkmale, die von verkümmerten Teilen herkommen, obwohl diese für die Geschöpfe nutzlos sind, oft einen hohen Einteilungswert haben, und warum Merkmale des Keimes oft die allerwichtigsten sind. Die tatsächlichen Verwandtschaften aller organischen Wesen im Gegensatze zu den Ähnlichkeiten der Anpassung sind eine Folge der Vererbung oder der Gemeinsamkeit der Abstammung. Das natürliche System ist eine Anordnung nach der Geschlechtsfolge mit den erworbenen Graden der Verschiedenheit, die durch die Ausdrücke Spielarten, Arten, Gattungen, Familien u. s. w. bezeichnet werden. Mit Hilfe der dauerndsten Merkmale, welche es immer und wie unbedeutend für das Leben sie sein mögen, müssen wir die Geschlechtsreihe entdecken.
Das ähnliche Knochengerüst in der Hand des Menschen, dem Flügel einer Fledermaus, der Flosse des Delphins und dem Beine des Pferdes, dieselbe Anzahl der Wirbel, die den Hals der Giraffe und des Elefanten bilden, und zahllose andere derartige Thatsachen erklären sich sofort nach der Lehre von der mit langsamen und geringfügigen aufeinanderfolgenden Ummodelungen verbundenen Abstammung. Die Ähnlichkeit des Musters in den Flügeln und dem Bein einer Fledermaus, obwohl sie zu so verschiedenen Zwecken gebraucht werden, in den Kiefern und Beinen eines Krebses, in den Blütenblättern, Staubgefäßen und Stempeln einer Blüte ist nach der Annahme der allmählichen Ummodelung von Teilen und Organen, die bei einem frühen Vorfahren in jeder dieser Klassen ursprünglich gleich waren, zum großen Teil ebenso verständlich. Nach dem Grundgesetze, daß aufeinanderfolgende Abänderungen nicht immer in einem frühen Alter eingetreten und in einem entsprechenden nicht frühen Lebensabschnitt ererbt worden sind, können wir deutlich erkennen, warum die Keime von Säugetieren, Vögeln, Kriechtieren und Fischen so ähnlich und die ausgewachsenen Formen so ungleich sind. Wir brauchen uns nicht weiter darüber zu wundern, daß der Keim eines luftatmenden Säugetiers oder Vogels kiemenartige Schlitze und in Schleifen laufende Schlagadern besitzt, wie ein Fisch, der mit Hilfe gut entwickelter Kiemen die im Wasser verteilte Luft atmen muß.
Der Nichtgebrauch wird, zuweilen von der Naturauslese unterstützt, Organe, die unter umgewandelten Gewohnheiten oder Lebensbedingungen nutzlos geworden waren, oft verkleinert haben. Nach dieser Annahme können wir die Bedeutung der verkümmerten Organe verstehen. Aber Nichtgebrauch und Auslese werden gewöhnlich dann auf ein Geschöpf wirken, wenn es zur Reife kommt und im Kampf ums Dasein seine Kräfte voll entfalten muß, und sie werden daher auf ein Organ im Lebensanfang nicht wirken. Deshalb wird das Organ in diesem frühen Alter nicht verkleinert werden oder verkümmern. Das Kalb z. B. hat von einem frühen Vorfahren, der gut entwickelte Zähne hatte, welche geerbt, die niemals durch das Zahnfleisch des Oberkiefers brechen, und wir können glauben, daß die Zähne bei dem ausgewachsenen Tiere früher durch Nichtgebrauch verkleinert wurden, weil die Zunge und der Gaumen oder die Lefzen durch die Naturauslese vorzüglich tauglich geworden sind, das Futter ohne ihre Hilfe abzuweiden, während bei dem Kalbe die Zähne nicht berührt und nach dem Grundgesetze von der Vererbung im entsprechenden Alter bis auf den heutigen Tag vererbt worden sind. Wie außerordentlich unerklärlich wäre es, nach der Annahme, daß jede Lebensform mit allen ihren einzelnen Teilen für sich erschaffen worden ist, daß Teile, die den deutlichen Stempel der Nutzlosigkeit an sich tragen, wie die Zähne beim Keime des Kalbes, die eingeschrumpften Flügel unter den zusammengewachsenen Flügeldecken vieler Käfer so häufig vorkommen. Man kann sagen, daß die Natur sich Mühe gegeben hat, mit Hilfe der verkümmerten Organe, der Bildungen im Keime und der gleichgestellten Körperteile ihren Plan der Ummodelung zu enthüllen, wir aber zu blind sind, um ihre Meinung zu verstehen.
Ich habe jetzt die Thatsachen und Betrachtungen zusammengefaßt, die mich vollständig davon überzeugt haben, daß die Arten während einer langen Geschlechtsreihe umgemodelt worden sind. Dies ist hauptsächlich durch die Naturauslese zahlreicher, aufeinanderfolgender, geringfügiger günstiger Abänderungen geschehen; eine bedeutende Hilfe haben hierbei die vererbten Wirkungen des Gebrauchs und Nichtgebrauchs der Teile geleistet, und eine unbedeutende, d. h. mit Bezug auf frühere oder jetzige Bildungen der Anpassung die unmittelbare Wirkung der äußeren Bedingungen und die Abänderungen, die wir infolge unserer Unwissenheit als von selbst geschehende ansehen. Ich habe früher die Häufigkeit und den Wert dieser letzteren Formen der Abänderungen wahrscheinlich unterschätzt, insofern als sie zu dauernden Ummodelungen des Körperbaus unabhängig von der Naturauslese führen. Aber da kürzlich meine Schlußfolgerungen ganz falsch dargestellt worden sind, und man behauptet hat, ich schreibe die Ummodelung der Art allein der Naturauslese zu, so möge es mir gestattet sein, zu bemerken, daß ich in der ersten Ausgabe dieses Werkes und später an die sichtbarste Stelle, den Schluß der Einleitung, die folgenden Worte gesetzt habe: »Ich bin überzeugt, daß die Naturauslese das hauptsächlichste, aber nicht das ausschließliche Mittel der Ummodelung gewesen ist.« Das hat nichts geholfen. Die Macht ständiger Mißdeutung ist groß, doch zeigt die Geschichte der Wissenschaft glücklicherweise, daß diese Macht nicht lange dauert.
Es kann kaum angenommen werden, daß eine falsche Lehre die verschiedenen großen Klassen von Thatsachen, die ich oben einzeln besprochen habe, so befriedigend erklären würde, wie es die Lehre von der Naturauslese thut. Es ist kürzlich eingewendet worden, daß diese Art, zu schließen, unsicher sei. Sie wird aber bei der Beurteilung der gewöhnlichen Vorkommnisse im Leben angewandt und ist oft von den größten Naturphilosophen benutzt worden. Auf diese Weise ist man zur Lichtschwingungslehre gekommen, und der Glaube an die Umdrehung der Erde um ihre eigene Achse stützte sich bis vor kurzem kaum auf einen unmittelbaren Beweis. Der Einwand, daß die Wissenschaft auf die viel weiter reichende Frage nach dem Dasein oder dem Ursprung des Lebens bis jetzt kein Licht wirft, will nicht viel besagen. Wer kann erklären, was das Wesen der Anziehungskraft ist? Niemand sträubt sich jetzt dagegen, den Ergebnissen, die aus dieser unbekannten Anziehungskraft hervorgehen, bis ans Ende zu folgen, trotzdem Leibnitz einst Newton anklagte, »verborgene Kräfte und Wunder in die Philosophie« einzuführen.
Ich sehe keinen triftigen Grund, warum die in diesem Bande vertretenen Ansichten die religiösen Gefühle irgendjemandes verletzen sollten. Es ist tröstlich, sich zu erinnern, daß die größte jemals vom Menschen gemachte Entdeckung, die der Schwerkraft, von Leibnitz auch »als die natürliche und damit auch die geoffenbarte Religion umstürzend« angegriffen wurde. Denn dies zeigt, wie vorübergehend solche Eindrücke sind. Ein berühmter Schriftsteller und Geistlicher hat mir geschrieben, daß »er allmählich habe einsehen lernen, es sei eine ebenso edle Auffassung von der Gottheit, zu glauben, daß sie einige Grundformen geschaffen habe, die der Selbstentwicklung zu anderen und nötigen Formen fähig sind, wie zu glauben, daß sie einen neuen Schöpfungsakt nötig habe, um die durch die Wirkung ihrer Gesetze hervorgerufenen Lücken auszufüllen«.
Warum, kann man fragen, haben bis in die neueste Zeit fast all die hervorragendsten lebenden Naturforscher und Geologen die Veränderlichkeit der Arten bezweifelt? Es kann nicht behauptet werden, daß organische Wesen im Naturzustande keiner Abänderung unterworfen sind. Es kann nicht bewiesen werden, daß das Maß der Abänderung im Laufe der Zeiten beschränkt ist. Keine deutliche Grenzlinie ist gezogen worden oder kann gezogen werden zwischen Arten und gut ausgeprägten Spielarten. Es kann nicht aufrecht erhalten werden, daß Arten, wenn sie gekreuzt werden, stets unfruchtbar und Spielarten stets fruchtbar sind, oder daß die Unfruchtbarkeit eine besondere Naturgabe und ein Zeichen der Schöpfung ist. Der Glaube, daß Arten unveränderliche Erzeugnisse wären, war beinahe unvermeidlich, solange man glaubte, daß die Geschichte der Welt von kurzer Dauer wäre. Und jetzt, wo wir eine gewisse Vorstellung von dem Zeitverlauf erlangt haben, sind wir allzu geneigt, ohne Beweis anzunehmen, die geologische Urkunde sei so vollständig, daß sie uns deutliche Zeugnisse für die Veränderung der Arten geliefert haben würde, wenn sie eine Veränderung erfahren hätten.
Aber die Hauptursache unseres natürlichen Widerstrebens, zuzugeben, daß eine Art andere und getrennte Arten hervorgebracht hat, ist, daß wir große Wandlungen, deren Schritte wir nicht sehen, stets nur zögernd zugeben. Es ist dieselbe Schwierigkeit, die so viele Geologen fühlten, als Lyell zuerst betonte, daß durch die Kräfte, die wir noch an der Arbeit sehen, lange Reihen von Landklippen gebildet und große Thäler ausgehöhlt worden sind. Der Geist vermag nicht einmal die volle Bedeutung einer Million Jahre zu fassen; er vermag nicht die vollen Wirkungen vieler leichter Abänderungen, die während einer fast unendlichen Zahl von Geschlechtern angehäuft worden sind, zu einander zu fügen und zu begreifen.
Obgleich ich von der Richtigkeit der in der Form eines Abrisses in diesem Bande vertretenen Ansichten vollständig überzeugt bin, so erwarte ich keineswegs, erfahrene Naturforscher zu überzeugen, deren Geist mit einer Fülle von Thatsachen angefüllt ist, die sie während einer langen Reihe von Jahren alle unter einem, dem meinen gerade entgegengesetzten Gesichtspunkte betrachtet haben. Es ist so leicht, unsere Unwissenheit unter Ausdrücken wie »Schöpfungsplan«, »Einheit des Entwurfs« u. s. w. zu verbergen und zu glauben, daß wir eine Erklärung geben, wenn wir eine Thatsache nur zum zweitenmal behaupten. Wen seine Anlage dazu führt, auf unerklärte Schwierigkeiten mehr Gewicht zu legen als auf die Erklärung einer gewissen Anzahl von Thatsachen, der wird sicher die Lehre verwerfen. Einige Naturforscher, die eine große Schmiegsamkeit des Geistes besitzen und an der Unveränderlichst der Arten schon zu zweifeln begonnen haben, werden sich vielleicht von dem Werke beeinflussen lassen. Aber ich blicke mit Vertrauen auf die Zukunft, auf junge und aufstrebende Naturforscher, die imstande sind, beide Seiten der Frage unparteiisch zu betrachten. Wer immer zu der Annahme kommt, daß Arten veränderlich sind, der wird einen guten Dienst leisten, wenn er seiner Überzeugung gewissenhaft Ausdruck verleiht. Denn nur so kann die Last von Vorurteilen, die den Gegenstand niederdrückt, fortgewälzt werden.
Mehrere hervorragende Naturforscher haben kürzlich ihre Ansicht ausgesprochen, daß eine Menge anerkannter Arten in jeder Gattung nicht wirkliche Arten seien, daß andere Arten aber wirklich. d. h. unabhängig für sich geschaffen seien. Zu einem solchen Schluß zu kommen, erscheint mir seltsam. Sie geben zu, daß eine Menge von Formen, die sie selbst bis vor kurzem für besondere Schöpfungen gehalten haben, die die Mehrzahl der Naturforscher noch dafür ansieht, und die folglich alle äußeren kennzeichnenden Züge wirklicher Arten haben, durch Abänderung hervorgebracht worden sind, sträuben sich aber, dieselbe Ansicht auf andere, ein wenig verschiedene Formen auszudehnen. Nichtsdestoweniger behaupten sie nicht, daß sie bestimmen oder auch nur vermuten können, welches die erschaffenen und welches die durch abgeleitete Gesetze hervorgebrachten Lebensformen seien. Sie geben die Abänderung als den »wahren Grund« im einen Falle zu und verwerfen sie willkürlich im anderen, ohne irgendeine Verschiedenheit der beiden Fälle anzuführen. Der Tag wird kommen, an dem man das als ein merkwürdiges Beispiel der Blindheit vorgefaßter Meinungen aufzeigt. Diese Schriftsteller scheint ein wunderbarer Schöpfungsakt nicht stutziger zu machen als eine gewöhnliche Geburt. Aber glauben sie wirklich, daß zu unzähligen Zeiten in der Geschichte der Erde gewissen kleinsten Grundteilchen geboten worden ist, plötzlich in lebende Gewebe hineinzufahren? Glauben sie, daß bei jedem angeblichen Schöpfungsakt ein Geschöpf oder viele hervorgebracht wurden? Wurden all die unendlich zahlreichen Tier- und Pflanzenarten als Eier oder Samen oder als ausgewachsene Geschöpfe erschaffen, und trugen die Säugetiere, als sie erschaffen wurden, die falschen Kennzeichen der Ernährung im Mutterleib an sich? Zweifellos können einige dieser Fragen von denen, die an das Erscheinen oder die Schöpfung nur weniger Lebensformen oder einer Form allein glauben, nicht beantwortet worden. Mehrere Schriftsteller haben behauptet, daß es ebenso leicht ist, an die Schöpfung einer Million Wesen zu glauben als an die eines einzigen. Aber Maupertuis' philosophischer Grundsatz der »geringsten Wirkung« führt den Geist dazu, die kleinere Zahl bereitwilliger zuzugeben, und sicher sollten wir nicht glauben, daß in jeder großen Klasse unzählige Wesen geschaffen worden sind, die deutliche, aber täuschende Kennzeichen der Abstammung von einem einzigen Elternpaare tragen.
Als Urkunde des früheren Zustandes der Dinge habe ich in den vorhergehenden Abschnitten und sonstwo mehrere Sätze festgehalten, die besagen, daß die Naturforscher an die besondere Schöpfung jeder Art glauben, und ich bin sehr getadelt worden, daß ich mich so ausgedrückt habe. Aber unzweifelhaft war das der allgemeine Glaube, als die erste Ausgabe des vorliegenden Werks erschien. Ich habe früher mit sehr vielen Naturforschern über die Entwicklung gesprochen und niemals zustimmende Teilnahme gefunden. Es ist wahrscheinlich, daß einige schon damals an die Entwicklung glaubten, aber sie schwiegen entweder oder drückten sich so zweideutig aus, daß es nicht leicht war, ihre Meinung zu verstehen. Jetzt haben sich die Dinge völlig geändert, und fast jeder Naturforscher giebt das große Grundgesetz der Entwicklung zu. Einige nehmen jedoch noch an, daß die Arten durch ganz unerklärte Mittel neue und ganz verschiedene Formen hervorgebracht haben; aber, wie ich zu zeigen versucht habe, können der Zulassung großer und unvermittelter Ummodelungen gewichtige Zeugnisse entgegengestellt werden. Unter einem wissenschaftlichen Gesichtspunkt und als Anleitung zu fernerer Forschung hat die Annahme, daß neue Formen plötzlich auf unerklärliche Weise aus alten und sehr verschiedenen Formen entwickelt werden, nur geringen Vorzug vor dem alten Glauben an die Schöpfung der Arten aus dem Staube der Erde.
Man könnte fragen, wie weit ich die Lehre von der Ummodelung der Arten ausdehne. Die Frage ist schwer zu beantworten, weil, je verschiedener die betrachteten Formen sind, um so geringer an Zahl und Kraft die Beweise werden, die für die Gemeinsamkeit der Abstammung sprechen. Aber einige Beweise vom größten Gewicht haben eine sehr weite Ausdehnung. Alle Mitglieder ganzer Klassen hängen durch eine Kette von Verwandtschaften zusammen, und alle können nach demselben Grundgesetz in Gruppen, die anderen untergeordnet sind, eingereiht werden. Versteinerte Überreste können bisweilen sehr weite Zwischenräume zwischen lebenden Ordnungen ausfüllen.
Verkümmerte Organe zeigen deutlich, daß ein früher Vorfahr das Organ voll entwickelt besaß, und das setzt in einigen Fällen ein ungeheures Maß von Ummodelung bei den Nachkommen voraus. Durch ganze Klassen sind mannigfache Körperteile nach demselben Muster geformt, und in sehr frühem Alter sind die Keime einander sehr ähnlich. Daher kann ich nicht bezweifeln, daß die Lehre von der mit Ummodelung verbundenen Abstammung alle Mitglieder derselben großen Klasse oder desselben großen Reichs umfaßt. Ich glaube, daß die Tiere von höchstens vier oder fünf Urformen und die Pflanzen von einer gleichen oder geringeren Zahl stammen.
Ähnliche Fälle würden mich einen Schritt weiter, nämlich zu der Annahme führen, daß alle Tiere und Pflanzen von irgendeiner einzigen Grundform stammen. Aber die Ähnlichkeit kann ein trügerischer Führer sein. Nichtsdestoweniger haben alle lebenden Dinge viel Gemeinsames in ihrer chemischen Zusammensetzung, dem Aufbau ihrer Zellen, ihren Wachstumsgesetzen und ihrer Bedrohung durch schädliche Einflüsse. Wir sehen dies sogar an einer so geringfügigen Thatsache. daß dasselbe Gift oft Pflanzen und Tiere ähnlich beeinflußt, oder daß das von der Gallwespe abgesonderte Gift ungeheuerliche Auswüchse auf der wilden Rose oder der Eiche hervorbringt. Bei allen organischen Wesen, außer vielleicht den allerniedrigsten, scheint die geschlechtliche Fortpflanzung im wesentlichen gleich zu sein. Bei allen ist, soweit wir bis jetzt wissen, das Keimbläschen dasselbe, so daß alle Lebensformen mit einem gemeinsamen Ursprünge beginnen. Sogar wenn wir auf die beiden Hauptabteilungen, nämlich das Tier- und das Pflanzenreich, blicken, stehen gewisse niedrige Formen in ihrem Gepräge so in der Mitte, daß die Naturforscher darüber gestritten haben, welchem Reiche sie zugewiesen werden sollten. Wie Professor Asa Gray bemerkt hat, »rufen die Sporen und anderen Fortpflanzungskörper bei vielen der niedrigeren Algen durchaus den Eindruck hervor, als ob ihr Dasein sich zuerst als tierisch kennzeichne und nachher unzweideutig pflanzlich sei«. Daher scheint es nach dem Grundgesetze der Naturauslese und des Auseinandergehens der Merkmale nicht unglaublich, daß sich Tiere wie Pflanzen aus irgendeiner niedrigen, in der Mitte stehenden Form entwickelt haben können. Und wenn wir dies zugestehen, so müssen wir auch zugestehen, daß alle organischen Wesen, die je auf dieser Erde gelebt haben, von einer Grundform stammen können. Aber dieser Schluß ist hauptsächlich auf Ähnlichkeit gegründet, und es ist unwesentlich, ob er angenommen wird oder nicht. Ohne Zweifel ist es, wie G. H. Lewes betont hat, möglich, daß beim ersten Beginne des Lebens viele verschiedene Formen entwickelt wurden. Aber, wenn dem so ist, so müssen wir schließen, daß uns sehr wenige von ihnen umgemodelte Nachkommen hinterlassen haben, denn, wie ich kürzlich in betreff der Mitglieder jedes großen Reiches, wie z. B. der Wirbeltiere, der Gliedertiere u. s. w., bemerkt habe, haben wir im Bau ihres Keims, in den gleichgestellten und verkümmerten Bildungen deutliche Beweise, daß alle von einem einzigen Vorfahren abstammen.
Wenn die von mir in diesem Bande und von Wallace vorgebrachten Ansichten oder wenn ähnliche Ansichten über die Entstehung der Arten allgemein angenommen werden, so wird, wie sich ahnen läßt, eine bedeutende Umwälzung in der Naturgeschichte stattfinden. Systembildner werden imstande sein, ihre Arbeit wie jetzt fortzuführen, aber sie werden nicht unaufhörlich von dem wesenlosen Zweifel heimgesucht werden, ob diese oder jene Form eine wahre Art sei. Das wird, dessen bin ich sicher, und ich spreche aus Erfahrung, keine unbedeutende Erleichterung sein. Die endlosen Streitigkeiten, ob einige fünfzig Arten der englischen Brombeere wirkliche Arten seien oder nicht, werden aufhören. Systembildner werden nur zu entscheiden haben – und auch das wird nicht leicht sein – ob irgendeine Form beständig und von anderen Formen verschieden genug ist, um abgegrenzt werden zu können. Und wenn sie sich abgrenzen läßt, ob die Unterschiede wichtig genug sind, um artbildend genannt zu werden. Dieser letztere Punkt wird weit wesentlicher für die Betrachtung werden, als er es gegenwärtig ist, denn noch so kleine Unterschiede zwischen zwei beliebigen Formen werden, wenn diese nicht durch Zwischenstufen ineinander übergehen, von den meisten Naturforschern als ausreichend betrachtet, um beide Formen zum Range der Arten zu erheben.
Darnach werden wir anerkennen müssen, daß der einzige Unterschied zwischen Arten und gut ausgeprägten Spielarten der ist, daß die letzteren, wie man weiß oder annimmt, heutzutage durch Zwischenstufen zusammenhängen, während die Arten früher so zusammenhingen. Daher werden wir, ohne die Betrachtung des gegenwärtigen Vorhandenseins von Zwischenstufen zwischen zwei beliebigen Formen zu verwerfen, dazu geführt werden, das wirkliche Maß des Unterschiedes sorgfältiger abzuwägen und höher zu schätzen. Es ist wohl möglich, daß Formen, die jetzt allgemein als bloße Spielarten anerkannt werden, später des Artnamens gewürdigt werden. Und in diesem Falle wird die wissenschaftliche und gewöhnliche Ausdrucksweise übereinstimmend werden. Kurz wir werden die Arten ebenso zu behandeln haben, wie die Naturforscher die Gattungen behandeln, die in ihnen nur künstliche, der Bequemlichkeit wegen hergestellte Verbindungen anerkennen. Das mag keine erfreuliche Aussicht sein, aber wir werden wenigstens von dem vergeblichen Versuche nach dem unentdeckten und unentdeckbaren Inhalte des Ausdrucks »Art« befreit werden.
Die anderen und allgemeineren Teile der Naturgeschichte werden weit anziehender werden. Die von den Naturforschern gebrauchten Ausdrücke: Verwandtschaft, Beziehung, Gemeinsamkeit der Form, Vaterschaft, das Gesetz der Form, Merkmale der Anpassung, verkümmerte oder unentwickelte Organe u. s. w. werden aufhören, bildlich zu sein, und eine klare Bedeutung haben. Wenn wir nicht ferner ein organisches Wesen als etwas ansehen werden, das ganz über unsere Fassungskraft hinausgeht, sowie ein Wilder ein Schiff ansieht, wenn wir auf jedes Naturerzeugnis als auf eins blicken, das eine lange Geschichte gehabt hat, wenn wir jede zusammengesetzte Bildung und jeden zusammengesetzten Naturtrieb als die Summe vieler Einrichtungen betrachten, von denen jede für den Besitzer nützlich ist, ebenso wie jede große mechanische Erfindung die Summe der Arbeit, der Erfahrung, der Vernunft und sogar der Mißgriffe zahlreicher Arbeiter ist, wenn wir jedes organische Wesen so ansehen, wie viel anregender wird, ich spreche aus Erfahrung, die Beschäftigung mit der Naturgeschichte werden!
Ein weites und beinahe unbetretenes Feld der Forschung wird sich eröffnen, nämlich der Forschung nach den Ursachen und Gesetzen der Abänderung, nach den Wechselbeziehungen, nach den Wirkungen des Gebrauchs und Nichtgebrauchs, nach der unmittelbaren Wirksamkeit äußerer Bedingungen u. s. w. Die Beschäftigung mit den Zuchterzeugnissen wird ungeheuer im Wert steigen. Eine neue vom Menschen aufgezogene Spielart wird ein wichtigerer und fesselnderer Gegenstand sein, als eine weitere Art, die der unendlichen Zahl der schon aufgezeichneten Arten hinzugefügt würde. Unsere Einteilungen werden, soweit sie so hergestellt werden können, Geschlechtsfolgen werden und werden dann wirklich das geben, was der Schöpfungsplan genannt werden kann. Die Regeln für die Einteilung werden zweifellos einfacher werden, wenn wir ein bestimmtes Ziel im Auge haben. Wir besitzen keine Stammbäume oder Wappenschilder und müssen durch Merkmale irgendwelcher Art, die lange vererbt worden sind, die vielen auseinandergehenden Abstammungslinien in unseren natürlichen Geschlechtsfolgen auffinden und ihnen nachgehen. Verkümmerte Organe werden untrüglich über die Natur lang verlorener Bildungen Auskunft geben. Einzelne Arten und Gruppen von Arten, die abirrend und scherzhaft lebende Versteinerungen genannt werden können, werden uns helfen, ein Bild der einstigen Lebensformen zu entwerfen. Die Keimlehre wird uns oft den einigermaßen verdunkelten Bau der Grundformen jeder großen Klasse offenbaren.
Wenn wir sicher sein können, daß alle Vertreter einer Art und alle nahe verwandten Arten der meisten Gattungen in einer nicht sehr weit zurückliegenden Zeit von einem Elternpaare herkamen und von einer Geburtsstätte aus fortwanderten, und wenn wir die vielen Mittel der Wanderung besser kennen werden, dann werden wir durch das Licht, das die Geologie jetzt auf frühere Umwandelungen des Klimas und der Höhenlage des Landes wirft und ferner werfen wird, auf das vorzüglichste in den Stand gesetzt werden, den früheren Wanderungen der Bewohner der ganzen Welt nachzugehen. Selbst jetzt wird, wenn wir die Verschiedenheiten zwischen den Meerbewohnern an den entgegengesetzten Seiten eines Festlandes und die Natur der mannigfachen Bewohner jenes Festlandes im Zusammenhange mit ihren offenbaren Mitteln der Einwanderung vergleichen, einiges Licht auf die einstige Beschaffenheit der Erdoberfläche fallen.
Die edle Wissenschaft der Geologie büßt durch die außerordentliche Unvollständigkeit der Urkunde an Ruhm ein. Die Erdrinde mit ihren eingebetteten Überresten darf nicht als ein wohlgefülltes Museum angesehen werden, sondern ist eine armselige, aufs Geratewohl und in großen Zwischenräumen entstandene Sammlung. Die Anhäufung jeder großen, Versteinerungen führenden Schicht ist, wie man erkennen wird, von einem ungewöhnlichen Zusammentreffen günstiger Umstände abhängig, und die leeren Zwischenräume zwischen den aufeinanderfolgenden Stufen sind von ungeheurer Dauer gewesen. Aber eine Vergleichung der vorhergehenden und der nachfolgenden organischen Wesen wird uns in den Stand setzen, die Dauer dieser Zwischenräume mit einiger Sicherheit auszumessen. Wegen der allgemeinen Aufeinanderfolge der Lebensformen müssen wir bei dem Versuche vorsichtig sein, zwei Schichten, die nicht viele ganz gleiche Arten einschließen, als genau gleichzeitig miteinander in Beziehung zu setzen. Da die Arten durch langsam wirkende und noch vorhandene Ursachen und nicht durch wunderbare Schöpfungsakte hervorgebracht und vernichtet werden, und da die allerwichtigste Ursache organischer Umwandlung von vielleicht plötzlich veränderten natürlichen Bedingungen fast unabhängig ist, nämlich die gegenseitige Beziehung von Lebensform zu Lebensform – denn die Vervollkommnung einer Lebensform hat die Vervollkommnung oder Ausrottung einer anderen zur Folge –, so ergiebt sich, daß das Maß der organischen Umwandlung bei den Versteinerungen der dicht aufeinanderfolgenden Schichten wahrscheinlich als ein richtiger Maßstab des bezüglichen, wenn auch nicht des wirklichen Zeitverlaufs dient. Manche Vertreter von Arten, die vereinigt bleiben, könnten sich für eine lange Zeit unverändert erhalten, während mehrere dieser Arten in derselben Zeit dadurch, daß sie in neue Länder wanderten und mit fremden Genossen in Wettbewerb kämen, umgemodelt werden könnten. Deshalb dürften wir die Genauigkeit der organischen Umwandlungen als eines Zeitmaßes nicht überschätzen.
Für die Zukunft sehe ich ein offenes Feld für weit wichtigere Forschungen. Die Psychologie wird sicher auf der von Herbert Spencer schon fest gelegten Grundlage der notwendig stufenweis geschehenden Erwerbung jeder geistigen Kraft und Fähigkeit begründet werden. Helles Licht wird auf den Ursprung des Menschen und seine Geschichte fallen.
Sehr hervorragende Schriftsteller scheinen von der Ansicht, daß jede Art für sich erschaffen worden ist, völlig befriedigt zu sein. Für mich stimmt es mit dem, was wir von den dem Stoff durch den Schöpfer aufgedrückten Gesetzen wissen, besser überein, daß die Erzeugung und das Aussterben der vergangenen und gegenwärtigen Bewohner der Welt auf abgeleiteten Ursachen beruht, wie die, welche die Geburt und den Tod eines einzelnen Wesens bestimmen. Wenn ich alle Wesen nicht als besondere Schöpfungen, sondern als die geraden Nachkommen einiger weniger Wesen ansehe, die lebten, lange bevor die erste Lage des kambrischen Systems abgelagert wurde, so scheinen sie mir geadelt zu werden. Aus der Vergangenheit können wir sicher schließen, daß kein lebendes Geschöpf sein unverändertes Bildnis auf eine entfernte Zukunft übermitteln wird. Und von den jetzt lebenden Arten werden sehr wenige irgendwelche Nachkommenschaft auf eine weit entfernte Zukunft bringen. Denn die Weise, in der alle organischen Wesen gruppiert sind, zeigt, daß die Mehrzahl der Arten in jeder Gattung und alle Arten in vielen Gattungen keine Nachkommen hinterlassen haben, sondern völlig ausgestorben sind. Wir können insofern einen prophetischen Blick in die Zukunft werfen, als wir sagen können, daß es die gewöhnlichen und weitverbreiteten, zu den größeren und herrschenden Gruppen in jeder Klasse gehörigen Arten sein werden, die schließlich vorherrschen und neue und herrschende Arten hervorbringen werden. Da alle jetzt vorhandenen Lebensformen die geraden Nachkommen derjenigen sind, die lange vor dem kambrischen Zeitalter lebten, so können wir sicher sein, daß die gewöhnliche Aufeinanderfolge durch Zeugung niemals unterbrochen worden ist, und daß kein Zusammenbruch die ganze Welt verwüstet hat. Daher können wir mit einigem Vertrauen in eine sichere Zukunft von großer Dauer blicken. Und da die Naturauslese nur durch und für das Beste eines jeden Wesens wirkt, so werden alle körperlichen und geistigen Gaben fortschreitend nach Vollkommenheit streben.
Es fesselt uns außerordentlich, ein Hügelgewirr, das mit vielen Pflanzen vieler Arten bekleidet ist, wo die Vögel in den Büschen singen, mannigfache Kerbtiere herumschwirren und Würmer durch die feuchte Erde kriechen, zu betrachten und darüber nachzudenken, daß diese kunstvoll gebauten Formen, die so verschieden voneinander sind und auf so verwickelte Weise voneinander abhängen, alle durch Gesetze hervorgebracht worden sind, die um uns her wirken. Diese Gesetze sind, im weitesten Sinne genommen, das Wachstum mit der Zeugung, die Vererbung, die sich aus der Zeugung beinahe von selbst ergiebt, die Veränderlichkeit durch die unmittelbare und mittelbare Wirkung der Lebensbedingungen und den Gebrauch und Nichtgebrauch, ein Prozentsatz der Vermehrung, der so hoch ist, daß er zum Kampf ums Dasein und infolgedessen zur Naturauslese führt, die das Auseinandergehen der Merkmale und das Aussterben der weniger vervollkommneten Formen im Gefolge hat. So folgt das höchste Ergebnis, das wir uns denken können, die Hervorbringung der höheren Tiere, unmittelbar aus dem Kampf in der Natur, aus Hungersnot und Tod. Es liegt Erhabenheit in dieser Annahme, daß das Leben mit seinen verschiedenen Kräften vom Schöpfer ursprünglich nur einigen oder einer Form eingehaucht sei, und daß, während dieser Planet nach den festen Gesetzen der Schwerkraft sich gedreht hat, aus einem so einfachen Anfang unendlich viele Formen von hoher Schönheit und Wunderbarkeit sich entwickelt haben und noch entwickeln.