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Die jetzige Verteilung kann nicht durch die Verschiedenheiten der natürlichen Bedingungen erklärt werden. Die Wichtigkeit der Schranken. Die Ähnlichkeit der Erzeugnisse eines Festlandes. Mittelpunkte der Schöpfung. Die Möglichkeit der Zerstreuung durch Umwandlungen des Klimas und der Höhenlage, sowie durch gelegentliche Mittel. Die Zerstreuung während der Eiszeit. Abwechselnde Eiszeiten im Norden und Süden
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Wenn wir die Verteilung der organischen Wesen auf der Oberfläche der Erdkugel betrachten, so überrascht uns zuerst die wichtige Thatsache, daß weder die Gleichheit noch die Ungleichheit der Bewohner verschiedener Gegenden aus den Klima- und anderen Naturverhältnissen vollständig erklärt werden kann. Seit kurzem ist fast jeder Schriftsteller, der diesen Gegenstand bearbeitet hat, zu diesem Schluß gekommen. Amerika könnte beinahe allein seine Richtigkeit beweisen. Denn wenn wir die in der kalten und nördlichen gemäßigten Zone liegenden Teile ausschließen, so stimmen alle Verfasser darin überein, daß eine der Grundabteilungen für die Verteilung auf der Erdoberfläche die Scheidung in Neue und Alte Welt ist. Wenn wir jedoch durch den ungeheuren amerikanischen Erdteil von der Mitte der Vereinigten Staaten bis zum äußersten südlichen Punkt reisen, treffen wir auf die verschiedenartigsten Verhältnisse, auf feuchte Bezirke, trockene Einöden, hohe Gebirge, grasbewachsene Ebenen, Wälder, Sümpfe, Seen und große Flüsse unter fast jedem Wärmegrade. Es giebt in der Alten Welt kaum ein Klima oder ein natürliches Verhältnis, das nicht in der Neuen sein Ebenbild fände, wenigstens so weit es dieselben Arten im allgemeinen verlangen. Zweifellos könnten in der Alten Welt kleine Flächen genannt werden, die heißer sind, als irgendwelche in der Neuen; aber diese werden nicht von einer Tierwelt bewohnt, die sich von der der umgebenden Gebiete unterscheidet. Denn man kann nur selten eine Gruppe von Lebensformen finden, die auf ein kleines Gebiet beschränkt ist, dessen Bedingungen nur in geringem Grade eigenartig sind. Wie weit sind trotz dieser allgemeinen Gleichläufigkeit der Verhältnisse der Alten und der Neuen Welt ihre lebenden Erzeugnisse voneinander verschieden!
Wenn wir auf der südlichen Halbkugel weite Länderstriche zwischen dem 25. und 35. Breitengrade in Australien, Südafrika und Südwestamerika vergleichen, so finden wir Teile, die in allen Verhältnissen außerordentlich ähnlich sind, und doch könnten wir nicht drei ungleichere Tier- und Pflanzenwelten angeben. Oder wir könnten die Erzeugnisse Südamerikas südlich vom 35. Grade mit denen nördlich vom 25. vergleichen, die also durch einen Raum von zehn Breitegraden getrennt und ziemlich verschiedenen Bedingungen ausgesetzt sind. Diese sind trotzdem unvergleichlich näher miteinander verwandt als mit den Erzeugnissen Australiens oder Afrikas, die fast unter gleichem Klima leben. Ähnliche Thatsachen könnte man von den Meerbewohnern anführen.
Zweitens überrascht uns in unserer Gesamtübersicht die wichtige Thatsache, daß Schranken irgendwelcher Art oder Behinderungen der freien Einwanderung in einer engen und wichtigen Beziehung zu den Verschiedenheiten zwischen den Erzeugnissen verschiedener Gegenden stehen. Wir sehen dies an der großen Verschiedenheit bei fast allen Landerzeugnissen der Alten und Neuen Welt, mit Ausnahme der nördlichen Teile, wo das Land fest zusammenstößt und wo, bei einem ganz geringen Unterschied des Klimas die Formen aus der nördlichen gemäßigten Zone ungehindert eingewandert sein dürften wie jetzt die Erzeugnisse der kalten Zone. Wir sehen die gleiche Thatsache an der großen Verschiedenheit zwischen den unter gleicher geographischer Breite lebenden Bewohnern Australiens, Afrikas und Südamerikas. Denn diese Länder sind beinahe so sehr wie möglich voneinander getrennt. Auch sehen wir auf jedem Festland dieselbe Thatsache; denn auf den entgegengesetzten Seiten hoher und fortlaufender Gebirgszüge, großer Wüsten und selbst breiter Flüsse finden wir verschiedene Erzeugnisse, wenn auch, da die Gebirgsketten, Wüsten u. s. w nicht so unwegsam sind und vermutlich nicht so lange bestehen wie die Weltmeere, die Erdteile trennen, die Verschiedenheiten dem Grade nach weit geringer sind als die, welche die getrennten Erdteile kennzeichnen.
Auf dem Meere finden wir dasselbe Gesetz. Die Meerbewohner der Ost- und Westküste Südamerikas sind sehr verschieden, nur äußerst wenige Schnecken, Krustentiere oder Stachelhäuter finden sich unter beiden gemeinsam. Doch hat Dr. Günther kürzlich gezeigt, daß unter hundert Fischen auf den verschiedenen Seiten der Landenge von Panama ungefähr dreißig gleich sind, und diese Thatsache hat die Naturforscher zu der Ansicht geführt, daß die Landenge früher einen Durchgang hatte. Westwärts von den Küsten Amerikas dehnt sich das Weltmeer eine weite Strecke offen aus und zeigt nicht eine Insel, die Auswanderern einen Rastplatz gewährte. Hier haben wir eine Schranke anderer Art, und sobald diese hinter uns liegt, treffen wir auf den östlichen Inseln des Stillen Weltmeers auf eine andre, ganz verschiedene Tierwelt. So dehnen sich nördlich und südlich drei Seetierwelten in gleichlaufenden Linien und in geringer Entfernung voneinander unter entsprechendem Klima aus; da sie aber durch unüberschreitbare Schranken des Landes oder der offenen See voneinander getrennt sind, so sind sie fast ganz verschieden. Wenn wir andererseits von den östlichen Inseln der tropischen Teile des Stillen Weltmeers noch weiter nach Westen gehen, so treffen wir auf keine unüberschreitbaren Schranken und finden zahllose Inseln als Rastplätze oder zusammenhängende Küsten, bis wir nach einer Wanderung über die eine Halbkugel zu den Küsten Afrikas kommen. Und auf diesem ganzen weiten Raum treffen wir keine genau abgegrenzten und getrennten Seetierwelten. Obwohl so wenige Seetiere den obengenannten drei benachbarten Tierwelten Ost- und Westamerikas und der östlichen Inseln des Stillen Weltmeers gemeinsam sind, so sind doch viele Fische vom Stillen bis zum Indischen Weltmeere verbreitet, und viele Weichtiere sind den östlichen Inseln des Stillen Weltmeers und den Ostküsten Afrikas unter fast genau entgegengesetzten Längegraden gemeinsam.
Eine dritte wichtige Erscheinung, die zum Teil mit der vorigen Feststellung zusammenfällt, ist die Verwandtschaft der Erzeugnisse eines Festlandes oder Meeres, auch wenn die Arten selbst an verschiedenen Punkten und Stellen getrennt sind. Dies Gesetz ist so allgemein giltig wie möglich, und jedes Festland bietet zahllose Beispiele. Nichtsdestoweniger sind die Naturforscher bei einer Wanderung z. B. von Norden nach Süden stets sehr über die Erscheinung verwundert, wie der Reihe nach Gruppen von Wesen, die artmäßig verschieden, wenn auch nahe verwandt sind, einander vertreten. Sie erfahren etwas von eng verwandten, aber getrennten Vogelarten, verzeichnen ganz ähnliche und sehen ihre ähnlich gebauten, aber nicht ganz gleichen Nester mit fast gleich gefärbten Eiern. Die Ebenen nahe der Magellanstraße werden von einer Art des Nandu, des amerikanischen Straußes, und nördlich davon die Ebenen von La Plata durch eine andere Art derselben Gattung bewohnt, nicht aber von einem echten Strauß oder dem Emu, wie die, welche in Afrika und Australien unter denselben Breitegraden leben. Auf den Ebenen von La Plata sehen wir auch den Aguti und den Bizkacha, zwei Tiere, die fast dieselben Gewohnheiten wie unsere Hasen und Kaninchen haben und zu derselben Ordnung der Nagetiere gehören, in ihrem Körperbau aber deutlich ein amerikanisches Gepräge zeigen. Wir steigen auf die hohen Gipfel der Cordilleren und finden eine alpine Bizkachaart, wir blicken auf die Gewässer und finden nicht den Biber oder die Bisamratte, sondern den Koypu und den Kapybara, Nagetiere von südamerikanischem Gepräge. Zahllose andere Beispiele könnte man anführen. Die Bewohner der Inseln an der amerikanischen Küste sind, wie sehr diese in ihrer Schichtung verschieden sein mögen, wesentlich amerikanisch, wenn sie auch allen eigentümlichen Arten angehören mögen. Wir können rückwärts auf vergangene Zeiten blicken, wie im vorigen Kapitel gezeigt worden ist, und finden, daß damals auf dem amerikanischen Festlande wie in den amerikanischen Gewässern die amerikanischen Formen vorherrschten. Wir erkennen aus diesen Thatsachen, daß ein verborgenes Band durch Zeit und Raum sich unabhängig von den natürlichen Bedingungen über dieselben Land- und Wasserflächen spannt, und die Sinne des Naturforschers müßten verschlossen sein, den es nicht drängte, nach der Art dieses Bandes zu forschen.
Dieses Band ist einfach die Vererbung, jene Ursache, die, soweit unser tatsächliches Wissen reicht, Lebensformen hervorbringt, die einander ganz oder, wie wir bei den Spielarten sehen, fast ganz gleichen. Die Unähnlichkeit der Bewohner verschiedener Gegenden kann der Ummodelung durch Abänderung und Naturauslese und wahrscheinlich in untergeordnetem Maße dem endgiltigen Einflüsse der verschiedenen natürlichen Bedingungen zugeschrieben werden. Die Grade von Unähnlichkeit werden erstens von dem Umstande, ob die Einwanderung kräftigerer Lebensformen aus einer Gegend in eine andere zu mehr oder weniger entlegenen Zeiträumen mehr oder weniger wirksam verhindert worden ist, zweitens von der Natur und der Zahl der früheren Einwanderer, drittens von der Wirksamkeit der Bewohner aufeinander bei der Erhaltung verschiedener Ummodelungen abhängen. Denn die Beziehung von einer Lebensform zur anderen im Kampf ums Dasein ist, wie ich schon oft bemerkt habe, die allerwichtigste. So spielen die Schranken durch die Verhinderung der Einwanderung eine sehr wichtige Rolle, wie es die Zeit für den langsamen Vorgang der Ummodelung durch die Naturauslese thut. Weit verbreitete, an Vertretern überreiche Arten, die schon über andere Mitbewerber in ihrer weitausgedehnten Heimat den Sieg davongetragen haben, werden die beste Aussicht haben, bei ihrer Verbreitung nach neuen Ländern neue Plätze zu erobern. In ihrer neuen Heimat werden sie neuen Bedingungen ausgesetzt sein und häufig eine weitere Ummodelung und Vervollkommnung durchmachen. So werden sie noch weiter siegreich werden und Gruppen von umgemodelten Nachkommen hervorbringen. Nach diesem Grundgesetze der Vererbung vereint mit der Ummodelung können wir verstehen, woher es kommt, daß Abteilungen von Gattungen, ganze Gattungen und sogar Familien auf gewisse Gebiete beschränkt sind, ein Fall, der ebenso gewöhnlich wie bekannt ist.
Wie im letzten Kapitel bemerkt worden ist, giebt es keinen Beweis dafür, daß ein Gesetz notwendiger Entwicklung herrscht. Da die Veränderlichkeit jeder Art eine unabhängige Eigenheit ist und von der Naturauslese nur so weit benutzt wird, wie es für jedes einzelne Geschöpf bei seinem verwickelten Kampfe ums Dasein von Nutzen ist, so wird das Maß von Ummodelung in den verschiedenen Arten nicht gleich groß sein. Wenn eine Anzahl von Arten, nachdem sie lange in ihrer alten Heimat miteinander in Wettbewerb gestanden haben, zusammen in ein neues und nachher abgesondertes Land wanderten, so würden sie der Ummodelung wenig ausgesetzt sein. Denn weder die Wanderung noch die Absonderung übt auf sie eine Wirkung aus. Diese Grundgesetze spielen nur dadurch eine Rolle, daß sie Lebensformen in neue Beziehungen zu einander und in geringerem Maße zu den umgebenden natürlichen Bedingungen bringen. Wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, daß einige Formen seit einer ungeheuer entlegenen Zeit der Erdbildung fast dasselbe Gepräge behalten haben, so sind gewisse Arten über weite Räume gewandert und haben sich nicht sehr oder überhaupt garnicht umgemodelt.
Nach diesen Ansichten ist es klar, daß die einzelnen Arten einer Gattung, obwohl sie die getrenntesten Teile der Welt bewohnen, ursprünglich aus einer Quelle hervorgegangen sein müssen, da sie von einer Urform abstammen. Bei den Arten, die während der gesamten Erdbildungszeiten nur eine geringe Ummodelung durchgemacht haben, ist es nicht schwer zu glauben, daß sie aus derselben Gegend fortgewandert sind. Denn während der unübersehbaren Wandlungen der Erdoberfläche und des Klimas, die seit alten Zeiten eingetreten sind, ist ein großes Maß von Wanderung möglich. Aber in vielen anderen Fällen, in denen wir Grund zu der Annahme haben, daß die Arten einer Gattung in verhältnismäßig neuen Zeiten hervorgebracht worden sind, ist die Schwierigkeit in diesem Punkte groß. Es ist auch klar, daß die einzelnen Vertreter derselben Art, wenn sie jetzt auch weit getrennte und abgesonderte Gegenden bewohnen, von einem Fleck, an dem ihre Eltern zuerst hervorgebracht wurden, ausgegangen sein müssen. Denn, wie erklärt worden ist, läßt sich nicht denken, daß genau gleichartige Geschöpfe von Eltern hervorgebracht sein sollten, die artmäßig verschieden waren.
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Einzelne Mittelpunkte der angeblichen Schöpfung.
So kommen wir zu der von den Naturforschern weitläufig erörterten Frage, ob Arten an einer oder an mehreren Punkten auf der Erdoberfläche erschaffen worden seien. Zweifellos läßt sich in vielen Fällen äußerst schwer begreifen, wie eine Art von irgendeinem Punkte zu mehreren sehr entfernten und abgesonderten Punkten gewandert sein kann, an denen man sie jetzt findet. Nichtsdestoweniger nimmt die Einfachheit der Ansicht, daß eine jede Art zuerst in einer einzigen Gegend hervorgebracht wurde, den Geist gefangen. Wer sie verwirft, verwirft die »wahre Ursache«, die regelmäßige Zeugung mit der nachfolgenden Wanderung, und ruft ein Wunder herbei. Es wird allgemein zugegeben, daß in den meisten Fällen die Fläche, die eine Art bewohnt, zusammenhängt, und daß, wenn eine Pflanze oder ein Tier zwei Punkte bewohnt, die durch einen so großen oder so beschaffenen Abstand getrennt sind, daß der Raum nicht leicht durchwandert werden konnte, die Thatsache bemerkenswert ist und eine Ausnahme bildet. Die Unfähigkeit, ein weites Meer zu durchwandern, ist bei Landsäugetieren klarer als vielleicht bei irgendwelchen anderen organischen Wesen, und dementsprechend finden wir keine unerklärbaren Beispiele, daß dieselben Säugetiere weit getrennte Punkte der Erde bewohnen. Kein Geologe sieht darin eine Schwierigkeit, daß Großbritannien dieselben Vierfüßler, wie das übrige Europa besitzt, da es zweifellos einmal mit diesem verbunden war. Warum finden wir aber, wenn eine Art an zwei getrennten Punkten hervorgebracht werden kann, nicht ein einziges Säugetier, das Europa und Australien oder Südamerika gemeinsam ist? Die Lebensbedingungen sind fast die gleichen, so daß eine Menge europäischer Tiere und Pflanzen in Amerika und Australien eingewöhnt worden sind, und einige von den Urpflanzen sind an diesen getrennten Punkten der nördlichen und südlichen Halbkugel genau die gleichen. Die Antwort lautet, wie ich glaube, daß Säugetiere nicht imstande gewesen sind, zu wandern, während einige Pflanzen infolge ihrer mannigfaltigen Mittel, sich zu verbreiten, weite und unterbrochene Räume quer durchwandert haben. Der große und überraschende Einfluß der Schranken aller Art ist nur nach der Ansicht verständlich, daß die große Mehrzahl der Arten auf der einen Seite hervorgebracht worden ist und nicht auf die andere hinüber zu wandern vermocht hat. Einige wenige Familien, viele Unterfamilien, sehr viele Gattungen und eine noch größere Zahl von Gattungs-Abteilungen sind auf eine einzige Gegend beschränkt, und es ist von mehreren Naturforschern beobachtet worden, daß die meisten natürlichen Gattungen oder diejenigen, in denen die Arten am nächsten miteinander verwandt sind, gewöhnlich auf ein Land beschränkt sind, oder, wenn sie weit verbreitet sind, ein zusammenhängendes Verbreitungsgebiet besitzen. Was für eine sonderbare Regelwidrigkeit würde es sein, wenn wir beim Herabgehen zu einer andern Stufe in der Reihe, nämlich zu den einzelnen Vertretern einer Art, eine gerade entgegengesetzte Regel in Kraft finden würden, und diese wenigstens zuerst nicht auf eine Gegend beschränkt gewesen wären!
Daher scheint mir wie vielen anderen Naturforschern die Ansicht am wahrscheinlichsten, daß jede Art auf einem Gebiet allein hervorgebracht worden und nachher aus diesem weggewandert ist, soweit es ihr Wandervermögen und ihre Ausdauer unter den vergangenen und gegenwärtigen Bedingungen zuließen. Zweifellos kommen viele Fälle vor, in denen wir nicht erklären können, wie eine Art von einem Punkte zu dem anderen hinübergekommen sein mag. Aber die Umwandlungen der Erdoberfläche und des Klimas, die in neuen Erdbildungszeiten sicher vorgekommen sind, müssen das früher zusammenhängende Verbreitungsgebiet vieler Arten auseinandergerissen haben. Wir müssen daher in Erwägung ziehen, ob die Ausnahmen von dem Zusammenhange des Verbreitungsgebietes so zahlreich und so gewichtig sind, daß wir die durch allgemeine Betrachtungen wahrscheinlich gewordene Annahme aufzugeben haben, daß eine jede Art in einem Gebiete hervorgebracht worden und von dort gewandert ist, soweit sie konnte. Es würde unendlich ermüdend sein, alle die Ausnahmefälle zu erörtern, in denen dieselbe Art jetzt an weit entfernten und getrennten Punkten lebt, und ich behaupte nicht einen Augenblick, daß man in vielen Fällen eine Erklärung bieten könnte. Indes will ich einige der auffälligsten Klassen von Thatsachen, erstens das Vorhandensein derselben Art auf den Gipfeln weit voneinander entfernter Bergketten, an weit voneinander entfernten Punkten in der arktischen und antarktischen Gegend, zweitens im nächsten Kapitel die weite Verteilung der Süßwassererzeugnisse und drittens das Vorkommen derselben Landtierarten auf Inseln und dem nächsten Festland, wenn sie auch durch hunderte Meilen offenen Meeres getrennt sind, nach ein paar vorläufigen Bemerkungen erörtern. Wenn das Vorhandensein derselben Art an weit voneinander entfernten und abgesonderten Punkten der Erdoberfläche in vielen Fällen durch die Annahme erklärt werden kann, daß eine jede Art von einer einzigen Geburtstätte fortgewandert ist, so scheint mir im Hinblick auf unsere Unkenntnis der früheren Umwandlungen der Erdoberfläche und des Klimas sowie der mannigfachen gelegentlichen Fortbewegungsmittel, der Glaube, daß eine einzige Geburtsstätte die Regel ist, unendlich viel mehr Wahrscheinlichkeit zu haben als jeder andere.
Bei der Erörterung dieses Gegenstandes können wir gleichzeitig einen für uns ebenso wichtigen Punkt besprechen, ob nämlich die einzelnen Arten einer Gattung, die nach unserer Lehre von einer gemeinsamen Urform herstammen müssen, von einem einzigen Gebiet aus gewandert sein können, indem sie während ihrer Wanderung eine Ummodelung durchmachten. Wenn, da die meisten der Arten, die eine Gegend bewohnen, mit denen einer anderen Gegend zwar eng verwandt, aber doch von ihnen verschieden sind, gezeigt werden kann, daß eine Wanderung von der einen Gegend zu der anderen in irgendeinem früheren Zeitraum wahrscheinlich vorgekommen ist, so erhält unsere Hauptannahme eine starke Stütze; denn dann liegt eine Erklärung nach dem Grundgesetz der mit Ummodelung verbundenen Abstammung auf der Hand. Eine vulkanische Insel z. B., die in einer Entfernung von wenigen hundert Meilen von einem Festlande auftauchte und sich bildete, würde wahrscheinlich im Laufe der Zeit von ihm einige Ansiedler erhalten, und ihre Nachkommen würden, obwohl umgemodelt, doch noch infolge der Vererbung mit den Bewohnern jenes Festlandes verwandt sein. Fälle dieser Art sind gewöhnlich und, wie wir später sehen werden, nach der Lehre von der unabhängigen Schöpfung unerklärlich. Diese Ansicht von der Beziehung der Arten einer Gegend zu denen einer anderen Gegend unterscheidet sich nicht sehr von dem, was Wallace vorgebracht hat, der schließt, daß »eine jede Art bei ihrem ersten Auftreten mit eng verwandten früher vorhandenen Arten in Raum wie Zeit zusammentrifft.« Und es ist jetzt wohlbekannt, daß er das Zusammentreffen der mit Ummodelung verbundenen Abstammung zuschreibt.
Die Frage nach einem einzigen oder vielen Mittelpunkten der Schöpfung ist von der anderen, wenn auch verwandten Frage verschieden, ob alle Vertreter einer Art von einem einzigen Paar oder einem einzigen Zwitter oder, wie manche Verfasser annehmen, von vielen gleichzeitig erschaffenen einzelnen Geschöpfen herstammen. Wenn organische Wesen vorhanden sind, die sich nie kreuzen, so muß bei ihnen jede Art aus einer Aufeinanderfolge umgemodelter Spielarten herstammen, die einander verdrängt, sich aber nie mit anderen Einzelwesen oder Spielarten derselben Art gemischt haben, so daß bei jeder folgenden Stufe der Ummodelung alle einzelnen Geschöpfe von derselben Form von einem einzigen Vorfahren herstammen. Aber in der großen Mehrzahl der Fälle, bei allen Lebensformen nämlich, die sich gewohnheitsmäßig zu jeder Geburt vereinigen oder sich gelegentlich kreuzen, werden die Vertreter derselben Art, die dasselbe Gebiet bewohnen, bei der Kreuzung beinahe gleich bleiben, so daß viele Geschöpfe fortfahren werden, sich gleichzeitig umzumodeln, und das ganze Maß von Ummodelung auf jeder Stufe nicht die Folge der Abstammung von einem einzigen Vorfahren ist. Ein Beispiel möge erläutern, was ich meine. Unsere englischen Rassepferde unterscheiden sich von den Pferden jeder anderen Rasse, aber sie verdanken ihre Verschiedenheit und Überlegenheit nicht der Abstammung von einem einzigen Paare, sondern der fortgesetzten Sorgfalt bei der Auslese und Dressur vieler Vertreter in jedem Geschlechte.
Vor der Erörterung der drei Klassen von Thatsachen, die ich als die ausgewählt habe, welche die größte Schwierigkeit für die Lehre von den »einzelnen Mittelpunkten der Schöpfung« darbieten, muß ich einige Worte über die Mittel der Verbreitung sagen.
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Die Mittel der Verbreitung.
Sir C. Lyell und andere Schriftsteller haben diesen Gegenstand mit Geschick behandelt. Ich kann hier nur einen ganz kurzen Abriß der wichtigeren Thatsachen geben. Umwandlung des Klimas muß einen mächtigen Einfluß auf die Wanderung geübt haben. Eine Gegend, die jetzt wegen der Natur ihres Klimas für gewisse Lebensformen unzugänglich ist, könnte ein Hauptweg der Wanderung gewesen sein, als das Klima anders war. Ich werde indessen diese Seite des Gegenstandes sogleich in einiger Ausführlichkeit erörtern müssen. Umwandlungen der Höhenlage des Landes müssen gleichfalls von großem Einfluß gewesen sein. Eine schmale Landenge trennt jetzt zwei Seetierwelten. Wenn sie überschwemmt wird oder früher überschwemmt worden ist, werden sich die beiden Tierwelten jetzt vermischen oder mögen sich früher vermischt haben. Wo sich jetzt das Meer ausbreitet, kann in früherer Zeit das Land Inseln oder möglicherweise selbst Festländer verbunden und so den Landerzeugnissen gestattet haben, von dem einen zum anderen hinüberzugehen. Kein Geologe bestreitet, daß große Veränderungen der Höhenlage im Zeitalter der jetzt vorhandenen Lebensformen eingetreten sind. Edward Forbes behauptete, daß alle Inseln im Atlantischen Meere kürzlich noch mit Europa oder Afrika und Europa ebenfalls mit Amerika zusammengehangen habe. Andere Schriftsteller haben so vermutungsweise jedes Weltmeer überbrückt und beinahe jede Insel mit irgendeinem Festlande verbunden. Wenn man den von Forbes angewendeten Beweisen trauen darf, muß man zugeben, daß es kaum eine einzige Insel giebt, die nicht noch unlängst mit einem Festland verbunden gewesen ist. Diese Ansicht zerhaut den gordischen Knoten der Verbreitung derselben Art an den entferntesten Punkten und beseitigt manche Schwierigkeit. Aber soweit ich urteilen kann, sind wir nicht befugt, solche ungeheuren Wandlungen der Erdoberfläche in dem Zeitalter der lebenden Arten zuzugeben. Mir scheint, daß wir reichliche Beweise für die großen Schwankungen der Höhenlage des Landes oder der See haben; aber ich finde keine Beweise für so ungeheure Umwandlungen der Stellung und Ausdehnung unserer Festländer, daß man annehmen dürfte, sie seien noch in der neuen Erdbildungszeit miteinander und den verschiedenen zwischen ihnen liegenden Inseln des Weltmeeres verbunden gewesen. Ich gebe gern das frühere Vorhandensein vieler Inseln zu, die jetzt in der See begraben sind, und die für viele Pflanzen und Tiere auf ihrer Wanderschaft als Rastplätze gedient haben mögen. In den Korallen erzeugenden Meeren sind solche versunkene Inseln jetzt durch Korallenringe oder Atolle bezeichnet, die über ihnen stehen. Wenn man, wie es eines Tages der Fall sein wird, ohne Einschränkung zugeben wird, daß jede Art aus einem einzigen Geburtsort hergekommen ist, und wenn wir im Laufe der Zeit über die Mittel der Verbreitung etwas Bestimmtes erfahren, werden wir imstande sein, über die frühere Ausdehnung des Landes mit Sicherheit Betrachtungen anzustellen. Aber ich glaube nicht, daß jemals bewiesen werden wird, daß die meisten unserer Festländer, die jetzt ganz getrennt stehen, in dem jetzigen Zeitalter fortlaufend oder fast fortlaufend miteinander und mit den vielen im Weltmeere liegenden Inseln verbunden gewesen sind. Mehrere Thatsachen bei der Verbreitung, wie z. B. die große Verschiedenheit der Seetierwelten an den entgegengesetzten Seiten beinahe jedes Festlandes, die enge Verwandtschaft der Tertiärbewohner mehrerer Länder und sogar Meere mit ihren gegenwärtigen Bewohnern, der Grad der Verwandtschaft zwischen den die Inseln bewohnenden Säugetieren und denen des nächsten Festlandes, der (wie wir nachher sehen werden) teilweise durch die Tiefe des dazwischenliegenden Meeres bestimmt wird, – diese und andere ähnliche Thatsachen stehen der Annahme solcher wunderbaren Umwälzungen auf der Erdoberfläche in der jetzigen Erdbildungszeit entgegen, die nach der von Forbes aufgestellten, von seinen Anhängern angenommenen Ansicht notwendig sind. Die Natur und die bezüglichen Verhältnisse der Bewohner der Inseln im Meere sprechen ebenfalls gegen die Annahme, daß sie früher mit den Festländern zusammenhingen. Auch begünstigt die beinahe allgemeine vulkanische Zusammensetzung solcher Inseln die Annahme nicht, daß sie Trümmer versunkener Festländer sind. Wenn sie ursprünglich festländische Gebirgsreihen gewesen wären, so würden wenigstens einige von den Inseln, wie andere Gebirgsgipfel, aus Granit, metamorphischen Schiefern, Versteinerungen führenden und anderen Felsarten zusammengesetzt sein, anstatt aus bloßen Anhäufungen vulkanischer Massen zu bestehen.
Ich muß nun einige Worte über die Mittel sagen, die gewöhnlich zufällige genannt werden, die aber mit mehr Recht gelegentliche Mittel der Verteilung heißen würden. Ich werde mich hier auf die Pflanzen beschränken. In botanischen Werken wird oft behauptet, daß diese oder jene Pflanze für weite Verbreitung schlecht paßt. Aber die größere oder geringere Leichtigkeit der Wanderung über das Meer ist, wie man sagen kann, beinahe vollständig unbekannt. Bis ich mit Berkeleys Hilfe einige Versuche anstellte, war nicht einmal bekannt, wie weit Samen der schädlichen Wirkung des Seewassers widerstehen könnte. Zu meiner Überraschung fand ich, daß von 87 Arten 64 keimten, nachdem sie 28 Tage im Wasser gelegen hatten, und einige es sogar 137 Tage aushielten. Es verdient Beachtung, daß gewisse Ordnungen weit mehr geschädigt wurden als andere; neun Hülsengewächse wurden geprüft, und mit einer Ausnahme widerstanden sie dem Salzwasser schlecht. Sieben Arten der verwandten Ordnungen, der Hydrophyllaceen und der Polemoniaceen, waren sämtlich tot, wenn sie einen Monat im Wasser gelegen hatten. Um der Bequemlichkeit willen stellte ich die Versuche hauptsächlich mit kleinen Samen an ohne Kapsel oder Frucht, und da diese alle in einigen Tagen untersanken, so hätten sie nicht durch weite Seestrecken schwimmen können, ob sie nun durch das Wasser geschädigt wurden oder nicht. Nachher untersuchte ich einige größere Früchte, Kapseln u. s. w., und einige von ihnen schwammen lange Zeit. Es ist wohlbekannt, was für ein Unterschied zwischen der Schwimmkraft des grünen und der des ausgetrockneten Bauholzes ist, und es begegnete mir, daß die Fluten oft getrocknete Pflanzen oder Zweige mit daranhängenden Samenkapseln oder Früchten in die See spülten. Das veranlaßte mich, von 94 Pflanzen Stengel und Zweige mit reifen Früchten zu trocknen und sie auf das Seewasser zu legen. Die Mehrzahl sank schnell, aber einige, die im grünen Zustande eine kurze Zeit schwammen, thaten dies, wenn sie getrocknet waren, weit länger. Z. B. sanken reife Haselnüsse sofort, aber getrocknet schwammen sie neunzig Tage lang und keimten, wenn sie nachher gepflanzt wurden. Eine Spargelpflanze mit reifen Beeren schwamm 23, getrocknet aber 85 Tage, und die Samen keimten nachher. Die reifen Samen von Heloschiadium sanken in zwei Tagen, getrocknet schwammen sie über 90 Tage und keimten nachher. Im ganzen schwammen von 94 getrockneten Pflanzen 18 über 28 Tage lang, und einige von den 18 schwammen eine viel längere Zeit. Daher können wir, da 64 von 87 Samenarten keimten, nachdem sie 28 Tage lang in Wasser gelegen hatten, und da 13 von 94 getrennten Arten mit reifen Früchten (aber nicht ganz dieselbe Arten wie bei dem vorigen Versuch), nachdem sie getrocknet waren, über 28 Tage schwammen, den Schluß ziehen, soweit wir aus diesen dürftigen Thatsachen etwas folgern dürfen, daß die Samen von 14 auf 100 Pflanzenarten eines Landes durch die Seeströmungen 28 Tage lang fortgeschwemmt werden könnten und ihre Keimkraft behalten würden. In Johnstons »Physikalischem Atlas« ist die Durchschnittsgeschwindigkeit der verschiedenen atlantischen Strömungen auf 33 Meilen für den Tag angegeben, während einige Strömungen mit einer Geschwindigkeit von 60 Meilen für den Tag fließen. Nach diesem Durchschnitt könnten die Samen von 14 Pflanzen auf 100, die zu einem Lande gehören, über 924 Seemeilen nach einem anderen Lande geschwemmt werden, und ans Land getrieben und von einem Seewind auf eine günstige Stelle geweht, würden sie keimen.
Nach meinen Versuchen stellte Martens ähnliche, aber in viel besserer Weise an; denn er legte die Samen in einem Kasten wirklich in die See, so daß sie abwechselnd naß und der Luft ausgesetzt wurden, wie wirklich schwimmende Pflanzen. Er prüfte 73 meist von den meinigen verschiedene Samenarten, aber er wählte viele große Früchte und außerdem Samen von Pflanzen, die nahe der See wachsen, und dies würde sowohl die Durchschnittslänge ihres Schwimmens als ihren Widerstand gegen die schädliche Wirkung des Salzwassers begünstigt haben. Andererseits trocknete er die Pflanzen oder Zweige mit Früchten nicht vorher, und das würde, wie wir gesehen haben, viele von ihnen viel länger schwimmend erhalten haben. Das Ergebnis war, daß 18 auf 98 seiner Samen von verschiedenen Sorten 42 Tage schwammen und dann keimfähig waren. Aber ich zweifle nicht, daß Pflanzen, die den Wogen ausgesetzt sind, geringere Zeit schwimmen würden, als die zu unsern Versuchen benutzten und vor heftiger Bewegung beschützten. Daher würde es vielleicht schwer sein anzunehmen, daß die Samen von ungefähr einem Zehntel der Pflanzen einer Pflanzenwelt, nachdem sie getrocknet worden sind, über einen Raum von 900 Seemeilen geschwemmt werden könnten und dann noch ihre Keimkraft besäßen. Die Thatsache, daß die größeren Früchte oft länger schwimmen als die kleinen, verdient Beachtung, da Pflanzen mit großen Samen oder Früchten, die, wie Alfons de Candolle gezeigt hat, gewöhnlich beschränkte Verbreitung haben, kaum durch andere Mittel fortgebracht werden könnten.
Samen könnten gelegentlich auf andere Weise befördert werden. Auf die meisten Inseln, sogar auf die inmitten der größten Weltmeere wird Treibholz geworfen, und die Eingeborenen der Koralleninseln im Stillen Weltmeer verschaffen sich die Steine für ihre Werkzeuge nur aus den Wurzeln angetriebener Bäume, und diese Steine sind eine wertvolle königliche Steuer. Ich finde, daß, wenn unregelmäßig geformte Steine in die Wurzeln der Bäume eingebettet sind, oft kleine Häufchen Erde in ihre Zwischenräume und hinter ihnen so vollkommen eingeschlossen sind, daß während des längsten Weges nicht ein Teilchen weggewaschen werden könnte. Aus einem kleinen Teil Erde, der von den Wurzeln einer fünfzigjährigen Eiche so vollkommen eingeschlossen war, sproßten drei zweikeimblättrige Pflanzen: der Genauigkeit dieser Beobachtung bin ich sicher. Ferner kann ich zeigen, daß Vogelleichen, wenn sie auf dem Meere schwimmen, nicht immer sofort verschlungen werden, und viele Samenarten behalten in dem Kropf dieser Vögel lange ihre Lebenskraft. Erbsen und Wicken sind z. B. tot, wenn sie bloß einige Tage im Seewasser liegen, aber einige aus dem Kropf einer Taube, die dreißig Tage lang auf künstlichem Seewasser gelegen hatte, entnommene keimten zu meiner Überraschung beinahe sämtlich.
Lebende Vögel müssen jedenfalls höchst wirksame Vermittler bei der Beförderung des Samens sein. Ich könnte viele Thatsachen anführen, die zeigen, wie häufig Vögel von vielen Arten durch heftigen Wind in ungeheure Entfernungen über das Meer getrieben werden. Wir können sicher annehmen, daß unter solchen Umständen die Schnelligkeit ihres Fluges oft 35 Meilen die Stunde betragen würde; einige Schriftsteller haben sie sogar weit höher geschätzt. Ich habe niemals ein Beispiel davon gesehen, daß nahrhafte Samenkörner durch die Eingeweide eines Vogels gehen; aber harte Fruchtsamen gehen sogar unverletzt durch die Verdauungsorgane eines Truthahns. Im Laufe von zwei Monaten sammelte ich in meinem Garten 12 Samenarten aus dem Auswurf kleiner Vögel; diese schienen unversehrt, und einige von ihnen, die ich prüfte, keimten. Aber die folgende Thatsache ist wichtiger: die Kröpfe der Vögel sondern keinen Verdauungssaft ab und beeinträchtigen, wie ich durch Versuche weiß, nicht im geringsten die Keimkraft der Samen. Nun ist sicher festgestellt, daß, nachdem ein Vogel einen großen Futtervorrat gefunden und verzehrt hat, alle Körner die ersten zwölf oder sogar achtzehn Stunden nicht in den Magen kommen. In dieser Zwischenzeit könnte ein Vogel leicht bis zu einer Entfernung von 500 Meilen fortgetrieben werden, und Habichte spähen bekanntlich nach ermüdeten Vögeln, und der Inhalt ihrer zerrissenen Kröpfe könnte so leicht zerstreut werden. Einige Habichte und Eulen verschlingen ihre Beute ganz, und nach einem Zwischenraum von zwölf bis zwanzig Stunden speien sie Kügelchen aus, die, wie ich aus den in zoologischen Gürten angestellten Versuchen weiß, keimfähige Samen enthalten. Einige Samenkörner des Hafers, des Weizens, der Hirse, des Kanariengrases, des Hanfes, des Klees und der Runkelrübe keimten, nachdem sie zwölf bis einundzwanzig Stunden im Magen verschiedener Raubvögel gewesen waren, und zwei Samenkörner der Runkelrübe wuchsen, nachdem sie zwei Tage und vierzehn Stunden darin geblieben waren. Süßwasserfische fressen, wie ich finde, die Samen vieler Land- und Wasserpflanzen, Fische werden häufig von Vögeln verzehrt, und so könnten die Samen von Ort zu Ort gebracht werden. Ich zwängte viele Samenarten in die Magen toter Fische und gab dann ihre Körper Fischadlern, Störchen, und Pelikanen. Diese Vögel spieen nach einem Zwischenraum von vielen Stunden entweder diese Samen in Kügelchen aus oder schieden sie mit dem Auswurf aus, und mehrere dieser Samen behielten die Keimkraft. Gewisse Samen wurden jedoch immer durch diesen Vorgang vernichtet.
Heuschrecken werden bisweilen auf große Entfernungen vom Lande weggetrieben; ich selbst fing eine 370 Meilen von der afrikanischen Küste und habe von anderen gehört, die in größeren Entfernungen gefangen worden sind. Pfarrer R. T. Love teilte Sir C. Lyell mit, daß im November 1844 Schwärme Heuschrecken die Insel Madeira aufsuchten. Sie waren in zahllosen Mengen, so dicht wie die Flocken beim stärksten Schneesturme und dehnten sich aus, soweit man mit einem Fernrohr sehen konnte. Zwei oder drei Tage lang bewegten sie sich immer rund herum in einer ungeheuren Ellipse von wenigstens fünf oder sechs Meilen im Durchmesser, und zur Nacht ließen sie sich auf den größeren Bäumen nieder, die von ihnen vollständig bedeckt waren. Dann verschwanden sie ebenso plötzlich, wie sie gekommen waren, über das Meer hinweg und haben seitdem die Insel nicht besucht. Nun glauben in Teilen von Natal manche Landwirte, wenn auch nach ungenügenden Zeugnissen, daß in dem Kot, den die großen, jenes Land oft besuchenden Heuschreckenschwärme zurücklassen, schädliche Samenkörner in ihre Grasplätze gebracht werden. Infolge dessen sandte mir Herr Weale in einem Briefe ein kleines Päckchen getrockneter Kügelchen, aus denen ich unter dem Mikroskop mehrere Samenkörner herauszog. Aus ihnen zog ich sieben Graspflanzen auf, die zu zwei Arten zweier Gattungen gehörten. Also könnte ein Heuschreckenschwarm wie der, welcher Madeira aufsuchte, leicht dazu dienen, verschiedene Arten von Pflanzen in eine Insel zu bringen, die vom Festland weit entfernt ist.
Obwohl die Schnäbel und Füße der Vögel gewöhnlich rein sind, so hängt doch zuweilen Erde an ihnen. In einem Fall entfernte ich 61, in einem andern 22 Gramm trockener Thonerde von dem Fuß eines Rebhuhns, und in der Erde war ein Kiesel so groß wie das Samenkorn einer Wicke. Ich will ein besseres Beispiel anführen. Ein Freund sandte mir das Bein einer Schnepfe mit einem kleinen Klümpchen trockener Erde, das an dem Unterschenkel haftete und nur neun Gramm wog. Und dies enthielt ein Samenkorn der Krötenbinse (Juncus bufonius), das keimte und blühte. Swaysland aus Brighton, der während der letzten vierzig Jahre unsere Wandervögel sorgfältig beobachtet hat, teilt mir mit, daß er oft Bachstelzen (Motacillae), Weißkehlchen und Braunkehlchen (Saxiolae) bei ihrer ersten Ankunft an unseren Küsten geschossen habe, bevor sie sich niedergesetzt hatten; und er hat mehrere Male kleine Klümpchen Erde an ihren Füßen haften sehen. Viele Thatsachen könnten angeführt werden, die zeigen, wie gewöhnlich die Erde Samen enthält. Professor Newton sandte mir z. B. das Bein eines rotbeinigen Rebhuhns (Caccabis rufa), das verwundet worden war und nicht fliegen konnte. An diesem hing ein Klumpen harter Erde, der sechs und eine halbe Unze wog. Diese Erde war drei Jahre aufbewahrt worden, aber als sie auseinandergebrochen, bewässert und unter eine Glasglocke gebracht wurde, entsproßten daraus nicht weniger als 82 Pflanzen. Diese bestanden aus zwölf einkeimblättrigen mit Einschluß des gemeinen Hafers und wenigstens einer Art Gras und siebzig zweikeimblättrigen, die, nach den jungen Blättern zu urteilen, wenigstens drei getrennten Arten angehörten. Können wir angesichts solcher Thatsachen bezweifeln, daß die vielen Vögel, die jährlich von den Winden über das große Weltmeer getrieben werden, und die jährlich wandern, wie z. B. die Millionen Wachteln, die über das Mittelländische Meer ziehen, gelegentlich einige Samen in dem an ihren Füßen und Schnäbeln hängenden Schmutz eingebettet befördern? Aber ich werde auf diesen Gegenstand zurückkommen müssen.
Da Eisberge bekanntlich manchmal mit Erde und Steinen beladen sind, und sogar Strauchwerk, Knochen und das Nest eines Landvogels getragen haben, kann kaum bezweifelt werden, daß sie gelegentlich, wie Lyell vermutete, Samen von einem Teil der arktischen und antarktischen Gegend zum anderen und während der Eiszeit von einem Teil der jetzt gemäßigten Gegend zum anderen gebracht haben. Auf den Azoren vermutete ich aus der großen Anzahl von Pflanzen, die sie im Vergleich mit den Arten auf anderen Inseln des atlantischen Weltmeers mit Europa gemeinsam haben und (wie H. E. Watson bemerkt hat) aus ihren im Vergleich zur Breite etwas nördlichen Gepräge, daß diese Inseln während der Eiszeit teilweise mit auf dem Eis erzeugtem Samen versehen worden sind. Auf meine Bitte schrieb Sir C. Lyell an M. Hartwig und fragte an, ob er erratische Blöcke auf diesen Inseln bemerkt hätte. Dieser antwortete, daß er große Bruchstücke von Granit und anderem Gestein gefunden hätte, die nicht im Inselmeer vorkommen. Daraus können wir sicher schließen, daß die Eisberge früher ihre felsigen Lasten auf den Küsten dieser mitten im Weltmeer liegenden Inseln landeten, und es ist wenigstens möglich, daß sie dahin einige Samen nördlicher Pflanzen gebracht haben.
Wenn wir in Erwägung ziehen, daß diese verschiedenen Beförderungsmittel und andere, die zweifellos noch werden entdeckt werden, seit tausenden oder zehntausenden Jahren jahraus jahrein wirksam gewesen sind, so würde es, denke ich, sehr wunderbar sein, wenn nicht viele Pflanzen auf diese Weise fortgetragen worden wären. Diese Beförderungsmittel sind zuweilen zufällig genannt worden, aber das ist nicht richtig, denn weder die Meeresströmungen sind zufällig, noch ist es die Richtung der vorwiegenden Seewinde. Man sollte beachten, daß kaum ein Beförderungsmittel die Samen über sehr große Entfernungen tragen würde. Denn die Samen behalten ihre Lebensfähigkeit nicht, wenn sie eine sehr lange Zeit der Wirkung des Salzwassers ausgesetzt sind, noch könnten sie lange in den Kröpfen oder Eingeweiden von Vögeln getragen werden. Diese Mittel würden indessen zur gelegentlichen Beförderung quer durch einige hundert Meilen breite Seestriche oder von einer Insel zur anderen oder von einem Festlande zu einer benachbarten Insel, nicht aber von einem Festlands zu einem anderen weit entfernten ausreichen. Die Pflanzenwelten weit entfernter Erdteile würden durch solche Mittel sich nicht mischen, sondern so getrennt bleiben, wie sie jetzt sind. Die Strömungen würden auf ihrem Laufe niemals Samen von Nordamerika nach Großbritannien bringen, obwohl sie Samen von Westindien nach unseren westlichen Küsten bringen könnten und es thun, wo diese, wenn sie nicht schon infolge des langen Aufenthaltes im Salzwasser tot sind, unser Klima nicht aushalten können. Fast jedes Jahr werden ein oder zwei Landvögel quer über das ganze Atlantische Weltmeer aus Nordamerika zu den westlichen Küsten Irlands und Englands getrieben. Aber Samen könnte von diesen seltenen Wanderern nur durch den Schmutz, der an ihren Füßen oder Schnäbeln hängt, befördert werden, was an sich ein seltener Zufall ist. Wie gering würde sogar in diesem Fall die Aussicht sein, daß ein Samenkorn auf einen günstigen Boden fiele und zur Reife käme! Aber es würde ein sehr großer Irrtum sein, daraus, daß eine wohlbesetzte Insel wie Großbritannien, soweit bekannt ist (und der Beweis würde schwer zu führen sein), in den wenigen letzten Jahrhunderten durch gelegentliche Beförderungsmittel keine Einwanderer aus Europa oder irgendeinem anderen Erdteil erhalten hat, zu schließen, daß eine schwach besetzte Insel, auch wenn sie noch entfernter vom Festlande läge, durch gleiche Mittel keine Ansiedler erhalten würde. Von hundert Arten Samen oder Tieren, die auf eine auch weit weniger bevölkerte Insel wie Großbritannien gebracht würde, würde vielleicht nicht mehr als eine so zu der neuen Heimat passen, daß sie eingewöhnt würde. Aber das ist kein starker Grund gegen das, was durch gelegentliche Beförderungsmittel während des langen Verlaufs der Erdbildungszeit erreicht worden sein würde, während die Insel auftauchte und vollständig mit Bewohnern angefüllt würde. Auf einen fast kahlen Lande, in dem wenig Kerbtiere oder Vögel leben, die es verzehren, würde fast jedes Samenkorn, das zufällig hingelangte, wenn es für das Klima geeignet wäre, keimen und sich erhalten.
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Die Verbreitung während der Eiszeit.
Die Übereinstimmung vieler Pflanzen und Tiere auf Berggipfeln, die durch Hunderte von Meilen große Tiefländer voneinander getrennt sind, in denen Alpenarten unmöglich leben könnten, ist eins der auffallendsten bekannten Beispiele davon, daß dieselben Arten an entfernten Punkten leben, ohne daß ihre Wanderung von einem zum anderen möglich erscheint. Es ist in der That eine merkwürdige Thatsache, daß man so viele Pflanzen derselben Art in den Schneegebieten der Alpen und Pyrenäen und in den äußersten nördlichen Teilen Europas leben sieht. Aber es ist weit bemerkenswerter, daß die Pflanzen auf den Weißen Bergen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ganz dieselben sind wie die in Labrador und, wie wir von Asa Gray hören, fast ganz dieselben wie die auf den höchsten Bergen Europas. Solche Thatsachen führten sogar schon 1747 Gmelin zu dem Schlusse, daß dieselben Arten auf vielen verschiedenen Punkten für sich erschaffen sein müßten, und wir wären vielleicht bei dieser Annahme geblieben, hätten nicht Agassiz und andere die Aufmerksamkeit nachdrücklich auf die Eiszeit gelenkt, die, wie wir sofort sehen werden, eine einfache Erklärung dieser Thatsache darbietet. Wir haben Zeugnisse beinahe jeder denkbaren Art, organische und unorganische, daß in einer sehr neuen Erdbildungszeit Mitteleuropa und Nordamerika unter arktischem Klima litten. Die Überreste eines vom Feuer zerstörten Hauses erzählen ihre Geschichte nicht deutlicher, als die Berge von Schottland und Wales mit ihren gerieften Seiten, ihren abgeschliffenen Oberflächen, ihren abgesetzten Blöcken von den Eisströmen erzählen, mit denen ihre Thäler vor kurzem gefüllt waren. Das Klima Europas hat sich so sehr verändert, daß in Norditalien riesenhafte von alten Gletschern zurückgelassene Moränen jetzt mit Wein und Mais bekleidet sind. In einem großen Teil der Vereinigten Saaten weisen überall erratische Blöcke und geriefte Felsen auf eine frühere Kältezeit hin. Der frühere Einfluß des Eisklimas auf die Verteilung der Bewohner Europas, wie er von Edward Forbes erklärt worden, stellt sich im wesentlichen folgendermaßen dar. Aber wir werden den Umwandlungen leichter folgen können, wenn wir annehmen, daß eine neue Eiszeit langsam herankommt und dann vorübergeht, wie es früher geschah. Wenn die Kälte herankäme und jeder südlichere Strich für die Bewohner des Nordens passend würde, so würden diese die Plätze der früheren Bewohner der gemäßigten Gegenden einnehmen. Zu gleicher Zeit würden die letzteren immer weiter nach Süden wandern, bis sie durch Schranken angehalten würden, und in diesem Fall würden sie umkommen. Die Berge würden mit Schnee und Eis bedeckt werden, und ihre früheren Bewohner würden in die Ebene hinabsteigen. Zu der Zeit, da die Kälte ihren Höhepunkt erreicht hätte, würden wir eine arktische Tier- und Pflanzenwelt haben, die die mittleren Teile Europas bedecken, sich im Süden bis zu den Alpen und Pyrenäen und sogar bis nach Spanien hinein erstrecken würde. Die jetzt gemäßigten Gegenden der Vereinigten Staaten würden ebenfalls mit arktischen Pflanzen und Tieren bedeckt, und diese würden fast dieselben sein, wie die in Europa, denn die gegenwärtigen Polarbewohner, die nach unserer Annahme überall südwärts gewandert sind, sind in der ganzen Welt merkwürdig gleichförmig.
Wenn die Wärme zurückkehrte, würden sich die arktischen Formen nach Norden zurückziehen, und auf ihrem Rückzüge würden ihnen die Bewohner der gemäßigteren Gegenden auf dem Fuße folgen. Und wenn der Schnee am Fuße der Berge schmölze, würden die arktischen Formen den gereinigten und aufgetauten Erdboden in Besitz nehmen und mit dem Zunehmen der Wärme und dem Verschwinden des Schnees immer höher hinaufsteigen, während ihre Mitbrüder ihre Reise nach Norden fortsetzten. Daher würde man, wenn die Wärme völlig zurückgekehrt wäre, dieselben Arten, die kürzlich in den europäischen und nordamerikanischen Tiefländern zusammen gelebt hatten, in den arktischen Gegenden der Alten und Neuen Welt und auf vielen abgesonderten Berggipfeln in weiter Entfernung voneinander wieder finden.
So können wir die Gleichheit vieler Pflanzen an so ungeheuer weit voneinander gelegenen Punkten wie auf den Gebirgen der Vereinigten Staaten und Europas begreifen. Wir können so auch die Thatsache begreifen, daß die Alpenpflanzen einer jeden Bergkette mit den arktischen Formen, die genau oder fast genau nördlich von ihnen leben, besonders verwandt sind. Denn die erste Wanderung beim Eintritt der Kälte und die Rückwanderung bei der Wiederkehr der Wärme würde gewöhnlich genau südwärts und nordwärts stattgefunden haben. Die Alpenpflanzen Schottlands z. B. sind nach H. C. Watson und die der Pyrenäen nach Ramond mit den Pflanzen des nördlichen Skandinaviens, die der Vereinigten Staaten mit denen Labradors, die der Berge Sibiriens mit denen der arktischen Gegenden dieses Landes besonders verwandt. Diese Annahmen, die sich auf das durchaus sicher bewiesene Vorkommen einer früheren Eiszeit stützen, scheinen mir die gegenwärtige Verteilung der alpinen und arktischen Erzeugnisse Europas und Amerikas so befriedigend zu erklären, daß, wenn wir in anderen Gegenden dieselbe Art auf weit voneinander entfernten Berggipfeln finden, wir beinahe ohne andere Zeugnisse schließen können, daß ein kälteres Klima früher ihre Wanderung durch dazwischen liegende Tiefländer ermöglichte, die jetzt für ihr Bestehen zu warm sind.
Da die arktischen Formen im Einklang mit der Wandlung des Klimas zuerst nach Süden und nachher zurück nach Norden gingen, so werden sie während ihrer langen Wanderungen keiner großen Verschiedenheit des Wärmegrades ausgesetzt gewesen sein, und, da sie alle zusammen wanderten, werden ihre gegenseitigen Beziehungen nicht sehr gestört worden sein. Daher werden diese Formen nach den in diesem Bande hervorgehobenen Grundgesetzen keiner großen Ummodelung ausgesetzt gewesen sein. Aber mit den Alpenerzeugnissen, die seit der Wiederkehr der Wärme zuerst am Fuß und schließlich auf dem Gipfel der Gebirge abgesondert blieben, wird es sich etwas anders verhalten haben. Denn es ist nicht wahrscheinlich, daß ganz dieselben arktischen Arten aus weit voneinander entfernten Bergketten übrig geblieben sind und seitdem dort ständig ausgedauert haben. Sie werden aller Wahrscheinlichkeit nach sich auch mit alten Alpenarten vermischt haben, die vor dem Beginne der Eiszeit auf den Bergen vorhanden gewesen sein müssen und während des kältesten Zeitabschnitts vorübergehend nach den Ebenen zu gedrängt worden sein werden. Sie werden auch später etwas anderen Klimaeinflüssen ausgesetzt gewesen sein. Ihre gegenseitigen Beziehungen werden infolge dessen einigermaßen gestört worden und sie der Ummodelung unterworfen gewesen sein. Und sie haben sich umgemodelt. Denn eine Begleichung der jetzigen Alpenpflanzen und -tiere der verschiedenen großen europäischen Bergketten zeigt uns, daß, obwohl viele Arten ganz genau gleich bleiben, einige Spielarten, wie unsichere Formen oder Unterarten und einige getrennte, jedoch nahe verwandte Formen vorkommen, die einander aus den einzelnen Ketten vertreten.
Bei dem vorigen Beispiele habe ich angenommen, daß zu Beginn unserer gedachten Eiszeit die arktischen Erzeugnisse rings um die Polgegenden ebenso gleichförmig waren, wie sie es heutzutage sind. Aber man muß auch annehmen, daß viele von den Formen der subarktischen und einige von denen der gemäßigten Gegenden überall auf der Erde gleich waren. Denn einige von den Arten, die jetzt auf den unteren Bergabhängen und in den Ebenen Nordamerikas und Europas vorkommen, sind gleich. Man könnte nun fragen, wie ich diesen Grad von Gleichförmigkeit der Formen der subarktischen und gemäßigten Gegenden überall auf der Erde zu Beginn der wirklichen Eiszeit erkläre. Heutzutage werden die Erzeugnisse der subarktischen und der nördlichen gemäßigten Zone in der Alten und der Neuen Welt durch das ganze atlantische und den nördlichen Teil des Stillen Weltmeers voneinander getrennt. Während der Eiszeit, als die Bewohner der Alten und der Neuen Welt weiter südlich lebten als jetzt, müssen sie noch vollständiger durch weitere Räume des Weltmeers voneinander getrennt gewesen sein. Daher kann man mit Recht fragen, wie die gleichen Arten nachher oder vorher in die beiden Erdteile eingedrungen sein können. Die Erklärung liegt, glaube ich, in der Art des Klimas vor dem Beginne der Eiszeit. Damals, in der neueren Pliocänzeit, gehörte die Mehrzahl der Weltbewohner den gleichen Arten wie jetzt an, und wir haben guten Grund zu glauben, daß das Klima wärmer war als heutzutage. Daher können wir annehmen, daß die Lebensformen, die jetzt unter dem 60. Breitengrade vorkommen, in der Pliocänzeit weiter nördlich unter dem Polkreise, im 66.–67. Breitengrade vorkamen, und daß die jetzigen arktischen Erzeugnisse auf dem auseinandergerissenen Lande noch näher am Pol lebten. Wenn wir nun auf eine Erdkugel blicken, so sehen wir unter dem Polkreis, daß das Land von Westeuropa durch Sibirien hindurch bis Ostamerika fast ganz zusammenhängt. Und dies Zusammenhängen des Landes um den Pol, das unter einem günstigeren Klima die Freiheit des Wanderns zur Folge hat, wird die angenommene Gleichförmigkeit der Erzeugnisse der subarktischen und gemäßigten Gegenden in der Alten und Neuen Welt zu einem Zeitalter vor der Eiszeit erklären.
Da ich aus früher angeführten Gründen glaube, daß unsere Festländer, obwohl sie großen Schwankungen der Höhenlage ausgesetzt waren, lange in derselben Lage zu einander blieben, so bin ich sehr geneigt, die oben vertretene Ansicht weiter auszudehnen und zu schließen, daß während irgendeines noch früheren und noch wärmeren Zeitalters, z. B. der älteren Pliocänzeit, eine große Zahl derselben Pflanzen und Tiere in der Alten wie in der Neuen Welt, als das Klima weniger warm wurde, lange vor dem Beginn der Eiszeit langsam anfingen nach Süden zu wandern. Wir sehen jetzt, wie ich glaube, ihre Nachkommen, meist in umgemodeltem Zustande, in Mitteleuropa und in den Vereinigten Staaten. Nach dieser Annahme können wir die Verwandtschaft zwischen den Erzeugnissen Europas und Nordamerikas begreifen, bei der die Gleichheit sehr gering ist, eine Verwandtschaft, die in hohem Grade bemerkenswert ist, wenn man die Entfernung der beiden Gebiete und ihre Trennung durch das ganze atlantische Weltmeer erwägt. Wir können ferner die sonderbare, von mehreren Beobachtern bemerkte Thatsache verstehen, daß die Erzeugnisse Europas und Amerikas während der späteren Tertiärstufen näher miteinander verwandt waren, als sie es jetzt sind. Denn während dieser wärmeren Zeiten werden die nördlichen Teile der Alten und der Neuen Welt fast ununterbrochen durch Land vereinigt gewesen sein, das als Brücke diente und seitdem durch die Kälte für ein Hinüber- und Herüberwandern seiner Bewohner unwegsam geworden ist.
Während der langsamen Abnahme der Wärme in der Pliocänzeit werden die gemeinsamen Arten, die die Alte und die Neue Welt bewohnten, sobald sie vom Polkreise aus südlich wanderten, gänzlich voneinander abgeschnitten gewesen sein. Diese Trennung muß, soweit sie die Erzeugnisse der gemäßigten Zone betrifft, vor langen Zeiten eingetreten sein. Da die Pflanzen und Tiere südwärts wanderten, so werden sie sich in dem einen großen Gebiet mit den eingeborenen amerikanischen Erzeugnissen gemischt haben und werden mit ihnen in Wettbewerb haben treten müssen, und in dem anderen großen Gebiete hätten sie sich mit den Erzeugnissen der Alten Welt vermischt und wären in Wettbewerb mit ihnen gekommen. Infolge dessen wird hier eine große Ummodelung auf jede Weise begünstigt, eine weit größere als bei den Alpenerzeugnissen, die in viel jüngerer Zeit aus den einzelnen Bergketten und in den arktischen Ländern Europas und Nordamerikas abgesondert zurückgeblieben sind. Aus diesem Grunde finden wir bei einer Vergleichung der jetzt in den gemäßigten Gegenden der Neuen und der Alten Welt lebenden Erzeugnisse sehr wenig ganz gleiche Arten, obwohl Asa Gray kürzlich gezeigt hat, daß mehr Pflanzen ganz gleich sind, als man früher angenommen hat. Dagegen finden wir in jeder großen Klasse viele Formen, die einige Naturforscher als geographische Rassen, andere als getrennte Arten ansetzen, sowie eine Menge nahe verwandter oder einander vertretender Formen, die alle Naturforscher für artmäßig geschieden ansehen.
Wie auf dem Lande, so wird in den Gewässern des Meeres eine langsame, südwärts gerichtete Wanderung einer Seetierwelt, die während der Pliocän- oder sogar einer etwas früheren Zeit längs der zusammenhängenden Küsten auf dem Polkreise fast gleichförmig war, nach der Lehre von der Ummodelung erklären, wieso viele nahe verwandte Formen in vollkommen gesonderten Meeresgebieten wohnen. So, denke ich, können wir das Vorhandensein einiger jetzt lebender und erloschener Tertiärformen, die nahe verwandt sind, an den Ost- und Westküsten des zur gemäßigten Zone gehörigen Nordamerikas und die noch auffälligere Thatsache begreifen, daß viele nahe verwandte Krustentiere, die Dana in seinem bewundernswerten Werk beschreibt, einige Fische und andere Seetiere das mittelländische und das japanische Meer bewohnen, zwei Meeresgebiete, die durch die Breite eines ganzen Erdteils und weite Räume des Weltmeers jetzt ganz geschieden sind.
Diese Beispiele naher Verwandtschaft in den Arten, die die Meere an den Ost- und Westküsten Nordamerikas, das mittelländische und das japanische Meer und die Länder der gemäßigten Zone in Nordamerika und Europa entweder jetzt bewohnen oder früher bewohnt haben, sind nach der Lehre von der Schöpfung unerklärlich. Wir können nicht behaupten, daß diese Arten, den fast gleichen natürlichen Bedingungen der Gebiete entsprechend gleich geschaffen seien. Denn, wenn wir z. B. gewisse Teile Südamerikas mit Teilen von Südafrika oder Australien vergleichen, sehen wir Länder, die in allen ihren natürlichen Bedingungen die größte Ähnlichkeit haben, aber äußerst unähnliche Bewohner besitzen.
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Abwechselnde Eiszeiten im Norden und Süden.
Aber wir müssen zu unserm eigentlichen Gegenstande zurückkehren. Ich bin überzeugt, daß Forbes' Annahme sehr erweitert werden kann. In Europa finden wir die klarsten Beweise einer Eiszeit, die ein Gebiet von den Westküsten Großbritanniens bis zum Uralgebirge und südlich bis zu den Pyrenäen traf. Wir können aus den erfrorenen Säugetieren und aus der Natur des Pflanzenwuchses auf den Bergen schließen, daß Sibirien ein ähnliches Schicksal hatte. Auf dem Libanon bedeckte nach Dr. Hooker früher ewiger Schnee den Kamm und bildete Gletscher, die viertausend Fuß in die Thäler herabrollten. Derselbe Beobachter hat kürzlich auf dem Atlasgebirge in Nordafrika in geringer Höhe große Moränen gefunden. Längs des Himalayas, an 900 Meilen abseits liegenden Punkten haben Gletscher die Zeichen ihres früheren langsamen Hinabgleitens hinterlassen, und in Sikkem sah Dr. Hooker Mais auf einstigen riesigen Moränen wachsen. Südlich vom asiatischen Festlande auf der entgegengesetzten Seite des Äquators reichten in Neuseeland, wie wir aus den ausgezeichneten Untersuchungen von Dr. J. Haast und Dr. Hector wissen, unermeßliche Gletscher früher bis zu einer geringen Tiefe herab, und die gleichen Pflanzen, die Dr. Hooker auf weit getrennten Bergen auf dieser Insel gefunden hat, erzählen dieselbe Geschichte von einer früheren kalten Zeit. Aus Thatsachen, die mir Sr. Ehrwürden W. B. Clarke mitgeteilt hat, ergiebt sich auch, daß aus den Gebirgen an der Südostecke Australiens Spuren einer früheren Wirksamkeit des Eises vorhanden sind.
In der Nordhälfte Amerikas sind vom Eis hingetragene Felsbruchstücke an der Ostseite des Festlandes bis zum 36.-37. Breitegrade herab und an den Küsten des Stillen Weltmeeres, wo das Klima jetzt so verschieden ist, bis zum 46. Breitengrade herab beobachtet worden. Erratische Blöcke sind auch auf den Felsengebirgen entdeckt worden. An den Cordilleren von Südamerika reichten einst, nahe dem Äquator, Gletscher weit unter ihre gegenwärtige Grenze herunter. In Mittel-Chile untersuchte ich einen ausgedehnten Gerölldamm mit großen Blöcken, der quer durch das Portillothal ging, und der fast zweifellos eine riesenhafte Moräne bildete. D. Forbes teilt mir mit, daß er in verschiedenen Teilen der Cordilleren vom 13. bis zum 30. Grade südlicher Breite ungefähr in einer Höhe von 12 000 Fuß tief gefurchte Felsen ähnlich denen, die in Norwegen zu Hause sind, und ebenso große Geröllmassen, die ausgehöhlte Kiesel enthielten, gefunden habe. Längs dieser ganzen Linie der Cordilleren giebt es auch in beträchtlicherer Höhe jetzt keine wirklichen Gletscher. Weiter südlich auf beiden Seiten des Festlandes, vom 41. Grade bis zum Südende haben wir in zahllosen ungeheuren Blöcken, die weit von ihrer ursprünglichen Heimat hierher getragen worden sind, den deutlichsten Beweis früherer Eisthätigkeit.
Aus diesen verschiedenen Thatsachen, nämlich daraus, daß sich die Eisthätigkeit über die beiden Halbkugeln ausgedehnt hat, daß sie in beiden zu einer in geologischem Sinne noch neuen Zeit eingetreten ist, daß sie, wie man aus dem Umfang ihrer Werke schließen kann, in beiden sehr lange gedauert hat, und schließlich, daß längs der ganzen Kette der Cordilleren Gletscher noch kürzlich bis zu einer geringen Höhe herabgegangen sind, schien für mich mit einem Male der Schluß unabweislich, daß der Wärmegrad in der ganzen Welt gleichzeitig während der Eiszeit gesunken sei. Jetzt aber hat Croll in einer Reihe ganz ausgezeichneter Abhandlungen zu zeigen versucht, daß ein eisiger Zustand des Klimas das Ergebnis mannigfacher natürlicher Ursachen sei, die durch ein Zunehmen in der Abschweifung der Erdbahn wirksam werden. Alle diese Ursachen streben demselben Ziele zu, aber am mächtigsten scheint der mittelbare Einfluß der Abschweifung der Erdbahn auf die Strömungen im Weltmeere zu sein. Nach Croll kehren Kältezeiten regelmäßig jede zehn- oder fünfzehntausend Jahre wieder, und zwar sind sie in langen Zwischenräumen äußerst streng, wobei gewisse Umstände eine Rolle spielen, von denen, wie Sir C. Lyell gezeigt, das Verhältnis in der Lage von Land und Wasser der wichtigste ist. Croll glaubt, daß die letzte große Eiszeit vor 240,000 Jahren eingetreten ist und mit geringfügigen Klimaänderungen ungefähr 160,000 Jahre gedauert hat. Von älteren Eiszeiten stehen nach der Überzeugung mehrerer Geologen solche in den Miocän- und Eocänschichten durch unmittelbaren Beweis fest, um noch ältere Schichten garnicht zu erwähnen. Aber das für uns wichtigste Ergebnis Crolls ist, daß jedesmal, wenn die nördliche Halbkugel eine Kältezeit durchmacht, der Wärmegrad auf der südlichen sich hebt, indem die Winter hauptsächlich infolge der Wandlungen in der Richtung der Meeresströmungen milder werden. Dasselbe tritt auf der nördlichen Halbkugel ein, während die südliche eine Eiszeit durchmacht. Dieser Schluß wirft so helles Licht auf die Verteilung der organischen Wesen auf der Erdoberfläche, daß ich sehr geneigt bin, ihm zu folgen. Zunächst will ich aber die Thatsachen anführen, die eine Erklärung verlangen. Wie Dr. Hooker gezeigt hat, kommen neben vielen nahe verwandten Arten vierzig bis fünfzig der blühenden Pflanzen des südamerikanischen Feuerlands, die einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner dürftigen Pflanzenwelt ausmachen, gleichfalls in Nordamerika und Europa vor, Gebieten, die in ungeheurer Entfernung voneinander auf entgegengesetzten Halbkugeln liegen. Auf den hohen Gebirgen des äquatorialen Amerikas kommt eine Menge eigentümlicher Arten vor, die zu europäischen Gattungen gehören. Auf den brasilischen Organbergen hat Gardner einige wenige Gattungen aus dem zur gemäßigten Zone gehörigen Teile Europas, einige antarktische und einige Andengattungen gefunden, die nicht in den zwischenliegenden heißen Ländern vorkommen. Auf der Silla von Caraccas hat der berühmte Humboldt lange vorher Arten gefunden, die zu den die Cordilleren kennzeichnenden Gattungen gehören.
In Afrika kommen verschiedene Formen, die Europa eigentümlich sind, vor, und auf den abessinischen Bergen findet man einige wenige Vertreter der Pflanzenwelt des Vorgebirges der guten Hoffnung. Am Vorgebirge der guten Hoffnung werden sehr wenige europäische Arten, die nicht vom Menschen eingeführt worden sein sollen, und auf den Bergen mehrere einander vertretende europäische Formen gefunden, die in den zur heißen Zone gehörigen Teilen Afrikas nicht entdeckt worden sind. Dr. Hooker hat auch kürzlich gezeigt, daß mehrere von den Pflanzen, die in den höher gelegenen Teilen der bergigen Insel Fernando Po im Golf von Guinea und auf dem benachbarten Kamerungebirge leben, mit denen der abessinischen Gebirge, sowie des nördlichen gemäßigten Europas nahe verwandt sind. Einige von diesen Pflanzen aus der gemäßigten Zone scheinen auch jetzt, wie ich von Dr. Hooker höre, von Sr. Ehrwürden N. T. Lowe auf den Bergen der Inseln des grünen Vorgebirges entdeckt worden zu sein. Diese Erstreckung von Formen aus der gemäßigten Zone fast bis nach dem Äquator hin über das ganze afrikanische Festland und zu den Bergen im Inselmeer des grünen Vorgebirges ist eine der erstaunlichsten Thatsachen, die jemals betreffs der Verteilung der Pflanzen aufgezeichnet worden sind.
Auf dem Himalaya, auf den abgesonderten Bergketten der Halbinsel von Vorderindien, auf den Höhen von Ceylon und auf den feuerspeienden Kegeln Javas kommen viele Pflanzen vor, die entweder ganz genau gleich sind oder einander vertreten, und die zugleich europäische Pflanzen vertreten, die in den zwischenliegenden heißen Tiefländern nicht gefunden werden. Ein Verzeichnis der Pflanzengattungen, die auf den höheren Bergspitzen Javas gesammelt sind, erweckt die Vorstellung, als rühre die Sammlung von irgendeinem niedrigen Hügel in Europa her! Noch auffälliger ist die Thatsache, daß eigenartige australische Formen durch gewisse Pflanzen vertreten werden, die auf den Gipfeln der Berge von Borneo wachsen. Einige von diesen australischen Formen dehnen sich längs der Höhen der Halbinsel von Malakka hin, wie ich von Dr. Hooker höre, und sind auf der einen Seite über Indien und auf der anderen nördlich bis nach Japan spärlich zerstreut.
Auf den südlichen Gebirgen Australiens hat Dr. F. Müller einige europäische Arten entdeckt, andere, die nicht durch den Menschen eingeführt sind, kommen in den Tiefländern vor, und nach Hookers Mitteilung kann ein langes Verzeichnis von europäischen Gattungen gegeben werden, die in Australien, aber nicht in den zwischenliegenden heißen Gegenden gefunden werden. In seiner bewundernswerten »Einführung in die Pflanzenwelt Neuseelands« führt Dr. Hooker ähnliche überraschende Thatsachen mit Bezug auf die Pflanzen jener großen Insel an. Daraus sehen wir, daß gewisse Pflanzen, die auf den höchsten Bergen der heißen Zone in allen Erdteilen und in den Ebenen der nördlichen und südlichen gemäßigten Zone wachsen, entweder die gleiche Art oder Spielarten einer Art sind. Es sollte indessen beachtet werden, daß diese Pflanzen nicht genau arktische Formen sind; denn wie H. C. Watson bemerkt hat, »werden die Alpen- oder Bergpflanzenwelten bei ihrem Zurückweichen vom Pol nach dem Äquator zu in der That immer weniger arktisch«. Außer diesen übereinstimmenden und nah verwandten Formen gehören viele Arten, die dieselben weit geschiedenen Gebiete bewohnen, zu Gattungen, die jetzt in den zwischenliegenden Tiefländern der heißen Zone nicht gefunden werden.
Diese kurzen Bemerkungen gelten für Pflanzen allein, doch könnte ich in betreff der Landtiere einige wenige ähnliche Thatsachen beibringen. Bei Meereserzeugnissen kommen solche Fälle gleichfalls vor. Als Beispiel möchte ich den Satz des ersten Sachkenners, des Professors Dana, anführen, daß es »sicherlich eine sehr wunderbare Thatsache ist, daß Neuseeland in seinen Krustentieren eine größere Ähnlichkeit mit Großbritannien, seinem Antipoden, hat als irgendein anderer Teil der Welt.« Auch Sir J. Richardson spricht von dem Wiedererscheinen nördlicher Fischformen an den Küsten von Neuseeland, Tasmanien u. s. w. Dr. Hooker teilt mir mit, daß fünfundzwanzig Algenarten Neuseeland und Europa gemeinsam sind, aber in den zwischenliegenden Meeren der heißen Zone nicht gefunden worden sind.
Aus den angeführten Thatsachen, nämlich aus dem Vorkommen von Formen der gemäßigten Zone auf den Hochländern des ganzen Afrikas, soweit es zur heißen Zone gehört, und längs der Halbinsel von Vorderindien bis nach Ceylon und dem malayischen Inselmeer, sowie weniger deutlicher durch den weiten Raum des in der heißen Zone liegenden Teils von Südamerika, scheint es fast sicher, daß zu irgendeiner früheren Zeit, zweifellos in dem strengsten Teil der Eiszeit, die Tiefländer dieser großen Erdteile überall unter dem Äquator von Formen gemäßigter Gegenden in beträchtlicher Anzahl bewohnt wurden. Zu dieser Zeit war das Klima am Äquator in der Höhe des Meeresspiegels wahrscheinlich ungefähr dasselbe, wie man es heutzutage unter derselben Breite in einer Höhe von fünf- bis sechstausend Fuß findet, oder vielleicht noch etwas kälter. Während dieser, der kältesten, Zeit müssen die Tiefländer unter dem Äquator von einem Pflanzenwuchs bedeckt gewesen sein, der untermischt der heißen wie den gemäßigten Zonen angehörte, wie er nach Hookers Beschreibung in einer Höhe von vier- bis fünftausend Fuß üppig an den niederen Abhängen des Himalayas wächst, bei dem aber die Formen der gemäßigten Zonen noch vorwiegen. So fand ferner Mann auf der gebirgigen Insel Fernando Po, daß Formen des in der gemäßigten Zone liegenden Europas in einer Höhe von ungefähr fünftausend Fuß zu erscheinen beginnen. Auf den Gebirgen von Panama fand Dr. Seemann in einer Höhe von nur zweitausend Fuß den Pflanzenwuchs ähnlich dem Mexikos, »indem sich Formen der heißen Zone mit denen der gemäßigten einträchtig untereinander mischen«.
Wir wollen jetzt sehen, ob Crolls Schluß, daß, wenn die nördliche Halbkugel von einer jener langen Eiszeiten, und zwar einer außerordentlich kalten, betroffen wurde, die südliche Halbkugel gerade wärmer wurde, ein helles Licht auf die gegenwärtige anscheinend unerklärliche Verteilung mannigfacher Lebensformen in den gemäßigten Teilen beider Halbkugeln und auf den Bergen der heißen Zone wirft. Die Eiszeit ist nach Jahren gemessen sehr lang gewesen, und wenn wir uns erinnern, über wie weite Räume eingewöhnte Pflanzen und Tiere sich in wenigen Jahrhunderten verbreiten, wird diese Zeit für eine bedeutende Wanderung hingereicht haben. Als die Kälte immer stärker wurde, drangen die arktischen Formen, wie wir wissen, in die gemäßigten Gegenden ein, und nach den oben gegebenen Thatsachen kann man kaum zweifeln, daß einige der kräftigsten, herrschenden und am weitesten verbreiteten Formen der gemäßigten Zone in die Tiefländer der heißen Zone drangen. Die Bewohner dieser heißen Tiefländer werden zu derselben Zeit zu den tropischen und subtropischen Gegenden des Südens gewandert sein, denn die südliche Halbkugel war zu dieser Zeit wärmer. Gegen das Ende der Eiszeit, als beide Halbkugeln stufenweise ihre früheren Wärmegrade wieder erlangten, werden die Formen der nördlichen gemäßigten Zone, die in den Tiefländern unter dem Äquator lebten, in ihre frühere Heimat gedrängt oder zerstört worden sein, da an ihre Stelle die Formen der heißen Zone treten werden, die aus dem Süden zurückkehrten. Indessen werden einige der Formen der nördlichen gemäßigten Zone so gut wie gewiß irgendein benachbartes Hochland erstiegen haben, wo sie sich, wenn es hoch genug war, ebenso wie die arktischen Formen auf den europäischen Gebirgen lange erhalten haben werden. Sie könnten sich, auch wenn das Klima nicht ganz für sie paßte, erhalten haben, denn die Umwandlung des Wärmegrades muß sehr langsam gewesen sein, und Pflanzen besitzen zweifellos ein gewisses Vermögen der Eingewöhnung, wie sich dadurch zeigt, daß sie ihrem Nachwuchs verschiedene Einrichtungen in ihrer Körperbildung zum Widerstande gegen Hitze und Kälte übermitteln.
Im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse würde die südliche Halbkugel ihrerseits einer strengen Eiszeit ausgesetzt werden, während die nördliche Halbkugel wärmer würde. Dann würden die Formen der südlichen gemäßigten Zone in die Tiefländer der heißen Zone eindringen. Die nördlichen Formen, die vorher auf den Bergen zurückgelassen waren, würden jetzt herabsteigen und sich mit den südlichen Formen mischen. Diese letzteren würden, wenn die Wärme zurückkehrte, nach ihren früheren Wohnplätzen zurückkehren, wobei sie einige wenige Formen auf den Bergen lassen und einige Formen der nördlichen gemäßigten Zone, die von ihren Bergfestungen herabgestiegen waren, mit sich nach Süden führen würden. So würden einige wenige Arten in der nördlichen und südlichen gemäßigten Zone und auf den Bergen der dazwischenliegenden. heißen Zone genau dieselben sein. Aber die Arten, die während langer Zeit auf diesen Bergen oder auf den entgegengesetzten Halbkugeln zurückgelassen wären, würden mit vielen neuen Formen in Wettbewerb kommen und etwas anderen natürlichen Bedingungen ausgesetzt sein. Daher würden sie in hohem Grade der Ummodelung unterworfen sein und jetzt gewöhnlich als Spielarten oder vertretende Arten leben. Und das ist der Fall. Wir müssen auch an das Vorkommen früherer Eiszeiten auf beiden Halbkugeln denken, denn diese werden in Übereinstimmung mit denselben Grundgesetzen erklären, wieso die vielen ganz getrennten Arten dieselben weit getrennten Gebiete bewohnen und zu Gattungen gehören, die jetzt nicht in der dazwischenliegenden heißen Zone gefunden werden.
Es ist eine bemerkenswerte Thatsache, die Hooker in Bezug auf Amerika und Alfons de Candolle in Bezug auf Australien nachdrücklich betont hat, daß viel mehr gleiche oder wenig umgemodelte Arten von Nord nach Süd gewandert sind als in umgekehrter Richtung. Wir sehen jedoch einige südliche Formen auf den Bergen von Borneo und Abessinien. Ich vermute, daß diese vorherrschende Wanderung von Nord nach Süd daher kommt, daß sich im Norden das Land weiter erstreckt, und daß die nördlichen Formen in ihrer Heimat zahlreichere Vertreter gehabt und infolge dessen durch Naturauslese und Wettbewerb zu einer höheren Stufe der Vollkommenheit oder des Herrschvermögens fortgeschritten sind als die südlichen Formen. Und wenn so die beiden Gruppen sich in der heißen Zone während der Abwechselung der Eiszeiten mischten, waren die nördlichen Formen kräftiger und imstande ihre Plätze auf den Bergen zu behaupten und nachher mit den südlichen Formen südwärts zu wandern, die südlichen aber nicht mit den nördlichen. Ebenso sehen wir heutzutage, daß sehr viele europäische Erzeugnisse in La Plata, Neuseeland und in geringerem Grade in Australien den Erdboden bedecken und die eingeborenen aus dem Felde geschlagen haben, während äußerst wenige südliche Formen in irgendeinem Teile der nördlichen Halbkugel heimisch geworden sind, obgleich Felle, Wolle und andere Gegenstände, die leicht Samen mit forttragen, während der letzten zwei oder drei Jahrhunderte aus La Plata und während der letzten vierzig oder fünfzig Jahre aus Australien in reichlichem Maße nach Europa eingeführt worden sind. Das Neilgherriegebirge in Vorderindien bildet jedoch zum Teil eine Ausnahme; denn hier pflanzen sich, wie ich von Dr. Hooker gehört habe, australische Formen schnell fort und werden eingewöhnt. Vor der letzten großen Eiszeit waren ohne Zweifel die Gebirge der heißen Zone mit einheimischen Alpenformen ausgestattet, aber diese sind beinahe überall den herrschenden Formen gewichen, die in den größeren Gebieten und den thätigeren Werkstätten des Nordens erzeugt waren. Auf vielen Inseln kommen die eingewöhnten Erzeugnisse den eingeborenen an Zahl beinahe gleich oder übertreffen sie sogar, und das ist die erste Stufe zu deren Aussterben. Die Berge sind Inseln auf dem Lande, und ihre Bewohner sind den in den größeren Gebieten des Nordens erzeugten gerade in derselben Weise gewichen, wie die Bewohner wirklicher Inseln überall den durch des Menschen Wirksamkeit eingewöhnten Festlandsformen gewichen sind und noch weichen.
Dieselben Grundgesetze lassen sich auf die Verteilung der Landtiere und der Seeerzeugnisse in der nördlichen und der südlichen gemäßigten Zone und auf den Bergen der heißen Zone anwenden. Wenn während der Höhe der Eiszeit die Weltmeerströmungen ganz anders waren, als sie jetzt sind, könnten manche von den Bewohnern der Meere der gemäßigten Zonen den Äquator erreicht haben. Von diesen werden vielleicht einige gleich imstande gewesen sein, südwärts zu wandern. Weil sie sich in den kälteren Strömungen hielten, während andere dort blieben und in den kälteren Tiefen ausdauerten, bis die südliche Halbkugel ihrerseits einem Eisklima unterworfen wurde und ihnen das Weiterwandern ermöglichte. Fast ebenso giebt es nach Forbes heutzutage in den tieferen Teilen der Meere der nördlichen gemäßigten Zone abgesonderte Räume, die von Erzeugnissen der kalten Zone bewohnt werden.
Ich nehme ganz und gar nicht an, daß alle Schwierigkeiten in betreff der Verteilung und der Verwandtschaften der gleichen und verwandten Arten, die jetzt so weit getrennt im Norden und Süden und bisweilen auf den dazwischenliegenden Bergketten leben, nach den oben erörterten Annahmen beseitigt sind. Die genauen Grenzlinien der Wanderungen können nicht angegeben werden. Wir können nicht sagen, warum gewisse Arten gewandert sind und andere nicht, warum gewisse Arten sich umgemodelt und neue Formen erzeugt haben, während andere unverändert geblieben sind. Wir können nicht hoffen, solche Thatsachen zu erklären, ehe wir sagen können, warum eine Art durch die Wirksamkeit des Menschen in einem fremden Lande eingewöhnt wird und eine andere nicht, warum eine Art sich in ihrer Heimat zwei- oder dreimal soweit verbreitet und zwei- oder dreimal so gewöhnlich ist, wie eine andere Art.
Mannigfache besondere Schwierigkeiten harren noch der Lösung, z. B. das von Dr. Hooker nachgewiesene Vorkommen derselben Pflanzen an Punkten, die so ungeheuer weit getrennt sind, wie Kerguelenland, Neuseeland und Feuerland. Aber, wie Lyell vermutet, mögen bei ihrer Verbreitung Eisberge in Betracht gekommen sein. Daß an diesen und anderen entfernten Punkten der südlichen Halbkugel Arten vorkommen, die, wenn auch verschieden, zu ausschließlich auf den Süden beschränkten Gattungen gehören, ist ein bemerkenswerterer Fall. Einige von diesen Arten sind so getrennt, daß wir nicht annehmen können, daß seit dem Beginne der letzten Eiszeit für ihre Wanderung und die folgende, bis zum nötigen Grade fortgesetzte Ummodelung Zeit gewesen ist. Die Thatsachen scheinen anzudeuten, daß getrennte, zu denselben Gattungen gehörige Arten in Strahlenlinien von einer gemeinsamen Gattung aus gewandert sind, und ich bin geneigt, mir vor dem Beginne der letzten Eiszeit aus der südlichen wie aus der nördlichen Halbkugel eine frühere wärmere Zeit vorzustellen, in der die jetzt mit Schnee bedeckten antarktischen Länder eine höchst eigentümliche und abgesonderte Pflanzenwelt trugen. Man kann annehmen, daß, ehe diese Pflanzenwelt während der letzten Eiszeit ausgerottet wurde, einige Formen sich schon aus mannigfachen Punkten der südlichen Halbkugel durch gelegentliche Beförderungsmittel und mit Hilfe von als Rastplätze dienenden, jetzt versunkenen Inseln weit verbreitet hatten. So mögen die südlichen Küsten Amerikas, Australiens und Neuseelands durch dieselben eigentümlichen Lebensformen eine leichte Färbung erhalten haben.
Sir C. Lyell hat an einer eindrucksvollen Stelle in fast genau denselben Worten wie ich seine Vermutungen über die Wirkungen ausgesprochen, die die großen Klimaveränderungen in der ganzen Welt auf die Verteilung auf der Erdoberfläche geübt haben. Und wir haben jetzt gesehen, daß Crolls Schluß, daß aufeinanderfolgende Eiszeiten auf der einen Halbkugel mit wärmeren Zeiten auf der andern zusammenfallen, wenn man dabei die langsame Ummodelung der Arten zugiebt, eine Menge von Thatsachen in der Verteilung der gleichen und der verwandten Lebensformen in allen Teilen der Erdkugel erklärt. Die Lebenswässer sind während eines Zeitalters vom Norden und während eines anderen vom Süden geflossen und haben in beiden Fällen den Äquator erreicht. Aber der Lebensstrom ist mit größerer Kraft vom Norden geflossen als in entgegengesetzter Richtung, und hat folglich den Süden reichlicher überschwemmt. Wie die Flut ihren Gang in wagerechten Linien zurückläßt, die höher am Strande hinaufsteigen, wo die Flut höher steigt, so haben die Lebenswässer ihre lebende Spur aus unseren Berggipfeln in einer Linie zurückgelassen, die von den arktischen Tiefländern sanft bis zu einer großen Höhe unter dem Äquator ansteigt. Die verschiedenartigen Wesen, die so am Strande zurückgelassen worden sind, können mit wilden Menschenrassen verglichen werden, die in die Gebirgsfestungen beinahe jedes Landes hinaufgetrieben, sich dort erhalten haben, eine belehrende Urkunde für uns, die über die Bewohner der umgebenden Tiefländer berichtet.