Charles Darwin
Die Entstehung der Arten durch Naturauslese
Charles Darwin

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14. Kapitel.

Gegenseitige Verwandtschaften organischer Wesen. Das Gesetz der Form. Die Keimlehre. Verkümmerte Organe.

Einteilung. Gruppen, die anderen Gruppen untergeordnet sind. Das natürliche System. Regeln und Schwierigkeiten bei der Einteilung, die auf Grund der Lehre von der mit Ummodelung verbundenen Abstammung erklärt werden. Die Einteilung der Spielarten. Die Abstammungsreihe wird immer bei der Einteilung gebraucht. Merkmale der Entsprechung oder Anpassung. Allgemeine, verwickelte und nach allen Seiten ausgehende Verwandtschaften. Das Erlöschen trennt und begrenzt die Gruppen. Das Gesetz der Form zwischen Gliedern derselben Klasse und zwischen Teilen desselben Wesens. Gesetze der Keimlehre, erklärt durch Abänderungen, die nicht in einem frühen Alter eintreten und im entsprechenden Alter vererbt werden. Verkümmerte Organe, Erklärung ihrer Entstehung. Zusammenfassung.

* * *

Einteilung.

Man hat gefunden, daß organische Wesen aus der entlegensten Zeit in der Geschichte der Welt einander in absteigenden Graden ähneln, so daß sie in Gruppen unter Gruppen geteilt werden können. Diese Einteilung ist nicht willkürlich wie die Gruppierung der Sterne in den Sternbildern. Das Vorhandensein von Gruppen wäre leicht zu verstehen gewesen, wenn eine Gruppe ausschließlich zum Bewohnen des Landes, eine andere zum Bewohnen des Wassers, eine zur Fleischnahrung, eine andere zur Pflanzennahrung tauglich gewesen wäre, u. s. w. Aber die Sache verhält sich ganz anders. Denn es ist bekannt, wie allgemein Glieder sogar derselben Untergruppe verschiedene Gewohnheiten haben. Im zweiten und vierten Kapitel, über die Abänderung und über die Naturauslese, habe ich zu zeigen gesucht, daß in jedem Lande die am weitesten verbreiteten, sehr zerstreuten und gewöhnlichen, d. h. die herrschenden Arten, die zu den größeren Gattungen in jeder Klasse gehören, sich am meisten abändern. Die so hervorgebrachten Spielarten oder beginnenden Arten werden schließlich in neue und getrennte Arten verwandelt, und diese streben nach dem Grundgesetz der Vererbung darnach, andere neue und herrschende Arten hervorzubringen. Folglich streben die Gruppen, die jetzt groß sind und gewöhnlich viele herrschende Arten einschließen, darnach, weiter an Größe zuzunehmen. Ferner versuchte ich zu zeigen, daß die sich abändernden Nachkommen jeder Art bei ihren Versuchen, so viele und so verschiedene Plätze wie möglich im Haushalte der Natur einzunehmen, beständig die Neigung haben, in den Merkmalen auseinanderzugehen. Dieser letztere Schluß wird durch die Beobachtung der großen Verschiedenheit der Formen, die auf einem kleinen Gebiet in den heftigsten Wettbewerb kommen, und durch gewisse Thatsachen bei der Eingewöhnung gestützt.

Ich versuchte auch zu zeigen, daß in den Formen, die an Zahl wachsen und in den Merkmalen auseinandergehen, eine beständige Neigung herrscht, die früheren, weniger auseinandergehenden und weniger vervollkommneten Formen zu verdrängen und auszurotten. Ich bitte den Leser, die Zeichnung aufzuschlagen, die, wie früher erklärt, die Thätigkeit dieser verschiedenen Grundgesetze veranschaulicht, und er wird sehen, daß die von einer gemeinsamen Urform herstammenden umgemodelten Nachkommen sich notwendig in Gruppen zerteilen müssen, die anderen Gruppen untergeordnet sind. In der Zeichnung soll jeder Buchstabe auf der obersten Linie eine mehrere Arten umschließende Gattung darstellen, und die Gesamtheit der Gattungen längs dieser oberen Linie bildet zusammen eine Klasse; denn alle stammen von einer alten Urform her und haben folglich etwas Gemeinsames ererbt. Aber die drei Gattungen linker Hand haben viel Gemeinsames und bilden eine Unterfamilie, die sich von der die nächsten beiden Gattungen rechter Hand umschließenden unterscheidet, die von einem gemeinsamen Vorfahren auf der fünften Stufe der Abstammungsreihe ausgegangen sind. Diese fünf Gattungen haben auch viel Gemeinsames, obgleich weniger als wenn sie in Unterfamilien gruppiert wären, und sie bilden eine Familie, die von der getrennt ist, welche die drei noch weiter rechts stehenden, zu einer noch früheren Zeit auseinandergehenden Gattungen umschließt. Und alle diese von A abstammenden Gattungen bilden eine Ordnung, die von den von I stammenden Gattungen getrennt ist. Demnach haben wir hier viele von einer einzigen Urform stammende Arten in Gattungen, die Gattungen in Unterfamilien, Familien und Ordnungen gruppiert, und diese sind alle einer großen Klasse untergeordnet. Die wichtige Thatsache der naturgemäßen Unterordnung organischer Wesen unter Gruppen, die wieder anderen Gruppen untergeordnet sind, die uns infolge unserer Vertrautheit mit ihr nicht immer genügend auffällt, wird meines Erachtens auf die angegebene Weise erklärt. Zweifellos können organische Wesen, wie alle anderen Gegenstände, mannigfach geordnet werden, entweder künstlich nach einem einzigen Merkmal oder naturgemäßer nach einer Reihe von Merkmalen. Wir wissen z. B., daß die Mineralien und die Grundstoffe so angeordnet werden können. In diesem Fall ist natürlich keine Beziehung zu einer Abstammungsreihe vorhanden, und man kann jetzt keinen Grund angeben, warum sie in Gruppen geteilt sind. Aber mit den organischen Wesen verhält es sich anders, und die oben gegebene Ansicht stimmt mit ihrer natürlichen Anordnung in Gruppen, die anderen untergeordnet sind, überein, und keine andere Erklärung ist jemals versucht worden.

Naturforscher versuchen, wie wir gesehen haben, die Arten, Gattungen und Familien in jeder Klasse nach dem sogenannten natürlichen System anzuordnen. Aber was wird darunter verstanden? Einige Verfasser sehen darin nur einen Rahmen, um diejenigen lebenden Gegenstände, die am ähnlichsten sind, zusammenzufügen, und die, welche am unähnlichsten sind, zu trennen, oder eine kunstvolle Art, allgemeine Behauptungen so kurz als möglich auszusprechen, z. B. durch einen Satz die allen Säugetieren, durch einen zweiten die allen Fleischfressern, durch einen dritten die der Hundegattung gemeinsamen Merkmale anzuführen. Dann ist durch Hinzufügung eines einzigen Satzes die vollständige Beschreibung einer jeden Hundeart gegeben. Das Sinnreiche und Nützliche dieses Systems ist unbestreitbar. Aber viele Naturforscher wollen unter dem natürlichen System etwas mehr verstanden wissen. Sie glauben, daß es den Plan des Schöpfers verrät. Wenn man aber nicht einzeln angiebt, ob unter dem Plane des Schöpfers die Ordnung in Zeit oder Raum oder beide oder was sonst darunter verstanden wird, so scheint mir auf diese Weise unsere Kenntnis nicht erweitert zu werden. Ausdrücke, wie jener berühmte Linnésche, dem wir oft in mehr oder minder versteckter Form begegnen, daß die Merkmale nicht die Gattung herstellen, sondern daß die Gattung die Merkmale giebt, scheinen sagen zu sollen, daß irgendein geheimeres Band als die bloße Ähnlichkeit unsere Einteilungen zusammenhalte. Ich glaube, daß dies der Fall ist, und daß die Gemeinsamkeit der Abstammung, die einzige bekannte Ursache großer Ähnlichkeit bei organischen Wesen, das Band ist, das, wenn man auch mannigfache Stufen der Ummodelung beobachtet hat, sich uns bei unseren Einteilungen teilweise offenbart hat.

Wir wollen jetzt die bei der Einteilung befolgten Regeln und die Schwierigkeiten betrachten, die der Annahme begegnen, daß die Einteilung entweder einen unbekannten Schöpfungsplan giebt, oder nur eine Form ist, um allgemeine Sätze auszusprechen oder die Formen zusammenzustellen, die einander am ähnlichsten sind. Man hätte denken sollen (und man that es in alten Zeiten), daß die Teile des Körperbaus, welche die Lebensgewohnheiten und die allgemeine Stellung eines jeden Wesens im Haushalte der Natur bestimmten, bei der Einteilung von sehr hoher Wichtigkeit wären. Nichts kann falscher sein. Niemand betrachtet die äußere Ähnlichkeit einer Maus mit einer Spitzmaus, eines Dugongs mit einem Wal, eines Wals mit einem Fisch als irgendwie wichtig. Diese Ähnlichkeiten werden, obgleich sie mit dem ganzen Leben des Wesens so eng verknüpft sind, als bloße Merkmale der Anpassung oder Entsprechung angesetzt. Aber zu der Betrachtung dieser Ähnlichkeiten werden wir später zurückkehren. Es kann sogar als eine allgemeine Regel ausgesprochen werden, daß irgendein Teil der inneren Bildung um so wichtiger für die Einteilung wird, je weniger er mit besonderen Gewohnheiten zu thun hat. Ich will ein Beispiel dafür geben. Owen sagt bei der Besprechung des Dugongs: »Die Geschlechtsteile, die die entferntesten Beziehungen zu den Gewohnheiten und der Nahrung eines Tiers haben, habe ich immer für diejenigen angesehen, die sehr deutliche Fingerzeige für seine wahre Verwandtschaft darbieten. Bei den Ummodelungen dieser Teile ist es am wenigsten wahrscheinlich, ein bloßes Merkmal der Anpassung fälschlich für ein wesentliches zu halten.« Wie bemerkenswert ist es, daß bei den Pflanzen die Wachstumsorgane, von der ihre Ernährung und ihr Leben abhängt, von geringer Bedeutung, während die Fortpflanzungsorgane mit ihrem Erzeugnis, dem Samen und dem Keim, von überragender Wichtigkeit sind. Ebenso haben wir bei der Erörterung gewisser Gestaltsmerkmale, die für die Lebensthätigkeit keine Wichtigkeit haben, gesehen, daß sie oft für die Einteilung von höchstem Nutzen sind. Das hängt von ihrer Beständigkeit in einer ganzen Reihe verwandter Gruppen ab, und ihre Beständigkeit hängt hauptsächlich davon ab, daß leichte Abweichungen von der Naturauslese, die nur auf nützliche Merkmale wirkt, nicht erhalten und angehäuft worden sind.

Daß die bloße physiologische Wichtigkeit eines Organs nicht seinen Einteilungswert bestimmt, ist fast schon durch die Thatsache bewiesen, daß in verwandten Gruppen, bei denen dasselbe Organ, wie wir allen Grund haben, anzunehmen, nahezu denselben physiologischen Wert hat, sein Einteilungswert sehr verschieden ist. Kein Naturforscher kann sich lange mit irgendeiner Gruppe beschäftigt haben, ohne daß ihm diese Thatsache auffällt. Und sie ist in den Schriften fast jedes Schriftstellers vollständig anerkannt worden. Es wird genügen den hervorragendsten Kenner, Robert Brown, anzuführen, der bei der Besprechung gewisser Organe der Proteaceen sagt, ihre Gattungswichtigkeit »wie die aller ihrer Teile ist nicht nur in dieser, sondern, wie ich glaube, in jeder natürlichen Familie sehr ungleich und scheint in manchen Fällen ganz verloren zu sein.« Ferner sagt er in einem anderen Werke: »Die Gattungen der Connaraceen unterscheiden sich darin, daß sie einen oder mehrere Fruchtknoten haben, daß Eiweiß vorhanden ist oder fehlt, daß ihre Astivation dachziegelig oder klappenartig ist. Irgendeins dieser Merkmale allein ist häufig von mehr als Gattungswert, wenn sie auch hier selbst alle zusammengenommen ungenügend erschienen, um Cnestis von Connarus zu trennen.« Ich will ein Beispiel von den Kerbtieren geben. Bei einer großen Abteilung der Aderflügler sind, wie Westwood bemerkt hat, die Fühlhörner im Bau höchst beständig, bei einer anderen Abteilung weichen sie sehr voneinander ab, und die Verschiedenheiten sind von ganz untergeordnetem Wert bei der Einteilung. Und doch wird niemand sagen, daß die Fühlhörner bei diesen beiden Abteilungen derselben Ordnung von ungleicher physiologischer Wichtigkeit sind. Ich könnte eine beliebige Anzahl Beispiele über den wechselnden Einteilungswert desselben wichtigen Organs in derselben Gruppe von Wesen geben.

Ferner wird niemand sagen, daß verkümmerte oder zurückgebliebene Organe von hoher physiologischer oder Lebensbedeutung sind, und doch besitzen Organe von dieser Beschaffenheit häufig einen hohen Wert für die Einteilung. Keiner wird bestreiten, daß die verkümmerten Zähne im Oberkiefer junger Wiederkäuer und gewisse verkümmerte Beinknochen in hohem Grade dazu dienen, die nahe Verwandtschaft zwischen Wiederkäuern und Dickhäutern darzuthun. Robert Brown hat nachdrücklich auf die Thatsache hingewiesen, daß die Stellung der verkümmerten Blütchen für die Einteilung der Gräser von höchster Wichtigkeit ist.

Zahlreich könnten Merkmale angeführt werden, die Teilen angehören, deren physiologische Bedeutung man für sehr gering halten muß, die aber, wie allgemein zugegeben wird, zur Bestimmung ganzer Gruppen von hohem Nutzen sind. Dazu gehört z. B. das Fehlen oder Vorhandensein eines offenen Durchganges von den Nasenlöchern zum Munde, das einzige Merkmal, das nach Owen Fische und Kriechtiere durchaus unterscheidet, die Biegung des Winkels im Unterkiefer der Beuteltiere, die Art, in der die Flügel von Kerbtieren zusammengefaltet werden, an sich schon die Farbe bei gewissen Algen und die Behaarung an Blütenteilen bei den Gräsern, die Art der Hautbedeckung mit Haar oder Federn bei den Wirbeltieren. Wenn das Schnabeltier anstatt mit Haaren mit Federn bedeckt gewesen wäre, so würde dies äußerliche und unbedeutende Merkmal von den Naturforschern als ein wichtiges Hilfsmittel bei der Bestimmung des Verwandtschaftsgrades zwischen diesem sonderbarem Geschöpfe und den Vögeln angesehen worden sein.

Die Wichtigkeit geringfügiger Merkmale für die Einteilung hängt hauptsächlich davon ab, daß sie mit vielen anderen Merkmalen von größerer oder geringerer Wichtigkeit in Wechselbeziehung stehen. In der That ist der Wert einer Zusammenhäufung von Merkmalen in der Naturgeschichte ganz augenscheinlich. Daher kann, wie oft bemerkt worden ist, eine Art von ihren Verwandten in mehreren höchst wichtigen und beinahe allgemein vorherrschenden Merkmalen abweichen und uns doch nicht in Zweifel lassen, wo sie einzureihen ist. Infolge dessen hat man auch gefunden, daß eine auf ein einziges, noch so wichtiges Merkmal gegründete Einteilung immer mißlungen ist. Denn kein Teil der inneren Bildung ist stets beständig. Die Wichtigkeit einer Zusammenhäufung von Merkmalen, selbst wenn keins wichtig ist, erklärt allein den von Linné ausgesprochenen Satz, daß nicht die Merkmale die Gattung ausmachen, sondern die Gattung die Merkmale giebt. Denn dies scheint auf die Abschätzung vieler geringfügiger Punkte der Ähnlichkeit begründet zu sein, die zu unbedeutend sind, um sie festzustellen. Gewisse Pflanzen, die zu den Malpighiaceen gehören, tragen vollständig ausgebildete und verkümmerte Blüten. Bei den letzteren verschwindet, wie A. de Jussien bemerkt hat, »die Mehrzahl der der Art, der Gattung, der Familie, der Klasse eigentümlichen Merkmale und spottet so unserer Einteilung«. Als die Aspicarpa mehrere Jahre lang in Frankreich nur diese verkümmerten Blüten hervorbrachte, die in einer Anzahl der wichtigsten Punkte des Körperbaues so wunderbar von dem eigentlichen Gepräge der Ordnung abweichen, so sah doch, wie Jussien bemerkt, Richard mit Scharfsinn, daß diese Art noch unter die Malpighiaceen gerechnet werden müßte. Dieser Fall giebt ein deutliches Bild von dem Geist unserer Einteilung.

In der That kümmern sich die Naturforscher, wenn sie bei der Arbeit sind, nicht um den physiologischen Wert der Merkmale, die sie zur Bestimmung einer Gruppe oder zur Ansehung irgendwelcher besonderer Arten benutzen. Wenn sie finden, daß ein Merkmal bei einer großen Zahl von Formen fast gleichmäßig und gemeinsam ist und bei anderen Formen nicht vorkommt, so benutzen sie es als ein sehr wichtiges. Wenn es einer geringeren Zahl gemeinsam ist, so geben sie ihm einen untergeordneten Wert. Einige Naturforscher haben sich zu diesem Grundsatz dreist als einem richtigen bekannt, niemand deutlicher als der ausgezeichnete Botaniker August St. Hilaire. Wenn mehrere geringfügige Merkmale sich immer vereint finden, so wird ihnen, wenn auch kein sichtbares Band der Verknüpfung zwischen ihnen entdeckt werden kann, besonderer Wert beigelegt. Da bei den meisten Tiergruppen wichtige Organe wie die zur Bewegung des Blutes oder zur Luftzuführung oder die zur Fortpflanzung der Rasse sich fast gleichartig finden, so werden sie für die Einteilung als höchst nützlich betrachtet. Aber bei einigen Gruppen findet man. daß alle diese höchst wichtigen Lebensorgane Merkmale von ganz untergeordnetem Werte darbieten. So ist, wie Fritz Müller kürzlich bemerkt hat, in einer Gruppe der Krustentiere die Gattung Cypridina mit einem Herzen versehen, während in zwei nahe verwandten Gattungen, Cyprus und Cytherea, kein solches Organ vorhanden ist. Eine Art von Cypridina hat gut entwickelte Kiemen, während sie einer anderen Art fehlen.

Wir können erkennen, warum Merkmale, die dem Keim angehören, von gleicher Wichtigkeit sind wie die des ausgewachsenen Wesens; denn eine natürliche Einteilung schließt selbstverständlich alle Alter ein. Aber nach der gewöhnlichen Ansicht ist es durchaus nicht klar, warum der Bau des Keimlings für diesen Zweck wichtiger sein sollte als der des ausgewachsenen Wesens, das allein im Haushalte der Natur seinen Platz ganz ausfüllt. Doch ist es von den großen Naturforschern Milne Edwards und Agassiz nachdrücklich hervorgehoben worden, daß die Merkmale des Keimes die wichtigsten von allen sind. Und diese Lehre ist allgemein als richtig angenommen worden. Nichtsdestoweniger ist ihre Wichtigkeit bisweilen sehr übertrieben worden, da die Anpassungsmerkmale der Larven nicht ausgeschlossen worden sind. Um dies zu zeigen, hat Fritz Müller mit Hilfe solcher Merkmale allein die große Klasse der Krustentiere angeordnet, und die Anordnung erwies sich nicht als natürlich. Aber es ist keinem Zweifel unterworfen, daß Keimmerkmale, wenn man die der Larven ausschließt, nicht nur bei Tieren, sondern auch bei Pflanzen von höchstem Werte für die Einteilung sind. So sind die Hauptabteilungen der blühenden Pflanzen auf Verschiedenheiten des Keimlings, auf die Zahl und Stellung der Keimblätter und auf die Art der Entwicklung des Blattfederchens und Wurzelkeims gegründet. Wir werden sogleich sehen, warum diese Merkmale einen so hohen Wert für die Einteilung besitzen, weil nämlich das natürliche System nach der Geschlechtsfolge angeordnet ist.

Unsere Einteilungen werden oft deutlich durch Verwandtschaftsreihen beeinflußt. Nichts kann leichter sein, als eine Zahl von Merkmalen zu bestimmen, die allen Vögeln gemeinsam sind. Bei den Krustentieren dagegen hat sich eine solche Bestimmung bisher als unmöglich herausgestellt. Es giebt Krustentiere an den entgegengesetzten Enden der Reihe, die kaum ein Merkmal gemeinsam haben; doch können die Arten an beiden Enden, weil sie deutlich mit anderen und diese wieder mit anderen verwandt sind, und so fort, als unzweideutig zu dieser und keiner anderen Klasse der Gliedertiere gehörig erkannt werden.

Die Verteilung auf der Erdoberfläche ist oft, wenn vielleicht nicht ganz folgerichtig bei der Einteilung, besonders bei sehr großen Gruppen nahe verwandter Formen benutzt worden. Temminck betont die Nützlichkeit oder sogar Notwendigkeit dieses Gebrauchs bei gewissen Vogelgruppen, und mehrere Kerbtierforscher und Botaniker sind ihm gefolgt.

Kurz in betreff des verhältnismäßigen Wertes der mannigfachen Gruppen von Arten, wie Ordnungen, Unterordnungen, Familien, Unterfamilien und Gattungen scheinen diese wenigstens gegenwärtig fast willkürlich zu sein. Mehrere der besten Botaniker, wie Bentham u. a., haben nachdrücklich ihren willkürlichen Wert betont. Es könnten Beispiele dafür gegeben werden, daß bei Pflanzen und Kerbtieren eine Gruppe von erfahrenen Naturforschern zuerst nur als Gattung angesetzt und dann zum Range einer Unterfamilie oder Familie erhoben worden ist; und das geschah nicht, weil die fernere Forschung wichtige, zuerst übersehene Verschiedenheiten im Bau entdeckt hat, sondern weil zahlreiche verwandte Arten mit wenig verschiedenen Graden des Unterschiedes in der Folge entdeckt worden sind.

Alle vorher angeführten Regeln, Hilfsmittel und Schwierigkeiten bei der Einteilung können, wenn ich mich nicht sehr irre, nach der Ansicht erklärt werden, daß das natürliche System auf die Abstammung in Verbindung mit der Ummodelung begründet ist, daß die Merkmale, welche die Naturforscher als Zeichen wirklicher Verwandtschaft zwischen zwei oder mehr Arten betrachten, diejenigen sind, welche von einem gemeinsamen Vorfahren ererbt worden sind, da alle wahre Einteilung auf der Geschlechtsfolge beruht, daß das verborgene Band, nach dem die Naturforscher unbewußt gesucht haben, die Gemeinsamkeit der Abstammung und nicht irgendein unbekannter Schöpfungsplan oder der Ausspruch allgemeiner Sätze und das bloße Nebeneinanderstellen und Trennen mehr oder weniger gleicher Gegenstände ist.

Aber ich muß meine Meinung ausführlicher darlegen. Ich glaube, daß die Anordnung der Gruppen innerhalb jeder Klasse in gehöriger Unterordnung und Beziehung aufeinander, um natürlich zu sein, sich streng der Geschlechtsfolge anschließen muß, daß aber das Maß von Verschiedenheit in den verschiedenen Zweigen oder Gruppen, wenn sie auch in demselben Grade der Blutsverwandtschaft zu ihrem gemeinsamen Vorfahren stehen, infolge des verschiedenen Grades der Ummodelung, die sie erfahren haben, sehr voneinander abweicht. Und das wird dadurch ausgedrückt, daß die Formen in verschiedene Gattungen, Familien, Abteilungen oder Ordnungen eingereiht werden. Der Leser wird am besten verstehen, was gemeint ist, wenn er sich die Mühe nimmt, die Zeichnung im vierten Kapitel aufzuschlagen. Wir nehmen an, daß die Buchstaben A bis L verwandte Gattungen darstellen, die während des silurischen Zeitalters lebten und von irgendeiner noch früheren Form abstammten. Bei dreien dieser Gattungen A, F und I hat eine Art umgemodelte Nachkommen bis auf den heutigen Tag fortgepflanzt, die durch die fünfzehn Gattungen a14 bis z14 auf der obersten wagerechten Linie dargestellt werden. Nun sind alle diese umgemodelten Nachkommen einer einzigen Art in demselben Grade bluts- oder stammverwandt; sie können im bildlichen Sinne Vettern im selben millionsten Grade genannt werden. Dennoch weichen sie weit und in verschiedenem Grade voneinander ab. Die von abstammenden Formen, die jetzt in zwei oder drei Familien zerfallen, bilden eine Ordnung, die von den von I abstammenden, auch in zwei Familien zerfallenden, verschieden ist. Auch können die lebenden von A abstammenden Arten nicht in dieselbe Gattung mit der Elternform oder die von I abstammenden mit der Elternform I eingereiht werden. Aber von der lebenden Gattung F14 kann man annehmen, daß sie sich nur wenig umgemodelt hat, und sie wird dann mit der Elterngattung F zusammengeordnet werden, gerade wie einige wenige noch lebende Formen zu den silurischen Gattungen gehören. Daher ist der zu vergleichende Betrag der Verschiedenheiten zwischen diesen organischen Wesen, die alle in demselben Grade miteinander blutsverwandt sind, so sehr verschieden geworden. Nichtsdestoweniger bleibt ihre Anordnung nach der Geschlechtsfolge nicht nur gegenwärtig, sondern in jeder folgenden Zeit des Geschlechts durchaus richtig. Alle die umgemodelten Nachkommen von A werden etwas Gemeinsames von ihrem gemeinsamen Vorfahren ererbt haben, ebenso wie alle Nachkommen von I. Ebenso wird es bei jedem untergeordneten Zweige der Nachkommen auf jeder folgenden Stufe sein. Wenn wir jedoch annehmen, daß irgendein Nachkomme von A oder I so sehr umgemodelt worden ist, daß er alle Spuren seiner Verwandtschaft verloren hat, so wird sein Platz im natürlichen System verloren sein, wie es bei einigen wenigen noch lebenden Formen der Fall gewesen zu sein scheint. Alle Nachkommen der Gattung F längs ihrer ganzen Geschlechtsreihe sind, wie vorausgesetzt wird, nur wenig umgemodelt worden und bilden eine einzige Gattung. Aber diese Gattung wird, wenn auch sehr abgesondert, doch ihre eigene Mittelstellung einnehmen. Die Darstellung der Gruppen, wie sie hier in der Zeichnung auf einer flachen Oberfläche gegeben ist, ist viel zu einfach. Die Zweige hätten nach allen Richtungen auseinandergehen müssen. Wenn die Namen der Gruppen einfach in einer geraden Linie untereinander geschrieben worden wären, so würde die Darstellung noch weniger natürlich gewesen sein, und es ist bekanntlich nicht möglich, in einer Reihe auf einer flachen Oberfläche die Verwandtschaften darzustellen, die wir in der Natur unter den Wesen derselben Gruppe entdecken. So ist das natürliche System wie ein Stammbaum nach der Geschlechtsfolge angeordnet, aber das Maß der Ummodelung, das die verschiedenen Gruppen erfahren haben, muß ausgedrückt werden, indem man sie unter verschiedene sogenannte Gattungen, Unterfamilien, Familien, Abteilungen, Ordnungen und Klassen einreiht.

Es mag der Mühe wert sein, diese Ansicht von der Einteilung durch das Beispiel der Sprachen zu erläutern. Wenn wir einen vollständigen Stammbaum der Menschheit besäßen, würde eine Anordnung der Menschenrassen nach der Geschlechtsfolge die beste Einteilung der mannigfaltigen jetzt in der ganzen Welt gesprochenen Sprachen darbieten. Und wenn alle toten Sprachen und alle Zwischenmundarten und alle sich langsam umwandelnden Mundarten eingeschlossen werden sollten, so würde eine solche Anordnung die einzig mögliche sein. Doch es könnte sein, daß einige alte Sprachen sich sehr wenig geändert und wenig neue Sprachen hervorgebracht hätten, während andere infolge der Ausbreitung, der Absonderung und des Zustandes der Zivilisation der verschiedenen nebeneinander entstandenen Rassen sich sehr geändert und so viele neue Mundarten und Sprachen hervorgebracht hätten. Die mannigfachen Grade der Verschiedenheit zwischen den Sprachen desselben Stammes müßten durch einander untergeordnete Gruppen ausgedrückt werden; aber die eigentliche oder sogar die einzig mögliche Anordnung würde doch auf der Geschlechtsfolge beruhen, und diese würde durchaus natürlich sein, da sie alle Sprachen die toten und die lebenden, durch die engste Verwandtschaft miteinander verknüpfen und die Ableitung und die Entstehung jeder Sprache geben würde.

Blicken wir zur Bestätigung dieser Ansicht auf die Einteilung der Spielarten, die, wie man weiß oder annimmt, von einer einzigen Art stammen. Diese sind unter die Arten, und die Unterspielarten unter die Spielarten gruppiert, und in einigen Fällen, wie bei der Haustaube, fallen noch einige andere Grade der Verschiedenheit darunter. Man folgt beinahe denselben Regeln wie bei der Einteilung der Arten. Manche Schriftsteller haben die Notwendigkeit hervorgehoben, Spielarten nach einem natürlichen, statt nach einem künstlichen System zu ordnen. Wir werden z. B. davor gewarnt, zwei Spielarten des Pinienapfels zusammenzuordnen, bloß weil ihre Frucht, wenn auch der wichtigste Teil, fast ganz gleich ist. Niemand stellt die schwedische und die gemeine Rübe zusammen, obgleich die eßbaren und verdickten Stengel so gleich sind. Immer den Teil, den man am beständigsten findet, benutzt man zur Einteilung der Spielarten. So sagt der große Landwirt Marshall, daß beim Rindvieh die Hörner für diesen Zweck sehr brauchbar seien, weil sie weniger veränderlich sind, als die Gestalt oder die Farbe des Körpers u. s. f., während bei den Schafen die Hörner weniger nützlich, weil weniger beständig sind. Hätten wir einen wirklichen Stammbaum, so würde, wie ich annehme, bei der Einteilung der Spielarten die nach der Geschlechtsfolge allgemein vorgezogen werden, und in einigen Fällen ist sie versucht worden. Denn wir könnten sicher sein, daß, ob nun eine größere oder geringere Ummodelung stattgefunden hätte, das Grundgesetz der Vererbung die Formen zusammenhalten würde, die in der größten Anzahl der Merkmale verwandt wären. Bei den Tummlern werden, obgleich einige der Unterspielarten sich in dem wichtigen Merkmale der Länge des Schnabels unterscheiden, alle durch die gemeinsame Gewohnheit des Tummelns zusammengehalten; aber die kurzgesichtige Rasse hat diese Gewohnheit beinahe oder ganz verloren. Nichtsdestoweniger behält man, ohne sich über den Gegenstand Gedanken zu machen, diese Tummler in derselben Gruppe, weil sie blutsverwandt und in einigen Beziehungen gleich sind.

Bei Arten im Naturzustande hat in der That jeder Naturforscher bei seiner Einteilung die Abstammung berücksichtigt; denn er schließt in seinen untersten Grad, den der Art, die beiden Geschlechter ein, und wie ungeheuer diese manchmal in den wichtigsten Merkmalen voneinander abweichen, ist jedem Naturforscher bekannt. Es läßt sich kaum irgend etwas Gemeinsames für die ausgewachsenen Männchen und die Zwitter gewisser Rankenfüßer angeben, und doch denkt niemand im Traume daran, sie zu trennen. Sobald man erkannte, daß die drei Knabenkräuterformen Monachanthus, Myanthus und Catasetum, die vorher als drei getrennte Gattungen angesetzt waren, bisweilen auf derselben Pflanze erzeugt wurden, wurden sie sofort als Spielarten angesehen, und jetzt habe ich zeigen können, daß sie die männlichen, weiblichen und Zwitterformen derselben Arten sind. Der Naturforscher schließt die mannigfachen Larvenstufen desselben Geschöpfes in eine Art, wie sehr sie sich auch voneinander und von dem ausgewachsenen Geschöpf unterscheiden mögen; ebenso macht er es bei der sogenannten Ammenerzeugung von Steenstrup, deren Formen nur in technischem Sinne als dasselbe Geschöpf betrachtet werden können. Er schließt Ungeheuerlichkeiten und Spielarten nicht wegen ihrer teilweise auftretenden Ähnlichkeit mit der Elternform ein, sondern weil sie von derselben Art abstammen.

Da man sich allgemein nach der Abstammung gerichtet hat, indem man die Einzelwesen derselben Art in einer Klasse vereinigte, obgleich die Männchen, Weibchen und Larven bisweilen äußerst verschieden sind, und da man darnach die Spielarten eingeteilt hat, die ein gewisses und manchmal beträchtliches Maß der Ummodelung erfahren haben, mag nicht auch die Abstammung unbewußt berücksichtigt worden sein, als man die Arten unter die Gattungen, die Gattungen unter die höheren Gruppen und alle unter das sogenannte natürliche System gruppierte? Ich glaube, man hat sie unbewußt berücksichtigt, und nur auf diese Weise kann ich die verschiedenen Regeln und Wegweiser verstehen, denen unsere besten Systembildner gefolgt sind. Da wir keine aufgeschriebenen Stammbäume haben, sind wir gezwungen, die Gemeinsamkeit der Abstammung durch Ähnlichkeiten irgendwelcher Art aufzuspüren. Daher wählen wir die Merkmale, bei denen mit Rücksicht auf die Lebensbedingungen, denen jede Art neuerlich ausgesetzt gewesen ist, eine Ummodelung am wenigsten wahrscheinlich ist. Verkümmerte Bildungen sind nach dieser Ansicht ebenso gut oder besser als andere Teile der inneren Bildung. Wir kümmern uns nicht darum, wie geringfügig ein Merkmal sein mag, – sei es auch nur die Biegung des Kinnbackenwinkels, die Art, in der ein Kerbtierflügel gefaltet ist, die Bedeckung der Haut mit Haar oder Federn – wenn es in vielen und verschiedenen Arten, besonders in denen, die sehr verschiedene Lebensgewohnheiten haben, vorherrscht, so nimmt es einen hohen Wert an. Denn wir können sein Vorkommen bei so vielen Formen mit so verschiedenen Gewohnheiten nur durch Ererbung von einem gemeinsamen Vorfahren erklären. Wir können uns in dieser Hinsicht bei einzelnen Punkten des Körperbaus irren, wenn aber mehrere Merkmale, seien sie auch noch so unbedeutend, in einer ganzen großen Gruppe von Wesen mit verschiedenen Gewohnheiten zusammenkommen, so können wir nach der Lehre von der Abstammung fast sicher sein, daß diese Merkmale von einem gemeinsamen Vorfahren ererbt worden sind, und wir wissen, daß solche gehäuften Merkmale für die Einteilung einen Hauptwert haben.

Wir können verstehen, warum eine Art oder eine Gruppe von Arten in mehreren ihrer wichtigsten Merkmale von ihren Verwandten abgehen und doch sicher mit ihnen in dieselbe Klasse eingereiht werden kann. Das kann sicher geschehen und geschieht oft, solange eine genügendende Anzahl Merkmale, seien sie auch noch so unwichtig, das verborgene Band der gemeinsamen Abstammung verrät. Mögen zwei Formen auch nicht ein einziges Merkmal gemeinsam haben, so können wir, wenn diese äußersten Formen durch eine Reihe von Zwischengruppen verknüpft sind, doch sofort auf ihre gemeinsame Abstammung schließen und sie alle in dieselbe Klasse setzen. Da wir finden, daß Organe von hoher physiologischer Wichtigkeit, – diejenigen, welche dazu dienen, unter den verschiedensten Daseinsbedingungen das Leben zu erhalten, – gewöhnlich am beständigsten sind, so legen wir ihnen besonderen Wert bei. Wenn wir aber finden, daß dieselben Organe bei einer anderen Gruppe oder einer anderen Abteilung einer Gruppe große Verschiedenheiten zeigen, so schätzen wir sie bei unserer Einteilung sofort geringer. Wir werden gleich sehen, warum Merkmale des Keimes für die Einteilung von so hoher Wichtigkeit sind. Die Verteilung über die Erdoberfläche spielt bei der Einreihung großer Gattungen oft eine nützliche Rolle, weil alle Arten derselben Gattung, die eine getrennte und abgesonderte Gegend bewohnt, aller Wahrscheinlichkeit nach von denselben Eltern stammen.

* * *

Ähnlichkeiten der Entsprechung. Nach den oben dargelegten Ansichten können wir den sehr wichtigen Unterschied zwischen wirklichen Verwandtschaften und den Ähnlichkeiten der Entsprechung oder der Anpassung verstehen. Lamarck lenkte zuerst die Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand; Macleay u. a. sind ihm mit Geschick gefolgt. Die Ähnlichkeit in der Körpergestalt und in den flossenähnlichen Vordergliedern zwischen dem Dugong und dem Wal und zwischen diesen beiden Ordnungen der Säugetiere und Fische ist eine solche der Entsprechung. Das Gleiche gilt auch von der Ähnlichkeit zwischen einer Maus und einer Spitzmaus (Sorex), die zu verschiedenen Ordnungen gehören, und die noch größere, von Mivart hervorgehobene Ähnlichkeit zwischen der Maus und einem kleinen Beuteltier (Antechinas) in Australien. Diese letzteren Ähnlichkeiten können, wie mir scheint, durch Anpassung an gleich lebhafte Bewegungen durch Dickicht und Gras und an das Verbergen vor den Feinden erklärt werden.

Unter den Kerbtieren giebt es unzählige ähnliche Beispiele; so reihte Linné, durch den äußeren Anschein verführt, einen Gleichflügler als eine Motte ein. Wir sehen sogar bei unseren Hausspielarten etwas derartiges z. B. in der auffallend gleichen Körpergestalt bei den verbesserten Rassen des chinesischen und des gemeinen Schweines, die von verschiedenen Arten abstammen, und bei den gleich verdickten Stengeln der gemeinen Rübe und der zu einer anderen Art gehörigen schwedischen Rübe. Die Ähnlichkeit zwischen dem Windspiel und dem Rassepferde ist kaum wunderlicher, als die von einigen Schriftstellern zwischen sehr verschiedenen Tieren gezogenen Vergleiche.

Nach der Ansicht, daß die Merkmale nur insoweit von wirklicher Bedeutung für die Einteilung sind, als sie die Abstammung offenbaren, können wir deutlich verstehen, warum Merkmale der Entsprechung oder der Anpassung, obgleich sie für die Wohlfahrt des Wesens von der höchsten Bedeutung sind, für den Systembildner fast keinen Wert haben. Denn Tiere, die zu zwei höchst verschiedenen Abstammungsreihen gehören, können ähnlichen. Bedingungen angepaßt worden sein und so eine große äußerliche Ähnlichkeit angenommen haben. Aber solche Ähnlichkeiten werden die Blutverwandtschaften nicht offenbaren, sondern sie eher zu verbergen streben. So können wir auch den anscheinenden Widersinn verstehen, daß genau dieselben Merkmale solche der Entsprechung sind, wenn eine Gruppe mit einer anderen verglichen wird, aber wirkliche Verwandtschaften ergeben, wenn die Mitglieder einer einzigen Gruppe miteinander verglichen werden. So sind die Körpergestalt und die flossenähnlichen Glieder, wenn Wale mit Fischen verglichen werden, nur entsprechend, da sie bei beiden Klassen Anpassungen zum Schwimmen im Wasser sind. Aber zwischen den verschiedenen Gliedern der Walfamilie bieten die Körpergestalt und die flossenähnlichen Glieder Merkmale, die eine wirkliche Verwandtschaft offenbaren; denn da diese Teile in der ganzen Familie nahezu gleich sind, können wir nicht zweifeln, daß sie von einem gemeinsamen Vorfahren ererbt worden sind. Ebenso ist es bei den Fischen.

Ich könnte bei ganz verschiedenen Wesen zahlreiche Beispiele von auffallenden Ähnlichkeiten zwischen einzelnen Teilen oder Organen anführen, die denselben Tätigkeiten angepaßt worden sind. Ein gutes Beispiel bietet die große Ähnlichkeit der Kiefer des Hundes und des tasmanischen Wolfes oder Thylacinus, zweier Tiere, die in dem natürlichen System weit getrennt sind. Aber diese Ähnlichkeit ist auf das allgemeine Aussehen, auf das Hervorstehen der Schneidezähne und die zackige Gestalt der Backzähne beschränkt. Denn in Wirklichkeit unterscheiden sich die Zähne sehr. So hat der Hund auf jeder Seite des Oberkiefers vier voranstehende und nur drei dahinter stehende Backzähne, während beim Thylacinus drei voran und vier dahinterstehen. Auch unterscheiden sich die Backzähne bei beiden Tieren in Größe und Bau. Dem Gebiß der ausgewachsenen Tiere gehen auch ganz andere Milchzähne voraus. Natürlich wird man bestreiten können, daß die Zähne in beiden Fällen durch die Naturauslese aufeinanderfolgender Abänderungen zum Zerreißen des Fleisches angepaßt worden seien, aber wenn man es in dem einem Falle zugiebt, ist es unbegreiflich, wie es in dem anderen Falle geleugnet werden kann. Es freut mich, daß auch ein so bedeutender Sachkenner wie Professor Flower zu diesem Schlusse gekommen ist.

Die in einem früheren Kapitel angeführten außergewöhnlichen Fälle von sehr verschiedenen Fischen, die elektrische Organe, von sehr verschiedenen Kerbtieren, die leuchtende Organe besitzen, und von Knabenkräutern und Asklepiaden, die Blütenstaubmassen mit klebrigen Scheiben haben, gehören gleichfalls zu den Ähnlichkeiten der Entsprechung. Aber diese Fälle sind so wunderbar, daß sie als Schwierigkeiten oder Einwände gegen unsere Lehre vorgebracht wurden. In all solchen Fällen kann irgendeine Grundverschiedenheit in dem Wachstum oder der Entwicklung der Teile und gewöhnlich in ihrem Bau bei den ausgebildeten Wesen entdeckt werden. Das erreichte Ziel ist dasselbe, aber die Mittel sind, wenn sie auch bei oberflächlichem Hinsehen gleich zu sein scheinen, wesentlich verschieden. Das vorher unter dem Ausdruck der »entsprechenden Abänderung« angedeutete Grundgesetz spielt wahrscheinlich bei diesen Fällen oft eine Rolle, d. h. die Mitglieder derselben Klasse haben, wenn auch nur entfernt verwandt, so viel Gemeinsames in ihrer Körperbeschaffenheit geerbt, daß sie, wenn ähnliche Ursachen den Anlaß geben, geneigt sind, sich in ähnlicher Art abzuändern. Und das würde offenbar dazu verhelfen, durch die Naturauslese Teile oder Organe zu erhalten, die unabhängig von ihrer unmittelbaren Ererbung von einem gemeinsamen Vorfahren auffallend gleich wären.

Da zu getrennten Klassen gehörige Arten durch aufeinanderfolgende geringfügige Ummodelungen oft dem Leben unter fast gleichen Umständen, z. B. dem Aufenthalt in den drei Elementen Erde, Luft und Wasser, angepaßt worden sind, so können wir vielleicht begreifen, woher es kommt, daß zuweilen zwischen den Untergruppen getrennter Klassen eine zahlenmäßige Gleichläufigkeit beobachtet worden ist. Ein Naturforscher könnte, von einer derartigen Gleichläufigkeit überrascht, den Wert der Gruppen in verschiedenen Klassen willkürlich erhöhen oder erniedrigen – und alle unsere Erfahrung zeigt, daß ihre Wertschätzung bis jetzt willkürlich ist – und so diese Gleichläufigkeit leicht auf einen großen Kreis ausdehnen. So sind wahrscheinlich die Einteilungen in sieben, fünf, vier und drei Teile entstanden.

Es giebt noch eine andere eigentümliche Klasse von Fällen, bei denen große äußere Ähnlichkeit nicht von der Anpassung an ähnliche Lebensgewohnheiten abhängt, sondern zum Zwecke des Schutzes erworben worden ist. Ich weise auf die wunderbare Art hin, in der gewisse Schmetterlinge andere und ganz getrennte Arten nachahmen, wie Herr Bates zuerst beschrieben hat. Dieser ausgezeichnete Beobachter hat gezeigt, daß in einigen Bezirken Südamerikas, wo z. B. eine Ithomia in prächtigen Schwärmen sich allenthalben zeigt, ein anderer Schmetterling, ein Leptalis, oft unter denselben Schwarm gemischt sich findet; und dieser letztere gleicht der Ithomia in jeder Abschattung und in jedem Streifen der Farbe, ja sogar in der Gestalt ihrer Flügel so sehr, daß Bates trotz seiner durch elfjähriges Sammeln geschärften Augen, und obwohl er stets auf seiner Hut war, sich beständig täuschte. Wenn die Nachahmer und die Nachgeahmten gefangen und verglichen werden, so findet man, daß sie im Bau ganz wesentlich verschieden sind und nicht nur zu getrennten Gattungen, sondern oft sogar zu getrennten Familien gehören. Wäre diese Mimikry in einem oder zwei Fällen vorgekommen, so hätte man sie als ein sonderbares Zusammentreffen übergehen können. Aber wenn man aus einem Bezirk, in dem ein Leptalis eine Ithomia nachahmt, weitergeht, kann man eine andere nachahmende und eine nachgeahmte Art finden, die zu denselben beiden Gattungen gehören und einander ebenso ähnlich sind. Im ganzen werden nicht weniger als zehn Gattungen aufgezählt, die Arten einschließen, die andere Schmetterlinge nachahmen. Die Nachahmer und die Nachgeahmten bewohnen immer dieselbe Gegend, wir finden niemals einen Nachahmer, der von der nachgeahmten Form entfernt lebt. Die Nachahmer sind beinahe stets seltene Kerbtiere, die Nachgeahmten kommen fast in jedem Falle in Schwärmen vor. In demselben Bezirk, in dem eine Leptalisart genau eine Ithomia nachahmt, giebt es manchmal andere Schuppenflügler, die dieselbe Ithomia nachäffen, so daß man an derselben Stelle Arten von drei Schmetterlingsgattungen und sogar eine Motte findet, die einem zu einer vierten Gattung gehörigen Schmetterling sehr ähnelt. Es verdient besondere Beachtung, daß man durch eine abgestufte Reihe zeigen kann, daß sowohl viele nachäffende Formen des Leptalis, sowie viele der nachgeäfften Formen bloße Spielarten derselben Art sind, während die anderen unzweifelhaft getrennte Arten sind. Aber warum, könnte man fragen, werden gewisse Formen als die Nachgeäfften und andere als die Nachäffer behandelt? Bates beantwortet diese Frage befriedigend, indem er zeigt, daß die Form, die nachgeahmt wird, das gewöhnliche Kleid der Gruppe, zu der sie gehört, behält, während die Nachmacher ihr Kleid gewechselt haben und ihren nächsten Verwandten nicht ähneln.

Wir fühlen uns zunächst veranlaßt, zu fragen, welcher Grund dafür angegeben werden kann, daß gewisse Schmetterlinge und Motten so oft das Gewand einer anderen ganz verschiedenen Form annehmen, warum die Natur zur Bestürzung der Naturforscher sich zu den Kunststücken der Bühne herabgelassen hat. Bates hat ohne Zweifel die richtige Erklärung getroffen. Die nachgeahmten Formen, die immer in ungeheurer Zahl vorkommen, müssen gewöhnlich in großem Umfange der Vernichtung entgehen; sonst könnten sie nicht in solchen Schwärmen da sein. Es ist jetzt eine große Menge augenscheinlicher Beweise gesammelt worden, die zeigen, daß sie Vögeln und anderen kerbtierfressenden Tieren zuwider sind. Die nachahmenden Formen, die denselben Bezirk bewohnen, sind andrerseits selten und gehören zu seltenen Gruppen; daher müssen sie gewöhnlich unter irgendeiner Gefahr leiden, denn sonst würden sie nach der Anzahl von Eiern, die alle Schmetterlinge legen, in drei oder vier Geschlechtern über das ganze Land schwärmen. Wenn nun ein Mitglied einer dieser verfolgten und seltenen Gruppen ein Gewand annahm, das dem einer gutgeschützten Gruppe so ähnlich ist, daß es das geübte Auge eines Kerbtierkenners fortwährend täuschte, so wird es Raubvögel und Kerbtiere oft täuschen und so der Vernichtung entgehen. Man kann beinahe sagen, daß Bates den Vorgang tatsächlich mitangesehen hat, durch den die Nachäffer soweit gekommen sind, den Nachgeäfften genau zu gleichen. Denn er fand, daß einige der Formen von Leptalis, die so viele andere Schmetterlinge nachäffen, sich in außerordentlichem Grade abänderten. In einem Bezirke kamen mehrere Spielarten vor, und nur eine von diesen glich einigermaßen der gemeinen Ithomia desselben Bezirkes. In einem anderen Bezirke gab es zwei oder drei Spielarten, von denen eine weit gewöhnlicher war als die andere, und diese ahmte eine andere Form der Ithomia genau nach. Aus derartigen Thatsachen schließt Bates, daß der Leptalis sich zuerst abändert, und wenn eine Spielart zufällig einigermaßen irgendeinem denselben Bezirk bewohnenden gewöhnlichen Schmetterling gleicht, sie wegen ihrer Ähnlichkeit mit einer blühenden und wenig verfolgten Art eine bessere Aussicht hat, der Vertilgung durch Raubvögel und Kerbtiere zu entgehen, und folglich häufiger erhalten wird. »Die weniger vollkommenen Grade der Ähnlichkeit werden von Geschlecht zu Geschlecht beseitigt und nur die anderen übrig gelassen, um ihre Art fortzusetzen,« so daß wir hier ein ausgezeichnetes Beispiel der Naturauslese haben.

Wallace und Trimen haben ebenfalls mehrere gleich auffallende Beispiele der Nachahmung bei den Schuppenflüglern des malayischen Inselmeeres und Afrikas und bei einigen anderen Kerbtieren beschrieben. Wallace hat auch einen solchen Fall bei Vögeln entdeckt, aber bei den größeren Vierfüßlern haben wir keinen. Daß die Häufigkeit der Nachahmung bei Kerbtieren so viel größer ist als bei anderen Tieren, ist wahrscheinlich eine Folge ihrer Kleinheit. Die Kerbtiere können sich mit Ausnahme der Arten, die mit einem Stachel versehen sind, nicht verteidigen, und ich habe nie davon gehört, daß solche Arten andere Kerbtiere nachahmen, obgleich sie nachgeahmt werden. Die Kerbtiere können den größeren Tieren, die auf sie Jagd machen, nicht leicht durch die Flucht entschlüpfen; dadurch werden sie, wie die meisten schwachen Geschöpfe, bildlich gesprochen, zu List und Verstellung gebracht.

Man sollte beachten, daß der Vorgang der Nachahmung wahrscheinlich nie zwischen Formen, die in der Farbe sehr unähnlich sind, begann. Aber wenn er bei Arten begann, die einander schon etwas ähnlich waren, konnte die genaueste Ähnlichkeit, wenn sie nützlich war, durch die oben geschilderten Mittel leicht erreicht werden. Wenn die nachgeahmte Form in der Folge durch irgendeinen Einfluß allmählich umgemodelt wurde, so folgte die nachahmende Form auf demselben Wege und konnte so in beinahe unbegrenztem Maße geändert werden und schließlich eine äußere Erscheinung und eine Färbung annehmen, die der der anderen Glieder der Familie, zu der sie gehörte, ganz unähnlich war. Bei diesem Gegenstande giebt es jedoch einige Schwierigkeiten; denn in einigen Fällen ist man zu der Annahme genötigt, daß einstige Mitglieder, die mehreren verschiedenen Gruppen angehörten, ehe sie bis zu dem jetzigen Grade abgewichen waren, zufällig einem Mitgliede einer anderen geschützten Gruppe genügend glichen, um dadurch einen leichten Schutz zu erhalten. Dies hat die Grundlage für die folgende Erwerbung der vollendetsten Ähnlichkeit abgegeben.

* * *

Über die Natur der Verwandtschaften, die die organischen Wesen verknüpfen.

Da die umgemodelten Nachkommen der herrschenden, zu den größeren Gattungen gehörenden Arten darnach streben, die Vorzüge zu erwerben, die die Gruppen, zu denen sie gehören, groß und ihre Eltern herrschend machten, so ist es fast sicher, daß sie sich weit verbreiten und von immer mehr Plätzen im Haushalte der Natur Besitz ergreifen werden. Die größeren und herrschenderen Gruppen in jeder Klasse streben so, sich weiter zu vergrößern, und sie verdrängen so viele kleinere und schwächere Gruppen. So können wir die Thatsache erklären, daß alle noch lebenden und erloschenen Lebensformen in einige große Ordnungen und noch weniger Klassen eingeschlossen sind. Ein Beweis, wie gering die höheren Gruppen an Zahl sind, und wie weit sie durch die ganze Welt verbreitet sind, ist die überraschende Thatsache, daß die Entdeckung Australiens zu den Kerbtieren nicht ein einziges zu einer neuen Klasse gehöriges hinzugefügt hat, und daß sich das Pflanzenreich, wie ich von Dr. Hooker höre, nur um zwei oder drei Familien von geringem Umfange vermehrt hat.

In dem Kapitel über die Aufeinanderfolge der Erdschichten suchte ich nach dem Grundgesetze, daß jede Gruppe während des lange fortgesetzten Vorganges der Ummodelung gewöhnlich in den Merkmalen sehr auseinandergegangen ist, zu zeigen, wie es komme, daß die einstigen Lebensformen oft Merkmale aufweisen, die einigermaßen zwischen denen der jetzt vorhandenen Gruppen in der Mitte stehen. Da einige wenige der alten Zwischenformen der Gegenwart nur wenig umgemodelte Nachkommen übermittelt haben, bilden diese unsere sogenannten schwankenden oder abirrenden Arten. Je abirrender irgendeine Form ist, um so größer muß die Anzahl der verknüpfenden Formen gewesen sein, die vernichtet worden und gänzlich verloren gegangen sind. Und wir haben einige Beweise dafür, daß die abirrenden Gruppen sehr durch Vernichtung gelitten haben; denn sie werden fast immer durch äußerst wenige Arten vertreten. Und wenn solche Arten vorkommen, sind sie gewöhnlich voneinander sehr getrennt, was wieder auf Vernichtung deutet. Die Gattungen des Schnabeltieres und des Schuppenmolches z. B. würden nicht weniger abirrend gewesen sein, wenn sie durch ein Dutzend Arten vertreten gewesen wären, anstatt wie jetzt durch eine einzige oder zwei oder drei. Wir können, denke ich, diese Thatsache nur dadurch erklären, daß wir die abirrenden Gruppen als Formen ansehen, die durch erfolgreichere Mitbewerber besiegt worden und von denen noch einige Mitglieder unter ungewöhnlich günstigen Bedingungen erhalten sind.

Waterhouse hat bemerkt, daß, wenn ein zu einer Tiergruppe gehöriges Mitglied eine Verwandtschaft mit einer ganz getrennten Gruppe zeigt, diese Verwandtschaft sich in den meisten Fällen auf die Gattung und nicht auf die Art bezieht. So ist das Bizkacha nach Waterhouse ganz nahe mit den Beuteltieren verwandt, aber in allen Punkten, in denen es sich dieser Ordnung nähert, weisen seine Beziehungen auf die Gattung, d. h. auf eine Beuteltierart nicht mehr als auf die andere. Da diese Verwandtschaftspunkte, wie man annimmt, im Wesen begründet und nicht bloß solche der Anpassung sind, müssen sie nach unserer Ansicht eine Folge der Ererbung von einer gemeinsamen Urform sein. Daher müssen wir voraussetzen, daß sich entweder alle Nagetiere mit Einschluß des Bizkachas von irgendeinem einstigen Beuteltier abgezweigt haben, das naturgemäß allen lebenden Beuteltieren gegenüber ein mehr oder weniger mittleres Gepräge gehabt haben wird, oder daß Nagetiere wie Beuteltiere sich von einer gemeinsamen Urform abgezweigt und daß beide Gruppen seitdem eine starke Ummodelung nach auseinandergehenden Richtungen erfahren haben. Nach beiden Ansichten müssen wir voraussetzen, daß das Bizkacha durch Ererbung mehr von den Merkmalen seiner einstigen Urform zurückbehalten hat als andere Nagetiere, und daher wird es nicht mit irgendeiner bestimmten Art der jetzt lebenden Beuteltiere, sondern mittelbar mit allen oder beinahe allen Beuteltieren verwandt sein, weil es das Gepräge ihrer gemeinsamen Urform oder irgendeines frühen Mitglieds der Gruppe zum Teil behalten hat. Andererseits gleicht, wie Waterhouse bemerkt hat, der Phaskolomys am nächsten nicht irgendeiner Art, sondern der ganzen Ordnung der Nagetiere. In diesem Fall ist jedoch starker Grund zu der Vermutung vorhanden, daß die Ähnlichkeit nur eine der Entsprechung ist, die daher kommt, daß der Phaskolomys Nagetier-Gewohnheiten angepaßt worden ist. Der ältere de Candolle hat beinahe gleiche Bemerkungen über die allgemeine Natur der Verwandtschaften getrennter Pflanzenfamilien gemacht.

Nach dem Grundgesetze der Vervielfältigung und des allmählichen Auseinandergehens der Merkmale der von einer gemeinsamen Urform herstammenden Arten, wobei sie einige gemeinsame Merkmale durch Vererbung behalten, können wir die außerordentlich verwickelten und nach allen Seiten gehenden Verwandtschaften verstehen, durch der alle Mitglieder derselben Familie oder einer höheren Gruppe miteinander verknüpft sind. Denn die gemeinsame Urform einer ganzen Familie, die jetzt durch Aussterben in getrennte Gruppen und Untergruppen zerfallen ist, wird einige ihrer in mannigfacher Weise und mannigfachem Grade umgemodelten Merkmale auf alle Arten übertragen haben, und folglich werden sie durch Verwandtschaftslinien von verschiedener Länge, wie man in der so oft erwähnten Zeichnung sehen kann, die durch viele Vorgänger hinaufsteigen, miteinander in Beziehung stehen. Ebenso wie es schwierig ist, die Blutsverwandtschaft zwischen der zahlreichen Nachkommenschaft einer alten und edlen Familie selbst mit Hilfe eines Stammbaums, und beinahe unmöglich, sie ohne dessen Hilfe zu zeigen, können wir die außerordentliche Schwierigkeit verstehen, auf welche die Naturforscher gestoßen sind, wenn sie ohne Hilfe einer Zeichnung die mannigfachen Verwandtschaften beschreiben, die sie zwischen den vielen lebenden und ausgestorbenen Mitgliedern einer großen natürlichen Klasse bemerken.

Die Vertilgung hat, wie wir im vierten Kapitel gesehen haben, eine wichtige Rolle bei der Bestimmung und Erweiterung der Zwischenräume zwischen den verschiedenen Gruppen jeder Klasse gespielt. So können wir die Getrenntheit ganzer Klassen voneinander, z. B. der Vögel von allen anderen Wirbeltieren, durch die Annahme erklären, daß viele alte Lebensformen, durch die die ersten Urformen der Vögel früher mit den ersten Urformen der anderen und zu jener Zeit weniger verschiedenartig gewordenen Wirbeltierklassen verknüpft waren, vollständig verloren gegangen sind. Die Lebensformen, die einst die Fische mit den Lurchen verknüpften, haben viel weniger durch Aussterben gelitten. Noch weniger ist es bei einigen ganzen Klassen, z. B. den Krustentieren, der Fall gewesen; denn hier werden die aufs merkwürdigste verschiedenen Formen noch durch eine lange und nur zum Teil unterbrochene Kette von Verwandtschaften zusammengehalten. Das Aussterben hat die Gruppen nur begrenzt, sie aber keineswegs gemacht. Denn wenn jede Form, die jemals auf dieser Erde gelebt hat, plötzlich wiedererscheinen sollte, so würde, obgleich es ganz unmöglich wäre, Bestimmungen zu geben, durch die eine jede Gruppe unterschieden werden könnte, doch eine natürliche Einteilung oder wenigstens eine natürliche Anordnung möglich sein. Wir werden dies sehen, wenn wir die Zeichnung zur Hand nehmen. Die Buchstaben A bis L sollen elf silurische Gattungen darstellen, von denen einige große Gruppen umgemodelter Nachkommen erzeugt haben, deren Verbindungsglieder in jedem Haupt- und Nebenzweige noch am Leben und so fein wie die zwischen lebenden Spielarten sind. In diesem Falle würde es ganz unmöglich sein, Begriffsbestimmungen zu geben, durch welche die einzelnen Mitglieder der verschiedenen Gruppen von ihren näherstehenden Vorfahren und Nachkommen getrennt werden könnten. Dennoch würde sich die Anordnung in der Zeichnung als richtig erweisen und natürlich sein. Denn nach dem Grundgesetze der Vererbung würden alle z. B. von abstammenden Formen etwas Gemeinsames haben. Bei einem Baume können wir diesen oder jenen Zweig unterscheiden, wenn auch in der That in der Astgabel sich die beiden vereinigen und ineinander übergehen. Wir könnten, wie ich gesagt habe, die verschiedenen Gruppen nicht begrenzen, aber wir könnten Formen herausgreifen, welche die meisten Merkmale jeder Gruppe, ob groß oder klein, zeigten und so eine allgemeine Vorstellung von dem Maße der Unterschiede zwischen ihnen gäben. Dazu würden wir uns veranlaßt sehen, wenn es uns jemals gelingen sollte, alle Formen irgendeiner Klasse zu sammeln, die von Anbeginn in Zeit und Raum gelebt haben. Es wird uns sicher nie gelingen, eine so vollständige Sammlung herzustellen. Nichtsdestoweniger streben wir in gewissen Klassen nach diesem Ziel, und Milne Edwards hat kürzlich in einer tüchtigen Abhandlung hervorgehoben, wie wichtig es sei, nach Grundformen zu suchen, ob wir nun die Gruppen, zu denen solche Grundformen gehören, trennen und begrenzen können oder nicht.

Kurz, wir haben gesehen, daß die Naturauslese, die aus dem Kampf ums Dasein folgt und beinahe unvermeidlich zum Aussterben und zum Auseinandergehen der Merkmale bei den Nachkommen irgendeiner Elternart führt, jenen großen allgemeinen Zug in den Verwandtschaften aller organischen Wesen, nämlich ihre Sonderung in Gruppen, erklärt. Wir wenden die Abstammung an bei der Einordnung der Vertreter beider Geschlechter und aller Alter unter eine Art, wenn sie auch nur wenig Merkmale gemeinsam haben. Wir wenden die Abstammung an bei der Einordnung anerkannter Spielarten, wie verschieden sie auch von ihren Eltern sein mögen. Und ich glaube, daß die Abstammung das geheime zusammenhaltende Band bildet, das die Naturforscher unter dem Ausdruck des natürlichen Systems gesucht haben. Nach dieser Vorstellung, daß das natürliche System, soweit es vollendet worden ist, in seiner Anordnung mit den Graden des Unterschiedes, die durch die Namen Gattungen, Familien, Ordnungen u. s. w. bezeichnet werden, auf der Geschlechtsfolge beruht, können wir die Regeln verstehen, denen wir in unserer Einteilung folgen müssen. Wir können verstehen, warum wir gewisse Ähnlichkeiten weit mehr schätzen als andere, warum wir verkümmerte und nutzlose Organe oder andere von geringfügiger physiologischer Wichtigkeit anwenden, warum wir bei der Auffindung der Beziehungen zwischen einer Gruppe und einer anderen die Merkmale der Entsprechung oder der Anpassung kurzweg verwerfen, und doch diese selben Merkmale innerhalb der Grenzen einer Gruppe anwenden. Wir können deutlich sehen, wie es kommt, daß alle lebenden und ausgestorbenen Formen in wenigen großen Klassen, und wie die verschiedenen Glieder jeder Klasse durch die verwickeltsten, nach allen Seiten gehenden Linien der Verwandtschaft zusammengehalten werden. Wir werden wahrscheinlich niemals das unauflösliche Gewebe der Verwandtschaften zwischen den Mitgliedern irgendeiner Klasse entwirren, aber wenn wir einen bestimmten Gegenstand im Auge haben und nicht nach einem unbekannten Schöpfungsplan ausschauen, können wir hoffen, sichere, aber langsame Fortschritte zu machen.

Professor Häckel hat in seiner ›Generellen Morphologie‹ und in anderen Werken kürzlich seine großen Kenntnisse und Fähigkeiten dem gewidmet, was er Phylogenie oder die Stammreihen aller organischen Wesen nennt. Bei der Aufstellung der verschiedenen Reihen verläßt er sich hauptsächlich auf die Merkmale im Keimzustande, zieht aber auch die gleichgestellten und die verkümmerten Organe wie auch die aufeinanderfolgenden Zeitalter zu Rate, in denen die mannigfachen Lebensformen zuerst in unseren Erdbildungsschichten erschienen sein sollen. So hat er kühn einen großen Anfang gemacht und zeigt uns, wie die Einteilung in Zukunft behandelt werden wird.

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Das Gesetz der Form.

Wir haben gesehen, daß die Mitglieder derselben Klasse einander abgesehen von ihren Lebensgewohnheiten in dem allgemeinen Plan ihrer inneren Bildung ähnlich sind. Diese Ähnlichkeit wird oft durch den Ausdruck ›Einheit des Gepräges‹ oder dadurch bezeichnet, daß man die verschiedenen Teile und Organe bei den verschiedenen Arten der Klassen gleichgestellt nennt. Der ganze Gegenstand wird unter dem allgemeinen Namen des Gesetzes der Form begriffen. Dies ist eine der fesselndsten Abteilungen der Naturgeschichte; sie kann fast ihre eigentliche Seele genannt werden. Was dürfte seltsamer sein, als daß die zum Greifen gebildete Hand eines Menschen, der zum Graben gebildete Fuß eines Maulwurfs, das Bein des Pferdes, der Ruderfuß des Delphins und der Flügel der Fledermaus alle nach demselben Grundrisse gebaut sind und gleiche, einander in ihrer Stellung entsprechende Knochen einschließen? Wie seltsam ist es, um ein untergeordnetes, jedoch überraschendes Beispiel zu geben, daß die Hinterfüße des Känguruhs, die so gut zum Springen über offene Ebenen geeignet sind, die des kletternden, blätterfressenden Koalas, die ebenso gut zum Ergreifen der Baumzweige passen, die des an der Erde lebenden, Kerbtiere oder Wurzeln fressenden Bandikuts und die einiger anderer australischen Beuteltiere, alle nach derselben außergewöhnlichen Grundform gebaut sind, daß nämlich die Knochen des zweiten und dritten Fingers äußerst dünn und in dieselbe Haut gehüllt sind, so daß sie wie ein einziger, mit zwei Klauen versehener Zeh erscheinen. Trotz dieser Ähnlichkeit des Grundrisses ist es augenscheinlich, daß die Hinterfüße dieser verschiedenen Tiere zu Zwecken gebraucht werden, die so weit voneinander verschieden sind, wie man es sich nur denken kann. Der Fall wird dadurch noch überraschender, daß die amerikanischen Opossume, die fast denselben Lebensgewohnheiten folgen, wie einige ihrer australischen Verwandten, Füße haben, die nach dem gewöhnlichen Grundrisse gebaut sind. Professor Flower, von dem diese Feststellungen herrühren, bemerkt zum Schluß: »Wir können das Gleichförmigkeit des Gepräges nennen, ohne einer Erklärung der Erscheinung viel näher zu kommen,« und fügt dann hinzu: »Aber deutet das nicht nachdrücklich auf wirkliche Verwandtschaft, auf Vererbung von einem gemeinsamen Vorfahren?«

Geoffroy St. Hilaire hat die hohe Wichtigkeit der entsprechenden Stellung oder Verbindung in gleichstehenden Körperteilen kräftig betont. Sie können sich in Form und Größe fast in beliebigem Maße voneinander unterscheiden und doch in derselben unveränderlichen Ordnung miteinander verbunden bleiben. Wir finden z. B. die Knochen des Ober- und Unterarmes oder des Ober- und Unterschenkels nie umgelagert. Daher kann man gleichgestellten Knochen bei sehr verschiedenen Tieren dieselben Namen geben. Wir sehen dasselbe große Gesetz bei der Bildung des Mundes der Kerbtiere. Was kann verschiedener sein als die unendlich lange gewundene Zunge eines Schwärmers, die seltsam gefaltete einer Biene oder Wanze und die großen Kiefer eines Hirschkäfers. Und doch sind alle diese zu so verschiedenen Zwecken dienenden Organe durch unendlich zahlreiche Ummodelungen einer Oberlippe, der Oberkiefer, und zweier Unterkieferorgane gebildet worden. Dasselbe Gesetz beherrscht den Bau des Mundes und der Glieder der Krustentiere. Ebenso steht es mit den Blüten der Pflanzen.

Nichts kann hoffnungsloser sein als der Versuch, diese Gleichheit des Musters bei den Mitgliedern derselben Klasse durch die Nützlichkeit oder die Lehre von der Zweckbestimmung zu erklären. Die Hoffnungslosigkeit des Versuchs hat Owen in seinem höchst fesselnden Werk »Über die Natur der Glieder« ausdrücklich zugegeben. Nach der gewöhnlichen Ansicht von der unabhängigen Schöpfung eines jeden Wesens können wir nur sagen, daß es so ist, daß es dem Schöpfer gefallen hat, alle Tiere und Pflanzen in jeder großen Klasse nach einem Plane zu bilden. Aber das ist keine wissenschaftliche Erklärung.

Dagegen ist die Erklärung höchst einfach nach der Lehre von den aufeinanderfolgenden leichten Ummodelungen, von denen jede der umgemodelten Form irgendwie nützlich ist, aber oft durch Wechselbeziehung andere Teile der inneren Bildung beeinflußt. Bei derartigen Ummodelungen wird wenig oder keine Neigung vorhanden sein, das ursprüngliche Muster zu ändern oder die Teile umzulagern. Die Knochen eines Gliedes könnten beliebig gekürzt und abgeplattet und zugleich in eine dicke Haut eingehüllt werden, so daß sie als Flosse dienten, oder alle oder gewisse Knochen eines Schwimmfußes könnten beliebig verlängert und ihre Verbindungshaut ausgedehnt werden, so daß er als Flügel dienen könnte; doch würden alle diese Ummodelungen nicht darauf hinwirken, das Rahmenwerk der Knochen oder die bezügliche Verbindung der Teile zu ändern. Wenn wir annehmen, daß ein früher Vorfahr – der Urvater, wie man ihn nennen könnte – aller Säugetiere, Vögel und Kriechtiere Glieder gehabt hätte, die nach dem vorhandenen allgemeinen Muster gebildet waren, welchem Zwecke sie auch dienten, so können wir sofort die klare Bedeutung des gleichen Gliedes in der ganzen Klasse begreifen. Ebenso brauchen wir beim Munde der Kerbtiere nur anzunehmen, daß ihr gemeinsamer Vorfahr eine Oberlippe, Oberkiefer und zwei Paar Unterkiefer besaß, wenn auch diese Teile vielleicht eine sehr einfache Form hatten, und dann wird die Naturauslese die unendliche Verschiedenheit in dem Bau und den Thätigkeiten des Mundes der Kerbtiere erklären. Nichtsdestoweniger ist es begreiflich, daß durch die Verringerung anderer Teile und Verdoppelung oder Vervielfältigung wieder anderer – Abänderungen, die, wie wir wissen, in den Grenzen der Möglichkeit liegen – das allgemeine Muster eines Organs so sehr verwickelt wurde, daß es schließlich verloren ging. Bei den Ruderfüßen der riesenhaften ausgestorbenen Fischeidechsen und bei dem Munde gewisser mit Saugwerkzeugen versehener Krustentiere scheint das allgemeine Muster so teilweise verdunkelt worden zu sein.

Noch eine andere und gleich merkwürdige Abteilung unseres Gegenstandes ist zu betrachten, nämlich die reihenweise Gleichstelligkeit oder die Vergleichung verschiedener Teile oder Organe in demselben Geschöpf und nicht derselben Teile oder Organe bei verschiedenen Mitgliedern derselben Klasse. Die meisten Physiologen nehmen an, daß die Schädelknochen mit den Grundteilen einer gewissen Anzahl von Wirbeln gleichstehen, d. h. daß sie mit ihnen in der Zahl und der bezüglichen Verbindung übereinstimmen. Die vorderen und die hinteren Glieder sind bei allen höheren Klassen der Wirbeltiere deutlich gleichstehend. Ebenso ist es bei den wunderbar zusammengesetzten Kiefern und Beinen der Krustentiere. Es ist fast jedermann vertraut, daß bei einer Blüte die Stellung der Kelchblätter, der Blütenblätter, Staubgefäße und Stempel wie auch ihr innerer Bau nach der Ansicht verständlich ist, daß sie aus verwandten, in einer Spindel angeordneten Blättern bestehen. Bei ungeheuerlichen Pflanzen erhalten wir oft einen unmittelbaren Beweis der Möglichkeit, daß ein Organ in ein anderes verwandelt wird, und wir können während der frühen oder Keimzustände sowohl bei den Blüten wie bei den Krustentieren und vielen anderen Tieren sehen, daß Organe, die bei der Reife äußerst verschieden werden, zuerst genau gleich sind.

Wie unerklärlich sind die Fälle von reihenweiser Gleichstelligkeit nach der gewöhnlichen Ansicht von der Schöpfung! Warum sollte das Gehirn in einen Kasten eingeschlossen werden, der aus so zahlreichen und so außergewöhnlich gestalteten, offenbar Wirbel darstellenden Knochenstücken besteht? Wie Owen bemerkt hat, erklärt der Nutzen, der für die Säugetiere aus dem Nachgeben der getrennten Stücke bei dem Geburtsakte entspringt, keineswegs denselben Bau bei den Schädeln der Vögel und Kriechtiere. Warum sollten ähnliche Knochen geschaffen worden sein, um den Flügel und das Bein einer Fledermaus zu bilden, da sie doch zu so völlig verschiedenen Zwecken, wie das Fliegen und Gehen sind, gebraucht werden? Warum sollte ein Krustentier, das einen außerordentlich zusammengesetzten, aus vielen Teilen gebildeten Mund hat, infolge dessen immer weniger Füße oder umgekehrt die mit vielen Beinen einen einfacheren Mund haben? Warum sollten die Kelchblätter, Blütenblätter, Staubgefäße und Stempel in jeder Blüte, obgleich sie zu verschiedenen Zwecken geeignet sind, alle nach demselben Muster gebildet werden?

Nach der Lehre von der Naturauslese können wir diese Fragen bis zu einem gewissen Grade beantworten. Wir brauchen hier nicht zu erwägen, wie die Körper mancher Tiere zuerst in Abschnitte oder in rechte und linke Seiten mit den entsprechenden Organen geteilt wurden; denn solche Fragen liegen fast jenseit der Forschung. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß manche reihenweise Bildungen das Ergebnis der sich durch Teilung vervielfältigenden Zellen sind, was die Vervielfältigung der aus solchen Zellen entwickelten Teile zur Folge hat. Für unseren Zweck wird es genügen, daran zu erinnern, daß eine unendliche Wiederholung desselben Körperteils oder Organs, wie Owen bemerkt hat, das gemeinsame Kennzeichen aller niedrigen Formen ist, bei denen die Teile noch nicht auf eine bestimmte Thätigkeit beschränkt sind. Daher besaß der unbekannte Vorfahr der Wirbeltiere wahrscheinlich viele Wirbel, der unbekannte Vorfahr der Gliedertiere viele Abschnitte und der unbekannte Vorfahr der blühenden Pflanzen viele in einer oder mehreren Spindeln angeordnete Blätter. Früher haben wir auch gesehen, daß vielmals wiederholte Teile im höchsten Grade zur Abänderung nicht nur an Zahl, sondern auch in der Form neigen. Folglich werden solche schon in beträchtlicher Anzahl vorhandenen höchst veränderlichen Teile sich naturgemäß den verschiedensten Zwecken anpassen lassen; indes werden sie durch die Kraft der Vererbung deutliche Spuren ihrer Ursprungs- oder Grund-Ähnlichkeit behalten. Sie werden diese Ähnlichkeit um so mehr behalten, als die Abänderungen, welche die Grundlage ihrer folgenden Ummodelung durch die Naturauslese darboten, von Anfang an nach Ähnlichkeit streben werden, da die Teile auf einer frühen Stufe des Wachstums gleich und beinahe denselben Bedingungen unterworfen sind. Solche Teile werden, ob nun mehr oder weniger umgemodelt, reihenweise gleichstehend sein, wenn ihr gemeinsamer Ursprung nicht ganz verdunkelt wurde.

In der großen Klasse der Weichtiere können, obgleich man die Teile bei getrennten Arten als gleichstehend erweisen kann, nur wenige Fälle von reihenweiser Gleichstelligkeit, wie z. B. bei den Schalen der Chitonen angegeben werden, d. h. wir sind selten imstande zu sagen, daß in demselben Geschöpf ein Teil einem anderen gleichsteht. Und wir können diese Thatsache verstehen; denn bei den Weichtieren, selbst bei den niedrigsten Mitgliedern der Klasse finden wir nicht annähernd so viel unbestimmte Wiederholungen irgendeines Körperteiles als bei anderen großen Klassen des Tier- und Pflanzenreiches.

Aber das Gesetz der Form ist ein viel verwickelterer Gegenstand, als es zuerst scheint. Das ist kürzlich in einem bemerkenswerten Aufsatze von E. Ray Lankester gezeigt worden, der einen wichtigen Unterschied zwischen gewissen Klassen von Fällen festgestellt hat, die alle in gleicher Weise von den Naturforschern als gleichstehend eingereiht worden sind. Er schlägt vor, die Bildungen, die einander in getrennten Tieren infolge ihrer Abstammung von einem gemeinsamen Vorfahren und der folgenden Ummodelung gleichen, »homogen« und die Ähnlichkeiten, die nicht so erklärt werden können, »homoplastisch« zu nennen. Er glaubt z. B., daß die Herzen der Vögel und Säugetiere im ganzen homogen sind, d. h. daß sie von einer gemeinsamen Urform herkommen, daß aber die vier Herzkammern der beiden Klassen homoplastisch sind, d. h. sich unabhängig voneinander entwickelt haben. Lankester führt auch die große Ähnlichkeit der Teile auf der rechten und linken Seite des Körpers und in den einzelnen aufeinanderfolgenden Abschnitten des einzelnen Tieres an. Und hier haben wir Körperteile, die gewöhnlich gleichstehend genannt werden, die nichts zu thun haben mit der Abstammung verschiedener Arten von einer gemeinsamen Urform. Homoplastische Bildungen sind die gleichen wie die, welche ich, wenn auch in sehr unvollkommener Weise, als Ummodelungen oder Ähnlichkeiten der Entsprechung eingereiht habe. Ihre Bildung kann zum Teil dem zugeschrieben werden, daß verschiedene Lebensformen oder verschiedene Teile einer Lebensform sich in entsprechender Weise abgeändert haben, und teilweise dem, daß ähnliche Ummodelungen für denselben allgemeinen Zweck oder dieselbe allgemeine Thätigkeit erhalten worden sind, wovon ich viele Beispiele gegeben habe.

Die Naturforscher sagen häufig, daß der Schädel aus verwandelten Wirbeln, die Kiefer der Krebse aus verwandelten Beinen, die Staubgefäße und Stempel der Blüten aus verwandelten Blättern gebildet sind. Aber es würde, wie Professor Huxley bemerkt hat, in den meisten Fällen richtiger sein, zu sagen, daß Schädel wie Wirbel, Kiefer wie Beine, u. s. w. nicht eins aus dem andern, wie sie jetzt vorhanden sind, sondern aus irgendeinem gemeinsamen und einfacheren Bestandteile verwandelt worden sind. Die meisten Naturforscher gebrauchen jedoch solche Ausdrücke nur in bildlichem Sinne, sie sind weit entfernt davon, zu meinen, daß während einer langen Geschlechtsfolge ursprüngliche Organe irgendwelcher Art, Wirbel in dem einen Fall und Beine in dem anderen, sich wirklich in Schädel oder Kiefer verwandelt haben. Jedoch ist der Anschein, daß dies geschehen ist, so stark, daß sie kaum vermeiden können, sich einfach so auszudrücken. Nach den hier aufgestellten Ansichten kann ein solcher Ausdruck wörtlich genommen werden, und die wunderbare Thatsache, daß z. B. die Kiefer eines Krebses zahlreiche Merkmale zurückbehalten, welche sie wahrscheinlich durch Ererbung zurückbehalten hätten, wenn sie sich in der That aus wirklichen, wenn auch äußerst einfachen Beinen verwandelt hätten, ist teilweise erklärt.

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Entwicklung und Keimlehre.

Dies ist einer der wichtigsten Gegenstände im ganzen Kreise der Naturgeschichte. Die Verwandlung von Kerbtieren, die jedem vertraut ist, wird gewöhnlich unvermittelt in wenigen Stufen durchgeführt, aber in Wahrheit sind die Umformungen, wenn auch verborgen, zahlreich und allmählich. Ein gewisses eintägiges Kerbtier, Chloëon, mausert sich während seiner Entwicklung, wie Sir J. Lubbock gezeigt hat, ungefähr zwanzigmal und erleidet jedesmal ein gewisses Maß von Umwandlung. In diesem Fall sehen wir den Vorgang der Verwandlung in einer ursprünglichen und abgestuften Art ausgeführt. Viele Kerbtiere und besonders gewisse Krustentiere zeigen uns, was für wunderbare Umwandlungen des Körperbaus während der Entwicklung eintreten können. Am wunderbarsten aber sind die sogenannten Ammenerzeugungen einiger niedriger Tiere. Es ist z. B. eine erstaunliche Thatsache, daß ein dünner Korallenzweig, der mit Polypen besetzt und an einem unterseeischen Felsen festgewachsen ist, zuerst durch Knospung und dann durch Querteilung ein Schar sehr großer schwimmender Gallertfische hervorbringt, die ihrerseits Eier hervorbringen, aus denen schwimmende Mikrozoen ausgebrütet werden, die sich am Felsen festsetzen und zu Korallenzweigen entwickelt werden, und so geht es in endlosem Kreise fort. Der Glaube an die Wesensgleichheit des Vorganges der Ammenerzeugung und der regelmäßigen Verwandlung ist durch Wagners Entdeckung sehr gestärkt worden, daß die Larve oder Made einer Fliege, der Cecidomyia, ungeschlechtlich andere Larven hervorbringt und diese anderen Larven, die sich schließlich zu ausgewachsenen Männchen und Weibchen entwickeln, ihre Art in der gewöhnlichen Weise durch Eier fortpflanzen.

Es dürfte Erwähnung verdienen, daß, als Wagners bemerkenswerte Entdeckung zuerst mitgeteilt wurde, ich gefragt wurde, wie es zu erklären wäre, daß die Larven dieser Fliege das Vermögen ungeschlechtlicher Zeugung erhalten hätten. Solange der Fall vereinzelt blieb, konnte man keine Antwort geben. Aber Grimm hat schon gezeigt, daß eine andere Fliege, Chironomus, sich fast ebenso fortpflanzt, und glaubt, daß dies in der Ordnung häufig vorkommt. Beim Chironomus hat die Puppe, nicht die Larve dies Vermögen, und Grimm zeigt ferner, daß dieser Fall, bis zu einem gewissem Grade »den der Cecidomyia mit der ungeschlechtlichen Zeugung der Schildläuse in Verbindung bringt«, indem der Ausdruck »ungeschlechtliche Zeugung« bedeutet, daß die ausgewachsenen Schildlausweibchen imstande sind, ohne Mitwirkung der Männchen befruchtete Eier zu legen. Wir wissen jetzt, daß gewisse zu verschiedenen Klassen gehörige Tiere das Vermögen der ordnungsmäßigen Zeugung in ungewöhnlich frühem Alter besitzen. Wir brauchen nur die ungeschlechtliche Zeugung stufenweise bis zu einem immer früheren Alter zu beschleunigen – denn der Chironomus zeigt uns fast genau die Mittelstufe, die der Puppe, – und können vielleicht die wunderbare Erscheinung bei der Cecidomyia erklären.

Es ist schon festgestellt worden, daß mannigfache Teile eines Geschöpfes, die während des frühen Keimzustandes genau gleich sind, bei dem ausgewachsenen Geschöpfe sehr verschieden werden und sehr verschiedenen Zwecken dienen. Ebenso hat sich ferner gezeigt, daß die Keime der verschiedensten zu derselben Klasse gehörigen Arten ganz gleich sind, aber, vollständig entwickelt, sehr unähnlich werden. Es läßt sich kein besserer Beweis dieser Thatsache geben, als von Baers Feststellung, »daß die Keime der Säugetiere, der Vögel, der Eidechsen und Schlangen, wahrscheinlich auch der Seeschildkröten einander in ihren frühsten Zuständen sowohl im ganzen wie in der Entwicklungsart ihrer Teile außerordentlich ähnlich sind, so sehr, daß wir in der That die Keime oft nur durch ihre Größe unterscheiden können. In meinem Besitze sind zwei Keime in Weingeist, deren Namen ich vergessen habe aufzukleben, und jetzt bin ich ganz außerstande zu sagen, zu welcher Klasse sie gehören. Sie können Eidechsen oder kleine Vögel oder sehr junge Säugetiere sein, so vollständig ist bei diesen Tieren die Übereinstimmung in der Bildungsart des Kopfes und des Rumpfes. Aber selbst wenn sie auf der frühsten Entwicklungsstufe vorhanden wären, würden wir dadurch nichts erfahren, denn die Füße der Eidechsen und Säugetiere, die Flügel und Füße der Vögel entstehen nicht weniger als die Hände und Füße des Menschen aus derselben Grundform.« Die Larven der meisten Krustentiere gleichen einander auf den entsprechenden Entwicklungsstufen genau, wie verschieden auch die ausgewachsenen Tiere werden, und ebenso ist es bei sehr vielen anderen Tieren. Eine Spur des Gesetzes der Keimähnlichkeit bleibt hie und da bis in ein sehr vorgerücktes Lebensalter. So gleichen die Vögel derselben Gattung und verwandter Gattungen einander in ihrem unentwickelten Gefieder, wie wir an den gefleckten Federn der Jungen in der Drosselgruppe sehen. Bei dem Katzengeschlechte sind die meisten Arten, wenn sie ausgewachsen sind, gestreift oder in Reihen gefleckt, und Streifen oder Flecken können bei dem Jungen des Löwen und des Pumas deutlich unterschieden werden. Ab und zu, wenn auch selten sehen wir etwas Ähnliches bei Pflanzen; so sind die ersten Blätter des Ulex oder Stechginsters und die der Akazie mit blattartig ausgebreiteten Blattstielen gefiedert oder geteilt, wie die gewöhnlichen Blätter der Hülsengewächse.

Die Teile des Baus, in denen die Keime sehr verschiedener Tiere derselben Klasse einander ähneln, haben oft keine unmittelbare Beziehung zu ihren Daseinsbedingungen. Wir können z. B. nicht annehmen, daß bei den Keimen der Wirbeltiere die eigentümlichen schleifenartigen Windungen der Schlagadern in der Nähe der Kiemenspalten – in dem jungen Säugetier, das im Mutterleibe ernährt wird, in dem Ei des Vogels, das im Nest ausgebrütet wird, und in dem Froschlaich im Wasser – mit ähnlichen Bedingungen zusammenhängen. Wir haben nicht mehr Grund, einen solchen Zusammenhang anzunehmen, als wir zu der Annahme haben, daß die gleichen Knochen in der Hand des Menschen, dem Flügel der Fledermaus, der Flosse eines Delphins mit gleichen Lebensbedingungen zusammenhängen. Niemand nimmt an, daß die Streifen bei dem Jungen eines Löwen oder die Flecken bei einer jungen Schwarzdrossel von irgendwelchem Nutzen für diese Tiere sind.

Der Fall ist indessen anders, wenn ein Tier während irgendeines Teils seines Keimzustandes thätig ist und für sich zu sorgen hat. Der Zeitpunkt der Thätigkeit kann früher oder später im Leben eintreten; aber wenn er immer eintritt, so ist die Anpassung der Larve an ihre Lebensbedingungen ebenso vollkommen und gut wie bei dem ausgewachsenem Tiere. In wie bedeutender Art diese gewirkt hat, hat neulich Sir J. Lubbock in seinen Bemerkungen über die große Ähnlichkeit der Larven gewisser zu sehr verschiedenen Ordnungen gehöriger Kerbtiere und ihre Unähnlichkeit bei anderen zu einer Ordnung gehörigen, die infolge ihrer Lebensgewohnheiten eintritt, vorzüglich dargethan. Durch solche Anpassungen wird die Ähnlichkeit der Larven verwandter Tiere zuweilen sehr verdunkelt, besonders wenn während der verschiedenen Entwicklungsstufen eine Arbeitsteilung eintritt, so daß dieselbe Larve auf der einen Stufe nach Futter und auf der anderen nach einem Platz zur Befestigung suchen muß. Man kann sogar Fälle anführen, bei denen sich die Larven verwandter Arten oder Gruppen von Arten mehr voneinander unterscheiden als von den ausgewachsenen Tieren. In den meisten Fällen indessen richten sich die Larven, auch wenn sie thätig sind, mehr oder weniger genau nach dem Gesetze der gemeinsamen Keimähnlichkeit. Hierfür bieten die Rankenfüßer ein gutes Beispiel. Sogar der berühmte Cuvier hat nicht gefunden, daß die Entenmuschel zu den Krustentieren gehört; aber ein Blick auf die Larve zeigt es unzweideutig. So haben wiederum die zwei Hauptabteilungen der Rankenfüßer, die aus einem Stiel wachsenden und die festsitzenden, obwohl sie dem Ansehen nach sehr verschieden sind, Larven, die in allen ihren Entwicklungsstufen sich schwer unterscheiden lassen.

Der Keim nimmt im Laufe der Entwicklung gewöhnlich an innerer Bildung zu. Ich wende diesen Ausdruck an, obwohl ich sehr gut weiß, daß man nur mit Mühe die Bedeutung des Satzes bestimmen kann, daß die innere Bildung höher oder niedriger steht. Aber kein Mensch wird wahrscheinlich bestreiten, daß der Schmetterling höher steht als die Raupe. In einigen Fällen aber, z. B. bei schmarotzenden Krustentieren, muß man die Stellung des ausgewachsenen Tieres auf der Stufenleiter unter der der Larve ansetzen. Wenn wir wieder zu den Rankenfüßern zurückkehren, so haben die Larven auf der ersten Stufe drei Paare Fortbewegungswerkzeuge, ein einziges einfaches Auge, und einen rüsselförmigen Mund, mit dem sie reichlich fressen; sie nehmen daher an Größe sehr zu. Auf der zweiten Stufe, die der Puppe der Schmetterlinge entspricht, haben sie sechs Paare schön ausgebildeter Schwimmbeine, ein Paar kunstvoll zusammengesetzter Augen und äußerst zusammengesetzte Fühlhörner. Aber sie haben einen geschlossenen und unvollkommenen Mund und können nicht fressen. Auf dieser Stufe ist ihre Aufgabe, einen geeigneten Platz, an dem sie sich festklammern und ihre Schlußverwandlung erleben, vermittelst ihrer gut entwickelten Sinneswerkzeuge ausfindig zu machen und vermittelst ihres thätigen Schwimmvermögens aufzusuchen. Wenn dies ausgeführt ist, so erhalten sie die endgiltige Gestalt fürs Leben, ihre Beine werden jetzt in Greifwerkzeuge verwandelt, sie erhalten wieder einen wohlgebauten Mund, aber sie haben keine Fühlhörner, und ihre zwei Augen werden jetzt in einen einzigen, kleinen, einfachen Punkt zum Sehen zurückverwandelt. Die innere Bildung der Rankenfüßer auf dieser letzten Stufe der Vollendung kann man entweder für höher oder für niedriger als die im Larvenzustande ansehen. Bei einigen Gattungen werden die Larven in Zwitter mit gewöhnlichem Körperbau und in Formen verwandelt, die ich ergänzende Männchen genannt habe. In den letzteren hat die Entwicklung den Rückweg eingeschlagen, denn das Männchen ist ein bloßer Sack, der nur kurze Zeit lebt, den Mund, Magen und jedes andere wichtige Organ mit Ausnahme der Fortpflanzungsorgane entbehrt.

Wir sind so gewöhnt, eine Verschiedenheit des Baus zwischen dem Keim und dem ausgewachsenen Wesen zu sehen, daß wir uns versucht fühlen, diese Verschiedenheit als eine notwendige Erscheinung des Wachstums zu betrachten. Es ist indessen kein Grund vorhanden, aus dem der Flügel einer Fledermaus oder die Schwimmflosse eines Delphines nicht in allen ihren Teilen im richtigen Verhältnis gebildet gewesen sein sollte, sobald er sichtbar wurde. In einigen ganzen Tiergruppen und in Mitgliedern anderer Gruppen ist dies der Fall, und der Keim unterscheidet sich zu keiner Zeit sehr von dem ausgewachsenen Tier. So hat Owen sich über den Tintenfisch folgendermaßen geäußert: »Bei ihm findet keine Verwandlung statt. Seine Gepräge als Kopffüßer offenbart sich schon lange, bevor die Teile des Keims vollständig sind.« Landschnecken und Süßwasserkrustentiere haben schon bei der Geburt die ihnen eigene Form, während die im Meere wohnenden Mitglieder dieser zwei großen Klassen während ihrer Entwicklung beträchtliche, oft außerordentliche Umwandlungen durchmachen. Spinnen erfahren dagegen kaum eine Verwandlung. Die Larven der meisten Kerbtiere gehen durch einen wurmähnlichen Zustand hindurch, mögen sie nun thätig und verschiedenartigen Gewohnheiten angepaßt sein oder unthätig, weil sie mitten zwischen geeignete Nahrung niedergelegt oder von ihren Eltern gefüttert werden. In einigen wenigen Fällen aber, z. B. bei der Blattlaus, zeigt uns eine Betrachtung von Professor Huxleys wunderbaren Zeichnungen der Entwicklungszustände dieses Kerbtieres kaum eine Spur eines wurmartigen Zustandes.

Zuweilen fehlen auch nur die Anfangsstufen der Entwicklung. So hat Fritz Müller die bemerkenswerte Entdeckung gemacht, daß gewisse garnelenähnliche Krustentiere, die mit dem Penöus verwandt sind, zuerst unter der einfachen Naupliusform erscheinen, zwei oder mehr Zöastufen und dann die Mysisstufe durchmachen, bis sie schließlich ihren ausgebildeten Körperbau erlangen. Nun entwickelt sich, soweit bis jetzt bekannt ist, kein Mitglied der ganzen großen Ordnung der Schaltiere, zu der diese Krustentiere gehören, zuerst unter der Naupliusform, obwohl viele als Zöa erscheinen. Nichtsdestoweniger giebt Müller Gründe für seinen Glauben an, daß, wenn hier keine Unterdrückung der Entwicklung stattgefunden hätte, alle diese Krustentiere in der Naupliusform erschienen wären.

Wie können wir nun diese verschiedenen Thatsachen in der Keimlehre erklären: 1. die sehr gewöhnliche, wenn auch nicht allgemeine Verschiedenheit zwischen dem Keim und dem ausgewachsenen Geschöpfe, 2. die mannigfachen Teile in einem Keim, welche schließlich sehr ungleich werden und verschiedenen Zwecken dienen, in der ersten Wachstumszeit aber gleich sind, 3. die gewöhnliche, aber nicht stets vorhandene Ähnlichkeit zwischen den Keimen oder Larven der getrenntesten Arten in derselben Klasse, 4. den Umstand, daß der Keim im Ei oder Mutterleib Bildungen behält, welche für ihn weder in diesem noch in einem späteren Lebensabschnitte von Nutzen sind, während andererseits Larven, die für ihre eigenen Bedürfnisse zu sorgen haben, den umgebenden Bedingungen völlig angepaßt sind, und schließlich 5. die Thatsache, daß gewisse Larven auf der Stufenleiter der Organisation höher stehen als das ausgebildete Tier, zu dem sie sich entwickeln? Ich glaube, daß alle diese Thatsachen folgendermaßen erklärt werden können.

Vielleicht nach Ungeheuerlichkeiten, die den Keim zu sehr früher Zeit beeinflussen, nimmt man gewöhnlich an, daß unbedeutende Abänderungen oder Verschiedenheiten der Einzelwesen notwendig zu einer gleich frühen Zeit erscheinen. Wir haben über diesen Gegenstand wenig Zeugnisse, aber die, welche wir haben, deuten sicher nach der entgegengesetzten Richtung. Denn es ist bekannt, daß Züchter von Rindvieh, Pferden und mannigfachen Lieblingstieren erst einige Zeit nach der Geburt bestimmt sagen können, welches die Vorzüge oder Fehler ihrer jungen Tiere sein werden. Wir sehen das deutlich an unseren eigenen Kindern. Wir können nicht sagen, ob ein Kind groß oder klein werden wird, oder welches seine genauen Züge sein werden. Die Frage ist nicht, in welchem Lebensabschnitt eine jede Abänderung veranlaßt worden sein mag, sondern in welchem Abschnitte die Wirkungen sich zeigen. Die Ursache mag entweder auf den Vater oder auf die Mutter oder auf beide vor dem Akte der Zeugung gewirkt haben und hat es, glaube ich, oft gethan. Er verdient Beachtung, daß es für ein sehr junges Tier, solange es im Mutterleib oder im Ei bleibt oder von den Eltern ernährt und beschützt wird, bedeutungslos ist, ob es die meisten Merkmale ein wenig früher oder später im Leben erwirbt. So würde es z. B. für einen Vogel, der infolge der starken Krümmung seines Schnabels sein Futter sich verschaffte, solange er durch seine Eltern gefüttert wurde, nichts ausmachen, ob er, als er jung war, einen so gestalteten Schnabel besaß oder nicht.

Ich habe im ersten Kapitel festgestellt, daß eine Abänderung in dem Alter, in dem sie zuerst bei den Eltern erschienen ist, es mag sein, welches es will, bei dem Nachwuchs wieder zu erscheinen strebt. Gewisse Abänderungen können nur im entsprechenden Alter erscheinen, z. B. Eigentümlichkeiten des Raupen-, Kokon- oder des entwickelten Zustandes der Seidenmotte oder der ausgewachsenen Hörner des Rindviehs. Aber Abänderungen, die nach allem, was wir sehen könnten, früher oder später im Leben zuerst erscheinen können, streben darnach, im entsprechenden Alter, wie bei den Eltern, bei den Nachkommen zu erscheinen. Ich bin weit entfernt davon, zu meinen, daß dies stets der Fall ist, und ich könnte mehrere Fälle anführen, daß Abänderungen im weitesten Sinne des Worts bei dem Kinde früher als bei den Eltern eingetreten sind.

Diese zwei Grundgesetze, nämlich, daß leichte Abänderungen gewöhnlich in nicht sehr früher Lebenszeit erscheinen und in einer entsprechenden nicht frühen Zeit ererbt werden, erklären, wie ich glaube, alle die vorher einzeln angeführten leitenden Thatsachen der Keimlehre. Aber zuerst wollen wir einige ähnliche Fälle bei unseren Hausspielarten betrachten. Einige Schriftsteller, die über Hunde geschrieben haben, behaupten, daß das Windspiel und die Bulldogge, obgleich so verschieden, wirklich nahe verwandte Spielarten sind, die von demselben wilden Stamme herkommen. Daher war ich begierig zu sehen, wie weit ihre Jungen sich voneinander unterscheiden. Züchter berichteten mir, daß sie sich gerade so viel wie ihre Eltern unterscheiden, und dies schien mir nach dem Augenschein fast der Fall zu sein. Aber als ich die alten Hunde und ihre sechstägigen Jungen wirklich maß, fand ich, daß die Jungen nicht annähernd das volle Maß des verhältnismäßigen Unterschiedes erreicht hatten. So wurde mir ferner berichtet, daß die Fohlen der Zug- und Rassepferde, von Rassen, die beinahe völlig durch Auslese in der Zucht gebildet worden sind, ebenso verschieden wären wie die voll ausgewachsenen Tiere. Aber nachdem ich sorgfältige Messungen der Alten und der dreitägigen Fohlen der Rasse- und der schweren Zugpferde habe vornehmen lassen, finde ich, daß dies keineswegs der Fall ist.

Da wir entscheidende Zeugnisse dafür haben, daß die Taubenrassen von einer wilden Art herstammen, verglich ich die Jungen in den ersten zwölf Stunden nach dem Auskriechen. Ich maß sorgfältig die Verhältnisse des Schnabels, der Mundweite, der Länge des Nasenlochs und des Augenlids, die Größe der Füße und die Länge des Beins bei der wilden Elternart, bei Kropftauben, Pfautauben, spanischen und numidischen Tauben, Brieftauben und Tummlern. Nun unterscheiden sich einige dieser Vögel, wenn sie ausgewachsen sind, so außerordentlich in der Länge und Form des Schnabels und in anderen Merkmalen von einander, daß sie sicher als getrennte Gattungen angesetzt worden wären, wenn man sie im Naturzustande gefunden hätte. Aber wenn die Nestlinge dieser verschiedenen Rassen in eine Reihe gestellt würden, so könnten zwar die meisten von ihnen gerade noch unterschieden werden, aber die verhältnismäßigen Verschiedenheiten in den oben angeführten Punkten wäre unvergleichlich geringer als in den ausgewachsenen Vögeln. Einige kennzeichnende Punkte der Verschiedenheit, z. B. der der Mundweite, könnte bei den Jungen kaum entdeckt werden. Aber es giebt eine merkwürdige Ausnahme von dieser Regel, denn die Jungen des kurzgesichtigen Tummlers unterscheiden sich von den Jungen der wilden Felsentaube und der anderen Rassen beinahe genau in demselben Maße wie die ausgewachsenen Tiere.

Diese Thatsachen werden durch die beiden oben angeführten Grundgesetze erklärt. Liebhaber wählen ihre Hunde, Pferde, Tauben u. s. w. zur Zucht, wenn sie beinahe ausgewachsen sind. Es ist ihnen gleichgiltig, ob die gewünschten Eigenschaften früher oder später im Leben erworben worden sind, wenn das vollausgewachsene Tier sie nur besitzt. Und die eben gegebenen Beispiele, besonders das der Tauben, zeigen, daß die kennzeichnenden Unterschiede, die durch die Auslese des Menschen angehäuft worden sind und seinen Rassen ihren Wert verleihen, gewöhnlich nicht in sehr früher Lebenszeit erscheinen und in einer entsprechenden nicht frühen Zeit ererbt werden. Aber das Beispiel des kurzgesichtigen Tummlers, der im Alter von zwölf Stunden seine eigentümlichen Merkmale besitzt, beweist, daß dies nicht die allgemeine Regel ist. Denn hier müssen die kennzeichnenden Unterschiede entweder zu früherer Zeit erschienen sein als gewöhnlich oder, wenn dem nicht so ist, müssen sie nicht in dem entsprechenden, sondern in einem früheren Alter ererbt worden sein.

Wenden wir nun diese beiden Grundgesetze auf die Arten im Naturzustande an. Nehmen wir eine Gruppe von Vögeln, die von irgendeiner alten Form stammen und durch die Naturauslese für verschiedene Gewohnheiten umgemodelt worden sind. Dann werden die Jungen dadurch, daß die vielen leichten aufeinanderfolgenden Abänderungen bei den verschiedenen Arten in einem nicht frühen Alter eingetreten und in entsprechendem Alter ererbt worden sind, nur wenig umgemodelt worden sein und werden einander noch genauer ähneln als die ausgewachsenen Tiere, gerade wie wir es bei den Taubenrassen gesehen haben. Wir können diese Ansicht auf sehr verschiedene Körperteile und auf ganze Klassen ausdehnen. Die Vorderglieder z. B., welche einst einem fernen Vorfahren als Beine dienten, können in dem langen Verlaufe der Ummodelung tauglich geworden sein, bei einem Nachkommen als Hände, bei einem anderen als Ruderfüße, bei einem dritten als Flügel zu dienen. Aber nach den oben angeführten beiden Grundgesetzen werden bei den Keimen dieser verschiedenen Formen die Vorderglieder nicht sehr umgemodelt worden sein, obgleich sie sich in jeder Form beim ausgewachsenen Tiere sehr voneinander unterscheiden werden. Welchen Einfluß lang fortgesetzter Gebrauch oder Nichtgebrauch auf die Ummodelung der Glieder oder anderer Körperteile irgendeiner Art gehabt haben mag, er wird sie hauptsächlich oder allein beeinflußt haben, als sie beinahe reif war, als sie gezwungen war, ihre vollen Kräfte zu gebrauchen, um ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, und die so hervorgebrachten Wirkungen werden der Nachkommenschaft in einem entsprechenden beinahe reifen Alter übermittelt worden sein. So werden die Jungen durch die Wirkungen des vermehrten Gebrauchs oder Nichtgebrauchs der Teile nicht oder nur in geringem Grade umgemodelt werden.

Bei einigen Tieren mögen die aufeinanderfolgenden Abänderungen in einer sehr frühen Lebenszeit eingetreten oder die Stufen mögen in einem früheren Alter ererbt worden sein, als das war, in dem sie zuerst vorkamen. In beiden Fällen wird das Junge oder der Keim der reifen Elternform sehr ähnlich sein, wie wir es bei dem kurzgesichtigen Tummler gesehen haben. Und dies ist die Entwicklungsregel bei gewissen ganzen Gruppen oder gewissen Untergruppen allein, wie beim Tintenfisch, den Landschnecken, Süßwasserkrustentieren, Spinnen und einigen Mitgliedern der großen Kerbtierklasse. Die Grundursache, daß nämlich die Jungen in solchen Klassen keine Verwandlung durchmachen, wird, wie wir sehen können, den folgenden wirkenden Kräften zuzuschreiben sein. Wenn nämlich die Jungen zu früher Zeit für ihre eigenen Bedürfnisse sorgen müssen und dieselben Gewohnheiten wie ihre Eltern annehmen, so wird es für ihr Leben unentbehrlich sein, daß sie ebenso wie ihre Eltern umgemodelt werden. Ferner hat Fritz Müller mit Bezug auf die eigentümliche Thatsache, daß viele Land- und Süßwassertiere keine Verwandlung durchmachen, während die im Meere wohnenden Mitglieder derselben Gruppen mannigfache Umformungen erfahren, die Vermutung aufgestellt, daß der Vorgang der langsamen Ummodelung eines Tieres und seiner Anpassung an das Leben auf dem Lande oder im Süßwasser anstatt in der See, dadurch sehr vereinfacht werden würde, wenn es nicht durch einen Larvenstand ginge. Denn es ist nicht wahrscheinlich, daß man für den Larven- wie den Reifezustand bei so neuen und so umgewandelten Lebensgewohnheiten gut passende Plätze im allgemeinen finden würde, die von anderen Lebensformen nicht oder schlecht besetzt sind. In diesem Falle würde die stufenweise immer frühere Erwerbung des ganz entwickelten Körperbaus durch die Naturauslese begünstigt werden, und alle Spuren einer früheren Verwandlung würden schließlich verloren gehen.

Wenn es andererseits für die Jungen eines Tieres von Nutzen wäre, etwas andere Lebensgewohnheiten als die Elternform anzunehmen und infolgedessen nach einem etwas anderen Plane gebildet zu werden, oder wenn es für die von der Elternform schon verschiedene Larve von Nutzen wäre, sich noch weiter umzuwandeln, so könnten nach dem Grundgesetze der Vererbung im entsprechenden Alter die Jungen und Larven durch die Naturauslese bis zu jedem erdenklichem Grade den Eltern immer unähnlicher gemacht werden. Verschiedenheiten in der Larve könnten auch zu den aufeinanderfolgenden Stufen ihrer Entwicklung in Beziehung stehen, so daß die erste Stufe der Larve sehr verschieden von der zweiten werden könnte, wie es bei vielen Tieren der Fall ist. Auch könnten die ausgewachsenen Tiere für Lagen oder Gewohnheiten tauglich werden, bei denen Bewegungs- oder Sinneswerkzeuge u. s. w. nutzlos sein würden. Dann würde eine rückläufige Verwandlung eintreten.

Aus den eben gemachten Bemerkungen können wir sehen, wie durch Wandlungen im Körperbau der Jungen, die den Wandlungen der Lebensgewohnheiten entsprechen, in Verbindung mit der Vererbung im entsprechenden Alter Tiere dazu kommen könnten, Entwicklungsstufen durchzumachen, die von dem ursprünglichen Zustande ihrer ausgewachsenen Vorfahren ganz verschieden sind. Die Mehrzahl der besten Sachkenner sind jetzt überzeugt, daß die mannigfachen Larven- und Puppenstände der Kerbtiere so durch Anpassung und nicht durch Ererbung von einer einstigen Form erworben worden sind. Das eigentümliche Beispiel des Sitaris, eines Käfers, der gewisse ungewöhnliche Entwicklungsstufen durchmacht, wird veranschaulichen, wie dies geschehen konnte. Fabre beschreibt die erste Larvenform als ein thätiges kleines Kerbtier, das mit sechs Beinen, zwei langen Fühlhörnern und vier Augen versehen ist. Diese Larven werden in den Nestern der Bienen ausgebrütet, und wenn die männlichen Bienen im Frühling aus ihren Höhlen hervorkommen, was sie vor den Weibchen thun, so springen die Larven auf sie, und nachher kriechen sie auf die Weibchen, während sie sich mit den Männchen paaren. Sobald das Weibchen seine Eier auf die Oberfläche des in den Zellen aufgehäuften Honigs legt, so springen die Sitarislarven auf die Eier und verschlingen sie. Darnach erleiden sie eine vollständige Umwandlung; ihre Augen verschwinden, von ihren Beinen und Fühlhörnern bleiben nur Überreste da, und sie nähren sich von Honig, so daß sie jetzt den gewöhnlichen Kerbtierlarven ähnlicher sind; schließlich erleiden sie eine weitere Umformung und kommen endlich als der vollendete Käfer hervor. Würde nun ein Kerbtier, das solche Umformungen wie der Sitaris durchmacht, die Urform einer ganzen neuen Klasse von Kerbtieren werden, so würde der Entwicklungsverlauf der neuen Klasse von dem unserer jetzt vorhandenen Kerbtiere sehr verschieden sein, und der erste Larvenstand würde sicher nicht den früheren Zustand irgendeiner ausgewachsenen einstigen Form darstellen.

Andererseits ist es höchst wahrscheinlich, daß die Keim- oder Larvenstufen uns bei vielen Tieren mehr oder weniger vollständig die Beschaffenheit der Urform der ganzen Gruppe im ausgewachsenen Zustande zeigen. In der großen Klasse der Krustentiere erscheinen wunderbar verschiedene Formen, nämlich Schmarotzer mit Saugwerkzeugen, Rankenfüßer, Entomostraka und sogar die Malakostraka zuerst als Larven unter der Nauplius-Form. Da diese Larven im offenen Meere leben und ihre Nahrung finden, da sie keinen eigentümlichen Lebensgewohnheiten angepaßt sind, und aus anderen, von Fritz Müller angegebenen Gründen, ist es wahrscheinlich, daß in einem sehr weit zurückliegenden Zeitalter ein selbständiges ausgewachsenes, dem Nauplius ähnliches Tier lebte und in der Folge in mehreren auseinandergehenden Abstammungsreihen die oben genannten großen Krustentiergruppen erzeugte. So ist es ferner nach dem, was wir von den Keimen der Säugetiere, Vögel, Fische und Kriechtiere wissen, wahrscheinlich, daß diese Tiere die umgemodelten Nachkommen irgend einer alten Urform sind, die in ausgewachsenem Zustande mit Kiemen, einer Schwimmblase, vier flossenähnlichen Gliedern versehen, ganz zum Leben im Wasser tauglich war.

Da alle organischen Wesen, die je gelebt haben, die ausgestorbenen und die lebenden, in einige große Klassen geordnet werden können, und da innerhalb jeder Klasse nach unserer Lehre alle durch feine Abstufungen miteinander verbunden sind, so würde die beste und, wenn unsere Sammlungen annähernd vollständig wären, die einzig mögliche Anordnung die nach der Geschlechtsfolge sein, da die Abstammung das verborgene, zusammenhaltende Band ist, das die Naturforscher unter dem Ausdrucke des natürlichen Systems gesucht haben. Nach dieser Ansicht können wir verstehen, wie es kommt, daß in den Augen der meisten Naturforscher der Bau des Keimes für die Einteilung sogar wichtiger ist, als der des ausgewachsenen Geschöpfes. Wie sehr sich auch zwei oder mehr Tiergruppen im ausgewachsenen Zustande voneinander unterscheiden mögen, wenn sie ganz gleiche Keimstufen durchmachen, können wir sicher sein, daß sie von einer Elternform stammen und also nahe verwandt sind. So offenbart Gemeinsamkeit im Bau des Keims Gemeinsamkeit der Abstammung; aber Ungleichheit der Keimentwicklung beweist nicht getrennte Abstammung. Denn in einer oder in zwei Gruppen können die Entwicklungsstufen gehemmt oder durch Anpassung an neue Lebensgewohnheiten so sehr umgemodelt worden sein, daß sie nicht mehr kenntlich sind. Sogar bei Gruppen, deren ausgewachsene Geschöpfe in außerordentlichem Grade umgemodelt worden sind, offenbart sich die Gemeinsamkeit des Ursprungs oft in dem Bau der Larven. Wir haben z. B. gesehen, daß man die Rankenfüßer, obgleich sie äußerlich den Muscheltieren so ähnlich sind, an ihren Larven sofort als zu der großen Klasse der Krustentiere gehörig erkennt. Da der Keim uns oft mehr oder weniger deutlich den Bau der weniger umgemodelten alten Urform der Gruppe zeigt, begreifen wir, wieso alte und ausgestorbene Formen im ausgewachsenen Zustande so oft den lebenden Formen derselben Klasse gleichen. Agassiz hält das für ein allgemeines Naturgesetz, und wir können hoffen, die Nichtigkeit des Gesetzes einst erwiesen zu sehen. Es kann jedoch nur in den Fällen als richtig erwiesen werden, in denen der einstige Zustand der Urform der Gruppe nicht entweder durch aufeinanderfolgende Abänderungen, die in einer sehr frühen Zeit des Wachstums auftraten, oder durch solche Abänderungen, die in einem früheren Alter ererbt wurden als dem, in dem sie zuerst erschienen, gänzlich verwischt worden ist. Man sollte auch daran denken, daß das Gesetz wahr sein mag und doch, weil die geologische Urkunde nicht weit genug in die Vergangenheit zurückreicht, für eine lange Zeit oder für immer unerwiesen bleiben kann. Das Gesetz wird in den Fällen nicht genau zutreffen, in denen eine alte Form im Larvenstande einer besonderen Lebensart angepaßt wurde und denselben Larvenstand einer ganzen Gruppe von Nachkommen übermittelte: denn solche Larvenform wird in ausgewachsenem Zustande nicht irgendeiner noch älteren Form gleichen.

So erklären sich, wie mir scheint, die leitenden Thatsachen der Keimlehre, die keinen anderen an Wichtigkeit nachstehen, aus dem Grundgesetze, daß Abänderungen bei den vielen Nachkommen einer alten Urform in einer nicht frühen Lebenszeit erschienen und auf die entsprechende Zeit vererbt worden sind. Das Interesse für die Keimlehre wächst sehr, wenn wir den Keim als ein mehr oder weniger verdunkeltes Bild entweder des ausgewachsenen Zustandes oder des Larvenstandes des Vorfahren aller Mitglieder derselben großen Klasse ansehen.

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Verkümmerte, zurückgebliebene und unentwickelte Organe.

Organe oder Körperteile in diesem seltsamen Zustande, die deutlich den Stempel der Zwecklosigkeit tragen, sind in der ganzen Natur äußerst gewöhnlich oder sogar allgemein. Man könnte unter den höheren Tieren keins anführen, bei dem nicht der eine oder der andere Teil verkümmert ist. Bei den Säugetieren z. B. besitzen die Männchen verkümmerte Brüste, bei den Schlangen ist der eine Lungenflügel verkümmert, bei den Vögeln kann der »Bastardflügel« sicher als ein verkümmerter Finger angesehen werden, und bei manchen Arten ist der ganze Flügel so verkümmert, daß er nicht zum Fliegen benutzt werden kann. Was kann seltsamer sein als das Vorhandensein von Zähnen bei dem Keim der Wale, die, wenn sie ausgewachsen sind, nicht einen Zahn haben, oder die nie das Zahnfleisch durchbrechenden Zähne im Oberkiefer ungeborner Kälber?

Verkümmerte Organe zeigen in mannigfacher Weise klar ihren Ursprung und ihre Bedeutung. Es giebt Käfer, die zu nahe verwandten Arten oder sogar zu genau derselben Art gehören, die entweder zu voller Größe entwickelte und vollständige Flügel oder bloße häutige Andeutungen haben, die nicht selten fest zusammengewachsen unter den Flügeldecken liegen, und in diesen Fällen kann man nicht bezweifeln, daß die Andeutungen Flügeldecken darstellen. Verkümmerte Organe behalten manchmal ihre Kraft; das kommt ab und zu bei Brüsten der männlichen Säugetiere vor, die, wie man weiß, sich manchmal entwickeln und Milch absondern. So ist es ferner bei den Eutern der Rindergattung, vier sind regelrecht entwickelt und zwei sehr unvollkommene Zitzen; aber die letzteren entwickeln sich manchmal bei unseren Hauskühen und geben Milch. Bei den Pflanzen sind in den Vertretern einer Art die Blütenblätter manchmal sehr unvollkommen und manchmal gut entwickelt. Bei gewissen Pflanzen, die getrennte Geschlechter haben, fand Kölreuter, daß nach der Kreuzung einer Art, deren männliche Blüten nur die Andeutung eines Stempels enthalten, mit einem Zwitter mit einem natürlich gut entwickelten Stempel die Andeutung in dem Bastardnachwuchs viel größer geworden war. Dies zeigt deutlich, daß der verkümmerte und der vollkommene Stempel wesensgleich sind. Ein Tier kann mannigfache Teile in vollkommenem Zustande besitzen, und doch können sie in einem Sinn verkümmert sein, wenn sie nämlich nutzlos sind. So hat die Kaulquappe des gemeinen Salamanders oder der Wassereidechse, wie G. H. Lewes bemerkt, »Kiemen und bringt ihr Leben im Wasser zu. Aber der schwarze Salamander, der hoch oben in den Bergen lebt, bringt die Jungen voll ausgebildet zur Welt. Dies Tier lebt niemals im Wasser. Aber wenn man ein trächtiges Weibchen öffnet, findet man Kaulquappen mit fein gewimperten Kiemen, und wenn sie ins Wasser gesetzt werden, schwimmen sie herum wie die Kaulquappe der Wassersalamander. Offenbar hat diese für das Leben im Wasser passende Bildung nichts mit dem künftigen Leben des Tieres zu thun, auch ist sie seinem Keimzustande nicht angepaßt, sie hängt nur mit Anpassungen der Vorfahren zusammen und wiederholt eine Durchgangsstufe in deren Entwicklung.«

Ein Organ, das zwei Zwecken dient, kann für den einen, sogar den wichtigeren Zweck unvollkommen entwickelt oder ganz verkümmert sein und für den anderen vollkommen wirksam bleiben. So ist bei Pflanzen die Aufgabe des Stempels, die Blütenstaubbeutel die Samenknospen in den Fruchtknoten erreichen zu lassen. Der Stempel besteht aus einer von einem Griffel getragenen Narbe, aber bei einigen Korbblütlern haben die männlichen Blütchen, die natürlich nicht befruchtet werden können, einen verkümmerten Stempel, denn er ist nicht von einer Narbe gekrönt. Aber der Griffel bleibt gut entwickelt und ist in der gewöhnlichen Weise mit Haaren bekleidet, die dazu dienen, den Blütenstaub aus den umgebenden und vereinigten Staubbeuteln zu bürsten. Ferner kann ein Organ für seinen eigentlichen Zweck verkümmert sein und für einen ganz anderen gebraucht werden. Bei gewissen Fischen scheint die Schwimmblase für ihre eigentliche Thätigkeit, Schwimmkraft zu verleihen, verkümmert zu sein, ist dagegen in ein beginnendes Atmungsorgan oder eine Lunge umgewandelt worden. Viele ähnliche Beispiele könnte man anführen.

Nützliche Organe sollten, wie wenig sie auch entwickelt sein mögen, nicht als verkümmert betrachtet werden, wenn wir keinen Grund haben anzunehmen, daß sie früher höher entwickelt waren. Sie können im Entstehen und im Fortschreiten zu fernerer Entwicklung sein. Andererseits sind verkümmerte Organe entweder ganz nutzlos, z. B. Zähne, die nie durch das Zahnfleisch brechen, oder beinahe nutzlos, wie die Flügel eines Straußes, die bloß als Segel dienen. Da Organe in diesem Zustande früher, als sie noch weniger entwickelt waren, sogar von noch geringerem Nutzen gewesen sein werden als jetzt, so können sie früher nicht durch Abänderung und Naturauslese hervorgebracht worden sein, die nur durch die Erhaltung nützlicher Ummodelungen wirkt. Sie sind zum Teil durch die Macht der Vererbung erhalten worden und weisen auf einen früheren Zustand der Dinge hin. Es ist jedoch oft schwer zwischen verkümmerten und entstehenden Organen zu unterscheiden, denn wir können nur nach ähnlichen Fällen beurteilen, ob ein Teil fernerer Entwicklung fähig ist; und nur in diesem Falle verdient er, entstehend ernannt zu werden. Organe in diesem Zustande werden immer etwas Seltenes sein. Denn damit versehene Wesen werden gewöhnlich durch ihre Nachfolger, die dasselbe Organ in vollkommnerem Zustande besaßen, verdrängt worden und daher seit lange ausgestorben sein. Der Flügel des Pinguins ist von hohem Nutzen, indem er als Flosse dient; er kann daher den beginnenden Zustand des Flügels darstellen, wenn ich auch nicht glaube, daß dies der Fall ist; eher ist er ein verkleinertes Organ, das zu einer anderen Thätigkeit umgemodelt worden ist. Der Flügel des Kiwis andererseits ist ganz nutzlos und wirklich verkümmert. Owen betrachtet die einfachen fadenförmigen Glieder des Schuppenmolchs als die »Anfänge von Organen, die bei höheren Wirbeltieren sich zu voller Wirksamkeit entwickeln«. Aber nach der kürzlich von Dr. Günther verteidigten Ansicht sind sie wahrscheinlich Überbleibsel, die aus der erhaltenen Achse einer Flosse bestehen, deren Seitenzweige verkümmert sind. Die Brustdrüsen des Schnabeltiers können im Vergleich mit den Eutern der Kuh als in der Entstehung begriffen betrachtet werden. Die Eiertragbänder gewisser Rankenfüßer, die die Eier nicht mehr festhalten und schwach entwickelt sind, sind entstehende Kiemen.

Verkümmerte Organe bei den Vertretern einer Art sind der Abänderung im Maße ihrer Entwicklung und in anderen Hinsichten sehr ausgesetzt. In nahe verwandten Arten ist auch das Maß, bis zu dem dasselbe Organ verkleinert worden ist, gelegentlich sehr verschieden. Ein gutes Beispiel für diese Thatsache ist der Zustand der Flügel der weiblichen Motten, die zu einer Familie gehören. Verkümmerte Organe können gänzlich schwinden, und das bedeutet, daß bei gewissen Tieren oder Pflanzen Teile ganz fehlen, die wir nach ähnlichen Fällen erwarten sollten bei ihnen zu finden, und die sich hin und wieder bei ungeheuerlichen Vertretern finden. So ist bei den meisten Scrophulariaceen das fünfte Staubgefäß gänzlich geschwunden, dennoch können wir schließen, daß ein fünftes Staubgefäß einst vorhanden war, denn eine Andeutung davon findet sich in vielen Arten der Familie, und diese Andeutung wird gelegentlich vollständig entwickelt, wie man bisweilen beim gemeinen Löwenmaul sehen kann. Wenn man der Gleichstelligkeit irgendeines Körperteils bei verschiedenen Mitgliedern einer Klasse nachgeht, so ist nichts gewöhnlicher oder zum vollen Verständnis der Beziehungen der Teile nützlicher als die Entdeckung solcher Andeutungen. Das sieht man deutlich in den Zeichnungen, die Owen von den Beinknochen des Pferdes, des Ochsen und des Rhinoceros gegeben hat.

Es ist eine wichtige Thatsache, daß verkümmerte Organe, wie die Zähne in den Oberkiefern der Wale und Wiederkäuer, oft im Keim entdeckt werden können, aber nachher völlig verschwinden. Es ist, wie ich glaube, auch eine ganz allgemeine Regel, daß ein verkümmerter Körperteil beim Keim im Verhältnis zu den benachbarten Teilen größer ist als bei dem ausgewachsenen Wesen, so daß das Organ in diesem frühen Alter weniger verkümmert ist oder überhaupt nicht so genannt werden kann. Daher sagt man oft von solchen Organen beim ausgewachsenen Wesen, daß sie den Zustand behalten haben, den sie beim Keim hatten.

Ich habe jetzt die leitenden Thatsachen in betreff der verkümmerten Organe angeführt. Jeder, der über sie nachdenkt, wird von Staunen ergriffen werden. Denn dieselbe Urteilskraft, die uns sagt, daß die meisten Körperteile und Organe gewissen Zwecken vorzüglich angepaßt sind, sagt uns mit gleicher Deutlichkeit, daß diese verkümmerten oder zurückgebliebenen Organe unvollständig und nutzlos sind. In Werken über Naturgeschichte wird gewöhnlich gesagt, daß die verkümmerten Organe »um des Gleichmaßes willen« geschaffen worden sind oder »um den Naturplan zu vollenden«. Aber das ist keine Erklärung, sondern bloß eine nochmalige Feststellung der Thatsachen. Auch ist es nicht folgerichtig. So hat die Königsschlange Andeutungen der hinteren Glieder und des Beckens, und wenn gesagt wird, diese Knochen seien erhalten worden, um das Bild der Natur zu vollenden, warum sind sie, wie Professor Weismann fragt, bei den anderen Schlangen nicht erhalten geblieben, die nicht einmal eine Spur dieser Knochen besitzen? Was würde man von einem Astronomen denken, der behauptete, daß sich die Trabanten »um des Gleichmaßes willen« in elliptischen Bahnen um ihre Planeten drehen, weil die Planeten sich so um die Sonne drehen? Ein hervorragender Physiologe erklärt das Vorhandensein der verkümmerten Organe durch die Vermutung, daß sie dazu dienen, überflüssigen Stoff oder Stoff, der dem Körper schädlich ist, auszuscheiden. Aber können wir voraussetzen, daß die ganz kleine Warze, die in männlichen Blüten oft den Stempel vorstellt und aus bloßem Zellgewebe besteht, so wirken kann? Können wir voraussetzen, daß verkümmerte Zähne, die später verschwinden, für den schnell wachsenden Keim des Kalbes nützlich sind, um einen so kostbaren Stoff wie phosphorsauren Kalk zu beseitigen? Wenn die Finger eines Menschen abgenommen worden sind, so erscheinen, wie man weiß, an den Stümpfen unvollkommene Nägel, und ich könnte ebenso gut glauben, daß diese Spuren von Nägeln sich entwickeln, um hornigen Stoff abzusondern, als daß die verkümmerten Nägel an der Flosse des Lamantins sich zu diesem selben Zwecke entwickelt haben.

Nach der Ansicht von der mit Ummodelung verbundenen Abstammung ist der Ursprung der verkümmerten Organe verhältnismäßig einfach, und wir können in weitgehendem Maße die Gesetze begreifen, die ihre unvollkommene Entwicklung beherrschen. Wir haben eine Menge Beispiele solcher Organe bei unseren Zuchterzeugnissen, wie den Stumpf eines Schwanzes bei schwanzlosen Rassen, die Spur eines Ohres bei Schafrassen ohne Ohren, das Wiedererscheinen ganz kleiner beweglicher Hörner bei hornlosen Rindviehrassen, nach Youatt besonders bei jungen Tieren, und den Zustand der ganzen Blüte beim Blumenkohl. Wir sehen oft Andeutungen mannigfacher Teile bei Ungeheuerlichkeiten, aber ich zweifle, ob irgendeiner dieser Fälle auf den Ursprung der verkümmerten Organe im Naturzustande mehr Licht wirft, als daß er zeigt, daß Andeutungen hervorgebracht werden können. Denn das Abwägen der Zeugnisse zeigt deutlich, daß Arten im Naturzustande keine großen und unvermittelten Wandlungen erfahren. Aber wir lernen aus der Betrachtung unserer Zuchterzeugnisse, daß der Nichtgebrauch von Teilen zur Verminderung ihrer Größe führt, und daß das Ergebnis vererbt wird.

Wahrscheinlich sind die Organe hauptsächlich infolge des Nichtgebrauchs verkümmert geblieben. Er wird zuerst ganz schrittweise einen Körperteil immer mehr verkleinert haben, bis dieser zuletzt ganz verkümmert blieb, wie die Augen der dunkle Höhlen bewohnenden Tiere und die Flügel der auf Inseln im Weltmeere lebenden Vögel, die selten durch Raubtiere gezwungen worden sind, die Flucht zu ergreifen, und schließlich die Flugkraft verloren haben. Ferner könnte ein unter gewissen Bedingungen nützliches Organ unter anderen schädlich werden, wie die Flügel der auf kleinen und den Winden ausgesetzten Inseln lebenden Käfer; und in diesem Falle wird die Naturauslese bei der Verkleinerung des Organs mitgewirkt haben, bis es unschädlich und verkümmert war.

Jede Umwandlung im Bau und der Thätigkeit, die in kleinen Abstufungen bewirkt werden kann, liegt in der Macht der Naturauslese, so daß ein Organ, das durch Umwandlung der Lebensgewohnheiten nutzlos oder für einen Zweck schädlich geworden wäre, umgemodelt und für einen anderen Zweck gebraucht werden könnte. Ein Organ könnte auch für eine seiner früheren Thätigkeiten allein erhalten werden. Organe, die ursprünglich mit Hilfe der Naturauslese gebildet wurden, können, wenn sie nutzlos geworden sind, wohl veränderlich sein, denn ihre Abänderungen können von der Naturauslese nicht länger gehindert werden. All dies stimmt gut mit dem überein, was wir im Naturzustande sehen. Ferner wird, in welchem Lebensabschnitt auch entweder der Nichtgebrauch oder die Auslese ein Organ verkleinert – und das wird gewöhnlich stattfinden, wenn ein Wesen zur Reife gekommen ist und seine Kräfte voll zu entfalten hat – das Grundgesetz der Vererbung im entsprechenden Alter darnach streben, das Organ in dem gleichen Alter der Reife in seinem verkleinerten Zustande wieder hervorzubringen, es aber selten im Keim beeinflussen. So können wir den im Verhältnis zu den benachbarten Teilen größeren Umfang verkümmerter Organe im Keime und ihre verhältnismäßig geringere Größe im ausgewachsenen Geschöpfe verstehen. Wenn z. B. der Finger eines ausgewachsenen Tieres viele Geschlechter hindurch infolge irgendeiner Umwandlung der Gewohnheiten immer weniger gebraucht würde, oder wenn ein Organ oder eine Drüse immer weniger ihre Thätigkeiten ausübten, so können wir schließen, daß sie in den ausgewachsenen Nachkommen dieses Tieres verkleinert werden, aber im Keime nahezu den ursprünglichen Zustand ihrer Entwicklung behalten würden.

Es bleibt jedoch eine Schwierigkeit. Wie kann, wenn ein Organ nicht mehr gebraucht wird und infolge dessen sehr verkleinert worden ist, es noch ferner verkleinert werden, bis gerade noch eine Spur zurückbleibt, und wie kann es endlich ganz beseitigt werden? Es ist kaum möglich, daß der Nichtgebrauch noch eine weitere Wirkung hervorbringen kann, nachdem das Organ einmal unthätig geworden ist. Hier ist eine Ergänzung der Erklärung erforderlich, die ich nicht geben kann. Wenn z. B. bewiesen werden könnte, daß jeder Teil der inneren Bildung mehr darnach strebt, sich zur Verringerung als zur Vermehrung der Größe abzuändern, dann könnten wir verstehen, wie ein Organ, das nutzlos geworden ist, unabhängig von den Wirkungen des Nichtgebrauchs verkümmert bleiben und zuletzt gänzlich unterdrückt werden würde. Denn die Abänderungen nach dieser Richtung würden nicht länger durch die Naturauslese gehemmt werden. Das in einem früheren Kapitel erklärte Grundgesetz der Sparsamkeit beim Wachstum, durch welchen die irgendeinen für den Besitzer nicht nützlichen Teil bildenden Stoffe nach Möglichkeit erspart werden, wird vielleicht dazu mitwirken, daß ein nutzloser Teil sehr verkümmert bleibt. Aber dies Grundgesetz wird fast notwendig auf die früheren Stufen des Vorgangs der Verringerung beschränkt sein; denn wir können nicht annehmen, daß z. B. ein ganz kleines Wärzchen, das bei der männlichen Blüte den Stempel darstellt und bloß aus Zellgewebe besteht, zur Ersparung von Nahrungsstoff noch weiter verkleinert oder beseitigt werden könnte.

Kurz, da verkümmerte Organe, in welchen Abstufungen sie immer zu ihrem jetzigen nutzlosen Zustande herabgekommen sein mögen, die Urkunde einer früheren Lage der Dinge bieten und nur durch die Macht der Vererbung erhalten worden sind, so können wir nach der Ansicht, daß eine Einteilung nach der Geschlechtsfolge geschehen muß, verstehen, wie es kommt, daß Systembildner bei der Einordnung von Lebensformen an ihre richtigen Plätze im natürlichen Systeme verkümmerte Teile für ebenso wertvoll oder bisweilen sogar noch wertvoller als solche von hoher physiologischer Bedeutung angesehen haben. Verkümmerte Organe können mit den Buchstaben in einem Wort verglichen werden, die zwar beim Buchstabieren noch genannt werden, für die Aussprache aber wertlos sind, indeß als Schlüssel für seine Ableitung dienen. Nach der Lehre von der mit Ummodelung verbundenen Abstammung können wir schließen, daß das Vorhandensein verkümmerter, unvollständiger und nutzloser oder ganz unentwickelter Organe, weit entfernt davon, eine seltsame Schwierigkeit zu bieten, wie es nach der alten Schöpfungslehre sicher der Fall ist, in Übereinstimmung mit den hier auseinandergesetzten Annahmen, sogar hätte erwartet werden können.

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Zusammenfassung.

In diesem Kapitel habe ich zu zeigen versucht, daß die Anordnung aller organischen Wesen über Zeit und Raum hin in Gruppen, die anderen untergeordnet sind, die Art der Beziehungen, durch die alle noch vorhandenen und ausgestorbenen Lebensformen vermittelst verzweigter, nach allen Richtungen gehender und gewundener Verwandtschaftslinien zu einigen großen Klassen vereinigt sind, die Regeln, die die Naturforscher bei ihren Einteilungen befolgen, und die Schwierigkeiten, die sich ihnen dabei entgegenstellen, der Wert, der auf beständige und vorwiegende Merkmale gelegt wird, mögen sie nun von einer hohen oder der allergeringsten oder, wie die verkümmerten Organe, von gar keiner Bedeutung sein, die weite Verschiedenheit im Werte zwischen Merkmalen der Entsprechung oder der Anpassung und solchen wirklicher Verwandtschaft sowie andere derartige Regeln sich natürlich ergeben, wenn wir die gemeinsame Abstammung verwandter Formen und zugleich ihre Ummodelung durch Abänderung und Naturauslese sowie die gleichzeitige Mitwirkung des Aussterbens und des Auseinandergehens der Merkmale zugeben. Wenn man diese Ansicht von der Einteilung betrachtet, so sollte man daran denken, daß die Abstammung ganz allgemein benutzt wird, um die beiden Geschlechter, die Alter, zweigestaltige Formen und anerkannte Spielarten derselben Art zusammenzustellen, wie sehr sie sich auch voneinander im Körperbau unterscheiden. Wenn wir die Abstammung, die eine sicher bekannte Ursache der Ähnlichkeit organischer Wesen, weiter heranziehen, so werden wir begreifen, was mit dem natürlichen Systeme gemeint ist. Es ist der Versuch einer Anordnung nach der Geschlechtsfolge mit dem Grade der durch die Ausdrücke Spielarten, Arten, Gattungen, Familien, Ordnungen und Klassen bezeichneten, erworbenen Verschiedenheit.

Nach dieser selben Lehre von der mit Ummodelung verbundenen Abstammung werden die meisten wichtigen Thatsachen des Gesetzes der Form verständlich, mögen wir nun auf ein Muster blicken, das sich bei den verschiedenen Arten einer Klasse in ihren gleichgestellten, zu welchem Zweck immer benutzten Organen zeigt, oder auf die reihenweisen und Seiten-Gleichstelligkeiten bei jedem einzelnen Tier und jeder einzelnen Pflanze.

Nach dem Grundgesetze der aufeinanderfolgenden leichten Abänderungen, die nicht notwendig oder gewöhnlich in einem frühen Alter entstehen und in einem entsprechenden Alter vererbt werden, können wir die leitenden Thatsachen der Keimlehre verstehen, nämlich die große Ähnlichkeit der Teile des einzelnen Keims, die gleichgestellt sind und nach der Reise in Bau und Thätigkeit sehr verschieden werden, und die Ähnlichkeit der gleichgestellten Teile oder Organe in verwandten, wenn auch getrennten Arten, obgleich sie beim ausgewachsenen Tiere für Gewohnheiten tauglich werden, die so verschieden wie möglich sind. Larven sind thätige Keime, die eigens mit Rücksicht auf ihre Lebensgewohnheiten in höherem oder geringerem Grade umgemodelt worden sind, und deren Ummodelungen auf ein entsprechend frühes Alter vererbt werden. Wenn man daran gedacht hätte, daß bei Organen, die durch Nichtgebrauch oder die Naturauslese verkleinert werden, dies gewöhnlich in dem Lebensabschnitte geschieht, in dem das Wesen für seine eigenen Bedürfnisse zu sorgen hat, und wenn man daran gedacht hätte, wie stark die Macht der Vererbung ist, so hätte man nach den gleichen Grundgesetzen das Vorkommen verkümmerter Organe sogar voraussetzen können. Die Wichtigkeit der Merkmale des Keims und der verkümmerten Organe für die Einteilung ist nach der Ansicht verständlich, daß eine natürliche Anordnung sich nach der Geschlechtsfolge richten muß.

Kurz, die verschiedenen Klassen von Thatsachen, die in diesem Kapitel betrachtet worden sind, scheinen mir so deutlich auszusprechen, daß die unzähligen Arten, Gattungen und Familien, mit denen die Welt bevölkert ist, alle, jede innerhalb ihrer eigenen Klasse oder Gruppe, von gemeinsamen Eltern herstammen und im Laufe der Geschlechtsfolge umgemodelt worden sind, daß ich diese Ansicht ohne Zögern annehmen würde, selbst wenn sie nicht durch andere Thatsachen oder Beweise gestützt wäre.

 


 


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