Charles Darwin
Die Entstehung der Arten durch Naturauslese
Charles Darwin

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6. Kapitel.

Schwierigkeiten der Lehre.

Schwierigkeiten der Lehre von der Abstammung in Verbindung mit der Ummodelung, Fehlen oder Seltenheit von Übergangsspielarten. Übergänge in den Lebensgewohnheiten. Verschiedenartig gewordene Gewohnheiten in derselben Art. Arten, deren Gewohnheiten von denen verwandter Arten sehr abweichen. Äußerst vollkommene Organe. Arten des Übergangs. Schwierige Fälle. Die Natur macht keine Sprünge. Unwichtige Organe. Nicht in jedem Fall durchaus vollkommene Organe. Das Gesetz von der Einheit des Gepräges und den Bedingungen des Daseins ist in der Lehre von der Naturauslese einbegriffen.

* * *

Lage bevor der Leser bis zu diesem Teil meines Werkes kommt, werden ihm eine Menge von Schwierigkeiten aufgestoßen sein. Einige von ihnen sind so ernsthafter Art, daß ich noch heute, wenn sie mir in den Sinn kommen, einigermaßen bedenklich werde; aber nach sorgfältigster Erwägung finde ich den größten Teil nur scheinbar, und die, welche tatsächlich vorhanden sind, erschüttern, denke ich, meine Lehre nicht.

Diese Schwierigkeiten und Einwände könnte man unter die folgenden Überschriften bringen:

1. Wenn Arten aus anderen Arten durch feine Abstufungen entstanden sind, wieso sehen wir nicht überall unzählige Übergangsformen? Warum herrscht nicht in der ganzen Natur ein Durcheinander anstatt der genauen Abgrenzung der einzelnen Arten, die wir sehen?

2. Ist es möglich, daß ein Tier, das z. B. den Körperbau und die Gewohnheiten der Fledermaus hat, durch Ummodelung aus irgendeinem andern Tier hätte gebildet werden können, das ganz andere Gewohnheiten und einen ganz andern Körperbau hatte? Können wir glauben, daß die Naturauslese einerseits einen Körperteil von so geringer Bedeutung hervorbringen konnte, wie den Schwanz der Giraffe, der nur als Fliegenklatsche dient, und andererseits einen so wunderbaren wie das Auge?

3. Können Naturtriebe durch die Naturauslese erworben und umgemodelt werden? Was sollen wir von dem Trieb halten, der die Bienen veranlaßt, Zellen zu bauen, und der die Entdeckungen tiefsinniger Mathematiker durch die That vorweggenommen hat?

4. Wie können wir es erklären, daß Arten durch die Kreuzung unfruchtbar werden und eine unfruchtbare Nachkommenschaft erzeugen, während die Kreuzung die Fruchtbarkeit der Spielarten nicht vermindert?

Die beiden ersten Punkte sollen hier, einige vermischte Einwände im nächsten, der Naturtrieb und das Bastardtum in den beiden folgenden Kapiteln erörtert werden.

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Über das Fehlen oder die Seltenheit von Übergangsspielarten.

Da die Naturauslese nur durch die Erhaltung nützlicher Ummodelungen wirkt, so wird in einem vollbesetzten Lande jede neue Form darnach streben, den Platz ihrer weniger vervollkommneten Elternform und anderer weniger begünstigter Formen, mit denen sie in Wettbewerb kommt, einzunehmen und sie schließlich zu vernichten. So gehen Vertilgung und Naturauslese Hand in Hand. Wenn wir daher annehmen, daß jede Art von irgendeiner unbekannten Form stammt, so werden sowohl die Urformen wie alle Übergangsspielarten gewöhnlich gerade durch den Vorgang der Bildung und Vervollkommnung der neuen Form vernichtet worden sein.

Da aber nach dieser Lehre unzählige Übergangsformen bestanden haben müssen, warum finden wir sie nicht in zahlloser Menge in der Erdrinde eingebettet? Es wird richtiger sein, diese Frage in dem Kapitel über die Unvollständigkeit der Urkunde, welche die Geologie uns bietet, zu erörtern. Hier will ich nur aussprechen, daß ich glaube, die Antwort ergiebt sich hauptsächlich aus dem Umstande, daß die Urkunde unvergleichlich weniger vollständig ist, als man gewöhnlich voraussetzt. Die Erdrinde ist ein ungeheures Museum, aber die naturgeschichtlichen Sammlungen sind unvollständig und nur in langen Zwischenräumen angelegt worden.

Aber, könnte man geltend machen, wenn mehrere nah verwandte Arten dasselbe Gebiet bewohnen, müssen wir sicherlich auch heutzutage viele Übergangsformen finden. Nehmen wir einen einfachen Fall. Wenn man ein Festland von Norden nach Süden durchreist, trifft man gewöhnlich nacheinander auf eng verwandte oder auf einander vertretende Arten, die augenscheinlich fast denselben Platz im Naturhaushalt des Landes ausfüllen. Diese einander vertretenden Arten treffen oft zusammen und greifen ineinander über; und wie die eine immer seltener wird, wird die andere immer häufiger, bis die eine die andere ersetzt. Aber wenn wir diese Arten da, wo sie untermischt vorkommen, vergleichen, sind sie gewöhnlich in jeder Einzelheit des Baues ebenso vollständig voneinander verschieden, wie Muster, die man aus der von einer jeden bewohnten Hauptgegend nimmt. Nach meiner Lehre stammen diese verwandten Arten von einer gemeinsamen Elternform, und während des Vorganges der Ummodelung hat sich jede den Lebensbedingungen ihrer Heimat angepaßt und ihre ursprüngliche Elternform und alle Übergangsspielarten zwischen ihrem vergangenen und ihrem gegenwärtigen Zustande verdrängt und vernichtet. Daher dürfen wir nicht erwarten, jetzt viele Übergangsspielarten in jeder Gegend zu finden, obwohl sie dort vorhanden gewesen sein müssen und in versteinerten Zustande eingebettet sein mögen. Aber warum finden wir in dem Mittelgebiet, das mittlere Lebensbedingungen hat, jetzt nicht Zwischenspielarten, die eine enge Angliederung herstellen? Diese Schwierigkeit hat mich lange Zeit hindurch ganz aus der Fassung gebracht; aber ich glaube jetzt, daß man sie großenteils erklären kann.

Zuvorderst sollten wir äußerst vorsichtig sein, zu schließen, daß ein Gebiet deshalb, weil es jetzt mit anderen zusammenhängt, dies während einer langen Zeit gethan habe. Nach den Ergebnissen der Geologie sollte man annehmen, daß sich die meisten Festländer erst in der späteren Tertiärzeit in Inseln zerspalten haben; und auf solchen Inseln konnten getrennte Arten abgesondert für sich gebildet worden sein, ohne die Möglichkeit des Vorhandenseins von Zwischenspielarten in Zwischenzonen. Infolge von Wandlungen in der Form des Bodens und des Klimas müssen jetzt zusammenhängende Meeresflächen noch in neuer Zeit einen weit weniger zusammenhängenden und gleichförmigen Zustand als jetzt gehabt haben. Aber ich werde diesen Weg, der Schwierigkeit zu entgehen, nicht betreten; denn ich nehme an, daß viele vollkommen abgegrenzte Arten in durchaus zusammenhängenden Gebieten sich gebildet haben, obwohl ich nicht zweifle, daß das frühere Getrenntsein von Flächen, die jetzt zusammenhängen, bei der Bildung neuer Formen, besonders durch die ungehinderte Kreuzung und das Wandern der Tiere, eine bedeutende Rolle gespielt hat.

Wenn wir die Arten betrachten, die jetzt über weite Strecken verteilt sind, so finden wir sie gewöhnlich in einem großen Gebiet ziemlich zahlreich vertreten, dann werden sie an den Grenzen etwas plötzlich immer seltener, und schließlich verschwinden sie ganz. Daher ist das neutrale Gebiet zwischen zwei einander vertretenden Arten gewöhnlich im Verhältnis zu den eigenen Gebieten der beiden Arten eng. Dieselbe Thatsache finden wir bei Bergbesteigungen; es ist ganz auffallend, wie plötzlich eine gewöhnliche alpinische Art, wie Alfons de Candolle bemerkt hat, verschwindet. Als E. Forbes die Tiefen der See mit dem Netz untersuchte, machte er die gleiche Entdeckung. Wer das Klima und die natürlichen Lebensbedingungen für allein wirksam bei der Verteilung der Arten ansieht, muß hierüber in Erstaunen geraten, da das Klima wie Höhe oder Tiefe sich nur ganz allmählich abstufen. Wenn man aber bedenkt, daß fast jede Art, sogar in ihrem Hauptlande, sich unermeßlich an Zahl vermehren würde, wenn nicht der Wettbewerb anderer Arten hinzukäme, daß fast alle Arten andere zur Beute machen oder ihnen zur Beute dienen, kurz daß jedes organische Wesen entweder unmittelbar oder mittelbar zu anderen organischen Wesen in höchst wichtigen Beziehungen steht, so sieht man, daß die Verbreitung der Bewohner eines Landes keineswegs ausschließlich von den sich unmerklich umwandelnden natürlichen Bedingungen abhängt, sondern zum großen Teil von der Anwesenheit anderer Arten, von denen sie leben, oder von denen sie vertilgt werden, oder mit denen sie in Wettbewerb kommen. Diese Arten sind schon festbegrenzt und gehen nicht durch unmerkliche Abstufungen ineinander über: daher wird das Bestreben dahin gehen, das Verbreitungsgebiet einer Art, das von den anderen Arten abhängig ist, fest zu begrenzen. Ferner wird jede Art an den Grenzen ihres Verbreitungsgebietes, an denen sie geringer vertreten ist, während der Schwankungen in der Zahl ihrer Feinde oder ihrer Beute oder in der Natur der Jahreszeiten einem sehr hohem Maß von Vertilgung ausgesetzt sein; auf diese Weise wird das geographische Verbreitungsgebiet noch fester begrenzt werden.

Da verwandte oder einander vertretende Arten, falls sie eine zusammenhängende Länderstrecke bewohnen, gewöhnlich so verteilt sind, daß jede ein weites Verbreitungsgebiet besitzt und zwischen ihren Gebieten ein vergleichsweise schmales neutrales Gebiet liegt, in dem sie ziemlich plötzlich immer seltener werden, und da Spielarten sich nicht wesentlich von Arten unterscheiden, so wird dieselbe Regel auch für sie gelten. Nehmen wir eine sich abändernde Art an, die eine sehr weite Länderstrecke bewohnt, so werden wir zwei Spielarten zwei weiten Länderstrecken und eine dritte Spielart einer schmalen Zwischenzone anpassen müssen. Da die Zwischenspielart nun eine schmalere und kleinere Länderstrecke bewohnt, wird sie folglich in geringerer Anzahl vorhanden sein; und in der That bestätigt sich diese Regel, soweit ich es habe feststellen können, bei den Spielarten im Naturzustande. Bei den Zwischenspielarten zwischen wohlausgeprägten Spielarten der Meereichel-Gattung habe ich überraschende Beispiele dafür gefunden. Und nach Mitteilungen von Watson, Dr. Asa Gray und Wollaston scheint es im allgemeinen der Fall zu sein, daß Zwischenspielarten zwischen zwei verschiedenen Formen weit weniger Vertreter haben, als die Formen, die sie verknüpfen. Wenn wir nun diesen Thatsachen und Folgerungen trauen und schließen können, daß Spielarten, die zwei andere Spielarten miteinander verbinden, gewöhnlich weniger Vertreter gehabt haben, als die Formen, die sie verknüpfen, dann wird es uns klar, wieso Zwischenspielarten nicht für sehr lange Zeiten Bestand haben, warum sie regelmäßig früher werden vertilgt werden und verschwinden, als die Formen, die sie ursprünglich verbunden haben.

Denn eine in geringer Anzahl vorhandene Form wird, wie schon bemerkt, eher Gefahr laufen, vernichtet zu werden, als eine zahlreich vorhandene; und in diesem besonderen Fall wird die Zwischenform unter dem Eindringen der zu beiden Seiten von ihr vorhandenen nah verwandten Formen ausnehmend zu leiden haben. Weit wichtiger aber ist noch die folgende Erwägung. Die beiden Spielarten sind, da sie größere Länderstrecken bewohnen, in größerer Anzahl vorhanden als die Zwischenspielart, die nur eine schmale Zwischenzone bewohnt. Das wird für jene während des Vorganges ihrer ferneren Ummodelung, durch die sie sich, wie man annimmt, zu zwei getrennten Arten verwandeln und vervollkommnen, ein großer Vorteil sein. Denn Formen, die in größerer Anzahl vorkommen, haben bessere Aussicht, in einer gegebenen Zeit weitere nützliche Abänderungen aufzuweisen, deren sich die Naturauslese bemächtigen kann, als die selteneren Formen, die nur wenig vertreten sind. Daher werden die gewöhnlichen Formen in dem Wettrennen ums Leben das Bestreben haben, die weniger gewöhnlichen aus dem Felde zu schlagen und zu verdrängen; denn diese werden sich langsamer ummodeln und vervollkommnen. Es ist dasselbe Grundgesetz, das nach meiner Ansicht die Erscheinung erklärt, daß die gewöhnlichen Arten in jedem Lande, wie im zweiten Kapitel gezeigt worden ist, im Durchschnitt eine größere Anzahl gut ausgeprägter Spielarten aufweisen als die selteneren Arten. Zur Erläuterung meiner Ansicht denke ich mir, daß drei Schafspielarten gehalten werden, von denen die eine für eine ausgedehnte Berggegend, die zweite für einen vergleichsweise schmalen Hügelstrich, die dritte für die weiten Ebenen am Fuße des Berges paßt, und daß die Bewohner mit gleicher Zähigkeit und Geschicklichkeit versuchen ihre Stämme durch Auslese zu veredeln. In diesem Falle werden die großen Züchter auf den Bergen und in den Ebenen, die ihre Rassen schneller veredeln als die kleinen Züchter auf dem dazwischen liegenden schmalen Hügelstrich, sehr im Vorteil sein; und infolge dessen werden die veredelten Rassen von den Bergen und der Ebene bald den Platz der weniger veredelten Rasse auf dem Hügelstrich einnehmen. So werden die beiden ursprünglich in größerer Anzahl vorhandenen Rassen in enge Berührung miteinander kommen, ohne daß die verdrängte Zwischenspielart des Hügelstrichs sich einschiebt.

Kurz, ich glaube, daß eine leidlich gute Abgrenzung der Arten eintritt, und sie zu keiner Zeit ein unentwirrbares Chaos sich abändernder und vermittelnder Glieder zeigen. Denn erstens werden neue Spielarten sehr langsam gebildet, da die Abänderung ein langsamer Vorgang ist und die Naturauslese erst wirken kann, wenn nützliche Verschiedenheiten der Einzelwesen oder nützliche Abänderungen auftreten, und wenn irgend ein Platz im Naturhaushalt eines Landes durch eine Ummodelung eines oder mehrerer seiner Bewohner besser ausgefüllt werden kann. Das Entstehen solcher neuen Plätze wird von langsamen Klimawandlungen, von gelegentlicher Einwanderung neuer Bewohner und wahrscheinlich in noch höherem Grade davon abhängen, daß einige der alten Bewohner sich langsam ummodelten und die dadurch hervorgebrachten neuen Formen auf die alten einwirkten und umgekehrt. Daher wird man in jeder Gegend und zu jeder Zeit nur einige wenige Arten sehen, die einigermaßen dauernde leichte Ummodelungen des Baus zeigen. Und das ist auch sicher der Fall.

Zweitens müssen oft jetzt zusammenhängende Länderstrecken noch in der neuen Erdbildungszeit in gesonderte Teile gespalten gewesen sein, auf denen viele Formen, besonders unter den Klassen, die sich zu jedem einzelnen Wurf paaren und weit wandern, für sich verschieden genug geworden sind, um als einander vertretende Arten zu gelten. In diesem Falle müssen Zwischenspielarten zwischen den einzelnen einander vertretenden Arten und ihrer gemeinsamen Urform früher in jedem gesonderten Landesteil vorhanden gewesen sein; aber diese Verbindungsglieder werden während des Vorganges der Naturauslese verdrängt und vernichtet worden sein, so daß sie nicht mehr lebend werden gefunden werden.

Drittens, wenn zwei oder mehr Spielarten sich in verschiedenen Teilen einer durchaus zusammenhängenden Länderstrecke gebildet haben, so werden wahrscheinlich in den Zwischenzonen zuerst Zwischenspielarten sich gebildet haben; aber ihre Dauer wird im allgemeinen kurz gewesen sein. Denn diese Zwischenspielarten werden aus den schon angegebenen Gründen (nämlich nach dem, was wir von der wirklichen Verteilung nahe verwandter und einander vertretender Arten und ebenso von der anerkannter Spielarten wissen) in den Zwischenzonen weniger Vertreter haben, als die Spielarten, zu deren Verknüpfung sie dienen. Aus diesem Grunde allein werden die Zwischenspielarten zufälliger Vernichtung ausgesetzt sein; und während des Vorganges der weiteren Ummodelung durch die Naturauslese werden sie fast sicher durch die Formen, die sie miteinander verknüpfen, unterdrückt und verdrängt werden. Denn da diese in größerer Anzahl vorhanden sind, so werden sie im ganzen mehr Spielarten aufweisen und so durch die Naturauslese vervollkommnet werden und weitere Vorteile gewinnen.

Fassen wir schließlich nicht einen Zeitabschnitt, sondern die Gesamtheit der Zeit ins Auge, so müssen, falls meine Lehre richtig ist, sicher zahllose Zwischenspielarten, die alle Arten derselben Gruppe eng aneinander gliedern, vorhanden gewesen sein. Aber gerade die Naturauslese hat, wie oft bemerkt worden ist, das ständige Bestreben, die Urform und die Zwischenglieder zu vernichten. Folglich könnten Zeugnisse ihres früheren Vorhandenseins nur in versteinerten Überresten gefunden werden, die sich in einer äußerst unvollständigen und lückenhaften Sammlung erhalten haben, wie wir in einem späteren Kapitel darzuthun versuchen werden.

* * *

Über die Entstehung eigentümlicher Gewohnheiten und eines eigentümlichen Baus bei organischen Wesen und über deren Übergänge.

Widersacher meiner Ansichten haben die Frage aufgeworfen, wie z. B, ein fleischfressendes Landtier sich in ein Wassertier verwandelt haben könne; denn wie hätte sich das Tier in seinem Übergangszustand erhalten sollen? Es würde leicht sein, zu zeigen, daß es jetzt fleischfressende Tiere giebt, die gerade die Zwischenstufe zwischen reinen Land- und reinen Wassertieren darstellen; und da jedes durch den Kampf ums Dasein lebt, so muß jedes offenbar seinem Platz in der Natur gut angepaßt sein. Der nordamerikanische Marder z. B. hat Schwimmfüße und gleicht in seinem Pelz, den kurzen Beinen und der Form des Schwanzes dem Otter. Während des Sommers taucht und jagt das Tier nach Fischen, aber während des langen Winters verläßt es die gefrorenen Gewässer und stellt, wie die andern Stinkratzen, Mäusen und sonstigen Landtieren nach. Hätte man einen anderen Fall herangezogen und gefragt, wie ein kerfenfressender Vierfüßler sich habe in eine fliegende Fledermaus verwandeln können, so wäre die Antwort weit schwieriger gewesen. Doch ich meine, daß solche Schwierigkeiten von geringem Belang sind.

Hier wie bei anderen Gelegenheiten befinde ich mich sehr im Nachteil. Denn ich kann von den vielen überraschenden Fällen, die ich gesammelt habe, nur ein oder zwei Beispiele von dem Übergang in Gewohnheit und Körperbau bei verwandten Arten und von der dauernden oder gelegentlichen Scheidung der Gewohnheiten bei derselben Art anführen. Und nur ein langes Verzeichnis solcher Fälle genügt meines Erachtens zur Verminderung solcher Schwierigkeiten, wie sie eine so eigenartige Erscheinung, wie die Fledermaus, darbietet.

Bei der Familie der Eichhörnchen haben wir die feinsten Abstufungen von den Tieren, deren Schwanz nur unbedeutend abgeplattet ist, und anderen, die Sir J. Richardson gefunden hat, bei denen der hintere Teil des Körpers ziemlich breit, und die Seitenhaut ziemlich ausgeweitet ist, bis zu den sogenannten Flughörnchen. Bei den Flughörnchen sind die Beine und sogar das Ende des Schwanzes durch eine breite Hautfläche verbunden, die ihnen als Fallschirm dient und es ihnen ermöglicht, bis zu einer erstaunlichen Entfernung durch die Luft von einem Baum zum andern zu gleiten. Zweifellos ist jede besondere Art des Körperbaus dem Eichhorn in seiner Heimat von Nutzen, indem sie das Tier befähigt, Vögeln und Raubtieren zu entgehen, seine Nahrung schneller zu sammeln und, wie man hier wohl glauben darf, die Gefahr gelegentlichen Fallens vermindert. Aber aus dieser Thatsache folgt nicht, daß der Körperbau eines jeden Eichhorns der allerbeste ist, den man sich unter allen möglichen Bedingungen vorstellen kann. Eine Wandlung des Klimas oder des Pflanzenwuchses, die Einwanderung von anderen Nagetieren, die in Wettbewerb treten, und von neuen Raubtieren oder die Ummodelung einiger alter, sowie jedes ähnliche Vorkommnis würde in uns die Erwartung wachrufen, daß wenigstens einige von den Eichhörnchen an Zahl abnehmen oder vernichtet werden würden, wenn sie sich nicht auch in ihrem Bau entsprechend ummodeln und vervollkommnen. Daher kann ich, besonders wenn sich die Lebensbedingungen wandeln, in der fortgesetzten Erhaltung von Geschöpfen mit immer ausgedehnteren Seitenhäuten keine Schwierigkeit sehen, da jede nützliche Ummodelung verbreitet wird, bis durch die angehäuften Wirkungen des Vorganges der Naturauslese ein vollkommenes Flughörnchen, wie man es nennt, entstanden war.

Beim Galeopithecus oder Flattermaki, den man früher zu den Fledermäusen rechnete, jetzt aber als zu den Kerfenfressern gehörig ansieht, dehnt sich eine weite Seitenhaut von den Ecken der Kinnladen bis zum Schwanz, die die Gliedmaßen mit den verlängerten Fingern einschließt. Diese Seitenhaut ist mit einem Spannmuskel versehen. Obwohl jetzt nicht eine Zwischenstufe des Körperbaus, der zum Gleiten durch die Luft tauglich ist, den Flattermaki mit den anderen Kerfenfressern verknüpft, kann man doch leicht annehmen, daß es früher eine solche Zwischenstufe gab, und daß sie sich ebenso entwickelte, wie bei den weniger gewandt durch die Luft gleitenden Eichhörnchen; denn jede Entwicklungsstufe eines Körperteils ist ihrem Besitzer nützlich gewesen. Auch kann ich darin keine unüberwindliche Schwierigkeit sehen, zu glauben, daß die Finger und der Vorderarm des Flattermakis, die durch eine Haut verbunden sind, von der Naturauslese sehr verlängert worden sein könnten, und das würde das Tier, soweit es sich um die Flugwerkzeuge handelt, in eine Fledermaus verwandelt haben. Bei gewissen Fledermäusen, bei denen die Flughaut von der Schulterspitze bis zum Schwanz reicht und die Hinterbeine einschließt, sehen wir vielleicht Spuren einer ursprünglich mehr zum Gleiten durch die Luft als zum Fliegen tauglichen Einrichtung.

Wenn etwa ein Dutzend Vogelgattungen ausgestorben wären, so hätte niemand die Vermutung gewagt, daß es Vögel gegeben haben könne, die ihre Flügel nur als Fächer gebrauchten, wie die dickköpfige Ente (Micropterus von Eyton), als Floßfedern im Wasser und als Vorderfüße auf dem Lande, wie der Pinguin, als Segel wie der Strauß, und zu gar keiner zweckmäßigen Thätigkeit wie der Waldstrauß. Und doch ist der Bau eines jeden dieser Vögel unter den Lebensbedingungen, denen er ausgesetzt ist, nützlich für ihn, denn jeder muß im Kampf leben. Aber er ist nicht notwendig der beste, den man sich unter allen möglichen Bedingungen denken kann. Aus diesen Bemerkungen darf man nicht schließen, daß irgend eine von den Entwickelungsstufen des Flügelbaus, auf die hier hingewiesen ist und die vielleicht sämtlich infolge Nichtgebrauches sich gebildet haben, den Entwicklungsgang darstellen, der wirklich zu der vollendeten Fliegekunst der Vögel geführt hat. Aber sie können veranschaulichen, wie verschiedene Übergänge wenigstens möglich waren.

Da einige Mitglieder der im Wasser atmenden Klassen wie der Krusten- und Weichtiere dem Leben auf dem Lande angepaßt sind, und da wir fliegende Vögel und Säugetiere, fliegende Kerbtiere von den verschiedenartigsten Grundformen haben und früher fliegende Kriechtiere hatten, begreift man, daß die fliegenden Fische, die jetzt weit durch die Luft gleiten, indem sie sich mit Hilfe ihrer Flossenfedern erheben und umdrehen, in vollständig geflügelte Tiere hätten umgemodelt werden können. Wer hätte sich, wenn das geschehen wäre, jemals gedacht, daß sie in einem frühen Übergangszustande Bewohner des offnen Meeres waren und ihre beginnenden Flugwerkzeuge, so viel wir wissen, ausschließlich gebrauchten, um der Vertilgung durch andere Fische zu entgehen.

Wenn wir sehen, daß ein Körperteil wegen irgendeiner besonderen Gewohnheit sehr vervollkommnet worden ist, wie die Flügel eines Vogels des Fliegens wegen, so sollten wir nicht vergessen, daß Tiere, die frühe Übergangsstufen dieses Teiles zeigen, selten bis zum heutigen Tage erhalten geblieben sind; denn sie werden durch ihre Nachkommen verdrängt worden sein, die durch die Naturauslese stufenweise, vervollkommnet wurden. Ferner können wir schließen, daß sich Übergangszustände zwischen Teilen des Körperbaues, die für sehr verschiedene Lebensgewohnheiten paßten, in früher Zeit selten in großer Zahl und in vielen untergeordneten Formen entwickelt haben werden. So scheint es, um zu unserm erdachten Beispiel von dem fliegenden Fisch zurückzukehren, nicht wahrscheinlich, daß Fische, die wirklich fliegen konnten, sich in vielen untergeordneten Formen entwickelt haben würden, um vielerlei Beute in mancher Weise zu Wasser und zu Lande zu erjagen, ehe ihre Flugwerkzeuge zu einer hohen Stufe der Vollkommenheit entwickelt waren, so daß sie ihnen in dem Kampfe ums Dasein einen entschiedenen Vorteil über andere Tiere gegeben hätten. Daher wird die Aussicht, Arten mit Übergangsstufen des Körperbaues in versteinertem Zustande zu entdecken, immer geringer sein, als die, Arten mit vollständig entwickeltem Bau zu finden, weil die ersteren in kleinerer Anzahl gelebt haben.

Ich will nun zwei oder drei Beispiele sowohl von ganz umgekehrten wie von umgewandelten Gewohnheiten bei den Einzelwesen derselben Art geben. In jedem der Fälle würde es der Naturauslese leicht sein, den Bau des Tieres seinen umgewandelten Gewohnheiten oder ausschließlich einer seiner verschiedenen Gewohnheiten anzupassen. Indes ist es schwer zu entscheiden und unwesentlich für uns, ob sich im allgemeinen die Gewohnheiten zuerst umwandeln und der Körperbau nachher, oder ob geringe Ummodelungen des Baues zu verwandelten Gewohnheiten führen; wahrscheinlich geschieht beides oft fast gleichzeitig. In betreff der umgewandelten Gewohnheiten wird es genügen, nur auf viele britische Kerbtiere hinzuweisen, die sich jetzt von ausländischen Pflanzen oder ausschließlich von künstlichen Stoffen nähren. Von ganz umgekehrten Gewohnheiten könnten unzählige Beispiele gegeben werden. Ich habe oft einen Neuntöter (Saurophagus sulphuratus) in Südamerika beobachtet, der über einem Fleck schwebte und dann zu einem anderen fortflog, wie ein Turmfalke, und zu andern Zeiten ruhig am Rande eines Gewässers saß und sich dann hinein stürzte, wie ein Königsfischer auf einen Fisch. In unserm eigenen Vaterlande kann man sehen, wie die Kohlmeise (Parus major) die Zweige fast wie ein Baumläufer hinaufklettert; zuweilen tötet sie wie der Würger kleine Vögel durch Schläge auf den Kopf, und oft habe ich gesehen und gehört, wie sie den Eibensamen auf einem Zweig zerhämmert und ihn so aufbricht, wie der Blauspecht. In Nordamerika hat Hearne den schwarzen Bären stundenlang mit weit offener Schnauze schwimmen sehen, der so, fast wie der Walfisch, Kerbtiere im Wasser fängt.

Da wir zuweilen Geschöpfe finden, deren Gewohnheiten anders sind als die ihrer Art und der anderen Arten derselben Gattung, so dürfen wir erwarten, daß diese die Gelegenheit zur Entstehung neuer Arten bieten, deren Gewohnheiten unregelmäßig sind, und die in ihrem Bau ein wenig oder beträchtlich von ihrem Vorbild abweichen. Und solche Beispiele finden sich in der Natur. Kann irgend ein Vogel zum Baumklettern und Kerfenfangen in den Spalten der Rinde in einem erstaunlicheren Grade passen als der Specht? Und doch giebt es in Nordamerika Spechte, die zum größten Teil von Früchten leben, und andere mit verlängerten Flügeln, die auf Kerbtiere während des Fliegens Jagd machen. In den Ebenen von La Plata, in denen kaum ein Baum wächst, giebt es einen Specht (Colaptes campestris), der zwei Zehen vorn und zwei hinten, eine lange spitze Zunge und spitze Schwanzfedern hat, die steif genug sind, um den Vogel in senkrechter Stellung auf einen Baum zu tragen, aber nicht so steif, wie bei den gewöhnlichen Spechten. Ebenso ist der Schnabel gerade und stark genug, um ins Holz zu bohren, doch nicht so gerade und so stark wie bei den gewöhnlichen Spechten. Das Tier ist in allen wesentlichen Teilen seines Körperbaues zur Spechtfamilie zu rechnen. Sogar so geringfügige Merkmale wie die Farbe, der rauhe Ton der Stimme und der wellenförmige Flug beweisen deutlich die enge Verwandtschaft mit unserm Specht. Trotzdem klettert der Vogel, wie ich nicht nur nach eigenen Beobachtungen, sondern auch nach denen des zuverlässigen Azara versichern kann, in gewissen weiten Bezirken nicht auf Bäume, sondern baut sein Nest in Hügellöchern. In gewissen anderen Bezirken sucht dagegen dieser selbe Spechtvogel, wie Hudson behauptet, Bäume auf und bohrt zu seinem Nest Löcher in den Stamm. Als ein zweites Beispiel der Abänderung der Gewohnheiten in dieser Gattung könnte ich erwähnen, daß nach einer Beschreibung de Saussures ein mexikanischer Colaptes Löcher in hartes Holz bohrt, um dort einen Vorrat von Eicheln aufzubewahren.

Der Sturmvogel vermag sich von allen Vögeln am längsten in der Luft zu halten und am weitesten aufs Meer hinauszufliegen; aber die in den ruhigen Meerengen Feuerlands vorkommende Puffinuria berardi würde jeder nach ihren allgemeinen Gewohnheiten, nach ihrer erstaunlichen Taucherkunst, nach ihrer Art zu schwimmen und zu fliegen, wenn sie veranlaßt ist, zu fliehen, fälschlich für einen Papageitaucher oder einen Lappentaucher ansehen. Nichtsdestoweniger ist sie im wesentlichen ein Sturmvogel, aber viele Teile ihres Körperbaues sind mit Rücksicht auf ihre neuen Lebensgewohnheiten bedeutend umgemodelt worden, während der Körperbau des Spechts in La Plata nur geringfügig umgemodelt ist. Bei der Untersuchung einer toten Wasser-Amsel würde auch der schärfste Beobachter nicht auf die Vermutung gekommen sein, daß das Tier die Gewohnheit hat, sich unter Wasser aufzuhalten; und doch erhält sich dieser Vogel, der mit der Drosselfamilie verwandt ist, durch das Tauchen am Leben, wobei er unter Wasser seine Flügel gebraucht und mit den Füßen Steine greift. Alle Mitglieder der großen Ordnung der Aderflügler leben auf dem Lande, mit Ausnahme der Gattung Proctotrupes, die, wie Sir John Lubbock entdeckt hat, in ihren Gewohnheiten zu den Wassertieren gehört. Die Tiere dieser Gattung gehen oft ins Wasser und tauchen unter, wobei sie nicht ihre Beine, sondern ihre Flügel gebrauchen, und bleiben etwa vier Stunden lang unter der Oberfläche. Doch zeigt ihr Bau keine Ummodelung, die zu ihren seltsamen Gewohnheiten paßte.

Wer der Ansicht ist, daß ein jedes Wesen ursprünglich so erschaffen worden ist, wie wir es jetzt sehen, muß gelegentlich eine Überraschung empfinden, wenn er ein Tier sieht, bei dem der Körperbau und die Gewohnheiten nicht im Einklang stehen. Was kann klarer sein, als daß die Schwimmfüße der Enten und Gänse zum Schwimmen gebildet worden sind? Und doch giebt es Landgänse mit Schwimmfüßen, die selten dem Wasser nahe kommen. Audubon allein hat den Fregattenvogel, dessen vier Zehen alle durch Schwimmhäute verbunden sind, sich auf die Oberfläche des Meers niederlassen sehen. Andererseits sind die Lappentaucher und Wasserhühner durchaus Wasservögel, obwohl ihre Zehen nur am Rande mit einer Haut versehen sind. Was scheint klarer, als daß die langen, nicht mit einer Haut versehenen Zehen der Watvögel zum Gehen über Sümpfe und Schwimmpflanzen eingerichtet sind? – Das Rohrhuhn und der Wiesenläufer sind Glieder dieser Ordnung, obwohl das erstere fast ebenso sehr wie das Wasserhuhn ein Wasservogel, der letztere fast ebenso sehr wie die Wachtel oder das Rebhuhn ein Landvogel ist. In solchen Fällen – und man könnte viele andere anführen – haben sich die Gewohnheiten ohne einen entsprechenden Wandel im Körperbau umgewandelt. Von den Schwimmfüßen der Landgänse kann man sagen, ihre Anwendung, nicht ihr Bau sei sehr unvollkommen entwickelt. Beim Fregattenvogel zeigt die tiefe Aushöhlung der Haut zwischen den Zehen, daß eine Umwandlung des Körperbaues begonnen hat.

Wer an unzählige gesonderte Schöpfungsakte glaubt, kann sagen, daß es dem Schöpfer in diesen Fällen gefallen habe, einem Wesen von irgendeinem Gepräge den Platz zuzuweisen, den ein Wesen von einem andern Gepräge besessen hat. Aber das heißt nach meiner Meinung nur, die Thatsache noch einmal in gehobener Sprache darzustellen. Wer an einen Kampf ums Dasein und an das Grundgesetz der Naturauslese glaubt, wird anerkennen, daß jedes organische Wesen beständig darnach strebt, seine Zahl zu vermehren, und daß, wenn irgendein Wesen sich in Gewohnheiten oder Körperbau in einem noch so geringen Grade abändert, es einen Vorteil vor irgend einem anderen Bewohner desselben Landes gewinnt und die Stelle dieses Bewohners einnimmt, so verschieden sie auch von seiner eigenen sein mag. Daher wird es ihn nicht überraschen, Gänse und Fregattenvögel mit Schwimmfüßen anzutreffen, die auf trockenem Boden leben und selten auf das Wasser herabkommen, Wiesenläufer zu finden, die sich auf Wiesen anstatt in Sümpfen aufhalten, Spechte da zu sehen, wo kaum ein Baum wächst, von tauchenden Drosseln und tauchenden Aderflüglern und von Sturmvögeln zu hören, die die Gewohnheiten des Papageitauchers haben.

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Äußerst vollkommene und zusammengesetzte Organe.

Es scheint, wie ich offen zugebe, im höchsten Grade ungereimt, vorauszusetzen, daß das Auge mit all seinen unnachahmlichen Einrichtungen, die den Brennpunkt den verschiedenen Entfernungen anpassen, die verschiedene Lichtmengen zulassen und die sphärische und chromatische Abirrung berichtigen, durch Naturauslese hätte gebildet werden können. Als zum erstenmal ausgesprochen wurde, daß die Sonne still stehe und die Erde sich herumdrehe, erklärte der gesunde Menschenverstand die Lehre für falsch. Aber auf das alte Wort »Volkes Stimme, Gottes Stimme«, kann man sich, wie jeder Philosoph weiß, in der Wissenschaft nicht verlassen. Die Vernunft sagt mir, daß, wenn man zahlreiche Abstufungen von einem einfachen und unvollkommnen Auge bis zu einem zusammengesetzten und vollkommenen als vorhanden nachweisen kann, und jede Stufe, wie es sicher der Fall ist, ihrem Besitzer nützt; wenn sich ferner das Auge jemals abändert, und die Abänderungen vererbt werden, wie es ebenfalls sicher der Fall ist, und wenn solche Abänderungen unter sich umwandelnden Lebensbedingungen für irgend ein Tier nützlich sind, dann sollte die Schwierigkeit der Annahme, daß ein vollkommenes und zusammengesetztes Auge durch die Naturauslese gebildet werden konnte, nicht als der Lehre widersprechend betrachtet werden, wenn sie auch unserer Einbildungskraft widerstrebt. Wie es kommt, daß ein Nerv für Licht empfindlich ist, geht uns kaum mehr an, als die Frage, wie das Leben selbst entstand. Aber ich kann bemerken, daß, da einige der niedrigsten Wesen, bei denen Nerven nicht entdeckt werden können, imstande sind, Licht wahrzunehmen, es nicht unmöglich scheint, daß gewisse empfindliche Teile ihres gallertartigen Körpers sich vereinigen und zu Nerven entwickeln, die mit dieser besonderen Empfindlichkeit begabt sind.

Beim Aufsuchen der Abstufungen, durch die ein Organ bei irgendeiner Art vervollkommnet worden ist, sollte man ausschließlich auf die Urformen achten, von denen sie in gerader Linie stammt. Aber das ist kaum jemals möglich, und, um zu sehen, was für Abstufungen möglich sind, und für den Fall, daß einige von ihnen sich in unverändertem oder wenig verändertem Zustande erhalten haben, müssen wir auf andere Arten und Gattungen derselben Gruppe, d. h. auf Seiten-Nachkommen derselben Elternform achten. Aber der Zustand desselben Organs in verschiedenen Klassen kann nebenher Licht auf die verschiedenen Abstufungen seiner Vervollkommnung werfen.

Das einfachste Sinneswerkzeug, das man Auge nennen kann, besteht aus einem von Farbzellen umgebenen und von einer durchscheinenden Haut bedeckten Sehnerven, hat aber keine Linse oder einen anderen das Licht brechenden Körper. Nach Jourdain können wir jedoch sogar einen Schritt tiefer hinabgehen und Vereinigungen von Farbzellen finden, die anscheinend als Sehwerkzeuge dienen, aber nicht irgend welche Nerven besitzen, sondern bloß aus gallertartigem Gewebe bestehen. Augen von solcher einfachen Natur können nicht deutlich sehen, sie dienen nur dazu Licht und Dunkelheit zu unterscheiden. Bei gewissen Seesternen sind nach der Beschreibung des oben angeführten Verfassers kleine Eindrücke in der den Nerven umgebenden Farbschicht mit durchsichtiger schleimiger Masse gefüllt, die wie die Hornhaut der höheren Tiere mit gewölbter Oberfläche hervorragt. Er nimmt an, daß dies nicht dazu dient, ein Bild hervorzubringen, sondern nur dazu, die leuchtenden Strahlen zusammenzufassen und ihre Wahrnehmung zu erleichtern. In dieser Zusammenfassung der Strahlen gewinnen wir den ersten und bei weitem wichtigsten Schritt zu der Bildung eines wirklichen Bilder erzeugenden Auges. Denn wir brauchen nur das bloßliegende Ende des Sehnerven, der bei einigen der niedrigen Tiere tief im Körper verborgen, bei anderen nahe an der Oberfläche liegt, in die richtige Entfernung von der zusammenfassenden Einrichtung zu bringen, und es wird sich ein Bild darauf bilden.

Bei der großen Klasse der Gliedertiere können wir von einem Sehnerven ausgehen, der einfach mit dem manchmal eine Art Pupille bildenden Farbstoff bekleidet ist, aber einer Linse oder anderen Seheinrichtung entbehrt. Von den Kerbtieren weiß man jetzt, daß die zahlreichen Fazetten auf der Hornhaut ihrer zusammengesetzten Augen wirkliche Linsen bilden, und daß die Kegel eigentümlich umgemodelte Nervenfäden einschließen. Aber diese Organe sind bei den Gliedertieren so verschiedenartig, daß Müller früher drei Hauptklassen mit sieben Unterabteilungen bildete und außerdem eine vierte Klasse mit vereinigten einfachen Augen.

Wenn wir über diese Thatsachen nachdenken, die im Verhältnis zu der umfassenden, mannigfaltigen Stufenreihe des Baues der Augen bei den niedrigen Tieren hier viel zu kurz behandelt worden sind, und uns vergegenwärtigen, wie klein die Zahl aller lebenden Formen im Vergleich zu den ausgestorbenen sein muß, ist es keine große Schwierigkeit mehr zu glauben, daß die Naturauslese die einfache Einrichtung eines mit Farbe bekleideten, in eine durchsichtige Haut eingeschlossenen Sehnerven in ein so vollkommenes Sehwerkzeug verwandelt haben kann, wie es irgendein Mitglied der Gliedertierklasse besitzt.

Wer so weit geht, sollte auch nicht zögern, noch einen Schritt weiter zu gehen, wenn er bei Beendigung dieses Bandes findet, daß große Mengen sonst unerklärlicher Thatsachen durch die Lehre von der Ummodelung durch die Naturauslese erklärt werden können. Er sollte zugeben, daß sogar ein so vollkommenes Gebilde wie ein Adlerauge sich so bilden könnte, wenn er auch in diesem Fall die Übergangsstufen nicht kennt. Man hat den Einwurf gemacht, daß, um das Auge umzumodeln und es als ein vollkommenes Werkzeug zu erhalten, viele Wandlungen hätten gleichzeitig bewirkt werden müssen, was, wie man annimmt, nicht durch die Naturauslese hätte geschehen können. Aber es ist, wie ich in meinem Werk über die Abänderung der Haustiere zu zeigen versucht habe, nicht nötig, anzunehmen, daß die Ummodelungen alle gleichzeitig waren, wenn sie äußerst geringfügig und allmählich waren. Verschiedene Arten der Ummodelung würden auch demselben Zweck dienen, wie Wallace bemerkt hat: »Wenn eine Linse eine zu große oder zu geringe Brennweite hat, kann sie durch Änderung der Biegung oder der Dichtigkeit verbessert werden; wenn die Krümmung unregelmäßig ist und die Strahlen nicht in einem Punkte zusammenkommen, so wäre jede Vermehrung der Regelmäßigkeit der Krümmung eine Verbesserung. Ebenso sind die Zusammenziehung der Regenbogenhaut und die Muskelbewegungen des Auges nicht an sich zum Sehen wesentlich, sondern nur Verbesserungen, die irgendeinmal bei der Zusammenfügung des Werkzeuges hinzugethan und vollendet worden sind.« In der höchsten Abteilung des Tierreichs, bei den Wirbeltieren, besteht das einfachste Auge, bei dem wir anfangen können, das des Lanzettfisches, nur aus einer kleinen Tasche durchsichtiger Haut, die mit einem Nerven versehen und mit Farbe bedeckt ist, aber sonst keine weitere Vorrichtung besitzt. Bei den Fischen und Kriechtieren ist, wie Owen bemerkt hat, »die Reihe der Abstufungen im Bau der Augen sehr groß«. Es ist eine bezeichnende Thatsache, daß nach Virchows maßgebendem Zeugnis sogar beim Menschen die schöne Krystalllinse beim Keim durch eine Anhäufung von Oberhautzellen, die in einer taschenähnlichen Hautfalte liegen, und daß der Glaskörper aus embryonischem Unterhautgewebe gebildet wird. Um indessen zu einem richtigen Schluß über die Bildung des Auges mit all seinen wunderbaren, jedoch nicht durchaus vollkommenen Merkmalen zu gelangen, ist es unumgänglich nötig, daß der Verstand die Herrschaft über die Einbildungskraft gewinnt. Aber ich habe die Schwierigkeit viel zu stark empfunden, um darüber verwundert zu sein, daß andere Bedenken tragen, die Geltung des Grundgesetzes der Naturauslese so überraschend weit auszudehnen.

Eine Vergleichung des Auges mit einem Teleskop läßt sich kaum vermeiden. Wir wissen, daß dies Werkzeug durch lang fortgesetzte Bemühungen der höchsten menschlichen Geisteskräfte vollendet worden ist, und wir schließen naturgemäß, daß das Auge durch einen etwa ähnlichen Vorgang gebildet worden ist. Aber beruht dieser Schluß nicht vielleicht auf Einbildung? Haben wir irgendein Recht anzunehmen, daß der Schöpfer durch Geisteskräfte wirkt, die den menschlichen ähnlich sind? Wenn wir aber das Auge mit einem optischen Werkzeug vergleichen müssen, so müssen wir uns eine dicke Schicht von durchsichtigem Gewebe vorstellen, mit Zwischenräumen, die von einer Flüssigkeit erfüllt sind, und mit einem Nerven darunter, der das Licht empfindet, und müssen annehmen, daß beständig die Dichtigkeit eines jeden Teiles dieser Schicht sich langsam ändert, so daß sie sich in Schichten von verschiedener Dichtigkeit und Dicke teilt. Diese Schichten liegen in verschiedenen Abständen voneinander, und die Oberfläche einer jeden wandelt langsam ihre Form. Ferner müssen wir annehmen, daß eine durch die Naturauslese oder das Überleben der Tauglichsten vertretene Macht über jede geringfügige Veränderung in den durchsichtigen Schichten stets aufmerksam wacht und eine jede sorgfältig erhält, die unter abgeänderten Umständen auf irgendeine Weise oder in irgendeinem Grade das Bestreben zeigt, ein deutlicheres Bild hervorzubringen. Jeden neuen Zustand des Werkzeugs müssen wir uns vermillionenfacht denken, ein jeder bleibt erhalten, bis ein besserer hervorgebracht ist, und dann werden alle alten vernichtet. In lebenden Körpern wird die Abänderung leichte Änderungen verursachen, die Zeugung wird sie fast unendlich vervielfachen, und die Naturauslese wird mit nicht irrender Erfahrung jede Verbesserung herausgreifen. Können wir nun, wenn dieser Vorgang Millionen von Jahren dauert und sich in jedem Jahr bei Millionen von Geschöpfen vieler Arten abspielt, nicht glauben, daß auf diese Weise ein lebendes Sehwerkzeug zu entstehen vermöchte, das ein gläsernes ebenso übertrifft, wie des Schöpfers Werke die menschlichen übertreffen?

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Arten des Übergangs.

Könnte man irgendein sehr zusammengesetztes Organ aufweisen, dessen Entstehung durch zahlreiche aufeinanderfolgende leichte Ummodelungen nicht möglich wäre, so fiele meine Lehre vollkommen in sich zusammen. Aber ich habe ein solches nicht ausfindig machen können. Zweifellos giebt es viele Organe, deren Übergangsstufen wir nicht kennen, hauptsächlich wenn wir auf sehr abgesonderte Arten blicken, in deren Umkreis nach meiner Lehre ein großes Maß von Vernichtung stattgefunden hat. Oder wiederum, wenn wir an ein allen Gliedern einer Klasse gemeinsames Organ denken. Denn in diesem letzteren Fall müßte das Organ ursprünglich in einer weitentlegenen Zeit sich gebildet haben, seit der all die vielen Mitglieder der Klasse sich entwickelt haben. Und um die frühen Übergangsstufen zu entdecken, die das Organ hinter sich hat, müßte man die Formen sehr alter Vorgänger betrachten können, die aber seit langem ausgestorben sind.

Wir sollten äußerst vorsichtig sein bei dem Schluß, daß ein Organ nicht durch Übergangsstufen irgend welcher Art entstanden sein kann. Unter den niederen Tieren könnte man zahlreiche Beispiele dafür anführen, daß dasselbe Organ zu einer Zeit ganz verschiedene Tätigkeiten ausübt. Bei der Larve der Wasserjungfer und bei der Schmerle z. B. atmet, verdaut und sondert der Darmkanal ab. Wenn man bei dem Polypen die Innenseite nach außen kehrt, so verdaut die äußere Oberfläche, und der Magen atmet. In solchen Fällen hätte die Naturauslese, wenn dadurch irgendein Vorteil erreicht worden wäre, das ganze Organ oder einen Teil davon, der vordem zwei Thätigkeiten ausübte, für eine einzige Thätigkeit besonders einrichten und so unmerklich seine Natur sehr wandeln können. Viele Pflanzen sind bekannt, die regelmäßig zu einer Zeit verschieden gebaute Blüten hervorbringen. Und sollten solche Pflanzen eine Sorte allein hervorbringen, so würde im Wesen der Art verhältnismäßig plötzlich eine große Umwandlung eintreten. Wahrscheinlich waren aber die beiden Sorten Blüten, die die gleiche Pflanze trägt, ursprünglich durch feine Abstufungen verschieden, die man in einigen wenigen Fällen noch erkennen kann.

Andererseits können zwei verschiedene Organe oder dasselbe Organ unter zwei sehr verschiedenen Formen bei einem Geschöpf die gleiche Thätigkeit ausüben. Dies ist ein äußerst wichtiges Mittel des Überganges. Z. B. giebt es Fische mit Kiemen, die die im Wasser verteilte Luft einatmen und zugleich frische Luft mit ihrer Blase einatmen. Dieses Organ ist durch sehr gefäßreiche Zwischenwände geteilt und besitzt einen Luftkanal zur Ergänzung der Luft. Ich will ein Beispiel aus dem Pflanzenreich folgen lassen. Drei verschiedene Mittel giebt es, durch welche Pflanzen in die Höhe klettern: entweder winden sie sich in Schraubenlinien, oder sie erfassen mit ihren empfindlichen Ranken einen Stützpunkt, oder sie lassen Luftwurzeln hervorschießen. Diese drei Mittel findet man gewöhnlich bei verschiedenen Gruppen, aber einige wenige Arten zeigen zwei davon oder sogar alle drei bei derselben Pflanze zusammen. In allen solchen Fällen könnte eins von den beiden Organen leicht so umgemodelt und vervollkommnet werden, daß es die gesamte Arbeit ausübt. Während des Vorgangs der Ummodelung könnte es von dem zweiten Organ unterstützt werden. Und dann könnte dies zu irgendeinem andern ganz verschiedenen Zweck umgemodelt oder ganz beseitigt werden.

An der Schwimmblase der Fische erkennt man klar die wichtige Thatsache, daß ein ursprünglich zu einem Zweck, dem Schwimmen, angelegtes Organ sich in eins verwandeln kann, das einem ganz andern Zweck, der Atmung, dient. Bei gewissen Fischen unterstützt die Schwimmblase auch die Gehörwerkzeuge. Alle Physiologen geben zu, daß die Schwimmblase ihrer Lage und ihrem Bau nach den Lungen der höhern Wirbeltiere entspricht oder »der Idee nach gleich« ist. Wir haben daher keinen Grund zu zweifeln, daß sich die Schwimmblase wirklich in Lungen verwandelt hat oder in ein Organ, das ausschließlich zum Atmen gebraucht wird.

Nach dieser Ansicht kann man schließen, daß alle Wirbeltiere mit wirklichen Lungen durch gewöhnliche Zeugung von einer alten und unbekannten Urform herkommen, die mit einer Schwimmvorrichtung oder Schwimmblase ausgerüstet war. Wir können auf diese Weise, wie ich aus Owens anregender Beschreibung dieser Körperteile schließe, die seltsame Thatsache verstehen, daß ein jedes Teilchen Speise und Trank, das wir verschlucken, bei seinem Vorbeikommen an der Öffnung der Luftröhre, trotz der vorzüglichen Einrichtung, durch die der Kehldeckel abgeschlossen wird, einigermaßen Gefahr läuft, in die Lunge zu geraten. Bei den höheren Wirbeltieren sind die Kiemen gänzlich verschwunden, doch zeigen beim Keim die Spalten an den Seiten des Halses und der schlingenförmige Verlauf der Schlagadern noch ihre frühere Lage. Aber es ist denkbar, daß die jetzt gänzlich verlorenen Kiemen von der Naturauslese allmählich zu mancherlei Zweck verarbeitet werden konnten. So hat z. B. Landois gezeigt, daß sich die Flügel der Kerbtiere aus den Luftröhren entwickelt haben. Es ist daher höchst wahrscheinlich, daß in dieser großen Klasse ehemalige Atmungswerkzeuge sich wirklich in Flugwerkzeuge verwandelt haben.

Bei der Betrachtung der Übergänge von Organen ist es so wichtig, im Auge zu behalten, daß die Verwandlung einer Thätigkeit in eine andere möglich ist, daß ich hierfür noch ein Beispiel geben will. Die gestielten Rankenfüßer haben zwei kleine Hautfalten, die ich die Eiertragbänder genannt habe, weil sie vermittelst einer kleberigen Absonderungsmasse dazu dienen, die Eier festzuhalten, bis sie sich in dem Sacke entwickelt haben. Die Rankenfüßer haben keine Lungen, vielmehr dient die ganze Oberfläche des Körpers und des Sackes zusammen mit den kleinen Bändern zum Atmen. Die Meereichelarten oder festsitzenden Rankenfüßer haben dagegen keine Eiertragbänder, vielmehr liegen die Eier lose auf dem Boden des Sackes in der wohlverschlossenen Schale. Aber sie haben an der Stelle, wo bei den anderen die Bänder sitzen, breite, vielfältige Häute, die ungehindert mit den Umlaufshöhlungen des Sackes und des Körpers zusammenhängen, und die nach der Meinung aller Naturforscher als Kiemen dienen. Nun wird, denke ich, niemand bestreiten, daß die Eiertragbänder in der einen Familie den Kiemen in der anderen entsprechen, und wirklich gehen sie ineinander über. Man wird daher nicht bezweifeln dürfen, daß die zwei kleinen Hautfalten, die ursprünglich als Eiertragbänder gedient, aber auch in geringem Grade die Atmung unterstützt haben, allmählich von der Naturauslese durch einfache Vergrößerung ihrer Gestalt und durch Beseitigung der ihnen anhängenden Drüsen in Kiemen verwandelt worden sind. Wenn alle gestielten Rankenfüßer ausgestorben wären – und sie sind in weit höherem Grade der Vertilgung ausgesetzt gewesen als die festsitzenden Rankenfüßer – so hätte sich niemals jemand eingebildet, daß die Kiemen dieser letzteren Familie ursprünglich als Organe bestanden haben, die das Wegspülen der Eier aus dem Sack verhindern sollten.

Noch eine andere Art des Übergangs ist möglich, nämlich durch Beschleunigung oder Verzögerung des zeugungskräftigen Alters. Hierauf haben kürzlich Professor Cope u. a. in den Vereinigten Staaten besonders hingewiesen. Es ist bekannt, daß manche Tiere in sehr frühem Alter zeugen können, bevor ihre Merkmale sich vollständig ausgebildet haben. Wenn dies Vermögen bei einer Art sich völlig gut entwickelte, so würde wahrscheinlich früher oder später der Entwicklungszustand der vollkommen ausgebildeten Tiere verloren gehen, und in diesem Fall würde, besonders wenn sich die Larve sehr von der ausgebildeten Form unterschiede, das Wesen der Art sich sehr wandeln und verschlechtern. Andererseits wandeln nicht wenige Tiere, nachdem sie den Reifezustand erlangt haben, sich in ihren Merkmalen fast während ihres ganzen Lebens. Bei den Säugetieren z. B. ändert sich die Schädelform oft im Alter in bedeutendem Maße. Dr. Murie hat hierfür überraschende Beispiele von den Seehunden angeführt. Jedermann weiß, daß das Geweih der Hirsche immer mehr Enden bekommt und die Federn mancher Vögel sich feiner entwickeln, wenn sie älter werden. Professor Cope stellt die Behauptung auf, daß bei gewissen Eidechsen mit der Zunahme der Jahre sich die Gestalt der Zähne sehr wandle. Bei den Krustentieren nehmen nach der Zeit der Reife, wie Fritz Müller mitteilt, nicht nur unbedeutende, sondern auch manche wichtige Teile ein ganz anderes Gepräge an. In all solchen Fällen, die sehr zahlreich sind, würde das Wesen der Art, wenigstens in ihrem Reifezustande, umgemodelt werden, wenn das zeugungskräftige Alter erst später begänne; auch ist es nicht unwahrscheinlich, daß die vorangehenden und früheren Entwicklungsstufen schnell abgemacht und schließlich beseitigt würden. Ich kann keine bestimmte Meinung darüber gewinnen, ob in dieser verhältnismäßig plötzlichen Weise des Übergangs Arten oft oder überhaupt jemals umgemodelt worden sind; aber wenn es vorgekommen ist, so sind wahrscheinlich die Verschiedenheiten zwischen den jungen und den ausgewachsenen, sowie zwischen den ausgewachsenen und den alten Tieren ursprünglich stufenweise erworben worden.

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Besondere Schwierigkeiten der Lehre von der Naturauslese.

Wenn wir auch außerordentlich vorsichtig bei dem Schlusse sein müssen, daß ein Organ nicht durch die Aufeinanderfolge kleiner Übergangsstufen geschaffen sein könne, so giebt es doch zweifellos Fälle, bei denen ernstliche Schwierigkeiten vorliegen.

Die größte Schwierigkeit bieten die geschlechtlosen Kerbtiere, deren Bau sich oft sowohl von dem der männlichen wie der fruchtbaren weiblichen Tiere unterscheidet. Doch diese will ich im nächsten Kapitel behandeln. Die elektrischen Organe der Fische stellen einen zweiten besonders schwierigen Fall dar; denn es läßt sich durchaus nicht begreifen, auf welchem Wege diese wunderbaren Organe geschaffen sein können. Aber das überrascht nicht, denn wir wissen sogar nicht einmal, wozu sie gebraucht werden. Beim Zitteraal und Zitterrochen dienen sie zweifellos als mächtige Verteidigungsmittel, vielleicht auch um die Erlangung der Beute zu erleichtern. Beim Rochen jedoch zeigt, wie Matteucci beobachtet hat, ein ähnliches Organ im Schwanz nur geringe Elektricität, sogar wenn das Tier sehr gereizt wird, so geringe, daß sie für die oben angegebenen Zwecke kaum von irgendeinem Nutzen sein kann. Außerdem besitzt der Roche, wie Dr. N. M'Donnell gezeigt hat, neben dem eben erwähnten Organ noch ein zweites nahe am Kopf, das nicht als elektrisch bekannt ist, in der That aber der elektrischen Batterie des Zitterrochens zu entsprechen scheint. Es wird im allgemeinen zugegeben, daß zwischen diesen Organen und dem gewöhnlichen Muskel in den Einzelheiten des Baus, in der Verteilung der Nerven und in der Art, wie mannigfache Einflüsse auf sie wirken, eine genaue Entsprechung besteht. Es müßte auch besonders bemerkt werden, daß die Muskelzusammenziehung von einer elektrischen Entladung begleitet wird, und, wie Dr. Radcliffe betont, »scheint in der elektrischen Vorrichtung des Zitterrochens während der Ruhe eine Ladung vorhanden zu sein, die in jeder Hinsicht der Ladung gleicht, die man im Muskel und Nerven während der Ruhe antrifft, und die Entladung des Zitterrochens kann, anstatt etwas Besonderes zu sein, nur eine andere Form der Entladung darstellen, die die Thätigkeit des Muskels und der Bewegungsnerven begleitet.« Weiter kommen wir bisher mit unserer Erklärung noch nicht, aber da wir so wenig vom Nutzen dieser Organe wissen und gar nichts von den Gewohnheiten und dem Bau der ersten Vorfahren der jetzt vorhandenen elektrischen Fische, so wäre es äußerst kühn zu behaupten, daß nicht nützliche Übergänge möglich sind, durch die sich diese Organe allmählich entwickelt haben können.

Diese Organe scheinen auf den ersten Blick eine andere und weit ernstere Schwierigkeit zu bieten. Sie finden sich nämlich in ungefähr einem Dutzend Fischarten, von denen mehrere nur sehr entfernt miteinander verwandt sind. Wenn dasselbe Organ bei mehreren Mitgliedern einer Klasse gefunden wird, besonders bei solchen, die sehr verschiedene Lebensgewohnheiten haben, so können wir sein Vorhandensein im allgemeinen der Ererbung von einer gemeinsamen Urform, sein Fehlen bei einigen Mitgliedern dem Verlust durch den Zuchtgebrauch oder die Naturauslese zuschreiben. Wären also die elektrischen Organe von einer alten Urform vererbt worden, so hätten wir erwarten dürfen, daß alle elektrischen Fische zu verwandten Arten gehören; aber das ist keineswegs der Fall. Auch die Geologie führt uns durchaus nicht zu der Ansicht, daß die meisten Fische früher elektrische Organe besessen haben, die ihre umgemodelten Nachkommen jetzt verloren haben. Aber wenn wir den Gegenstand etwas genauer betrachten, so finden wir, daß die elektrischen Organe bei den damit versehenen Fischen in verschiedenen Körperteilen liegen, daß sie in ihrer Bildung, in der Anordnung der Plättchen und nach Pacini in dem Vorgang oder den Mitteln, durch die die Elektricität erregt wird, und schließlich darin voneinander abweichen, daß sie mit Nerven versehen sind, die von verschiedenen Stellen herkommen. Und das ist vielleicht der allerwichtigste Unterschied. Daher können die elektrischen Organe, mit denen die verschiedenen Fische versehen sind, nicht als gleichartig, sondern nur als ähnlich in ihrer Thätigkeit betrachtet werden. Folglich hat man keinen Grund, vorauszusetzen, daß sie von einer gemeinsamen Urform ererbt worden sind. Denn wäre dies der Fall gewesen, so würden sie einander in jeder Hinsicht genau gleichen. So verschwindet die Schwierigkeit, daß ein anscheinend gleiches Organ in mehreren nur entfernt verwandten Arten auftritt, und läßt uns eine geringere, aber doch noch große Schwierigkeit zurück, nämlich zu erklären, in welcher Stufenfolge sich diese Organe in jeder besondern Gruppe von Fischen entwickelt haben.

Die leuchtenden Organe, die bei einigen zu ganz verschiedenen Familien gehörigen Kerbtieren vorkommen und in verschiedenen Körperteilen liegen, bieten bei dem gegenwärtigen Stande von Unkenntnis eine Schwierigkeit, die der vorher erwähnten fast genau gleich ist. Man könnte andere ähnliche Fälle beibringen. Unter den Pflanzen z. B. ist das sonderbare Hilfsmittel einer Masse von Blütenstaubkörnern, die von einem Stiel mit klebriger Drüse getragen wird, anscheinend dasselbe beim Knabenkraut und bei der Seidenpflanze, zwei Gattungen, die beinahe so entfernt voneinander sind, wie es unter den blühenden Pflanzen möglich ist. Aber hier sind die Teile wieder nicht entsprechend. Bei allen auf der Stufenleiter der Organisation weit voneinander entfernten Wesen, die mit gleichen und eigenartigen Organen versehen sind, wird man finden, daß, obgleich das allgemeine Aussehen und die Thätigkeit der Organe gleich sein mag, doch immer Grundverschiedenheiten zwischen ihnen entdeckt werden können. So scheinen z. B. die Augen der Kopffüßer oder Tintenfische und die der Wirbeltiere einander wunderbar ähnlich; und in so weit getrennten Gruppen kann diese Ähnlichkeit in nichts die Folge der Ererbung von einer gemeinsamen Urform sein. Mivart hat diesen Fall als einen besonders schwierigen hervorgehoben; aber ich bin außer Stande, seine Gründe für zwingend anzusehen. Jedes Sehwerkzeug muß aus durchsichtigem Gewebe gebildet sein und irgend eine Art Linse einschließen, die ein Bild auf die Rückwand einer dunkeln Kammer werfen soll. Über diese oberflächliche Ähnlichkeit hinaus giebt es kaum irgend eine wirkliche Gleichheit zwischen den Augen der Tintenfische und der Wirbeltiere, wie man sehen kann, wenn man Hensens bewundernswerte Abhandlung über diese Organe bei den Kopffüßern zu Rate zieht. Es ist mir hier unmöglich, auf Einzelheiten einzugehen, aber ich will einige Punkte der Verschiedenheit genauer erörtern. Der Krystallkörper bei den höheren Tintenfischen besteht aus zwei wie zwei Linsen hintereinander gelagerten Teilen. Beide haben einen ganz anderen Bau und eine ganz andere Lage, als sie bei den Wirbeltieren vorkommt. Die Netzhaut ist ganz verschieden, ihre Grundbestandteile sind in der That umgekehrt und sie besitzt einen großen Nervenknoten, der in die Augenhäute eingeschlossen ist. Die Beziehungen der Muskeln sind so verschieden, wie man sich nur denken kann, und ebenso steht es mit anderen Punkten. Daher ist es keine geringe Schwierigkeit, zu entscheiden, wie weit man auch nur dieselben Ausdrücke anwenden darf, wenn man die Augen der Kopffüßer und die der Wirbeltiere beschreibt. Es steht natürlich jedem frei, zu leugnen, daß das Auge sich in irgendeinem Fall durch die Naturauslese vermittelst aufeinanderfolgender geringfügiger Abänderungen entwickelt haben könnte. Aber wenn man es in einem Fall zugiebt, ist es selbstverständlich in einem andern möglich, und Grundverschiedenheiten des Baus der Gehwerkzeuge zweier Gruppen hätten in Übereinstimmung mit dieser Ansicht von ihrer Bildungsweise vorausgesetzt werden können. Wie zwei Menschen manchmal unabhängig voneinander auf dieselbe Erfindung verfallen, so scheint in den verschiedenen vorerwähnten Fällen die Naturauslese, indem sie zum Besten jedes Wesens arbeitet und aus allen günstigen Abänderungen Nutzen zieht, Organe, die in betreff ihrer Thätigkeit gleich sind, in verschiedenen organischen Wesen hervorgebracht zu haben, die nichts von dem, was in ihrem Körperbau übereinstimmt, der Ererbung von einer gemeinsamen Urform verdanken.

Fritz Müller hat, um die in diesem Bande gezogenen Schlußfolgerungen zu prüfen, mit großer Sorgfalt eine fast gleiche Beweisreihe durchmustert. Mehrere Familien von Krustentieren enthalten einige wenige Arten, die eine Vorrichtung zum Atmen in der Luft besitzen und außerhalb des Wassers leben können. In zwei von diesen Familien, die Müller besonders untersucht hat, und die nahe miteinander verwandt sind, stimmen die Arten sehr eng in allen wichtigen Merkmalen überein, nämlich in ihren Sinneswerkzeugen, ihrem Blutumlaufssystem, in der Lage der Haarbüschel, in ihrem zusammengesetzten Magen und schließlich im ganzen Bau der im Wasser atmenden Kiemen, bis zu den unsichtbar kleinen Häkchen, durch die sie gereinigt werden. Daher hätte man erwarten dürfen, daß bei den wenigen zu diesen beiden Familien gehörigen Arten, die auf dem Lande leben, die gleich wichtige Vorrichtung zum Atmen in der Luft dieselbe sei. Denn warum hätte diese eine Vorrichtung, die zu einem und demselben Zweck geschaffen worden ist, verschieden gemacht werden sollen, während alle anderen wichtigen Organe ganz ähnlich oder, vielmehr gleich sind.

Fritz Müller schließt in Übereinstimmung mit den von mir vorgetragenen Ansichten, daß diese große Ähnlichkeit in so vielen Teilen des Körperbaus durch Ererbung von einer gemeinsamen Urform erklärt werden muß. Aber da die große Mehrheit der Arten in den oben angeführten zwei Familien sowohl wie bei den meisten anderen Krustentieren ihren Gewohnheiten nach zu den Wassertieren gehört, ist es im höchsten Grade unwahrscheinlich, daß ihre gemeinsame Urform zur Luftatmung geeignet gewesen sein sollte. Das veranlaßte Müller, die Atmungsvorrichtung bei den luftatmenden Arten genau zu untersuchen, und er fand, daß sie bei jeder in mehreren wichtigen Punkten von der der andern abwich, z. B. in der Lage der Öffnungen, in der Art, wie sie sich öffnen und schließen, und in mehreren zufälligen Einzelheiten. Nun lassen sich solche Verschiedenheiten verstehen und konnten sogar erwartet werden, wenn man voraussetzt, daß die zu verschiedenen Familien gehörigen Arten langsam sich der Gewohnheit angepaßt haben, immer mehr außerhalb des Wassers zu leben und Luft zu atmen. Denn diese Arten würden, da sie zu getrennten Familien gehörten, sich in einem gewissen Grade unterschieden haben, und gemäß dem Grundgesetz, daß eine jede Abänderung von zwei wirkenden Ursachen, der Natur der Lebensform selbst und der der umgebenden Bedingungen abhängt, würde ihre Veränderlichkeit sicher nicht genau dieselbe gewesen sein. Infolge dessen hätte die Naturauslese auf verschiedene Stoffe oder verschiedene Abänderungen wirken müssen, um in betreff der Thätigkeit zu demselben Ergebnis zu gelangen. Und die auf diese Weise erscheinenden Körperbildungen würden sich fast notwendig unterschieden haben. Wenn man getrennte Schöpfungsakte annimmt, bleibt der ganze Fall unverständlich. Diese Reihe von Beweisgründen scheint auf Fritz Müller großen Eindruck gemacht und ihn veranlaßt zu haben, den von mir in diesem Bande vorgetragenen Ansichten sich anzuschließen.

Ein anderer ausgezeichneter Zoologe, der verstorbene Professor Claparède, hat ebenso geschlossen und ist zu demselben Ergebnis gekommen. Er zeigt, daß es Schmarotzermilben (Acaridae) giebt, die zu verschiedenen Unterfamilien und Familien gehören und mit Haarhäkchen versehen sind. Diese Organe müssen sich bei den einzelnen Familien selbständig entwickelt haben, da sie nicht von einer gemeinsamen Urform stammen können, und sind in verschiedenen Gruppen durch die Ummodelung der Vorderbeine, der Hinterbeine, der maxillae oder Lippen und der Anhänge an der Unterseite des Hinterteils des Körpers gebildet worden.

In den vorhergehenden Fällen sehen wir, daß bei Wesen, die durchaus nicht oder nur entfernt verwandt sind, durch Organe, die im Aussehen, wenn auch nicht in der Entwicklung ganz gleich sind, derselbe Zweck erreicht und dieselbe Thätigkeit ausgeübt wird. Andererseits ist es eine allgemeine Regel in der Natur, daß derselbe Zweck sogar manchmal bei nahe verwandten Wesen durch die verschiedenartigsten Mittel erreicht wird. Wie verschieden gebaut ist der gefiederte Flügel eines Vogels und der hautbedeckte Flügel einer Fledermaus, und noch verschiedener sind die vier Flügel eines Schmetterlings, die zwei Flügel einer Fliege und die zwei Flügel und Flügeldecken eines Käfers. Zweischalige Muscheln öffnen und schließen sich nur, aber nach was für einer Anzahl von Mustern ist ihr Schloß gebaut, von der langen Reihe der genau ineinandergreifenden Zähne bei einer Nucula bis zu dem einfachen Band einer Miesmuschel. Die Samen werden auf die verschiedenste Weise zerstreut, durch ihre Kleinheit, dadurch daß die Kapsel in eine leichte ballonähnliche Hülle verwandelt wird, daß sie in das Fleisch eingebettet werden, das von den verschiedensten Teilen gebildet und nahrhaft gemacht sowie auffallend gefärbt wird, so daß es die Vögel anzieht und von ihnen gefressen wird, dadurch daß sie allerart Haken und Häkchen und zersägte Grannen haben, so daß sie am Fell der Säugetiere hängen bleiben, und dadurch daß sie mit Flügeln und Federn versehen sind, die ebenso verschieden an Gestalt wie zierlich im Bau sind, so daß sie von jedem Lufthauch fortgetragen werden. Ich will ein zweites Beispiel geben. Denn die Erscheinung, daß derselbe Zweck durch die verschiedensten Mittel erreicht wird, verdient wohl Aufmerksamkeit. Einige Schriftsteller behaupten, daß nur der Abwechselung halber organische Wesen in vielen Arten gebildet werden, beinahe wie Spielzeug in einem Laden. Aber solch eine Ansicht von der Natur ist unglaubwürdig. Bei Pflanzen mit getrennten Geschlechtern und anderen, bei denen, obwohl sie Zwitter sind, der Blütenstaub nicht von selbst auf die Narbe fällt, ist irgendwelche Hilfe für die Befruchtung notwendig. Bei verschiedenen Arten wird dies durch die Blütenstaubkörner bewirkt, die leicht und unzusammenhängend durch bloßen Zufall von dem Winde auf die Narbe geweht werden, und das ist die einfachste Einrichtung, die ausgedacht werden kann. Eine beinahe gleich einfache, aber ganz verschiedene Einrichtung kommt bei manchen Pflanzen vor, bei denen eine symmetrische Blüte einige Tropfen Nektar absondert und folglich von Kerbtieren aufgesucht wird, die den Blütenstaub von den Staubbeuteln zur Narbe tragen.

Nächst diesem einfachen Mittel können wir eine unerschöpfliche Menge von Vorkehrungen betrachten, die alle demselben Zwecke dienen und in wesentlich derselben Weise ausgeführt werden, aber Wandlungen in jedem Teile der Blüte verursachen. Der Nektar kann in mannigfach gestalteten Fruchtböden mit vielfach umgemodelten Staubgefäßen und Stempeln aufbewahrt werden, die zuweilen klappenartige Vorrichtungen bilden und zuweilen infolge ihrer Reizbarkeit und Geschmeidigkeit zu recht vorteilhaften Bewegungen fähig sind. Von einem solchen Körperbau können wir weitergehen, bis wir zu einem Fall von außerordentlicher Anpassung kommen, wie ihn Dr. Krüger kürzlich beim Coryanthum beschrieben hat. Bei diesem Knabenkraut ist der eine Teil des Labellums oder der Unterlippe zu einem großen Eimer ausgeweitet, in den von zwei darüberstehenden absondernden Sporen immerfort Tropfen fast reinen Wassers fallen; wenn der Eimer halb voll ist, so fließt das Wasser durch eine Rinne an der einen Seite ab. Der Grundteil des Labellums steht über dem Eimer und ist zu einer Art Kammer mit zwei seitlichen Eingängen ausgeweitet; diese Kammer hat sonderbare fleischige Rippen. Der geistreichste Mensch hätte, ohne Augenzeuge des Vorganges zu sein, sich niemals vorstellen können, welchem Zwecke diese verschiedenen Teile dienen. Aber Dr. Krüger hat Schwärme großer Hummeln die riesigen Blüten dieses Knabenkrauts aufsuchen sehen, nicht um Nektar zu saugen, sondern um die Rippen in der Kammer oberhalb des Eimers zu zerbeißen. Dabei stießen sie sich häufig in den Eimer, und da ihre Flügel auf diese Weise benetzt waren, so konnten sie nicht fortfliegen, sondern mußten auf dem durch die Rinne gebildeten Gang herauskriechen oder wurden fortgeschwemmt. Dr. Krüger sah einen »beständigen Aufzug« von Bienen, die so aus ihrem unfreiwilligen Bade krochen. Der Gang ist eng und von der Griffelsäule überdacht, so daß eine Biene, indem sie ihren Ausgang erzwingt, ihren Rücken gegen die klebrige Narbe und die klebrigen Drüsen der Blütenstaubmassen reibt. So werden die Blütenstaubmassen auf den Rücken der Biene geklebt, die gerade zuerst durch den Gang einer vor kurzem erschlossenen Blüte kriecht, und so fortgetragen. Dr. Krüger sandte mir eine Blüte in Weingeist mit einer Biene, die er getötet hatte, bevor sie ganz herausgekrochen war, und auf deren Rücken noch die Blütenstaubmasse festsaß. Wenn die mit solchem Vorrat versehene Biene zu einer anderen Blüte oder ein zweites Mal zu derselben Blüte fliegt, von ihren Kameraden in den Eimer gestoßen wird und dann durch den Gang herauskriecht, kommt die Blütenstaubmasse notwendig zuerst mit der klebrigen Narbe in Berührung, bleibt daran sitzen, und die Blüte wird befruchtet. Nun endlich sehen wir den vollen Nutzen jedes Teils der Blüte, der Wasser absondernden Sporen, des Eimers, der halb mit Wasser gefüllt ist, was die Biene am Wegfliegen hindert und sie zwingt, durch die Rinne herauszukriechen und sich gegen die an geeigneter Stelle gelagerten klebrigen Blütenstaubmassen und die klebrige Narbe zu reiben.

Der Bau der Blüte bei einem andern nah verwandten Knabenkraut, dem Catasetum, ist ganz anders, obgleich er demselben Zweck dient, und ist gleich merkwürdig. Die Bienen suchen die Blüten wie die von Coryanthum auf, um die Unterlippe zu zerbeißen. Dabei berühren sie unvermeidlich einen langen spitzauslaufenden, empfindlichen Auswuchs oder das Fühlhorn, wie ich es genannt habe. Dieses überträgt bei der Berührung eine Empfindung oder Erschütterung auf eine gewisse Haut, die sofort zerreißt. Das macht eine Feder frei, durch die die Blütenstaubmasse wie ein Pfeil in gerader Richtung fortgeschossen wird und sich mit ihrem klebrigen Ende auf dem Rücken der Biene festsetzt. Die Blütenstaubmasse der männlichen Pflanze (denn die Geschlechter sind bei diesem Knabenkraut getrennt), wird so zur Blüte der weiblichen Pflanze getragen, wo sie mit der Narbe in Berührung kommt, die klebrig genug ist, um gewisse dehnbare Fäden zu zerreißen; und indem sie den Blütenstaub festhält, wird die Befruchtung bewirkt.

Bei den zuletzt angeführten und zahlreichen anderen Beispielen ließe sich fragen, wie wir die stufenweis erfolgende Steigerung der Zusammengesetztheit und die vielfachen Mittel zur Erreichung desselben Zwecks verstehen können. Hierauf kann man, wie schon bemerkt, sicher antworten, daß, wenn sich zwei Formen abändern, die sich schon ein wenig von einander unterschieden, die Veränderlichkeit nicht genau von derselben Art sein wird und folglich die durch die Naturauslese erhaltenen Ergebnisse für denselben allgemeinen Zweck nicht dieselben sein werden. Wir sollten auch daran denken, daß jede hoch entwickelte Lebensform viele Wandlungen durchgemacht hat, und daß jede umgemodelte Körperbildung darnach strebt, sich zu vererben, sodaß jede Ummodelung nicht leicht ganz verloren gehen wird, sondern wieder und wieder weiter geändert werden kann. Daher ist die Bildung eines jeden Teils jeder Art, zu welchem Zwecke sie immer dienen mag, die Gesamtheit vieler ererbter Wandlungen, die die Art in ihren aufeinanderfolgenden Anpassungen an umgemodelte Gewohnheiten und Lebensbedingungen durchgemacht hat.

Kurz, obwohl es in vielen Fällen äußerst schwierig ist, die Übergänge, durch die ein Organ seinen gegenwärtigen Zustand erlangt hat, auch nur zu vermuten, bin ich im Hinblick darauf, daß die Zahl der lebenden und bekannten Formen im Verhältnis zu der der ausgestorbenen und unbekannten sehr klein ist, erstaunt gewesen, wie selten man ein Organ nennen kann, zu dem keine uns bekannte Übergangsstufe führt. Es ist richtig, daß neue Organe, die zu einem ganz bestimmten Zweck geschaffen zu sein scheinen, selten oder niemals vorkommen, was aus jenem alten, aber etwas übertriebenen Lehrsatz der Naturgeschichte hervorgeht: »Die Natur macht keine Sprünge«. Wir treffen in den Schriften fast jedes erfahrenen Naturforschers dieses Zugeständnis, das Milne Edwards treffend in die Worte gefaßt hat: Die Natur ist verschwenderisch in der Veränderlichkeit, aber karg in der Neubildung. Warum sollte nach der Lehre von der Schöpfung so viel Veränderlichkeit und so wenig wirkliche Neuheit vorhanden sein? Warum sollten alle Teile und Organe vieler unabhängiger Wesen, wenn man annimmt, daß jedes besonders für seinen eigenen Platz in der Natur geschaffen worden ist, so allgemein durch Abstufungen miteinander verknüpft sein? Warum sollte die Natur nicht einen plötzlichen Sprung von einem Körperbau zum andern machen? Nach der Lehre von der Naturauslese können wir klar einsehen, warum sie es nicht sollte. Denn die Naturauslese wirkt nur, indem sie aus geringfügigen aufeinanderfolgenden Abänderungen Nutzen zieht; sie kann nie einen großen und plötzlichen Sprung machen, sondern muß in kurzen, sicheren, wenn auch langsamen Schritten weitergehen.

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Organe von anscheinend geringer Wichtigkeit, die von der Naturauslese beeinflußt werden.

Da die Naturauslese durch Leben und Tod wirkt, durch das Überleben der tauglichsten und die Vernichtung der weniger tauglichen Geschöpfe, habe ich die Schwierigkeit, den Ursprung oder die Bildung der unwichtigen Körperteile zu verstehen, manchmal ebenso groß, wenn auch ganz andersartig gefunden, wie bei den vollkommensten und zusammengesetztesten Organen.

Erstens wissen wir viel zu wenig von der ganzen Einrichtung irgend eines organischen Wesens, um sagen zu können, welche geringen Ummodelungen von Wichtigkeit sind und welche nicht. In einem früheren Kapitel habe ich Beispiele sehr unbedeutender Merkmale gegeben, wie des Flaums auf der Frucht und der Farbe ihres Fleisches, der Farbe der Haut und des Haares der Vierfüßler, die, weil sie mit Unterschieden der Körperbeschaffenheit in Wechselbeziehung stehen oder die Angriffe der Kerbtiere bestimmen, sicherlich von der Naturauslese beeinflußt werden konnten. Der Schwanz der Giraffe sieht wie eine künstlich gemachte Fliegenklatsche aus, und es scheint auf den ersten Blick unglaublich, daß er durch allmähliche leichte, immer besser geeignete Abänderungen seinem jetzigen Zweck, einem so unbedeutenden wie Fliegen zu verjagen, hätte angepaßt werden können. Wir sollten uns indes besinnen, auch nur in diesem Falle uns zu bestimmt auszusprechen; denn wir wissen, daß in Südamerika die Verteilung und das Leben des Rindviehs und anderer Tiere durchaus davon abhängt, ob sie fähig sind, den Angriffen der Kerbtiere zu widerstehen. So würden Geschöpfe, die sich irgendwie gegen diese kleinen Feinde zu verteidigen vermögen, sich auf neue Weiden verbreiten und so einen großen Vorteil erringen können. Die großen Vierfüßler werden (außer in einigen seltenen Fällen) durch Fliegen nicht etwa wirklich vernichtet, aber unaufhörlich gequält, und ihre Kraft wird vermindert, so daß sie Krankheiten mehr unterworfen oder nicht mehr so gut imstande sind, bei kommender Dürre Nahrung aufzusuchen oder den Raubtieren zu entgehen.

Organe, die jetzt ohne Bedeutung sind, haben wahrscheinlich in manchen Fällen für eine frühe Urform hohe Wichtigkeit gehabt und sind, nachdem sie in einem früheren Zeitraum langsam vervollkommnet worden, den jetzt lebenden Arten beinahe in demselben Zustande überliefert worden, obgleich sie jetzt von sehr geringem Nutzen sind. Wirklich schädliche Abweichungen in ihrem Bau wären aber sicher von der Naturauslese verhindert worden. Da der Schwanz bei den meisten Wassertieren ein so wichtiges Bewegungsorgan ist, kann sein allgemeines Vorkommen und der Gebrauch für viele Zwecke bei so vielen Landtieren, die durch ihre Lungen oder umgemodelten Schwimmblasen ihre Herkunft aus dem Wasser verraten, vielleicht auf diese Weise erklärt werden. Ein gut entwickelter Schwanz, der sich bei einem Wassertier gebildet hatte, konnte später allen möglichen Zwecken dienen, als Fliegenklatsche, als Greifwerkzeug, als Hilfsmittel zum Wenden, wie beim Hund, wenn auch die Hilfe hierbei gering sein muß, da sich der Hase, der fast keinen Schwanz hat, noch schneller drehen kann.

Zweitens können wir uns leicht irren, wenn wir gewissen Merkmalen eine große Bedeutung beilegen und glauben, daß sie durch die Naturauslese entwickelt worden sind. Wir dürfen durchaus nicht die endgiltige Wirkung verschiedener anderer Ursachen außer Acht lassen. Diese Ursachen sind die umgemodelten Lebensbedingungen, die sogenannten von selbst geschehenden Abänderungen, die, wie es scheint, nur in einem ganz untergeordneten Grade von der Natur der Bedingungen abhängen, die Neigung zum Wiederauftreten lange verlorener Merkmale, die verwickelten Wachstumsgesetze, z. B. das der Wechselbeziehung, des Ausgleichs, des Drucks eines Teils auf den andern u. s. w., und schließlich die Geschlechtsauslese, durch die oft Merkmale gewonnen werden, die für das eine Geschlecht von Nutzen sind, und dann mehr oder weniger vollständig auf das andere Geschlecht übertragen werden, obgleich sie für dies nutzlos sind. Aber ein auf solchem Umwege erlangter Körperbau kann, obwohl er zuerst für die Art nicht von Vorteil war, später unter neuen Lebensbedingungen und neu angenommenen Gewohnheiten für die umgemodelten Nachkommen der Art vorteilhaft geworden sein.

Hätte es nur grüne Spechte gegeben, und wüßten wir nicht, daß auch viele schwarze und bunte Sorten vorkommen, so hätten wir – das wage ich zu behaupten – die grüne Farbe für eine vorzügliche Anpassung gehalten, um den auf den Bäumen wohnenden Vogel vor seinen Feinden zu verbergen, und infolge dessen in ihr ein wichtiges, durch die Naturauslese erworbenes Merkmal gesehen. Wie die Sache wirklich steht, ist die Farbe wahrscheinlich hauptsächlich von der Geschlechtsauslese beeinflußt worden. Eine Schlingpalme im malayischen Inselmeer erklimmt vermittelst ganz besonders eingerichteter Ranken, die büschelartig an den Enden der Zweige sitzen, die höchsten Bäume, und dies Hilfsmittel ist für die Pflanze zweifellos von größtem Nutzen. Aber da wir fast die gleichen Ranken bei vielen nicht kletternden Bäumen sehen, bei denen sie, wie wir nach der Verteilung der stacheltragenden Arten in Afrika und Südamerika anzunehmen Ursache haben, zum Schutz vor abweidenden Vierfüßlern dienen, so mögen sie bei der Palme zuerst zu diesem Zwecke sich entwickelt und sich nachher verbessert haben und der Pflanze auch nützlich geworden sein, als sie eine weitere Ummodelung erfuhr und eine Kletterpflanze wurde. Die nackte Kopfhaut des Geiers wird gewöhnlich als eine unmittelbare Anpassung seiner Gewohnheit, in dem Aas zu wühlen, angesehen. Das ist möglich, vielleicht kann das Aas auch unmittelbar die Nacktheit veranlassen. Aber wir sollten vorsichtig sein, diesen Schluß zu ziehen, da der Truthahn, der von frischer Nahrung lebt, ebenso nackt ist. Man hat die Nähte in den Schädeln der jüngeren Säugetiere als eine vorzügliche Anpassung zur Unterstützung des Gebärens angeführt, und zweifellos erleichtern sie diesen Vorgang, und sind bei ihm vielleicht unentbehrlich. Da aber Nähte auch in den Schädeln der jungen Vögel und Kriechtiere vorkommen, die nur aus einem zerbrochenen Ei zu schlüpfen brauchen, so können wir schließen, daß diese Bildung von den Wachstumsgesetzen bewirkt worden ist, und erst dann die höheren Tiere beim Gebären daraus Nutzen gezogen haben.

Ganz und gar unbekannt ist uns die Ursache der leichten Abänderungen oder leichten Verschiedenheiten der Einzelwesen. Und wir werden uns dessen unmittelbar bewußt, wenn wir auf die Verschiedenheiten in den Rassen unserer Haustiere in verschiedenen Ländern hinblicken, besonders in weniger civilisierten Ländern, wo eine nur wenig planmäßige Auslese stattfindet. Tiere, die von Wilden gehalten werden, haben in verschiedenen Ländern oft um ihren Unterhalt zu kämpfen und sind in gewissem Grade der Naturauslese ausgesetzt; und Geschöpfe mit etwas verschiedener Körperbildung würden am besten unter verschiedenen Himmelsstrichen gedeihen. Die Fähigkeit des Rindviehs, die Angriffe der Fliegen auszuhalten, steht ebenso wie die Gefahr, von gewissen Pflanzen vergiftet zu werden, in Beziehung zu ihrer Farbe, so daß sogar die Farbe der Wirksamkeit der Naturauslese unterworfen wäre. Einige Beobachter sind davon überzeugt, daß ein feuchtes Klima das Wachstum des Haares beeinflußt, und daß eine Wechselbeziehung zwischen dem Haar und den Hörnern vorhanden sei. Bergrassen unterscheiden sich immer von Tieflandrassen. Die bergige Natur eines Landes würde wahrscheinlich auf die hinteren Gliedmaßen, die mehr zur Verwendung kommen, und vielleicht sogar auf die Form des Beckens von Einfluß sein. Und darauf würde nach dem Gesetz der entsprechenden Abänderung dieser Einfluß sich auf die vorderen Gliedmaßen und den Kopf ausdehnen. Auch könnte die Gestalt des Beckens infolge von Druck auf die Gestalt gewisser Teile der Jungen im Mutterleibe einwirken. Das mühsame Atmen, das in Gebirgsgegenden nötig ist, wirkt, wie wir guten Grund haben anzunehmen, darauf hin, die Brust zu erweitern, und dann wird wieder das Gesetz der Wechselbeziehung in Kraft treten. Die Wirkung, welche verringerte Körperbewegung in Verbindung mit weichlicher Nahrung auf den ganzen Körperbau ausübt, ist wahrscheinlich noch größer; und sie ist, wie H. von Nathusius kürzlich in seiner vorzüglichen Abhandlung gezeigt hat, offenbar eine Hauptursache der großen Ummodelung, die die Schweinerassen erfahren haben. Aber unsere Kenntnis ist viel zu gering, um Betrachtungen über das Verhältnis der Wichtigkeit der einzelnen bekannten und unbekannten Gründe der Abänderung anzustellen. Die vorstehenden Bemerkungen sollten nur zeigen, daß, wenn wir die kennzeichnenden Verschiedenheiten zwischen unseren einzelnen Hausrassen nicht erklären können, obwohl diese nach allgemeiner Übereinstimmung von einer oder einigen wenigen Elternstämmen herkommen, wir nicht zu viel Gewicht darauf legen sollten, daß wir die genaue Ursache der kleinen ähnlichen Verschiedenheiten zwischen wirklichen Arten nicht angeben können.

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Wie weit ist die Lehre von der Nützlichkeit richtig? Wie wird die Schönheit erworben?

Die letzten Bemerkungen veranlassen mich, einige wenige Worte über den Einspruch zu sagen, den kürzlich mehrere Naturforscher gegen die Nützlichkeitslehre erhoben haben, nach der jede Einzelheit des Körperbaus dem Besten des Wesens dient. Sie nehmen an, daß häufig Körperteile der Schönheit halber, zum Entzücken des Menschen oder des Schöpfers (dies letztere hat mit wissenschaftlicher Erörterung nichts zu thun) oder der bloßen Mannigfaltigkeit halber geschaffen sind. Diese letztere Ansicht ist schon erörtert worden. Wären solche Lehren richtig, so würden sie die meinen gänzlich erschüttern. Ich gebe gern zu, daß viele Körperteile für die Wesen, die sie besitzen, jetzt nicht unmittelbar von Nutzen sind und vielleicht niemals für ihre Vorgänger von Nutzen gewesen sein mögen. Das beweist aber nicht, daß sie nur der Schönheit oder der Mannigfaltigkeit halber gebildet worden sind. Sicherlich haben die endgiltige Wirkung der umgewandelten Bedingungen und die mannigfachen Ursachen der Ummodelungen, die ich letzthin einzeln angeführt habe, wahrscheinlich eine große Wirkung unabhängig von irgendeinem dadurch gewonnenen Nutzen hervorgebracht. Aber noch wichtiger ist die Erwägung, daß die Körperbildung jedes lebenden Geschöpfes der Hauptsache nach von der Vererbung herstammt. Folglich haben, obgleich jedes Wesen sicherlich für seinen Platz in der Natur gut paßt, viele Körperteile jetzt keine sehr nahe oder unmittelbare Beziehung zu jetzigen Lebensgewohnheiten. So können wir schwerlich glauben, daß die Schwimmfüße der Landgänse oder des Fregattvogels für diese Vögel von besonderm Nutzen sind. Wir können nicht glauben, daß die gleichen Knochen im Arme des Affen, im Vorderbein des Pferdes, im Flügel der Fledermaus und im Flossenfuß des Seehundes von besonderm Nutzen für diese Tiere sind. Wir können diese Körperteile sicher der Vererbung zuschreiben. Aber Schwimmfüße waren zweifellos den ersten Vorfahren der Landgänse und des Fregattenvogels ebenso nützlich, als sie es jetzt den meisten lebenden Wasservögeln sind. So können wir glauben, daß der Urahn des Seehundes keinen Flossenfuß hatte, sondern einen Fuß mit fünf Zehen, der zum Gehen und Greifen geeignet war. Und ferner können wir es wagen, anzunehmen, daß die verschiedenen Knochen in den Gliedmaßen des Affen, des Pferdes und der Fledermaus ursprünglich nach dem Grundgesetz der Nützlichkeit entwickelt worden sind, wahrscheinlich durch die Beschränkung zahlreicher Knochen in der Floßfeder irgend eines alten fischähnlichen Urahns der ganzen Klasse. Es ist kaum möglich zu entscheiden, wie hoch solche Ursachen der Ummodelung, wie die endgiltige Wirksamkeit der äußeren Bedingungen, die sogenannten von selbst geschehenden Abänderungen und die verwickelten Wachstumsgesetze in Anschlag zu bringen sind. Aber abgesehen von diesen wichtigen Ausnahmen können wir schließen, daß der Körperbau jedes lebenden Wesens entweder jetzt von irgend welchem unmittelbaren oder mittelbaren Nutzen für dieses ist, oder es früher war.

In Bezug auf die Annahme, daß organische Wesen zum Entzücken des Menschen schön geschaffen worden seien – eine Annahme, die, wie angeführt, meine ganze Lehre umstoßen würde – möchte ich zuerst bemerken, daß der Sinn für Schönheit sichtlich von der Geistesbeschaffenheit abhängt und nichts mit einer dem bewunderten Gegenstande innewohnenden Eigenschaft zu thun hat, und daß die Vorstellung von dem, was schön ist, nicht angeboren oder unveränderlich ist. Dies sehen wir z. B. bei den Menschen der verschiedenen Rassen, die die Schönheit bei ihren Frauen nach ganz verschiedenem Maßstab beurteilen. Wenn schöne Gegenstände nur zur Befriedigung des Menschen geschaffen worden wären, müßte gezeigt werden, daß, ehe der Mensch erschien, weniger Schönheit auf der Erdoberfläche vorhanden war, als seitdem er auf den Schauplatz getreten ist. Wurden die schönen Schnecken- und Kegel-Muscheln der Eocänzeit und die zierlich gemeißelten Ammoniten der Sekundärzeit geschaffen, damit der Mensch sie nach Jahrtausenden in seiner Sammlung bewundern könnte? Wenige Dinge sind schöner als die winzigen Kieselpanzer der Diatomaceen. Wurden diese geschaffen, damit sie von den höheren Kräften des Mikroskops geprüft und bewundert werden könnten? Die Schönheit in diesem letzteren Falle und in vielen anderen ist anscheinend ganz eine Folge der gleichmäßigen Verteilung des Wachstums. Blüten werden zu den schönsten Naturerzeugnissen gezählt. Aber sie sind im Gegensatz zu den grünen Blättern sichtbar und folglich zu gleicher Zeit schön geworden, damit sie leichter von den Kerbtieren bemerkt werden könnten. Ich bin zu diesem Schluß gekommen, weil ich als unveränderliche Regel gefunden habe, daß, wenn eine Blüte durch den Wind befruchtet wird, sie nie eine heiter gefärbte Blumenkrone hat. Mehrere Pflanzen bringen gewohnheitsmäßig zwei Arten Blüten hervor, von denen die eine Art offen und so gefärbt ist, daß sie Kerbtiere anzieht, die andere geschlossen, nicht gefärbt ist, des Nektars entbehrt und nie von Kerbtieren aufgesucht wird. Daraus können wir schließen, daß, wenn sich Kerbtiere auf der Erdoberfläche nicht entwickelt hätten, unsere Pflanzen nicht mit schönen Blüten geziert worden wären, sondern nur so armselige Blüten hervorgebracht hätten, wie wir sie auf unseren Tannen-, Eichen-, Nuß- und Eschenbäumen, an Gräsern, Spinat, Ampfer und Nesseln sehen, die alle mit Hilfe des Windes befruchtet werden. Eine ähnliche Schlußreihe bestätigt sich bei den Früchten. Daß eine reife Erdbeere oder Kirsche ebenso gefällig für das Auge wie für den Gaumen ist, daß die heiter gefärbte Frucht des Spindelbaums und die Scharlachbeere der Stechpalme schön sind, wird jedermann zugeben. Aber diese Schönheit dient nur als Führerin für Vögel und andere Tiere, damit die Frucht verzehrt und die verarbeiteten Samenkörner ausgestreut werden können. Daß dies der Fall ist, schließe ich daraus, daß ich bis jetzt keine Ausnahme von der Regel gefunden habe, daß Samen immer so ausgestreut werden, wenn sie in eine Frucht von irgend welcher Art, d. h. in eine fleischige Umhüllung, eingebettet werden, die irgendwie glänzend gefärbt oder durch weiße oder schwarze Farbe auffallend ist.

Andererseits gebe ich gern zu, daß eine große Zahl männlicher Tiere, wie unsere prächtigsten Vögel, einige Fische, Kriechtiere und Säugetiere, sowie ein Schwarm von prächtig gefärbten Schmetterlingen nur um der Schönheit willen schön geworden sind. Aber das hat die Geschlechtsauslese bewirkt, da die schönsten Männchen von den Weibchen immer bevorzugt worden sind. Das Entzücken des Menschen ist dabei nicht berücksichtigt worden. Ebenso steht es mit dem Gesang der Vögel. Wir können aus alledem schließen, daß ein fast gleicher Geschmack an schönen Farben und musikalischen Tönen einen großen Teil des Tierreichs beherrscht. Wenn das Weibchen ebenso schön gefärbt ist wie das Männchen, was bei Vögeln und Schmetterlingen nicht selten der Fall ist, so liegt der Grund offenbar darin, daß die durch die Geschlechtsauslese erlangten Farben anstatt auf die Männchen allein, auf beide Geschlechter vererbt worden sind. Wie der Sinn für Schönheit in seiner einfachsten Form, d. h. die Empfindung einer besonderen Art von Vergnügen an gewissen Farben, Formen und Tönen, im Geiste des Menschen und der niederen Tiere sich zuerst entwickelt hat, ist sehr dunkel. Dieselbe Schwierigkeit zeigt sich bei der Frage nach dem Behagen, das ein gewisser Geschmack oder Geruch, nach dem Mißbehagen, das ein anderer bereitet. Hier scheint überall die Gewohnheit in gewissem Grade eine Rolle zu spielen. Aber eine Grundursache muß in der Bildung des Nervensystems einer jeden Art liegen.

Die Naturauslese kann unmöglich eine Ummodelung in einer Art ausschließlich zum Besten einer anderen Art hervorbringen, wenn auch in der ganzen Natur eine Art ohne Unterlaß aus dem Körperbau anderer Vorteil zieht und Gewinn davon hat. Aber die Naturauslese kann Körperteile hervorbringen, die unmittelbar anderen Tieren schaden, und sie thut es oft, wie man an dem Giftzahn der Viper und der Legröhre der Schlupfwespe sieht, durch die sie ihre Eier im lebenden Körper anderer Kerbtiere niederlegt. Wenn man beweisen könnte, daß irgendein Körperteil irgendeiner Art ausschließlich zum Besten einer anderen Art gebildet worden ist, so wäre meine Lehre erschüttert; denn ein solcher könnte nicht durch die Naturauslese erschaffen worden sein. Obwohl man in Werken über Naturgeschichte viele derartige Berichte liest, so kann ich doch keinen einzigen finden, der meines Erachtens irgendwelches Gewicht hat. Es wird zugegeben, daß die Klapperschlange einen Giftzahn zu ihrer eigenen Verteidigung und zur Vernichtung ihrer Beute besitzt; aber mehrere Schriftsteller nehmen an, daß sie gleichzeitig zu ihrem eigenen Schaden mit einer Klapper versehen ist, nämlich um die Beute zu warnen. Ich würde beinahe ebenso leicht glauben, daß die Katze, wenn sie sich zum Sprunge anschickt, das Ende ihres Schwanzes zusammenrollt, um die Maus zu warnen, auf die sie es abgesehen hat. Weit mehr Wahrscheinlichkeit hat die Ansicht, daß die Klapperschlange ihre Klapper benutzt, die Brillenschlange ihre Rippenscheibe ausdehnt und die Puffotter, während sie laut und grimmig zischt, sich aufbläht, um die vielen Vögel und Vierfüßler zu erschrecken, die, wie man weiß, sogar die giftigsten Arten angreifen. Schlangen handeln nach demselben Grundsatz, der die Henne ihre Federn sträuben und ihre Flügel ausbreiten läßt, wenn sich ein Hund ihren Küchlein nähert. Aber es fehlt mir hier an Raum, mich darüber zu verbreiten, in wie mannigfacher Art die Tiere sich bemühen, ihre Feinde zu verscheuchen.

Die Naturauslese wird nie in einem Wesen eine Bildung hervorbringen, die diesem Wesen mehr schadet als nützt, denn sie wirkt nur durch und für das Beste eines jeden. Kein Organ wird gebildet werden, wie Paley bemerkt hat, zu dem Zwecke, seinem Besitzer Schmerzen zu verursachen oder ihm Schaden zuzufügen. Wenn man über den Nutzen und den Schaden, der von jedem Körperteil verursacht wird, einen richtigen Überschlag macht, wird man finden, daß jeder im ganzen nützlich ist. Wenn im Verlaufe der Zeit unter sich wandelnden Lebensbedingungen irgendein Teil schädlich wird, wird er umgemodelt werden, oder, wenn das nicht geschieht, wird das Wesen vernichtet werden, wie unzählige Tausende vernichtet worden sind.

Die Naturauslese trachtet nur darnach, jedes Wesen so vollkommen oder ein wenig vollkommener zu machen, als die anderen Bewohner desselben Landes, mit denen es in Wettbewerb tritt. Wir sehen, daß dies der Maßstab der im Naturzustande erreichten Vollkommenheit ist. Die einheimischen Erzeugnisse von Neu-Seeland sind z. B. vollkommen, wenn man sie mit einander vergleicht; aber sie weichen jetzt schnell vor den vorrückenden Scharen der aus Europa eingeführten Pflanzen und Tiere. Die Naturauslese wird keine unbedingte Vollkommenheit hervorbringen; auch treffen wir, soweit wir urteilen können, nirgends auf dieses hohe Maß von Vollkommenheit im Naturzustande. Die Berichtigung für die Abirrung der Lichtstrahlen ist, wie Müller sagt, nicht einmal in dem vollkommensten Organ, dem menschlichen Auge, vollkommen. Helmholtz, dessen Urteil niemand bestreiten wird, fügt, nachdem er das wunderbare Vermögen des menschlichen Auges in den stärksten Ausdrücken beschrieben hat, die bemerkenswerten Worte hinzu: »Was wir in Hinsicht der Ungenauigkeit und Unvollkommenheit der optischen Maschine und des Bildes auf der Netzhaut entdeckt haben, ist nichts im Vergleich mit dem Mangel an Übereinstimmung, dem wir eben im Gebiet der Sinnesempfindungen auf die Spur gekommen sind. Man möchte sagen, daß die Natur ein Vergnügen darin gefunden hat, Widersprüche zu häufen, um der Lehre von einer vorher bestehenden Übereinstimmung der äußeren und inneren Welt den Boden zu entziehen.« Wenn unsere Vernunft uns dazu führt, eine Menge unnachahmlicher Einrichtungen in der Natur mit Begeisterung zu bewundern, so sagt uns dieselbe Vernunft, wenn wir auch auf beiden Seiten leicht irren können, daß einige andere Einrichtungen weniger vollkommen sind. Können wir den Stachel der Biene als vollkommen betrachten, der, wenn er gegen viele Arten Feinde gebraucht wird, infolge der Widerhäkchen nicht zurückgezogen werden kann und so unausbleiblich den Tod des Tieres verursacht, indem er dessen Eingeweide herausreißt?

Nehmen wir an, daß der Stachel der Biene bei einem fernen Vorfahren als ein bohrendes und gezähntes Werkzeug vorhanden war, wie es sich bei so vielen Mitgliedern derselben großen Ordnung findet, und daß er seitdem umgemodelt, aber nicht für seinen gegenwärtigen Zweck vervollkommnet worden, daß das ursprünglich einem andern Zweck, wie z. B. dem, Galle zu erzeugen, angepaßte Gift seitdem verstärkt worden, so können wir vielleicht verstehen, wie es kommt, daß der Gebrauch des Stachels so oft den Tod des Tieres verursacht. Denn, wenn im ganzen genommen das Vermögen zu stechen der Gemeinschaft nützlich ist, erfüllt es alle Erfordernisse der Naturauslese, wenn es auch den Tod einiger weniger Mitglieder veranlassen mag. Wenn wir das wirklich wunderbare Geruchsvermögen bewundern, durch das die Männchen vieler Insekten ihre Weibchen finden, können wir die einzig zu diesem Zweck erfolgende Erzeugung Tausender von Drohnen bewundern, die zu irgendeinem anderen Zweck für die Gemeinschaft völlig nutzlos sind und schließlich von ihren arbeitsamen und unfruchtbaren Schwestern erschlagen werden? Es mag schwer sein, aber wir sollten den wilden vom Naturtrieb eingegebenen Haß der Bienenkönigin bewundern, der sie drängt, die jungen Königinnen, ihre Töchter, sobald sie geboren sind, zu vernichten oder selbst in dem Kampfe umzukommen. Denn unzweifelhaft geschieht das zum Besten der Gemeinschaft, und mütterliche Liebe oder mütterlicher Haß, der freilich glücklicherweise höchst selten ist, gilt dem unerbittlichen Gesetz der Naturauslese ganz gleich. Wenn wir die verschiedenen sinnreichen Einrichtungen bewundern, durch welche die Knabenkräuter und viele andere Pflanzen mit Hilfe der Kerbtiere befruchtet werden, können wir dann die Zubereitung dichter Wolken von Blütenstaub bei unseren Föhren, von dem dann einige Körner durch Zufall auf die Samenknospen geweht werden, als ebenso vollkommen betrachten?

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Zusammenfassung: Das Gesetz von der Einheit des Gepräges und den Bedingungen des Daseins ist in der Lehre von der Naturauslese inbegriffen.

Wir haben in diesem Kapitel einige der Schwierigkeiten und Einwürfe erörtert, die gegen die Lehre geltend gemacht werden können. Viele derselben sind ernst; aber ich denke, daß die Erörterung auf mehrere Thatsachen Licht geworfen hat, die bei der Annahme unabhängiger Schöpfungsakte völlig dunkel bleiben. Wir haben gesehen, daß die Arten nicht in jedem Zeitraum unbegrenzt veränderlich und nicht durch eine Menge von Zwischenstufen miteinander verbunden sind, teils weil der Vorgang der Naturauslese immer sehr langsam ist und zu einer Zeit immer nur auf einige Formen wirkt, und teils weil gerade der Vorgang der Naturauslese die unausgesetzte Verdrängung und Vernichtung der vorhergehenden und der Zwischenstufen mit sich bringt. Nahe verwandte Arten, die jetzt auf einem zusammenhängenden Gebiet leben, müssen oft entstanden sein, als das Gebiet nicht zusammenhing, und die Lebensbedingungen sich nicht unmerklich von einem Teil zum andern abstuften. Wenn in zwei Bezirken eines zusammenhängenden Gebietes zwei Spielarten entstehen, wird sich oft eine mittlere Spielart bilden, die für einen mittleren Strich paßt; aber aus den angegebenen Gründen wird die mittlere Spielart in geringerer Anzahl bestehen als die beiden Formen, die sie verbindet. Folglich werden die beiden letzteren während des Verlaufes der ferneren Ummodelung durch ihre größere Anzahl der weniger zahlreichen Zwischenspielart gegenüber sehr im Vorteil sein, und so wird es ihnen gelingen, sie zu verdrängen und auszurotten.

Wir haben in diesem Kapitel gesehen, wie vorsichtig wir mit dem Schlusse sein müssen, daß die verschiedensten Lebensgewohnheiten nicht stufenweise ineinander übergehen könnten, daß z. B. eine Fledermaus durch die Naturauslese nicht aus einem Tier hätte gebildet werden können, daß zuerst nur durch die Luft glitt.

Wir haben gesehen, daß eine Art unter neuen Lebensbedingungen ihre Gewohnheiten ändern oder ganz andere Gewohnheiten annehmen kann, von denen einige denjenigen ihrer nächsten Genossen sehr unähnlich sind. Daher können wir, wenn wir im Auge behalten, daß jedes Wesen zu leben versucht, wo es immer kann, verstehen, wie es kommt, daß man Landgänse mit Schwimmfüßen, am Boden lebende Spechte, Tauchdrosseln und Sturmvögel mit den Gewohnheiten des Alks trifft.

Obwohl die Annahme, daß ein so vollkommenes Organ wie das Auge durch Naturauslese gebildet sein könnte, genügt, um jeden stutzig zu machen, so giebt es doch bei jedem Organ, von dem wir eine lange Reihe Abstufungen der Zusammengesetztheit kennen, die alle für den Besitzer unter sich umwandelnden Lebensbedingungen nützlich sind, keine logische Unmöglichkeit, irgendeinen denkbaren Grad der Vervollkommnung durch Naturauslese zu erwerben. Bei den Fällen, in denen wir nichts von Zwischen- oder Übergangsstufen wissen, sollten wir äußerst vorsichtig mit dem Schlusse sein, daß es keine gegeben habe; denn die Umwandlungen vieler Organe zeigen, was für wunderbare Veränderungen der Thätigkeit wenigstens möglich sind. Eine Schwimmblase ist z. B. offenbar in eine luftatmende Lunge verwandelt worden. Die Übergänge müssen oft dadurch überaus erleichtert worden sein, daß dasselbe Organ gleichzeitig sehr verschiedene Thätigkeiten verrichtet hat und dann zum Teil oder ganz auf eine beschränkt worden ist, und daß zwei getrennte Organe zu gleicher Zeit dieselbe Thätigkeit verrichtet haben, indem das eine vervollkommnet wurde, während ihm das andere half.

Wir haben gesehen, daß bei zwei auf der natürlichen Stufenleiter weit voneinander entfernten Wesen Organe, die demselben Zwecke dienen und dem äußern Anschein nach genau gleich sind, voneinander getrennt und unabhängig entstanden sein können. Aber wenn man solche Organe genau prüft, wird man fast immer wesentliche Verschiedenheiten in ihrem Bau entdecken, und das folgt selbstverständlich aus dem Grundgesetz der Naturauslese. Andrerseits ist in der ganzen Natur unendliche Verschiedenheit des Baues zur Erreichung desselben Zwecks die allgemeine Regel, und das folgt wieder selbstverständlich aus demselben großen Grundgesetz.

In manchen Fällen sind wir viel zu unwissend, um behaupten zu können, daß ein Körperteil oder Organ für die Wohlfahrt einer Art so unwichtig ist, daß nicht Ummodelungen in seinem Bau mittels der Naturauslese langsam hätten angehäuft werden können. In vielen anderen Fällen sind Ummodelungen wahrscheinlich das unmittelbare Ergebnis der Gesetze der Abänderung oder des Wachstums, unabhängig von der Frage, ob so irgend etwas Gutes erreicht wird. Aber wir können sicher sein, daß sogar solche Bildungen ausgenutzt und zum Besten der Art unter neuen Lebensbedingungen noch ferner umgemodelt worden sind. Wir können auch annehmen, daß ein Körperteil, der früher von hoher Wichtigkeit war, häufig erhalten blieb (wie der Schwanz eines Wassertieres bei seinen Landnachkommen), obgleich er so unwichtig geworden ist, daß er in seinem gegenwärtigen Zustande nicht mittels der Naturauslese erworben werden könnte.

Die Naturauslese kann nichts bei einer Art ausschließlich zum Nutzen oder Schaden einer anderen hervorbringen, obgleich sie wohl Körperteile, Organe und Ausscheidungen hervorbringen mag, die höchst wichtig oder sogar unentbehrlich oder für eine andere Art wieder höchst schädlich, in allen Fällen aber zugleich für das Geschöpf selbst nützlich sind. In jedem gut besetzten Lande wirkt die Naturauslese durch den Wettbewerb der Bewohner und führt folglich nur in Übereinstimmung mit dem Maßstab dieses besonderen Landes zu Erfolgen in dem Kampf ums Dasein. Daher weichen die Bewohner eines, gewöhnlich des kleineren Landes oft den Bewohnern eines anderen, gewöhnlich des größeren. Denn in dem größeren Lande werden mehr Geschöpfe und mannigfaltigere Formen gelebt haben, und der Wettbewerb wird heftiger und der Maßstab der Vollkommenheit dadurch höher geworden sein. Die Naturauslese wird nicht notwendig zu unbedingter Vollkommenheit führen; auch kann man, soweit wir mit unseren beschränkten Fähigkeiten urteilen können, von unbedingter Vollkommenheit nirgend sprechen.

Auf Grund der Lehre von der Naturauslese können wir die volle Bedeutung jenes alten Satzes der Naturgeschichte: die Natur macht keine Sprünge, klar verstehen. Wenn wir allein auf die jetzigen Bewohner der Welt blicken, ist dieser Satz nicht ganz richtig; schließen wir aber alle die vergangenen Zeiten ein, mögen sie bekannt oder unbekannt sein, so muß er nach dieser Lehre durchaus wahr sein.

Es ist allgemein anerkannt, daß alle organischen Wesen nach zwei großen Gesetzen, dem der Einheit des Gepräges und dem der Bedingungen des Daseins, entstanden sind. Unter Einheit des Gepräges versteht man jene Grundübereinstimmung im Bau, die wir bei organischen Wesen derselben Klasse sehen, und die von ihren Lebensgewohnheiten ganz unabhängig ist. In meiner Lehre wird die Einheit des Gepräges durch die Einheit der Abstammung erklärt. Der Ausdruck »Bedingungen des Daseins«, den der berühmte Cuvier so oft betont, ist in dem Grundgesetz der Naturauslese völlig inbegriffen. Denn die Naturauslese wirkt dadurch, daß sie entweder jetzt die sich abändernden Teile jedes Wesens seinen organischen und unorganischen Lebensbedingungen anpaßt, oder daß sie sie diesen während vergangner Zeitabschnitte angepaßt hat. Die Anpassungen werden in vielen Fällen durch den vermehrten Gebrauch oder Nichtgebrauch der Teile gefördert, durch die unmittelbare Wirkung der äußeren Lebensbedingungen beeinflußt und sind in allen Fällen den verschiedenen Gesetzen des Wachstums und der Abänderung unterworfen. Daher ist in der That das Gesetz der Bedingungen des Daseins das höhere, da es durch die Ererbung früherer Abänderungen und Anpassungen das der Einheit des Gepräges einschließt.

 


 


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