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Noch im Verlaufe des auf das nächtliche Fest folgenden Tages war die Flotte aus dem Hafen von Karthago abgesegelt: waren doch nur noch die zu dem Unternehmen bestimmten Truppen auszuwählen und an Bord zu bringen gewesen.
Am Abend dieses Tages waren Gibamund, Hilde und Verus der Kanzler um Gelimer versammelt in dem großen Waffensaale des Palastes, von dessen hochgewölbten Rundbogen man weit hinaussah in das weite Meer. An dem mit Briefschaften bedeckten Marmortisch stand Gelimer, das Haupt, wie von schwerer Sorge, vornübergebeugt: tiefster Ernst lag auf den edeln Zügen.
»Du hast mich entboten, Freund Verus, mit Gibamund die wichtigen Nachrichten zu vernehmen, die eingelaufen in den wenigen Stunden seit Zazo uns verlassen: es müssen ernste Dinge sein – nach deinen Mienen. Beginne: – ich bin auf alles gefaßt. Ich habe Kraft.« »Du wirst sie brauchen,« erwiderte der Priester tonlos. »Aber soll auch Hilde . . . –?« »O laß mich bleiben, König!« bat diese, sich fest an ihren Gemahl schmiegend. »Ich bin ein Weib: doch ich kann schweigen. Und ich will eure Gefahren kennen, teilen.« Gelimer reichte ihr die Hand: »So bleibe, tapfre Schwägerin! Und trage mit uns, was uns verhängt ist von dem strengen Richter im Himmel.« »Ja,« begann Verus, »es ist nicht anders, als ob der Zorn des Himmels auf dir laste, König Gelimer.«
Dieser zuckte zusammen – er schloß die Augen.
»Kanzler,« fiel Gibamund unwillig ein – »laß doch diese Rede, diesen unseligen Gedanken. Stets drückst du den Dolch dieses Wortes in des besten Mannes Seele. Es ist, als quältest du ihn mit Absicht, als nährtest du diesen Irrwahn.«
»Schweig, Gibamund!« sprach der König, tief aufstöhnend. »Das ist kein Wahn. Es ist die furchtbarste Wahrheit, welche Religion, Gewissen, Weltgeschichte lehren: die Sünde wird gestraft. Und als Verus mein Kanzler ward, blieb er mein Beichtiger. Wer sonst als er, hat Recht und Pflicht, mein Gewissen zu zerknirschen und mit der Mahnung an Gottes Zorn die trotzige Kraft der Seele mir zu brechen?« »Aber du brauchst die Kraft, König der Vandalen,« rief Hilde mit zornig blitzenden Augen, »nicht die Zerknirschung.« Gelimer winkte und Verus begann: »Es ist fast erdrückend. Schlag auf Schlag, sowie die Flotte die Reede verlassen – sowie das letzte Segel aus unsern Augen verschwunden war, kamen die bösen Botschaften. Zuerst von den Westgoten. Gleichzeitig mit der Nachricht aus Sardinien war ein langes, langes Schreiben von König Theudis eingetroffen. Darin war in vielen Worten – aus Hispalis war es abgesandt – nur wiederholt, er müsse noch alles reiflich überlegen, er müsse prüfen, was wir im Kriege leisten können.«
»Von Hispalis aus prüfen!« grollte Gibamund. Aber Verus fuhr fort: »Bald nachdem unsere Flotte ausgelaufen war, gab ein Unbekannter im Palast dies Schreiben ab. Es lautet: ›An König Gelimer König Theudis. Ich schreibe dies im Hafen von Karthago, –‹« »Wie? Unmöglich!« riefen die drei Hörer. »›– den ich sogleich verlasse. Ich wollte mit eignen Augen prüfen. Drei Tage war ich unerkannt in eurer Mitte. Nur Theudigisel, mein tapfrer Feldherr, hatte mich begleitet auf dem Fischerboot, das mich aus Kalpe über die schmale Meerenge herübertrug und wieder in die Heimat führt, wann du dies liesest, Gelimer. – Du bist ein echter König und ein echter Held: ich sah dich heute Nacht den Tiger erlegen. – Aber die Schlange der Entartung wirst du nicht erlegen, die dein Volk umringelt hält. Deine Wachen schlafen, deine Edelinge gehen nackt oder in Weibertracht. Wohl sah ich sie endlich aufflammen: – es ist Strohfeuer! Und wollten sie sich auch ernstlich bessern: – sie könnten nicht in wenigen Wochen heilen, was zwei Menschenalter hindurch faulte. Die Strafe, die Vergeltung unsrer Laster bleibt nicht aus‹« – der König erseufzte tief. – »›Wehe dem, der sein Geschick an euch Versinkende ketten wollte! Nicht Bündnis, aber Zuflucht biete ich dir. Wenn du, nach verlorner Schlacht, nach Hispanien entrinnen kannst – und dazu will ich dir gern die Hand entgegenstrecken – kein Justinian, kein Belisar soll dich bei uns erreichen. Fahre wohl!‹« »Ausflucht der Feigheit,« schalt Gibamund. »Der Mann ist nicht feige,« seufzte Gelimer. »Er ist weise. – Wohlan, so fechten wir allein.«
»Und laden den weisen König Theudis zu Gast zu unserm Siegesfest in diesem Saal!« rief Hilde. »Fordere nicht den Himmel heraus mit eitler Berühmung,« warnte Gelimer. »Aber sei's drum! Mehr als der Westgoten Waffenhilfe ist uns von Wert, daß die Ostgoten wenigstens parteilos bleiben, daß sie Sicilien . . . –« »Sicilien,« unterbrach Verus, »wird, kommt es zum Krieg, die Brücke sein, über welche die Feinde nach Afrika ziehen.« Der König öffnete weit die Augen. Gibamund fuhr auf: aber Hilde rief erbleichend: »Wie? Mein eigen Volk? Die Amalungentochter?« – »Soeben traf dieser Brief der Regentin ein. Cassiodor hat ihn verfaßt: ich würd' es an dem gelehrten Stil erkennen, hätt' er sich auch nicht genannt. Sie schreibt: zu schwach, das Blut ihrer Vatersschwester und vieler tausend Goten zu rächen mit eigner Macht, wird sie mit Freude durch ihren kaiserlichen Freund zu Byzanz vollstreckt sehen die Rache des Himmels.« »Die Rache des Himmels – die Vergeltung,« wiederholte Gelimer tonlos. »Alle, alle stimmen darin zusammen!« »Wie?« rief Gibamund in hellem Zorn. »Ist der gelehrte Cassiodor kindisch geworden? Justinian, der Ränkeschmied, ein Racheengel Gottes! Und vollends sie, jene Teufelin, deren Namen ich vor meinem reinen Weibe gar nicht nenne! Dieses Paar, die Rächer Gottes!« »Das beweist nichts,« fuhr Gelimer, mit sich selber raunend, fort, in Grübeln verloren. »Die Kirchenväter lehren: Gott bedient sich zu seiner Rachethaten gar oft auch böser, sündiger Menschen.« »Ein weises Wort,« sprach, ernst mit dem Haupte nickend, der Priester. Gibamund rief: »Aber ich kann's nicht glauben! Wo steht's?« Er riß dem Kanzler den Brief aus der Hand und durchflog ihn – »Sicilien soll den Byzantinern offen stehen – Justinian, ihr einziger wahrer Freund. Ihr Schirmherr und gnädiger Beschützer!«
»Ah,« rief Hilde schmerzlich, »das schreibt die Tochter des großen Theoderich!« »Aber« – fuhr Gibamund staunend fort – »das von der Rache des Himmels, – das steht ja gar nicht da, – davon ist ja kein Wort . . . –« »Nicht dem Wortlaut, dem Sinne nach,« sprach Verus, nahm ihm das Schreiben wieder ab und barg es in den Brustfalten seines Gewandes.
Der König hatte diese Vorgänge nicht bemerkt. Er war langsam, stockenden Schrittes durch die weite Halle geschritten, mit sich selber redend; nun war er wieder an den Tisch getreten: »Weiter,« sprach er müde. »Es ist wohl noch nicht zu Ende? – Aber es geht zu Ende,« fügte er, den andern unhörbar, bei. »Dein Bote, König, den du nach Tripolis gesendet, Pudentius hierher vor dem Gericht zur Verantwortung zu holen, ist zurück.«
»Seit wann?« – »Seit einer Stunde.« – »Ohne Pudentius?« – »Der weigert den Gehorsam.« – »Wie? Ich gab dem Boten hundert Reiter mit, den Verräter nötigenfalls mit Gewalt herbeizuschaffen.« – »Mit Pfeilschüssen wurden sie von der Mauer herab begrüßt. – Pudentius hat die Thore geschlossen, die Bürger bewaffnet: die Stadt ist von dir abgefallen. Auch die ganze Landschaft, die Tripolitana, hat sich erhoben: sie zählen wohl auf Hilfe von Byzanz. Pudentius rief deinem Boten von der Zinne herab: Nun bricht sie ein, die Nemesis, auf die blutigen Vandalen.«
Der König machte eine Bewegung der Abwehr wie gegen unsichtbar auf ihn eindringende Gewalten.
»Die Nemesis?« rief Gibamund. »Ja, sie soll hereinbrechen auf – den Verräter! Und während solche Gefahr in unsrer Nähe, in Afrika selber droht, schicken wir unsere beste Waffe – die Flotte – und die Blüte unsers Heeres und Zazo, den Helden, nach dem fernen Sardinien aus! Wie konntest du das raten, Verus?« »Bin ich allwissend?« erwiderte dieser achselzuckend. »Ich sagte ja: vor einer Stunde erst kamen die Boten von Tripolis zurück.« »O Bruder, Bruder,« drängte Gibamund, »gieb mir zweitausend Mann: nein! nur tausend Reiter gieb mir: – ich fliege nach Tripolis auf den Flügeln des Sturmwinds und zeige dem Treulosen die Nemesis, wie sie aussieht im vandalischen Drachenhelm.« »Nicht bevor Zazo zurück,« gebot der König, der sich jetzt hoch aufrichtete. »Nicht noch mehr Kräfte zersplittern; Zazo muß umkehren! – Sofort! Es war ein Fehler, – ein schwerer! – ihn zu entsenden. Mich wundert, daß ich es nicht erkannte. Aber dein Rat, Verus . . . – Still! Es ist kein Vorwurf. Doch sogleich muß ein Eilschiff der Flotte nachsetzen, sie zurückrufen.« »Zu spät, mein König!« rief da Gibamund, der an das Bogenfenster geeilt war. »Sieh, das Meer geht hoch und zwar von Norden her! Der Wind ist umgesprungen, seit wir hier eingetreten: der Südost ist vom Nordwind abgelöst. – Kein Schiff holt die Flotte mehr ein, die, von starkem Süd davongerissen, viele Stunden Vorsprung hat.« »O Gott,« seufzte der König, »deine Stürme selbst sind gegen uns. Allein« – und wieder richtete er sich auf – »wer weiß, ob wir nicht ganz irrig die Gefahr so nahe wähnen. Byzanz mag eine kleine Hilfsschar an Sardinien wenden: ob aber Justinian es wirklich wagt, uns hier in Afrika im eigenen Land anzugreifen . . . –« »O daß er es doch wagte!« rief Gibamund. Da eilte ein Priester – es war ein Diakon aus des Verus Basilika – herein und überreichte seinem Gebieter mit demütiger Verbeugung ein gesiegeltes Schreiben. »Diesen Brief, Hochwürdiger,« sagte er, »brachte in diesem Augenblick ein Eilschiff aus Byzanz.« Er neigte sich nochmal und ging.
Bei dem ersten Blick auf die Verschnürung des Papyrus schon fuhr Verus so stark zusammen, daß es allen auffallen mußte als etwas ganz Außerordentliches an dem Manne, der, sonst ein Meister fast übermenschlicher Selbstbeherrschung, nie seine Erregung durch eine Miene, oder gar durch eine heftige Bewegung verriet. »Welch neues Unheil?« rief erschrocken selbst die mutige Hilde. »Es ist das verabredete Zeichen,« sprach Verus, jetzt wieder so eisigkalt auf den Brief starrend, daß der Übergang aus solcher Bestürzung zu solcher Fassung aufs neue befremden mußte. Aber die Anwesenden hatten nicht die Ruhe, sich solchem Staunen lange zu überlassen: – sie warteten ungeduldig, während Verus mit einem scharfen Dolch, den er aus der Brustfalte des weiten Mantels hervorholte, die braunroten Schnüre zerschnitt. Die Stücke samt dem kleinen, zierlichen Wachssiegel, welches sie zusammengehalten hatte, glitten auf den Estrich. Er warf nur einen Blick hinein und reichte sofort – schweigend – das Schreiben Gelimer. Dieser las: »Ihr erhaltet Besuch in Afrika: das Kornschiff ist ausgelaufen. Den Befehl führt der persische Kaufmann.« –
»So war es ausgemacht zwischen mir und meinem Späher in Byzanz: braunrote Schnur bedeutet: der Krieg ist gewiß; ›Besuch‹ ist Landung, ›Kornschiff‹ ist die Kriegsflotte, ›der persische Kaufmann‹ ist – Belisar.« »Ha, das klingt wie Kriegsgesang,« rief Hilde. »Willkommen, Belisar!« sprach Gibamund und griff ans Schwert.
Der König warf den Brief auf den Tisch. Ernst, aber ruhig war sein Blick: »Dies Blatt in meiner Hand, nur einen Tag, nur ein Paar Stunden früher und alles war anders. – Dank dir, Verus, daß du wenigstens heute schon Nachricht erhieltest.«
Fast unmerklich zuckte ein Lächeln – war es Stolz? war es geschmeichelte Eitelkeit? – um die schmalen, blutleeren Lippen des Priesters. »Ich habe alte Beziehungen zu Byzanz; seit diese Gefahr drohte, habe ich sie wieder eifriger gepflegt.« »Wohlan,« sprach der König, »laß sie kommen! Die Entscheidung, die Gewißheit weht mich wohlthuend, erfrischend an nach der langen, schwülen Spannung. Jetzt giebt es Arbeit – kriegerische Arbeit: – die thut mir stets wohl: – sie hält mich ab, zu grübeln, zu denken.« »Ja, laß sie kommen,« rief Gibamund, »wie Räuber brechen sie in unser Land, wie Räubern wollen wir ihnen wehren. Was hat sich der Kaiser zu mischen in der Vandalen Thronfolge? Auf unserer Seite ist das Recht: – auf unserer Seite wird auch Gott sein und der Sieg.« »Ja, das Recht ist auf unserer Seite,« sprach der König. »Das ist mein bester, mein einz'ger Halt, Gott schützt das Recht – er straft das Unrecht: also wird er, muß er mit uns sein.«
Dem Priester schien diese laienhafte Berühmung der eigenen Gerechtigkeit, dieses heldenfreudige Vertrauen durchaus nicht zu gefallen. Mit finster gefurchter Stirn hob er in seiner durchdringend scharfen Stimme an, die Augen wie drohend auf Gelimer gerichtet: »Gerechtigkeit? Wer ist gerecht vor Gott? Der Herr findet Sündenschuld, wo wir keine sehen. Und er straft nicht nur gegenwärtige . . . –«
Der König war bei diesen Worten wieder in sich zusammengesunken: seine Augen verloren den hellen Glanz der Entschlossenheit. Aber Verus konnte nicht vollenden. Lärm erhob sich und das Rufen streitender Stimmen draußen auf dem Gange, der in die Halle führte.