Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Siebzehntes Kapitel.

Draußen, auf dem großen freien Platz des Haines, standen die Gäste Thrasarichs dicht vor dem Amphitheater, das sie soeben verlassen hatten: die meisten in Bewußtsein und Haltung von Kindern, die der Zuchtmeister auf frischer That des Verbotenen ertappt.

Thrasarich war der letzte Rest von Rausch verflogen: »Der König?« sagte er leise vor sich hin. »Der Held! – Ich schäme mich.« Und er schob verlegen an dem Rosenkranz auf seinen zottigen Haaren. Da trat Gundomar trotzig an ihn heran, die Hand am Schwert. »Furcht war dir sonst fremd, Thrasamers Sohn. Jetzt gilt es, dem Tyrannen trotzen. Zeig' ihm die Stirn gleich uns.« Aber Thrasarich erwiderte nichts; er schüttelte nur leise das mächtige Haupt und wiederholte zu Eugenien, die er säuberlich neben sich niedergestellt hatte: »Ich schäme mich vor dem König. Und mein Bruder! Mein armer Bruder.« »Arme Glauke,« seufzte Eugenia. »Aber vielleicht ist sie – zu beneiden.«

Jetzt schmetterten nochmal – schon aus größerer Nähe – die Hörner der vandalischen Reiter: der König, dessen Anritt man auf der pfeilgeraden Legionenstraße deutlich von fernher wahrnahm, sprengte nun auf den Platz, all' den Seinigen weit voran. Nur ein paar Sklaven mit Fackeln hatten ihm zu folgen vermocht; seine Brüder, die erst eine Reiterschar aufgeboten hatten, waren mit derselben noch weiter zurück. Dicht vor Thrasarich und den ihn umgebenden Edelingen riß der König den schnaubenden Falben zurück, daß er hoch bäumte.

»Zuchtlose Männer, ungehorsam Volk der Vandalen!« schalt er in dröhnender Stimme vom Roß herab. »So befolgt ihr eures Königs Gebot? Wollt ihr euch mit Gewalt den Zorn des Himmels auf den Nacken ziehen? – Wer gab das Fest? Wer hat's geleitet?« »Ich gab es, mein König,« sprach Thrasarich, einen Schritt vortretend. »Ich bereue es sehr. – Bestrafe mich. Aber verschone den, der's auf mein Gebot geleitet hat, meinen Bruder – er ist . . . –« »Spurlos verschwunden samt der Toten,« fiel Gundobad ein. »Ich wollte auch ihn aufrufen, des Adels gemeine Sache mit uns Gundingen zu führen wider diesen König . . . –« »Denn diese Stunde,« fuhr Gundomar fort, »wird es entscheiden, ob wir Knechte sind der Asdingen oder edelfreie Männer.« »Jawohl, ich bin es müde, mir befehlen zu lassen,« stimmte Modigisel bei. »Wir sind nicht schlechtern Bluts als er,« drohte Gundobad zu dem König hinauf; schon scharte sich um die beiden Gundinge ein dichter Knäuel von Gesippen, Freunden und Gefolgen, von denen manche Waffen trugen.

Thrasarich wollte in die Mitte treten, dem hier drohenden Zusammenstoß vorbeugen: aber er ward nun umringt von dichten Haufen der Sklaven seines Bruders und von seinen eignen.

»Herr,« riefen sie, »Thrasabad ist verschwunden! Was soll nun geschehen? Das Fest . . . –« – »Ist zu Ende. Weh, daß es je begann.« – »Aber das Wettrennen drüben im Cirkus?« – »Nichts davon! Führt die Pferde heraus! Gebt sie den Eigentümern wieder.« »Ich nehme den Rappen nur, nachdem wir gewürfelt haben,« rief Modigisel dazwischen. »Ja, schüttle dich nur vor Grimm. Ich halte dich an Wort und Ehre.« »Und die wilden Tiere?« drängte ein Freigelassener. »Sie schreien nach Fraß.« – »Laßt sie, wo sie sind! Füttert sie!« – »Und der gefangene Maure –?«

Er konnte nicht antworten. Denn während die Rennpferde, darunter der Rappe, von dem Cirkus her auf den Platz zwischen jenem und dem Amphitheater geführt wurden, scholl lautes Geschrei von den Ausgängen des letzteren her. »Der Maure! Der Gefangene! Er ist entwischt. Er will entfliehen. Haltet ihn!« Thrasarich wandte sich. Er sah die jugendliche Gestalt des Mauren gerade heranrennen. Er war an Füßen und Händen mit Stricken gebunden gewesen. Die Bande zwischen den Füßen zu zerreißen war ihm gelungen, aber nicht, den festen Strick zu lösen, der ihm, etwa einen Fuß lang, fest um beide Handknöchel geschnürt war. Und es hinderte ihn gar sehr, daß er nicht die Hände brauchen konnte, sich Bahn zu brechen durch das Gedränge. »Laßt ihn! Laßt ihn laufen!« gebot Thrasarich. »Nein,« schrieen die Verfolger. »Er hat soeben seinen Herrn mit der Faust niedergeschlagen! Sein Herr hat's befohlen! Er soll sterben! Tausend Sesterzen, wer ihn fängt.« Steine flogen, hier und da ein Speer. »Tausend Sesterzen?« rief ein Römer dem andern zu. »Freund Victor, versöhnen wir uns und verdienen wir sie zusammen.« – »Recht! Halbpart, o Laurus.« Jetzt eilte der Flüchtling pfeilschnell auf Thrasarich zu. Die geschmeidige, edle Gestalt kam näher, näher. Ein schöner Zorn lag auf dem wohlgebildeten, jugendlichen Antlitz. Da – dicht neben Thrasarich – griff Laurus nach dem Strick zwischen den Händen des Jünglings: – ein heftiger Ruck – er stürzte. Victor faßte ihn am Arm. »Tausend Sesterzen sind unser,« schrie Laurus und zog den Strick an sich. »Nein,« rief Thrasarich und riß das Kurzschwert aus dem Wehrgehäng. Blitzend durchschnitt es den Strick. »Flieh, Maure!«

Im Nu war dieser wieder auf den Beinen – sein dankender Blick traf den Vandalen – gleich darauf war er mitten unter den Rennpferden. – »Ah, der Rappe! mein Rappe!« rief Modigisel. Aber schon saß der Maure auf dem Rücken des herrlichen Tieres – ein Wort in sein Ohr – aus griff das Roß – auseinander stoben schreiend die Massen – und bereits flogen Roß und Reiter auf der Straße nach Numidien dahin: – schon waren sie in schirmender Nacht verschwunden.

»Der Rappe,« grollte Modigisel. »Das kostet mich das Würfelspiel – um das junge Weib.« Überrascht sah Thrasarich dem Rosse nach: »Gott! Ich danke dir! – Ich will's verdienen, gut machen. – Komm, Kleine! – Zum König! – Er braucht mich, scheint es.« Drohend hatten sich einstweilen die Edelinge und ihr Gefolge gegen den König gedrängt, der keinen Schritt zurückwich.

»Wir lassen uns nicht zwingen von dir,« rief Gundomar. »Wir lassen uns die frohe Lust des Lebens nicht wehren,« rief Modigisel. »Morgen schon – ob du's willst oder nicht – ihr Freunde – ich lad' euch ein! – treffen wir uns wieder in dieser Arena, unter diesem Seidengezelt.« »Das werdet ihr nicht,« sprach der König ruhig, nahm dem nächsten Sklaven die Pechfackel aus der Hand, hob sich hoch in den Steigbügeln und schleuderte sie im Bogenschwung mit sicherm Wurf hoch über die Menge hinweg mitten in das Seidenzelt, welches sogleich Feuer fing und in heller Lohe aufflammte. Lautes Gebrüll dröhnte aus den Käfigen.

»Du wagst es?« schrie Gundobad. »Dies Haus ist nicht dein eigen. Es gehört dem Volke der Vandalen! Wie darfst du seine Lust zerstören, nur weil du sie nicht teilst?« »Und warum teilst du sie nicht?« fuhr Gundomar fort. »Weil du gar kein Mann bist, kein echter Vandale.« – »Ein Schwärmer: – kein König über ein Volk von Helden.« – »Woher so oft dein plötzliches Erzittern?« – »Wer weiß, ob nicht geheime Schuld dich drückt?« – »Wer weiß, ob nicht dein Mut versagt, wann die Gefahr . . . –«

Da erscholl, alles übertäubend, ein gellender Schrei des Entsetzens, des tödlichen Schreckens, von vielen Hunderten ausgestoßen: kaum war dazwischen durch ein wie Frohlocken klingendes kurzes Gebrüll vernehmlich. »Der Tiger! Der Tiger ist los!« scholl es von der Arena her.

Und von dorther stob, in verzweifelnder Todesangst, nach allen Seiten auseinander ein dichtgedrängter Knäuel von Menschen: Weiber, Kinder, Männer – alles durcheinander. Jedoch überall stießen sie auf andere Menschenhaufen, konnten nicht weiter, rangen, strauchelten, stürzten, wurden zertreten.

Oben aber, auf des Amphitheaters erstem Stockwerk, kauerte, dem König gerade gegenüber, die abgerissene Kette an dem Halsband nachschleifend, zum furchtbaren Sprunge niedergeduckt, die Flanken peitschend mit dem Schweif, den Rachen weit aufreißend und hin- und hergezogen in dem Widerstreit von lechzender Gier und von Furcht vor den vielen Fackeln und Menschen, das gewaltige Tier. Endlich siegte der Hunger über die Furcht. Auf eines der Rennpferde, die vor dem Amphitheater hielten, war sein suchender Blick gefallen: jetzt war dieser Blick wie gebannt. – Wohl wogte ein Schwarm von Menschen vor seiner Beute: – wohl war der Sprung fast allzuweit: – aber fort riß das Ungetüm die Gier und mit einem leisen Schrei sprang es in furchtbarem Satz, über die Häupter der Menschen hinweg, auf sein erkorenes Opfer. – Aber all' die kreischenden Menschen drängten in der gleichen Richtung, die Pferde scheuten, der Sprung erreichte das Ziel nicht ganz: – das Raubtier kam zwei Schuh vor dem Roß zur Erde: – hinweg stob, die Halfter zerreißend, das Pferd. – Niemals wiederholt der Tiger einen verfehlten Sprung: so wollte auch Hasdrubal, wie beschämt, zurückweichen: aber wie er die rechte Vorderpranke ausstreckte, traf sie auf warmes, weiches, lebendes Fleisch. Ein Kind war es, ein vierjährig Mädchen in dem bunten Flitterstaat der Amoretten: längst von der Mutter oder der Spielaufseher Seite gerissen, von den Fliehenden niedergerannt, lag es auf dem Antlitz in dem weichen Rasen: oberhalb des weißen Röckleins quoll das zarte, das rosige Fleisch zwischen Hinterhaupt und Schultern üppig hervor: – der Tiger schob die Pranke vor und hielt hier, am Halse, das Kind gefaßt: – aber nur einen Augenblick: – dann fuhr er plötzlich um Leibeslänge zurück, mit einem jeden früheren an Furchtbarkeit übertreffenden Schrei der Wut. Sie galt einem Gegner, der ihm, zu Fuß heranschreitend, den sicheren Fraß zu bestreiten wagte. – Die große Katze zog sich zum Ansprung in sich selbst zusammen, zu jenem schrecklichen Ansprung, welcher bei dem Gewicht des Tieres jeden Mann niederwerfen mußte. – Aber bevor der Tiger sich zum Bogensprunge auseinanderschnellte, stand der Gegner dicht vor seinem Kopf und in den weitgähnenden Rachen fuhr dem Untier, von unten nach oben gezielt, den Rückenwirbel durchbohrend, bis an das Heft ein vandalisches Schwert.

Über den toten Tiger sank einen Augenblick, fortgerissen von dem Schwung des Stoßes, der Mann: aber sofort sprang er auf, trat zurück und riß das vom Schreck betäubte Kind vom Boden auf.

»Gelimer! Heil König Gelimer! Heil dem Helden!« rief jetzt die Menge, auch der Römer. »König, du bist unverletzt?« fragte Thrasarich.

»Wie das Kind,« sagte dieser ruhig und legte die Kleine in die Arme der weinenden, zitternden Mutter, die den Saum des vom Blut des Tieres überströmten weißen Königsmantels küßte.

Gelimer wischte nun die blutige Klinge an dem weichen Felle des Tigers ab und stieß es in die Scheide: dann trat er zurück an sein Pferd. Er lehnte sich, voll aufgerichtet, an dessen Bug, das behelmte Haupt hoch erhebend: er hatte den alten Helm mit den schwarzen Geierflügeln – sie schienen jetzt belebt herabzudräuen – auch als König beibehalten und nur Geiserichs gezackte Krone um das Helmdach gefügt. Einen Blick schmerzlicher Verachtung warf er auf das Volk. Tiefes Schweigen entstand: für den Augenblick versagte auch den Kecksten der Edelinge das Wort.

Prasselnd fiel das brennende Gerüst des Gezeltes, noch einmal hoch auflohend, in die Arena nieder.

 


 


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