Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Fünfzehntes Kapitel.

Ausrufer verkündeten mit Tubaschall diese Aufforderung in dem ganzen weiten Gebäude und sehr rasch war, vermöge der trefflichen Einrichtungen und der großen Zahl der Ausgänge, die Arena entleert. In feierlichem Zuge bewegten sich nun die Tausende, unter dem Spiel von Flötenbläsern, in das nahe gelegene Amphitheater.

Dies war ein länglichrundes Gebäude mit einer Längenachse der inneren Ellipse von zweihundertvierzig Fuß. Die Anlage glich der des Cirkus: eine eirunde Außenmauer in zwei Stockwerken von Bogengängen, jedes Stockwerk mit Statuen und Säulen geziert. Auch hier stiegen von der ebenen eiförmigen Arena im Grunde die Sitzreihen stufenweise empor, geteilt durch senkrechte Gürtelmauern, gegliedert in Dreiecke durch die Treppen, die zu den Ausgängen, den Vomitorien, führten. –

Der Wirt und die vornehmsten Gäste fanden hier Platz in der unmittelbar an die Arena stoßenden erhöhten Galerie, dem »podium«, das früher die Senatoren von Karthago aufgenommen hatte.

Das Amphitheater stand in unterirdischer Verbindung mit dem daranstoßenden See. Aus den vergitterten und mit Vorhängen verdeckten Kellern an der einen Seite der Arena scholl den Einziehenden der wüste Lärm mannigfaltiger Tierstimmen entgegen: nur manchmal verstummte das Grunzen und Schreien, wann ein gewaltiges, unheildrohendes Geheul – oder Gebrüll – aus dem weitesten der Keller hervordrang: dann schwiegen, wie verschüchtert, die kleineren Nachbarn. »Fürchtest du dich, mein Vögelchen?« fragte Thrasarich die Kleine, die er an der Hand führte. »Du zitterst.«

»Nicht vor dem Tiger,« erwiderte diese.

Als nun die Ehrenplätze besetzt waren, erschien wieder Thrasabad vor diesen, verneigte sich und sprach: »Zwar haben schon lange römische Kaiser Gladiatorenkampf und Tierhetzen verboten. Aber wir sind nicht Römer. Zwar haben unsere Könige – zumal Herr König Gelimer – die Verbote erneut –« »Wenn er es erfährt!« mahnte Thrasarich. – »Bah! – Er wird erst morgen erwartet. – Und kommt er auch früher zurück, – ja weilte er jetzt schon auf dem Kapitol, – es sind zwei starke Stunden von dort bis hierher. Der Lärm des Festes dringt lange nicht so weit. Und wir werden's ihm nicht erzählen – morgen.« – »Und die Gladiatoren?« – »Auch nicht! Tote klatschen nicht. Wir lassen sie fechten, bis uns keiner mehr verraten kann.« – »Brüderlein, das ist mir fast zu – römisch.« – »Ha, nur die Römer wußten, zu leben: unsere bärenhaften Ahnen höchstens, zu sterben. Glaubst du, ich habe nur die Verse der Römer studiert? Nein, ich rühme mich, auch in ihren Sitten es ihnen gleich zu thun. – Sage, Gundomar, sollen wir uns fürchten vor König Gelimer?« – »Wir Edelinge der Vandalen lassen uns nichts untersagen, dessen uns gelüstet. Er soll's versuchen, uns hier wegzuweisen!« – »Und bei meines Bruders Hochzeit ist eine Ausnahme verstattet, ja geboten. Also werd' ich eure Augen weiden mit altrömischen ›Jagden‹ und mit altrömischen Gladiatorenkämpfen.«

Brausender Jubel antwortete dieser Ankündigung. Thrasabad verschwand, die Befehle zu erteilen.

»Wo er die Bestien her hat, ist leicht zu sagen,« meinte Gundomar. »Afrika ist ja ihre Brutstätte! Aber die Gladiatoren?« »Er hat mir's verraten,« antwortete Modigisel. »Zum Teil sind's Sklaven, zum Teil gefangene Mauren aus dem letzten Streifzug. Bald wird der weiße Sand der Arena blutigrot . . . –«

»Ich freue mich!« stieß Astarte hervor; sie sprach sonst fast nie: mit einem Ausdruck wie von leisem Grauen sah Modigisel auf sie. »Gladiatoren!« sagte Thrasarich unwillig, »Eugenia, willst du gehen?« – »Ich schließe die Augen – und bleibe. – Laß mich nur bei dir. Schicke mich nicht von dir, ich bitte!«

Da erschollen Paukenschläge und ein Ruf des Staunens der Tausende drang durch den Raum. Die Arena teilte sich plötzlich nach links und rechts in zwei Halbkreise: jeder Halbkreis verschwand, nach seitwärts gezogen, in dem Gemäuer: zwanzig Fuß unterhalb der verschwundenen Arena ward eine neue, sandbedeckte Unterfläche sichtbar: und über diese brauste von allen Seiten, flutend und schaumspritzend, eine gewaltige Masse brodelnden Gewässers herein: rasch war der Untergrund in einen See verwandelt. Auf einmal thaten sich links und rechts zwei weite Thore auf und gegeneinander fuhren, vollständig bemannt und zum Kampfe gerüstet, zwei stattliche Kriegsschiffe mit hohen Masten, die freilich, in Ermangelung jedes Windes in dem rings umschlossenen Raum, keine Segel trugen, wohl aber Rahen, auf denen Bogenschützen und Schleuderer standen.

»Ah, eine Naumachie! Eine Seeschlacht! Trefflich! Herrlich!« jubelten die Zuschauer. – »Sieh, eine byzantinische Triere!« – »Und ein vandalisch Raubschiff! Hei, wie glänzt der Scharlachwimpel!« – »Und darüber – auf des Mastes Spitze – der goldene Drache.« – »Der Vandale greift an! Wo stecken die Ruderer?« – »Man sieht sie nicht! Sie arbeiten unter Deck. Aber oben – schau, vorn am Bugspriet – da steht sie geschart, die Bemannung, die Wurfspeere, die Beile gehoben!« – »Schau, der Byzantiner will rammen! Mächtig rauscht er heran!«

»Sieh den dräuenden Sporn, den scharfen, gerade in der Wasserlinie!« – »Aber der Vandale wendet rasch. Er weicht dem Stoß aus! Jetzt fliegen die Speere.« – »Da! Da stürzt ein Römer aufs Deck: – er rührt sich nicht mehr.« – »Ein zweiter fliegt über Bord!« – »Er schwimmt noch . . . –« – »Er greift aus dem Wasser . . . –« – »Da versinkt er.«

»Blutig wird um ihn das Wasser,« sagte Astarte, sich eifrig vorbeugend.

»Laß mich – o laß mich fort, und komm mit mir!« bat Eugenia. – »Kind, – jetzt nicht – jetzt mußt du bleiben. Ich muß das sehen,« erwiderte Thrasarich. – »Nun legt sich der Vandale seitwärts an den Byzantiner.« – »Sie springen hinüber – die Unsern – wie fliegen die blonden Locken! Sieg, Sieg den Vandalen!« – »Aber Thrasarich! Es sind ja nur verkleidete Sklaven.« – »Gleichviel! Sie tragen unsere Fahne! Sieg, Sieg den Vandalen. Schau, nun aber hebt ein furchtbar Ringen an – Mann an Mann! Wie krachen die Schilde! – Wie blitzen die Beile! – O weh, der Führer der Vandalen fällt! – O wär' ich drüben auf dem verfluchten Römerschiff!« – »Da! Noch ein Vandale stürzt! Aus dem Unterdeck steigen neue Römer auf! O weh! Das ist Verrat!« – »Die Römer haben ja die Übermacht! Noch zwei Vandalen fallen!« – »Sie haben die Unsern arglistig an Bord gelockt.« – »Brüderlein! Thrasabad! Wo steckst du?« – »Dort, auf einem Boot fährt er, neben beiden kämpfenden Schiffen!« klagte Glauke voll Angst.

»Das gilt nicht! – Die Vandalen sind überwältigt – sie springen ins Wasser!« – »Der Rest – auf dem Römerschiff – wird gebunden.« – »Da werfen die Römer Feuer auf unser Schiff! Es brennt.« – »Der Mast flammt lichterloh.« – »Der Steuermann und die Ruderer springen über Bord.« – »Wo ist denn Thrasabad?« Merkur erschien wieder auf dem Podium. »Höre, Brüderlein, das ist ein böses Omen.« Thrasabad zuckte die Achseln. »Kriegsglück. Durfte mich nicht einmischen. Es war ja nichts verabredet über den Ausgang. Tot: fünf Römer, zwölf Vandalen! Fort! – fort mit dem Ganzen! Verschwinde, Meer!«

Er schwang den Hermesstab: rauschend stürzte das Wasser in die Tiefe – samt den Leichen, die es verschlungen. Das bemannte und dem Steuer gehorchende Römerschiff gelangte, kräftig steuerbord rudernd, glücklich in das Thor, durch welches es eingefahren war: aber das leere, brennende, führerlose Vandalenschiff ward mit in den brodelnden, wirbelnden Trichter hineingezogen: es drehte sich rasch, immer rascher um die eigene Achse: prasselnd schlug das Wasser, die Flammen, soweit es reichte, löschend, über Bord: der Mast neigte nun nach rechts, immer mehr, immer mehr, lichterloh weiter brennend: – plötzlich schlug das ganze Schiff nach rechts um und verschwand in der Tiefe. Gurgelnd, kreiselnd, schäumend folgte der Rest des Wassers nach.

»Das Meer verschwand!« rief Thrasabad. »An seine Stelle tritt die Wüste und ihrer Ungeheuer Kampf.«

Und in der Höhe des früheren Bodens, hoch oberhalb des Spiegels des verschwundenen Meeres, schoben sich wieder von rechts und von links die beiden Halbscheiben der von weißem Sand bedeckten Arena. Sklaven, nur mit Schürzen bekleidet, Weiße, gelbe Mauren und Neger, erschienen in großer Zahl und schlugen die Vorhänge zurück, mit welchen die Gitter der Tierkäfige bedeckt waren. »Wir werden euch vorführen . . .« – rief Thrasabad ruhmredig in die atemlose Stille.

Aber er verstummte: jenes furchtbare Gebrüll, das unter dem Lärm der Seeschlacht geschwiegen hatte oder nicht vernommen worden war, erdröhnte von neuem und man sah nun einen gewaltigen Tiger mit solcher Wucht aus dem Hintergrund seines ziemlich langen Käfigs gegen das Gitter vorn springen, daß dessen Stäbe sich nach außen bogen: Splitter des Holzes, in welches sie eingelassen waren, stoben auf die Arena. »Brüderlein,« sagte Thrasarich leise, »der Käfig ist zu lang. Gieb acht! Das Tier hat zu viel Anlauf. Und das Holz des Bodens ist zu morsch! – Fürchtest du dich, Eugenie?« »Ich bin bei dir,« sagte diese ruhig. »Aber Menschen kämpfen – sterben, möcht' ich nicht mehr wissen – hab' ich's auch nicht gesehn.« – »Nur am Schluß noch, kleine Schwägerin, ein gefangener Maure . . . –« »Wo hast du ihn her?« fragte Modigisel. »Gemietet, wie die meisten, vom Sklavenhändler. Aber dieser ist zum Tode verurteilt.« – »Warum?« – »Er hat seinen Herrn, der ihn geißeln wollte, erwürgt. Er ist ein schöner, schlanker Bursch, aber sehr störrig: er nennt seine Abkunft, seinen Vater nicht. Der Bruder und Erbe des Ermordeten hat ihn mir billig überlassen für die Naumachie und, bliebe er leben – für den Tiger. Er war – durch alle Schläge! – nicht dahin zu bringen, in der Seeschlacht mitzufechten. Sein Herr mußte ihn hinter der Scene binden an Füßen und Händen. Nun, er wird wohl fechten müssen, steht er in vollen Waffen in der Arena – und wir lassen den Tiger auf ihn los, der zwei Tage fastete.«

»O Thrasarich – mein Gemahl – meine erste Bitte!« – »Kann dir nicht helfen, Vögelchen! Hab' ihm versprochen, ihn heute frei schalten zu lassen. Und Wort muß man halten, ist's auch Unsinn und Frevel.« »Jawohl,« flüsterte Modigisel sich vorbeugend ganz leise in sein Ohr. »Wort muß man halten. Wann würfeln wir?« Wütend fuhr Thrasarich auf: »Ich schlag' dich tot . . .–« – »Das hilft dich nichts. Astarte weiß davon. Halte dein Wort! – Das rat' ich dir! – Oder alle Edelinge der Vandalen wissen morgen, was deine Ehre und Treue wert.« – »Nie! Eh bring' ich das Kind mit eignen Händen um.« – »Wäre so ehrlos, wie wenn ich – vorher – aus Neid den Rappen niederstieße. Wort halten, Edeling. Du kannst nicht anders.« Da traf Modigisel ein Blick Eugeniens: sie konnte nichts verstanden haben, – allein er verstummte. »Dann aber,« sagte Astarte ebenso leise zu Modigisel – »hast du sie, dann giebst du mich vollends frei.« – »Weiß noch nicht!« brummte der. »Sieht auch nicht aus, als ob ich sie kriege.«

»Gieb mich frei!« wiederholte Astarte dringend. Es sollte eine Bitte sein aber es klang so unheilvoll drohend, daß Modigisel betroffen ihr ins schwarze Auge sah: dies Auge hatte einen Ausdruck, daß er nicht Nein zu sagen wagte. Er wich aus mit der unwirschen Frage: »Was ist nur an dem Riesen, was dich an ihn zieht wie Magnet das Eisen?«

»Die Kraft,« sagte Astarte nachdrücklich. »Er wickelt dich um seinen linken Arm mit seinem rechten.« »Ich war stark genug,« grollte Modigisel finster. »Afrika und Astarte saugen das Mark aus einem Herkules heraus.«

Dies Geflüster ward unterbrochen durch Thrasabad, der nun – der Tiger schwieg – zu Worte kam. –

»Wir werden euch vorführen und kämpfen lassen: sechs afrikanische Bären aus dem Atlas mit sechs Büffeln vom aurasischen Bergthal; ein Flußpferd vom Nil und ein Nashorn; einen Elefanten und drei Leoparden, einen gewaltigen Tiger – hört ihr ihn? Schweige, Hasdrubal, bis man dich aufruft! – mit einem zu Tode verurteilten Mauren in vollen Waffen!« »Ha! Gut! das wird schön!« scholl es in der Runde. »Und zuletzt, da hoffentlich doch Hasdrubal der Sieger bleibt: der Tiger mit allen Siegern in den andern Kämpfen zusammen und mit einer Meute von zwölf britannischen Hunden.« Lauter Jubel brauste durch das Haus. »Schönen Dank!« erwiderte der Festordner. »Aber vom Dank allein lebt man nicht. Euer Merkur verlangt nach Ambrosia und Nektar. Bevor wir weitere Kämpfe schauen, laßt uns genießen. Ein leichter Imbiß, ein kühler Wein und ein üppiger Tanz! – Was meint ihr, meine Gönner? Komm, schöne Glauke!«

Ohne die Antwort abzuwarten – er schien ihrer ziemlich sicher: sie war ein noch viel lebhafterer Beifall – winkte er wieder mit dem Stabe: da senkten sich, wie durch Zauber, die schweren steinernen senkrechten Wände, die das Podium und die höheren Sitzreihen von der Arena und den tiefern Reihen trennten, und verwandelten sich in sanft abfallende Steinstufen, die zu der Arena herabführten.

Gleichzeitig wurden von unsichtbaren Händen auf die Arena aus beiden Seiten lange Tische gehoben, behangen mit kostbaren Decken, besetzt mit prachtvollen Amphoren, Krügen, Schalen und Bechern aus Gold und Silber und mit breiten flachen Schüsseln, gefüllt mit erlesenen Edelfrüchten und süßem Gebäck. In der Mitte der Arena stieg aus einer Versenkung ein Altar, dicht mit Blumengewinden auf seinen drei Stufen bekränzt und gekrönt von einer mit weißen Tüchern verhüllten Gestalt. Und von der Seite strömten gegen hundert Satyren und Bacchantinnen herein, welche sofort mit Haschen und – nicht sehr ernsthaft gemeintem – Entfliehen einen pantomimischen Tanz begannen, dessen Rhythmen eine lärmende, berauschende Musik von Cymbeln und Handpauken aus den offenen coulissenähnlichen Seiten hereinschmetterten: – immer dröhnender scholl in den Lärm, der ihn rasen machte, das Gebrüll des hyrkanischen Tigers.

 


 


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