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Sobald sich Xerxes allein befand, ließen die Einsamkeit, die Nacht und die Stille ihn alles anders ansehen, als er es auf seinem Hochsitz im Thronsaal gesehen, während seine liebenswürdig lächelnden Augen auf seinen Satrapen ruhten. Er runzelte die Brauen. Er setzte sich nieder auf dem Rande seines Lagers, das auf goldenen Löwenklauen sich erhob, wiederum wie ein Thron, aber jetzt wie ein Schlafthron, und stützte das bärtige Kinn in die Handfläche. Er dachte nach und fand plötzlich alles sehr beschwerlich. Krieg anfangen gegen die Griechen? Eine Brücke über den Hellespont? Dann die ewigen Stürme, die das Vorgebirge Athos umtobten und einmal schon eine Flotte ihm weggeblasen hatten! In schäumender Wut ballte er seine Faust gegen den ihm nicht günstigen Windgott. Er beschloß plötzlich, keinen Krieg gegen die Griechen zu beginnen, und was er beschloß, war sehr menschlich ob der jähen Veränderlichkeit seiner Entschließungen. Im Nachtgewande und im stillen Schlafraum beschließt ein König der Könige oftmals etwas ganz anderes als in goldenem Staatsmantel und inmitten des Prunkes seiner Königsherrschaft. Aber unzufrieden mit sich selber, mit allem und jedem, mit seiner Mutter und mit Mardonios, war Xerxes dennoch. Daher warf er sich mit einem heftigen Ruck zur Ruhe, wandte seinen Rücken dem Gemache zu und schlief ein. Denn dazumal litt er noch nicht an Schlaflosigkeit. Als er schlief, näherte sich ihm ein Traum. Träume sind Gottheiten. Sie sind kleine Gottheiten, aber Gottheiten sind sie. Es gibt unter ihnen gute und böse. In der Regel sendet Zeus – den die Perser mit den Griechen, jedoch anders verehren – die guten Träume unter Götter, Helden und Menschen aus. War der Traum, der Xerxes nahte, durch Zeus gesandt oder durch Ahriman? Die Geschichte verzeichnet es nicht. Sie verzeichnet nur, daß der Traum Xerxes nahte als ein großer, leuchtender, geflügelter Kämpfer, der zum Könige sprach:
»Wie, Xerxes? Wollt Ihr plötzlich keinen Krieg mehr, nachdem Ihr Eure Satrapen die Jahrgänge habt aufrufen lassen? Woher dieser Kleinmut? Ich sage Euch, Ihr müßt den Krieg beschließen.«
Unwillig und mit einem Schrecken erwachte Xerxes. Krieg? Nein! Er wollte keinen Krieg. Er verfluchte den törichten Traum, drehte seinen Rücken wiederum dem Gemache zu und schlief ein. Am folgenden Tage versammelte er wiederum seine Satrapen um sich. Manche von ihnen waren bereits auf dem Wege nach ihren Satrapien wegen der Aushebungen und kehrten, von eilenden Botschaften eingeholt und verständigt, mit Wagen und Pferden und Gefolge wieder um. Sie betraten den Thronsaal gerade in dem Augenblick, als Xerxes berichtete, daß er anderen Sinnes geworden sei. Xerxes sprach in einer sehr allgemeingültig gehaltenen Rede über die Vorsicht, die er künftighin zu beobachten wünsche. Er sprach gut und wohlgefällig. Er hörte sich selber gern über die Vorsicht reden. Die noch gerade rechtzeitig zurückgekehrten Satrapen begriffen nicht sogleich und verstanden auch nicht, weil sie sehr weit entfernt standen. Sie legten die Hände muschelförmig an die Ohren und versuchten so des Xerxes sehr zierliche Sätze über die Vorsicht aufzufangen. Dann hörten sie, wie Xerxes sich entschuldigte. Um des rednerischen Eindrucks willen tat er dies mit einer etwas weinerlichen Stimme. Seinem Oheim Artabanos bot er seine Entschuldigung an, weil er ihn gestern ein altes Weib genannt. Er habe das nicht böse gemeint, sagte Xerxes, und verbreitete sich über die verschiedenen Sprachschattierungen des Ausdrucks »Altes Weib« im Persischen. Dies rührte Oheim Artabanos. Seine Augen wurden feucht. Von seinem Sessel aus machte er eine flehentliche Gebärde zu seinem königlichen Neffen, er möge so nicht fortfahren, so nicht. Xerxes schloß mit demselben Rednerschwung, der sich sehr schön ausmachte:
»Ich wünsche also keinen Krieg mit den Griechen. Kehrt alle zurück in eure Heimat und bleibt ruhig, Ihr Herren!« Darauf wandte er ihnen seinen Rücken zu, während alle vorwärts zur Erde niederfielen vor Freude und Ehrfurcht.