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Die Sonne ist noch nicht gesunken, doch in orangefarbenem Schimmer verglüht im Westen hinter der violett schimmernden Stadt das erlöschende Gestirn. Nach der stummen Audienz wird in den Gärten ein freudiges Auflachen hörbar. Das Fest nimmt seinen Anfang. Ganz plötzlich sind viele römische Matronen geladen worden. Auf dem gleichen Sigma, auf dem er am Mittag unnahbar und schweigend gesessen hat, wälzt sich nun Antoninus; sein weißer Körper ist gleichsam inkrustiert mit parteiischen Ornamenten aus rosafarbenem Topas. Er will sich ausschütten vor Lachen, denn vor ihm spielen die Narren und Zwerge, etwa sechzig an der Zahl, die Flucht der Senatoren aus Rom: sie haben um ihre mißgeformten Glieder purpurne Bänder geschlungen, die Laticlavien vorstellen sollen. Sie schreien nach einem Pferd oder einem Maulesel oder einem Ochsen. Sie bilden einen närrischen Aufzug: sie reiten einander auf den Schultern und entfliehen, indem sie ihre Furcht vor des Antiochianus Prätorianern durch drollige Ausrufe markieren. Sie reiten auf den blökenden Opferschafen, auf den Büffeln, auf den zahmen Panthern und Löwen; drei hängen an dem Hals einer Giraffe, fünf bilden in akrobatischer Stellung einen kleinen Wagen, zwei formen die Räder, drehen sich wie toll um sich selbst. Nicht nur Antoninus lacht; alle lachen, die Höflinge, die Gäste, die diensttuenden Soldaten; eine Quadriga aus Elefanten rennt, verblüffend riesenhaft, durch die Gärten. Auf zweien dieser Dickhäuter steht breitbeinig ein Narr und lenkt das seltsame Gespann mit großer Kunst. Alle jubeln ihm zu. Antoninus lacht Tränen. Der Kaiser hat einen ägyptischen Basilisken auf seinen Schoß genommen; ein Fabeltier, halb Krokodil, halb Drache, seinen Agathodaimon, sein Glückstierchen: die Schuppen sind mit Juwelen inkrustiert, und als das Tier den Kaiser mit den Pfoten kitzelt, wirft er es Aristomachos ins Gesicht. Der lacht. Jetzt heißt es, recht törichte Dinge ersinnen und um jeden Preis heiter sein. Schalkhaft sinnt Antoninus nach, der Bitterkeit und Traurigkeit, die in seiner Seele waren, nicht mehr eingedenk, nicht mehr der murrenden Truppen, nicht mehr des Alexianus.
»Heute abend wird es geschehen!« flüstert ihm Antiochianus zu, »nach Mitternacht, Aristomachos wird mit drei Kohorten ausziehen. Die Palastwachen sind auf unserer Seite, die Kohorten werden sich anfangs so stellen, als wollten sie die Palastwache plötzlich überfallen. Die wird scheinbar weichen. Dann töten sie Encolpius und die Seinen, dann ... dann ermorden sie Alexianus und seine Mutter. Noch heute abend, Antoninus, heute nach Mitternacht.«
Antoninus hört ihn kaum. Schalkhaft denkt er nach. Er ist heiter, er will heiter sein. Also heute nach Mitternacht wird das verhaßte Kind zu leben aufgehört haben!
»Hierher die Sklaven!« ruft Antoninus.
Ein Schwarm von Sklaven stürzt über die Stufen des Peristyls vor das Sigma des Kaisers. Zehn unter ihnen weist der Kaiser mit Namen an:
»Wer mir zuerst tausend Pfund Spinngewebe bringt, soll tausend Sesterzen erhalten! Schnell, schnell, sucht in ganz Rom!«
Lachend und schreiend eilen die zehn Sklaven davon, überschlagen sich purzelnd. In ganz Rom werden sie suchen.
»Rom ist groß genug!« ruft der Kaiser lachend aus, »binnen zwei Stunden! – Was sage ich da, binnen einer einzigen Stunde habe ich meine tausend Pfund Spinngewebe!«
»Hierher die Sklaven!« ruft Antoninus wieder, und während sie niederknien, deutet er auf zehn unter ihnen:
»Sucht mir so bald wie möglich tausend Wiesel, zehntausend Ratten, hunderttausend, ja hunderttausend weiße Mäuse!« Die zehn Sklaven stürzen davon, nicht wissend, wohin sie sich zuerst wenden sollen. Antoninus lacht Tränen vor Ausgelassenheit. Sie werden suchen, suchen nach Wieseln, Ratten und Mäusen, denn wenn sie sie bringen, werden sie reich belohnt, und sie wissen, daß der Kaiser nicht genau zusieht, ob ihre Zahl auch wirklich stimmt. Wenn sie zwölf Wiesel, fünfzig Ratten und ein paar weiße Mäuse bringen und sie über die Stufen des Peristyls laufen lassen, ist der Kaiser zufrieden. Dann lacht er und teilt das Gold mit freigebigen Händen aus. Antoninus versteht selber nicht, wie er so ausgelassen sein kann. Aber er will so sein. Er ist beinahe glücklich, weil neben ihm Hierokles sitzt, der ihn zärtlicher denn je an sich gezogen hat, und den er so innig liebt, daß er ihm alles verzeiht. Nicht einmal darob vermag er ihm zu zürnen, daß er für den Schwarzen Stein nur ein verständnisloses Lächeln hat und keinem einzigen Dienst mehr beiwohnt, weil er behauptet, dieser langweile ihn: Opfertiere, anbetende Magier, Tanz, Weihrauch, jeden Morgen das gleiche Schauspiel.
Sein Hierokles! Er weiß nichts von den unsichtbaren Dingen, versteht ihre Symbole nicht. Dennoch liebt er ihn mehr als alle, mehr als alles, und diese Liebe wird nur überstrahlt von seiner ehrfürchtigen, dem Licht geweihten Frömmigkeit, dem Licht, das er selbst, wie bleich auch, auf Erden verkörpert.
Seht, da naht ein possierlicher Aufzug, ein Aufzug, wie ihn nur Antoninus sich ausdenken kann. Zwischen Zwergen und Narren, die die Flöte spielen und die Trommel schlagen, nähern sich acht Kahlköpfige, acht Schielende, acht Gichtbrüchige, acht Schwerhörige, acht Fettleibige. In soldatischem Drill müssen sie an dem kaiserlichen Sigma vorüberziehen. Vor den Stufen des Peristyls strecken sie sich auf das Lager hin, werden bedient und verhöhnt. Doch das Sigma der Fetten ist so winzig klein, daß sie einander fortwährend verdrängen müssen, um Platz zu haben.
An einem Kahlköpfigen, einem Schielenden, einem Gichtbrüchigen ist nichts zu sehen, doch acht Kahlköpfige, acht Schielende, acht Gichtbrüchige und dazu noch acht Schwerhörige und acht Fettleibige, das ist ein Schauspiel, wie man es ergötzlicher nicht auszudenken vermöchte!
Plötzlich ein Pfeifen, wie von entweichender Luft. Rings um die Sigmata tummeln sich die Narren und Zwerge; doch stets mehr und mehr Luft entweicht mit schrillem Pfeifen: es sind die Lederpolster, die die Zwerge heimtückisch aufgeschnitten haben. Die Luft entweicht, die Polster schrumpfen zusammen und die acht Kahlköpfe glänzen plötzlich von unten herauf, die acht schielenden Augenpaare blicken rücklings nach den Polstern, tauchen possierlich unter, strecken die Füße in die Luft, die Schwerhörigen geraten mit den Gichtbrüchigen ins Handgemenge, indes die Fettleibigen eine unkenntliche Masse bilden, einen Hügel von geschwollenen Bäuchen, fetten Hüften und hochroten Köpfen. Sie taumeln nach links und nach rechts und übereinander.
Doch – was ist das dort an den Wällen und Toren des Sommerpalastes, am Ende des Eukalyptusganges? Qualm von Fackeln, die rotglühenden Rauch durch die schwüle Hochsommernacht fegen, gleich einem Brand, einem nahenden Brand! Hört, was ist das? Brausende Stimmen, hastig stampfende Schritte. Mit der Brandwolke eilen sie daher, eine Woge der Raserei, in der rohe Fratzen erkennbar werden und Arme, die drohend fuchteln, und Fäuste, die Waffen schwingen. Plötzlich erklingen Bucinae dort drüben auf den Wällen, Zenturionenstimmen brüllen Kommandos und inmitten des flackernden Scheines der festlichen Feuer und der stets näher und näher rasenden Fackelbrandwolke werden, anfangs noch verschwommen, zwischen den dunklen Stämmen und der nächtlichen Finsternis hell leuchtend, die glitzernden Gestalten der Clibanarii sichtbar mit den langen Schildfunken der Chrysaspiden und Argyraspiden. Von den gespannten Bogen zischt ein Hagel von Pfeilen über die Menge und ihr Glanz eint sich mit dem Goldgefunkel der Soldaten, auf die sie einstürmen.
In den Gärten herrscht, nach dem ersten, zitternden Staunen, lebhafte Bewegung, die Panik, die nicht weiß, wohin und warum und wozu: die wahnsinnige Panik der Gäste, die entfliehen, hierhin und dorthin, mit erhobenen Händen, die schreien, flehen, fluchen, die über umgestürzte Tische und zertretene Sigmata straucheln, die stolpern über Scherben von Glas- und Tongerät; ein tolles Durcheinander von Narren, Zwergen und Tigern, dazwischen wimmernde Frauen mit zertretenem Bauch; Magier, Priester, Sklaven, Kinder, miteinander ringend, um zu entkommen, wohin, das weiß niemand; in dem Peristyl der Kaiser, bleich, angsterfüllt, weil er das noch nie erlebt hat, weil er es weder sich auszudenken, noch zu träumen vermocht hätte; die Günstlinge, die ihrem Schicksal fluchen und in den innersten Gemächern des sommerlichen Palastes sich zu bergen suchen. Hoch über dieser ganzen Verwirrung, dieser Panik ein Johlen und die Stimmen ferner Raserei, aus der, jetzt deutlicher erkennbar, rohe Gesichter auftauchen. Das Volk schmäht Antoninus und brüllt, rachedurstig:
»Wo ist er? Wo ist Avitus, das Hurenkind? Wo ist Sardanapal? Götterdieb! Frevler! Her mit ihm! Wo verbirgt er seine Dirnenfratze? Mit Dreck wollen wir ihn besudeln, so wie er des Alexianus Bildnisse besudelt hat! Schützen wollt ihr ihn? Wir wollen Alexianus schützen, mit unserem Blut! Wollt ihr einen Kerl, der eine Hure ist, zum Kaiser haben? Wir wollen Alexianus! Heil, heil Alexianus! Weg mit Heliogabal! Weg mit seinem abscheulichen Licht! Weg mit seinem schwarzen Kegel! Wir wollen Rom, wir wollen Alexianus! Heil Mammäa, und allzeit Heil, Heil der erhabenen Mäsa!«
Der Knabe fürchtet sich. Noch nie hat er das Volk so gesehen, so gehört. Er ist in das dunkle Innere des Palastes zurückgewichen und hat sich dort in die Arme des Aristomachos geworfen, der ihn entsetzt an sich drückt. Der Tribun flüstert ihm zu:
»Antoninus, mein Liebling, bleibe hier, verbirg dich hier. Ich muß fort, ich muß zu Antiochianus. Unsere Truppen sind treu, sie alle beten dich an, wie ich. Wir werden dich schützen!«
Doch fest klammert das Kind sich an ihn.
»Nein, Aristomachos, bleibe hier, beschütze mich, ich fürchte mich!«
»Sei tapfer, mein Antoninus, denk an die Stunde vor Antiochia: deine goldene Chlamys flatterte im Winde, allen Truppen voran stürmtest du. Du warst ein Held, du warst die Sonne, Antoninus!«.
»Ich fürchte mich, Aristomachos, ich fürchte mich! Bleibe bei mir, ich flehe dich an! Sie werden mich foltern, töten! Halte mich in deinen Armen, Aristomachos!«
Der Tribun reißt sich los von dem zitternden Knaben. Er hört des Antiochianus Befehle. Die Legionen der Alten Hoffnung sind treu! Antoninus verbirgt sich völlig in den bronzeschweren Falten des Vorhanges; kaum, daß er darunter sichtbar ist. Die Pforte zum Palast, zum Peristyl ist dicht bewacht. Herausspähend gewahrt er seine Getreuen. Doch er fürchtet sich, es durchschauert ihn ein noch nie gekanntes Entsetzen. Antiochia? Seine goldene Chlamys? Er ein Held? Kaum, daß er sich dieser Ekstase noch zu entsinnen vermag ... Vielleicht, weil er damals an Hydaspes dachte. Aber Hydaspes ist so fern, er denkt jetzt nur noch mit bitterer Unzufriedenheit an ihn.
Er weiß nichts mehr, er fürchtet sich. Nichts Allgutes, nichts Allichtes ist da mehr, nur seine alles durchzitternde Angst. Er fürchtet, daß sie ihn finden, daß sie ihn mißhandeln werden.
Hinter den bronzeschweren Falten des Vorhanges versteckt, ist er der Ohnmacht nahe, bis er plötzlich des Antiochianus Stimme vernimmt:
»Was würdet ihr denn wollen, selbst wenn sich der Kaiser gnädig zeigte, was würdet ihr sagen, trunkene Bande, die ihr seid! Kein Haar auf seinem heiligen Haupt würdet ihr zu krümmen wagen, denn um ihn würden Tausende aufstehen, ihn zu rächen! Sind wir nicht Tausende an der Zahl, wir alle, ihm getreu bis in den Tod? Wenn auch ihr zu Tausenden seid, wohl, so kämpfen wir, Mann gegen Mann. Allzeit werden wir den geliebten Cäsar Alexianus ehren!«
»Man hat seine Standbilder besudelt. Ist das Ehrfurcht?«
»Stets werden wir den geliebten Cäsar achten, doch Kaiser ist er uns nicht. Treue haben wir dem Antoninus gelobt, ihm, der den geliebten Namen unserer Kaiser trägt, ihm, dem Sohn des Bassianus Caracalla, dem Enkelkind des Septimius Severus!«
»Ein Hurenkind ist er!«
»Trunkene Bande! Schämt euch, die Verkörperung des heiligen Lichtes zu lästern!«
»Das heilige Licht? Euer Lustknabe das heilige Licht?«
»Was wollt ihr? Was bezweckt ihr mit diesem Überfall? Was soll diese Kränkung seiner Person und seines Namens? War er nicht milde? Ließ er nicht Gaben und Spenden verteilen? Brachte er nicht helle Freudigkeit nach düsteren Jahren? Was wollt ihr? Sprecht! Ist nicht Antoninus unser Gott, unser Kaiser?«
»Wir wollen Alexianus!«
»Will Alexianus denn selbst? Will der Cäsar dem Antoninus das Imperium nehmen? Ich kann das nicht glauben. Wo ist Alexianus? Er soll sprechen. Aber nein, Alexianus ist in dem Palatium mit den drei erhabenen Müttern und sie alle sehen bekümmert die trunkene Erregung der Römer!«
»Wer hat des Alexianus Bildnisse besudelt? Wer hat ihm nach dem Leben getrachtet? Antoninus! Antoninus!«
»Weibergeschwätz!«
»Warum zeigt Antoninus sich niemals an des Alexianus Seite? Wir wollen Alexianus! Wir wollen Alexianus!«
»Volk von Rom, Quiriten, räumt die Wälle, sage ich euch! Noch ist Antoninus gnädig, noch hat er nichts anderes befohlen, als daß die Widerstrebenden erschlagen werden sollen. Zieht euch zurück oder besser noch: bleibt und bereut! Allmilde ist seine verzeihende Gesinnung. Ruft es laut aus, daß ihr Antoninus treu bleiben wollt!«
Der Kampf hat sich beinahe gelegt. Auf den Wällen, im Schein der Fackeln, liegen röchelnd die Sterbenden. Die Worte des Präfekten führen einen Waffenstillstand herbei, eine scheinbare Beschwichtigung rasender Kampflust, doch nicht die innere Ruhe. Johlend und schimpfend antwortet das Volk dem Antiochianus und Rede folgt auf Gegenrede, bis Stimmen rufen, hier und dort, überall, verworren.
»Gewiß, Antoninus ist milde.«
»Niemals wird Alexianus so milde sein!«
»Möglich, doch er ist schon ein Mann, so jung er ist.«
»Während Antoninus ...«
»Wenn des Alexianus Leben gesichert ist, wollen wir Antoninus noch dulden.«
»Ihn dulden?« ruft Antiochianus mit donnernder Stimme, »ihn dulden? Den Göttern danken, in den Staub sinken sollt Ihr vor der Gnade seiner Herrschaft! Heil, heil Antoninus!«
»Heil, heil Antoninus!«
»Nein, heil Alexianus!«
»Wir wollen Antoninus! Er ist herrlich anzusehen!«
» Ich habe ihn noch nie berührt; wenn ich ihn nur berühren dürfte!«
»Antoninus wollen wir, aber seine Männer wollen wir nicht!«
»Die Schurken!«
»Die Elenden! Die Kerle, die ihn bedienen, Gordus ...«
»Murissimus ...«
»Protogenes!«
»Den Magirus, den Koch Zotikus!«
»Den schmutzigen Barbier Claudius Rufus!«
»Und Hierokles, den Lenker!«
»Seine Kerle, seinen Gemahl! Haha, seinen Gemahl! Wie viele hat er eigentlich ?«
»Her mit den Schurken, wir wollen sie töten!«
»Her mit Hierokles, her mit dem Gemahl des Antoninus! Erwürgen wollen wir ihn, schinden wollen wir ihn!«
»Weg mit den Lieblingen des Antoninus!«
Das Volk wird ungestümer. Doch Antiochianus, schlau und besonnen, will nicht mehr Blut vergießen, als nötig ist. Würden ihnen die Truppen der Alten Hoffnung standhalten können, so sie noch ungestümer würden? Wenn sich hinter dieser dunklen Volksmenge Rom zusammenstaute?
Antiochianus ruft:
»Volk von Rom, Quiriten, hört! Der Kaiser hat Gordus bereits verbannt!«
»Und Protogenes!«
»Das ist gut!«
»Und Murissimus!«
»Das ist gut! Und Hierokles?«
»Hierokles ist des Antoninus Gemahl!« ruft Antiochianus laut.
Ein Zischen, ein Lachen, ein Pfeifen, ein Johlen, ein Fluchen, ein Drängen, ungestüm und unbezwingbar. Die Hastati schwingen die Lanzen, doch die Zenturionen halten sie zurück.
»Weg mit Hierokles! Her mit Hierokles! Gerade er soll verbannt werden! Zerstechen wollen wir ihm sein schönes Gesicht, die Ohren wollen wir ihm abschneiden und die Nase, die Augen wollen wir ihm ausstechen! Hierokles macht Antoninus toll! Weg mit ihm! Wo ist er? Im Palast? Im Tempel? In den Gärten?«
Die Hastati bieten Widerstand. Die Bogenschützen schießen ... Pfeile schwirren; mit herzzerreißendem Aufschrei sinken Getroffene zu Boden.
»Volk von Rom!« ruft Antiochianus donnernd aus, »Quinten!«
Man hört ihn nicht mehr. Ein ohrenbetäubendes Kreischen, ein schrilles Zischen, ein viehisches Gebrüll ist losgebrochen, denn ganz unerwartet ist der Kaiser Antoninus hervorgetreten aus dem inneren Palast. Auf dem Peristyl hinter den Chrysaspiden, die ihn bewachen, wird er deutlich sichtbar. Er ist bleich, die bebenden Arme streckt er empor. Er zittert nicht um seinetwillen, sondern um Hierokles, und er ruft fassungslos:
»Volk von Rom!«
Seine Stimme bricht vor Angst, ein schriller, flehentlicher Schrei wird hörbar.
»Nehmt mir alle, Gordus, Protogenes, Murissimus, doch laßt mir Hierokles! Tötet ihn nicht, tötet mich! Alles, was ich besitze, gebe ich hin für sein Leben!«
Er ist auf die Knie gesunken, er schluchzt, doch Aristomachos hat sich ihm genähert und barsch, wie noch nie, zischt er ihm zu:
»Steh auf!«
Mit rauhem Griff reißt er den Kaiser empor. Der Knabe sinkt aufschreiend gegen ihn, sein Kopf fällt auf des Aristomachos Schulter. Das Volk hat ihn nicht gehört, weil es selbst schrie und johlte. Hunderte johlten, aber Hunderte jubelten auch ... Viele sind der Meinung, daß der Kaiser ihnen Hierokles preisgegeben habe; andere glauben, er sei berauscht, andere wieder, es würden Geschenke an sie ausgeteilt. Niemand weiß mehr, was der andere, was er selbst will. Viele wollen zu dem Palatium, um Alexianus zum Kaiser auszurufen, ihn feierlich hierher zu geleiten und auf seinen Befehl Antoninus zu ermorden. Andere wollen Mäsas wegen Antoninus kein Leid antun. Viele stehlen in den Gärten goldene Becher und werfen sich vor ein Vasculum, um den schneegekühlten Wein zu schlürfen. Ein großer Teil der Gärten steht in Brand. Die Kiefern gleichen Riesenfackeln. Über der Campagna schimmert fahl der Morgen.
Im Palast halten sich die Günstlinge versteckt, rasend, daß Antiochianus sie alle, mit Ausnahme des Hierokles, verleugnet hat. Den Kaiser, der ohnmächtig geworden ist, hat Aristomachos auf den Armen in seine Gemächer getragen; dort überläßt der Tribun ihn Narr und den geflohenen Frauen. Alle Zugänge zum Palast sind von Prätorianern bewacht. Viel Volk zieht sich zurück, murrend und uneinig, und als Aristomachos zu Antiochianus zurückkehrt, sagt der Präfekt:
»Wir haben Antoninus gerettet, doch Alexianus wird heute nacht noch leben!«