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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Was geschehen war, wußte niemand, wieviel Gerüchte auch im Umlauf sein mochten. Doch sicher war es, daß ein Centurio, eine Kreatur des Aristomachos, in unmittelbarer Nähe der Gemächer des Cäsar Alexianus mit Encolpius in Streit geraten war und daß Encolpius den Günstling des Aristomachos mit seinem Schwert niedergestreckt hatte; daß zwischen Semiamira und Mammäa ein rasender Zwist aufgelodert war, dessen Grund unklar war, und daß Mäsa darauf wutentbrannt den Kaiser mit Vorwürfen überhäuft hatte, so daß nun eine heftige Verstimmung zwischen dem Frauenhof und den kaiserlichen Gemächern herrschte, eine Verstimmung, die alle Höflinge, alle Priester, alle Freigelassenen durchzitterte, ohne daß man in den Thermen, den Basiliken, den Foren wußte, was eigentlich geschehen war.

Doch am kommenden Morgen in aller Frühe verließ Antoninus mit seinem ganzen Gefolge von Günstlingen, Magiern und Priestern, mit Antiochianus und Aristomachos, vielen anderen Präfekten, Tribunen, einem Heer von Prätorianern und Legionären, mit unzähligen Dirnen, mit dreihundert, mit kostbaren Möbeln, Truhen und Kunstgegenständen beladenen Karren und Wagen – die Narren und wilden Tiere mitten dazwischen – in jähem, fiebernd wirrem Aufbruch das Palatium, um, wie es hieß, während der heißesten Monate in den Gärten der Alten Hoffnung, deren Tempelgebäude schon als Sommerpalast hergerichtet waren, Kühlung zu suchen.

 

Semiamira hatte ihren Sohn nicht begleitet; sie war im Palatium geblieben, um seine Interessen zu wahren, und mit ihr verblieb die neue Gemahlin des Antoninus. Denn die plötzlich ohne jeden Grund verstoßene, jungfräuliche Severa hatte die Erlaubnis erhalten, mit dem heiligen Feuer ins Haus der Vesta zurückzukehren, und statt ihrer hatte Antoninus Annina Faustina, die von Commodus und Marcus Aurelius abstammte, zur Kaiserin erhoben.

Vom Peristyl des Sommerpalastes flatterten die schweren Vela, von Masten gehalten, bis dorthin, wo das Laubwerk Schatten spendete, und zwischen den Arkaden senkten sich die Marmorstufen aus erhabener Höhe zu den tiefer gelegenen Gärten und den mit Maßliebchen übersäten Rasenflächen herab. Der Kaiser hatte an jenem Morgen in aller Frühe – es war fast noch Nacht – im Heiligtum, dem eigentlichen Tempel der Alten Hoffnung, zwei Stunden vor dem Schwarzen Stein gelegen, hatte den Stein dann sehr lange umschlungen gehalten und seine Küsse auf den Basalt des Monolithen gepreßt; dann hatte er im Bade das Frühstück eingenommen. Jetzt lag er im Peristyl. Die Stufen entlang tönten leise, gleich dem Zirpen der Grillen, die Sistren der Tempelmädchen. Ein Fest war nicht angekündigt, doch vergingen die sommerlichen Tage in Andacht und Festgepränge. Allein Antoninus war nicht sorglos; seine Augen, die über die Hügel hinschweiften, sprachen von Wehmut und um seine schmalen Lippen bebte eine bitter lächelnde Ironie.

Der Kaiser reckte sich, gähnte, seufzte.

Er warf sich hintenüber in die Polster des Sigmas. Er winkte den Tempelmädchen, daß sie innehalten sollten in dem zirpenden Grillengesang der Sistrensaiten, an denen ihre Finger zupften.

»Narr,« murmelte Antoninus klagend und seine Hand streckte sich unbewußt suchend dem Mohren entgegen.

»Hier bin ich, Herrchen.«

»Narr, ob wir wohl jemals ...«

»Was, Herrchen?«

»Emesa wiedersehen?«

»Warum nicht? Befiehl, daß wir gehen!«

»Daß wir gehen? Ist es so einfach, nur zu sagen: Wir gehen nach Emesa?«

»Da kommt der Tribun Aristomachos,« kündete Narr.

»Aristomachos!« rief Antoninus stöhnend aus, »bist du zurück? Ich glaube, ich bin krank. Mir wird die Zeit so lang wie noch nie. Sage mir, Aristomachos, was geht vor?«

»Ich komme vom Palatium, Antoninus. Ich habe die ehrwürdige Mäsa gesprochen. Sie meint, du solltest zurückkehren ins Palatium, weil das Volk schon zu flüstern beginnt von einem Bruch zwischen dir und ihr.«

»Nein, Aristomachos, wenn ich fortgehe von hier, dann gehen wir nach Emesa.«

»Sprich ernsthaft, Antoninus. Dein Schreiben, das gestern im Senat verlesen ward und das den Befehl enthielt, man solle Alexianus den Cäsartitel nehmen ...«

Antoninus richtete sich jählings auf. Seine Augen blitzten.

»Wie hat man das Schreiben aufgenommen?«

»Mit allgemeinem ehrfurchtsvollem Schweigen.«

»Die Elenden! – Und die Senatrix?«

»Hat deinen Brief mit zwei, drei Worten entschuldigt, indem sie sagte ...«

»Was?«

»Du hättest in Verstimmung gehandelt.«

»Altes Weib!«

»Antoninus, Mäsa ist mächtig, sie besitzt Schätze, sie hat dich lieb, lieber als Alexianus. Warum etwas tun, was sie nicht billigen kann

Der Kaiser umfaßte mit seinen kleinen Händen des Aristomachos breite Schultern und schüttelte ihn.

»Aristomachos, höre; ich hasse, verstehst du mich? Ich hasse, so wie ich noch niemals gehaßt habe, ich fühle es in mir wie einen Durst, der meine Lippen ausdorrt, der meine Kehle versengt. Dieser Haß macht mich speien und geifern, ich werde noch toll durch diesen Haß! Ich hasse den braven kleinen Alexianus, meinen Adoptivsohn! Du bist mir treu, nicht wahr? Du liebst mich, nicht wahr? Ja, du liebst Antoninus noch. Höre, Aristomachos, ich will, daß dieses Kind stirbt! So lange es lebt, kann ich keinen Augenblick mehr glücklich sein. Ich will, hörst du, Aristomachos, ich will, daß der kleine Alexianus stirbt.«

»Er wird sterben, Antoninus; doch Mammäa ist wachsam und Mäsa beschützt den Alexianus.«

»Ich will, daß er stirbt. Narr hat versucht, ihn zu vergiften, doch er trinkt keinen Rosenwein mehr, der tugendhafte Knabe. Die Leibwache des Alexianus, Encolpius, ich verbanne sie alle!«

»Antoninus, bedenke, daß sowohl der Senat wie das Volk ...«

»Was? Was?«

»Alexianus nicht ungeneigt ...«

»Nicht ungeneigt? Willst du damit sagen, daß sie ihn lieben? Ihn anbeten? Haben sie mich nicht mehr lieb? Hat Rom mich nicht mehr lieb? Betet Rom mich nicht mehr an? Nun, dann gehen wir nach Emesa. Narr, wir gehen nach Emesa. Kommt Hierokles mit, dann gehen wir gleich, morgen, heute.«

»Antoninus, Hierokles wird ...«

»Nun?«

»... dir einst dein Schicksal bereiten. Der Elende! Du hassest Alexianus, ich hasse Hierokles!«

Blitzschnell legte Antoninus seine Hand auf des Aristomachos bärtige Lippen und zischelte:

»Still, Aristomachos, still! Hierokles ist dort im Palast. Laß ihn dies nicht hören, ringe nicht mehr mit ihm wie an jenem Abend, so kurzweilig das Schauspiel auch für die Gäste gewesen sein mag. Still, Aristomachos, still, du hassest Alexianus doch auch, nicht wahr? Wir wollen alle, alle einmütig sein. Nein, ich kehre nicht ins Palatium zurück, bevor nicht dies Kind aus dem Wege geräumt ist ... Vergeblich habe ich um des Alexianus Liebe geworben, ich, ich, Antoninus Heliogabal, die Sonne, nach der alle schmachten oder – vielleicht – geschmachtet haben. Sie haben mich nicht mehr so lieb wie zu Anfang, als ich kam, als ihre Hände sich mir entgegenstreckten, um mich zu streicheln, als ihre Küsse mir zuflogen. Aristomachos, wenn du mich nur lieb behältst und mir treu bleibst und wenn Antiochianus und Narr und Hierokles es tun ... Ich kann nicht nach Emesa zurück, er ... er würde nicht einwilligen.«

»Er maßt sich Macht an.«

»Laß ihn ... was tuts? Er maßt sich nicht mehr an als ihm gebührt. Er ist mein Gemahl ... Er haßt Alexianus ... Er wünscht das gleiche wie wir und sein Wunsch ist machtvoll. Wir alle wünschen das gleiche.«

»Herrchen, da kommt der Praefectus Praetorio Antiochianus.«

»Antiochianus, sage mir, was geht vor?«

»Ich komme aus dem Lager, Antoninus. In der vergangenen Nacht hat man die Bildnisse des Alexianus besudelt.«

»Oh!« rief Antoninus jubelnd aus, »wer hat das getan?«

Hierokles war auf der Schwelle des Peristyls erschienen.

»Das habe ich befohlen!« sagte er hochmütig.

»Du?« schrie Antoninus freudig auf.

»Ja, ich.«

»Das war gut, das war vortrefflich, mein Hierokles!«

»Die Truppen sind nicht zufrieden,« sagte Antiochianus.

»Was geht uns das an?« erwiderte Hierokles barsch, »haben wir hier nicht unsere Truppen, die wohl zufrieden sind? Antoninus wird angebetet, wo immer er sich zeigt. Aber er ist euer Spielball. Ich will ihn für alle Zeiten befreien von eurem Zwang und von Mäsas Bevormundung. Wo hält die Alte ihre Schätze verborgen? Ist es nicht unsinnig, daß der Kaiser von Rom abhängig sein soll von seiner Großmutter? Nur dadurch behält das Weib die Macht in Händen. Ich dulde es nicht länger! Befreit will ich den Antoninus sehen von euch, von ihr, auf daß er tun kann, was ihm beliebt!«

»Auf daß er tun kann, was dir beliebt!« rief Aristomachos ingrimmig aus, indem er die Fäuste ballte, »auf daß der Knabe tun kann, was dir beliebt!«

Rasch hatte Antoninus sich aufgerichtet; beschwichtigend legte er dem Aristomachos die Hände auf die Schulter.

»Still, still, Aristomachos, wenn du mich heb hast, wenn du mir noch treu bist, so laßt uns alle einmütig sein. Versöhnt euch um meinetwillen. Sage mir, Antiochianus, warum sind die Truppen nicht zufrieden?«

»Weil des Alexianus Standbilder besudelt wurden. Auch das Volk murrt.«

»Die Truppen dürfen nicht unzufrieden sein! Dann, mein Hierokles, war es unvorsichtig und gefährlich, was du tatest.«

Zornig ließ sich der Gemahl neben Antoninus nieder und umklammerte dessen Hände mit seinen beiden Fäusten. Die Ader auf der Stirn schwoll ihm an und sein schöner, griechischer Heldenkopf wandelte sich plötzlich in eine grauenhaft verzerrte Fratze.

»Unvorsichtig? Gefährlich? Wie lange soll das Zögern und Schwanken noch dauern?«

»Du tust mir weh!« rief aufstöhnend Antoninus.

»Bist du ein Kaiser und vermagst nicht einmal den Senat zu zwingen? Mußt es dulden, daß sie dein Schreiben mit unverschämtem Stillschweigen beantworten? Bin ich nicht dein Gemahl? Gelte ich dir nicht mehr als alles? Steht es nicht mir, deinem Gemahl, zu, Cäsar zu sein und die Macht in Händen zu halten neben dir? Warum ist es nicht so? Sprich, warum ist es noch nicht so?«

»Mein Hierokles!« rief Antoninus stöhnend aus, »ist es meine Schuld? Du tust mir weh, mein Hierokles!«

Der Lenker hatte, blind vor Wut, eine seiner Fäuste um die Kehle des Kaisers gelegt; er stürzte sich auf ihn, sein plumpes Knie preßte er auf des Antoninus Brust; die andere Faust erhob sich wie ein Hammer.

»Laß das Kind los!« brüllte Aristomachos.

»Laß das Kind los!« brüllte gleichzeitig Antiochianus.

Wie Stiere stürzten die drei Männer aufeinander los, quer über den keuchenden Knaben; rasend blickten sie sich in die Augen.

»Was wollt ihr?« brüllte Hierokles, »Antoninus ist mein Weib, mein Eigentum!«

Der Kaiser hatte sich aus seinen Polstern aufgerichtet; entnervt stieß er Antiochianus und Aristomachos von sich.

»So kämpft miteinander!« schrie er verzweiflungsvoll aufschluchzend, »kämpft, kämpft, wenn ihr nicht einmal jetzt, da mir vielleicht Gefahr droht, einmütig sein könnt. Mein Schicksal kommt über mich, ich fühle es. Niemand hat mich mehr lieb. Zotikus hatte mich lieb, und du, Hierokles, hast ihm einen Trank eingegeben, so daß er kraftlos ward und in meinen Armen hinsiecht. Laßt mich allein, ich will weinen! Ich hasse euch alle, alle, ich liebe nur Zotikus. Mit Zotikus will ich zurückkehren nach Emesa. Laß mich los, Hierokles, laß mich! Bin ich nicht der Kaiser? Laß mich, oder ich rufe meine Soldaten! Den Bestien werde ich dich vorwerfen lassen!«

Der Gemahl stieß ein Hohngelächter aus.

Er lachte, lachte im tollkühnen Bewußtsein seiner Übermacht. Doch der Knabe hatte sich aus seinem Griff befreit. Entnervt stieß er um sich, eilte die vielen Stufen hinunter und floh hinweg aus den Gärten. Sie ließen ihn gewähren, weil diese hysterischen Weinkrämpfe ihn gefährlicher machten, als er selber ahnte. Während solcher Anfälle besaß er die aufgepeitschte Kraft, Hierokles wirklich von sich zu stoßen, für einige Stunden, einige Tage. In solch einer Entnervung konnte er in der Tat die, welche ihm mißfielen, den Bestien vorwerfen lassen – so einmal einen Koch, der schlecht gekocht hatte – obwohl er, von Natur nicht grausam, nur zu drohen pflegte und vor Blut einen Ekel hatte, sofern das Blut nicht durch den Ritus des Dienstes oder des Opfers geheiligt erschien.

 

Der schluchzende Knabe war entflohen und erklomm, vor Schmerz stöhnend, die grasigen Hügel. Ernsthaft schauten die Opferochsen ihn an und die Schafe trippelten blökend davon über die Hänge. Auf einem hohen Hügel, in dem sonnendurchleuchteten Schatten dreier Schirmtannen, warf sich Antoninus in die Maßliebchen, streckte sich aus und schluchzte, vergrub das Gesicht in die Hände. Halb vor Schmerz schluchzte er, denn Pulse und Schultern schmerzten ihn und um seine Kehle fühlte er noch des Hierokles Faust. Doch mehr noch schluchzte er ob einer Leere, die gespenstisch heranschlich, in ihm und um ihn, seltsam beängstigend und dunkel, trotz der leuchtenden Glut des sonnigen Morgens. Da lag er, halb nackt, in den Maßliebchen, sein einfaches phönizisches Morgengewand war halb geöffnet. Das durch das Laub gesiebte Sonnenlicht ergoß sich golden über ihn. Wohl war dies Einsamkeit, doch sie war wohtuend wehmütig. Wäre es nur nicht so düster in ihm und um ihn her, als ginge plötzlich alle Wärme weg von ihm, dem Sonnenkaiser. Wieviel Wärme, wieviel Liebe war da einst gewesen! Zu Emesa, wenn er tanzte, in jenem wunderherrlichen Tempel, bei den Aufzügen durch Rom, wenn er den Triumphwagen des Schwarzen Steines lenkte, auf dem Altan des Palastes, wenn er der Menge Gaben streute! Überall, überall, wo er sich zeigte. Und nun ... Er zeigte sich nicht mehr oft in letzter Zeit, doch wenn es geschah hörte er den Namen Avitus, den er haßte; Sardanapal und Hurenkind, als ob er nicht der Sohn des Bassianus Caracalla sei: Varius, Sohn vieler Väter!

Da lag der jugendliche Kaiser einsam in den Maßliebchen. Dann lieber einsam sein in dem Turm der Gemmen. Doch der Turm war fern. Das Arsenal seines Selbstmordes, die seidenen Stränge, die goldenen Dolche, die blitzgleich tötenden Gifte in Phiolen aus edlem Gestein. Alles fern ... Er wollte Narr befehlen, es hierher zu bringen. Doch Alexianus war vielleicht schon heute morgen ermordet. Mammäa ermordet und dann würde er triumphierend auf den Palatin zurückkehren! Er haßte diesen Knaben, und dennoch, hätte sich jener nicht von ihm abgewendet, dann würde er ihn geliebt haben, den kleinen Alexianus. Zu Emesa hatten sie zusammen gespielt; war Alexianus sein Sonnenkind gewesen, das während des Dienstes um ihn war.

Wie fern das alles!

Drei Jahre! Waren wirklich erst drei Jahre verflosren, seitdem er zum letztenmal im Tempel zu Emesa getanzt hatte? Seit die verliebten Legionen ihn ausgerufen hatten, während er bei Sonnenuntergang auf dem Sternenturm erschienen war, von des Hydaspes weißer Samara umhüllt? Plötzlich dünkte es ihn, als sei für ihn alles beendet, als habe er alles durchlebt, alle Becher des Lebens ausgekostet. In zahllosen Inkarnationen. Als habe er Götter und Göttinnen verkörpert und Kaiser und Volk, alles in Einem, als solle alles jetzt alsbald ein Ende nehmen für ihn. Wie würde das Ende sein? O, wenn er nur anmutig enden durfte, in Pracht und Zierlichkeit! Drohte ein Aufruhr? Waren die Truppen wirklich unzufrieden? Er zeigte sich allzuwenig in der letzten Zeit: er schmollte ... ja, er wollte an Volk und Heer Gaben und Spenden austeilen lassen. Er war nicht milde gewesen in letzter Zeit. Wenn sie ihn nur sahen und Geschenke empfingen. Oder ... Ob es nicht dennoch gut wäre, Narr zu befehlen, er solle die seidenen Stränge, die goldenen Dolche und die Gifte herüberbringen nach der Alten Hoffnung? Auf daß er anmutig enden könne, so die Stunde gekommen? Jetzt schluchzte er ob seiner eigenen Wehmut. Wohl war er ernster geworden und frömmer ward er sicherlich.

 

»Antoninus! Antoninus!«

Er hob das tränenüberströmte Antlitz aus den Maßliebchen empor. Vor ihm stand seine Mutter, Semiamira. Sie schien heftig erregt; eine dunkle Palla umhüllte ihre Gestalt.

»Antoninus, mein Kind, was tust du hier? Warum schluchzest du, mein Liebling? Sage mir, warum? Ich bin gekommen mit der Mutter in dicht verhangener Sänfte; sie ist dort, höre nur ihre Stimme. Mäsa ist heftig, sie rast gegen Aristomachos, Antiochianus, Hierokles. Im Lager herrscht Aufruhr. Man hat gekämpft. Das ist Mammäas Schuld. Sie zettelt Verschwörungen an, sie besticht die Centurionen, um das Volk zu Alexanders Gunsten zu stimmen. Das Leben eines Kaisers ist nicht allzeit heiter, mein Kind, sehr traurig kann die Allmacht sein. Früher war es heiterer. Weißt du noch ...?«

»Wann, Mutter?«

»Vor drei Jahren.«

»Zu Emesa?«

»Ja, zu Emesa, mein Liebling. Du Schatz meines Schoßes, wie wunderbar tanztest du dort! Nie hast du in Rom so getanzt!«

»Entsinnst du dich noch, Mutter, der Gärten, des Tempels, des Turmes?«

»Ja, Kind.«

»Der Pfauen?«

»Sie sind tot.«

»Ja, sie sind tot. In der ersten Zeit hat sie Hydaspes füttern lassen, doch sie verwilderten und starben vor Sehnsucht.«

»Ja, vor Sehnsucht. Entsinnst du dich noch meiner hohenpriesterlichen Gemächer? Entsinnst du dich der Stadt?

Der alten Stadt?«

»Du Schelm!«

Sie lachten beide.

»Wußtest du das damals schon?«

Sie flüsterten, kicherten miteinander; sie kniete an seiner Seite, er hatte seinen Arm um ihren Nacken geschlungen, seinen Kopf drückte er fest an ihre Brust.

»Hier, mein Liebling, tun wir das gleiche.«

»Doch es ist nicht das gleiche, hier.«

»Nein, das gleiche ist es nicht.«

»Hier ist es traurig.«

»Ja, mein Liebling. Alle Lust ist hier traurig. Wie sehr ich sie auch suchen mag, sie befriedigt mich nicht.«

»Auch mich nicht, Mutter, ich bin krank vor Traurigkeit.«

»Vor Liebe, mein Schatz, zu diesem elenden Hierokles!«

»Vor Haß, Mutter, gegen Alexianus!«

»Warum so hassen, Kind? Mammäa ist ein Scheusal, ein Scheusal ist ihr Sohn. Warum wurden beide nicht längst aus dem Wege geräumt? Du warst viel zu nachgiebig. Du hattest Alexianus noch lieb, während er und seine Mutter dich schon haßten. Warum die Dinge so erschweren? Nie wage ich mehr, am Abend in der Subura Zerstreuung zu suchen; ich fürchte mich. Warum nicht einfach Mammäa und ihren Sohn aus dem Wege räumen? Narr hätte es früher so mühelos tun können. Jetzt ist es zu spät, die Mutter wacht und Mammäa und Encolpius wachen. Mein Liebling, du warst zu langmütig. Wie öde ist mir die Zeit auf dem Palatin!«

»Bleibe hier!«

»Ich möchte wohl, mein Kind, aber wenn du noch nicht zurückkehrst, dann ist es besser, daß ich dort bleibe bei der Mutter ... Verstimmt ist sie gegen dich. Mammäa hat leichtes Spiel. Mein Kind, Großmutter hebt dich immer noch mehr als den andern. Kehre zurück, hasse nicht so wild, versöhne dich mit dem Knaben, nur zum Schein. Wenn alles ruhig geworden ist, dann vergiften wir ihn ganz heimlich und betrauern ihn vor der Öffentlichkeit und vergöttern ihn nach seinem Tode in der Pracht der Apotheose. Tempel soll er haben, soviel er nur will! Es ist nicht gut, so augenfällig zu hassen, da sich doch alles ruhig vollziehen kann, ohne daß unsere Lust getrübt wird, die hier in Rom ohnedies nicht allzu heiter ist und nicht mehr die Lust von Emesa.«

»Von Emesa« murmelte Antoninus.

 

An seine Mutter gelehnt, schloß er die Augen. In ihr erwachte eine bebende Mütterlichkeit. Allzeit hatte sie ihr Kind liebgehabt, mehr als alles auf der Welt, hatte es vergöttert, bewundert, angebetet. Als Tochter der Sonne hatte sie oft einen frommen Schauder empfunden vor der Göttlichkeit, die sich aus dem Licht in ihr Kind herabgesenkt, und zugleich hatte ihre leichtblütige Natur in ihm nicht nur den Sohn gefunden, sondern einen Kameraden, eine Schwester beinahe, einen Kameraden der Freude, eine Schwester, die die Empfindungen körperlicher Sinnlichkeit und hysterischen Verlangens ihr nachfühlen konnte. Nun, da er an ihrer Seite lag, fiel es ihr auf, wie müde und bleich und traurig er aussah: die Augen dunkel umschattet, hohl die noch feuchten Wangen, von denen die Tränen die Schminke weggebadet hatten – und jetzt gewann sie ihn so innig lieb, in Mütterlichkeit und Mitleiden, hätte ihn wohl mit fortnehmen mögen, weit, weit fort in ein ruhiges, schönes Land voll lachender sonniger Freude ... nach Emesa, ja auch nach Emesa, warum nicht? Sie lächelte wehmütig, wiegte ihn sacht in ihren Armen. Während eines flüchtigen Augenblicks lagerte wohlige Ruhe im Schatten der großen Schirmtannen, auf dem frisch-grünen, von Maßliebchen übersprenkelten Gras ...

Über die Hügel näherte sich schwerfällig, doch aufrechten Ganges, eine alte, ganz in Weiß gekleidete Frau und Semiamira sagte:

»Antoninus, da kommt die Clarissima. Steh auf, Antoninus, ich flehe dich an, sei ehrerbietig, sie ist doch unsere Mutter, unser aller Mutter, und sie hat dich lieb, mein Kind.«

Sie half Antoninus sich emporrichten und so stand der Kaiser, als Mäsa sich näherte, aufrecht da, in seinem langen, weißen Morgengewand, halb nackt, von dem durch das Laub gesiebten Sonnenlicht golden umflutet. Seltsam war es, daß der Knabe die Großmutter, die ihn anbetete, nicht liebte; seltsam, daß die Großmutter, die diesen Mangel an Liebe zu ihr wohl empfand, ungeachtet der Schmähung, die er ihr, der Herrschsüchtigen, angetan hatte, diesen Knaben trotz alledem anbetete, ihn bewunderte, während des Dienstes und des Tanzes und auch nun, während er sich so götterschön vor ihr erhob aus dem blumigen Gras. Sie näherte sich ihm schweratmend, streckte ihm die Hände entgegen aus der weißen Palla und ihre oft scharfe, hochmütige Stimme löste sich in zärtliche Weichheit, während sie sprach:

»Mein innigst geliebter Antoninus!«

»Ehrwürdige Großmutter?«

»Ich komme zu dir, mein Kind, weil ich dir beweisen will, daß ich dich noch immer liebe, obwohl arge Dinge geschehen sind. Laß mich hoffen, daß nicht du sie befohlen hast, sondern daß es deine Sippschaft, daß es Hierokles war, der des Alexianus Standbilder wagte besudeln zu lassen.«

»Es war Hierokles.«

»Ich wußte es, mein Kind. Doch obwohl arge Dinge geschehen sind, ist es noch nicht zu spät. Kehre zurück in das Palatium, versöhne dich mit Alexianus, er ist dein Vetter. Versprich mir, daß ich nicht zu bangen brauche um sein Leben.«

»So habe ich auch schon zu Antoninus gesprochen,« sagte Semiamira mit heller Stimme. »Warum nicht sich aussöhnen und zurückkehren in das Palatium? Komm, Antoninus, kehre zurück!«

»Nicht, so lange das Kind dort ist.«

»Er ist der Cäsar, dein bluteigener Vetter, dein angenommener Sohn!«

»Er ist wie eine Schlange, er speit sein Gift im Dunkeln aus. Ich hasse ihn. Wenn du mir sein Leben nicht gönnst, so verbanne ich ihn, verbanne ihn mit Mammäa und lasse beide als Feinde des Vaterlandes ausrufen.«

»Antoninus, das Volk murrt, die Truppen murren, der Senat murrt.«

»Ich kehre nicht zurück. Hier habe ich meine Truppen, die mir treu sind, die mich anbeten.«

»Mein Kind, wir alle beten dich an. Doch kehre zurück, du Schatz meines Schoßes.«

»Ich komme, wenn die Mutter mit ihrem Sohn fort ist.«

Die alte Frau warf, einer ratlosen Sibylle gleich, die Arme empor.

»O, ihr Götter!« rief sie klagend aus und ihre Augen traten aus den Höhlen, als schauten sie ein zweites Gesicht, »es ist allzeit so gewesen und es wird wiederum so sein!«

Schluchzend stieß sie diese Worte hervor; sie verstanden sie nicht.

Semiamira fragte:

»Was siehst du, Mutter?

»Es ist allzeit so gewesen und es wird wiederum so sein ... es ist gut. O Heliogabal! Heiliges Licht! Ich danke dir für das Allgute, für das Allichte, nach dem wir streben ...«

»Komm mit, Antoninus,« bat Mäsa flehentlich, »komm mit, insgeheim, in meiner dicht verhangenen Sänfte. Heute abend folgen dir alle die anderen, morgen zeigst du dich mit Alexianus. Mein Kind, mach, daß ich dich retten kann!«

»Vor wem? Das Volk hat mich lieb, das Heer betet mich an ... Und wenn nicht ... so wacht über mir ...«

Den mystischen Namen des Gottes sprach er nicht aus; er küßte nur des Hydaspes Ring an seinem Finger.


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